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3. Migrationslagerung - SSOAR

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Der Individualität des Einzelnen ist das Milieu vorgängig. Der Einzelne<br />

wird immer schon in einen bestehenden, wenn auch sich stets verändernden<br />

Raum konjunktiver Erfahrungen hineinsozialisiert und kann erst auf der Basis<br />

dieser kollektiven Einbettung seine Individualität entfalten. In diesem „sozialen<br />

Apriori“ des Milieus als dem „unmittelbar Gegebenem ..., in dem das Individuum<br />

erst durch Distanzierungsleistungen sich als spezifische Einheit aussondert“<br />

(Hitzler/Honer 1984, S. 62), liegt eine wichtige Differenz zum phänomenologischen<br />

Begriff der Lebenswelt und seiner „egologischen“, an das erkennende<br />

Subjekt gebundenen Perspektive (ebd.). Denn bei Milieus handelt es sich um<br />

„mesosoziale Einbettungsformen mikro-, makro- und/oder global dimensionierter<br />

Prozesse“ (Matthiesen 1998, S. 22, i. O. k.).'6<br />

Solche Milieus können auf gruppenhaften Lebensformen und einer gemeinsamen<br />

Gruppengeschichte basieren; dies ist - im Unterschied zum Milieubegriff<br />

von Gurwitsch (1976) - jedoch nicht zwingend notwendig. Denn die<br />

Realgruppe ist „nicht der soziale Ort der Genese, sondern derjenige der Artikulation<br />

und Objektivation... kollektiver Erlebnisschichtung“ (Bohnsack 1999, S.<br />

71) und damit nur das Epiphänomen des Milieus. Meine empirische Rekonstruktion<br />

ist daher auch Milieuanalyse, obwohl sie vordergründig Gruppen zum<br />

Gegenstand hat.<br />

Nur falls man dieser Differenz von Milieu und Gruppe Beachtung zollt,<br />

werden auch die Unterschiede zum Begriff der „Gemeinschaft“ deutlich. Denn<br />

die „Gemeinschaft“ ist, so wie sie Tönnies (1926) fasst, an die Tradition der<br />

Gruppe und ihre face-to-face-Beziehungen, d. h. an gemeinsame (identische)<br />

Erfahrungen und Erlebnisse gebunden. Ein Milieu muss jedoch nicht auf<br />

gemeinsamen, sondern kann auch auf gleichartigen, d. h. strukturidentischen<br />

bzw. homologen Erfahrungsschichtungen basieren.<br />

Homolog können auch die Erfahrungen biographischer Diskontinuität sein,<br />

wie sie im Zusammenhang von Desintegrationsprozessen, aber auch der Migra-<br />

tion(sfolgen) vorzufmden sind. In diesen homologen Erfahrungen biographischer<br />

Brüche oder Krisen können sich „Prozesse der Neubildung von Traditio­<br />

16 Auf eine derartige Ebene zwischen der Makrostruktur öffentlicher Diskurse und der<br />

Mikrostruktur individueller Lebensweisen verweist auch die empirische Studie von<br />

Back et al. (1999) zu Gefahrenwahmehmung und ethnischer Diskriminierung bei<br />

Jugendlichen. In dieser Mesostruktur der Milieus liegt der Unterschied zum, in den<br />

Sinus-Studien sowie bei Heitmeyer u. a. (1995) verwendeten, lebensstilorientierten<br />

Milieubegriff von Hradil (1992, S. 19), in dem „objektive Lebensbedingungen“ von<br />

.„manifest subjektiven* Dimensionen“ entkoppelt werden (vgl. auch Abschnitt 1.1).<br />

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