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Festivalzeitung - St. Galler Tagblatt

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Es ist 10 Uhr am Freitagmorgen. Ich betrete<br />

das erste Mal das OpenAir-Gelände<br />

durch den Eingang Ost <strong>St</strong>. Gallen. Ich bin<br />

überwältigt. Die Kunst schlägt mir entgegen.<br />

Wo ich nur hinsehe, hinhöre oder hinlaufe,<br />

alles ist voll von Kunstwerken – verschiedenster<br />

Art, versteht sich. Das Festival<br />

der Künste kann beginnen.<br />

Logistische Kunst<br />

Kaum stehe ich auf der <strong>St</strong>rasse, die das Gelände<br />

in zwei Teile gliedert, fahre ich vor<br />

Schreck zusammen. Hinter mir ein Auto, beladen<br />

mit vollen Bierfässern. Der Fahrer<br />

bahnt sich ganz konzentriert einen Weg durch<br />

die zahlreichen Besucher. Schweissperlen<br />

auf der <strong>St</strong>irn. Beim Rennen um den schnellsten<br />

Weg durch die Menschen gewinnt nicht<br />

das stärkste Auto, sondern der cleverste Fahrer.<br />

Und der geduldigste. Das Ende der <strong>St</strong>rasse<br />

ist erreicht. Ich atme an seiner <strong>St</strong>elle auf<br />

und vergebe die volle Punktzahl. Erste <strong>St</strong>ichprobe<br />

mit Bravour gemeistert.<br />

Ich begebe mich in den <strong>St</strong>rom der Besucher.<br />

Mich umgeben die unglaublichsten Kunstwerke<br />

der Transportmittel. Eine Tragbahre links<br />

von mir gerät in eine Schieflage. Eine Rikscha<br />

überholt mich auf der rechten Seite. Von links<br />

braust ein veloähnliches Gefährt an mir vorbei:<br />

der vorderste Teil eines Velorahmens, Holz als<br />

Gepäckablage und mit einer alten Mülltonne<br />

verbunden. Sie fährt. Jedoch nur, solange die<br />

<strong>St</strong>recke nicht ansteigt. Der hinterste Mann verliert<br />

die Kraft, der vorderste das Gleichgewicht<br />

und beide das Gepäck. All dies in zwei Minuten.<br />

Mein Mund bleibt offen vor staunen: Ich<br />

Ein FEstival<br />

Für allE sinnE<br />

GourmEtExpErtEn vErtEilEn GourmEtpunktE, kunstExpErtEn vErtEilEn kunstpunktE. inkoGnito,<br />

scharFsichtiG und unbErEchEnbar. ich bin diE inoFFiziEllE kunstabGEordnEtE dEs opEnair st.GallEn.<br />

also machE ich mich auF diE suchE nach dEr kunst im sittErtobEl und vErGEbE kritisch mEinE punktE.<br />

Von AndreA ThomA<br />

vergebe die maximale Punktzahl für unsere<br />

logistischen Künstler.<br />

Architektonische Kunst<br />

Sie ist hoch. Sie ist farbig. Sie ist andersartig.<br />

Die orange strahlende, aus der grünen<br />

Wiese hervorstechende Migros Lounge.<br />

Phantastisch. Ich betrachte sie näher.<br />

Sie spendet Schatten. Gehört zwar nicht<br />

zur Kunst als solche, jedoch ein unverzichtbarer<br />

Nebeneffekt für heisse OpenAir-Tage.<br />

Ich verteile die Note genügend.<br />

Schräg neben der Migros Lounge die Posttribüne.<br />

Gelb. Etwas weiter oben die Jack Daniels<br />

Bar. Schwarz. Bei den Foodständen die<br />

Box von Winston. Blau. Beim Eingang beende<br />

ich meinen Rundgang vor dem roten Bacardi<br />

Dome. Die Farbenvielfalt ist gewaltig – im<br />

Gegensatz zu den Formen. Quadratische Flächen<br />

verschiedenster Höhen. Künstlerisch<br />

ein Durchfallen, hingegen durchaus platzsparend<br />

und praktisch. Die Note genügend muss<br />

ausreichen. Nur in bezug auf den künstlerischen<br />

Anspruch, versteht sich.<br />

Und die Besucher?<br />

Einfallsreicher zeigen sich die Besucher,<br />

könnte man denken. Ich erklimme den<br />

höchstgelegenen Punkt. Unter einem Baum<br />

vor dem «<strong>St</strong>ars and <strong>St</strong>ripes» überblicke ich<br />

das Gelände. Was vor einer Woche grün<br />

war, ist jetzt weiss. Ich traue meinen Augen<br />

kaum! Ein weisses Pavillon-Meer, so weit<br />

das Auge reicht. Ab und zu sticht eine<br />

grüne oder graue Blache hervor, einige<br />

Fahnen, einige Bäume, aber eine echte<br />

Farbenpracht ist nicht zu finden. Liebe Besucher,<br />

wo bleibt euer Erfindergeist? Ich<br />

bin enttäuscht. Weisse Pavillons über dem<br />

Kopf, <strong>St</strong>roh unter den Füssen und grünes<br />

13<br />

PET-Bier in der Hand. Keine Regel ohne<br />

Ausnahme. Aber leider herzlich wenig Ausnahmen.<br />

Die Note ungenügend trage ich<br />

mit Bedauern in mein Notizheft ein.

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