Brachial peitschen die Wellen <strong>de</strong>s Indischen Ozeans an die erstarrten Lavafelsen bei Cap méchant, <strong>de</strong>m „gemeinen Kap“. Harmonie strahlen hingegen die typischen bunten Holzhäuser von La Réunion, die cases créoles, aus. Hier beispielsweise ein Haus in St-Gilles 8 | Roadmovie
Konfitüre und Freibeuter – Von St-Denis nach La-Saline- les Bains Vor knapp einer Stun<strong>de</strong> bin ich ge<strong>la</strong>n<strong>de</strong>t, habe meine Jeans hochgekrempelt, Flipflops aus <strong>de</strong>m Koffer gezogen und die Sonnenbrille aufgesetzt. Die Luft ist feucht-warm, und vor <strong>de</strong>m Flughafengebäu<strong>de</strong> wachsen Bananen und Strelizien. K<strong>la</strong>sse, so ungefähr habe ich mir das vorgestellt! Als ich die Zusage für die neue Stelle bekommen hatte und meine alte kündigte, war <strong>de</strong>r Restur<strong>la</strong>ub schnell beantragt. Warm und exotisch sollte mein Reiseziel sein, und vor allem unkompliziert. Dem Rat einer französischen Freundin folgend schaute ich nach Flügen nach La Réunion und stieß prompt auf ein günstiges Herbst- Special. Nur <strong>de</strong>r Gedanke ans Alleinereisen machte mir Sorgen. Denn so spontan fand ich natürlich keine Begleitung mehr in meinem Bekanntenkreis. Und dass mir von allen <strong>Seiten</strong> Bewun<strong>de</strong>rung für meine „flippige“ I<strong>de</strong>e entgegenschlug, machte mir nicht gera<strong>de</strong> Mut. Aber wer nichts wagt, gewinnt nicht. Und nun sause ich im Mietauto vom Flughafen Ro<strong>la</strong>nd Garros nach St- Denis, <strong>de</strong>r Hauptstadt von La Réunion, und träller die Melodie eines <strong>de</strong>r Insel-Sommer-Hits mit. Ich habe mich für eine dreitägige Tour rund um die Insel entschie<strong>de</strong>n und die Hotels schon von Deutsch<strong>la</strong>nd aus gebucht. Hinterher, so <strong>de</strong>r P<strong>la</strong>n, suche ich mir eine nette Pension, dort, wo es mir am besten gefallen hat. In einem Café trinke ich erst mal einen starken Espresso, mit Blick auf <strong>de</strong>n Barachois, die Uferpromena<strong>de</strong> von St Denis: Königspalmen wiegen sich im Wind, Kin<strong>de</strong>r klettern auf <strong>de</strong>n dicken, historischen Kanonen, die einst Piraten und Englän<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Insel fernhalten sollten. Abends treffen sich hier die Verliebten, um eng umschlungen am Meer spazieren zu gehen. „Tu es en vacances? – Bist du im Ur<strong>la</strong>ub?“, fragt eine freundliche Stimme am Nebentisch. Überrascht schaue ich auf und blicke in das unrasierte Gesicht eines jungen Mannes. „Je m’appelle Sully“, stellt er sich vor und faltet seine Zeitung zusammen. Eigentlich studiere er Medizin in St. Denis. Aber heute, am Freitag, ist Markttag im 25 Kilometer entfernten St-Paul. Da hilft er seinen Eltern, die im Sü<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Insel Obst anbauen, und verkauft Konfitüre. „Den Markt musst du unbedingt erleben“, rät mir Sully, „es ist <strong>de</strong>r <strong>schönste</strong> auf <strong>de</strong>r ganzen Insel.“ Sagt’s und bietet an, mir <strong>de</strong>n Markt zu zeigen. „Was soll’s? Wenn schon spontan, dann richtig“, <strong>de</strong>nke ich und fahre ihm hinterher – links die Berge, rechts <strong>de</strong>r weite, b<strong>la</strong>ue Ozean. Hinter <strong>de</strong>m Überseehafen Le Port lotst mich Sully auf <strong>de</strong>n Cimetière marin. Auf <strong>de</strong>m historischen Marinefriedhof direkt am Meer fan<strong>de</strong>n nicht nur Freibeuter, son<strong>de</strong>rn auch berühmte Literaten, wie <strong>de</strong>r französische Dichter Leconte <strong>de</strong> Lisle, ihre letzte Ruhe. Sully zeigt mir das Grab <strong>de</strong>s berüchtigten Piraten La Buse. Einheimische haben Gläser mit Rum, angerauchte Zigaretten und frische Blumen danebengestellt, „eben alles, was <strong>de</strong>m Schurken lieb und teuer war,“ <strong>la</strong>cht Sully. Manche Réunionnais g<strong>la</strong>uben, dass sie mit Hilfe <strong>de</strong>r Opfergaben unliebsame Mitmenschen mit einem Fluch belegen o<strong>de</strong>r aber sich selber davor schützen können. Das sei typisch für die Insel, erklärt Sully. „Wir Réunionnais sind sehr abergläubisch und versuchen, die Götter und Geister bei je<strong>de</strong>r Gelegenheit zu beeinflussen.“ Vom Friedhof ist es nur noch ein Katzensprung zum Wochenmarkt, <strong>de</strong>r bereits aus allen Nähten p<strong>la</strong>tzt: ein bro<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>s Stimmengewirr, ein Fest <strong>de</strong>r Farben und exotischer Düfte, hier ein Hauch Geranium und Vanille, dort eine Schwa<strong>de</strong> Curcuma, Massalé und Piment. Frauen mit bunten Körben voller Gemüse und Kin<strong>de</strong>rn auf <strong>de</strong>m Arm drängeln sich zwischen Ur<strong>la</strong>ubern mit prallen Rucksäcken hindurch, aus <strong>de</strong>nen neu erstan<strong>de</strong>ne kreolische Tisch<strong>de</strong>cken, Holzfiguren und Punschf<strong>la</strong>schen hervorlugen. Ich bleibe an Sullys Stand stehen, koste von seinen Konfitüren und bin begeistert von <strong>de</strong>n Geschmacksrichtungen: Ingwer-Mango, Banane-Kokos, Litschi-Tamarin<strong>de</strong>. Er schenkt mir ein G<strong>la</strong>s Guava mit Ananas. Dann verabschie<strong>de</strong> ich mich lieber, <strong>de</strong>nn sein Stand füllt sich immer mehr mit Touristen und Einheimischen, die seine Konfitüre im 6er-Pack kaufen und neugierig nach <strong>de</strong>n Rezepten fragen. Zur Mittagszeit treffe ich im Ba<strong>de</strong>ort Boucan Canot ein, werfe am Strand meine Sachen ab und stürze mich in die Wellen. Ein tolles Gefühl von Freiheit: Salz, Sonne und Meer! Danach mache ich es mir mit einem Fruchtcocktail und einem frischen Palmenherzensa<strong>la</strong>t auf <strong>de</strong>r Veranda <strong>de</strong>s Hotels „Saint-Alexis“ gemütlich. Die Vier- Sterne-An<strong>la</strong>ge liegt direkt am Strand und wird von einer Deutschen geleitet. „Vor vier Jahren machte ich Weihnachtsur<strong>la</strong>ub im Saint-Alexis und fand es wun<strong>de</strong>rbar“, erfahre ich von Inge Meitinger. „Als ich hörte, dass ein neuer Direktor gesucht wur<strong>de</strong>, bewarb ich mich sofort auf die Stelle und mein Traum ging in Erfüllung“, <strong>la</strong>cht die Hotelmanagerin. „Was soll’s? Wenn schon spontan, dann richtig“, <strong>de</strong>nke ich und fahre Sully hinterher – links die Berge, rechts <strong>de</strong>r weite, b<strong>la</strong>ue Ozean. Bei je<strong>de</strong>r Kurve gibt die Insel mehr von ihrer Schönheit preis. Als ich mich wie<strong>de</strong>r – versehen mit vielen guten Reisetipps – auf <strong>de</strong>n Weg mache, muss ich <strong>la</strong>chen: Inge Meitinger bricht ihre Zelte in Deutsch<strong>la</strong>nd ab und fängt auf <strong>de</strong>r Insel ganz neu an, und ich mache mir Sorgen wegen drei Wochen Ur<strong>la</strong>ub alleine. Dabei habe ich bereits zwei Leute kennen gelernt! Der Nachmittag ist heiß und ich sehne mich nach einem schattigen Plätzchen. Die quirlige Touristenhochburg St-Gilles-les-Bains mit ihren vielen kleinen Boutiquen, Restaurants und Bars <strong>la</strong>sse ich links liegen und besuche statt<strong>de</strong>ssen <strong>de</strong>n Botanischen Garten »Jardin d’E<strong>de</strong>n« in L’Hermitage-les-Bains: eine grüne, schattige Oase mit Königspalmen, Zimtbäumen, Bambus, Orchi<strong>de</strong>en und Passionsblumen. Auf einer Kletterpf<strong>la</strong>nze ent<strong>de</strong>cke ich ein Chamäleon. Es verharrt reglos, farblich kaum vom braun-grünen Ast zu unterschei<strong>de</strong>n. Lediglich die Augen bewegen sich – unabhängig voneinan<strong>de</strong>r! – und beobachten aufmerksam die Umgebung. Plötzlich steigt ein betören<strong>de</strong>r Duft in meine Nase, intensiver als Jasmin. Auf einem Schild lese ich, dass ich unter einem Y<strong>la</strong>ng-Y<strong>la</strong>ng-Baum stehe. Aus seinen Blüten wer<strong>de</strong>n Parfums und Öle hergestellt. Diesen Duft muss ich unbedingt mit nach Hause nehmen. Roadmovie | 9