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juridikumnr 1 - juridikum, zeitschrift für kritik | recht | gesellschaft

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gesetzesfolgenabschätzung<br />

schen daran? Und: Könnten sie angehalten werden, die Vorschriften<br />

zu befolgen?<br />

Bei diesen Fragen handelt es sich um verhältnismäßig einfache<br />

Probleme, mit denen sich die Rechtsökonomik (Ökonomische<br />

Analyse des Rechts) beschäftigt. Sie liefert Erklärungen<br />

der folgenden Art: Der Schaden, den man durch eine<br />

Verletzung der Verkehrsordnung anrichten kann, kann ein<br />

Menschenleben sein. Aber die Verwaltungsstrafe für das Telefonieren<br />

ist derzeit mit 23 Euro festgesetzt. Die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass man angehalten und zur Strafzahlung<br />

aufgefordert wird, beträgt höchstens 0,02 oder zwei von hundert<br />

Fällen. Der subjektive Preis für verbotenes Telefonieren<br />

beträgt also 46 Cent, nämlich 0,02 mal € 23,-. Das ist so wenig,<br />

dass sich niemand abschrecken lässt. Um bei der Entdeckungswahrscheinlichkeit<br />

von 0,02 das effektive Strafmaß<br />

von € 23.- zu erreichen, müsste die Strafe € 1150.- betragen.<br />

Aber eine solche Strafe erzeugt sowohl bei Politikern als auch<br />

bei Juristen nur Kopfschütteln.<br />

Das eigentliche Problem ist aber natürlich die geringe<br />

Wahrscheinlichkeit von 0,02 (auch wenn es sich nur um ein<br />

einfaches und drastisches Beispiel handelt). Um diese Wahrscheinlichkeit<br />

zu erhöhen, müssten aber bedeutende Mittel in<br />

die Verkehrspolizei und ihre Ausrüstung fließen; Mittel, die<br />

dann anderswo nicht zur Verfügung stehen. Ihre Rechtfertigung<br />

ergäbe sich nur aus einer Nutzen-Kosten-Rechnung, bei<br />

der der Wert ersparter Menschenleben, ersparter Heilbehandlungen<br />

und zerstörter Sachwerte gegen die Mehrkosten der<br />

Überwachung und Verfolgung aufgerechnet werden.<br />

Eine solche Rechnung könnte die folgende Form haben:<br />

Die Möglichkeit zur Steigerung der Entdeckungs- und Bestrafungswahrscheinlichkeit<br />

erschließt sich über zusätzliche<br />

Personenstunden des Einsatzes von Verkehrspolizisten: Man<br />

muss entsprechende Tests durchführen (oder auf Erfahrungswerte<br />

zurückgreifen), ob zB mit 10.000 mehr Personenstunden<br />

die Wahrscheinlichkeit um ein Hundertstel gehoben werden<br />

kann. Je Hundertstel ergeben sich dann Mehrkosten von<br />

10.000 mal dem Bruttolohn je Zeiteinheit.<br />

Jetzt müssen subtile Berechnungen angestellt werden, wie<br />

viele Menschenleben dadurch jeweils zusätzlich gerettet<br />

werden können, dass die Überwachung intensiviert wird.<br />

Macht man eine denkbar einfache Rechnung auf und setzt<br />

den Gegenwartswert eines Menschenlebens als ökonomischen<br />

Vorteil aus jeder Steigerung der Maßnahmen ein, multipliziert<br />

diese Größe mit der Wahrscheinlichkeit, dass die<br />

Maßnahmen zum Erfolg führen, dann erhält man zuerst eine<br />

Zahlenreihe für die zusätzlichen <strong>gesellschaft</strong>lichen Vorteile<br />

und durch Aufsummieren derselben schließlich eine Größenordnung<br />

für den <strong>gesellschaft</strong>lichen Nutzen. Dieser Nutzen<br />

muss die Kosten übersteigen, um die Intensivierung der<br />

Überwachung zu <strong>recht</strong>fertigen. Selbst bei linearem Verlauf<br />

von Kosten und Nutzen kann es gut sein, dass ab einer bestimmten<br />

Intensität der Maßnahme weitere Steigerungen<br />

ökonomisch nicht zu <strong>recht</strong>fertigen sind – was immerhin eine<br />

gewisse Orientierung über den Ressourcenbedarf ermöglicht.<br />

Selbstverständlich ist die Problemstellung vor allem<br />

unter dem ethischen Gesichtspunkt zu sehen: Aber dieser liefert<br />

keine wie immer gearteten quantitativen Entscheidungsgrundlagen<br />

für den Einsatz begrenzt vorhandener Geld- bzw<br />

Sachmittel.<br />

Überlegungen der eben illustrierten Art lassen sich für den<br />

Gebrauch schädigender Industriefette in Nahrungsmitteln bis<br />

zur Verfolgung von Korruption anstellen.<br />

2.2 Folgen Rechtsnormen der Interessenpolitik, wirkt das<br />

noch in der Rechtsprechung nach<br />

Die Probleme unserer Gesetze liegen oft noch tiefer als im<br />

ersten Beispiel: Deshalb sei hier für das zweite Beispiel die<br />

Frage an den Anfang gestellt: „Was kostet ein Gesetz?“ Und<br />

die Antwort darauf liefert keineswegs der bekannte Behelf<br />

zur Gesetzesfolgenabschätzung, denn das würde, wie gleich<br />

demonstriert werden soll, zu kurz greifen. Als Einstimmung<br />

zur näheren Behandlung des zweiten Beispielsfalles dient<br />

der Abwechslung halber einmal ein Zitat aus einer Wochenschrift<br />

(Die Zeit No. 6 vom 31. Januar 2002): Unter dem<br />

Titel „Handel mit Hautgout – Für 200 Millionen Euro hat<br />

die Pharmaindustrie der Regierung den Schneid abgekauft<br />

– der bisher letzte Coup der erfolgreichsten Lobby Deutschlands“,<br />

liest man, dass der Verband forschender Arzneimittelhersteller<br />

dem Bundeskanzler für den Fall, dass dieser den<br />

Plan der Regierung fallen lasse, die Medikamentenpreise per<br />

Gesetz um 4 Prozent zu senken, 200 Millionen Euro als<br />

Kompensation an die Krankenkassen ausschütten werde. –<br />

Die Preissenkung ist tatsächlich in der Regierungsvorlage<br />

zum Arzneimittel-Ausgaben-Begrenzungsgesetz nicht mehr<br />

enthalten!<br />

Was hier geschah, lässt sich ganz im angekündigten Sinn<br />

von „was kostet denn ein Gesetz?“ als „Kauf einer bestimmten<br />

gesetzlichen Regelung“ interpretieren. Dieser hat drei Gesichtspunkte,<br />

die der Hervorhebung Wert sind:<br />

Erster Gesichtspunkt: Wenn es nach Maßstäben der Ökonomie<br />

ge<strong>recht</strong>fertigt war, dass die Preise gesenkt werden sollten<br />

– beispielsweise wegen der Monopolstellung der betreffenden<br />

Industrie –, dann ist das Ergebnis dieses Gesetzeskaufs<br />

ein unökonomischer, weil ineffizienter Zustand, der bei überhöhten<br />

Preisen zu einer suboptimalen Versorgung führt.<br />

Zweiter Gesichtspunkt: Unter der Beibehaltung hoher<br />

Preise leidet auch die Verteilungsge<strong>recht</strong>igkeit, denn es wird<br />

die Industrie zu Lasten der Konsumenten begünstigt.<br />

Dritter und vielleicht schwerwiegendster Gesichtspunkt:<br />

Nehmen sie einmal an, es käme wegen des Preises eines bestimmten<br />

Pharmaproduktes zu einem Rechtsstreit. Das Gericht<br />

entscheidet auf Grund des Gesetzes. Das Gesetz lässt einen<br />

höheren als den ökonomisch ge<strong>recht</strong>fertigten Preis zu.<br />

Das Gericht weist die Klage daher ab. Es bestätigt damit aber<br />

den erfolgreichen „Kauf“ der gesetzlichen Regelung durch<br />

die Interessengruppe (Lobby). Nur ein sehr „mutiges“ Gericht,<br />

das sich durch einen Experten bestätigen lässt, dass an<br />

der Klage sachlich „etwas dran ist“, wird versuchen, Mittel<br />

und Wege zu finden, um dem Kläger wenigstens teilweise<br />

Recht zu geben.<br />

Nun bedenken sie aber, dass der Fall bei einem an Dienstalter<br />

noch jungem Richter, der Karriere machen möchte, gelandet<br />

ist. Es ist gut denkbar, dass für die Laufbahn dieses<br />

Richters wichtig ist, Entscheidungen zu treffen, die nicht einen<br />

Einspruch nach sich ziehen, der zur Aufhebung des Richtspruchs<br />

durch die höhere Instanz führt: Das würde dem Ansehen<br />

und den Karrierechancen schaden. Es könnte natürlich<br />

umgekehrt auch so sein, dass ein couragiertes Urteil Aufmerksamkeit<br />

erregt und so eine Empfehlung für höhere Aufgaben<br />

<strong>juridikum</strong> 2005 / 1 Seite 43

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