juridikumnr 1 - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft
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thema<br />
„Prognosen sind schwierig, besonders<br />
wenn sie die Zukunft betreffen“<br />
„Die Zukunft war früher auch besser“<br />
Karl Valentin (1882–1948)<br />
Jeder Akt der Gesetzgebung 1 enthält neben Regulativen<br />
auch diagnostische und prognostische Elemente, die auf reale<br />
und mögliche Geschehnisse Bezug nehmen. Wenn etwa<br />
die Polizeigesetzgebung Eingriffsmöglichkeiten 2 zur Bewältigung<br />
von Gefahrenlagen bereitstellt, verbindet sich juristisches<br />
Regulativ 3 mit der impliziten Diagnose eines (realen<br />
oder möglichen) gefährlichen Verhaltens 4 und der<br />
Erwartung (Prognose) von Chancen einer wirksamen Abwendung<br />
der Gefahr als Folge der Umsetzung der gesetzlichen<br />
Maßnahme.<br />
Effektivität und Effizienz als<br />
Folgendimensionen<br />
Gesetzgebung zieht wahrnehmbare Verhaltenstatsachen<br />
(diagnostische Komponente) ebenso ins Kalkül<br />
wie deren Beeinflussbarkeit durch Gesetz (prognostische<br />
Komponente). In der Voraussicht auf Wirkungen<br />
gesetzlicher Regelungen sind zwei Perspektiven zu unterscheiden:<br />
zum einen die Effektivität (Wirksamkeit)<br />
von Regelungen, zum anderen deren Effizienz (Gesetzes-Zweckentsprechung).<br />
5 Erwünscht ist eine positive<br />
Korrelation von Wirksamkeit und Zweckentsprechung<br />
gesetzlicher Regulative. Differenzen wären Zeichen für<br />
Steuerungsmängel. 6<br />
In jedem regulativen Akt kann eine Effektivitäts- und<br />
Effizienzerwartung gesehen werden. Prognostische Gesetzesfolgenabschätzung<br />
kann in diesem Sinne mit den regulativen<br />
Zwecken – die Effektivität eingeschlossen – gleichgesetzt und<br />
im Nachhinein überprüft werden. Prognose und Diagnose sind<br />
zwei Seiten ein und desselben gedanklichen Prozesses, dem eine<br />
Koppelung von normativen Steuerungsansprüchen und normativen<br />
Steuerungsleistungen zugrunde liegt.<br />
Folgenabschätzung beruht auf einer Diagnose vergangener<br />
und einer Prognose künftiger Wirkungen. Der Diskussion um<br />
die Bedeutung einer Abschätzung von Technikfolgen (technology<br />
assessment) ist eine Auseinandersetzung um die Möglichkeiten<br />
einer Abschätzung von Gesetzesfolgen gefolgt. 7<br />
Da wie dort ist die Vorhersagbarkeit der Dynamik von <strong>gesellschaft</strong>lichen<br />
Entwicklungen zu untersuchen.<br />
............................................<br />
1) Gesetzgebung wird hier im funktionalen Sinne als<br />
Erlassung von allgemein verbindlichen Rechtsregeln<br />
verstanden.<br />
2) ZB die Möglichkeit hoheitlicher Videoüberwachung<br />
öffentlicher Orte – § 54 Abs 6 SPG idF der Novelle<br />
BGBl I 2005/151.<br />
3) Im Beispiel: die Ermächtigung zu Informationseingriffen.<br />
4) Im Beispiel: geschehene oder zu erwartende gefährliche<br />
Angriffe.<br />
5) Zur Unterscheidung von Effektivität und Effizienz<br />
siehe Adamovich/Funk/Holzinger, Österreichisches<br />
Staats<strong>recht</strong> II: Staatliche Organisation (1998) RdZ<br />
27.102.<br />
Systeme <strong>gesellschaft</strong>licher Kommunikation, dargestellt<br />
am Beispiel der Strafprozessreform 2004<br />
Gesetzesfolgenabschätzung<br />
als Prognose<br />
Zur Vorhersehbarkeit der Dynamik<br />
<strong>gesellschaft</strong>licher Kommunikation<br />
Bernd-Christian Funk<br />
........................<br />
6) Im Beispiel: die Videoüberwachung ist zwar effektiv<br />
(wirksam), sie führt aber nicht zu einer Reduktion<br />
von Kriminalität, sondern zu deren Verlagerung<br />
und Ausweitung, und ist in Bezug auf die selbst gesteckten<br />
Ziele ineffizient.<br />
7) Die Internet-Suchmaschine Google<br />
(http://www.google.at/) weist unter dem Stichwort<br />
„Technikfolgen“ (Technology Assessment) rund<br />
30.000 Eintragungen und unter dem Stichwort „Gesetzesfolgenabschätzung“<br />
ca 4.000 Eintragungen auf.<br />
8) Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19, In-<br />
Kraft-Treten am 1. 1. 2008.<br />
9) StPO 1975, zurückgehend auf die StPO aus 1873.<br />
10) Erste Verfolgungshandlungen zur Aufklärung<br />
Gesetzesfolgenabschätzung betrifft zunächst die von der Gesetzgebung<br />
intendierten Effektivitäts- und Effizienzfolgen.<br />
Maßgebend sind die Befindlichkeit und die Wechselwirkungen<br />
dreier gekoppelter <strong>gesellschaft</strong>licher Kommunikationssysteme,<br />
bestehend aus dem regulativen Programm, dessen<br />
Umsetzung durch die Rechtsanwendung und dem vom regulativen<br />
Programm und seiner Anwendung betroffenen Bereich<br />
<strong>gesellschaft</strong>lichen Handelns. Differenzen zwischen den<br />
drei Systemen sind für die Gesetzesfolgenabschätzung von<br />
besonderem Interesse, wie das Beispiel der Strafprozessreform<br />
2004 zeigt. 8<br />
Die geltende Strafprozessordnung 9 geht im Vorverfahren<br />
von einem legislativen Modell aus, welches in der Praxis der<br />
Rechtsanwendung überwiegend nicht umgesetzt wird und insofern<br />
an einem Effektivitätsdefizit leidet: Im Zusammenwirken<br />
von Polizei, Anklagebehörde und Gericht bei der Aufklärung<br />
und Verfolgung strafbarer Handlungen ist den Sicherheitsbehörden<br />
eine untergeordnete Rolle zugedacht. 10 Das<br />
Schwergewicht der Ermittlungen im Vorverfahren liegt bei<br />
richterlichen Organen, sei es in Form von gerichtlichen Vorerhebungen<br />
im Auftrag der Anklagebehörde, 11 sei es – vor allem<br />
– in Form der Voruntersuchung. 12 In der Praxis der<br />
Rechtsanwendung liegt das Schwergewicht der Ermittlungen<br />
bei den Sicherheitsbehörden. Die Differenz zum gesetzlichen<br />
Modell ist im Allgemeinen für den Erfolg der Aufklärung und<br />
Verfolgung strafbarer Handlungen sehr effizient. Das dritte<br />
der beteiligten (gekoppelten) Systeme ist der vom legislativen<br />
Programm und seiner (teils programmwidrigen) Umsetzung<br />
betroffene Bereich <strong>gesellschaft</strong>lichen Handelns, repräsentiert<br />
und Beweissicherung im engen Rahmen des § 24<br />
StPO.<br />
11) § 88 StPO erlaubt dem Staatsanwalt, Vorerhebungen<br />
durch den Untersuchungsrichter, durch die<br />
Bezirksgerichte oder durch die Sicherheitsbehörden<br />
führen zu lassen. Eigene Untersuchungen sind dem<br />
Staatsanwalt nach geltender Rechtslage verwehrt.<br />
12) §§ 91 – 93 StPO. Die Voruntersuchung erfolgt<br />
durch den Untersuchungsrichter auf Antrag der Anklagebehörde.<br />
Seite 50 <strong>juridikum</strong> 2005 / 1