Ausgabe 1205.pdf - Theater-Zytig
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14 Backstage 1205 | Stückwahl<br />
Stückwahl |<br />
1205 Backstage 15<br />
<strong>Theater</strong> Giswil<br />
Selber Schuld, wer die verpasst<br />
<strong>Theater</strong> Buochs<br />
Darstellerisch kein Sündenfall<br />
Das tolle Stück hatte ich erst neulich in<br />
einer ganz bemerkenswerten Inszenierung<br />
gesehen und so besteht natürlich immer<br />
die Gefahr, dass man vergleicht, obschon<br />
man das nicht tun sollte. Aber eigentlich<br />
ist es ja logisch. Eine <strong>Theater</strong>aufführung<br />
besteht aus verschiedenen Zutaten, wobei<br />
die Stückvorlage gleichzeitig Zutat und<br />
Rezeptbuch ist. Und so kann man das<br />
gleiche Gericht eben trotzdem immer<br />
wieder neu kochen, indem man mit verschiedensten<br />
Gewürzen etwas anders<br />
abschmeckt. Das Resultat kann dabei ein<br />
anderes Geschmackserlebnis sein und<br />
man kann mehrere Varianten als gut empfinden.<br />
Genau so ging es mir in Giswil. Ich war<br />
einmal mehr fasziniert vom Medium <strong>Theater</strong>,<br />
welches trotz gleichem Stück völlig<br />
andere Resultate zu produzieren fähig ist.<br />
Wie gewohnt durfte man in Giswil bereits<br />
auf das Bühnenbild gespannt sein und<br />
wurde auch dieses Mal nicht enttäuscht.<br />
Ein überdimensionierter alter Röhrenradio<br />
bildete den Rahmen für die Handlung<br />
und die verschiedenen Spielorte wurden<br />
zum Teil nur mit genial einfachen Mitteln<br />
angedeutet. So wurde zum Beispiel eine<br />
Stange unter den Achseln eines Spielers<br />
eingeklemmt, auf die sich die anderen<br />
stützten und es entstand umgehend die<br />
Illusion eines Spielfeldrandes beim Fussball<br />
(siehe Bild).<br />
Ebenfalls ein äusserst schöner Regieeinfall<br />
waren das Chörli mit den passenden<br />
Liedern. Witzigerweise klappte jeweils<br />
beim Megaradio die Anzeige nach unten<br />
und die Musik erschallte live und mit<br />
kreativer Choreografie (die angedeuteten<br />
Vespas werden wohl ewig ein bleibender<br />
Eindruck dieser Inszenierung sein). Auf<br />
der anderen Seite wirkten die Lieder<br />
manchmal auch ein bisschen als Bremse<br />
im Rhythmus.<br />
Die im Stück eingesetzten Italienerinnen<br />
und Italiener waren mir persönlich zeitweise<br />
schon fast zu gut. Es ist nun mal<br />
halt so, dass man im <strong>Theater</strong> zeitweise<br />
auch Klischees bedienen muss. Und zu<br />
Zeiten der Schwarzenbach-Initiative hatten<br />
wohl die Mehrheit der Gastarbeiter<br />
diesen für uns sympathischen italienischen<br />
Akzent. Dass der heute bei den<br />
meisten nicht mehr vorhanden ist und<br />
diese genau solche Klischees nicht unbedingt<br />
bespielen wollen, ist zwar verständlich.<br />
Trotzdem geht dem Stück dadurch<br />
einiges an Witz, Charme und am Ende<br />
auch Aktualität verloren. Trotzdem gab<br />
es auch hier einige Highlights, welche zu<br />
zahlreichen Lachern im Publikum führten.<br />
Ganz schön gelöst war in dieser Inszenierung<br />
die Figur des Beamten, der absolut<br />
nicht als Fremdkörper wirkte.<br />
Einmal mehr also eine ganz tolle Leistung<br />
der Giswiler, die ihren Status im Olymp<br />
der Schweizerischen Amateurtheatergruppen<br />
zementiert. Es ist eine der Gruppen,<br />
die jede und jeder einmal gesehen haben<br />
müsste.<br />
Ich liess mich bei der letzten Besprechung<br />
dazu verleiten, festzuhalten, dass man dieses<br />
Stück fast nicht besser machen kann.<br />
Auf dieses Urteil komme ich nicht zurück,<br />
stelle aber fest, dass man es anders<br />
machen kann und es als Gesamteindruck<br />
genau so toll ist.<br />
Hannes Zaugg-Graf<br />
INFOS ZUM STÜCK<br />
Tschingge<br />
Schauspiel in 30 Szenen<br />
von Adrian Meyer<br />
Regie: Thomy Truttmann<br />
Kostüme und Requisiten: 1970, Dauer:<br />
ca. 90 Min, 4 Spielorte, Rollen: 10D/12H,<br />
Rechte: www.theaterverlage.ch, Kontakt<br />
Gruppe: www.theater-giswil.ch<br />
Kurzbeschrieb: Eine Kleinstadt in der<br />
Deutschschweiz kurz vor der Abstimmung<br />
der Schwarzenbach-Initiative. Am<br />
gleichen Wochenende steht das traditionelle<br />
Grümpelturnier an, das Baumeister<br />
Hutter mit seinen Ragazzis unbedingt<br />
gewinnen will. Doch Fortunato, sein<br />
bester Stürmer, liegt mit einer Kopfverletzung<br />
im Spital. Bett an Bett mit dem<br />
Tschinggenhasser Scheidegger. Und am<br />
Abstimmungssonntag fallen dann die<br />
Entscheidungen, allerdings nicht alle so,<br />
wie sie gewünscht wurden.<br />
bild: peter halter<br />
Cäsar von Arx war zu seiner Zeit der führende<br />
Autor der patriotischen Festspiele.<br />
«Der kleine Sündenfall», ein im Jahr 1938<br />
erstmals aufgeführtes Stück des damals<br />
wohl bekanntesten Schweizer Dramatikers,<br />
hat er hingegen für die Bühne geschrieben.<br />
Eine Bühnenballade, die zeitlich im<br />
Jahr 1560 in einer Schweizer Stadt angesiedelt<br />
ist. Das <strong>Theater</strong> Buochs gab der<br />
Ballade den Namen «Dr chley Sindefall»<br />
und bezeichnete es als «Mittelalterliches<br />
Schauspiel», ganz im heimischen Dialekt<br />
inszeniert, wie man sich das gewohnt ist<br />
bei den <strong>Theater</strong>leuten am Vierwaldstättersee.<br />
In die Nidwaldner Mundart gesetzt<br />
hat das Spiel die bekannte Buochser Volksschauspielerin<br />
Nina Ackermann. Die entsprechende<br />
Musik zum Stück komponierte<br />
der Schwyzer Musiker Melk Ulrich präzise<br />
und szenenpassend. Das sehr ansprechende<br />
Bühnenbild schuf die Nidwaldner<br />
Künstlerin Elenora Amstutz.<br />
Nicht weniger als 48 Darstellerinnen und<br />
Darsteller aufführungsreif vorzubereiten,<br />
drei grundverschiedene Bühnenbilder zu<br />
bauen und eine zeitgemässe Kostümierung<br />
INFOS ZUM STÜCK<br />
Der kleine Sündenfall<br />
Mittelalterliches Schauspiel in 3 Akten<br />
von Cäsar von Arx<br />
Regie: Werner Imfeld<br />
Spieldauer: ca 120 Min, Kostüme und<br />
Requisiten: um 1560, 3 Bühnenbilder,<br />
über 30 Rollen, Rechte: www.theaterverlage.ch,<br />
Kontakt Gruppe: www.theaterbuochs.ch<br />
Kurzbeschrieb: Violande, die Tochter des<br />
Bürgermeisters und Reichsvogts Hartung<br />
von Rechberg, wird nach ihrem unerwarteten<br />
Hinschied in der Familiengruft beigesetzt.<br />
In der verrufenen Schenke «Zum<br />
kleinen Sündenfall» stiftet eine Dirne den<br />
Räuber Ueli Schächer an, den Verlobungsring<br />
vom Finger der Verstorbenen zu<br />
rauben. Dabei entdeckt er, dass Violande<br />
nur scheintot ist. Er bringt die junge Frau<br />
nach Hause. Dass er sich damit in die<br />
Fänge der Justiz begibt, welche ihn wegen<br />
Grabraubes verurteilen muss, nimmt er in<br />
Kauf. Er wird zum Tod verurteilt und kann<br />
nur gerettet werden, wenn ihn eine Jungfrau<br />
vom Galgen zum Mann begehrt und<br />
mit ihm in die Verbannung geht.<br />
zusammenzustellen war für den Regisseur<br />
und das Ensemble eine echte Herausforderung.<br />
Erstmals stand der im ZSV<br />
wohlbekannte Werner Imfeld in Buochs<br />
am Regiepult. Seine schon öfters bewiesene<br />
Führungskompetenz und sein feines<br />
Gespür für die Detail-Arbeit mit Volkstheaterleuten<br />
war eindrücklich zu spüren.<br />
Diese sorgfältige Detailarbeit wurde vor<br />
allem im 1. und 3. Akt sichtbar, als eine<br />
grosse Zahl von Schauspielern beider<br />
Geschlechter die Bühne belebten. Beispielsweise<br />
im 1. Akt, in der vom hervorragenden<br />
Bühnenbild dominierten mittelalterlichen<br />
Schenke «Zum chleyne Sindefall»,<br />
wo einerseits fünf Dirnen und ebenso<br />
viele zwielichtige männliche Gestalten auf<br />
umtriebige Art und Weise ihre Präsenz<br />
zum Ausdruck brachten. Jedes Detail<br />
bezüglich Mimik, Gestik und Bewegungsabläufen<br />
stimmte und wirkte glaubhaft.<br />
Das Gleiche darf auch von den weiteren<br />
Darstellern gesagt werden, wie die resolute<br />
Wirtin und ihr dickbauchiger Sohn<br />
sowie der schmucksüchtigen Edeldirne,<br />
die so herrlich mit ihrem Hintern wackeln<br />
konnte. Mit zeitweise 48 Schauspielerinnen<br />
und Schauspielern auf der Bühne<br />
war auch der 3. Akt ein positives Beispiel<br />
der lebendigen Gestaltung von Massenszenen.<br />
Ein düsteres, auf drei Ebenen<br />
ausgestaltetes Dekor mit einem Galgen<br />
im Hintergrund bildete den Schauplatz<br />
für eine absurde Gerichtsszene mit Posaunen,<br />
Trommel und einem sehr lebhaft<br />
spielenden Volk. Im Gegensatz dazu die<br />
mit strenger Miene agierenden Ratsherren<br />
sowie der distinguierte Bürgermeister und<br />
Reichsvogt Hartung von Rechberg.<br />
Ganz anders der 2. Akt, der von tiefgründigen<br />
und ohne darstellerische Fehler<br />
geführten Gespräche zwischen Hartung<br />
von Rechberg und seinem Arzt Andreas<br />
Sürlin dominiert wird. Themen waren<br />
angesichts des vermeintlichen Todes der<br />
jungen Tochter des Reichvogts Trauer,<br />
Zweifel und Aberglaube. Eindrücklich wie<br />
Sürlin dabei mit den Worten «Leben hat<br />
nicht gewollt, wer nicht sterben will. Denn<br />
das Leben ist mit dem Vorbehalt des Todes<br />
verliehen – im Tod liegt eine gerechte und<br />
unbesiegbare Notwendigkeit» den berühmten<br />
Dichter Seneca zitiert. Eindrücklich<br />
auch die musikalische Untermalung dieser<br />
Szene mit dem Arzt an der Hausorgel.<br />
Ebenso eindrücklich aber auch der bestens<br />
dargestellte Stimmungswandel des Reichsvogts,<br />
des Arztes und der Amme Barbara,<br />
als die junge Tochter aus dem Scheintod<br />
erwacht. Auch in diesem, für den Zuschauer<br />
nicht einfachen Akt, ist es dem Regisseur<br />
und seinen Protagonisten gelungen,<br />
eine schwankhafte Schau zu vermeiden<br />
und den Ernst der Situation wahrhaft darzustellen.<br />
Alles in allem darf den <strong>Theater</strong>leuten aus<br />
Buochs ein verdientes Lob ausgesprochen<br />
werden für die eindrückliche Inszenierung<br />
eines nicht einfachen Stoffes von einem<br />
nicht einfachen Autor.<br />
Cäsar Rossi<br />
bild: kuno scheuber