Republik 9
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Schwerpunkt<br />
Schulpolitik<br />
Verbale Gewalt und Psychoterror<br />
Aber auch ohne offenen Schlagabtausch<br />
gehört aggressives Verhalten zum<br />
Alltag an Österreichs Schulen. „Vieles<br />
spielt sich so ab, dass Lehrer und andere<br />
Erwachsene es gar nicht bemerken“,<br />
erklärt Hans Henzinger vom Landesschulrat<br />
Tirol. Besonders Mädchen agieren eher<br />
subtil, indem sie beispielsweise Gerüchte<br />
verbreiten oder jemanden sozial ausschließen.<br />
„Mobbing beginnt heute bereits<br />
in der Volksschule“, sagt Kurt Süss, Vizepräsident<br />
vom Elternverein Oberösterreich<br />
und selbst zweifacher Vater.<br />
Gerade wenn es um verbale und psychische<br />
Formen von Gewalt geht, stellen auch<br />
internationale Untersuchungen, wie die<br />
aktuelle „Health Behaviour in School-aged<br />
Children“-Studie der WHO, Österreich ein<br />
schlechtes Zeugnis aus: Demnach geben 45<br />
Prozent der 13-Jährigen an, Opfer von so<br />
genanntem „Bullying“ geworden zu sein.<br />
„Bullying“ ist eine Sonderform des Mobbying,<br />
da es besonders exzessiv abläuft und<br />
häufig auch physische Gewalt einschließt.<br />
60 Prozent der 15-jährigen Buben sagen<br />
außerdem, in den vergangenen Monaten<br />
einen Mitschüler gezielt ausgegrenzt, verspottet<br />
oder drangsaliert zu haben. Damit<br />
liegt Österreich deutlich über dem Schnitt<br />
der 41 untersuchten Nationen (in beiden<br />
Bereichen 35 Prozent) und schafft es so<br />
in Gesellschaft von etwa Belgien, der Türkei<br />
oder Griechenland konstant unter die<br />
traurigen Top-Ten. Positives Schlusslicht,<br />
wenn es um aggressives und gewalttätiges<br />
Verhalten von Kindern und Jugendlichen<br />
geht, bleibt auch bei der vierten Auflage<br />
der Studie Schweden.<br />
Verhaltensvereinbarung<br />
Bewusst machen und aktiv eingreifen<br />
heißen die Zauberworte für ein gesundes<br />
Miteinander: „Eine Schule, in der Wert<br />
auf soziales Lernen gelegt wird, bietet<br />
weniger Nährboden für Gewalt und kann<br />
beitragen, aggressives Verhalten von Kindern<br />
einzubremsen“, sagt Thomas Feurle,<br />
Psychologe und Leiter der Familienberatungsstelle<br />
„Ananas“ in Gänserndorf.<br />
Verhaltensvereinbarungen, die gemeinsam<br />
von Schülern, Lehrern und Eltern<br />
erarbeitet werden, können eine Grundlage<br />
für gegenseitiges Verständnis sein.<br />
Alle Beteiligten sollen Wünsche einbringen<br />
und müssen sich dabei auch überlegen,<br />
was sie selbst für ein gutes Klima an<br />
ihrem Arbeitsplatz Schule beitragen können.<br />
„Durch die gemeinsame Entwicklung<br />
bekommen solche Regelwerke einen stärkeren<br />
Verbindlichkeitscharakter, als eine<br />
reine Haus- oder Schulordnung“, so Brigittte<br />
Mochorko von der Kärntner Volksschule<br />
Sittersdorf. Sie wurde für ihre<br />
Verhaltensvereinbarung heuer mit dem<br />
Fairness-Award ausgezeichnet.<br />
2010 lobte das BMUKK den begehrten<br />
Preis bereits zum fünften Mal aus. Für die<br />
Umsetzung innerhalb des Ministeriums<br />
zeichnet Birgid Reimer verantwortlich.<br />
In der Kategorie der 15- bis 19-Jährigen<br />
gewann heuer das Borg Scheibbs mit<br />
einem Projekt gegen Gewalt an Frauen<br />
den ersten Preis beim Fairness-Award.<br />
Workshop, Redewettbewerb, Aktionstag<br />
und Schülerzeitung machen auf kreative<br />
Weise auf das Thema aufmerksam. „Die<br />
Schule ist die einzige Chance mit jungen<br />
Leuten in diesem Bereich zu arbeiten. Die<br />
Erwachsenen kann ich nicht ändern, die<br />
liegen nicht in meiner Kompetenz“, sagt<br />
die Projektleiterin Elfriede Strauß über<br />
ihre Motivation.<br />
Ohne Watschen<br />
Das so genannte „Faustlos“-Programm<br />
ist ein weiterer Baustein der BMUKK-<br />
W i s s e n<br />
Verhaltensvereinbarungen<br />
Um das Zusammenleben und -arbeiten im<br />
Schulalltag zu erleichtern, können Schüler,<br />
Lehrer und Eltern durch Verhaltensvereinbarung<br />
klare Spielregeln festlegen. Wesentlich ist<br />
dabei, dass alle Beteiligten bei der Erstellung<br />
mit einbezogen werden, Wünsche einbringen<br />
können, aber auch Verantwortung für den<br />
Lebensraum Schule übernehmen müssen.<br />
Das Bundesministerium für Unterricht, Kunst<br />
und Kultur stellt auf seiner Homepage einen<br />
Leitfaden zur Erstellung zur Verfügung.<br />
Strategie gegen Gewalt und Teil der Initiative<br />
„Weiße Feder“. Unter der Leitung von<br />
Beatrix Haller (Abteilung I/9) will man<br />
damit ein Zeichen gegen Jugendgewalt<br />
setzten, für die unterschiedlichen Formen<br />
sensibilisieren und soziale Kompetenzen<br />
sowie Zivilcourage fördern. „Faustlos“<br />
kommt in Österreich an rund 140 Kindergärten<br />
und Horten zum Einsatz. Im<br />
Mittelpunkt stehen eine Auseinandersetzung<br />
mit Empathie und der Umgang mit<br />
Ärger und Wut. So sollen möglichst früh<br />
soziale und emotionale Kompetenzen<br />
von Kindern gefördert werden. Psychologe<br />
Feurle steht dem Programm skeptisch<br />
gegenüber: „Ich bin mir nicht sicher,<br />
ob die sechsstündige Vorbereitung der<br />
Lehrer auf das Programm ausreicht. Meiner<br />
Erfahrung nach sind diese tendenziell<br />
mit Konfliktsituationen überfordert,<br />
weil ihnen die Sicherheit im Umgang<br />
fehlt.“<br />
Auch Mathilde Zeman vom Wiener<br />
Stadtschulrat betont die hohen Ansprüche,<br />
die besonders in einem Umfeld wie<br />
der Bundeshaupstadt an das Lehrpersonal<br />
gestellt werden: „Gerade wenn es um<br />
Krisenintervention geht, ist der kulturelle<br />
Aspekt wichtig. Nicht für jeden bedeutet<br />
es beispielsweise dasselbe, wenn man<br />
ihm eine Hand auf die Schulter legt.“<br />
Nur Weiterbildungen, Aufstockung des<br />
schulpsychologischen Personals oder das<br />
Angebot von begleitenden Coachings bei<br />
Problemfällen könnten hier Abhilfe schaffen,<br />
so Zeman weiter.<br />
H i n t e r g r u n d<br />
Die Weiße Feder<br />
Das Thema Jugendgewalt ist für das BMUKK<br />
ein zentraler Arbeitsschwerpunkt. Unter dem<br />
Titel „Gemeinsam gegen Gewalt“ will man<br />
mit Experten, Schülern, Eltern und Lehrern ein<br />
Zeichen gegen Gewalt setzen. Unterschiedliche<br />
Projekte sollen über das Problem aufklären<br />
und mit Hilfestellungen<br />
zur Prävention und Intervention weiterhelfen.<br />
Einmal im Jahr wird der Fairness-Award<br />
verliehen, der die kreative Auseinandersetzung<br />
mit dem Thema Gewalt auszeichnen soll.<br />
September 10 21