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Unterstützte Kommunikation - Haus Hall

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63<br />

Themen dieser Ausgabe:<br />

<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong><br />

Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Aktuelles


2<br />

Vorwort<br />

Inhaltsübersicht<br />

Impressum<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

oft sagt ein Bild mehr als 1000 Worte. Auf der Suche nach Bildern für diese<br />

LUPE sind wir auf die Cartoons von Christian BOB Born gestoßen. Der<br />

Freiburger Zeichner greift soziale Themen auf seine Weise auf: mit scharfer<br />

Feder und genauso scharfer Zunge. Regelmäßig findet man seine treffsicheren<br />

Werke etwa in der „Orientierung“, der evangelischen Fachzeitschrift der<br />

Behindertenhilfe. Und nun also auch in dieser LUPE.<br />

„Selbstbestimmung für Menschen mit geistiger Behinderung“ ist das<br />

Schwerpunktthema, das die Leitungskonferenz von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> diesem Heft<br />

als Aufgabe gestellt hat. Das Thema steckt voller Widersprüche. Es polarisiert,<br />

ohne dass Freund und Feind klar zu unterscheiden wären. Es hat den<br />

Charakter eines (vorübergehenden?) Modetrends und ist doch in seinen<br />

Kernfragen absolut ernst zu nehmen.<br />

Die Debatte wird in Deutschland hauptsächlich von den akademischen<br />

Fachleuten geführt, aber die Auswirkungen der Diskussion beeinflussen die<br />

Betreuung vor Ort erheblich. Von den Mitarbeitern wird erwartet, dass<br />

sie sich umstellen – in ihrer Haltung und Beziehungsgestaltung gegenüber<br />

den Menschen mit geistiger Behinderung. Im Alltag – jenseits der Grundsatzdiskussionen<br />

- zeigt sich, dass Selbstbestimmung nur zu realisieren ist,<br />

wenn unterschiedliche Interessen ausbalanciert werden. Sind also<br />

Kompromisslösungen gefragt? Andererseits: „Selbstbestimmung“ ist doch<br />

ein absoluter Anspruch, der unteilbar ist? Oder doch nicht? Was meinen Sie?<br />

Frohe Ostern und eine schöne Frühjahrszeit wünscht<br />

Michel Hülskemper, Redaktion LUPE<br />

<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong> S. 3<br />

Zur Selbstbestimmung assistieren? S. 7<br />

Aktuelles S. 15<br />

Die LUPE – Zeitschrift der Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, Nr. 63, 12.03.08<br />

Herausgeber: Bischöfliche Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, Dr. Thomas Bröcheler, Direktor<br />

Tungerloh-Capellen 4, 48712 Gescher<br />

Redaktion: Michel Hülskemper, Öffentlichkeitsreferent<br />

Tel. 02542-703-1006, Fax: 703-1908, michel.huelskemper@haushall.de<br />

Bilder: Wolfgang Bäuchle, Boardmaker, Christian BOB Born, Maik Büger,<br />

Peter Hagemann, Magdalena Heilers, Ansgar Höing, Michel Hülskemper,<br />

Andreas Kaatz, Gernot Kaup, Sabine Leson, Stefan Nierychlo, Peter Schneider,<br />

Johannes Tepaße, Udo van Almsick, Anton Visschedijk, Gerda Wegmann<br />

sowie aus dem Bestand von Wohn- und Arbeitsgruppen.<br />

Produktion: antek Werbekontor, Gescher<br />

Auflage: 2.600 Expl.<br />

Vertrieb: Kostenlose Ausgabe in allen Einrichtungen von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> an jeden Interessierten<br />

Postbezug: Mechtild Belker, Tel.: 02542 - 703-1001<br />

Konto: Nr. 53 000 329 Sparkasse Westmünsterland BLZ 401 545 30<br />

© <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, 2008<br />

www.haushall.de


Justine zeigt, was sie sagen will<br />

Mit einem fröhlichen „Hiiiiii“ begrüßt<br />

die siebenjährige Justine morgens<br />

ihre Mitschüler und Lehrer.<br />

Sogleich nimmt sie im Stuhlkreis<br />

Platz und beteiligt sich am alltäglichen<br />

Begrüßungslied, indem sie<br />

die jeweiligen Namensgebärden in<br />

der Klasse (diese sind selbst ausgedacht<br />

und zeigen etwas Typisches<br />

der jeweiligen Person) lautsprachlich<br />

begleitet. Anschließend wird der Ablauf<br />

des Unterrichtstages besprochen<br />

und mittels Symbolkarten an<br />

einem farblich gestalteten Stundenplan<br />

festgehalten. Sowohl durch<br />

bereits erlernte Gebärden (beispielsweise<br />

für „Frühstück“ oder „Pause“)<br />

als auch durch das „Erlesen“ der<br />

Stundenplansymbole kann Justine<br />

sich aktiv bei der gemeinsamen<br />

Tagesplanung beteiligen.<br />

Im Rahmen der darauf folgenden<br />

Einzelförderung lernt sie nach und<br />

nach neue Gebärden kennen. Mittels<br />

verschiedener Übungen, wie z.B.<br />

Spiele, Lieder oder Bilderbücher,<br />

werden diese erprobt und in spätere<br />

Tagesabläufe integriert und gefestigt.<br />

Stolz zeigt Justine jedes Mal die<br />

heute neu erlernte Gebärdenkarte<br />

ihren Mitschülern und heftet diese<br />

an das Gebärdenplakat in der Klasse.<br />

Die Karte beinhaltet ein Foto der<br />

jeweiligen Gebärde sowie das entsprechende<br />

Bildsymbol. So wird auch<br />

ihren Mitschülern und Lehrern die<br />

Aneignung neuer Gebärden ermöglicht,<br />

um sich mit Justine unterhalten<br />

zu können. Die anderen Kinder<br />

kommen neugierig und interessiert<br />

angerannt und wollen die neue<br />

Gebärde sofort einüben. Justine hilft<br />

dabei gerne mit und präsentiert<br />

den anderen Kindern das bereits<br />

Erlernte. Durch das Abheften der<br />

neuen Gebärdenkarte im Mitteil-<br />

<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong><br />

Randi und Elvira haben sich etwas<br />

zu erzählen. Mit dem GoTalk 20+<br />

verstehen sie sich prima. Der Talker in<br />

Randis Hand spricht stellvertretend.<br />

Sie braucht nur die entsprechenden<br />

Tasten zu drücken und Elvira kann<br />

direkt antworten. Ein „Lehrer“ zum<br />

Übersetzen ist so nicht mehr nötig. Es<br />

ist eine Situation aus dem Unterricht<br />

in unserer Förderschule.<br />

Menschen, die sich nicht oder nur<br />

schwer mit Worten verständigen können,<br />

gibt es viele in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>.<br />

Trotzdem wollen sie sich mitteilen und<br />

wahrgenommen werden. „<strong>Unterstützte</strong><br />

<strong>Kommunikation</strong>“ ist die Sammelbezeichnung<br />

für eine große Zahl<br />

von Methoden und Hilfsmitteln, die<br />

ihnen helfen können. Davon inspiriert<br />

haben schon viele Mitarbeiter neue<br />

Wege entdeckt, damit Schüler, Beschäftigte<br />

und Bewohner mehr<br />

Ausdrucksmittel zur Verfügung haben.<br />

(Die LUPE Nr. 58 berichtete ausführlich.)<br />

Hier in dieser Ausgabe finden<br />

Sie aktuelle Beispiele und einen<br />

Zwischenbericht zum Stand der Dinge.<br />

SN / Red.<br />

ungsheft ist es auch Justines Familie<br />

möglich, ihre neuen Handbewegungen<br />

zu verstehen.<br />

In verschiedenen Phasen des<br />

Schultages - ob im Erzählkreis, im<br />

Musikunterricht oder während des<br />

Frühstücks - kann sie sich mit Hilfe<br />

von Gebärden aktiv einbringen und<br />

teilhaben. Darüber hinaus unterstützt<br />

diese Form der <strong>Kommunikation</strong><br />

ihre lautsprachliche Entwicklung.<br />

Justine hat viel Spaß am<br />

gemeinsamen Tun und nutzt hierzu<br />

mehr und mehr Hände und Stimme.<br />

Anne Nix, Förderschule<br />

Lupe 63 - 2008 3


<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong><br />

4<br />

Nicole hat ein <strong>Kommunikation</strong>sbuch<br />

Nicole ist 29 Jahre jung. Sie ist<br />

eine ruhige, unauffällige Person. Sie<br />

spricht nicht und benötigt eine alternative<br />

Sprachmöglichkeit.<br />

Da sie es liebt, Fotos und Bilder<br />

zu betrachten, bieten wir ihr ein<br />

<strong>Kommunikation</strong>sbuch an. Es ist ein<br />

Kalenderbuch in DIN A 5 Größe; für<br />

jeden Tag gibt es eine Seite. Mithilfe<br />

dieses Buchs und den darin eingeklebten<br />

Fotos, Zeichnungen und<br />

Symbolen kann sie verschiedenste<br />

Dinge erzählen: über ihre Interessen,<br />

ihren Arbeitsalltag, Ausflüge am<br />

Wochenende, Urlaub usw. Aber auch<br />

für sie nicht angenehme Dinge kann<br />

sie hiermit ausdrücken, zum Beispiel<br />

Arztbesuche.<br />

Um den Umgang zu vereinfachen,<br />

hatte eine Kollegin die Idee, am<br />

Ende des Kalenders einen Briefumschlag<br />

zu kleben, in dem wiederkehrende<br />

Ereignisse (Discobesuch,<br />

Geburtstage etc.) griffbereit vorhanden<br />

sind und leicht hervorgeholt<br />

werden können.<br />

Damit neue Informationen schnell<br />

in das Buch gelangen, hat Nicole<br />

diese <strong>Kommunikation</strong>shilfe im Alltag<br />

immer dabei, so dass die Kollegen<br />

in der Werkstatt ebenfalls das Buch<br />

bestücken können. Die Zusammenarbeit<br />

mit der Gruppe 2 vom<br />

2.Lebensraum in Gescher funktioniert<br />

sehr gut.<br />

Wir vom Team der Wohngruppe<br />

Lukas haben festgestellt, dass Nicole<br />

offener ihrer Umwelt gegenüber ist,<br />

seitdem sie das Ich-Buch besitzt.<br />

Ihre gesamte Körperhaltung hat sich<br />

verbessert: Sie saß vorher zusammengesunken<br />

und den Kopf häufig<br />

nach unten geneigt; jetzt sucht sie<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Zeit für ein Gespräch mit einem ganz persönlichen Medium. Die Verständigung<br />

von Mensch zu Mensch kann auch über das Zeigen und gemeinsame Betrachten<br />

von Bildern gelingen.<br />

den Blickkontakt und versucht mittels<br />

Blicken etwas mitzuteilen. Wenn<br />

man mit Nicole zusammen das Buch<br />

durchschaut, versucht sie zu lautieren<br />

und spricht einzelne Wörter leise<br />

nach.<br />

Fazit: Mit dem <strong>Kommunikation</strong>sbuch<br />

hat Nicole einen neuen Weg gefunden,<br />

mit den Menschen in ihrer<br />

Umgebung in Kontakt zu treten.<br />

Esther Grzymalla,<br />

AWG Lukas, Stadtlohn<br />

<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong> (UK)<br />

ist ein ganzes System von Methoden<br />

und Hilfsmittel. Man unterscheidet<br />

zwischen: Handzeichen<br />

(Gebärdensprache und andere Zeichen,<br />

die mit der Hand ausgeführt<br />

werden) graphischen Zeichen/<br />

Symbole (in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> wird mit den<br />

Programmen Boardmaker undMetacom<br />

gearbeitet) und greifbaren<br />

Zeichen (Realgegenstände).<br />

Der Anwendungsbereich der UK ist<br />

sehr groß und multimodal zu sehen.<br />

In den Außenwohngruppen<br />

kann UK eine Rolle spielen beispielsweise<br />

bei der Visualisierung<br />

von Aufgaben, der Strukturierung<br />

von Tagesablauf und Wochenablauf<br />

in Form von Symbolen und bei der<br />

Visualisierung von Dienstzeiten der<br />

Betreuer. EG<br />

»sprechen« »verstehen« »zählen«


Joe benutzt jetzt einen Talker<br />

Joe ist sehr lebendig und gerne mitten<br />

im Geschehen. Sein Verständnis<br />

ist wie sein Mitteilungsbedürfnis<br />

Joe ist stolz auf seinen Talker. Das Gerät ist vielseitig<br />

einsetzbar und ausbaufähig.<br />

sehr hoch. Leider kann er nur eingeschränkt<br />

mit anderen Beschäftigten<br />

kommunizieren. Ab und an spricht er<br />

einzelne Wörter oder halbe Sätze.<br />

Joe scherzt gerne mit anderen, aber<br />

kann selten eine direkte Antwort geben.<br />

Anfang 2007 habe ich Joe zu dem<br />

Projekt „<strong>Unterstützte</strong> Kommunika-<br />

Markus arbeitet seit März 2007 intensiv<br />

mit Hilfsmitteln zur <strong>Kommunikation</strong>.<br />

Seine Tagesstruktur findet<br />

er auf seiner Fotoleiste in der Wohngruppe<br />

und bei uns in 2. Lebensraum<br />

tion“ angemeldet. Zuerst musste ich<br />

davon ein paar Grundlagen lernen.<br />

Nachdem ich einige Fortbildungskurse<br />

besucht hatte,<br />

suchte ich zusammen<br />

mit den<br />

Kollegen von der<br />

Viktor-Gruppe, wo<br />

Joe wohnt, und der<br />

Logopädin Sabine<br />

Leson nach einem<br />

geeigneten Hilfsmittel<br />

für ihn.<br />

Anfangs habe ich<br />

Ja- und Nein-Karten<br />

angefertigt, die<br />

Joe aber verweiger-<br />

te, da er von anderen<br />

Beschäftigten<br />

ausgelacht wurde.<br />

Da Joe motorisch<br />

eingeschränkt ist, kam uns die Idee,<br />

den GO TALK 20+ zu beantragen. Weil<br />

Joe auch ein wenig technikbegeistert<br />

ist, nahmen wir an, es wäre für<br />

ihn kein Problem, diesen zu bedienen.<br />

Wir haben den Talker mit realen<br />

Fotos bestückt. Joe hat direkt verstanden,<br />

wie alles funktioniert.<br />

Seit ein paar Wochen ist der Talker<br />

der Werkstatt wieder. Die Leiste zeigt<br />

ihm auch den Betreuer für die jeweilige<br />

Woche, der für ihn zuständig ist<br />

und an den er sich wenden soll,<br />

wenn er Wünsche hat. Weiterhin ist<br />

dort sein Arbeitsablauf<br />

festgelegt,<br />

wie z.B.: Material<br />

holen, malen, dann<br />

die Arbeitsphase,<br />

Frühstücksphase<br />

und wieder die<br />

Arbeitsphase vor<br />

dem Mittagessen.<br />

Nach dem Mittagessen<br />

wird dann<br />

die Fotoleiste mit<br />

Markus neu zusammengestellt.<br />

<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong><br />

Vor kurzem habe<br />

ich ihm einen Ordner<br />

angelegt, wo<br />

nun hier in der WfbM im Gebrauch.<br />

Jeden Morgen fängt Joe direkt an,<br />

mit dem Talker etwas zu trinken zu<br />

kaufen. Anschließend macht er mich<br />

darauf aufmerksam, dass er einen<br />

Flaschenöffner braucht. So geht es<br />

dann den ganzen Tag weiter, bis er<br />

mir kurz vor Feierabend Bescheid<br />

sagt, dass er Theo noch mit zum Bus<br />

nehmen muss. Es ist schön, endlich<br />

mal eine klare Antwort zu bekommen.<br />

Täglich fallen einem neue<br />

Dinge ein, womit man den Talker<br />

noch ausbauen kann. Joe ist momentan<br />

in der WfbM Stadtlohn die<br />

einzige Person mit einem elektronischen<br />

Hilfsmittel. Der Talker wird von<br />

allen Beschäftigten akzeptiert. Joe<br />

hat damit große Neugier geweckt<br />

und alle arbeiten gern mit ihm zusammen.<br />

Und Joe gibt mir zu verstehen,<br />

dass er damit sehr zufrieden ist.<br />

Eva Horst, Werkstatt Stadtlohn<br />

GO TALK 20+ ist ein Sprachausgabe-Gerät.<br />

Die Tasten können beliebig<br />

mit Bildern gestaltet werden.<br />

Eine entsprechende Tonaufnahme<br />

wird hinterlegt und auf Tastendruck<br />

ausgesprochen.<br />

Markus sagt es mit seinem Fotoordner<br />

Markus zeigt seinem Arbeitsbetreuer per Bildordner, was<br />

er als nächstes tun will.<br />

verschiedene Fotos von Situationen<br />

und Lebensmitteln abgebildet sind.<br />

Mit dem Ordner kann er mir seine<br />

Bedürfnisse und körperliche Befindlichkeit<br />

zeigen z.B.: Toilettengang,<br />

Kaffee trinken, Kopfschmerzen, usw.<br />

Mit diesem Ordner soll er in Zukunft<br />

mit uns Betreuern in der Werkstatt<br />

und im Wohnheim kommunizieren<br />

können. Mit anderen Beschäftigten<br />

ist das zurzeit nicht möglich, aber in<br />

weiter Ferne nicht auszuschließen.<br />

Markus erkennt aber seine Kollegen<br />

und fragt nach ihnen, indem er auf<br />

das Foto der jeweiligen Person zeigt,<br />

wenn sie nicht anwesend sind. Wir<br />

stehen noch ganz am Anfang und es<br />

wird noch ein langer Weg für Markus,<br />

da ihm diese <strong>Kommunikation</strong>sform<br />

noch etwas fremd ist.<br />

Martin Honczar, 2.Lebensraum<br />

Marienburg<br />

Lupe 63 - 2008 5


<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong><br />

Vrbesserungsideen<br />

Nach den ersten Monaten des<br />

Projektes fassen Mitarbeiter zusammen,<br />

was noch verbessert werden<br />

muss: Notwendig ist die gemeinsame<br />

Verständigung im Team vor Ort;<br />

Kollegen sind entsprechend zu qualifizieren.<br />

Sinnvoll wäre eine klare<br />

Vereinbarung mit der Leitung darüber,<br />

welche Ressourcen zur Verfügung<br />

stehen (Arbeitszeit, Material,<br />

etc.). Die bereichsübergreifende<br />

Zusammenarbeit und die<br />

Vernetzung sind noch unzureichend.<br />

CG / Red.<br />

Machen Sie weiter!<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen in<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, im System der <strong>Unterstützte</strong>n<br />

<strong>Kommunikation</strong> lassen sich viele<br />

Anregungen finden; sie helfen,<br />

den Alltag besser zu bewältigen und<br />

Sicherheit zu bekommen. In den<br />

Fortbildungen, die ich in den letzten<br />

Jahren zu diesen Themen in<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> gegeben habe, wurden<br />

von vielen Kolleginnen und Kollegen<br />

sehr individuelle und kreative Ideen<br />

für einzelne Klienten vorgestellt<br />

oder neu entwickelt. Durch die übergreifend<br />

arbeitende Projektgruppe<br />

„<strong>Unterstützte</strong> <strong>Kommunikation</strong>“ findet<br />

ein ständiger Austausch statt<br />

und die vielfältigen Anregungen<br />

halten Einzug in den Alltag von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>. Vielleicht hat der Eine<br />

oder Andere jetzt Lust und Interesse<br />

bekommen, mehr über die <strong>Unterstützte</strong><br />

<strong>Kommunikation</strong> zu erfahren<br />

und informiert sich bei Kolleginnen<br />

und Kollegen oder nimmt an einer<br />

der nächsten Fortbildungen zum<br />

Thema teil.<br />

Kerstin Rüster, Neuerkerode<br />

Kerstin Rüster ist<br />

Mitarbeiterin in der Evangelischen<br />

Stiftung Neuerkerode bei Bremen.<br />

Sie ist dort als Fachkraft in der<br />

Beratungsstelle für <strong>Unterstützte</strong><br />

<strong>Kommunikation</strong> tätig und hat bereits<br />

viele Fortbildungsveranstaltungen<br />

in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> durchgeführt.<br />

Kontakt: www.neuerkerode.de<br />

6<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Projekt-Zwischenbericht<br />

2006 wurden die Leitlinien zur<br />

<strong>Unterstützte</strong>n <strong>Kommunikation</strong> in der<br />

Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> verabschiedet<br />

und das Projekt zu ihrer Einführung<br />

und Umsetzung in Gang gesetzt.<br />

Das Projekt war ursprünglich bis<br />

31.12.07 befristet; das Projektende<br />

ist nun für Herbst 2008 angesetzt.<br />

In der Projektsteuerung arbeiten<br />

Stefan Nierychlo (Schule), Lisa<br />

Panknin (Wohnen), Sabine Leson<br />

(Eule) und Maria Buxel (Werkstätten)<br />

sowie Christine Goltz (EuLe) als<br />

Leiterin.<br />

Die Steuerungsgruppe hat an folgenden<br />

Themen gearbeitet: Maßnahmen<br />

zur Besprechung und Bekanntmachung<br />

der Leitlinien in der<br />

Stiftung, Kriterien zur Benennung<br />

und Auswahl von Projektteilnehmern,<br />

Erstellung einer Dokumentationsstruktur<br />

im Projektverlauf,<br />

Entwicklung und Aufbau einer Unterstruktur<br />

in den Bereichen, Software<br />

UK – Bereitstellung von UK im EDV-<br />

Netz von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>.<br />

Insgesamt nehmen 21 Menschen<br />

mit Behinderung am Projekt teil<br />

(Kindergarten 2, Schule 2, Bereich<br />

6, Wohnen 11 Teilnehmer) aus<br />

allen Alterstufen. Es arbeiten mit<br />

Gebärden: 10 Personen, mit Talkern<br />

bzw. elektronischen Hilfsmitteln:<br />

7 Personen, mit Ich-Büchern, Pictogrammen:<br />

9 Perso-nen.<br />

Die Projektarbeit mit einer Teilnehmerin<br />

ist erst einmal ausgesetzt worden,<br />

da sie neue bzw. andere Ansätze<br />

unterstützt zu kommunizieren<br />

ablehnt.<br />

In den Bereichen Werkstatt, Schule<br />

und Wohnen haben sich Unterstrukturen<br />

im Projekt entwickelt, die die<br />

Umsetzung und Arbeit im Projekt<br />

vorantreiben und begleiten. Eine<br />

weitere Untergruppe übernimmt<br />

konkrete Arbeitsaufträge, z.B. die<br />

Auswahl der Gebärden und Pictogramme<br />

für die PC-Struktur.<br />

Das Projekt wird von Fortbildungen<br />

und Praxisreflexion begleitet.<br />

Christine Goltz, Abtlg.Fortbildung<br />

Sharon, Pia und der Jelly Bean. Die Mädchen bedienen den Ventilator mit Hilfe<br />

des PowerLinks. Wichtig bei diesem Spiel: aufeinander achten (wer drückt gerade).<br />

Dies ist auch in der <strong>Kommunikation</strong>sanbahnung ein wichtiger Aspekt, da man<br />

während eines Gespräches auf sein Gegenüber achten muss (Blickkontakt, wer<br />

spricht usw.). SL


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Auch bei Schwerstbehinderung!<br />

In der Diskussion um Selbstbestimmung vergessen wir häufig Menschen<br />

mit schwerster Behinderung. Wir sprechen ihnen zwar nicht das Recht auf<br />

Selbstbestimmung ab, aber die praktische Umsetzung erscheint uns<br />

schwierig bis unmöglich.<br />

Selbstbestimmung bedeutet, dass<br />

eine Person ihre eigenen Vorstellungen,<br />

ihre Wünsche, ihr eigenes<br />

Wollen in wesentlichen Bereichen<br />

ihres Lebens umsetzen kann. Selbständigkeit<br />

ist zwar nicht Voraussetzung<br />

für Selbstbestimmung und<br />

darf auch nicht damit verwechselt<br />

werden, aber Selbständigkeit erleichtert<br />

natürlich selbstbestimmtes<br />

Leben.<br />

Selbstbestimmung steht aus unserem<br />

christlichen Menschenbild jedem<br />

Menschen unabhängig von<br />

seinen Fähigkeiten zu - aus der<br />

Achtung vor seiner Autonomie und<br />

Würde. Jeder Mensch hat das Recht,<br />

als unverwechselbare, einmalige<br />

Person ernst genommen zu werden.<br />

„Ich habe dich bei deinem Namen<br />

gerufen“, sagt uns Jesus.<br />

Selbsttätigsein und Selbstwirkung<br />

Für Menschen mit schwerster Behinderung<br />

hat nach Maslow zunächst<br />

die Befriedigung ihrer primären<br />

Bedürfnisse Vorrang. (Maslow nennt<br />

als basale Bedürfnisse die physiologischen:<br />

Ernährung, Wärme, Ruhe,<br />

Bewegung – und die Sicherheitsbedürfnisse:<br />

Geborgenheit, Schutz<br />

und Zuverlässigkeit). Deshalb werden<br />

sich auch die Möglichkeiten der<br />

Selbstbestimmung für sie in diesem<br />

Rahmen bewegen.<br />

Außerdem muss für schwerstmehrfachbehinderte<br />

Menschen das Konzept<br />

der Selbstbestimmung erweitert<br />

werden um die beiden<br />

Dimensionen: Selbsttätigsein und<br />

Selbstwirkung.<br />

Selbsttätigsein ist jede Form der<br />

selbst gesteuerten motorischen<br />

Aktivität. Selbsttätigsein ermöglicht<br />

eigenständige <strong>Kommunikation</strong> und<br />

ist Voraussetzung zur Erfahrung<br />

der Selbstwirkung. Selbsttätigsein<br />

macht unabhängiger, weil ein<br />

„Möglichkeitsraum“ eröffnet wird.<br />

Ein Beispiel: Jemand der seinen Arm<br />

hebt und etwas berührt, erfährt,<br />

dass er etwas in Bewegung setzt<br />

(seine persönliche Wirksamkeit),<br />

kann sich dadurch mitteilen, hat<br />

sich „entschieden“ (z.B. für die<br />

Bewegung), auch wenn dies kein<br />

bewusster kognitiver Entscheidungsprozess<br />

ist.<br />

Selbstwirkung bedeutet die Erfahrung,<br />

dass eigenes Tun etwas bewirkt;<br />

eine Eigenbewegung, eine eigene<br />

Handlung wird rezeptorisch<br />

über die Sinne (noch nicht als bewusste<br />

Aktivität) erlebt und gleichzeitig<br />

können die damit verbundenen,<br />

selbst ausgelösten Wirkungen<br />

wahrgenommen werden. Durch<br />

die wiederholte Erfahrung verknüpfen<br />

sich Handlung und Wirkung<br />

zur Selbst-Wirkung. Ein Beispiel:<br />

Jemand, der seinen Arm zufällig/spontan<br />

bewegt und damit einen<br />

herabhängenden Glockenstrang<br />

berührt und dann hört, dass eine<br />

Glocke erklingt, hat seine Bewegung<br />

über die Propriorezeptoren und einen<br />

Berührungsreiz über den Hautsinn<br />

wahrgenommen, hat zeitgleich<br />

einen Klang gehört (wahrgenommen)<br />

und lernt seine persönliche<br />

„Wirksamkeit“ (bei mehrfacher<br />

Wiederholung).<br />

In der Konsequenz bedeutet dies,<br />

dass sich Selbstbestimmung für<br />

schwerstbehinderte Menschen zunächst<br />

in den Lebensbereichen<br />

ereignet, in denen das Leben von<br />

ihnen im Selbst-Tätigsein, d.h. auf<br />

einer motorischen Handlungsebene<br />

gestaltet werden kann – und dass es<br />

unsere Aufgabe ist, im Alltag nach<br />

möglichst vielen Möglichkeiten der<br />

Entscheidung im Selbst-Tätigsein<br />

zu suchen.<br />

Welche Hand wäscht die andere?<br />

Ein einfaches Beispiel: Händewaschen.<br />

Mit welcher Hand beginnen?<br />

Selbstbestimmung ermöglichen<br />

würde bedeuten, den Bewohner<br />

eine Hand „reichen“ lassen<br />

(kleinste Bewegungen aufgreifen)<br />

statt eine Hand zu ergreifen – selbst<br />

wenn die Bewegung zunächst zufällig<br />

wäre. Indem die Bewegung aufgegriffen<br />

wird und damit Wir-<br />

Ein unmöglicher Job?<br />

Zur Selbstbestimmung assistieren –<br />

das ist doch eine unmögliche Formulierung,<br />

oder? Passt einfach nicht<br />

so richtig, wie so vieles, wenn es um<br />

Selbstbestimmung für Menschen mit<br />

geistiger Behinderung geht. Als<br />

Indien sich gegen seine Kolonialmacht<br />

England auflehnte, war es ein<br />

klarer Fall: der Kampf des Volkes<br />

für seine Selbstbestimmung, gegen<br />

seine Unterdrücker. Aber wenn es<br />

heute um Selbstbestimmung für<br />

Menschen mit Behinderung geht,<br />

sind es meist Pädagogen, die von<br />

Berufs wegen stellvertretend das<br />

Wort ergreifen.<br />

In der deutschen Behindertenhilfe<br />

ist das Thema angesagt und auch in<br />

der Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> steht es auf<br />

der Tagesordnung vieler Sitzungen.<br />

Zufall oder nicht: Die Diskussionen<br />

fallen in eine Zeit, in der die Preise<br />

für Betreuungsleistungen eine große<br />

Rolle spielen. Da kommt es dann<br />

schon einmal vor, dass individuelles<br />

Wohnen mit selbstbestimmtem Wohnen<br />

gleichgesetzt wird; dann ist der<br />

Auszug ins ambulant betreute<br />

Wohnen schnell vollzogen und billiger<br />

wird es auch noch, jedenfalls für<br />

den Kostenträger Landschaftsverband,<br />

der sich freut.<br />

Wenn in diesen Zeiten jemand für<br />

die Leitidee von Schutz und Fürsorge<br />

eintritt und sagt, dass es gerade<br />

ein Merkmal der geistigen Behinderung<br />

ist, dass die betroffenen<br />

Menschen niemals im vollen Sinne<br />

selbstbestimmt leben können – gehört<br />

der schon zu den ewig Gestrigen?<br />

Das Thema „Selbstbestimmung für<br />

Menschen mit geistiger Behinderung“<br />

steckt voller Ungereimtheiten.<br />

Es liegt ein großes Spannungsfeld<br />

zwischen der fürsorglichen Betreuung<br />

hilfsbedürftiger Menschen im<br />

Schonraum und ihrer Emanzipation<br />

innerhalb oder außerhalb einer<br />

Einrichtung. Da hilft es wenig, die<br />

Forderung nach Selbstbestimmung<br />

einfach nur als Parole, der keiner<br />

widersprechen will, zu wiederholen;<br />

notwendig ist vielmehr, die Chancen<br />

und Widersprüche im Alltag unter<br />

die Lupe zu nehmen.<br />

Michel Hülskemper, LUPE<br />

Lupe 63 - 2008 7


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

8<br />

»<br />

Ich habe hier viele Freiheiten,<br />

aber andererseits<br />

Stellen Sie sich mal vor, Sie wären<br />

erwachsen. Und ein anderer<br />

Mensch sagt Ihnen, wann Sie<br />

abends zuhause sein und ins<br />

Bett gehen sollen. Bei der Arbeit<br />

fordert Sie eine Person auf, die<br />

jünger ist als Sie es sind, zur<br />

Toilette zu gehen, obwohl Sie<br />

gar nicht müssen, und bleibt<br />

dann vor der WC-Tür stehen.<br />

Und wieder eine andere Person<br />

sagt Ihnen, wo Sie demnächst<br />

wohnen werden und mit wem<br />

und dass es leider nicht anders<br />

geht und dass nun alle gemeinsam<br />

einen schönen Spaziergang<br />

machen werden.<br />

Aus dem Leitbild<br />

von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, 2001. Den ganzen<br />

Text finden Sie unter:<br />

www.haushall.de/Stiftung/LeitBild<br />

Lupe 63 - 2008<br />

kung erzielt (die Hand wird ergriffen,<br />

als erste gewaschen und am besten<br />

wird dies noch benannt),<br />

erhält sie auf die Dauer ihren kommunikativen<br />

Sinn und damit das<br />

Potential einer Entscheidung. Das<br />

ist Selbstbestimmung.<br />

Damit wird auch deutlich: Eine<br />

schwerste geistige Behinderung begrenzt<br />

nicht die Möglichkeit zur<br />

Selbstbestimmung; sie begrenzt nur<br />

den Entscheidungsraum, in dem<br />

Selbstbestimmung sich ereignet,<br />

sich entfaltet. Daraus ergibt sich für<br />

uns der Auftrag: Ausschau zu halten<br />

nach den kleinsten Möglichkeiten,<br />

diese Freiräume bereitzustellen und<br />

damit auch den schwerstbehinderten<br />

Menschen Entscheidungsmöglichkeiten<br />

zu eröffnen.<br />

Wer bestimmt?<br />

Ein weiteres Beispiel als selbstkritische<br />

Frage: Wer bestimmt das<br />

Tempo bei einem Spaziergang? Was<br />

ist, wenn der Bewohner zwischendurch<br />

stehen bleibt? Lässt der Mitarbeiter<br />

das zu? Was ist, wenn der<br />

Mitarbeiter einen Kollegen trifft<br />

und stehen bleibt? Muss dann der<br />

Bewohner auch stehen bleiben? Was<br />

ist, wenn er weiterzieht?<br />

Damit wird auch deutlich, dass<br />

Selbstbestimmung bei schwerstbehinderten<br />

Menschen immer ein<br />

soziales Geschehen ist, denn Abhängigkeit<br />

von anderen Personen<br />

kennzeichnet das Leben schwerst-<br />

geistig- oder schwerstmehrfachbehinderter<br />

Menschen. Sie sind abhängig<br />

auch in der Selbstbestimmung,<br />

was paradox ist.<br />

Damit Selbstbestimmung gelingt,<br />

ist eine förderliche personale Beziehung<br />

erforderlich, die sich<br />

nicht auf Dienstleistung begrenzt,<br />

die aber auch nicht durch Fürsorglichkeit<br />

erdrückt, denn Geborgenheit<br />

ohne die Chance auf<br />

selbstbestimmtes Handeln wird zum<br />

Gefängnis. Gefragt sind Einfühlungsvermögen<br />

und Achtsamkeit,<br />

das Verständnis und Ernstnehmen<br />

nonverbaler Signale und die Reflektion<br />

der Abhängigkeit. Und das<br />

ist Nächsten-Liebe im besten Sinne:<br />

„Was willst du, dass ich dir tue?“<br />

Stephanie Pohl,<br />

Bereichsleiterin<br />

Wohnen


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Selbstbestimmung im Zweiten Lebensraum<br />

Eine der sieben Abteilungen der Werkstatt bietet insbesondere Arbeitsplätze für Menschen mit schwerster<br />

Behinderung. Für diesen Personenkreis bedeutet Teilhabe am Arbeitsleben auch: ein Beziehungsangebot,<br />

Sinneserfahrung und Tagesstruktur. „Zweiter Lebensraum“ ist in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> die Bezeichnung für diese Abteilung.<br />

Was bedeutet hier „Selbstbestimmung“? Red.<br />

Neue Erfahrungsräume eröffnen<br />

Die Möglichkeit, selbstbestimmt leben<br />

zu können bleibt für alle Menschen<br />

relativ. Kernelement für selbst<br />

bestimmtes Leben ist es, Bedürfnisse<br />

zu entwickeln und eigenständig entscheiden<br />

zu können. Bei unseren<br />

schwerstbehinderten Menschen setze<br />

ich selbstverständlich im lebenspraktischen<br />

Bereich an. Sie drücken ihre<br />

Bedürfnisse und Vorlieben in ihrer<br />

eigenen Sprache aus. Als Mitarbeiterin<br />

bin ich gefordert, dies zu verstehen<br />

und eine echte Beziehung zu<br />

dem Menschen aufzubauen. Ich<br />

begleite den schwerstbehinderten<br />

Menschen dabei, seine selbst bestimmten<br />

Entscheidungen umzusetzen.<br />

Ich unterstütze ihn, seine<br />

Fähigkeiten zu entwickeln, und wo es<br />

nötig ist, werde ich einige Schritte<br />

mit ihm gehen. Dadurch kann ich<br />

neue Erfahrungsspielräume eröffnen.<br />

Wenn ich z.B. weiß, dass jemand<br />

schnelle Bewegungen liebt,<br />

kann ich ihn eine Achterbahnfahrt<br />

erleben lassen.<br />

Natürlich gibt es auch Grenzen der<br />

Selbstbestimmung. Beispielsweise<br />

bin ich als Mitarbeiterin immer gefordert,<br />

Schaden von einer Person<br />

abzuwenden, wenn sie selbst Gefahren<br />

nicht einschätzen kann. Dies<br />

sollte jedoch nicht in dem fremdbestimmten<br />

Sinne geschehen: „Ich<br />

weiß besser, was gut für dich ist“,<br />

sondern in einer echten Auseinandersetzung.<br />

Dazu muss ich auch meine<br />

eigenen Vorlieben, Abneigungen<br />

und Ängste reflektieren. So ist es<br />

möglich, dass jeder vom anderen<br />

lernt und beidseitig können Grenzen<br />

respektiert werden.<br />

Maria Buxel,<br />

Abteilungsleitung<br />

WfbM<br />

2. Lebensraum<br />

Matthias entscheidet selbst<br />

Die Kompetenz, selbstbestimmt zu<br />

handeln, kann man besonders bei<br />

Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderungen<br />

nicht immer voraussetzen.<br />

Selbstbestimmung muss daher<br />

in vielen Fällen erst erlernt und<br />

geübt werden. Maßgeblich für die<br />

Auswahl der Ziele sind nicht die fehlenden<br />

Fertigkeiten, sondern die<br />

Bedürfnisse und Interessen der<br />

Menschen.<br />

Seit drei Jahren arbeitet Matthias<br />

im 2. Lebensraum. Zu seiner Unterstützung<br />

ist eine Fotoleiste gestaltet<br />

worden, auf der man alle Phasen des<br />

strukturierten Arbeitsalltags sehen<br />

kann, wie zum Beispiel Arbeitsphasen,<br />

Essenssituationen, Freiphasen.<br />

Die kleinen und großen Aufgaben<br />

des Alltags werden für ihn überschaubarer<br />

und deutlicher gegliedert.<br />

Nach der Arbeitsphase nimmt<br />

er beispielsweise das nächste Foto<br />

aus der Fotoleiste heraus und benennt,<br />

was er dort sieht. Er hat die<br />

Möglichkeit, aus mehreren Aktivitäten<br />

wie z.B. malen, spazieren gehen,<br />

spielen oder Katalog anschauen, eine<br />

Aktivität auszuwählen. Am liebsten<br />

geht er spazieren.<br />

Beim gemeinsamen Frühstück fällt<br />

es Matthias schwer, sich zu entscheiden,<br />

welchen Belag er auf seinem<br />

Brötchen haben möchte. Daher bieten<br />

wir ihm zunächst eine Auswahl<br />

an und geben ihm Zeit, um seine<br />

Entscheidung zu treffen. Durch Zeigen<br />

und Sprache kann Matthias seine<br />

Getränke und den Brotaufstrich<br />

selbst auswählen.<br />

Dadurch, dass Matthias selbst bestimmen<br />

kann, wird sein Selbstbewusstsein<br />

gestärkt.<br />

Irina Wart,<br />

WfbM<br />

2. Lebensraum<br />

Gescher<br />

Im Alltag häufig ein schmaler Grat<br />

In der Abteilung 2. Lebensraum gibt<br />

es im Tagesverlauf viele Möglichkeiten,<br />

unsere schwerstmehrfachbehinderten<br />

Beschäftigten gut in<br />

den Blick nehmen, um sie individuell<br />

zu fördern. Die Arbeitsphasen mit ihren<br />

unterschiedlichen Inhalten werden<br />

häufig von ihnen bestimmt.<br />

Wenn wir als Gruppenleiter die<br />

Tische für die einzelnen Arbeitsangebote<br />

herrichten oder miteinander<br />

laut über die Planung der Arbeitsphase<br />

sprechen, kommt es nicht<br />

selten vor, dass Beschäftigte durch<br />

eindeutige Gesten oder Lautäußerungen<br />

ihr favorisiertes Tätigkeitsfeld<br />

äußern. Auch zum Mittagessen<br />

zeigen einige Beschäftigte durch<br />

klare Gesten, was sie möchten, aber<br />

vor allem, was sie nicht möchten. Die<br />

Bedürfnisse der Beschäftigten müssen<br />

absolut ernst genommen und<br />

nach Möglichkeit auch erfüllt werden.<br />

Andererseits bewegen wir uns häufig<br />

auf einem schmalen Grat, wenn<br />

es um Selbstbestimmung geht. Im<br />

Alltag ist vieles aufgrund von Tagesstrukturen,<br />

von praktisch funktionierenden<br />

Abläufen oder aufgrund<br />

von Selbstüberschätzungen und sogar<br />

Selbstverletzungen nicht möglich.<br />

Vieles wird von uns Mitarbeitern<br />

vorgegeben und gesteuert. Häufig<br />

stoßen wir an Grenzen, die eine vollständige<br />

Umsetzung von selbst<br />

bestimmtem Handeln schwer, ja zum<br />

Teil unmöglich machen. Deshalb<br />

muss man im Team gut reflektieren,<br />

was zu verantworten ist und was<br />

nicht.<br />

Christian Lanfer,<br />

WfbM<br />

2. Lebensraum<br />

Gescher<br />

Lupe 63 - 2008 9


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Gewohntes verlassen<br />

In <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> tut sich im Moment<br />

sehr viel. Seit einiger Zeit gibt es<br />

Pläne, in Bocholt, Ahaus und einer<br />

weiteren Stadt neue Wohnstätten<br />

einzurichten. Die Mitarbeiter von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> wollen wissen, wie die<br />

Wünsche und Bedürfnisse der<br />

Bewohner von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> zu diesem<br />

Thema aussehen. Deshalb kamen wir<br />

im November nach <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>: 16<br />

Studenten von der Katholischen<br />

Fachhochschule Münster und unser<br />

Professor Heinrich Greving. Wir sollten<br />

herausfinden, wie die Bewohner<br />

sich ihre Zukunft vorstellen und haben<br />

deshalb zwei Open-Space-Veranstaltungen<br />

durchgeführt. Wir<br />

Studenten waren ganz gespannt<br />

darauf, wie der Tag wohl ausgehen<br />

würde und die Bewohner von <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong> dieses Angebot nutzen würden.<br />

Unser Eindruck war, dass die Bewohner<br />

sich sehr für diese Veranstaltung<br />

interessierten und große<br />

Mühen leisteten, um ihre Ansichten<br />

und Meinungen zu vertreten. So gab<br />

es viel zu erzählen, wie zum Beispiel,<br />

wie es ist, umziehen zu müssen<br />

oder seinen Arzt zu wechseln.<br />

Wir Studenten machten dabei ganz<br />

vielfältige Erfahrungen und setzten<br />

uns selbst mit eigenen Mei-nungen<br />

auseinander.<br />

Dass es ganz schön viel Mut kostet,<br />

die gewohnte Umgebung zu<br />

verlassen und einen Neuanfang woanders<br />

zu starten, war insgesamt<br />

die durchgängige Meinung von allen<br />

Beteiligten. Dass dies aber auch eine<br />

Chance sein könne und auch positive<br />

Seiten hätte, wandten andere<br />

ein. Und so stellten wir gemeinsam<br />

fest, dass es zu diesem Thema mehr<br />

als eine Meinung gibt. Und ob ausziehen<br />

nun gut oder schlecht ist,<br />

hängt ganz entscheidend von der<br />

eigenen Person ab.<br />

10<br />

Sarah Gollan u. Carsten Holterbork,<br />

Münster<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Selbstbestimmt wohnen<br />

Unter der Bezeichnung „Open space“ haben Bewohner von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

darüber diskutiert, wie sie zukünftig wohnen wollen. 16 Studierende der<br />

Katholischen Fachhochschule NW Abteilung Münster haben die beiden<br />

Tagesveranstaltungen vorbereitet, durchgeführt, ausgewertet und dokumentiert.<br />

Unterstützt wurden sie durch Prof. Dr. Heinrich Greving.<br />

Die LUPE bringt Auszüge aus ihrem Abschlussbericht.<br />

Methodisches Vorgehen<br />

Open Space ist eine Methode zur<br />

Einleitung und Bewältigung von<br />

Veränderungen. Sie wurde von<br />

Harrison Owen begründet. Open<br />

Space dient der Erarbeitung von aktuellen<br />

Themen und Anliegen, von<br />

denen der Mensch persönlich betroffen<br />

ist und bei denen ein dringender<br />

Handlungsbedarf besteht.<br />

Die Methode ist breit angelegt, wodurch<br />

sie Raum für neue Ideen und<br />

kreative Lösungen schafft. Jeder<br />

Teilnehmer kann über Hierarchiegrenzen<br />

hinweg selbst Initiative<br />

ergreifen, d.h. u. a. sich selbst einer<br />

Gruppe zuordnen und eigene Themen<br />

und Wünsche mit einbringen.<br />

Er kann sowohl Referent als auch<br />

Zuhörer sein. Die Zusammenführung<br />

und Vorstellung der Gruppenergebnisse<br />

im Plenum ermöglichen dem<br />

Einzelnen als „Experte in eigener<br />

Sache“ zu agieren und sich zu vertreten.<br />

Wir haben versucht, die Methode<br />

von Open Space an die speziellen<br />

und unterschiedlichen Bedürfnisse<br />

und Fähigkeiten der Bewohner von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> anzupassen, z. B. in Form<br />

von kleineren Gruppengrößen.<br />

Die Veranstaltungen fanden am<br />

14. und 23.11.2007 jeweils von<br />

10:00 bis 15:00 Uhr statt.<br />

Zusammensetzung der Gruppen<br />

Es wurden die Vertreter der Sprecherräte<br />

aus allen Gruppen und<br />

Interessierte eingeladen.<br />

Beim ersten Termin setzte sich die<br />

Gruppe hauptsächlich aus Bewohnern<br />

zusammen, die in Außenwohnbereichen<br />

in Gescher und Coesfeld<br />

wohnen. Die Gruppeneinteilung erfolgte<br />

durch freie Zuordnung. Die<br />

meisten Bewohner waren der Verbalsprache<br />

mächtig und so waren<br />

nur wenige Assistenten anwesend.<br />

Beim zweiten Termin bestand die<br />

Gruppe aus Bewohnern, die über-<br />

wiegend auf dem Stammgelände<br />

wohnen. Die Gruppeneinteilung erfolgte,<br />

im Gegensatz zum ersten<br />

Termin, nach dem Schwerpunkt der<br />

gewählten Methoden (Verbalsprache,<br />

Piktogramme und kreative<br />

Methoden wie Malen). Die Altersspanne<br />

der Teilnehmer reichte vom<br />

Jugend- bis zum Rentenalter. Ein<br />

Großteil der Teil-nehmer benötigte<br />

Unterstützung in der <strong>Kommunikation</strong>,<br />

so dass die Anzahl der Assistenten<br />

deutlich höher war.<br />

Karl zieht aus<br />

Zur Verdeutlichung der Thematik<br />

wurden den Teilnehmern zu Beginn<br />

zwei Geschichten in Form kurzer<br />

Theaterstücke dargestellt. Eine davon:<br />

„Das ist Karl. Karl wohnt nun<br />

schon sehr lange in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>. Er<br />

wohnt dort mit anderen Bewohnern<br />

in einer Gruppe. Karl hat einige<br />

Mitbewohner und Betreuer, die er<br />

gut kennt. Manche Bewohner mag<br />

er ganz gerne und ist mit ihnen befreundet.<br />

Karl hat ein eigenes<br />

Zimmer. Jeden Morgen geht Karl in<br />

die Werkstatt zur Arbeit. Dort trifft<br />

er seine Arbeitskollegen. In der<br />

Freizeit fährt Karl gerne mit dem<br />

Fahrrad und geht gerne spazieren.<br />

Die Betreuer von Karls Gruppe haben<br />

nun erzählt, dass sich in <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong> und in seiner Gruppe etwas verändern<br />

wird. Bald werden viele Leute,<br />

die in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> wohnen, in kleinere<br />

Wohnungen ziehen. Die sind in<br />

Ahaus, Bocholt und noch einer<br />

Stadt, die noch nicht bekannt ist.<br />

Karl gehört auch zu den Leuten, die<br />

bald in eine kleinere Wohnung ziehen.<br />

Er weiß, dass er nach Bocholt<br />

ziehen wird. Er wird dann seinen<br />

Koffer nehmen und alles einpacken,<br />

was ihm gehört und was ihm wichtig<br />

ist. Karl wird sich dann von <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong> verabschieden. Dann wird er<br />

mit dem Auto in seine neue Woh-


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

nung gefahren, in der er seine neuen<br />

Mitbewohner kennen lernt. Wie das<br />

wohl wird?“<br />

Zusammenfassung der Ergebnisse<br />

Ein sehr zentrales Thema im Bereich<br />

der Gefühle war der Umgang mit<br />

Trauer über den Verlust eines bekannten<br />

Menschen sowie des Ortes,<br />

was eine gute Begleitung erforderlich<br />

macht. Vermehrt brachten die<br />

Teilnehmer beider Gruppen ihre<br />

Angst vor einer möglichen Überforderung,<br />

die mit dem Zugewinn an<br />

Autonomie einhergehen könnte, zum<br />

Ausdruck. Auch die Angst vor dem<br />

Fremden, sowie vor einer Isolation<br />

war bei allen präsent und unterschiedlich<br />

ausgeprägt. Zugleich nahmen<br />

aber einige Teilnehmer eine<br />

Veränderung als Herausforderung<br />

und Chance war.<br />

Insgesamt zeigten die Teilnehmer<br />

beider Gruppen einen großen Informationsbedarf<br />

in Bezug auf Möglichkeiten<br />

des Wohnens und den Wunsch<br />

nach sicherer Begleitung im Verän-<br />

derungsprozess. Ihr großes Anliegen<br />

war, dass die Vertrauenspersonen ihnen<br />

helfen, Konflikte zu bewältigen.<br />

Der Wunsch nach differenzierten<br />

Wohnangeboten und der Gelegenheit<br />

zum vorherigen Kennenlernen dieser<br />

war in Gruppe 1 sehr präsent und<br />

zeigte so die sehr individuellen<br />

Vorstellungen von Wohnen.<br />

Teilnehmer beider Gruppen wünschen<br />

sich ein allumfassendes Mitspracherecht<br />

und möchten ernst genommen<br />

werden. Dies drückte sich<br />

insbesondere in dem Wunsch aus, die<br />

Open-Space-Veranstaltung zwecks<br />

einer Überprüfung der Ergebnisse zu<br />

wiederholen.<br />

Ein besonderes Interesse der Teilnehmer<br />

der Gruppe 1 war es, die<br />

Kontakte zu Freunden und Partnern<br />

nach dem Umzug weiterhin aufrechterhalten<br />

zu können. Dabei baten sie<br />

um Hilfestellung bei der Umsetzung.<br />

Auch möchten sie neue Kontakte<br />

aufbauen und Interessensgemeinschaften<br />

bilden.<br />

Unser Gesamteindruck<br />

Die Bewohner der Gruppe 1 zeigten<br />

den großen Wunsch, an Entscheidungen<br />

stärker als bisher beteiligt zu<br />

werden, auch wenn dies teilweise mit<br />

Unsicherheiten verbunden ist. Ein<br />

wichtiges Anliegen war es, Kontakte<br />

vermehrt außerhalb von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

zu knüpfen und sich stärker der<br />

Gemeinde zugehörig zu fühlen.<br />

Auf uns wirkten die Bewohner der<br />

Gruppe 2 sehr zufrieden mit den gegebenen<br />

Möglichkeiten, in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

zu wohnen und zu leben. Somit zeigte<br />

sich deutlich das Bedürfnis nach<br />

Kontinuität und Sicherheit. Dennoch<br />

war es ein großes Bestreben, die<br />

einzelnen, ihren Lebensalltag betreffenden<br />

Bereiche zu verbessern und<br />

zu erweitern.<br />

Grundlegend zeigte sich der<br />

Wunsch nach mehr Selbstbestimmung<br />

und Einflussnahme.<br />

Den vollständigen Bericht<br />

finden Sie unter www.haushall.de/<br />

Publikationen/Broschüren.<br />

Lupe 63 - 2008 11


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Impulse für das Projekt »Zukunft Wohnen«<br />

Angesichts bevorstehender Veränderungen der Wohnangebote sprechen Bewohner über ihre Vorstellungen,<br />

ihre Wünsche und Sorgen. Das war die Idee der beiden Open Space Veranstaltungen, die im Herbst stattfanden.<br />

Der Ablauf hat viele überrascht. Die Ergebnisse sind erstaunlich präzise.<br />

Im Vorfeld gab es die Befürchtung,<br />

wir würden unsere Bewohner mit einer<br />

solchen Veranstaltung völlig<br />

überfordern. Viele Mitarbeiter äußerten<br />

die Sorge, dass Bewohner<br />

nicht in der Lage sind, sich mit ihren<br />

Gefühlen und Meinungen in einem<br />

solchen Rahmen konstruktiv auseinander<br />

zu setzen. Diese kritische<br />

Sichtweise veranlasste uns, alles besonders<br />

sorgfältig und akribisch vorzubereiten.<br />

Dichte Atmosphäre<br />

Die Tagesveranstaltungen waren davon<br />

geprägt, dass die Bewohner sehr<br />

konzentriert an den Themen, die ihnen<br />

wichtig waren, gearbeitet haben<br />

– mit einer Intensität, die alle<br />

Mitarbeiter überrascht hat. Kaum einer<br />

hatte es vorher für möglich gehalten,<br />

dass die Bewohner sich so<br />

konstruktiv und differenziert mit den<br />

eher abstrakten Fragestellungen beschäftigen<br />

könnten. Für mich hat<br />

sich die Annahme völlig bestätigt,<br />

dass behinderte Menschen Experten<br />

in ihrer Sache sind, auch wenn dies<br />

in der Behindertenhilfe oft kritisch<br />

diskutiert wird. Viele Bewohner<br />

kannten sehr deutlich ihre Bedürfnisse<br />

und Wünsche und sie wissen<br />

außerdem um die Grenzen und<br />

Abhängigkeiten bei der Verwirklichung.<br />

Zum Tagesschluss haben<br />

die Teilnehmer selbst jeweils dem<br />

gesamten Plenum von rund 45 Personen<br />

– Mitbewohnern und Assistenten<br />

- vorgestellt, was sie in Kleingruppen<br />

erarbeitet hatten.<br />

Konstruktive Ergebnisse<br />

Einige Hauptpunkte lassen sich klar<br />

erkennen. Wenn es um die Neuplanung<br />

von Wohnangeboten geht,<br />

wünschen sich die Bewohner sehr<br />

deutlich und mehrheitlich Transparenz<br />

und Einbeziehung in Veränderungsprozesse<br />

- nicht nur mehr<br />

Informationen, sondern auch eine<br />

klare Mitbeteiligung. Auch das<br />

Ausprobieren neuer Wohnformen<br />

wurde häufig als Wunsch genannt.<br />

Im Zusammenleben wünschten sich<br />

12<br />

Lupe 63 - 2008<br />

die Bewohner vor allen Dingen größere<br />

Zeitfenster für Freizeitgestaltung<br />

und Gespräche. Oft wurde auch<br />

ein höherer Personalschlüssel genannt<br />

und eine geringere Fluktuation<br />

der Betreuer. Die Bewohner<br />

wünschten sich respektvolle, offene<br />

und auch gleichberechtigte Beziehungsgestaltung<br />

zu den Mitarbeitern.<br />

Was die äußeren Rahmenbedingungen<br />

für die Entwicklung neuer Wohnangebote<br />

angeht, wünschen sich die<br />

Bewohner kleinere Gruppengrößen,<br />

regelmäßige Gruppenaktivitäten und<br />

die Möglichkeit des Rückzugs, d.h.<br />

ein Einzelzimmer für jeden innerhalb<br />

differenzierter Wohnangebote. Einzelne<br />

wünschen sich die Beibehaltung<br />

bestehender Wohnformen.<br />

Die Bewohner haben vorgeschlagen,<br />

Freizeitangebote, die auf dem<br />

Stammgelände stattfinden, auch vermehrt<br />

für Menschen aus Gescher<br />

bzw. Coesfeld zugänglich zu machen<br />

und umgekehrt auch mit Freizeitgruppen<br />

das Gelände zu verlassen,<br />

um in der Stadt Teilhabe erfahren zu<br />

können.<br />

Es gab den großen Wunsch nach<br />

Erhalt des Arbeitsplatzes auch für<br />

den Fall, dass die Bewohner in eine<br />

neue Wohnstätte in einer anderen<br />

Stadt ziehen sollten.<br />

Fast alle wünschten sich mehr<br />

Autonomie in der Ausübung lebenspraktischer<br />

Tätigkeiten, z.B. in der<br />

Verwaltung ihres Geldes, und auch<br />

die Hilfestellung, um eine solche<br />

Autonomie zu erlernen und dann<br />

verantwortungsvoll leben zu können.<br />

Ein sehr wichtiges Thema gerade<br />

für die jüngeren Teilnehmer an den<br />

Veranstaltungen war die Gestaltung<br />

von Freundschaften und Partnerschaften.<br />

Dies ist nur ein sehr kleiner Auszug<br />

aus den vielfältigen Ergebnissen, die<br />

an den Tagen erarbeitet wurden.<br />

Wir müssen uns umstellen<br />

Ich war überrascht, wie diszipliniert<br />

und ernsthaft die Bewohner an den<br />

Themen gearbeitet haben und wie<br />

lange sie in der Lage waren, ihre<br />

Aufmerksamkeit und ihr Interesse so<br />

konstruktiv in die Arbeit einzubringen.<br />

Ich bin überzeugt: So müssen<br />

wir unseren Bewohnern auch im<br />

Alltag viel häufiger, ja immer begegnen,<br />

um sie nicht im Rahmen einer<br />

stationären Betreuung überzubehüten.<br />

Das Konzept von Fürsorge und<br />

Beschützen hat unsere Arbeit in<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> lange geprägt. Aber die<br />

Menschen, die wir betreuen, zeigen<br />

uns deutlich, dass sie viel mehr können.<br />

Sie weisen uns zum Glück auf<br />

ihre Rechte hin: ihr Recht auf<br />

Mitbestimmung und Teilhabe, ihr<br />

Recht, die Angelegenheiten, die sie<br />

betreffen, mitgestalten zu wollen.<br />

Wir Mitarbeiter fühlen uns manchmal<br />

zurückgedrängt oder zurückgestuft<br />

in die Rolle eines Begleiters. Auch<br />

wir müssen uns verändern: Wir haben<br />

zu lernen, Menschen mit Behinderung<br />

die Verantwortung für ihr<br />

Leben zuzugestehen und sie selbstverantwortlich<br />

handeln zu lassen,<br />

ohne sie zu verlieren. Als Mitarbeiter<br />

ist es unsere Aufgabe, sie angemessen<br />

zu begleiten und zu unterstützen<br />

in dem, was sie sich wünschen und<br />

in ihrem Leben erreichen wollen.<br />

Carsten Eberson,<br />

Wohnbereichsleiter<br />

Dezentrales<br />

Wohnen, Coesfeld<br />

Das Projekt „Zukunft Wohnen“<br />

soll in den nächsten fünf Jahren<br />

die Dezentralisierung von 72 Wohnplätzen<br />

in neue Wohnstätten vorbereiten<br />

und durchführen. Gleichzeitig<br />

sollen Konzepte zur Weiterentwicklung<br />

der gegenwärtig vorhandenen<br />

Angebote erarbeitet und realisiert<br />

werden. Red.


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Wir haben kleinere Töpfe gekauft<br />

Die frühere Außenwohngruppe „Alte Münsterstraße“ in Coesfeld ist aufgelöst; das <strong>Haus</strong> wurde umgebaut und zählt<br />

seitdem zum Ambulant Betreuten Wohnen. Ute Dahms und Rolf Höning berichten, welche Auswirkungen das für<br />

ihr Alltagsleben hat.<br />

Seit wir ins Ambulant Betreute Wohnen<br />

gewechselt sind, hat sich für uns<br />

vieles verändert. Am Anfang hatten<br />

wir viel gemischte Gefühle, da wir<br />

uns von unseren Mitbewohnern und<br />

von einigen Mitarbeitern, die wir<br />

schon lange kannten, trennen mussten.<br />

Alles ging sehr schnell und wir<br />

konnten uns nicht richtig voneinander<br />

verabschieden.<br />

Wir sind dann in unserem umgebauten<br />

<strong>Haus</strong> an der Alten Münsterstraße<br />

wohnen geblieben, aber aus<br />

einer Gruppe sind nun kleine Wohnungen<br />

entstanden, die wir schön<br />

finden. Jetzt müssen wir uns um<br />

ganz viele Dinge selber kümmern,<br />

aber dafür ist eine Mitarbeiterin da,<br />

um uns zu helfen. Lisa ist nicht<br />

jeden Tag da, aber wenn, dann nur<br />

für uns und wir besprechen dann alles,<br />

was anliegt. Wir machen Termine<br />

mit ihr aus und kaufen ein oder kochen<br />

oder machen Wäsche. Sie hilft<br />

uns beim Geld und bei den Papieren.<br />

Wir sind jetzt natürlich öfter allein,<br />

aber dafür ist es auch viel ruhiger im<br />

<strong>Haus</strong>; das ist uns sehr wichtig. Man<br />

kann sich jetzt selber überlegen, was<br />

man sich abends zum Essen macht<br />

und ob man sich Tee kocht oder so,<br />

aber man muss auch regelmäßig<br />

nachsehen, ob noch alles da ist. Wir<br />

müssen jetzt oft einkaufen gehen.<br />

Jeder hat jetzt ein eigenes Telefon<br />

und eine eigene Nummer und wir<br />

melden uns nur mit unsrem Namen.<br />

Unsere Eltern rufen jetzt auch öfter<br />

an, um zu hören, ob alles klappt.<br />

Weil wir nicht allein im <strong>Haus</strong> sind,<br />

können wir auch andere ansprechen,<br />

wenn wir Fragen haben.<br />

Am Wochenende muss man sich<br />

überlegen, was man vorhat, aber<br />

langweilig war es bis jetzt noch<br />

nicht. Wir wollen auch am Freizeitprogramm<br />

vom Betreuten Wohnen<br />

teilnehmen und neue Kontakte<br />

knüpfen mit anderen Leuten.<br />

Am Wochenende brauchen wir nur<br />

für zwei Leute zu kochen. Wir haben<br />

kleinere Töpfe gekauft. Einige<br />

Gerichte klappen schon ganz gut. Wir<br />

wollen das in der nächsten Zeit oft<br />

üben; kochen macht uns Spaß und<br />

es ist für uns wichtig.<br />

Ute Dahms und Rolf Höning<br />

im Gespräch mit Lisa Hemsing,<br />

Ambulant Betreutes Wohnen<br />

Lupe 63 - 2008 13


UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Wo sind die Gegner der Selbstbestimmung?<br />

Alle Menschen wollen und können im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben selbst bestimmen. Das leuchtet ein,<br />

oder? Neu ist es aber nicht. Warum wird dann in der Behindertenhilfe soviel darüber geredet?<br />

Die Möglichkeiten, selbstbestimmt<br />

zu leben, sind immer begrenzt durch<br />

die eigenen Fähigkeiten und das<br />

Umfeld. Selbstbestimmung bedeutet<br />

vor allem, Verantwortung für sein<br />

Leben zu übernehmen. Selbstbestimmung<br />

bedeutet nicht die Abwesenheit<br />

von Hindernissen und<br />

Fremdbestimmung. Es bedeutet, sich<br />

zu entscheiden und sich festzulegen,<br />

dem eigenen Tun Sinn und Richtung<br />

zu geben. Es bedeutet, Interessen,<br />

Vorlieben und Neigungen zu haben,<br />

aus denen Meinungen, Willensäußerungen<br />

und Absichten entstehen.<br />

Es setzt voraus, Erfahrungen<br />

und Wissen über Wahlmöglichkeiten<br />

und Alternativen, aber auch über<br />

Konsequenzen zu haben, und es erfordert,<br />

sich zu entscheiden, zu handeln<br />

und Verantwortung zu übernehmen.<br />

Ja und?<br />

Spannend wird es, wenn man fragt,<br />

warum das Thema aufgegriffen wurde<br />

und an wen sich die Diskussion<br />

richtet. Es muss ja jemanden geben,<br />

mit dem über Selbstbestimmung<br />

behinderter Menschen zu sprechen<br />

ist. Wo also sind die Gegner, die<br />

"Fremdbestimmer"?<br />

Gegen Selbstbestimmung als Leitziel<br />

kann und wird kaum jemand<br />

Position beziehen. Warum auch? Ohne<br />

Gegenüber kommt aber auch kein<br />

wirkliches Gespräch zustande. Und<br />

so erlebt der Interessierte in Diskussionen<br />

ein Nebeneinander von<br />

fachlichen Meinungen ohne erkennbaren<br />

Konflikt, ohne Dialog und<br />

ohne Verständigung. Gegner der<br />

Selbstbestimmung gibt es nicht.<br />

Wenn es also wieder mal nicht um<br />

Dialog und Verständigung ging, wozu<br />

war es dann gut? Nun, auch in<br />

Fachdiskussionen werden Sachthemen<br />

gelegentlich zum Gegenstand<br />

von Machtkämpfen. Das heißt: Es<br />

geht dann weniger um die Frage, was<br />

richtig oder falsch, hilfreich oder<br />

schädlich ist, sondern darum, wer<br />

das Thema bestimmt. Auf dem Markt<br />

14<br />

Lupe 63 - 2008<br />

der Meinungen erlangt die Macht,<br />

wer die Lufthoheit in der Definition<br />

von Themen, Problemen und Aufgaben<br />

innehat. Das Fehlen oder<br />

Verschwinden von Gegenposi-tionen<br />

zeigt dann möglicherweise den<br />

Ausgang solcher Machtkämpfe an.<br />

Wer will fremdbestimmt sein?<br />

Falls nun das Interesse an Gegenpositionen<br />

geweckt ist, hier eine<br />

Auswahl an provokanten Thesen, mit<br />

denen man sich als Angriffsziel für<br />

den fachlichen Mainstream offenbaren<br />

kann:<br />

>>Selbstbestimmung als Leitvorstellung<br />

eigenverantwortlicher Lebensgestaltung<br />

ist ein „alter Hut“<br />

und trägt nichts Neues zur Unterstützung<br />

behinderter Menschen bei.<br />

Die Mitarbeiterinnen der Behindertenhilfe<br />

hatten immer schon die<br />

Fähigkeiten und die Stärken der<br />

Betreuten im Blick, auch wenn unter<br />

manchmal schwierigen Rahmenbedingungen<br />

manches nicht möglich<br />

war.<br />

>>In der aktuellen Situation neu<br />

und einseitig akzentuiert fördert<br />

Selbstbestimmung als Leitziel die<br />

Entsolidarisierung in sozialen Gemeinschaften<br />

und begünstigt in Betreuungsbeziehungen<br />

das Missverständnis<br />

verunsicherter Mitarbeiter,<br />

dass soziale Verantwortung und<br />

Fürsorge Fremdbestimmung seien.<br />

>>Einseitig betont erhöht die Forderung<br />

nach Selbstbestimmung und<br />

Eigenverantwortung die Risiken sozialer<br />

Isolierung und psychischer<br />

Erkrankung. Die problematischen<br />

gesellschaftlichen Tendenzen zur<br />

Individualisierung und zur Vereinzelung,<br />

die abnehmende Solidarität<br />

und der Verlust von Orientierung und<br />

Sicherheit werden dadurch aktiv<br />

auch in der Behindertenhilfe eingeführt.<br />

Dabei brauchen die an den<br />

Rand der Gesellschaft gedrängten<br />

Menschen mehr denn je Solidarität,<br />

soziale Verantwortung und Fürsorge.<br />

>>Die Art und Weise, in der mit dem<br />

Thema Selbstbestimmung umgegangen<br />

wird, enthält viele Aspekte<br />

von Fremdbestimmung, weil mehr<br />

über als mit betroffenen Menschen<br />

gesprochen wird. Vertraute Bezugspersonen<br />

und gesetzlich berechtigte<br />

Vertreter der Betroffenen sind in<br />

dieser Diskussion wenig beteiligt.<br />

»<br />

Martin Nolte,<br />

Bereichsleitung<br />

EuLe<br />

Es bleibt dabei: Wo Menschen<br />

mit geistiger Behinderung in Einrichtungen<br />

begleitet werden, entscheiden<br />

permanent berufliche Helfer<br />

über ihr Leben, und zwar in<br />

großen wie in kleinen Angelegenheiten.<br />

Zu rechtfertigen sind solche<br />

Eingriffe nur, wenn sie damit begründet<br />

werden können, dass ein<br />

gutes Leben für den betroffenen<br />

Menschen anders nicht möglich ist,<br />

jedenfalls nicht unter den gegebenen<br />

Umständen.<br />

Ob die Gruppe, in der jemand<br />

lernt, arbeitet oder wohnt, immer<br />

der richtige Platz ist für seine individuelle<br />

Entfaltung? Ob die Menschen<br />

seiner Umgebung zu ihm<br />

passen, ob es nicht einfach zu viele<br />

sind, und ob so viele Dinge<br />

gruppenweise stattfinden müssen,<br />

wie sie stattfinden, ist kritisch zu<br />

prüfen.<br />

Wir wollen, dass die Menschen mit<br />

Behinderung ihre Entscheidungen<br />

selbst treffen, wo immer es geht.<br />

Und wo für sie entschieden werden<br />

muss, die Verantwortung übernehmen,<br />

auch mit dem Wissen, dass<br />

Fehler geschehen können.<br />

Aus dem Leitbild von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Leandra hat unsere Bedenken zerstreut<br />

Im Dezember 2006 nahm ich den<br />

Hörer in die Hand und rief bei der<br />

Frühförderstelle von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> an.<br />

Mein Herz klopfte rasend; ich habe<br />

noch in Erinnerung, dass ich ohne<br />

Punkt und Komma mit einer Person<br />

redete, deren Namen ich vor lauter<br />

Aufregung nicht wirklich aufnahm.<br />

Ein Hinweis einer Bekannten hatte<br />

uns auf diese Einrichtung aufmerksam<br />

gemacht. Ich hatte u. a. Bedenken<br />

deshalb, weil der Träger, <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong>, für mich und meinen Ehemann<br />

in erster Linie als Behinderteneinrichtung<br />

bekannt ist und wir Leandra<br />

keinesfalls als behindert einstuften.<br />

War unser Hilferuf vielleicht zu drastisch?<br />

Ich erzählte am Telefon zunächst<br />

von unseren Sorgen und von unserem<br />

unguten Bauchgefühl, besonders<br />

wegen der sprachlichen Defizite<br />

unserer Tochter. Leandra war damals<br />

22 Monate alt und ist unser drittes<br />

Kind. Meine Gesprächspartnerin am<br />

Telefon, heute weiß ich, dass es Frau<br />

Jost war, bot mir an, zwei Nachmittage<br />

zu uns nach <strong>Haus</strong>e zu kommen<br />

und sich selbst ein Bild von Leandras<br />

Entwicklungsstand zu machen. Im<br />

Gedächtnis bei mir hängen geblieben<br />

ist auch, dass sie mich darin bestätigte,<br />

dass es auf jeden Fall gut sei,<br />

ihren Entwicklungsstand abchecken<br />

zu lassen, um unsere Unsicherheit zu<br />

verlieren.<br />

Bei dem Besuch bei uns zu <strong>Haus</strong>e<br />

stellte sich heraus, dass tatsächlich<br />

Frühförderung angebracht erschien,<br />

welche wir auch vom Kreis Borken<br />

bewilligt bekamen. Für uns war auch<br />

neu, dass die Frühförderung nicht<br />

über einen Kinderarzt verordnet werden<br />

muss.<br />

Leandra und Moritz im Bewegungsraum der Frühförderung. Für sie ist es ein<br />

Spiel, wenn sie dort malen, balancieren und toben. Für die Sozialpädagogin Lydia<br />

Jost, die sie betreut, ist es gezielte Förderung, die an den Stärken der Kinder ansetzt<br />

und gleichzeitig Entwicklungsverzögerungen aufgreift.<br />

Einige Frühförderstunden fanden<br />

dann ab Februar 2007 zunächst bei<br />

uns zu <strong>Haus</strong>e statt. Dann wechselten<br />

wir in den Bewegungsraum der<br />

Frühförderstelle in Gescher. Das<br />

gefiel Leandra sehr. Einmal wöchentlich<br />

wurde dort mit ganz unterschiedlichen<br />

Materialien, Spielsachen,<br />

Bewegungsspielen „gearbeitet“.<br />

Zunächst war ich skeptisch,<br />

hatte ich doch erwartet, dass viel<br />

mehr an einem Tisch gespielt würde,<br />

damit Leandra gezielt Sprache einsetzen<br />

müsse. Frau Jost erklärte mir<br />

dann das Modell des „Entwicklungsbaums“,<br />

wonach zunächst die motorischen<br />

Voraussetzungen vorliegen<br />

müssen, auf denen sich dann die<br />

Sprache aufbaut.<br />

Gefreut hat uns, dass Leandra jedes<br />

Mal, wirklich jedes Mal, mit großer<br />

Freude zur Frühförderung ging und<br />

nach einer Stunde sehr ungern die<br />

Frühförderstelle verließ – und das ist<br />

nach wie vor der Fall.<br />

Seit Oktober 2007 bildet Leandra<br />

nun ein Team mit einem Jungen, der<br />

andere Entwicklungsdefizite hat,<br />

sprachlich jedoch ein Ass ist. Sie<br />

profitieren voneinander. Damit die<br />

Kinder noch besser aufeinander eingehen,<br />

verbringen sie seit Dezember<br />

2007 die ersten 30 Minuten allein<br />

mit Frau Jost im Bewegungsraum;<br />

danach stoßen wir Mütter hinzu, was<br />

sich m. E. sehr bewährt hat.<br />

Leandra hat in diesem einen Jahr<br />

große Fortschritte erzielt, auf die wir<br />

lange gehofft haben. Endlich ist mit<br />

ihr ein sprachlicher Austausch über<br />

das möglich, was sie sieht, was sie<br />

denkt, was sie empfindet, welche<br />

Bedürfnisse sie hat.<br />

Der Weg ist noch nicht beendet,<br />

aber Leandra ist dank der fachlichen<br />

Unterstützung ein gutes Stück vorangekommen.<br />

Und meinem Ehemann<br />

und mir tut es gut zu wissen, wie wir<br />

Leandra im häuslichen Umfeld fördern<br />

können und uns selbst gefühlsmäßig<br />

ein wenig getragen wissen.<br />

Wir sind uns sicher, dass Leandra<br />

durch die Frühförderung Fortschritte<br />

erzielt hat, die wohl ansonsten weitaus<br />

länger gebraucht hätten. Danke!<br />

Maria Teicher, Gescher<br />

Frühförderung<br />

Das Angebot der Frühförderung richtet<br />

sich an Kinder, deren Entwicklung<br />

verzögert ist, Kinder, die im<br />

Gebrauch ihrer Sinne beeinträchtigt<br />

sind, etwa beim Hören oder Sehen,<br />

Kinder mit Störungen in der Wahrnehmungsverarbeitung,<br />

so genannte<br />

Risikokinder, wie z. B. früh geborene<br />

Kinder, Kinder mit körperlicher, geistiger<br />

oder seelischer Behinderung.<br />

Das Aufnahmealter kann zwischen<br />

der Geburt und dem Eintritt in den<br />

Kindergarten liegen, im Kreis Coesfeld<br />

auch bis zum Schulalter.<br />

Kontakt:Frühförder- und<br />

Beratungsstelle <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

Lydia Jost (im Kreis Borken)<br />

lydia.jost@haushall.de<br />

Katharinenstr. 61, 48712 Gescher<br />

Telefon: 02542 5088<br />

Bärbel Hillebrandt<br />

(im Kreis Coesfeld)<br />

baerbel.hillebrandt@haushall.de<br />

Weßlings Kamp 1, 48653 Coesfeld<br />

Telefon: 02541 980005<br />

Mehr Info: www.haushall.de<br />

Lupe 63 - 2008 15


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

16<br />

13.04.08 Sonntagsfilm<br />

"Verschwörung der Herzen"<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, Gescher 16:00 Uhr<br />

Mehr dazu unten in dieser Spalte<br />

18.05.08 Gartenzeit<br />

Marienburg, Coesfeld<br />

19.06.08 Sommerfest<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, Gescher<br />

10.08.08 Sommerfest<br />

Guter Hirte, Bocholt<br />

11.09.08 Marienburgfest<br />

Marienburg, Coesfeld<br />

13.09.08 Schulfest<br />

40-jähriges Bestehen<br />

der Förderschule <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>,<br />

Gescher<br />

15.09.08 Bilderausstellung<br />

Volksbank, Coesfeld<br />

07.12.08 Daniel<br />

Eine musikalische Weihnachtsgeschichte<br />

Konzert Theater, Coesfeld<br />

Verschwörung der Herzen<br />

Kåre Morten und Per, zwei Freunde<br />

mit Down-Syndrom, führen im<br />

norwegischen Bergen ein ganz<br />

normales Leben, bis Kåre Morten<br />

sich in Maybritt verliebt. Zwischen<br />

Herzklopfen, Liebesbriefen und<br />

einer skeptischen Mutter lernt er,<br />

mit seinen Gefühlen umzugehen<br />

und vor Problemen nicht wegzulaufen.<br />

Eine anrührende Geschichte<br />

über drei erwachsene Menschen,<br />

die eine ganz konkrete Utopie<br />

erleb-bar machen: ein selbstbestimmtes<br />

Leben inmitten der<br />

Gesellschaft.<br />

Der Film dauert 60 Minuten.<br />

Beginn ist um 16:00 Uhr im<br />

Festsaal von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, Gescher.<br />

Red.<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Ganz von der Rolle<br />

Jeden Montag kommt ein Lastwagen<br />

in der Werkstatt an und<br />

bringt Garnrestrollen, jedes Mal<br />

mehrere Paletten voll und es werden<br />

immer mehr. Sie kommen von einem<br />

Textilunternehmen. Die Fabrik kann<br />

mit den Garnresten nichts mehr anfangen,<br />

aber es wäre zu teuer, alles<br />

einfach so in den Müll zu werfen.<br />

Die Mitarbeiter von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> haben<br />

sich eine Methode ausgedacht, wie<br />

man den Garnrest und die Papprolle<br />

voneinander trennen kann und haben<br />

dafür die passenden Maschinen<br />

gebaut.<br />

Viele Menschen in der Werkstatt<br />

sind seitdem mit dieser Arbeit beschäftigt<br />

und wechseln sich dabei<br />

ab; deshalb sind auf dem Foto auch<br />

nicht alle zu sehen. Sie sorgen dafür,<br />

dass die Papprollen zum Altpapier<br />

kommen. So kann man später<br />

wieder etwas Neues daraus machen<br />

und aus dem Garnrest auch, zum<br />

Beispiel Isolierung.<br />

Kürzlich haben die Beschäftigten<br />

einen Rekord geschafft und die<br />

Einmillionste abgewickelt. Die heben<br />

sie jetzt hinter Glas auf, zur<br />

Erinnerung. Für so eine Arbeit haben<br />

die Fachleute natürlich wie<br />

immer ein Fremdwort: Recycling.<br />

Recycling-Arbeiten werden übrigens<br />

auch in den Werkstätten in Ahaus<br />

und in Velen gemacht. Wie lange<br />

dauert es wohl noch, bis die zweite<br />

Million fertig ist?<br />

Michel Hülskemper, lUPE<br />

www.werkstaetten-haushall.de So heißt der neue Internetauftritt der WfbM.<br />

Die Homepage richtet sich in erster Linie an Geschäftspartner in Industrie,<br />

Handel und Gewerbe. Die Werkstätten präsentieren sich als moderner Dienstleister,<br />

bei dem Mensch und Technik eng zusammenspielen.<br />

Außerdem ist der neue Internet-Shop zugeschaltet. Hier kann sich jeder über die<br />

Produkte der Werkstätten informieren. Bestellen geht ganz einfach – so, wie<br />

man es auch von anderen Online-Shops kennt. Besuchen Sie die neue Website<br />

und empfehlen Sie sie weiter! Red.


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Arbeiten, wo auch andere arbeiten<br />

Als Steffen Ebbing in die Werkstätten<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> kam, hatte er schon<br />

den Wunsch, in der Schreinerei zu<br />

arbeiten. Der Werkstoff Holz hat ihm<br />

immer schon besondere Freude bereitet.<br />

Konsequent hat er die Vertiefungsphase<br />

der Berufsbildungsstufe<br />

im Bereich Holz absolviert. Seit<br />

September 2007 arbeitet Steffen<br />

Ebbing auf einem „ambulant betreuten<br />

Außenarbeitsplatz“ der Werkstätten<br />

in der Schreinerei Twents in<br />

Gescher.<br />

Die Abkürzung „amba“ ist der Name<br />

des Integrationsprojektes, das Menschen<br />

mit Behinderung den Weg auf<br />

den normalen Arbeitsmarkt ebnen<br />

will. Damit dies dauerhaft gelingt,<br />

werden die vermittelten Beschäftigten<br />

weiterhin durch einen Mitarbeiter<br />

der Werkstätten <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

arbeitspädagogisch begleitet. Die<br />

intensive Zusammenarbeit wird auch<br />

mit den Betriebsverantwortlichen<br />

nach der Vermittlung fortgesetzt.<br />

Im Gespräch berichtet der 21-jährige<br />

Steffen Ebbing von seinen neuen<br />

Erfahrungen; die LUPE druckt es<br />

wortwörtlich.<br />

Wo haben Sie vorher gearbeitet?<br />

Vorher habe ich circa vier Jahre in<br />

der Werkstatt von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> in<br />

Gescher gearbeitet. Zuerst im Berufsbildungsbereich,<br />

später in der<br />

Schreinerei der WfbM. Die Erfahrungen<br />

in der Werkstatt waren gut und<br />

nützlich.<br />

Wie machen Sie sich in der Firma<br />

Twents nützlich? Was ist Ihr Aufgabenbereich?<br />

Ich mache mich als Helfer in vielen<br />

Bereichen nützlich. Ich arbeite an<br />

unterschiedlichen Maschinen wie<br />

z. B. an der Fräse, am Bohrständer,<br />

am Anleimer, helfe im Lager, verrichte<br />

Aufräumarbeiten in der Werkstatt<br />

oder im Außenbereich.<br />

Wie sind Sie zu dieser Arbeitsstelle gekommen?<br />

Ich habe mich für das Projekt Amba<br />

interessiert, habe mich informiert<br />

und mich nach gründlicher Überlegung<br />

dann auch im Projekt beworben.<br />

Das Bewerbungsverfahren lief<br />

gut und zügig. Nach kurzer Zeit wurde<br />

das Unfassbare wahr: Mir wurde<br />

Am Anleimer: Steffen Ebbing nimmt Platten vom Transportband ab und stapelt<br />

sie auf einer Palette. Einer seiner verschiedenen Einsätze in der Schreinerei Twents<br />

in Gescher.<br />

eine Stelle angeboten. Dann sind wir<br />

ja zusammen zum Vorstellungsgespräch<br />

gefahren. Das war sehr offen,<br />

freundlich und locker. Zum Schluss<br />

habe ich die Zusage für ein achtwöchiges<br />

Praktikum bekommen. Die<br />

Freude war groß. Nach dem Praktikum<br />

und den gemachten Erfahrungen<br />

konnte ich mich sehr gut für das<br />

Stellenangebot entscheiden.<br />

Warum haben Sie sich im Projekt<br />

Amba beworben?<br />

Mir war von Anfang an, als ich in die<br />

WfbM kam, klar, dass ich nicht für<br />

immer dableiben wollte. Ich habe<br />

meine berufliche Zukunft dort nicht<br />

gesehen und gehofft, dass sich<br />

irgendwann auf dem ersten Arbeitsmarkt<br />

eine Möglichkeit ergibt. Durch<br />

das Projekt Amba habe ich jetzt die<br />

Chance.<br />

Sind Ihre Erwartungen erfüllt worden?<br />

Ein ganz klares Ja. Es ist sogar besser<br />

als ich dachte. Ich werde vielseitig<br />

eingesetzt und dadurch lerne ich<br />

viel. Auch der Umgang und die<br />

Zusammenarbeit mit den neuen<br />

Kollegen macht mir Spaß. Ich fühle<br />

mich dazugehörig.<br />

Haben Sie noch Kontakt zu Ihren<br />

Kollegen in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>?<br />

Ja, Kontakte gibt es. Zwischendurch<br />

treffe ich mich an den Wochenenden<br />

mit einigen ehemaligen Kollegen.<br />

Auf jeden Fall hab ich ja noch die<br />

Verbindung mit dem Team von den<br />

Integrationsprojekten.<br />

Ist Ihnen die Umstellung schwer gefallen?<br />

Durch die Erfahrungen im Praktikum<br />

ist mir die Umstellung nicht besonders<br />

schwer gefallen. Ich wusste,<br />

was mich erwartete und habe mich<br />

darauf gefreut. Das frühe Aufstehen<br />

ist kein Problem. Die Freude überwiegt.<br />

Welche Ziele haben Sie sich für die<br />

Zukunft gesteckt?<br />

Zurzeit bin ich super zufrieden. Ich<br />

habe für mich ein wichtiges Ziel<br />

erreicht. Schön wäre es, wenn ich<br />

mich im Laufe der Zeit an unterschiedlichen<br />

Maschinen weiter qualifizieren<br />

könnte.<br />

Das Gespräch führte Walburga<br />

Boonk, Integrationsprojekte<br />

Kontakt: Thomas Bolwin,<br />

Integrationsprojekte der Werkstätten<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

Tel. 02542-703-72 01<br />

integrationsprojekte@haushall.de<br />

www.werkstaetten-haushall.de<br />

Lupe 63 - 2008 17


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Neue Gruppennamen<br />

Josef Frings<br />

Im bisherigen Marienstift in Gescher an der Konrad-<br />

Adenauer-Straße wohnt schon seit vielen Jahren die<br />

Außenwohngruppe Georg. Im Erdgeschoss lebten bis<br />

zum Sommer 2007 noch die Schwestern unserer Lieben<br />

Frau, die im Altenheim St. Pankratius arbeiteten. Dann<br />

sind sieben Bewohnerinnen der Martina-Gruppe in das<br />

umgebaute Gebäude gezogen. Nun leben 19 Personen in<br />

der Wohnstätte. Der Namenspatron Josef Frings war<br />

Erzbischof von Köln.<br />

Noah<br />

Zwischen den beiden bisherigen Wohngruppen Martina<br />

(jetzt mit neuen Bewohnerinnen) und Don Bosco (im<br />

Kamillus-<strong>Haus</strong>) liegen zwar etwa 200 Meter, denn das<br />

Gelände in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> in Gescher ist groß, aber sie sind<br />

zusammengeführt und werden nun von einem Team betreut.<br />

Das betrifft 15 Bewohner. Der Namenspatron?<br />

Ja richtig, der mit der Arche und den Tieren und der<br />

Sintflut. Noah kennt jeder.<br />

Jonas<br />

Im Gartenhaus in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> in Gescher leben seit vielen<br />

Jahren die Martin- und die Hildegard-Gruppe in der<br />

zweiten bzw. in der dritten Etage. Viele Bewohner sind<br />

in letzter Zeit umgezogen und die Räume wurden renoviert.<br />

Jetzt gehören beide Gruppen mit 14 Bewohnern<br />

unter einem Namen zusammen. Der Prophet Jonas<br />

flüchtete vor Gottes Auftrag, wurde von einem Meerestier<br />

verschluckt und erfüllte schließlich doch noch seine<br />

Aufgabe. Red.<br />

18<br />

Lupe 63 - 2008


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Fachtagung der Kurzzeiteinrichtungen<br />

Diese Häuser sind offen für Gäste mit<br />

ganz besonderen Bedürfnissen. Sie<br />

heißen: Kleine Oase, Wohnnest oder<br />

Kurzzeitpflege Theresa. Ausgebucht<br />

sind sie meist Monate im Voraus.<br />

Es sind Kurzzeiteinrichtungen für<br />

Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />

mit Behinderung. Insgesamt 16 gibt<br />

es davon in Nordrhein-Westfalen.<br />

Fast 100 Mitarbeiter trafen sich Ende<br />

Februar zu einer Fachtagung in der<br />

Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> in Gescher.<br />

Ernste Themen und dennoch aufgelockerte Gespräche prägten<br />

die Fachtagung in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>.<br />

Welche Bedeutung das Angebot für<br />

die Eltern behinderter Kinder hat,<br />

drückte ein Vater so aus: „Man konnte<br />

spontan etwas unternehmen, was<br />

uns 32 Jahre lang so nicht möglich<br />

war.“ Sein erwachsener Sohn war<br />

zum ersten Mal für eine Woche Gast<br />

in der Kurzzeitpflege Theresa in <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong>. Die Eltern, die sich normaler-<br />

weise Tag und Nacht um ihn kümmern,<br />

konnten für eine Weile auftanken<br />

und neue Kraft schöpfen. „Die<br />

Betreuer haben uns das Gefühl gegeben,<br />

dass wir selbst Urlaub haben<br />

und den konnten wir auch genießen“,<br />

schrieb eine Mutter nach dem<br />

Aufenthalt ihres Sohnes. Mehr als<br />

200 Gäste waren seit der Einweihung<br />

vor gut zwei Jahren schon da, die<br />

meisten mehrfach. 360 Anfragen<br />

sind allein in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> für 2008<br />

schon eingegangen,<br />

viele davon<br />

aus dem nördlichen<br />

Ruhrgebiet.<br />

Die Zahlen belegen,<br />

wie groß<br />

der Bedarf ist.<br />

Ein Entlastungsangebot<br />

für die<br />

Familien nennt<br />

die Sozialpolitik<br />

diese Form der<br />

Hilfe.<br />

„Dank der gutenZusammen-<br />

arbeit mit dem<br />

Land-schaftsverband<br />

Westfalen–<br />

Lippe hat sich die Einrichtungsform<br />

erfolgreich entwickelt“, resümierte<br />

Dr. Walther Witting. Er leitet die<br />

„Kleine Oase“ in Datteln und auch<br />

den Arbeitskreis der Kurzzeiteinrichtungen<br />

für Menschen mit Behinderung<br />

in Nordrhein-Westfalen.<br />

Weil viele Gäste starke Beeinträchtigungen<br />

mitbringen und häufig<br />

auch „kreative Verhaltensweisen“<br />

zeigen, stehen die Kurzzeiteinrichtungen<br />

vor der Aufgabe, sich auf den<br />

jeweiligen Gast ganz individuell einzustellen.<br />

Pflege, Betreuung und<br />

Freizeitge-staltung müssen sich an<br />

seinen besonderen Interessen und<br />

Handicaps orientieren. Wittings<br />

Erfahrung: „Unsere Arbeit ist nur<br />

dann wirkungsvoll, wenn wir die<br />

Familien im Mittelpunkt sehen und<br />

alle öffentlichen Ressourcen mit einbeziehen,<br />

die dieses Familiensystem<br />

entlasten können.“ Kurzzeiteinrichtungen<br />

seien als Baustein im Versorgungs-system<br />

nicht mehr wegzudenken,<br />

erklärte er in einer kurzen<br />

Begrüßungsansprache.<br />

Die Entwicklung ist rasant verlaufen,<br />

denn fast alle Häuser in NRW<br />

wurden erst innerhalb der letzten<br />

zehn Jahre gegründet. Entsprechend<br />

hoch ist bei den Mitarbeitern und<br />

Leitern der Bedarf nach fachlichem<br />

Austausch. Schwierige Betreuungssituationen,<br />

Einsatz von Therapiehunden<br />

und Begleitung Sterbender:<br />

Die Themen, die in Workshops bearbeitet<br />

wurden, spiegeln die aktuellen<br />

Fragen wieder. Im Festsaal von <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong> sprach Witting Respekt und<br />

Anerkennung aus: „Alle, die hier sitzen,<br />

leisten gute Arbeit. Sie leisten<br />

schwere Arbeit und Sie leisten innovative<br />

Arbeit. Sie gestalten familienorientierte<br />

Behindertenhilfe mit.“<br />

Michel Hülskemper, LUPE<br />

Nach Dortmund ins Stadion oder<br />

einfach zum Zahnarzt, alltägliche<br />

Einkäufe oder Freizeitgestaltung am<br />

Abend: Die Coesfelder Wohnstätte<br />

Maria Droste freut sich über ihren<br />

neuen Bulli. Mit dem blauen Transit<br />

ist jetzt vieles leichter erreichbar.<br />

Die Aktion Mensch hat die Anschaffung<br />

maßgeblich unterstützt – als<br />

einen Beitrag für mehr Teilhabe von<br />

Menschen mit Behinderung in der<br />

Gesellschaft. Red.<br />

Lupe 63 - 2008 19


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Förderverein<br />

Lebensfreude und Lebensqualität für<br />

Menschen mit Behinderung – dafür<br />

setzen wir uns ein. Wir vom Förderverein<br />

wollen, dass Menschen mit<br />

Behinderung ihren Platz in der Gesellschaft<br />

finden. Sie brauchen normale<br />

Lebensbedingungen, die ihren<br />

Fähigkeiten und ihren Handicaps entsprechen.<br />

Wir treten dafür ein, dass<br />

die Integration behinderter Menschen<br />

stetig gefördert wird.<br />

Eltern haben den Förderverein 1980<br />

gegründet. Jetzt gehören schon über<br />

350 Mitglieder dazu. Außerdem<br />

unterstützen viele Spender unsere<br />

Arbeit.<br />

Wir tun, was wir können<br />

Der Förderverein unterstützt Projekte<br />

der Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, für die keine<br />

öffentlichen Mittel zur Verfügung<br />

stehen. Zum Beispiel:<br />

- Kletter- und Bauwürfel für die<br />

Heilpädagogische Frühförderung<br />

- Starthilfe für den Familienunterstützenden<br />

Dienst<br />

- Reitpferd und Reithalle<br />

- Verschönerung von Wohngruppen<br />

und vieles mehr<br />

Unsere Verwaltungskosten sind minimal.<br />

Spenden und Mitgliedsbeiträge<br />

gehen nicht in einem allgemeinen<br />

<strong>Haus</strong>halt unter, sondern fließen direkt<br />

in die Projekte ein.<br />

Das Ferienhaus ist frisch renoviert<br />

Das Ferienhaus von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> in<br />

Vreden-Oldenkott brauchte dringend<br />

eine Erneuerung. Es fehlten die<br />

Mittel dafür. Mit rund 39.000 Euro<br />

konnte der Förderverein das Vorhaben<br />

maßgeblich unterstützen. Die<br />

Renovierung ist ein Gewinn für die<br />

Menschen in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> und auch für<br />

Gäste. Und ein Beispiel von vielen für<br />

die Arbeit des Fördervereins.<br />

Was Sie tun können<br />

Es gibt viele Wege, uns zu helfen:<br />

mit einer Einmalspende, mit einem<br />

Spendenaufruf anlässlich einer Familienfeier,<br />

mit einer Nachlassspende.<br />

Oder: Werden Sie Fördermitglied. Es<br />

versteht sich von selbst: Die gesammelten<br />

Mittel werden nur im Sinne<br />

der Gemeinnützigkeit verwendet -<br />

gezielt und nachprüfbar.<br />

GM / Red.<br />

20<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Noch ist kein neuer Spielplatz zu sehen. Die Bauarbeiten sollen aber in diesem<br />

Jahr erfolgen.<br />

Spielplatz-Projekt SpielplatzProjekt läuft an<br />

Vor <strong>Haus</strong> Berkelwiese wird in diesem<br />

Jahr ein neuer Spielplatz gebaut. Er<br />

ist notwendig geworden, weil nach<br />

den Umzügen der letzten Jahre nun<br />

insbesondere Kinder und Jugendliche<br />

in dem Gebäude leben. Sie<br />

brauchen Spielräume zum Bewegen<br />

und Toben, aber auch einen ansprechenden<br />

Ort, wo man sich einfach<br />

treffen kann. Der kahle Vorplatz und<br />

die Rasenfläche davor werden sich<br />

verwandeln in einen attraktiven<br />

Außenraum, in dem sich Menschen<br />

mit Behinderung wie auch Besucher<br />

und Gäste gern aufhalten.<br />

Öffentliche Gelder stehen für das<br />

Projekt nicht zur Verfügung. Der<br />

Förderverein von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> will die<br />

Finanzierung maßgeblich unterstützen;<br />

er ruft zu Spenden auf und<br />

bringt das „Jahresprojekt“ bei jeder<br />

möglichen Gelegenheit ins Gespräch.<br />

Davon fühlten sich bereits viele<br />

Menschen angesprochen. So sind<br />

bereits verschiedene Einzelspenden<br />

eingegangen, darunter 2.000 $ von<br />

einem Familienfest. Rund 6.600 $<br />

haben Manfred Lütjan und sein Team<br />

aus Weseke beigetragen; sie hatten<br />

im Dezember bei ihren Nikolaus-<br />

Aktionen Geld für den Spielplatz gesammelt.<br />

Die Bauplanungen sind weit vorangeschritten.<br />

Georg Drees, techni-<br />

scher Leiter von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, rechnet<br />

damit, dass die Ausführung im Sommer<br />

und die Fertigstellung im Herbst<br />

2008 erfolgen werden.<br />

Einen besonderen Akzent setzt der<br />

Rotary-Club Coesfeld-Baumberge.<br />

Die Vereinigung sponsert und organisiert<br />

eine große Partnerschaukel;<br />

gebaut wird sie als Schülerprojekt<br />

des Coesfelder Pictorius-Berufskollegs<br />

gemeinsam mit einer holländischen<br />

Partnerschule.<br />

Der Förderverein hat sich vorgenommen,<br />

insgesamt 33.000 $ aus<br />

Spenden und Fördermitteln zu dem<br />

Spielplatzprojekt beizusteuern. Noch<br />

fehlen mehr als 20.000 $. „Der<br />

Vorstand ist zuversichtlich, dass in<br />

den kommenden Monaten die angestrebte<br />

Summe zur Verfügung gestellt<br />

werden kann“, ist Gerhard<br />

Meirich als Geschäftsführer des<br />

Vereins optimistisch. Er bittet im<br />

Namen des Fördervereins alle, die<br />

sich <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> verbunden fühlen, um<br />

einen Beitrag, denn: Kinder brauchen<br />

Spielräume!<br />

Michel Hülskemper, LUPE<br />

Konto Nr. 53 038 824, Sparkasse<br />

Westmünsterland, BLZ 401 545 30<br />

www.haushall.de/foerderverein


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Am anderen Ende der Hotline ist ein Mensch und der heißt in diesem Fall<br />

Christian Berlin. Zusammen mit seinen Kollegen behandelt er am Telefon direkt die<br />

Fragen und Probleme der EDV-Nutzer in der Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>.<br />

Computer ohne Ende<br />

Die Zahl der PC-Arbeitsplätze in der<br />

Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> ist in den letzten<br />

Jahren rasant angestiegen. Das<br />

bringt für viele Mitarbeiter große<br />

Erleichterungen bei der täglichen<br />

Arbeit – wenn die Sache erst mal<br />

läuft und wenn man weiß, wie’s<br />

geht. Mehr PC-Arbeitsplätze bedeuten<br />

aber auch: immer mehr Geräte,<br />

die in Ordnung gehalten werden<br />

müssen, immer mehr Mitarbeiter,<br />

die Fragen haben und immer mehr<br />

Potenzial für Störungen und Probleme.<br />

Deshalb ist die EDV-Abteilung verstärkt<br />

worden. Sie besteht nun aus<br />

einem Abteilungsleiter und zwei<br />

Administratoren sowie Praktikanten.<br />

Neu eingerichtet ist die so genannte<br />

Hotline 2222, die von allen Mitarbeitern<br />

in Anspruch genommen<br />

werden kann. Hier meldet sich keine<br />

Automatenstimme, sondern ein<br />

leib-haftiger, qualifizierter Kollege,<br />

jedenfalls zu den üblichen Tageszeiten,<br />

der das Problem aufnimmt<br />

und versucht, innerhalb von<br />

24 Stunden eine Lösung zu finden -<br />

in Zusammenarbeit mit dem Anrufer.<br />

500 solche Anrufe sind in den beiden<br />

ersten Monaten eingegangen; mehr<br />

als 50 Prozent der gemeldeten Probleme<br />

konnten unmittelbar beim<br />

Erstkontakt gelöst werden. Die anderen<br />

werden an die Administratoren<br />

weitergeleitet und möglichst zeitnah<br />

bearbeitet. Auf jeden Fall erhält der<br />

Anrufer eine E-Mail, die ihn über den<br />

Stand der Dinge informiert.<br />

Um welche Dimensionen es geht,<br />

sollen ein paar Zahlen verdeutlichen:<br />

Die EDV-Abteilung in der Stiftung<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> betreut 330 Personalcomputer<br />

und Laptops, 250 Drucker<br />

und 25 Server. Hinzu kommt die<br />

Verantwortung für die Netzinfrastruktur<br />

innerhalb der Standorte<br />

und zwischen den verschiedenen<br />

Standorten der Stiftung in sechs<br />

Städten. Dazu die Telekommunikationsanlagen<br />

aller Standorte, die<br />

Mobiltelefonie und die Betreuung<br />

verschiedenster Softwareprodukte.<br />

Schließlich koordiniert die Abteilung<br />

zahlreiche EDV-Schulungen für Mitarbeiter.<br />

CK / Red.<br />

Betreuung in den Ferien<br />

Der Familien unterstützende Dienst<br />

(FuD) <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> bietet seit Jahren<br />

in den Oster-, Sommer- und Herbstferien<br />

eine Tagesbetreuung für Kinder,<br />

Jugendliche und junge Erwachsene<br />

an, jeweils für sechs oder acht<br />

Personen. Das Motto der Tagesbetreuung<br />

von 9:00 - 16:00 Uhr<br />

ist „Begegnung und Freude“. Der<br />

Morgen beginnt jeweils mit einem<br />

gemeinsamen Frühstück. Mit Spiel<br />

und Spaß in der Gesamtgruppe sowie<br />

auch in möglichen Kleingruppen<br />

geht es weiter: Bewegungs- und<br />

Kreativangebote sowie kleine Ausflüge<br />

stehen auf dem Programm.<br />

Das Mittagessen wird ebenfalls in<br />

der Gruppe gemeinsam eingenommen.<br />

Betreuung und Pflege durch<br />

die Mitarbeiterinnen ist gewährleistet.<br />

Anmeldungen sind wochenweise<br />

möglich. Ein ähnliches Angebot<br />

gibt es auch für Beschäftigte der<br />

Werkstätten während der Sommerschließungszeit.<br />

Die genauen Termine sowie weitere<br />

Informationen finden Sie auf unserer<br />

Internetseite www.haushall.de<br />

oder in unserem Prospekt, den Sie<br />

gern bei uns anfordern können (Tel.<br />

02542-703-4450). Für weitere Informationen<br />

steht Ihnen unser Team<br />

gerne zur Verfügung.<br />

Francis Dietrich,<br />

Abteilungsleitung FuD/Freizeit<br />

Neue Öffnungszeiten im Café<br />

Seit Jahresanfang ist das Café in<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, Gescher länger geöffnet:<br />

werktags von 12:00 bis 13:30 und<br />

von 15:00 bis 18:00 Uhr,<br />

samstags, sonntags, feiertags von<br />

10:30 - 12:00 und 15:00 bis 18:00<br />

Uhr.<br />

Es gibt leckeren Kuchen und Kaffee<br />

und das Ganze bei gutem Wetter<br />

sogar draußen an der frischen Luft.<br />

Zu finden ist das Café im alten<br />

Handwerkerhaus gegenüber dem<br />

Eingang zur Kapelle.<br />

Allen Gästen ein herzliches Willkommen:<br />

Bewohnern, Mitarbeitern,<br />

Angehörigen, Freunden,…<br />

Bitte weitersagen! HG/Red.<br />

Lupe 63 - 2008 21


+ Aktuell + + + Aktuell + + + Aktuell +<br />

Rettet den Ofen im Guten Hirten!<br />

100 Jahre alt und immer noch intakt:<br />

Der alte Backofen im Guten Hirten<br />

Bocholt ist ein echtes Schmuckstück.<br />

Er ist solide gebaut, schön verziert<br />

und noch dazu voll funktionsfähig.<br />

Tuffstein aus dem Siebengebirge bildet<br />

den Kern, Löwenköpfe bewachen<br />

die Front. Die Fachleute haben ihn<br />

geprüft und sind sich einig: Der<br />

„Königswinter-Ofen“ hat Charme und<br />

Charakter und ist unbedingt erhaltenswert.<br />

Der große Steinofen steht im <strong>Haus</strong><br />

vom Guten Hirten im Keller. Dort<br />

kann er nicht bleiben, weil das ganze<br />

<strong>Haus</strong> umgebaut wird. Jetzt wird er an<br />

die frische Luft gesetzt und im Park<br />

vom Guten Hirten neu aufgebaut.<br />

Und dort wird er zu neuem Leben erwachen<br />

- noch in diesem Jahr.<br />

Ein Treffpunkt für Generationen<br />

Erinnern Sie sich an den Duft von<br />

frisch gebackenem Brot? Haben Sie<br />

schon einmal Brotteig geknetet? Und<br />

selbst den frischen Laib aus dem<br />

holzbefeuerten Ofen geholt? Es sind<br />

Erlebnisse, die unser Königswinter-<br />

Ofen neu ermöglichen wird. Kein<br />

Die Stiftung <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> wurde 1855<br />

ins Leben gerufen - zunächst als<br />

Erziehungs- und Pflege-Anstalt für<br />

verwahrloste Knaben katholischer<br />

Konfession. Die Zöglinge, wie man<br />

die Jungen damals nannte, wurden<br />

von den Behörden zwangseingewiesen.<br />

Verwahrlost, gar oft verachtet und<br />

verstoßen, wurden sie dem <strong>Haus</strong>e zugeführt.<br />

Wer zählt nun die Reihen,<br />

die hier eine zweite Heimat gefunden<br />

und später als treue Staatsbürger und<br />

gute Christen zeitlich und ewig glükklich<br />

geworden sind.<br />

22<br />

Lupe 63 - 2008<br />

Museumsstück nur zum Anschauen,<br />

sondern ein aktiver Treffpunkt für<br />

Bewohner und Besucher unseres<br />

<strong>Haus</strong>es, für Gastgruppen, Kurse und<br />

kleine Feiern.<br />

Jetzt schon bieten wir an, dass<br />

Gruppierungen aus Bocholt und Umgebung<br />

unseren Backofen nutzen.<br />

Wir denken beispielsweise an Kindergärten<br />

und Schulen, Bildungsstätten<br />

und Vereine. Am 10. August soll<br />

alles fertig sein. Dann feiern wir<br />

unser Sommerfest und mit uns zusammen<br />

die Gemeinde St. Josef ihr<br />

Pfarrfest.<br />

AUS DER CHRONIK VON HAUS HALL<br />

Kriegsjahr 1917<br />

Müßiggang ist aller Laster Anfang.<br />

Das gilt auch hier in der Anstalt. Soll<br />

die Erziehung gedeihen, so müssen<br />

Körper und Geist dem Alter und den<br />

Anlagen der Kinder entsprechend beschäftigt<br />

werden. Die Hauptarbeit<br />

unserer schulpflichtigen Jungen ist in<br />

der Schule, täglich 5 Stunden<br />

Unterricht. Außerdem arbeiten die<br />

Knaben noch 2 bis 3 Stunden im<br />

Garten, im <strong>Haus</strong>, in der Näh-, Flickoder<br />

Stopfstube. Diese Arbeit soll nun<br />

gerade angestrengt ermüdend wirken,<br />

es sind ja noch Kinder. Sie soll<br />

aber auch kein Spielen sein. Von<br />

dieser Regel wurde auch während<br />

der Kriegszeit nicht abgewichen.<br />

Viele Kinder hatten wirklich zu tun<br />

mit <strong>Haus</strong>reinigen, Nähen, Stopfen,<br />

Flicken, Garten oder Feldarbeit. Nun<br />

mußten aber auch die freien Stunden<br />

Viele machen mit<br />

An seinem neuen Standort im Park<br />

braucht der historische Ofen ein<br />

Dach. Außerdem bekommt der Vorplatz<br />

ein Pflaster und Sitzgelegenheiten.<br />

So ist eine kombinierte<br />

Nutzung möglich, denn gleich daneben<br />

befindet sich bereits unser<br />

Veranstaltungsraum „Casa Ambiente“.<br />

Öffentliche Mittel oder der <strong>Haus</strong>halt<br />

des Altenheimes stehen für das Projekt<br />

nicht zur Verfügung. Deshalb<br />

kann die Finanzierung nur über ehrenamtliche<br />

Arbeit sowie über Spenden<br />

erfolgen.<br />

Viele Menschen unterstützen uns<br />

bereits tatkräftig bei den Planungsund<br />

Bauarbeiten. Die Bäckereien<br />

Gildhuis und Görkes werden den Ofen<br />

anschließend in Betrieb halten und<br />

den Teig in ihren Backstuben vorbereiten.<br />

Spendenkonto: Nr. 106 807, Stichwort<br />

„Backofen“, Stadtsparkasse<br />

Bocholt, BLZ 428 500 35<br />

JT / MH<br />

noch nutzbringend zugebracht werden.<br />

Eine reichhaltige Bibliothek?<br />

zahlreiche Kinderschriften wie "Edelsteine",<br />

"Schutzengel", "Frisch vom<br />

Quell", passende Kriegsliteratur mit<br />

schönen Bildern, Vorlesen und Erzählen<br />

wichtiger Begebenheiten aus dem<br />

Kriegsleben boten genügend Unterhaltungsstoff<br />

für den Geist. Noch<br />

mehr Freude fanden aber viele Zöglinge<br />

in der Anfertigung von Kerb-,<br />

Schnitz- und Laubsägearbeiten.<br />

Bis 1929 war <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> eine<br />

Erziehungsanstalt. 1930 wurde die<br />

Stiftung zum Bildungs- und Pflegeheim;<br />

seitdem werden hier Menschen<br />

mit Behinderung betreut.<br />

Gerhard Meirich,<br />

Archivar von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>


Wir trauern um die Verstorbenen:<br />

Rudolf Diehl<br />

geboren am 03.05.1957,<br />

lebte in seiner Familie in Stadtlohn<br />

und besuchte die Werkstatt<br />

in Velen. Er starb im September<br />

2007 und wurde auf dem Friedhof<br />

in Stadtlohn beigesetzt.<br />

Christian Tücking<br />

geboren am 15.03.1973,<br />

lebte seit 2000 in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

in der Michael-Gruppe.<br />

Er starb am 25.10.2007 und<br />

wurde auf dem Friedhof in<br />

Borken-Marbeck beerdigt.<br />

Thomas Gerlach<br />

geboren am 01.03.1964, lebte<br />

seit 1971 in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, davon<br />

23 Jahre in der Paulus-Gruppe,<br />

seit 2004 in der Anton-Gruppe.<br />

Er starb am 03.11.2007 und<br />

wurde auf dem Friedhof von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> beigesetzt.<br />

Karl-Heinz Dressler<br />

geboren am 08.02.1953, war seit<br />

seinem ersten Lebensjahr in <strong>Haus</strong><br />

<strong>Hall</strong>. Viele Jahre lebte er in der<br />

AWG Jacobus, bis er kürzlich ins<br />

Ambulant Betreute Wohnen<br />

wechselte. Er starb am 16.11.2007<br />

und wurde auf dem Friedhof von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> beigesetzt.<br />

René Seim<br />

geboren am 07.11.1975,<br />

lebte seit 1999 in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>,<br />

zuletzt in der Kolping-Gruppe.<br />

Er starb am 19.11.2007 und wurde<br />

auf dem Friedhof von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

beigesetzt.<br />

Agnes Heskamp<br />

geboren am 25.11.1968, lebte<br />

in ihrer Familie in Coesfeld und<br />

besuchte die Zweigwerkstatt in<br />

der Marienburg in Coesfeld.<br />

Sie starb am 25.11.2007 und<br />

wurde auf dem Jakobifriedhof<br />

in Coesfeld beerdigt.<br />

Anna Strotkamp<br />

geboren am 06.03.1915,<br />

lebte seit fast 76 Jahren in<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>, davon 40 Jahre in<br />

der Hildegard-Gruppe und seit<br />

1985 in der Anna-Gruppe.<br />

Sie starb am 13.12.2007 und<br />

wurde auf dem Friedhof von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> beerdigt.<br />

Heidi Hinzmann<br />

geboren am 28.04.1944,<br />

war fast 40 Jahre lang Lehrerin<br />

an der Schule von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>.<br />

Sie starb am 16.12.2007 und<br />

wurde auf dem Friedhof in<br />

Gescher beerdigt.<br />

Anne Drillich<br />

geb. 25.02.1958, lebte im<br />

Bischof-Tenhumberg-<strong>Haus</strong><br />

in Ahaus und war bis zum<br />

24.07.2007 in der Werkstatt<br />

in Ahaus tätig. Sie starb am<br />

21.12.2007 und wurde auf dem<br />

Friedhof in Vreden beerdigt.<br />

Dagmar Elsner<br />

geboren am 24.11.1963, lebte<br />

im Marienheim Nottuln, später<br />

in der Gabriel- und zuletzt in<br />

der Ursula-Gruppe.<br />

Sie starb am 17.02.2008 und<br />

wurde auf dem Friedhof von<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> beigesetzt.<br />

Wir denken auch an die Verstorbenen im Guten Hirten, Bocholt. Sie alle mögen ruhen in Frieden.<br />

Lupe 63 - 2008 23


Sie wollen Gastfamilie sein?<br />

Sie können sich vorstellen, einem behinderten Menschen<br />

langfristig ein Zuhause zu bieten? Ob als<br />

Familie, Paar oder alleinstehende Person: Gastfamilien<br />

benötigen keine pädagogische Ausbildung.<br />

Vorausgesetzt, Sie haben die Bereitschaft und<br />

die Fähigkeit, sich auf einen behinderten Menschen<br />

einzustellen und für ihn da zu sein, wenn es darauf<br />

ankommt.<br />

Dafür erhalten Sie monatlich ein angemessenes<br />

Betreuungsentgelt. Und dazu das gute Gefühl, einem<br />

anderen Menschen eine völlig neue Lebensperspektive<br />

zu bieten.<br />

Wir sind für Sie da.<br />

Ob Sie für sich selbst einen Wohnplatz in einer<br />

Familie suchen oder einen Gast aufnehmen möchten:<br />

Unser Familienpflegeteam informiert und berät<br />

Sie regelmäßig in allen Angelegenheiten - von der<br />

Vermittlung über die notwendigen Anträge bis zur<br />

Unterstützung bei Problemen.<br />

Wir sind vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe<br />

als Familienpflegeteam (BWF) zugelassen.<br />

Betreutes Wohnen<br />

in Gastfamilien<br />

Sprechen Sie uns an!<br />

Ria Große Ahlert, Tel. 02542 - 703 4530,<br />

ria.großeahlert@haushall.de<br />

Heike Rensing, Tel. 02542 - 703 4536,<br />

heike.rensing@haushall.de<br />

Kirsten Schneider, Tel. 02542 - 703 4531,<br />

kirsten.schneider@haushall.de<br />

<strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong><br />

Ambulant Betreutes Wohnen – Familienpflegeteam<br />

Tungerloh-Capellen 4, 48712 Gescher<br />

Mehr Informationen unter: www.haushall.de

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