Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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thema<br />
festung europa<br />
betreut von Ronald Frühwirth und Matthias C. Kettemann<br />
Mit dem Vertrag von Amsterdam (1997) wurde das Ziel definiert,<br />
die EU als „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts<br />
zu erhalten und weiterzuentwickeln“ (Art 2 EUV). Der freie<br />
Personenverkehr sei in Einklang zu bringen mit „geeigneten<br />
Maßnahmen“ im Hinblick auf die Kontrolle der Außengrenzen,<br />
Asyl, Einwanderung sowie der Verhütung und Bekämpfung<br />
von Kriminalität. Ein Schwerpunkt, der einer kritischen Auseinandersetzung<br />
mit dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und<br />
des Rechts gewidmet ist, kann den Begriff selbst nicht im Titel<br />
führen. Denn statt einen offenen Raum zu schaffen (in dem man<br />
ganz im Popper’schen Sinne durchaus auch den „Feinden“ der<br />
Offenheit mit weniger Offenheit begegnen kann), haben sich die<br />
politischen Maßnahmen im Gefolge des Haager Programms zu<br />
Mauern verdichtet: Europa ist zur Festung geworden.<br />
Durch Abschottung nach außen und Verpolizeilichung nach<br />
innen ist die Sicherheit auf Kosten von Freiheit und Recht<br />
erstarkt – dadurch wurden Prozesse initiiert, die, konsequent<br />
zu Ende gedacht, zu einem Raum der vorgeblichen Sicherheit<br />
ohne ausreichendes Recht und ohne notwendige Freiheitsgarantieren<br />
führen könnten. Eine kritische Reflexion über diese Entwicklungen<br />
anzustoßen, ist Ziel dieses Schwerpunktes, dessen<br />
Beiträge die rhetorischen und <strong>recht</strong>lichen Mauern der „Festung<br />
Europa“ durchleuchten.<br />
Ganz grundsätzlich zeigt Manuela Bojadžijev auf, dass die<br />
Realität der Migration nach Europa oft mythisch verschleiert<br />
wird. Ihr Beitrag setzt sich mit dem Mythos der „Festung Europas“<br />
auseinander und zeigt Konfliktlinien innerhalb des Versuchs<br />
der Etablierung einer europäischen Migrationspolitik auf. Dabei<br />
kristallisiert sich als gemeinsamer Nenner der Wunsch nach Steuerung<br />
von Migration und deren Ausrichtung an den Bedürfnissen<br />
der Arbeitsmärkte heraus.<br />
Die Steuerung der Migration wird zunehmend als „Migrationsmanagement“<br />
konzipiert. Durch Anwendung von Managementkonzepten<br />
sollen die Vorteile von Migration maximiert, ihre<br />
„negativen“ Folgen dagegen minimiert werden. Fabian Georgi<br />
setzt sich in seinem Beitrag kritisch mit dem Konzept auseinander<br />
und zeigt auf, dass ihm nicht nur die grundsätzliche Intention innewohnt,<br />
Einwanderung ökonomisch zu nutzen, sondern im Gegenzug<br />
gleichsam die Mobilität von Menschen, die wirtschaftlich<br />
nicht „verwertbar“ sind, bekämpft werden soll.<br />
Die physische Präsenz an den Rändern Europas – mit anderen<br />
Worten: die Bewachung der Festung – liegt unter anderem<br />
in der Verantwortung der europäischen Grenzschutzagentur<br />
FRONTEX. Timo Tohidipur beleuchtet deren Rechtsgrundlagen,<br />
porträtiert ihre operativen Funktionen und setzt sich mit der<br />
Frage der politischen und <strong>recht</strong>lichen Verantwortlichkeit sowie<br />
der vorhandenen Rechtsschutzdefizite auseinander.<br />
Defizite weist auch die <strong>recht</strong>liche Grundlage für den militärischen<br />
Assistenzeinsatz an der Grenze im Osten Österreichs auf.<br />
Bernd-Christian Funk und Joachim Stern zeigen in ihrem Beitrag<br />
nicht nur auf, dass die Fortsetzung des Assistenzeinsatzes,<br />
Vorwort<br />
der aus verfassungs<strong>recht</strong>licher Perspektive schon bisher fraglich<br />
war, nunmehr in einem unauflösbaren Widerspruch zum Wegfall<br />
der Binnengrenzen steht und dennoch aus politischen Gründen<br />
weiter andauert. Sie weisen auch auf die Erweiterung der Befugnisse<br />
der Polizei seit dem Beitritt Österreichs zu Schengen hin<br />
und beleuchten den exekutiven Handlungsradius im Inneren.<br />
Auch innerhalb der Festung Europas wird Migration „gemanagt“<br />
und „optimiert“: Einen der Eckpfeiler des im Aufbau<br />
befindlichen Gemeinsamen Europäischen Asylsystems stellt das<br />
Konzept der Zuständigkeitsverteilung von Asylanträgen innerhalb<br />
der EU dar. Die Ineffektivität des bestehenden Systems hat<br />
ihren Grund insbesondere in der mangelnden Bereitschaft asylwerbender<br />
Personen, Überstellungen im Rahmen von Zuständigkeitsentscheidungen<br />
zu akzeptieren. Christoph Pinter weist<br />
in seinem Beitrag diesbezüglich darauf hin, dass diese Nichtakzeptanz<br />
ihren Grund insbesondere in nach wie vor bestehenden<br />
massiven Unterschieden hinsichtlich der Verwirklichung von<br />
Aufnahmestandards, asylverfahrens<strong>recht</strong>lichen Anforderungen<br />
und nicht zuletzt der Gewährung der durch die Genfer Flüchtlingskonvention<br />
garantierten Rechte hat.<br />
Neben der illegalen Migration sowie der Suche nach Schutz<br />
vor Verfolgung gibt es ein weiteres Migrationsphänomen, das<br />
sich einer nationalstaatlichen Kontrolle weitgehend entzieht:<br />
die Ausübung der europa<strong>recht</strong>lichen Personenfreizügigkeit, die<br />
eine der Grundfreiheiten des Europäischen Gemeinschafts<strong>recht</strong>s<br />
darstellt. Grundsätzlich haben UnionsbürgerInnen – und ihre<br />
Familienangehörigen – demnach das Recht, sich innerhalb der<br />
Europäischen Union frei zu bewegen und niederzulassen. Julia<br />
Ecker und Doris Einwallner beschreiben in ihrem Beitrag die<br />
Versuche des österreichischen Gesetzgebers, den Familiennachzug<br />
möglichst restriktiv zu gestalten, beleuchten die nationale<br />
Rechtsprechung und weisen auf den Änderungsbedarf durch aktuelle<br />
Urteile des EuGH hin.<br />
Das Konzept der Festung Europa beinhaltet neben der Abschottung<br />
nach außen auch die Kontrolle im Inneren. Die normative<br />
Grundlage dafür liefert der „Schengener Besitzstand“, mit<br />
dem sich Konrad Lachmayer zum Abschluss des Schwerpunktes<br />
kritisch auseinander setzt. Er untersucht dabei die Möglichkeiten<br />
des Austausches personenbezogener Daten zwischen den Schengen-Staaten<br />
und die halbherzigen Versuche, deren Missbrauch<br />
zu verhindern.<br />
Die Beiträge zum Schwerpunkt „Festung Europa“ zeigen,<br />
dass die – nicht zuletzt durch den „Krieg gegen den Terror“ beeinflusste<br />
– ideologische Engführung der Debatte auf Sicherheit<br />
aufgebrochen werden kann. Politiken, die Sicherheit verabsolutieren<br />
und sich in der physischen und psychischen Konstruktion<br />
von Grenzen erschöpfen, sind in einer globalisierten Welt multipler<br />
Migrationsbewegungen nicht mehr zukunftsfähig. Wer<br />
„mauert“, verschließt sich der Einsicht, dass Freiheit, Sicherheit<br />
und Recht miteinander verflochten sind und einander gegenseitig<br />
verstärken.<br />
<strong>juridikum</strong> 2009 / 2 Seite 75