Unterstützte Kommunikation - Haus Hall
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UNTER DER LUPE: Zur Selbstbestimmung assistieren?<br />
Selbstbestimmung im Zweiten Lebensraum<br />
Eine der sieben Abteilungen der Werkstatt bietet insbesondere Arbeitsplätze für Menschen mit schwerster<br />
Behinderung. Für diesen Personenkreis bedeutet Teilhabe am Arbeitsleben auch: ein Beziehungsangebot,<br />
Sinneserfahrung und Tagesstruktur. „Zweiter Lebensraum“ ist in <strong>Haus</strong> <strong>Hall</strong> die Bezeichnung für diese Abteilung.<br />
Was bedeutet hier „Selbstbestimmung“? Red.<br />
Neue Erfahrungsräume eröffnen<br />
Die Möglichkeit, selbstbestimmt leben<br />
zu können bleibt für alle Menschen<br />
relativ. Kernelement für selbst<br />
bestimmtes Leben ist es, Bedürfnisse<br />
zu entwickeln und eigenständig entscheiden<br />
zu können. Bei unseren<br />
schwerstbehinderten Menschen setze<br />
ich selbstverständlich im lebenspraktischen<br />
Bereich an. Sie drücken ihre<br />
Bedürfnisse und Vorlieben in ihrer<br />
eigenen Sprache aus. Als Mitarbeiterin<br />
bin ich gefordert, dies zu verstehen<br />
und eine echte Beziehung zu<br />
dem Menschen aufzubauen. Ich<br />
begleite den schwerstbehinderten<br />
Menschen dabei, seine selbst bestimmten<br />
Entscheidungen umzusetzen.<br />
Ich unterstütze ihn, seine<br />
Fähigkeiten zu entwickeln, und wo es<br />
nötig ist, werde ich einige Schritte<br />
mit ihm gehen. Dadurch kann ich<br />
neue Erfahrungsspielräume eröffnen.<br />
Wenn ich z.B. weiß, dass jemand<br />
schnelle Bewegungen liebt,<br />
kann ich ihn eine Achterbahnfahrt<br />
erleben lassen.<br />
Natürlich gibt es auch Grenzen der<br />
Selbstbestimmung. Beispielsweise<br />
bin ich als Mitarbeiterin immer gefordert,<br />
Schaden von einer Person<br />
abzuwenden, wenn sie selbst Gefahren<br />
nicht einschätzen kann. Dies<br />
sollte jedoch nicht in dem fremdbestimmten<br />
Sinne geschehen: „Ich<br />
weiß besser, was gut für dich ist“,<br />
sondern in einer echten Auseinandersetzung.<br />
Dazu muss ich auch meine<br />
eigenen Vorlieben, Abneigungen<br />
und Ängste reflektieren. So ist es<br />
möglich, dass jeder vom anderen<br />
lernt und beidseitig können Grenzen<br />
respektiert werden.<br />
Maria Buxel,<br />
Abteilungsleitung<br />
WfbM<br />
2. Lebensraum<br />
Matthias entscheidet selbst<br />
Die Kompetenz, selbstbestimmt zu<br />
handeln, kann man besonders bei<br />
Menschen mit Schwerstmehrfachbehinderungen<br />
nicht immer voraussetzen.<br />
Selbstbestimmung muss daher<br />
in vielen Fällen erst erlernt und<br />
geübt werden. Maßgeblich für die<br />
Auswahl der Ziele sind nicht die fehlenden<br />
Fertigkeiten, sondern die<br />
Bedürfnisse und Interessen der<br />
Menschen.<br />
Seit drei Jahren arbeitet Matthias<br />
im 2. Lebensraum. Zu seiner Unterstützung<br />
ist eine Fotoleiste gestaltet<br />
worden, auf der man alle Phasen des<br />
strukturierten Arbeitsalltags sehen<br />
kann, wie zum Beispiel Arbeitsphasen,<br />
Essenssituationen, Freiphasen.<br />
Die kleinen und großen Aufgaben<br />
des Alltags werden für ihn überschaubarer<br />
und deutlicher gegliedert.<br />
Nach der Arbeitsphase nimmt<br />
er beispielsweise das nächste Foto<br />
aus der Fotoleiste heraus und benennt,<br />
was er dort sieht. Er hat die<br />
Möglichkeit, aus mehreren Aktivitäten<br />
wie z.B. malen, spazieren gehen,<br />
spielen oder Katalog anschauen, eine<br />
Aktivität auszuwählen. Am liebsten<br />
geht er spazieren.<br />
Beim gemeinsamen Frühstück fällt<br />
es Matthias schwer, sich zu entscheiden,<br />
welchen Belag er auf seinem<br />
Brötchen haben möchte. Daher bieten<br />
wir ihm zunächst eine Auswahl<br />
an und geben ihm Zeit, um seine<br />
Entscheidung zu treffen. Durch Zeigen<br />
und Sprache kann Matthias seine<br />
Getränke und den Brotaufstrich<br />
selbst auswählen.<br />
Dadurch, dass Matthias selbst bestimmen<br />
kann, wird sein Selbstbewusstsein<br />
gestärkt.<br />
Irina Wart,<br />
WfbM<br />
2. Lebensraum<br />
Gescher<br />
Im Alltag häufig ein schmaler Grat<br />
In der Abteilung 2. Lebensraum gibt<br />
es im Tagesverlauf viele Möglichkeiten,<br />
unsere schwerstmehrfachbehinderten<br />
Beschäftigten gut in<br />
den Blick nehmen, um sie individuell<br />
zu fördern. Die Arbeitsphasen mit ihren<br />
unterschiedlichen Inhalten werden<br />
häufig von ihnen bestimmt.<br />
Wenn wir als Gruppenleiter die<br />
Tische für die einzelnen Arbeitsangebote<br />
herrichten oder miteinander<br />
laut über die Planung der Arbeitsphase<br />
sprechen, kommt es nicht<br />
selten vor, dass Beschäftigte durch<br />
eindeutige Gesten oder Lautäußerungen<br />
ihr favorisiertes Tätigkeitsfeld<br />
äußern. Auch zum Mittagessen<br />
zeigen einige Beschäftigte durch<br />
klare Gesten, was sie möchten, aber<br />
vor allem, was sie nicht möchten. Die<br />
Bedürfnisse der Beschäftigten müssen<br />
absolut ernst genommen und<br />
nach Möglichkeit auch erfüllt werden.<br />
Andererseits bewegen wir uns häufig<br />
auf einem schmalen Grat, wenn<br />
es um Selbstbestimmung geht. Im<br />
Alltag ist vieles aufgrund von Tagesstrukturen,<br />
von praktisch funktionierenden<br />
Abläufen oder aufgrund<br />
von Selbstüberschätzungen und sogar<br />
Selbstverletzungen nicht möglich.<br />
Vieles wird von uns Mitarbeitern<br />
vorgegeben und gesteuert. Häufig<br />
stoßen wir an Grenzen, die eine vollständige<br />
Umsetzung von selbst<br />
bestimmtem Handeln schwer, ja zum<br />
Teil unmöglich machen. Deshalb<br />
muss man im Team gut reflektieren,<br />
was zu verantworten ist und was<br />
nicht.<br />
Christian Lanfer,<br />
WfbM<br />
2. Lebensraum<br />
Gescher<br />
Lupe 63 - 2008 9