3. Migrationslagerung - SSOAR
3. Migrationslagerung - SSOAR
3. Migrationslagerung - SSOAR
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Hinweis bzw. ein Dokument für den Rahmen. Jede der beiden Seiten, Dokument<br />
wie Rahmen, „wird benutzt, um die je andere herauszuarbeiten“ (Garfin-<br />
kel 1973, S. 199, zit. n. Bohnsack 1999, S. 64). Solcherlei Interpretation wurde<br />
von Harold Garfinkel - in Anlehnung an Karl Mannheim - als „dokumentarische<br />
Methode“ bezeichnet. Ralf Bohnsack hat sich in seiner Ausarbeitung<br />
dieser Methode als wissenschaftlichem Auswertungsverfahren wieder der bei<br />
Mannheim angelegten Form der dokumentarischen Methode zugewandt und sie<br />
zur Rekonstruktion von milieuspezifischem, d. h. konjunktivem Wissen genutzt<br />
(vgl. Bohnsack 1999, S. 33-80 u. 143-191).<br />
Die alltägliche Praxis der Interpretation fremder Milieus unterscheidet sich<br />
von der wissenschaftlichen Interpretation hinsichtlich ihrer Analyseeinstellung.<br />
Während im Alltag die Frage nach dem Gehalt eines Phänomens und nach der<br />
Gültigkeit einer Aussage gestellt wird, sucht die wissenschaftliche Interpretation<br />
zu klären, wie bestimmte Phänomene bzw. Wirklichkeiten sozial hergestellt<br />
werden. Die Funktionalisierung dessen, was gesagt wird, auf die soziale<br />
Praxis der Sprechenden (einschließlich ihrer Sprechpraxis), d. h. die praxeolo-<br />
gische Zugangsweise fuhrt die Interpretation über den immanenten Sinngehalt<br />
der Texte hinaus. Diese „prozeßrekonstruktive“ Analyseeinstellung (Bohnsack<br />
1999, S. 66), die auch eine analytische Distanz gegenüber (ethnisierenden)<br />
Selbst- und Fremdbeschreibungen von Betroffenen impliziert,33 zielt auf die<br />
Interpretation der Soziogenese von Wirklichkeit.<br />
Voraussetzung für eine Rekonstruktion der prozesshaften Entstehung von<br />
Wirklichkeit ist es, die Frage nach der Gültigkeit bzw. dem Wahrheitsgehalt<br />
zurückzustellen. Mannheim (1980, S. 88) hat dies als „Einklammerung des<br />
Geltungscharakters“ bezeichnet (vgl. ähnlich auch Bourdieu 1974, S. 126).<br />
Forschungspraktisch wird die Einklammerung des Geltungscharakters<br />
durch die Aufteilung der Interpretation in zwei Schritte erleichtert:34 In der<br />
formulierenden Interpretation widmen sich die Forschenden ausschließlich<br />
dem thematischen Gehalt der Texte, die in Gruppendiskussionen oder biogra-<br />
33 Vgl. hierzu die treffende Kritik von Bommes an einer qualitativen Migrationsforschung,<br />
die durch ihre rein immanente Interpretation einen Beitrag zur Ethnisierung<br />
der Migrant(inn)en leistet, indem sie deren „soziale Handlungsformen ... als kulturell<br />
spezifisch und im Anschluß an Teilnehmerkategorien als ethnisch“ (1996, S.<br />
206) begreift. Demgegenüber ist laut Hamburger „die zentrale Forschungsfrage für<br />
erziehungswissenschaftliche Untersuchungen“, „wer in welcher Situation welche<br />
[u. a. ethnische; AMN] Kategorie verwendet“ (1999, S. 171).<br />
34 Als Beispiel für eine solche zweistufige Interpretation, welche auch den in diesem<br />
Buch präsentierten Analysen zugrunde liegt, siehe Nohl 1996a, S. 163ff.<br />
44