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debatte<br />
Huipfui:<br />
widersprüchliche<br />
Beihilfenpolitik der<br />
Kommission in der Krise<br />
Clemens Kaupa<br />
···············································<br />
Selten haben sich ökonomische Wahrheiten<br />
so rasant verändert wie in der gegenwärtigen<br />
Wirtschaftskrise. Noch bis<br />
vor wenigen Monaten hat die Generaldirektion<br />
Wettbewerb eifrig an der Umsetzung<br />
eines neuen Beihilferegimes namens<br />
„more economic approach“ gearbeitet,<br />
welches auf eine generelle und permanente<br />
Reduktion staatlicher Beihilfen abzielen<br />
sollte. Nach anfänglichem Zögern<br />
hat die Kommission im Herbst 2008 nun<br />
das Ruder völlig herumgerissen und im<br />
Zeichen der Bankenrettung und der Konjunkturbelebung<br />
breiteste Ausnahmen<br />
vom bisherigen Beihilfenregime vorgesehen.<br />
Das böse K-Wort (K wie Keynesianismus)<br />
kommt der Kommission dabei zwar<br />
nicht über die Lippen, jedoch geht es effektiv<br />
genau darum: „Das Europäische Konjunkturprogramm<br />
umfasst ein ehrgeiziges<br />
Paket antizyklischer makroökonomischer<br />
Krisenbewältigungsmaßnahmen zur Unterstützung<br />
der Realwirtschaft.“ 1 Dies<br />
soll sich, so die Kommission, einerseits<br />
aus „kurzfristigen Maßnahmen zur Stärkung<br />
der Nachfrage, zur Sicherung von<br />
Arbeitsplätzen und zur Wiederherstellung<br />
des Vertrauens“ und andererseits aus langfristigen<br />
„intelligente[n] Investitionen“ im<br />
Sinn der Lissabon-Ziele zusammensetzen.<br />
2 Insgesamt sollen bis Ende 2009 rund<br />
200 Mrd. Euro (1,5% des BIP der EU) an<br />
zusätzlichen Mitteln von der EU und den<br />
Mitgliedstaaten locker gemacht werden.<br />
Das Konjunkturprogramm wird von<br />
einer weitgehenden Lockerung des Beihilfesystems<br />
begleitet, nachdem die<br />
Kommission zu Beginn der Krise die<br />
ersten Bankenrettungen noch strikt nach<br />
dem (an sich strengen) System als Beihilfen<br />
Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen<br />
geprüft hatte. 3 Nach Drängen<br />
des Rates eröffnete die Kommission über<br />
Anwendung des Art 87 Abs 3 lit b EGV<br />
– welcher eine Beihilfengewährung „zur<br />
Behebung einer beträchtlichen Störung<br />
im Wirtschaftsleben“ erlaubt – eine breite<br />
Palette von Hilfsmaßnahmen, zuerst<br />
für Banken 4 und im Dezember 2008 auch<br />
für die Realwirtschaft. 5 Für die Realwirtschaft<br />
wurde etwa die Grenze von Deminimis-Beihilfen<br />
– also nicht genehmigungspflichtigen<br />
Beihilfen – auf 500.000<br />
Euro angehoben. Faktisch besonders bedeutsam<br />
ist die Tatsache, dass die Kommission<br />
seit Mitte 2008 die Beihilfenanmeldungen<br />
im Schnellverfahren durch<br />
die Kontrolle winkt.<br />
Noch vor wenigen Monaten klang<br />
das ganz anders: unter dem Schlachtruf<br />
„weniger und besser ausgerichtete Beihilfen“<br />
zimmerte die Generaldirektion<br />
Wettbewerb seit 2005 an einer Reform, 6<br />
die das Beihilfe<strong>recht</strong> unter die Prämissen<br />
der neoklassischen Wirtschaftstheorie<br />
neu ausrichten sollte. 7 Die zentrale Regel<br />
der Reform: staatliche Beihilfen sind immer<br />
nur die „zweitbeste Lösung“, da der<br />
Markt (nur) ohne staatliche Eingriffe zur<br />
effektivsten Lösung findet. 8 So schrieb<br />
die Kommission etwa im Gemeinschaftsrahmen<br />
für staatliche Beihilfen für Forschung,<br />
Entwicklung und Innovation<br />
(FuEuI): „In diesem Zusammenhang<br />
betont die Kommission, dass Märkte, auf<br />
denen Wettbewerb herrscht, grundsätzlich<br />
ohne äußere Einwirkung zu den effizientesten<br />
Lösungen für FuEuI gelangen<br />
müssten.“ 9 Anders als es der Reformname<br />
„more economic approach“ suggeriert,<br />
untermauert die Kommission die angeblich<br />
geringere Effektivität staatlicher Beihilfen<br />
gegenüber Marktergebnissen bzw.<br />
marktförmig gestalteter Beihilfeninstrumente<br />
zu keinem Zeitpunkt mittels ökonometrischer<br />
Ergebnisse. Die Ablehnung<br />
staatlicher Beihilfen als Politikinstrument<br />
ist überwiegend ideologisch motiviert.<br />
Heute sind staatliche Beihilfen aber hui,<br />
obwohl sie gestern noch pfui waren? Genauso<br />
agiert die Kommission, allerdings<br />
mit dem Zusatz, dass morgen Beihilfen<br />
wiederum pfui sein sollten. Klar ist, dass<br />
die Kommission den doppelten Rittberger<br />
von Friedman zu Keynes vorwiegend<br />
deswegen gesprungen ist, weil sie von den<br />
Mitgliedstaaten ansonsten eben dorthin<br />
geschubst worden wäre. Seitdem schlagen<br />
zwei Seelen in der Brust der Kommission:<br />
einerseits ist die Kommission sichtbar<br />
stolz darauf, dass das EU-Beihilferegime<br />
sich den Anforderungen der Krise<br />
– sprich: öffentliche Intervention – so gut<br />
anpassen konnte. Andererseits macht die<br />
Kommission auch mehr als deutlich, dass<br />
dies Ausnahmemaßnahmen für Ausnahmezeiten<br />
seien und dass sie nach der Krise<br />
gerne wieder zu ihrem neoklassischen Reformsystem<br />
zurückkehren möchte. 10 Also<br />
1) Europäisches Konjunkturprogramm,<br />
KOM(2008)800, 6.<br />
2) Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen<br />
für staatliche Beihilfen<br />
zur Erleichterung des Zugangs<br />
zu Finanzierungsmitteln in<br />
der gegenwärtigen Finanz- und<br />
Wirtschaftskrise, ABl. (2009) C<br />
16/1, Pkt. 1.1.<br />
3) Arhold: Globale Finanzkrise und<br />
europäisches Beihilfen<strong>recht</strong> – Die<br />
(neuen) Spielregeln für Beihilfen an<br />
Finanzinstitute und ihre praktische<br />
Anwendung, in EuZW 2008, 713.<br />
4) Die Anwendung der Vorschriften<br />
für staatliche Beihilfen<br />
auf Maßnahmen zur Stützung von<br />
Finanzinstituten im Kontext der<br />
derzeitigen globalen Finanzkrise<br />
(„die Bankenmitteilung“), ABl.<br />
(2008) C 270, 8.<br />
5) Vorübergehender Gemeinschaftsrahmen,<br />
FN 2<br />
6) Aktionsplan staatliche Beihilfen<br />
– weniger und besser ausgerichtete<br />
staatliche Beihilfen – Roadmap<br />
zur Reform des Beihilfe<strong>recht</strong>s 2005<br />
– 2009, KOM (2005) 107.<br />
7) Kaupa: Führt der „more economic<br />
approach“ im Beihilfe<strong>recht</strong> zu<br />
einer Reduktion öffentlicher Handlungsfähigkeit?,<br />
in Jaeger (Hg.)<br />
Jahrbuch Beihilfe<strong>recht</strong> 2009, 385.<br />
8) Aktionsplan staatliche Beihilfen<br />
– weniger und besser ausgerichtete<br />
staatliche Beihilfen – Roadmap<br />
zur Reform des Beihilfe<strong>recht</strong>s 2005<br />
– 2009, KOM (2005) 107 (8); UmweltschutzRL,<br />
ABl. (2008) C 82/1<br />
Rz 24.<br />
9) FuEuI-GR, ABl. (2006) C 323/1,<br />
Pkt. 1.2.<br />
10) Kroes: European Models for<br />
Economic Recovery, Adress at<br />
Atlantic Council, 26. März 2009,<br />
SPEECH/09/149<br />
Seite 108 <strong>juridikum</strong> 2009 / 2