programm 2011/2012
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eiseberichte <strong>2011</strong>/<strong>2012</strong> S.80<br />
In gleichmäßig langsamen Bewegungen setzt<br />
die Künstlerin Mitjili Punkt neben Punkt auf die Leinwand,<br />
bis die „Dots“ zu einem Ganzen verschmelzen.<br />
Dabei redet sie auf Warlpiri mit sich und vergisst<br />
die ganze Welt um sich herum.<br />
reiseberichte <strong>2011</strong>/<strong>2012</strong> S. 81<br />
Die Weltenmalerin<br />
text: Jana steingässer bild: Jens steingässer<br />
Ein gepflasterter Vorhof. Aus einem gepflegten Beet<br />
strecken einzelne Blumen ihre Köpfe in die Sommerhitze<br />
der zentralaustralischen Wüste. Zaghaft stehen<br />
wir vor der polierten Eingangstür. Es ist nicht unser<br />
erstes Interview, das wir in Australien führen, aber<br />
diesmal ist die Hemmschwelle besonders groß.<br />
Wir sind hier, um Marissa Gibson, Hauptdarstellerin<br />
in dem Oscar-nominierten Film „Samson and Delilah“<br />
zu treffen. Seit dem Erfolg von Warwick Thorntons<br />
Filmdebut lebt die junge Frau noch zurückgezogener<br />
im Kreis ihrer Familie.<br />
Unser Gespräch mit Marissa kommt nicht richtig<br />
in Gang. Sie antwortet einsilbig und leise auf unsere<br />
Fragen, blickt schüchtern auf den Boden. Dafür spielen<br />
unsere Kinder laut lachend mit Marissas Nichten.<br />
Jens baut bereits Mikrofone und Stative ab, als sich<br />
eine kleine Frau mit schlohweißen Haaren und<br />
breitem Grinsen durch die Tür schiebt.<br />
Sie geht zielstrebig auf Mio zu und redet auf Warlpiri<br />
auf ihn ein. Jens und ich stehen mit offenen Mündern<br />
daneben, als Marissa uns ihre Oma, Mitjili Napanangka<br />
Gibson, vorstellt. Mitjili ist so klein, dass sie<br />
mir gerade bis zur Schulter reicht, aber ihre<br />
Anwesenheit nimmt schlagartig den ganzen Raum<br />
ein. Ihr Gesicht ist runzlig wie ausgetrocknete Erde<br />
und aus ihren Augen spricht so viel Schalk, dass ich<br />
unwillkürlich lachen muss. Mio starrt Mitjili mit<br />
weit aufgerissenen Augen an und steht wie angewurzelt<br />
vor der farbverschmierten alten Frau. Mitjili<br />
verschwindet hinter dem Haus und Marissa gibt uns<br />
zu verstehen, dass wir folgen sollen. „Sie will euch<br />
etwas zeigen.“<br />
Wir folgen Mitjili in einen staubigen Garten hinter<br />
dem Haus. Kein Grashalm wächst hier. Dafür liegen<br />
abgewetzte Matratzen auf dem Boden. Eine Leinwand<br />
liegt mitten im eisenerzroten Staub. Unter<br />
einem dürren Bäumchen sitzen drei Frauen. Mitjili<br />
sitzt auf einer riesigen, bunt bemalten Leinwand<br />
und erzählt. Ihr Blick ist fest auf den dünnen Holzstab<br />
gerichtet, den sie in ihren arthritischen Fingern<br />
hält. Immer wieder tunkt sie die Spitze des Stabes in<br />
den Farbtopf, der vor ihr steht. In gleichmäßig langsamen<br />
Bewegungen trifft das Holz auf die Leinwand<br />
und hinterlässt Punkte. Immer wieder Punkte, die<br />
sich nach und nach zu organischen Gebilden verbinden.<br />
Dabei hört Mitjili nicht auf zu sprechen.<br />
Auch dann nicht, als Marissa zu übersetzen beginnt.<br />
Sie ist wie in Trance, versunken in Gedanken, entflogen<br />
in eine andere Zeit, an einen anderen Ort...<br />
Mitjili war eine der letzten indigenen Australier,