Download - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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thema<br />
Schon seit vielen Jahrzehnten kennt das Gemeinschafts<strong>recht</strong><br />
Regelungen, welche die Mobilität innerhalb der EU gewährleisten<br />
sollen. Ein wesentlicher Aspekt für die tatsächliche<br />
Inanspruchnahme der Personenfreizügigkeit ist die Möglichkeit,<br />
ein bestehendes Familienleben auf<strong>recht</strong>zuerhalten<br />
bzw in einem anderen Mitgliedstaat (MS) eine Familie zu<br />
gründen. Durch die Unionsbürger-Richtlinie wurden die<br />
bestehenden Regelungen zusammengefasst und<br />
modifiziert; Österreich nahm dies zum Anlass, um<br />
restriktivere Bestimmungen für den Familiennachzug<br />
von ÖsterreicherInnen einzuführen. Im Hinblick<br />
auf die aktuelle Rechtsprechung des EuGH<br />
stellt sich die Frage, ob dieses Modell auf<strong>recht</strong>erhalten<br />
werden kann.<br />
1. Europa<strong>recht</strong>liche Grundlagen<br />
Grundsätzlich haben UnionsbürgerInnen das Recht,<br />
sich in der EU frei zu bewegen und niederzulassen.<br />
Sie genießen ein Aufenthalts<strong>recht</strong> in anderen MS,<br />
das sich aus den Grundfreiheiten bzw der unmittelbaren<br />
Anwendung von Art 18 EGV ergibt. Die<br />
Wahrnehmung des Rechts kann zwar Beschränkungen<br />
und Bedingungen unterworfen werden, jedoch<br />
müssen dabei die allgemeinen Grundsätze des<br />
Gemeinschafts<strong>recht</strong>s und insb der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz<br />
gewahrt bleiben. 1<br />
Der Familiennachzug zu UnionsbürgerInnen war<br />
früher durch mehrere Richtlinien und Verordnungen<br />
geregelt; im Ergebnis bestand in allen Fällen ein<br />
Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung, wenn Existenzmittel<br />
und Krankenversicherung gesichert waren und<br />
keine Gefährdung öffentlicher Interessen iSd Gemeinschafts<strong>recht</strong>s<br />
vorlag. 2 Das Aufenthalts<strong>recht</strong> von UnionsbürgerInnen<br />
aber auch deren Familienangehörigen wird nunmehr durch<br />
die sogenannte Unionsbürger-Richtlinie 3 (in Folge: RL) näher<br />
ausgestaltet. Die RL fasst die früheren Sekundär<strong>recht</strong>sakte<br />
zusammen. Sie gilt für jede/n UnionsbürgerIn, der/die<br />
sich in einen anderen als dem MS, dessen Staatsangehörigkeit<br />
er/sie besitzt, begibt oder sich dort aufhält, sowie für seine/<br />
ihre Familienangehörigen, die ihn/sie begleiten oder ihm/ihr<br />
nachziehen. Die RL bezweckt, das Freizügigkeits- und Aufenthalts<strong>recht</strong><br />
aller UnionsbürgerInnen zu vereinfachen und zu<br />
verstärken, sodass es nicht in Betracht kommt, dass die UnionsbürgerInnen<br />
aus dieser RL weniger Rechte ableiten als aus<br />
den RL und VO, die sie ändert oder aufhebt. 4 Die Jud 5 zu den<br />
der RL 2004/38/EG zugrundeliegenden Sekundär<strong>recht</strong>sakten<br />
ist damit auch zur Auslegung dieser RL heranzuziehen. 6<br />
Bei der Familienzusammenführung von UnionsbürgerInnen<br />
wird danach unterschieden, ob diese ihr Recht auf<br />
Freizügigkeit auch tatsächlich ausüben oder nicht:<br />
Europa<strong>recht</strong>liche<br />
Freizügigkeit<br />
Familienzusammenführung<br />
zwischen Mobilitätsschranken und<br />
Mobilitätszwang<br />
Julia Ecker/Doris Einwallner<br />
·································<br />
– Familienzusammenführung von UnionsbürgerInnen, die<br />
ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben:<br />
ArbeitnehmerInnen, 7 selbständig Erwerbstätige, 8 DienstleistungserbringerInnen<br />
oder -empfängerInnen, die UnionsbürgerInnen<br />
sind und sich in einem anderen MS niederlassen,<br />
9 haben Rechtsanspruch auf Familienzusammenführung.<br />
Gleiches gilt für StudentInnen 10 und RentnerInnen oder andere<br />
UnionsbürgerInnen, die nicht unter die erwähnten Personengruppen<br />
fallen. 11 Als Familienangehörige gelten nach Art<br />
2 Abs 2 der RL EhegattInnen, LebenspartnerInnen, sofern das<br />
nationale Recht eingetragene Lebenspartnerschaften vorsieht<br />
und diese nach den Vorschriften des MS der Ehe gleichgestellt<br />
sind, Verwandte in absteigender Linie, die das 21. Lebensjahr<br />
noch nicht vollendet haben oder denen Unterhalt gewährt<br />
wird, sowie Verwandte in aufsteigender Linie, denen Unterhalt<br />
gewährt wird.<br />
Bei den Aufenthalts<strong>recht</strong>en der Familienangehörigen:<br />
– die RL differenziert bei den hierfür auszustellenden Dokumentationen<br />
zwischen Aufenthaltskarte (Art 10ff) und<br />
Daueraufenthaltskarte (Art 20) – handelt es sich um abgeleitete<br />
Ansprüche; unter bestimmten Bedingungen bleiben<br />
sie jedoch auch bestehen, wenn die Angehörigeneigenschaft<br />
endet oder der/die für den Unterhalt aufkommende<br />
UnionsbürgerIn seine/ihre Erwerbstätigkeit aufgegeben<br />
hat oder verstorben ist (Art 12ff). Weiters sind Familienangehörige<br />
von UnionsbürgerInnen, die das Recht auf<br />
(Dauer)Aufenthalt in einem MS genießen, be<strong>recht</strong>igt, dort<br />
eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen (Art 23).<br />
1) Vgl Ecker, Familienzusammenführung, Die<br />
Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG in Österreich<br />
(2008) 105f unter Hinweis auf EuGH<br />
17.9.2002, Rs C-413/99, Baumbast, Slg 2002,<br />
I-7091.<br />
2) Vgl Ecker, Familienzusammenführung<br />
106f.<br />
3) Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen<br />
Parlaments und des Rates vom 29.4.2004, ABl<br />
L 158/77.<br />
4) EuGH 25.7.2008, Rs C-127/08, Metock, Rz<br />
59.<br />
5) Vgl etwa EuGH 7.7.1992, Rs C-370/90,<br />
Singh, Slg 1992, I-4265; EuGH 25.7.2002,<br />
Rs C-459/99 MRAX, Slg 2002, I-6591; EuGH<br />
2.6.2005, Rs C-136/03, Dörr u Ünal, Slg 2005,<br />
I-4759.<br />
6) Vgl Ecker, Familienzusammenführung 108f.<br />
7) Früher: VO (EWG) 1612/68. Vgl dazu auch<br />
die RL 68/360/EWG.<br />
8) Früher: RL 73/148/EWG.<br />
9) Vgl EuGH 11.7.2002, Rs C-60/00, Carpenter,<br />
Slg 2002, I-6279.<br />
10) Früher: RL 93/96/EWG.<br />
11) Früher: RL 90/364/EWG.<br />
<strong>juridikum</strong> 2009 / 2 Seite 99