KIeL Mammutprojekt in Langzeitbelichtung Lina Kim <strong>und</strong> Michael Wesely spüren in der <strong>Kunst</strong>halle zu Kiel der utopie Brasília nach text: HAJo SCHIFF Lina Kim & Michael Wesely, Eixo Monumental, 2004, C-Print auf UltraSecG, 180 x 300 cm <strong>Das</strong> Größte, was Kaiser, Päpste, Diktatoren <strong>und</strong> mitunter sogar demokratische Staaten planen können, ist die neugründung einer ganzen Stadt. eine der berühmtesten Planstädte der Moderne ist Brasília, die im nichts des brasilianischen Hinterlandes mit gigantischer Anstrengung vor gut 50 Jahren auf den roten Boden gesetzt wurde. Der flugzeugförmige <strong>und</strong> autogerechte Gr<strong>und</strong>riss des „Plano Piloto“ von Lucio Costa, die elegant geschwungenen Staatsbauten oscar niemeyers an der „Monumental-Achse“, die endlos weiten Straßenzüge <strong>und</strong> standardisierten Wohnblöcke gelten inzwischen als „Altstadt“: Diese utopie der Moderne, in der heute nur mehr ein Zehntel der einwohner der Metropolregion wohnen, steht als Weltkulturerbe unter Denkmalschutz. ob diese „unbrasilianischste“ aller brasilianischen Städte <strong>für</strong> ihre nutzer angemessen funktioniert oder nicht, war auch im von Korruptionsaffären überschatteten Jubiläumsjahr 2010 noch eine Streitfrage, gleichermaßen unter den Bürgern wie den internationalen experten. <strong>Das</strong> Volk spielt bei derartigen Superplänen nur in den Rollen der Bauarbeiter mit. Die utopische Geste der Regierenden missachtet leicht normale Alltagsinteressen. <strong>Das</strong> beginnt schon damit, dass vom Planungsmodell bis zur klassischen <strong>Architektur</strong>fotografie Menschen gar nicht oder nur wie Statisten sichtbar werden. An diesem Punkt setzt das zweiteilige, gemeinsame Projekt „Archiv utopia“ der Brasilianerin Lina Kim <strong>und</strong> des Deutschen Michael Wesely an: Mit 12-stündigen Verwaiste Stadt Langzeitbelichtungen wird der unwirkliche Charakter des ortes ins Bild gesetzt, andererseits wurde den Menschen, die in den Langzeitbelichtung kaum Spuren hinterlassen, mit einer höchst aufwendigen Archiv-Recherche in den historischen Fotos vom Bau der Stadt <strong>und</strong> der provisorischen Selbstorganisation der Peripherieorte nachgespürt. es ist kaum zu entscheiden, was schwieriger <strong>und</strong> im ergebnis interessanter ist: Die außerirdisch, ja in ihrer unwirklichen Schattenlosigkeit <strong>und</strong> mit den Lichtspuren der Sonne geradezu esoterisch überhöht wirkenden Stadtbilder, die an ca. 300 Standorten gemacht wurden - unter all den vorstellbaren Schwierigkeiten, die Wachleute, Polizei <strong>und</strong> Militär verursachen können. oder die Arbeit in den verstreuten Archiven, bei der aus etwa 100.000 wenig systematisierten negativen 1.500 ausgewählt, digital bearbeitet <strong>und</strong> publiziert wurden. Denn damals gab es keine geplante Dokumentation, so dass heute Fotos des Bordmechanikers der Präsidentenmaschine oder des ausgewanderten Jesco v. Puttkamer <strong>und</strong> anderer Zeitzeugen eher zufällig an diversen orten aufbewahrt werden. Von diesem weitgehend von den Künstlern selbst finanzierten Mammutprojekt zeigt die <strong>Kunst</strong>halle zu Kiel 32 großformatige Langzeitbelichtungen im von allen späteren einbauten befreiten modernen Anbau <strong>und</strong> auf der empore 300 kleinformatige, restaurierte historische Aufnahmen. Zusammen ein Raumeindruck, der auch formal Brasilien sehr nahe kommt. Archiv utopia, <strong>Das</strong> Brasília-Projekt von Lina Kim <strong>und</strong> Michael Wesely, bis 28.August Parallel präsentiert die Graphische Sammlung in ihren drei neuen Ausstellungsräumen eine exquisite Auswahl, die zeigt, welche hohen Ausdrucksqualitäten von Rembrandt bis zum farbigen Minimalismus eines Sol LeWitt in der Druckgrafik möglich sind. <strong>Das</strong> Farbige, <strong>Das</strong> Schwarze <strong>und</strong> das Dreidimensionale, bis 28. August <strong>Kunst</strong>halle zu Kiel, www.kunsthalle-kiel.de 25 VeRLänGeRunG ARCHIV utoPIA
Judith Walgenbach, Dough Quijote, 2011