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Unterstützte Kommunikation - Haus Hall

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UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />

Wo sind die Gegner der Selbstbestimmung?<br />

Alle Menschen wollen und können im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihr Leben selbst bestimmen. Das leuchtet ein,<br />

oder? Neu ist es aber nicht. Warum wird dann in der Behindertenhilfe soviel darüber geredet?<br />

Die Möglichkeiten, selbstbestimmt<br />

zu leben, sind immer begrenzt durch<br />

die eigenen Fähigkeiten und das<br />

Umfeld. Selbstbestimmung bedeutet<br />

vor allem, Verantwortung für sein<br />

Leben zu übernehmen. Selbstbestimmung<br />

bedeutet nicht die Abwesenheit<br />

von Hindernissen und<br />

Fremdbestimmung. Es bedeutet, sich<br />

zu entscheiden und sich festzulegen,<br />

dem eigenen Tun Sinn und Richtung<br />

zu geben. Es bedeutet, Interessen,<br />

Vorlieben und Neigungen zu haben,<br />

aus denen Meinungen, Willensäußerungen<br />

und Absichten entstehen.<br />

Es setzt voraus, Erfahrungen<br />

und Wissen über Wahlmöglichkeiten<br />

und Alternativen, aber auch über<br />

Konsequenzen zu haben, und es erfordert,<br />

sich zu entscheiden, zu handeln<br />

und Verantwortung zu übernehmen.<br />

Ja und?<br />

Spannend wird es, wenn man fragt,<br />

warum das Thema aufgegriffen wurde<br />

und an wen sich die Diskussion<br />

richtet. Es muss ja jemanden geben,<br />

mit dem über Selbstbestimmung<br />

behinderter Menschen zu sprechen<br />

ist. Wo also sind die Gegner, die<br />

"Fremdbestimmer"?<br />

Gegen Selbstbestimmung als Leitziel<br />

kann und wird kaum jemand<br />

Position beziehen. Warum auch? Ohne<br />

Gegenüber kommt aber auch kein<br />

wirkliches Gespräch zustande. Und<br />

so erlebt der Interessierte in Diskussionen<br />

ein Nebeneinander von<br />

fachlichen Meinungen ohne erkennbaren<br />

Konflikt, ohne Dialog und<br />

ohne Verständigung. Gegner der<br />

Selbstbestimmung gibt es nicht.<br />

Wenn es also wieder mal nicht um<br />

Dialog und Verständigung ging, wozu<br />

war es dann gut? Nun, auch in<br />

Fachdiskussionen werden Sachthemen<br />

gelegentlich zum Gegenstand<br />

von Machtkämpfen. Das heißt: Es<br />

geht dann weniger um die Frage, was<br />

richtig oder falsch, hilfreich oder<br />

schädlich ist, sondern darum, wer<br />

das Thema bestimmt. Auf dem Markt<br />

14<br />

Lupe 63 - 2008<br />

der Meinungen erlangt die Macht,<br />

wer die Lufthoheit in der Definition<br />

von Themen, Problemen und Aufgaben<br />

innehat. Das Fehlen oder<br />

Verschwinden von Gegenposi-tionen<br />

zeigt dann möglicherweise den<br />

Ausgang solcher Machtkämpfe an.<br />

Wer will fremdbestimmt sein?<br />

Falls nun das Interesse an Gegenpositionen<br />

geweckt ist, hier eine<br />

Auswahl an provokanten Thesen, mit<br />

denen man sich als Angriffsziel für<br />

den fachlichen Mainstream offenbaren<br />

kann:<br />

>>Selbstbestimmung als Leitvorstellung<br />

eigenverantwortlicher Lebensgestaltung<br />

ist ein „alter Hut“<br />

und trägt nichts Neues zur Unterstützung<br />

behinderter Menschen bei.<br />

Die Mitarbeiterinnen der Behindertenhilfe<br />

hatten immer schon die<br />

Fähigkeiten und die Stärken der<br />

Betreuten im Blick, auch wenn unter<br />

manchmal schwierigen Rahmenbedingungen<br />

manches nicht möglich<br />

war.<br />

>>In der aktuellen Situation neu<br />

und einseitig akzentuiert fördert<br />

Selbstbestimmung als Leitziel die<br />

Entsolidarisierung in sozialen Gemeinschaften<br />

und begünstigt in Betreuungsbeziehungen<br />

das Missverständnis<br />

verunsicherter Mitarbeiter,<br />

dass soziale Verantwortung und<br />

Fürsorge Fremdbestimmung seien.<br />

>>Einseitig betont erhöht die Forderung<br />

nach Selbstbestimmung und<br />

Eigenverantwortung die Risiken sozialer<br />

Isolierung und psychischer<br />

Erkrankung. Die problematischen<br />

gesellschaftlichen Tendenzen zur<br />

Individualisierung und zur Vereinzelung,<br />

die abnehmende Solidarität<br />

und der Verlust von Orientierung und<br />

Sicherheit werden dadurch aktiv<br />

auch in der Behindertenhilfe eingeführt.<br />

Dabei brauchen die an den<br />

Rand der Gesellschaft gedrängten<br />

Menschen mehr denn je Solidarität,<br />

soziale Verantwortung und Fürsorge.<br />

>>Die Art und Weise, in der mit dem<br />

Thema Selbstbestimmung umgegangen<br />

wird, enthält viele Aspekte<br />

von Fremdbestimmung, weil mehr<br />

über als mit betroffenen Menschen<br />

gesprochen wird. Vertraute Bezugspersonen<br />

und gesetzlich berechtigte<br />

Vertreter der Betroffenen sind in<br />

dieser Diskussion wenig beteiligt.<br />

»<br />

Martin Nolte,<br />

Bereichsleitung<br />

EuLe<br />

Es bleibt dabei: Wo Menschen<br />

mit geistiger Behinderung in Einrichtungen<br />

begleitet werden, entscheiden<br />

permanent berufliche Helfer<br />

über ihr Leben, und zwar in<br />

großen wie in kleinen Angelegenheiten.<br />

Zu rechtfertigen sind solche<br />

Eingriffe nur, wenn sie damit begründet<br />

werden können, dass ein<br />

gutes Leben für den betroffenen<br />

Menschen anders nicht möglich ist,<br />

jedenfalls nicht unter den gegebenen<br />

Umständen.<br />

Ob die Gruppe, in der jemand<br />

lernt, arbeitet oder wohnt, immer<br />

der richtige Platz ist für seine individuelle<br />

Entfaltung? Ob die Menschen<br />

seiner Umgebung zu ihm<br />

passen, ob es nicht einfach zu viele<br />

sind, und ob so viele Dinge<br />

gruppenweise stattfinden müssen,<br />

wie sie stattfinden, ist kritisch zu<br />

prüfen.<br />

Wir wollen, dass die Menschen mit<br />

Behinderung ihre Entscheidungen<br />

selbst treffen, wo immer es geht.<br />

Und wo für sie entschieden werden<br />

muss, die Verantwortung übernehmen,<br />

auch mit dem Wissen, dass<br />

Fehler geschehen können.<br />

Aus dem Leitbild von <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong>

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