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juridikumnr 1 - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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echt & <strong>gesellschaft</strong><br />

Erheben Sie sich! –<br />

Und geben Sie bitte den<br />

Kaugummi aus dem Mund!<br />

Mit der Formel „Im Namen des Volkes“<br />

wird am Ende jedes Falles der TV-Gerichtsshows<br />

das Urteil verkündet. Wir,<br />

die TV-Seher und -Seherinnen sind in<br />

diesem Fall das Volk. Sind wir gar ein<br />

Volk, das Fernsehvolk, das TV-Gerichtsshow-Volk?<br />

Es ist fast – aber eben<br />

nur fast – wie im richtigen Leben, oder<br />

besser gesagt, wie beim richtigen Gericht,<br />

beim Jugend-, beim Familien-,<br />

beim Straf- oder Zivilgericht 1 . Doch wer<br />

will, so er nicht Richter oder Richterin,<br />

Anwalt oder Anwältin ist oder sonst beruflich<br />

damit zu tun hat, eigentlich etwas<br />

mit dem Gericht zu tun haben? Offenbar<br />

nicht wenige: Rechtsschutzversicherungen<br />

sind die Grundlage dafür, dass<br />

jeder Nachbarschafts-streit und jedes<br />

impulsiv ausgestoßene Schimpfwort<br />

und jeder gezeigte Stinkefinger im Straßenverkehr<br />

vor Gericht landen – das ist<br />

ja alles ganz leicht und geht schnell, wie<br />

in den Gerichtsshows gezeigt wird.<br />

Auch „Rosenkriege“ verlangen nach<br />

Anwälten und Anwältinnen, nach Richtern<br />

und Richterinnen, die entscheiden,<br />

wem die Scherben der Ming- oder<br />

Mang-Vase nach der Scheidung nun gehören<br />

sollen, wer die Küchenmaschine<br />

bekommt, wer die Wohnung behalten<br />

darf, wer wem was auszuzahlen hat.<br />

Doch das soll Spaß machen, interessantes<br />

Fernsehvergnügen sein? Nein, es<br />

geht nicht um Spaß! Um Recht geht es!<br />

Um Rechtsprechung! Und – wie viele<br />

TV-Gerichtsshows bringen zwar die viel<br />

beschworene Quote, aber ob sie der<br />

Rechtssprechung und dem Rechtsstaat zuträglich<br />

sind, ist fraglich.<br />

Eva Blimlinger<br />

...................................<br />

irrtümlich aber sehnsüchtig meinen –<br />

um Ge<strong>recht</strong>igkeit. Weshalb erfreuen<br />

sich Gerichtsshows solcher Beliebtheit?<br />

Welche Sehnsüchte werden hier befriedigt?<br />

Haben diese Shows gar Auswirkungen<br />

auf die Justiz, ja letztlich auf den<br />

Rechtsstaat?<br />

Petrocelli und LA-Law<br />

...........................................<br />

Schon TV-Serien im Anwalts- oder Detektivmilieu<br />

erfreuten sich, ähnlich wie<br />

Arzt- und Spitalsserien, bei den TV-<br />

Konsumenten und -Konsumentinnen<br />

großer Beliebtheit. Ob dies in den 70er<br />

Jahren der umtriebige Anwalt Petrocelli<br />

war, der ewig im Wohnwagen lebte, immer<br />

an seinem Haus in der Wüste bastelte,<br />

das doch nie fertig wurde, und der<br />

selbstverständlich jeden Fall vor Gericht<br />

gewann. Die Seriendramaturgie<br />

war standardisiert: aussichtloser Fall,<br />

verzweifelte/r Klient oder Klientin ruft<br />

nach Petrocelli, er ist immer von der Unschuld<br />

seines Mandanten oder seiner<br />

Mandantin überzeugt – als wäre dies für<br />

einen Anwalt tatsächlich entscheidend.<br />

Zwischendurch wird der Anwalt oder<br />

seine Frau zudem von den wahren<br />

Schuldigen und deren Handlagern bedroht.<br />

Noch während der Verhandlung<br />

steht alles auf dem Spiel, zu wenige Hinweise<br />

und Belege, fehlende Zeugen,<br />

doch dann geht alles gut aus, weil Assistent<br />

Bill im letzten Moment noch den<br />

notwendigen Beweis in den Gerichtssaal<br />

bringt, in letzter Minute, kurz bevor<br />

der Richter die Verhandlung schließt<br />

und die Geschworenen sich zur Beratung<br />

zurückziehen. Und wieder gewonnen!<br />

In den 80er Jahren ist es nicht mehr<br />

der Anwalt mit seinem Assistenten und<br />

der interessierten und mithelfenden<br />

Ehefrau, die für die Serienproduzenten<br />

und TV-Konsumenten und -Konsumentinnen<br />

interessant sind. Nun sind es die<br />

Yuppie-Anwälte der Societät von L.A.<br />

Law, die Quote bringen. Kompliziertere<br />

Fälle, auch aus dem Bereich Wirtschaftskriminalität<br />

oder Politik werden<br />

von Teams bis spät in der Nacht in einer<br />

schicken Kanzlei vorbereitet. Smarte<br />

junge Anwälte und vor allem auch Anwältinnen<br />

treten vor den Richtertisch<br />

und arbeiten mit allen Tricks, die ihnen<br />

zur Verfügung stehen. Sie brauchen keine<br />

zuarbeitenden Bills als Entourage, sie<br />

sind souverän. Hie und da wird auch ein<br />

Verfahren verloren, weil immer Gewinnen<br />

nicht sein kann in der Welt der Gerichtsbarkeit.<br />

In den 90er Jahren war im<br />

US-Fernsehen dann Reality-TV gefragt,<br />

und die US-amerikanische Rechtsordnung<br />

ließ es zu, Gerichtsverfahren live<br />

aus dem Gerichtssaal zu übertragen. Das<br />

prominenteste Verfahren war der Mordprozess<br />

gegen O.J. Simpson, der während<br />

der gesamten Verfahrensdauer gesendet<br />

wurde. Mittlerweile gehören in<br />

den USA eigene Court-Sender zum TV-<br />

Alltag, wo von früh bis spät im Namen<br />

der Ge<strong>recht</strong>igkeit verhandelt wird – und<br />

zwar alles, was vor einen Richter oder<br />

eine Richterin kommen kann.<br />

Die deutsche und die österreichische<br />

Rechtsordnung erlauben aus guten<br />

Gründen keine Direktübertragung aus<br />

dem Gerichtssaal. Mitunter darf nicht<br />

einmal fotografiert werden, und deshalb<br />

gibt es nach wie vor den geradezu altmodischen<br />

Gerichtszeichner. Für TV-Zwecke<br />

muss daher das Gericht im Studio<br />

nachgebaut werden. Der Privatsender<br />

Sat 1 tat dies als erster für Richterin Barbara<br />

Salesch. Von September 1999 bis<br />

September 2000 verhandelte das<br />

„Schiedsgericht Richterin Barbara Salesch“<br />

als erste und einzige Gerichtssendung<br />

im deutschen Fernsehen echte zi-<br />

1) Hier näher behandelt werden<br />

Strafgericht Richter Ulrich Wetzel, Jugendgericht<br />

Ruth Herz, Jugendgericht<br />

mit den Anwälten Barbara von Minckwitz<br />

und Matthias Klagge sowie Richter<br />

Frank Engeland (alle RTL); Richterin<br />

Barbara Salesch, Richter Alexander<br />

Hold (alle Sat1). Alle weiteren Informationen<br />

über diese Sendungen können<br />

über die homepages http://<br />

www.rtl.de/ bzw http://www.sat1.de/<br />

abgerufen werden. Siehe auch allgemein<br />

Österreichische Juristenkommission<br />

(Hrsg), Recht und Öffentlichkeit<br />

2003 (2004) (= Kritik und Fortschritt im<br />

Rechtsstaat Bd 22).<br />

Seite 6 <strong>juridikum</strong> 2005 / 1

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