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Frankreichs schönste Seiten - Maison de la France

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sich hier ein Stück weit ins Meer vorgeschoben. Durch<br />

Spalten und Risse wird das Wasser mit Gewalt durch<br />

das Gestein gepresst und schießt an mehreren Stellen<br />

wie ein Geysir in die Luft.<br />

Hinter St-Philippe ein Szenenwechsel: Statt grüner,<br />

saftiger Vegetation stehen karge Bäume am Straßenrand.<br />

Wohin man sieht, vertrocknete Palmen, verbrannte<br />

Er<strong>de</strong>. Ich schaue Marie fragend an. „Hier siehst du <strong>de</strong>n<br />

Ursprung unserer Insel“, erklärt sie, „La Réunion ist<br />

aus <strong>de</strong>m Feuer geboren.“ Vor ungefähr zwei Millionen<br />

Jahren wuchs die Insel infolge vulkanischer Aktivitäten<br />

aus <strong>de</strong>n Fluten <strong>de</strong>s Indischen Ozeans empor. Die mei-<br />

Als wir kurz vor Ste-Rose an einer<br />

Kirche halten, bekomme schließlich<br />

auch ich Zweifel an meinem rationalen<br />

Weltbild.<br />

sten Vulkane sind inzwischen erloschen, nur <strong>de</strong>r Piton<br />

<strong>de</strong> <strong>la</strong> Fournaise bricht regelmäßig aus und ergießt seine<br />

Lavamassen im Südosten <strong>de</strong>r Insel ins Meer. „Wir sagen<br />

dann: Volcan i pèt, <strong>de</strong>r Vulkan pupst“, <strong>la</strong>cht Marie, „aber<br />

keine Angst, er ist ein Guter, seine Eruptionen treffen<br />

nur unbewohntes Land. Und es ist ein großartiges<br />

Schauspiel, wenn die Glut ins Meer fließt und die Insel<br />

Stück um Stück wächst.“<br />

Ich halte an und <strong>la</strong>ufe über ein schwarzes Lavafeld. Es<br />

ist mit winzigen Kristallen gespickt, die in <strong>de</strong>r Sonne<br />

glitzern. In <strong>de</strong>n Gesteinsspalten wachsen Büsche und<br />

sogar kleine Bäume. „Lass uns weiterfahren“, ruft meine<br />

quirlige Begleiterin, „ich zeige dir etwas Ung<strong>la</strong>ubliches!“<br />

Vor einer Madonnenstatue am Straßenrand steigen wir<br />

aus. Als „La Vierge au Parasol“ stellt mir Marie die bunt<br />

geklei<strong>de</strong>te Jungfrau mit Sonnenschirm vor – ein kurioses<br />

Standbild, das <strong>de</strong>r Überlieferung nach ein Vanillebauer<br />

vor 200 Jahren zum Schutz seiner Pf<strong>la</strong>nzen errichtet<br />

hat. Zweimal machten vor ihren Füßen die Lavaströme<br />

halt. Seit<strong>de</strong>m legen gläubige Réunionnais Blumen zu<br />

ihren Füßen nie<strong>de</strong>r und zün<strong>de</strong>n Kerzen an. Auch Marie<br />

verneigt sich, Dankesformeln murmelnd. Meine Frage,<br />

ob sie tatsächlich g<strong>la</strong>ubt, dass eine Marienstatue einen<br />

Vulkan aufhalten kann, erübrigt sich.<br />

Als wir kurz vor Ste-Rose an einer Kirche halten, die<br />

wirklich ungewöhnlich ist, bekomme schließlich auch<br />

ich Zweifel an meinem rationalen Weltbild: Direkt vor<br />

ihrem Eingang ist 1977 nach einem schweren Vulkanaus-<br />

12 | Roadmovie<br />

La Réunion ist aus <strong>de</strong>m Feuer geboren. Vor mehr als zwei Millionen Jahren<br />

wuchs die Insel infolge gewaltiger Lavaeruptionen aus <strong>de</strong>m Indischen Ozean<br />

empor. Auch heute noch bricht <strong>de</strong>r letzte aktive, aber ungefährliche Vulkan Piton<br />

<strong>de</strong> <strong>la</strong> Fournaise regelmäßig aus. 1977 machten seine Lavaströme unmittelbar vor<br />

<strong>de</strong>r Kirche Notre-Dame-<strong>de</strong>s-Laves in Ste-Rose halt<br />

bruch die Lava zum Halten gekommen und hat sich wie<br />

ein Schutzwall meterhoch aufgestaut. Notre-Dame-<strong>de</strong>s-<br />

Laves heißt die Kirche seit<strong>de</strong>m, „Unsere Lavadame“.<br />

Touristen stehen vor <strong>de</strong>r Kirchentür und schütteln gläubig<br />

o<strong>de</strong>r ungläubig <strong>de</strong>n Kopf. „Wahrlich, ein göttliches<br />

Wun<strong>de</strong>r“, strahlt mich meine kreolische Inselführerin an<br />

und bekreuzigt sich, Gebete murmelnd, zum x-ten Mal.<br />

Ich gebe klein bei, bekreuzige mich ebenfalls und wer<strong>de</strong><br />

erhört: Marie lädt mich zum Mittagessen bei sich ein.<br />

Endlich, mein Magen knurrt schon!<br />

Im Hof ihres kleinen Bauernhauses kocht sie auf offenem<br />

Feuer ein Cari Poulet. Sie hat zwar eine mo<strong>de</strong>rn<br />

eingerichtete Küche, sogar mit einem Geschirrspüler,<br />

doch die nutzen nur ihre bei<strong>de</strong>n Töchter. „Tja, das ist<br />

wohl eine Generationsfrage“, murmelt sie nach<strong>de</strong>nklich<br />

und zerstampft Knob<strong>la</strong>uch, Salz, Ingwer und Piment im<br />

Pilon, einem Mörser aus Vulkangestein. Cari, das Nationalgericht<br />

<strong>de</strong>r Insel, basiert auf einer Soße aus Tomaten,<br />

Zwiebeln, Knob<strong>la</strong>uch und – je nach Hausrezept – unterschiedlichen<br />

Gewürzen, in <strong>de</strong>r Fisch, Krustentiere o<strong>de</strong>r<br />

Fleisch gegart wird.<br />

Wir machen es uns auf <strong>de</strong>r Veranda bequem und <strong>la</strong>ssen<br />

es uns schmecken. Plötzlich beginnt es wie aus Kannen<br />

zu gießen. Die raue Ostküste ist viel regenreicher als die<br />

trockene Westküste mit ihrem ausgeprägten Steppenklima.<br />

Doch schon ein paar Minuten später scheint wie<strong>de</strong>r<br />

die Sonne. Ich erzähle Marie von meinen Be<strong>de</strong>nken,<br />

alleine auf die Insel zu reisen. Und dass ich so überwältigt<br />

bin von <strong>de</strong>r Gastfreundschaft <strong>de</strong>r Menschen, die mir<br />

bisher begegnet sind.<br />

Marie <strong>la</strong>cht und wischt sich mit ihrer Schürze <strong>de</strong>n Mund<br />

sauber. Dann drückt sie mir zum Abschied einen Kuss<br />

auf die Wange: „Weißt du, auf unserer Insel gibt es ein<br />

kreolisches Sprichwort: Attend’ socisse frite dan vante<br />

kosson. Das heißt: Warte auf die gebratene Wurst im<br />

Magen <strong>de</strong>s Schweins, und be<strong>de</strong>utet: Die Dinge regeln<br />

sich schon von alleine. Man muss nur zuversichtlich<br />

sein: Pakapap lé mor san esayé – Wer nichts wagt,<br />

gewinnt nichts!“

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