Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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merk.würdig<br />
Kritik des Rechts als<br />
Kritik <strong>gesellschaft</strong>licher<br />
Verhältnisse<br />
Aktuelle Kritiken des Rechts aus Anlass des<br />
40-jährigen Jubiläums der gleichnamigen Zeitschrift<br />
Rezension zu Buckel/Fischer-Lescano/<br />
Hanschmann, Kritische Justiz 3/2008 –<br />
Sonderheft zum 40-jährigen Jubiläum,<br />
Nomos Verlags<strong>gesellschaft</strong>, Baden-Baden,<br />
2008, 128 Seiten, € 17,00<br />
Die „Kritische Justiz“ (KJ), das<br />
publizistische Urgestein progressiver<br />
Rechtswissenschaft, feierte 2008<br />
40.Geburstag. Anstatt in stumpfsinnigen<br />
Jubilarienfeierlichkeiten zu verharren,<br />
gab die etwas angegraute KJ-<br />
Redaktion kurzzeitig die Feder aus der<br />
Hand. Sonja Buckel, Andreas Fischer-<br />
Lescano und Felix Hanschmann erstellten<br />
ein Sonderheft (3/2008 der KJ),<br />
das randvoll mit provokant-anregenden<br />
Positionierungen und für den „Rechtsbetrieb“,<br />
auch für die KJ, thematisch<br />
eher ungewöhnlichen Beiträgen nicht<br />
besser hätte geeignet sein können, den<br />
politischen Anspruch der „Kritischen<br />
Justiz“ zu re-formulieren.<br />
1968 gründete ein Bündnis kritischer<br />
Jura-Studierender, marxistischer Intellektueller<br />
als auch linksliberaler<br />
RechtswissenschaftlerInnen, die sich<br />
gegen den wiedereinsetzenden Abbau<br />
von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit<br />
wandten, die Kritische Justiz als<br />
erste und für lange Zeit einzige <strong>gesellschaft</strong>skritische<br />
Fach<strong>zeitschrift</strong> für<br />
Recht und Politik. Mit der Zeitschrift<br />
wurde ein Gegengewicht zur Marginalisierung<br />
anti-faschistischer und demokratisch-sozialistischer<br />
Ansätze in den<br />
Rechtswissenschaften der frühen Bundesrepublik<br />
gesetzt, die wie kaum ein<br />
anderer Fachbereich Konstanten aus<br />
dem Nationalsozialismus beibehielt.<br />
Anspruch war es, das konsensual „neutrale“<br />
Rechtsverständnis zu politisieren<br />
Friederike Boll<br />
und Platz für kritische Verschiebungen<br />
im Rechtsdiskurs zu schaffen. Aktuelle<br />
<strong>recht</strong>spolitische Interventionen und die<br />
starke Verbindung mit außerparlamentarischen<br />
Bewegungen entsprachen<br />
dem Selbstverständnis, nicht nur im<br />
verknöcherten Rechtsbetrieb gegenhegemoniale<br />
juristische Kraft zu sein.<br />
Das Verblassen dieses Anspruchs<br />
im Laufe der Zeit und die strategische,<br />
personelle und inhaltliche Historie der<br />
KJ wird zu Beginn des Sonderheftes<br />
materialreich analysiert und gekonnt<br />
in Beziehung zu den Entwicklungen an<br />
Universitäten und in politischen Bewegungen<br />
gesetzt. Dabei wird keinesfalls<br />
an Kritik gespart und zB auf die lange<br />
Zeit vorherrschende maskulinistische<br />
Arbeitsweise und Ausschluss von feministischen<br />
Themen, oder die Blindheit<br />
für aktuelle Protestkulturen hingewiesen.<br />
Dieser Einstieg ermöglicht ein<br />
Gespür für die historisch-strategische<br />
Verortung der Zeitschrift, aber auch für<br />
strukturelle Schwachstellen. Die Heftredaktion<br />
nutzt dies, um ein „update<br />
des Gründungsmanifests“ (S.242) zu<br />
formulieren, das die Kritische Justiz<br />
als gegenhegemoniale Praxis versteht.<br />
Die KJ wird als dezidiert <strong>gesellschaft</strong>skritisches<br />
Theorieprojekt und als Ort<br />
für kritische Rechtsdogmatik für die<br />
derzeitigen Kämpfe um (nicht nur) juridische<br />
Kräfteverhältnisse neu aufgestellt<br />
– Eine politische Ansage, die Potential<br />
für Kontroversen und wichtige<br />
Anhaltspunkte für eine darauf folgende<br />
Neujustierung bietet.<br />
Nach diesem erfrischenden, proklamatorischen<br />
Einstieg folgt konsequent<br />
die Schwerpunktsetzung auf folgende<br />
fünf Themengebiete: „Kritiken des<br />
Rechts“ in dem sich vier weitere kritische<br />
Rechts<strong>zeitschrift</strong>en vorstellen,<br />
„Rechts<strong>kritik</strong> der Geschlechterverhältnisse“,<br />
„Darker Legacies im Recht“,<br />
„Sicherheitsdispositive“ sowie „Kämpfe<br />
um <strong>gesellschaft</strong>liche Grund<strong>recht</strong>e“.<br />
Dabei kam an Zuschnitten und Themen<br />
vielfältiges zusammen: Ob eine<br />
queere Analyse der Regulation des<br />
Geschlechtswechsels in GB, die auch<br />
für die aktuelle Debatte um das deutsche<br />
Transsexuellengesetz interessante<br />
Aspekte bietet, von Adrian de Silva.<br />
Oder ein kluger, sehr anregender Text<br />
zur Stärkung postkolonialer Aspekte in<br />
Rechtstheorie und Diskriminierungs<strong>recht</strong>sdiskurs<br />
von Cengiz Barskanmaz.<br />
Oder ein knackig-pointierter Artikel<br />
von Marei Pelzer und Tilmann Löhr,<br />
der die aktuelle Lage der europäischen<br />
Migrationspolitik genauso informativ<br />
darstellt wie er eine ganze Reihe von<br />
politisch-juridischen Handlungsoptionen<br />
aufzeigt. – Kurze, zwar sehr dichte,<br />
aber gut lesbare Artikel, die einladen,<br />
sich über einzelne Sparten hinaus<br />
zu informieren und nachzudenken.<br />
Auch ein Blick ins AutorInnenverzeichnis<br />
lohnt: Für eine juristische Fach<strong>zeitschrift</strong><br />
außerordentlich viele junge<br />
WissenschaftlerInnen – der Autorinnenanteil<br />
hätte hingegen noch größer ausfallen<br />
können. In erfreulicher Breite ist<br />
es gelungen, die eingeforderten Verbindungen<br />
zu sozialen Bewegungen, außeruniversitären<br />
RechtspolitikerInnen und<br />
den Sozialwissenschaften zu knüpfen.<br />
Schade, dass darunter an einigen Stellen<br />
die Übersetzung von Problemkonstellationen<br />
und Argumenten ins Rechtliche<br />
leidet. Stärkerer Rechtsbezug und explizitere<br />
juristische Strategieentwicklung<br />
hätten in Artikeln wie „Die neuen Söldner“<br />
von Dario Azzellini die Qualität des<br />
Hefts noch einmal gesteigert.<br />
Die Heft-Redaktion hat ihren Anspruch,<br />
die KJ als ein strategisches<br />
Forum zu re-positionieren, in dem<br />
Rechtspolitik als Ausdruck kritischer<br />
Gesellschaftsanalyse formuliert wird,<br />
mit diesem Sonderheft deutlich gesetzt<br />
und durchaus pompös eingelöst. Da<br />
bleibt der Kritischen Justiz – neben einer<br />
Neuauflage des bereits vergriffenen<br />
Hefts – nur anzuraten, diesen Beginn<br />
einer (selbst)kritischen Neujustierung<br />
voranzutreiben. Die Rechtswelt kann<br />
„Kritische Justiz“ noch immer bitter<br />
gebrauchen.<br />
<strong>juridikum</strong> 2009 / 2 Seite 61