POLYKUM NR. 3/09–10 ULF – Das Buch Die gesammelten Werke von Polykum- Cartoonist Thom Grüninger sind als Sammelband erhältlich. Das Buch «ULF von Grüninger» kann im Sekretariat des <strong>VS<strong>ETH</strong></strong> im StuZ2 (CAB E27) für 11 Franken gekauft werden.
als Triebkraft der Evolution. Polykum Nr. 3/09–10 Bild: iStockphoto Lassen sich auch andere sexuelle Präferenzen wie Homosexualität mit der Evolutionstheorie erklären? «Das ist eine offensichtliche, hochinteressante Frage an die Evolution, mit der man sich schnell in kontroverse Gewässer begibt. Wie kann sich ein Gen für Homosexualität, sofern es existieren sollte, in einer Population erhalten, wenn es unzweifelhaft ein nachteiliges für den Fortpflanzungserfolg ist?», fragt Bonhoeffer. Doch bisher sei diese Frage kaum untersucht worden. «Generell kann man mit der Evolutionstheorie sehr schnell ein Erklärungsmodell für menschliches Verhalten bereitstellen, das aber sehr schwer zu testen ist – <strong>und</strong> dann ist man bei ‹Evolutionary just so stories›», warnt Bonhoeffer. Sex, um den sich vieles, wenn nicht alles im menschlichen Leben dreht, ist – auch 150 Jahre nachdem Charles Darwin die Evolutionstheorie publiziert hat – ein nicht ganz verstandenes Phänomen. Die Evolutionstheorie fasziniert weiterhin als Werkzeug, um gr<strong>und</strong>legende Fragen zur Entwicklung des Menschen <strong>und</strong> seinem Verhalten zu beantworten. Gerade im Darwinjahr. www.darwinyear09.ch das interview führte Lucas müller (22). Er ist Redaktor des Polykum <strong>und</strong> studiert im 7. Semester Chemie an der <strong>ETH</strong> <strong>Zürich</strong>. lucasmb@student.ethz.ch koLumne die verbotene Liebe in China «Manchmal habe ich einfach keine Lust auf Frauen», antwortet der 28-jährige Chinese auf meine Frage nach einer Fre<strong>und</strong>in. Dabei spielt er verlegen mit seinem Handy, um mir nicht in die Augen schauen zu müssen. Im Verlauf des Gesprächs stellt sich heraus, dass er eigentlich gar nie etwas mit Frauen haben möchte. Manchmal passiert es trotzdem – dann nämlich, wenn er sich «unter Kontrolle» hat <strong>und</strong> sich dazu zwingt. Der Eltern <strong>und</strong> der Fre<strong>und</strong>e willen. Niemand weiss, dass er sich ab <strong>und</strong> zu heimlich mit Männern zum Sex trifft. Ob in Europa denn «die wahre Liebe zwischen Männern» existiere, möchte er von mir wissen. In China sei das <strong>und</strong>enkbar. Hier müssen Söhne <strong>und</strong> Töchter ihren Eltern ein Kind schenken <strong>und</strong> dazu rasch einen Partner des anderen Geschlechts finden, erklärt er mir. Etwas davon Abweichendes sei <strong>und</strong>enkbar. gesellschaftlicher Zwang Es ist viel von Menschenrechten die Rede, wenn über China gesprochen wird. Selten jedoch wird dabei an Homosexuelle gedacht. Sie verfügen weder über ein charismatisches Oberhaupt, wie etwa die Tibeter, noch geniessen sie viel politische Aufmerksamkeit, wie das beispielsweise in Taiwan der Fall ist. In China sind die Homosexuellen eine sehr stumme <strong>und</strong> unauffällige Minderheit. Denn beinahe alle homosexuellen Chinesen leben in einer heterosexuellen Beziehung. Dabei hat die chinesische Gesellschaft über lange Zeit einen sehr offenen <strong>und</strong> toleranten Umgang mit der gleichgeschlechtlichen Liebe gepflegt. Auch mehrere Kaiser sollen ein homosexuelles Liebesleben gepflegt haben. Homophobe Wertvorstellungen mehrten sich erst etHWeLt 25 in der Neuzeit <strong>und</strong> gipfelten in den Homosexuellen-Verfolgungen während der Kulturrevolution. Inzwischen wurde der Status der Homosexuellen gesetzlich normalisiert. Nichtsdestotrotz fehlen bis heute klare Antidiskriminierungsbestimmungen. Und es bleibt der enorme gesellschaftliche <strong>und</strong> insbesondere der familiäre Zwang. die rolle des Sohnes Unter diesem leidet auch Sun Haobo. Er konnte ihm zwar ein Stück weit entfliehen, indem er aus seiner südchinesischen Heimatprovinz in die Hauptstadt gezogen ist, um zu studieren. Hier wohnt er mit seiner Cousine in einer winzigen Wohnung. Und obwohl die Grossstadt ein gewisses Mass an Anonymität bietet, muss er auch hier peinlichst genau darauf achten, dass seine Mitstudierende, seine Cousine <strong>und</strong> der Rest der Familie nichts von seiner sexuellen Orientierung mitbekommen. «Meine Eltern würden das einfach nicht verstehen. Sie würden es als zutiefst <strong>und</strong>ankbar wahrnehmen. Sie finanzieren schliesslich mein Studium », erklärt er. Sie erfüllten ihre Elternrolle sehr gewissenhaft <strong>und</strong> er als Sohn habe seine Aufgabe ebenso wahrzunehmen. Sun trennte sich vor Kurzem von seiner Fre<strong>und</strong>in, mit der er auf Drängen seiner Mutter eine Beziehung eingegangen war. «Ich habe mir wirklich Mühe gegeben <strong>und</strong> sie auch irgendwie geliebt. Aber eben nicht richtig – im Bett waren überhaupt keine Gefühle da.» Er glaubt aber, dass er irgendwann trotzdem einen guten Ehemann abgeben <strong>und</strong> auch seinen Vaterpflichten zufriedenstellend nachkommen wird. «Ich hoffe einfach, dass ich eine verständnisvolle Frau finde, die mir genügend Freiheit für ‹meine Männer› geben kann», sagt er. raphael Fuhrer (23) studiert Umweltnaturwissenschaften an der <strong>ETH</strong>. Zurzeit macht er ein Urlaubssemester in China <strong>und</strong> besucht die «Capital University of Economics and Business» in Peking. Im Polykum berichtet er regelmässig über seine Erlebnisse. rafuhrer@student.ethz.ch in China leben beinahe alle Homosexuellen in einer heterosexuellen Beziehung.