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Bachelor-Thesis<br />
Materialplastizität von Silizium bei hohen<br />
Temperaturen und <strong>der</strong>en Anwendung im<br />
Finite-Elemente-Programm ANSYS<br />
Bachelorarbeit Nr. 91/10<br />
von:<br />
Marco Dockhorn<br />
geb. am 26.06.1986<br />
in<br />
Zwenkau<br />
Matrikel-Nr: 43566<br />
Hochschullehrer:<br />
Betreuer:<br />
Prof. Dr.-Ing. Carsten Klöhn, HTWK Leipzig<br />
Dr.-Ing. Stephan Schönfel<strong>der</strong>, Fraunhofer CSP<br />
M.Sc. Marcus Oswald, Fraunhofer CSP<br />
Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig<br />
Fakultät Maschinen- und Energietechnik<br />
Studienrichtung Maschinenbau<br />
(Halle, August – Oktober 2010)
Erklärung<br />
Ich versichere wahrheitsgemäß, die Bachelorarbeit selbstständig angefertigt, alle benutzten<br />
Hilfsmittel vollständig und genau angegeben und alles kenntlich gemacht zu haben, was<br />
aus Arbeiten an<strong>der</strong>er unverän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> mit Abän<strong>der</strong>ungen entnommen wurde.<br />
Halle, den<br />
Marco Dockhorn
Danksagung<br />
An dieser Stelle möchte ich mich für die wissenschaftliche Betreuung seitens <strong>der</strong> Hochschule<br />
durch Herrn Prof. Carsten Klöhn bedanken.<br />
Für die Durchführung <strong>der</strong> Arbeit am Fraunhofer-Center für Silizium-Photovoltaik, sowie<br />
für die fachlichen Diskussionen und Anregungen gilt mein beson<strong>der</strong>er Dank Herrn Dr.-Ing.<br />
Stephan Schönfel<strong>der</strong> und Herrn MSc. Marcus Oswald.<br />
Ich danke allen Mitarbeitern, Hilfswissenschaftler und Praktikanten des Fraunhofer-Center<br />
für Silizium-Photovoltaik und des Fraunhofer-Institut für Werkstoffmechanik für das stets<br />
angenehme Arbeitsklima, sowie für die gute Zusammenarbeit und zahlreichen Diskussionen.
Inhaltsverzeichnis<br />
V<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung 1<br />
1.1 Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />
1.2 Aufgabenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2<br />
2 Grundlagen 4<br />
2.1 Elastizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />
2.2 Plastizitätstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />
2.2.1 Grundlegendes Konzept eines Stoffgesetzes . . . . . . . . . . . . . . 10<br />
2.2.2 Fließbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13<br />
2.2.3 Fließgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />
2.2.4 Materialverfestigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />
2.3 Theoretische Grundlagen <strong>der</strong> Versetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
2.3.1 Kristallbaufehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30<br />
2.3.2 Versetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32<br />
2.4 Struktureigenschaften von Silizium und Kristallplastizität . . . . . . . . . . 33<br />
2.4.1 Aufbau und Eigenschaften <strong>der</strong> Kristallstruktur . . . . . . . . . . . . 35<br />
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium . . . . . . 37<br />
2.4.3 Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik . . . . . . . . . . . . . . . . 45<br />
3 Plastizität in Silizium 48<br />
3.1 Materialmodell nach Alexan<strong>der</strong> und Haasen . . . . . . . . . . . . . . . . . 49<br />
3.1.1 Beschreibung des Streckgrenzenbereiches . . . . . . . . . . . . . . . 50<br />
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52<br />
3.1.3 Bestimmung <strong>der</strong> Fließspannungen aus statischen Versuchen . . . . . 57<br />
3.1.4 Verformung nach <strong>der</strong> unteren Streckgrenze . . . . . . . . . . . . . . 59<br />
3.2 Experimentelle Bestimmung <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve . . . . . . . . 61
Inhaltsverzeichnis<br />
VI<br />
3.2.1 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Temperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62<br />
3.2.2 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . . . 63<br />
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte . . . . . . . . . . 66<br />
3.3 Reflexion <strong>der</strong> Ergebnisse durch eigene Untersuchungen . . . . . . . . . . . 68<br />
4 Diskussion <strong>der</strong> Anwendungen 74<br />
4.1 Anwendbarkeit des Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . 74<br />
4.1.1 Diskussion <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Parameterbestimmung . . . . . . . . 74<br />
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75<br />
4.2 Ablaufplan für die Implementierung in ANSYS . . . . . . . . . . . . . . . . 77<br />
5 Zusammenfassung und Ausblick 81<br />
Literaturverzeichnis<br />
A Messdaten<br />
XIV<br />
XXI
Abbildungsverzeichnis<br />
VII<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 2.1 Klassifizierung des Materialverhaltens . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />
Abb. 2.2 Elastisch–plastischer Übergang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9<br />
Abb. 2.3 Fließfläche im Hauptspannungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />
Abb. 2.4 Fließkurve in <strong>der</strong> Deviatorebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17<br />
Abb. 2.5 Fließkurven des Tresca-Werkstoffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />
Abb. 2.6 Fließkurven des Huber–von Mises-Werkstoffs . . . . . . . . . . . . . . 21<br />
Abb. 2.7 Verformungsarbeit <strong>der</strong> zusätzich aufgebrachten Belastung . . . . . . . 21<br />
Abb. 2.8 Spannungszyklus eines ideal-plastischen Werkstoffes nach Drucker . . 25<br />
Abb. 2.9 Linear-elastisch–ideal-plastisches Materialverhalten . . . . . . . . . . 27<br />
Abb. 2.10 Fließbedingung mit Materialverfestigung . . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />
Abb. 2.11 Linear-elastisch–plastischer Werkstoff mit Materialverfestigung . . . . 29<br />
Abb. 2.12 Schematische Darstellung des Burgers-Vektors . . . . . . . . . . . . . 32<br />
Abb. 2.13 Abgleitbewegung in <strong>der</strong> Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
Abb. 2.14 Abgleitbewegung in <strong>der</strong> Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34<br />
Abb. 2.15 Aufbau <strong>der</strong> Diamantstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
Abb. 2.16 Projektion <strong>der</strong> Diamantstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36<br />
Abb. 2.17 Shockleysche Partialversetzungen in <strong>der</strong> Doppelgleitebene . . . . . . . 38<br />
Abb. 2.18 Vollständige 60 ◦ –Versetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39<br />
Abb. 2.19 Versetzungen in <strong>der</strong> Diamantstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40<br />
Abb. 2.20 Frank–Read-Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41<br />
Abb. 2.21 Peierls-Mechanisus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />
Abb. 2.22 Experimentelle Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik . . . . . . . . 45<br />
Abb. 2.23 Definition des Schmidfaktors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47<br />
Abb. 3.1 Streckgrenzenbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50
Abbildungsverzeichnis<br />
VIII<br />
Abb. 3.2 Statische Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58<br />
Abb. 3.3 Statische Versuchsdurchführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />
Abb. 3.4 Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve . . . . . . . 64<br />
Abb. 3.5 Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />
Abb. 3.6 Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit . . . . 65<br />
Abb. 3.7 Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte . . 67<br />
Abb. 3.8 Abhängigkeit <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurven von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte<br />
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67<br />
Abb. 3.9 Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit und<br />
dem Spannungsexponent n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
Abb. 3.10 Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze von <strong>der</strong> Temperatur und dem Spannungsexponent<br />
n . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70<br />
Abb. 3.11 Ermittlung des Spannungsexponenten n . . . . . . . . . . . . . . . . . 71<br />
Abb. 3.12 Ermittlung <strong>der</strong> Aktivierungsenergie U y . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />
Abb. 4.1 Flussdiagramm eines numerischen Lösungsalgorithmus . . . . . . . . . 78
Tabellenverzeichnis<br />
IX<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tab. 3.1 Zusammenfassung <strong>der</strong> ermittelten Parameter . . . . . . . . . . . . . . 72<br />
Tab. A.1 Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von<br />
Omri et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXII<br />
Tab. A.2 Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von<br />
Schröter et al. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII<br />
Tab. A.3 Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von<br />
Siethoff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIV<br />
Tab. A.4 Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von<br />
Yonenaga und Sumino . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXV
Tabellenverzeichnis<br />
X<br />
Symbolverzeichnis<br />
a [−] Abgleitung<br />
ȧ [s −1 ] Abgleitgeschwindigkeit<br />
ȧ W [s −1 ] Abgleitgeschwindigkeit im Wendepunkt <strong>der</strong> Kriechkurve<br />
A [−] Verfestigungsfaktor<br />
b [nm] Betrag des Burgers-Vektor<br />
b [−] Burgers-Vektor<br />
B 0 [−] empirische Konstante für die Beweglichkeit von Versetzungen<br />
C y [−] Konstante<br />
C [MPa] Steifigkeitstensor<br />
C ijkl [MPa] Komponenten des Steifigkeitstensors<br />
d [mm] Dicke<br />
e [−] Raumdiagonale<br />
f y [MPa] Fließkriterium<br />
E [MPa] Elastizitätsmodul<br />
G [MPa] Schubmodul<br />
I [MPa] erste Invariante des Spannungstensors<br />
II [MPa] zweite Invariante des Spannungstensors<br />
III [MPa] dritte Invariante des Spannungstensors<br />
J i [MPa] Invariante des Spannungsdeviators<br />
k [eV] Boltzmann-Konstante<br />
K [−] Multiplikationskonstante<br />
l [mm] Länge<br />
m [−] Spannungsexponent<br />
n [−] erweiterter Spannungsexponent<br />
N [cm −2 ] Versetzungsdichte
Tabellenverzeichnis<br />
XI<br />
N 0 [cm −2 ] Ausgangsversetzungsdichte<br />
N m [cm −2 ] bewegliche Versetzungsdichte<br />
r [−] Positionsvektor<br />
R [mm] Radius<br />
s [−] Richtung <strong>der</strong> Versetzungslinie<br />
t [s] Zeit<br />
t i [s] Zeitpunkt<br />
T [K] Temperatur<br />
T BDT [K] Spröd-Duktil-Übergangstemperatur<br />
U [eV] Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Versetzungsbewegung<br />
U y [eV] Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Fließspannung<br />
W [J] Verformungsarbeit<br />
α [ ◦ ] Winkel zwischen <strong>der</strong> Probenorientierung und <strong>der</strong><br />
Gleitebenennormalen<br />
β [ ◦ ] Winkel zwischen <strong>der</strong> Probenorientierung und <strong>der</strong> Gleitrichtung<br />
δ [−] Multiplikationsfaktor<br />
δ ij [−] Kronecker-Delta<br />
ε [−] Dehnung<br />
ε e [−] elastische Dehnung<br />
ε p [−] plastische Dehnung<br />
˙ε [−] Dehnrate<br />
ˆ˙ε p [−] hydrostatischer Anteil <strong>der</strong> plastische Dehnrate<br />
˙ε ′p [−] deviatorischer Anteil <strong>der</strong> plastische Dehnrate<br />
ε [−] Dehnungstensor<br />
ε kl [−] Komponenten des Dehnungstensors<br />
κ [−] Verfestigungsfaktor<br />
λ [−] Plastizitätsmultiplikator<br />
µ [−] Schmid-Faktor<br />
ν [−] Poisson-Zahl
Tabellenverzeichnis<br />
XII<br />
σ [MPa] Spannung<br />
˙σ [MPa] Spannungsinkrement<br />
σ i [MPa] Hauptspannung<br />
σ max [MPa] maximale Hauptspannung<br />
σ min [MPa] minimale Hauptspannung<br />
σ m [MPa] Misesspannung<br />
σ e [MPa] Vergleichsspannung<br />
σ [MPa] Spannungstensor<br />
σ ij [MPa] Komponenten des Spannungstensors<br />
ˆσ [MPa] hydrostatischer Anteil des Spannungstensors<br />
σ ′ [MPa] deviatorischer Anteil des Spannungstensors<br />
τ [MPa] Schubspannung<br />
˙τ [MPa] Schubspannungsinkrement<br />
τ eff [MPa] effektive Schubspannung<br />
τ il [MPa] weitreichende innere elastische Spannung<br />
τ is [MPa] innere elastische Spannung im Nahfeld<br />
τ ly [MPa] untere Streckgrenze<br />
τ uy [MPa] obere Streckgrenze<br />
τ yT [MPa] Tresca-Fließschubspannung<br />
τ max [MPa] maximale Schubspannung<br />
χ [mm] mittlere freie Weglänge <strong>der</strong> Versetzung<br />
Θ [MPa s −1 ] Verfestigungsrate<br />
υ [m s −1 ] Versetzungsgeschwindigkeit
Abkürzungsverzeichnis<br />
XIII<br />
Abkürzungsverzeichnis<br />
ABAQUS<br />
ANSYS<br />
BDT<br />
CSP<br />
IWMH<br />
MISO<br />
MKIN<br />
VUMAT<br />
Finite-Elemente-Programm <strong>der</strong> Firma Dassault Systèmes<br />
Finite-Elemente-Programm <strong>der</strong> Firma ANSYS, Inc.<br />
Spröd-Duktil-Übergang, brittle-ductile-transition<br />
Center für Silizium-Photovoltaik<br />
Institut für Werkstoffmechanik Halle, Fraunhofer Gesellschaft<br />
Multilineares Materialmodell mit isotroper Verfestigung, multilinear isotropic<br />
hardening material model<br />
Multilineares Materialmodell mit kinematischer Verfestigung, multilinear<br />
kinetic hardening material model<br />
Benutzerdefiniertes Materialmodell des mechanischen Verhaltens, userdefined<br />
mechanical material behavior
1 Einleitung 1<br />
1 Einleitung<br />
Für die Anwendung in <strong>der</strong> Mikroelektronik und Halbleiterindustrie nimmt <strong>der</strong> Werkstoff<br />
Silizium einen hohen Stellenwert ein. Beson<strong>der</strong>s im Bereich <strong>der</strong> Solarindustrie hat Silizium<br />
sich als <strong>der</strong> Werkstoff etabliert. Es existieren heutzutage unterschiedliche Solarzellentypenypen<br />
auf Basis verschiedener Werkstoffe. Die Siliziumwafer nehmen dabei mit einem<br />
Marktanteil von über 80 % eine dominante Rolle ein [63]. Seine Materialeigenschaften,<br />
kombiniert mit einem reichhaltigen natürlichen Vorkommen machen Silizium zu einem<br />
einzigartigen Rohstoff in <strong>der</strong> Herstellung von Solarzellen, welcher vorraussichtlich nicht in<br />
naher Zukunft angefochten wird. Mit einem Masseanteil von rund 27,5 % in <strong>der</strong> Erdkruste<br />
steht das Element Silizium in beinahe unbegrenztem Ausmaß zur Verfügung. Die Entwicklung<br />
neuer Solarzellenkonzepte verlangen immer dünner werdende Solarzellen, welche bei<br />
reduzierter Größe und Gewicht dennoch eine größere Ausbeute des nutzbaren Lichtes<br />
ermöglichen. Auch vom finanziellen Aspekt aus werden kostengünstigere Solarmodule angestrebt.<br />
Zur Erreichung dieser Ziele müssen die Herstellungsprozesse optimiert werden,<br />
was ein genaues Verständis <strong>der</strong> Materialeigenschaften, insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> mechanischen und<br />
physiaklischen Eigenschaften, vorraussetzt. [23, 32]<br />
1.1 Motivation<br />
Grundlegend kann die Herstellung von Siliziumwafern in zwei Arten unterteilt werden.<br />
Zum einem erfolgt die Herstellung nach dem String-Ribbon-Verfahren [36], bei <strong>der</strong> temperaturbeständige<br />
Drähte durch eine flüssige Silizumschmelze gezogen werden um ein<br />
multikristallines Band von Siliziumkristallen zu erhalten. Zum an<strong>der</strong>en erfolgt das Aussägen<br />
von Wafern aus einem mono- o<strong>der</strong> multikristallinen Siliziumblock, dem sogenannten
1 Einleitung 2<br />
Ingot [38].<br />
In einer vorrangegangen Arbeit von Ringo Köpge [32] wurde das Materialverhalten von<br />
Silizium unterhalb des Spröd-Duktil-Übergangs untersucht. Im Mittelpunkt dieser Arbeit<br />
stand das inelastische Verhalten <strong>der</strong> Siliziumwafer und <strong>der</strong> Einfluss von Schädigungen während<br />
des Herstellprozesses, z. B. durch das Sägen <strong>der</strong> Siliziumblöcke. Zur Übertragung <strong>der</strong><br />
Erkenntnisse aus dieser Arbeit bei Temperaturen oberhalb des Spröd-Duktil-Überganges,<br />
muss aufgrund hier herrschen<strong>der</strong> duktiler Eigenschaften die Plastizität des Werkstoffes<br />
mit berücksichtigt werden.<br />
Des weiteren beruhen die computergestützen Simulationen bei <strong>der</strong> Kristallzüchtung am<br />
Fraunhofer CSP <strong>der</strong>zeit auf einem elastischen Materialverhalten. Zur Optimierung <strong>der</strong><br />
Herstellungsprozesse darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass während <strong>der</strong> Abkühlung<br />
<strong>der</strong> flüssigen Schmelze zu einem Festkörper ein Bereich durchlaufen wird, in dem<br />
Silizium ein plastisches Materialverhalten aufweist. Dieses plastische Verhalten ist gekennzeichnet<br />
durch komplexe Zusammenhänge <strong>der</strong> mikrostrukturellen Versetzungsbewegung<br />
und unterliegt vielen äußeren und prozessbedingten Einflüssen. Eine genauere Beschreibung<br />
des plastischen Verhaltens bildet daher die Grundlage für weitere Verbesserungen<br />
des Herstellungsprozesses.<br />
1.2 Aufgabenstellung<br />
Im Rahmen dieser Arbeit soll das plastische Materialverhalten von Silizium bei hohen<br />
Temperaturen untersucht werden. Dafür soll durch eine intensive Literaturrecherche <strong>der</strong><br />
aktuelle Stand <strong>der</strong> Technik und Möglichkeiten <strong>der</strong> Modellierung plastischen Verhaltens,<br />
insbeson<strong>der</strong>e für den Werkstoff Silizium, erarbeitet werden. Die für die Modellierung nötigen<br />
Materialparameter und Abhängigkeiten <strong>der</strong> mechanischen Eigenschaften sind in diesem<br />
Zusammenhang zu ermitteln und <strong>der</strong>en Anwendbarkeit zu überprüfen. Die Konsistenz<br />
mit experimentellen Untersuchungen ist zu bewerten. Die gefundenen Materialdaten sollen<br />
in Finite-Elemente-Programme übertragen werden. Während <strong>der</strong> Bearbeitung dieser<br />
Themen hat sich die große Komplexität des plastischen Materialverhaltens, sowie <strong>der</strong>en
1 Einleitung 3<br />
mathematische Formulierung und Lösung gezeigt. Im zeitlichen Rahmen dieser Arbeit<br />
musste auf eine Implementierung in das Finite-Elemente-Programm ANSYS daher verzichtet<br />
werden. Es werden Möglichkeiten diskutiert, wie eine Implementierung grundsätzlich<br />
zu realisieren wäre.
2 Grundlagen 4<br />
2 Grundlagen<br />
Dieses Kapitel beinhaltet die Grundlagen <strong>der</strong> theoretischen Betrachtung von Elastizität<br />
und Plastizität in Werkstoffen allgemein sowie werkstoffspezifische Informationen über<br />
Silizium. Darunter sind sowohl <strong>der</strong> strukturelle Aufbau, also auch die Mechanismen <strong>der</strong><br />
Versetzungsbewegung zu verstehen, welche für das Verständnis <strong>der</strong> Materialmodelle und<br />
zur Klärung des plastischen Verhaltens von Silizium von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung sind.<br />
An dieser Stelle ist es hilfreich eine Klassifizierung des Materialverhaltens vorzunehmen.<br />
Solch eine Klassifizierung kann zunächst einmal an den aus Versuchen gewonnen Daten<br />
durchgeführt werden in <strong>der</strong> Hinsicht, ob die Spannungs-Dehnungs-Kurve eine Abhängigkeit<br />
von <strong>der</strong> Versuchsgeschwindigkeit aufweist o<strong>der</strong> nicht. Zeigt das Materialverhalten<br />
keine Geschwindigkeitsabhängigkeit, kann weiter darin unterschieden werden, ob Hystereseerscheinunungen<br />
(Verformungsgeschwichte hat einen Einfluss auf den aktuellen Zustand)<br />
auftreten.<br />
Sollte das Materialverhalten eine Geschwindigkeitsabhängigkeit aufweisen liegt ein beson<strong>der</strong>es<br />
Augenmerk auf <strong>der</strong> Ausgleichskurve. Diese kann ebenfalls Hystereseerscheinungen<br />
zeigen. Es ist demnach möglich das Materialverhalten von Werkstoffen anhand experimentell<br />
beobachteter Gesichtspunkte in vier Klassen einzuteilen (siehe Abb. 2.1 oben):<br />
i) geschwindigkeitsabhängig ohne Hysterese,<br />
ii) geschwindigkeitsabhängig mit Hysterese,<br />
iii) geschwindigkeitsunabhängig ohne Hysterese <strong>der</strong> Ausgleichskurve und<br />
iv) geschwindigkeitsunabhängig mit Hysterese <strong>der</strong> Ausgleichskurve.<br />
Diesen 4 Klassen lassen sich nun weiter vier mathematische Modellen zuordnen:
2 Grundlagen 5<br />
Geschwindigkeitsunabhängig<br />
Geschwindigkeitsabhängig<br />
ó<br />
ó<br />
ó<br />
ó<br />
å<br />
å<br />
å<br />
å<br />
Mit Hysterese Ohne Hysterese Ohne Gleichgewichtshysterese<br />
Mit Gleichgewichtshysterese<br />
Abb. 2.1: Klassifizierung des Materialverhaltens nach experimentell beobachteten Gesichtspunkten<br />
(oben) und nach <strong>der</strong>en mathematischer Beschreibung (unten). (vgl. [20])<br />
i) Die Elastizitätstheorie beschreibt geschwindigkeitsabhängiges Materialverhalten ohne<br />
Hysterese.<br />
ii) Die Plastizitätstheorie beschreibt geschwindigkeitsabhängiges Materialverhalten mit<br />
Hysterese.<br />
iii) Die Viskoelastizitätstheorie beschreibt geschwindigkeitsunabhängiges Materialverhalten<br />
ohne Hysterese <strong>der</strong> Ausgleichskurve.<br />
iv) Die Viskoplastizitätstheorie beschreibt geschwindigkeitsunabhängiges Materialverhalten<br />
mit Hysterese <strong>der</strong> Ausgleichskurve.<br />
Physikalisch werden diese Theorien durch sogenannte rheologische Modell veranschaulicht<br />
(vlg. Abb. 2.1 unten). Diese Modelle sind Netzwerke aus verschiedenen, einfachen (masselosen)<br />
mechanischen Bauelementen wie <strong>der</strong> elastischen Fe<strong>der</strong>, viskosen Dämpfern und<br />
Coulombschen Reibelementen.<br />
Die Elastizitätstheorie stellt die einfachste Form <strong>der</strong> rheologischen Modelle dar. Sie basiert<br />
auf dem Wirken einer Reaktionskraft, welche <strong>der</strong> Deformation entgegenwirkt. Tritt dabei<br />
weiter innere Reibung auf o<strong>der</strong> geht Energie während dieses Prozesses verloren, kommt
2 Grundlagen 6<br />
die Viskoeleastizität zum tragen. Die zwei letztgenannten Erscheinungen werden ebenfalls<br />
von <strong>der</strong> Plastizitätstheorie beschrieben, jedoch aus <strong>der</strong> Sicht innerer mikrostruktureller<br />
Bewegungsprozesse. Die Viskoplastizitätstheorie stellt die allgemeinste Modellierung dar,<br />
mit welcher jedes makroskopisch beobachtbare Phänomen beschrieben werden kann. Auf<br />
die Theorien <strong>der</strong> Elastizität und Plastizität soll folgend näher eingegangen werden. [20]<br />
2.1 Elastizitätstheorie<br />
Festkörper weisen bei kleinen Dehnungen ein überwiegend elastisches Verhalten auf. Eine<br />
Verformung o<strong>der</strong> Deformation wird beschrieben durch die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Form eines<br />
Werkstoffes unter <strong>der</strong> Einwirkung einer äußeren Kraft. Sind die Verformungen reversibel,<br />
also umkehrbar o<strong>der</strong> nicht dauerhaft, spricht man von einer elastischen Verformung. Nach<br />
Altenbach [6] lässt sich die Elastizität “als das Vermögen eines Werkstoffes bezeichnen,<br />
unter mechanischer Beanspruchung reversible Verzerrungen (bzw. Deformationen) aufzubauen.”<br />
Bei Rücknahme <strong>der</strong> Belastung bildet <strong>der</strong> Werkstoff seine Verformungen zurück<br />
und nimmt bei vollständiger Entlastung wie<strong>der</strong> seine Ausgangsgestalt an. Elastisches Verhalten<br />
tritt auf, solange eine direkte Proportionalität zwischen den Spannungen und den<br />
Dehnungen, σ ∝ ε besteht. Im nichtlinearem Fall ist dieser Zusammenhang durch<br />
ε = σ f(σ) (2.1.1)<br />
E<br />
für den einachsigen Spannungszustand gegeben. Nehmen die Spannungen und Dehnungen<br />
kleine Werte an, strebt die dimensionslose Funktion f(σ) gegen den Wert 1. Aus Gl. (2.1.1)<br />
erhält man das Hooke’sche Gesetz<br />
σ = E ε (2.1.2)<br />
Die Proportionalitätskonstante E wird als Elastizitätsmodul bezeichnet, eine werkstoffspezifischen<br />
Kenngröße. Dieses als linear-elastisch bezeichnete Verhalten ist tyisch für fast<br />
alle Materialien mit Ausnahme weniger Stoffe, wie z. B. Elastomere. Für den mehrachsi-
2 Grundlagen 7<br />
gen Spannungszustand muss das Hooke’sche Gesetz in seiner allgemeinen Form (lineare<br />
Tensorgleichung 4. Stufe)<br />
σ = C : ε<br />
σ ij = C ijkl ε kl , i, j, k, l = 1..3<br />
(2.1.3)<br />
angewandt werden. σ bezeichnet den Spannungstensor mit seinen Komponenten σ ij , analog<br />
ε den Verzerrungstensor mit seinen Komponenten ε kl . Der Steifigkeits- o<strong>der</strong> Elastizitätstensor<br />
C besitzt <strong>der</strong> Notation C ijkl zufolge 81 Komponenten. Für linear-elastisches<br />
Werkstoffverhalten sind die Tensoren σ und ε symmetrisch. Der Steifigkeitstensor reduziert<br />
sich daher auf 32 bzw. aus weiterer energetischer Sicht durch die Symmetrieeigenschaft<br />
auf 21 voneinan<strong>der</strong> unabhängige Komponenten. Weist <strong>der</strong> Werkstoff weiter<br />
Materialisotropie (Gleichberechtigung aller Richtungen im Material bezüglich <strong>der</strong> elastischen<br />
Eigenschaften) auf, lässt sich <strong>der</strong> Steifigkeitstensor auf zwei elastische Konstanten<br />
beschränken<br />
C =<br />
E<br />
1 − ν<br />
⎛<br />
⎞<br />
1 − ν ν ν<br />
0 0 0<br />
1 − 2ν 1 − 2ν 1 − 2ν<br />
ν 1 − ν ν<br />
0 0 0<br />
1 − 2ν 1 − 2ν 1 − 2ν<br />
ν ν 1 − ν<br />
0 0 0<br />
1 − 2ν 1 − 2ν 1 − 2ν<br />
1<br />
0 0 0 0 0<br />
2<br />
1<br />
0 0 0 0 0<br />
⎜<br />
2<br />
⎟<br />
⎝<br />
1<br />
⎠<br />
0 0 0 0 0<br />
2<br />
(2.1.4)<br />
Die Poisson-Zahl o<strong>der</strong> Querkontraktionszahl ν beschreibt im Zugversuch das Verhältnis<br />
zwischen relativer Dickenän<strong>der</strong>ung ∆d/d zur relativen Längenän<strong>der</strong>ung ∆l/l. [7]
2 Grundlagen 8<br />
2.2 Plastizitätstheorie<br />
Wirken auf den Körper Kräfte ein, dass bei anschließen<strong>der</strong> Entlastung keine Rückverformung<br />
bis zum Ausgangszustand mehr möglich ist, verän<strong>der</strong>t sich das Werkstoffverhalten<br />
und <strong>der</strong> Körper erfährt inelastische, sogenannte plastische Deformationen. Die plastischen<br />
Eigenschaften eines Werkstoffes können, bedingt durch den zu untersuchenden Werkstoff<br />
selbst (spezifische Kennwerte), als auch durch Abhängigkeiten von den Umgebungsbedingungen<br />
(d. h. Temperatur, Versuchsdauer u. a.), stark variieren [27]. Im Gegensatz<br />
zum elastischen Verhalten versteht man das Vermögen eines Werkstoffes zur Ausbildung<br />
irreversibler Verformung, beginnend ab einem bestimmten Spannungsniveau als Plastizität.<br />
Die mechanische Arbeit wird hierbei unumkehrbar in thermische Energie überführt<br />
und steht dem Werkstoff danach nicht mehr zur Verfügung [8]. Bei vollständiger Entlastung<br />
bleiben diese plastischen Anteile erhalten. Die Zeitabhängigkeit kann dabei oftmals<br />
vernachlässigt werden. [6]<br />
Reale Körper, welche ein elastisches Verhalten bis zu einem definierten Spannungs- o<strong>der</strong><br />
Dehnungsniveau aufweisen, werden als spröde o<strong>der</strong> duktile Werkstoffe betrachtet. Erfolgt<br />
<strong>der</strong> Bruch innerhalb des elastischen Bereiches verhält sich dieser Werkstoff spröde. Ein<br />
duktiles Werkstoffverhalten kennzeichnet sich durch ein plastisches Verhalten nach Überschreiten<br />
<strong>der</strong> elastischen Grenze, das im Zuge steigen<strong>der</strong> Verzerrungen zum Bruch führt.<br />
Das Beanspruchungsniveau ist für den Übergang elastisch zu plastisch von entscheiden<strong>der</strong><br />
Bedeutung. Im Falle linear-elastischen Werkstoffverhaltens werden die Dehnungen<br />
vollständig durch das Hooke’sche Gesetz entsprechend Gl. (2.1.3) beschrieben. Erreicht<br />
das Beanspruchungsniveau diesen Grenzwert, im folgenden als Streckgrenze f y bezeichnet,<br />
bildet sich ein materialspezifisches Fließplateau aus. Dieses kann je nach Werkstoff<br />
unterschiedlich stark ausgeprägt sein (siehe Abb. 2.2). Es kennzeichnet sich durch einen<br />
zunehmenden Verzerrungszustand bei annähernd konstanten Spannungen aus. Das ausgeprägte<br />
Fließplateau, auch ausgeprägte Streckgrenze genannt, kann mit stabilen Einschnürvorgängen<br />
durch Bildung von Lü<strong>der</strong>sbän<strong>der</strong>n in Verbindung gebracht werden. Fremdatome<br />
(Legierungsbestandteile, Verunreinigungen etc.) behin<strong>der</strong>n dabei die Versetzungs-
2 Grundlagen 9<br />
ó<br />
ó<br />
a) b)<br />
ƒy<br />
ƒy<br />
å p<br />
å<br />
å p<br />
å<br />
Abb. 2.2: Spannungs-Dehnungs-Kurve mit elastisch–plastischem Übergang. a) Schwach ausgeprägtes<br />
Fließplateau. b) Ausgeprägtes Fließplateau.<br />
bewegung (Versetzungsbewegung in Silizium, siehe Abschnitt 2.4.2). Die zum Losreißen<br />
<strong>der</strong> Versetzungen erfor<strong>der</strong>liche höhere Spannung wird zunächst lokal am Ort <strong>der</strong> höchsten<br />
Spannungsspitze erreicht und bewirkt einen Gleitvorgang mit anschließen<strong>der</strong> lokaler<br />
Verfestigung. In den bereits abgeglittenen Bereichen entsteht durch einsetzende Verfestigung<br />
eine Spannungsüberhöhung und führt zum Losreißen einer ‘Versetzungslawine’ in <strong>der</strong><br />
Nachbarschaft und zur Bildung von auf <strong>der</strong> polierten Oberfläche sichtbaren Gleitbän<strong>der</strong>.<br />
Der Vorgang ist beendet, wenn sich die Lü<strong>der</strong>sbän<strong>der</strong> gleichmäßig über den beanspruchten<br />
Bereich ausgebreitet haben [49]. Die weitere Deformation des Werkstoffes über diesen<br />
Bereich hinaus führt zu einer Materialverfestigung, welche meist einen Spannungsanstieg<br />
zu Folge hat. Wird <strong>der</strong> Werkstoff in diesem Bereich vollständig entlastet bleiben die plastischen<br />
Dehnung ε p (vgl. Abb. 2.2) erhalten. Durch eine erneute Belastung setzt plastisches<br />
Verhalten erst ab einem höheren Beanspruchungsniveau wie<strong>der</strong> ein. Das entgegengesetzte<br />
Verhalten, die Materialentfestigung, findet wenig Anwendung in <strong>der</strong> Ingenieursarbeit und<br />
ist daher seltener Gegenstand analytischer Betrachtungen. Entfestigung des Werkstoffes<br />
führt zu einem Herabsenken <strong>der</strong> zur Aufrechterhaltung weiterer Dehnungen notwendigen<br />
Fließspannung. Es wird zumeist bei <strong>der</strong> Modellierung des Werkstoffversagens herangezogen.<br />
Zusammenfassend kann die Spannungs-Dehnungs-Kurve des elastisch–plastischen Werk-
2.2.1 Grundlegendes Konzept eines Stoffgesetzes 10<br />
stoffmodells mit Materialverfestigung mathematisch beschrieben werden durch<br />
⎧<br />
σ<br />
⎪⎨<br />
für σ < f y<br />
E<br />
ε =<br />
(2.2.1)<br />
σ ⎪⎩<br />
E + εp (σ) für σ ≥ f y<br />
Die Funktion <strong>der</strong> plastischen Dehnung ε p (σ) kann sowohl mit Hilfe experimenteller Untersuchungen<br />
als auch mittels numerischer Methoden (siehe Abschnitt 4.2) bestimmt werden.<br />
[6, 25]<br />
2.2.1 Grundlegendes Konzept eines Stoffgesetzes<br />
Für die folgenden Überlegungen sollen zuvor einige Annahmen getroffen werden:<br />
i) Das Werkstoffverhalten wird als zeitunabhängig vorrausgesetzt. Die Verzerrungen<br />
treten in Folge plastischen Verhaltens auf. Kriechvorgänge finden nicht statt.<br />
ii) Die Beanspruchung erfolgt quasistatisch, d. h. es seien kleine Deformationsgeschwindigkeiten<br />
vorrausgesetzt.<br />
iii) Zustandsän<strong>der</strong>ungen erfolgen isotherm.<br />
Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Zustandsgrößen nach <strong>der</strong> Zeit t stellen die Belastungsgeschichte dar. Sie<br />
beschreiben also Zustandsän<strong>der</strong>ungen (Inkremente) als Folge <strong>der</strong> Belastungsän<strong>der</strong>ung.<br />
Diese Annahme ist konsistent mit dem vorrausgesetztem zeitunabhängigen Werkstoffverhalten.<br />
Werden weiter kleine Verzerrungen und ein homogener Werkstoff angenommen,<br />
lassen sich entsprechend<br />
˙ε = ˙ε e + ˙ε p (2.2.2)<br />
die Verzerrungsinkremente ε additiv in einen elastischen und einen plastischen Anteil ε e<br />
bzw. ε p zerlegen. [10]
2.2.1 Grundlegendes Konzept eines Stoffgesetzes 11<br />
Innerhalb <strong>der</strong> phenomenologischen Modellierung des Werkstoffverhaltens kann die Formulierung<br />
werkstoffspezifischer Gleichungen durch zwei grundlegende Methoden erfolgen.<br />
Diese werden durch die induktive und die deduktive Schlussweise dargestellt. Die induktive<br />
Schlussweise geht von einfachsten Zusammenhängen <strong>der</strong> Zustandsgrößen aus, welche<br />
vielfach empirisch ermittelt und überprüft wurden (z. B. das Hooke’sche Gesetz) und<br />
verallgemeinert diese schrittweise. Dadurch erhaltene Gleichungen können jedoch Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
enthalten und müssen dahingehend auf Konsistenz überprüft werden. Im Gegensatz<br />
dazu bewegt sich die deduktive Schlussweise anfangs im allgemeinsten Rahmen und<br />
prüft dessen physikalische und mathematische Verträglichkeit. Alle von dieser allgemeinen<br />
Formulierung abgeleiteten speziellen Son<strong>der</strong>fälle sind gleichfalls wie<strong>der</strong>spruchsfrei. [6]<br />
Auf <strong>der</strong> Grundlage makroskopischer Beobachtungen kann für die phenomenologische Beschreibung<br />
des elastisch–plastischen Werkstoffmodells zugrunde gelegt werden, dass rein<br />
elastische Zustandsän<strong>der</strong>ungen existieren, durch die keine irreversiblen Verzerrungsän<strong>der</strong>ungen<br />
hervorgerufen werden. Ebenfalls sind elastisch–plastische Zustandsän<strong>der</strong>ungen mit<br />
bleibenden Verzerrungsän<strong>der</strong>ungen ˙ε p ≠ 0 möglich. Unter <strong>der</strong> Vorraussetzung eines isotropen<br />
Materials kann das plastische Verhalten unabhängig vom hydrostatischen (allseitig<br />
gleich wirkenden) Spannungsanteil angenommen werden, welcher eine reine Volumenän<strong>der</strong>ung<br />
bewirkt. Die Volumendehnung werden gegenüber den Verzerrungen als vernachlässigbar<br />
klein angesehen und sind nahezu vollständig reversibel. Daraus folgt die isochore<br />
Eigenschaft plastischer Verformungen sowie die deviatorische Eigenschaft <strong>der</strong> plastischen<br />
Verzerrungsinkremente (reine Gestaltän<strong>der</strong>ung ohne Volumenän<strong>der</strong>ung) nach [10]<br />
ˆ˙ε p = 0 ⇒ ˙ε p = ˙ε ′p (2.2.3)<br />
Als allgemeine Definiton für diese Arbeit werden die hydrostatischen Anteile mit einemˆ<br />
und die deviatorischen Anteile mit einem ′ gekennzeichnet.<br />
Das elastisch–plastische Werkstoffmodell<br />
Verschiedene Werkstoffe weisen bezüglich<br />
ihres elastisch–plastischen Verhaltens wesentliche Unterschiede auf. Diese sind einersetits
2.2.1 Grundlegendes Konzept eines Stoffgesetzes 12<br />
rein quantitativer (z. B. Größe <strong>der</strong> elastischen und plastischen Kennwerte), an<strong>der</strong>erseits<br />
auch qualitativer Art. Zu den qualitativen Unterschieden zählen insbeson<strong>der</strong>e das Vorhandensein<br />
eines linear-elastischen Bereiches, die Art und Ausbildung <strong>der</strong> Streckgrenze, die<br />
Existenz eines Lü<strong>der</strong>s-Bereiches o<strong>der</strong> das Verfestigungsverhalten im plastischen Bereich.<br />
An ein elastisch–plastisches Werkstoffmodell ist die For<strong>der</strong>ung gestellt, die über alle bei<br />
realen Werkstoffen auftretenden Unterschiede hinaus geltenden gemeinsamen Eigenschaften<br />
zu beschreiben. Irgens [25] nennt in diesem Zusammenhang zwei primäre Grundsätze<br />
<strong>der</strong> Plastizitätstheorie:<br />
i) Die Definition einer Fließbedingung 1 , welche den Spannungszustand beim Wechsel<br />
vom elastischen zum elastisch–plastischen Werkstoffverhalten eindeutig bestimmt<br />
und<br />
ii) die Erarbeitung eines Fließgesetzes, mit dessen Hilfe eine Beziehung zwischen den<br />
Spannungen und plastischen Dehnungen hergestellt werden kann.<br />
Zusätzlich erweitern Burth und Brocks [10] die beschriebenen Grundsätze noch um drei<br />
weitere Aussagen:<br />
iii) Nach dem elastischen Formän<strong>der</strong>ungsgesetz gelte für alle rein elastischen Formän<strong>der</strong>ungen<br />
sowie elastischen Anteile bei Belastung im elastisch–plastischen Bereich<br />
das Hooke’sche Gesetz, folgend dargestellt in seiner inkrementalen Form:<br />
˙ε e = ˙σ E<br />
iv) Gilt die Fließbedingung (siehe Abschnitt 2.2.2) als erfüllt, sind ausgehend von einem<br />
beliebigen Spannungszustand zum Zeitpunkt t nur Zuständsän<strong>der</strong>ungen mit<br />
∂f[σ]/∂t ≤ 0 physikalisch zulässig. σ stellt den Spannungstensor mit seinen Komponenten<br />
T ij = σ ij dar. Dies führt zur Beschreibung <strong>der</strong> Be- und Entlastungsbedingungen.<br />
Die Funktion ∂f[σ]/∂t besitzt neben <strong>der</strong> Abhängigkeit vom Spannungszustand<br />
σ noch weitere Abhängigkeiten von inneren Variablen, welche jedoch für die<br />
1 In <strong>der</strong> Literatur wird auch häufig <strong>der</strong> Begriff des Fließkriteriums verwendet.
2.2.2 Fließbedingungen 13<br />
Beschreibung des Lastzustandes vernachlässigt werden können. Der Skalar bei<strong>der</strong><br />
Tensoren liefert<br />
∂f[σ]<br />
∂t<br />
= ∂f[σ]<br />
∂σ<br />
⎧<br />
⎨ : ˙σ < 0 ⇔ Entlastung<br />
⎩= 0 ⇔ Belastung<br />
Entlastungen sind immer mit elastischen Verzerrungsän<strong>der</strong>ungen gemäß dem Hooke’schen<br />
Gesetz, Belastungen hingegen mit elastischen und plastischen Verzerrungsän<strong>der</strong>ungen<br />
verbunden.<br />
v) Das Verfestigungsgesetz beschreibt für einen gegebenen Zustand plastischer Verformung<br />
die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Fließbedingung bei weiterer Belastung. Für plastische<br />
Zustandsän<strong>der</strong>ungen muss dabei je<strong>der</strong>zeit die Konsistenzbedingung ∂f[σ]/∂t = 0<br />
erfüllt sein.<br />
2.2.2 Fließbedingungen<br />
Eine Fließbedingung definiert den Zustand, bei welchem <strong>der</strong> Werkstoff sein elastisches<br />
Vermögen ausgeschöpft hat und erstes plastisches Fließen zeigt, so dass bleibende Verzerrungen<br />
erfolgen. Wenn f[σ] eine skalarwertige Funktion des Spannungstensors σ sei,<br />
dann kann die Fließbedingung für elastisch–ideal-plastisches Werkstoffverhalten wie folgt<br />
beschrieben werden<br />
⎧<br />
= 0 ⇒ Beginn des Fließens<br />
⎪⎨<br />
f[σ] < 0 ⇒ elastisches Verhalten<br />
(2.2.4)<br />
⎪⎩ > 0 ⇒ nicht annehmbar<br />
Die Funktion f[σ] bildet die Fließfunktion eines Werkstoffes. Für ein elastisch–plastisches<br />
Werkstoffmodell mit Materialverfestigung wird die plastische Verformung durch Einführung<br />
von Verfestigungsparametern in <strong>der</strong> Fließfunktion berücksichtigt (siehe Abschnitt 2.2.4).<br />
Auf <strong>der</strong> Basis experimenteller Ergebnisse kann man schlussfolgern, dass hydrostatische<br />
Spannungszustände σ = ˆσ ohne Einfluss auf den Fließbeginn sind. Die Aufspaltung des
2.2.2 Fließbedingungen 14<br />
Spannungstensors in den hydrostatischen ˆσ und deviatorischen Anteil σ ′ ist durch<br />
⎛<br />
⎞<br />
σ 11 0 0<br />
ˆσ ij = ⎜ 0 σ<br />
⎝ 22 0 ⎟<br />
⎠<br />
0 0 σ 33<br />
(2.2.5)<br />
bzw.<br />
σ ′ ij = σ ij − 1 3 σ kk δ ij (2.2.6)<br />
gegeben [34]. δ ij ist das Kronecker-Delta und wurde von Leopold Kronecker definiert als<br />
[25]<br />
⎧<br />
⎨1 falls i = j<br />
δ ij =<br />
(2.2.7)<br />
⎩0 falls i ≠ j<br />
Die Fließfunktion zeigt nur eine Beeinflussung durch die deviatorischen Anteile des Spannungstensors<br />
f[σ] = f[σ ′ ] (2.2.8)<br />
Der Spannungstensor lässt sich eindeutig beschreiben durch die Hauptspannungen σ i und<br />
<strong>der</strong>en Hauptspannungsrichtungen a i . Aufgrund <strong>der</strong> Richtungsunabhängigkeit <strong>der</strong> Eigenschaften<br />
können für einen isotropen Werkstoff die Hauptspannungsrichtungen jedoch nicht<br />
maßgeblich für das Fließen sein. Aus <strong>der</strong> Materialisotropie folgt somit, dass die Fließfunktion<br />
als Funktion <strong>der</strong> drei Hauptspannungen bzw. <strong>der</strong>er Invarianten<br />
I = σ ii = Sp σ,<br />
II = 1 2 [σ ii σ ii − σ jj σ jj ] = 1 2<br />
[<br />
(Sp σ) 2 − |σ| 2] ,<br />
(2.2.9)<br />
III = Det σ
2.2.2 Fließbedingungen 15<br />
geschrieben werden kann<br />
f[σ] = f[σ 1 , σ 2 , σ 3 ] = f[I, II, III] (2.2.10)<br />
Die Funktion Sp, die Spur eines Tensors, ist definiert als die Summe <strong>der</strong> Hauptdiagonalen<br />
und Det bedeutet die Determinante des Tensors. Alternativ ist es auch gebräuchlich<br />
die Invarianten <strong>der</strong> Deviatorspannung J i einzuführen. Nach <strong>der</strong> Definition <strong>der</strong> Deviatorspannung<br />
ergibt sich die Summe seiner Hauptdiagonalen zu Null. Damit lässt sich die<br />
Fließfunktion ebenfalls mit<br />
J 1 = σ ′ ii = Sp σ ′ = 0,<br />
J 2 = 1 2 σ′ ij σ ij ′ = 1 2 |σ′ | 2 ,<br />
(2.2.11)<br />
J 3 = Det σ ′<br />
nach<br />
f[σ] = f[J 2 , J 3 ] (2.2.12)<br />
angeben. [25]<br />
Die Fliebedingung aus (2.2.4) mit <strong>der</strong> Fließfunktion aus (2.2.12) kann geometrisch interpretiert<br />
werden durch eine Fläche im Hauptspannungsraum, wobei die Hauptspannungen<br />
σ i Koordinaten in einem kartesischen Koordinatensystem darstellen (siehe Abb. 2.3).<br />
Spannungszustände innerhalb dieser so genannten Fließfläche repräsentieren rein elastische<br />
Zustände. Plastisches Fließen beginnt, wenn die Punkte auf die Fließfläche wan<strong>der</strong>n.<br />
Zustände außerhalb <strong>der</strong> Fläche sind nach (2.2.4) nicht möglich. Aus <strong>der</strong> Überlegung in<br />
Gl. (2.2.8) ergibt sich, dass die Fließfläche eine zylindrische Fläche sein muss, jedoch nicht<br />
zwingend mit kreisförmiger Querschnittsfläche. Ihre Achse stellt die Raumdiagonale e<br />
e = (1 1 1) T 1 √3 (2.2.13)<br />
dar. Wird zu einem Spannungszustand, repräsentiert durch einen Punkt innerhalb <strong>der</strong>
2.2.2 Fließbedingungen 16<br />
ó 3<br />
e<br />
0<br />
ó 1<br />
ó 2<br />
Abb. 2.3: Fließfläche im Hauptspannungsraum<br />
Fließfläche, eine hydrostatische bzw. isotrope Spannung hinzuaddiert, verschiebt sich <strong>der</strong><br />
Spannungspunkt entlang einer parallelen Linie zum gerichteten Vektor e. In Übereinstimmung<br />
mit Gl. (2.2.12) wird diese Linie nie die Fließfläche schneiden. Im Falle <strong>der</strong><br />
Materialverfestigung bewirkt das plastische Fließen eine Verschiebung o<strong>der</strong> Ausdehnung<br />
<strong>der</strong> Fließfläche (siehe Abschnitt 2.2.4).<br />
Eine Fläche durch den Ursprungspunkt des Hauptspannungsraums und normal zum gerichteten<br />
Vektor e wird Deviatorebene bzw. π-Ebene genannt und durch<br />
σ 1 + σ 2 + σ 3 = 0 (2.2.14)<br />
beschrieben (siehe Abb. 2.4). Entsprechend Sp [σ ′ ] = 0 ≡ J 1 wird <strong>der</strong> deviatorische<br />
Anteil eines beliebigen Spannungszustands durch einen Punkt in dieser Ebene dargestellt.<br />
Die Querschnittskurve, welche sich aus <strong>der</strong> Überschneidung <strong>der</strong> Fließkurve mit <strong>der</strong><br />
Deviatorebene ergibt, nennt man Fließkurve. Punkte auf dieser Fließkurve weisen auf<br />
plastisches Fließen hin. Aufgrund <strong>der</strong> Materialisotropie in Gl. (2.2.10) ist die Fließkurve<br />
symmetrisch zu den drei auf die Deviatorebene projezierten Hauptspannungsachsen.<br />
Für gleiches Fließverhalten bei Zug- und Druckbelastung f[σ] = f[−σ] ist sie ebenfalls<br />
symmetrisch zu den Achsen, welche normal zu den projezierten Hauptspannungsachsen<br />
liegen. Die kreisförmige Kurve und das innere Hexagon stellen die Fließkurven <strong>der</strong> zwei<br />
wichtigstens elastisch–plastischen Materialmodelle dar: den Huber–von Mises Werkstoff<br />
und den Tresca Werkstoff. [25, 10]
2.2.2 Fließbedingungen 17<br />
(ó ) 3<br />
Huber–v. Mises<br />
Tresca<br />
(ó ) 1<br />
(ó ) 2<br />
Abb. 2.4: Fließkurve in <strong>der</strong> Deviatorebene<br />
Das Fließkriterium nach Tresca<br />
Das Fließkriterium nach Tresca hat eine sehr direkte physikalische Beschreibung. Entsprechend<br />
<strong>der</strong> Definition von Irgens [25] beginnt das Fließen in einem Element, wenn die<br />
maximale Schubspannung τ max die Tresca-Fließschubspannung τ yT , bemessen am einachsigen<br />
Spannungszustand, erreicht. Daher leitet sich auch eine weitere Bezeichnung des<br />
Kriteriums ab, das maximale Schubspannungskriterium. Es beschreibt das Fließkriterium<br />
für einen Tresca-Werkstoff. Die maximale Schubspannung<br />
τ max = 1 2 (σ max − σ min ) (2.2.15)<br />
ergibt sich mit σ max und σ min entsprechend<br />
σ max = Max [σ 1 , σ 2 , σ 3 ] ,<br />
σ min = Min [σ 1 , σ 2 , σ 3 ]<br />
(2.2.16)<br />
als maximaler bzw. minimaler Hauptspannung im Element. Für den einachsigen Spannungszustand<br />
gilt: σ max = σ ≡ f y und σ min = 0. Daraus resultiert die Tresca-Fließschubspannung<br />
τ yT = f y<br />
2<br />
(2.2.17)
2.2.2 Fließbedingungen 18<br />
a) (ó )<br />
b)<br />
3<br />
ƒ5<br />
ƒ4<br />
ƒ6<br />
ƒ3<br />
(ó 1 )<br />
ƒ1 ƒ2 (ó )<br />
2<br />
-ƒy<br />
ƒ4<br />
ƒ3<br />
ƒ5<br />
ó 2<br />
ƒ2<br />
ƒy<br />
ƒ1<br />
ƒy ó 1<br />
ƒ6<br />
-ƒy<br />
Abb. 2.5: Fließkurven des Tresca-Werkstoffs. a) In <strong>der</strong> Deviatorebene. b) Ebener Spannungszustand.<br />
Die mathematische Formulierung des Fließkriteriums nach Tresca wird in<br />
τ max = τ yT = f y<br />
2<br />
⇒ σ max − σ min = f y ⇒ Beginn des Fließens (2.2.18)<br />
bzw.<br />
f[σ] = σ max − σ min − f y (2.2.19)<br />
in seiner allgemeinen Form angegeben. Im Hauptspannungsraum wird das Kriterium<br />
durch eine regelmäßige hexagonale zylindrische Fließfläche mit einer regulären hexagonalen<br />
Fließkurve in <strong>der</strong> Deviatorebene dargestellt. Abb. 2.5 zeigt die Darstellung in <strong>der</strong><br />
Deviatorebene (siehe Abb. 2.5a) und in <strong>der</strong> σ 1 σ 2 -Ebene des Hauptspannungsraumes (siehe<br />
Abb. 2.5b). Die letzt genannte Abbildung stellt den ebenen Spannungszustand dar.<br />
[25, 27]<br />
Das Fließkriterium nach Huber–von Mises<br />
Die Fließfläche mit <strong>der</strong> einfachsten mathematischen Beschreibung ist ein kreisförmiger Zylin<strong>der</strong><br />
im Hauptspannungsraum und repräsentiert die Fließbedingung nach Huber–von Mi-
2.2.2 Fließbedingungen 19<br />
ses. Ein Spannungspunkt auf <strong>der</strong> Fließfläche kann durch den Positionsvektor r = (σ 1 σ 2 σ 3 ) T<br />
dargestellt werden und erfüllt<br />
r · r − (e · r) 2 = R 2 (2.2.20)<br />
Für den einachsigen Spannungszustand σ 1 = f y kann <strong>der</strong> Spannungsdeviator nach<br />
⎛ ⎞ ⎛ ⎞<br />
1 0 0 1 0 0<br />
σ ′ = σ − ˆσ = ⎜0 0 0⎟<br />
⎝ ⎠ f y − ⎜0 1 0⎟<br />
⎝ ⎠<br />
0 0 0 0 0 1<br />
⎛ ⎞<br />
2 0 0<br />
f y<br />
3 = ⎜0 −1 0 ⎟<br />
⎝ ⎠<br />
0 0 −1<br />
f y<br />
3<br />
(2.2.21)<br />
bestimmt werden. Aufgrund gleichen Fließverhaltens bei Zug- und Druckbelastung (ohne<br />
vorrangegange Belastung) |σ| = f y müssen die den Fließbeginn kennzeichnenden Punkte<br />
innerhalb <strong>der</strong> Deviatorebene auf einem Kreis mit dem Radius R liegen. Mit den deviatorischen<br />
Spannungsanteilen in <strong>der</strong> Deviatorebene lässt sich dieser Radius R entsprechend<br />
R =<br />
√<br />
(σ ′ 1) 2 + (σ ′ 2) 2 + (σ ′ 3) 2 =<br />
√ (2<br />
fy<br />
3<br />
) 2 (<br />
+ − f ) 2 (<br />
y<br />
+ − f ) 2<br />
√<br />
y 2<br />
=<br />
3 3 3 f y (2.2.22)<br />
berechnen. Zusammen mit (2.2.20) liefert es die Fließbedingung für einen Huber–von Mises<br />
Werkstoff:<br />
σ 1 2 + σ 2 2 + σ 3 2 − σ 1 σ 2 − σ 2 σ 3 − σ 3 σ 1 = f y<br />
2<br />
(2.2.23)<br />
Die allgemeine Form <strong>der</strong> Fließbedingung kann als Funktion des Spannungstensors bzw.<br />
<strong>der</strong> Deviatorspannungen erfolgen entsprechend<br />
f[σ] = 3 2 σ : σ − 1 2 (Sp σ)2 − f y 2 ≡ 3 2 σ′ : σ ′ − f y<br />
2<br />
(2.2.24)<br />
Auch die Darstellungsform mit Hilfe <strong>der</strong> Invarianten ist möglich und ergibt<br />
f[σ] = I 2 − 3 II − f y 2 ≡ −3 II ′ − f y 2 = 3 J 2 − f y<br />
2<br />
(2.2.25)
2.2.3 Fließgesetze 20<br />
Dieses Kriterium wurde 1913 von Richard von Mises aufgestellt. Bereits 1904 kam M. T.<br />
Huber schon zu dem gleichen Ergebnis. Jedoch basierte sein Ansatz auf <strong>der</strong> Verformungsarbeit<br />
des Materials. Unter <strong>der</strong> Annahme eines isotropen und linear-elastischen Werkstoffes<br />
stützte er das Fließkriterium auf <strong>der</strong> Hypothese, dass Fließen dann auftritt, wenn<br />
unter einachsigem Spannungszustand die Gestaltän<strong>der</strong>ungsenergie eine Grenze erreicht.<br />
Die Ergebnisse seiner Arbeit sind identisch zu denen von von Mises. Eine alternative Formulierung<br />
erfolgt auf dem Konzept <strong>der</strong> Misesspannung σ M bzw. Vergleichsspannung σ e :<br />
σ M ≡ σ e = √ 3 J 2 =<br />
√<br />
3<br />
2 σ′ : σ ′ =<br />
√<br />
3<br />
2 σ : σ − 1 2 (Sp σ)2 (2.2.26)<br />
Das Fließkriterium kann nun wie folgt formuliert werden:<br />
σ M ≡ σ e = f y ⇒ Beginn des Fließens (2.2.27)<br />
Im Gegensatz zur Fließbedingung nach Tresca berücksichtigt die Huber–von Mises Bedingung<br />
nicht die dritte Invariante <strong>der</strong> Deviatorspannung J 3 . Die einfache Beschreibung des<br />
Fließkriteriums dürfte daher auch einer <strong>der</strong> Gründe für die häufige Verwendung sein. In<br />
<strong>der</strong> Deviatorebene wird das Fließkriterium dargestellt durch einen Kreis (siehe Abb. 2.6a)<br />
bzw. in <strong>der</strong> σ 1 σ 2 -Ebene des Hauptspannungsraumes ergibt sich für den ebenen Spannungszustand<br />
eine Ellipse (siehe Abb. 2.6b). [10, 25, 27]<br />
2.2.3 Fließgesetze<br />
Das Fließgesetz beschreibt im weiteren Verlauf <strong>der</strong> plastischen Verformung die Beziehung<br />
zwischen Spannungen und Dehnungen, nachdem die Fließbedingung erreicht wurde.<br />
Für die Entwickung <strong>der</strong> Modelle hat es sich als gebräuchlich erwiesen, zuerst den<br />
ideal–plastischen Verlauf zu beschreiben, und auf diesen dann die Materialverfestigung<br />
aufzubauen.
2.2.3 Fließgesetze 21<br />
a) (ó )<br />
b)<br />
ƒy<br />
ó 2 3<br />
-ƒy<br />
ó 1<br />
(ó ) 1<br />
(ó ) 2<br />
-ƒy<br />
ƒy<br />
Abb. 2.6: Fließkurven des Huber–von Mises-Werkstoffs. a) In <strong>der</strong> Deviatorebene. b) Ebener Spannungszustand.<br />
ó<br />
a)<br />
ƒy<br />
A<br />
C<br />
W > 0<br />
B<br />
D<br />
å p<br />
å<br />
Abb. 2.7: Verformungsarbeit <strong>der</strong> zusätzich aufgebrachten Belastung für einen ideal–plastischen Werkstoff.<br />
Ein Element wird von einem elastischen Spannungszustand in Punkt A in einen Spannungszustand<br />
in Punkt B überführt. Die dabei verrichtete Arbeit ist gemäß dem Stabilitätspostulat<br />
größer Null.<br />
Das Drucker-Postulat<br />
Aus einer energetischen Überlegung heraus können die Werkstoffe in drei Gruppen eingeteilt<br />
werden: stabile, labile und indifferente Werkstoffe [16]. Man betrachte hierzu ein<br />
Element eines sich in Ruhe befindlichen Körpers, welches durch einen Spannungsverlauf<br />
von einem Spannungszustand σ a in einen Spannungszustand σ b überführt wird, wie in<br />
Abb. 2.7 dargestellt. Der Vorgang werde als isotherm angenommen. Die Spannungsinkremente<br />
<strong>der</strong> zusätzlichen Belastung (über σ a hinaus) verrichten bei den sich ergebenden
2.2.3 Fließgesetze 22<br />
Verzerrungsinkrementen eine Verformungsarbeit,<br />
∫ b<br />
W = (σ − σ a ) : dε (2.2.28)<br />
a<br />
Anhand des Vorzeichens dieser Verformungsarbeit während <strong>der</strong> Belastung erfolgt nun die<br />
Klassifizierung. Ist die verrichtete Arbeit positiv wird <strong>der</strong> Werkstoff als stabil bezeichnet.<br />
Dem Körper muss also Energie von außen zugeführt werden, um seinen aktuellen Zustand<br />
zu än<strong>der</strong>n. Analog dazu spricht man von labil, wenn die Volumenarbeit negativ ist. Für<br />
den Fall W = 0 handelt es sich um einen indifferenten Werkstoff. Der Zustand des Körpers<br />
kann also ohne Energiezu- o<strong>der</strong> -abfuhr in einen benachbarten Spannungszustand<br />
überführt werden. Für den erstgenannten stabilen Werkstoff ergibt sich zudem noch eine<br />
weitere Beson<strong>der</strong>heit. Die während eines vollständigen Belastungs- und Entlastungszyklus<br />
verrichtete Arbeit sei stets positiv o<strong>der</strong> gleich Null. Diese For<strong>der</strong>ung entspricht dem Zweiten<br />
Haupstsatz <strong>der</strong> Thermodynamik, dass während des Zyklus keine mechanische Energie<br />
gewonnen werden kann<br />
∫ b<br />
a<br />
(σ − σ a ) : dε ≥ 0 (2.2.29)<br />
Werkstoffe sollten während isothermer Prozesse grundsätzlich stabil o<strong>der</strong> indifferent sein.<br />
Auf die Bedeutung dieses Stabilitätspostulates bezüglich <strong>der</strong> plastischen Verformung soll<br />
im nachfolgenden Abschnitt 2.2.3 eingegangen werden. [25, 28]<br />
Das Allgemeine Fließgesetz<br />
Das allgemeine Fließgesetz stellt eine Beziehung zwischen den plastischen Verzerrungen<br />
und den Spannungen bzw. <strong>der</strong>en Inkrementen her. Die Verformungen in einem Element<br />
eines elastisch–plastischen Werkstoffes hängen dabei von <strong>der</strong> Verformungsgeschichte ab<br />
mit welcher das Element vordeformiert wurde. Im theoretischen Fall des ideal-plastischen<br />
Verhaltens kann das Fließgesetz so formuliert werden, dass die Beziehungen zwischen den
2.2.3 Fließgesetze 23<br />
Komponenten des plastischen Verzerrungstensors ε p bei Erfüllung <strong>der</strong> Fließbedingung<br />
erhalten bleiben. Ist somit eine Komponente <strong>der</strong> plastischen Verzerrung bekannt können<br />
daraus die an<strong>der</strong>en Komponenten entwickelt werden. [25]<br />
Sobald plastische Verzerrungen eingetreten sind, herrscht kein einfacher linearer Zusammenhang<br />
zwischen den Spannungen und den Dehnungen mehr. Es ist demnach nicht<br />
möglich, eine eindeutige funktionale Abhängigkeit zwischen Spannungen und Dehnungen<br />
herzustellen. Es ist aber möglich, die notwendige Spannung (unter Beachtung <strong>der</strong> Historie)<br />
anzugeben, welche ein plastisches Dehnungsinkrement dε p bewirken würde<br />
dε p = dε p (σ) (2.2.30)<br />
Hierfür muss dabei die Fließbedingung erfüllt werden [47]. Zuf Vereinfachung werden im<br />
Folgenden die Notationen σ für die Koordinatenspannungen bzw. ε für die Koordinatendehnungen<br />
in <strong>der</strong> Deviatorebene als sechsdimensionale Vektoren gemäß Gl. (2.2.31)<br />
eingeführt.<br />
σ = (σ 1 σ 2 σ 3 σ 4 σ 5 σ 6 ) T , ε = (ε 1 ε 2 ε 3 ε 4 ε 5 ε 6 ) T (2.2.31)<br />
Man gehe von einem Element eines in Ruhe befindlichen Körpers aus, charakterisiert<br />
durch den elastischen Spannungszustand σ a (vgl. Abb. 2.7). Durch eine äußere Einwirkung<br />
nimmt das Element einen Spannungszustand σ c auf <strong>der</strong> Fließfläche ein, gefolgt von<br />
einem plastischen Spannungsverlauf zum Zustand σ d . Bei Aufhebung <strong>der</strong> äußeren Einwirkung<br />
soll <strong>der</strong> Spannungszustand σ b = σ a erreicht werden. Legt man das Stabilitätspostulat<br />
zugrunde kann die verrichtete Arbeit des vollständigen Zyklus nach Gl. (2.2.29)<br />
beschrieben werden. Gemäß Gl. (2.2.2) können die Dehnungsinkremente in einen elastischen<br />
und einen plastischen Anteil zerlegt werden. Unter Beachtung, dass plastische<br />
Dehnungsinkremente nur bei <strong>der</strong> Zustandsän<strong>der</strong>ung C–D auftreten, ergibt sich aus dem
2.2.3 Fließgesetze 24<br />
Stabilitätspostulat:<br />
∫ b<br />
∫ b<br />
∫ d<br />
(σ − σ a ) : dε = (σ − σ a ) : dε e + (σ − σ a ) : dε p ≥ 0 (2.2.32)<br />
a<br />
a<br />
c<br />
Da das elastische Verhalten unabhängig von <strong>der</strong> plastischen Formän<strong>der</strong>ung angenommen<br />
werden kann ist die während des vollständigen Zyklus verrichtete Arbeit <strong>der</strong> elastische<br />
Formän<strong>der</strong>ung stets gleich Null,<br />
∫ b<br />
a<br />
(σ − σ a ) : dε e = 0 (2.2.33)<br />
Damit reduziert sich Gl. (2.2.32) zu:<br />
∫ b<br />
∫ d<br />
(σ − σ a ) : dε = (σ − σ a ) : dε p ≥ 0 (2.2.34)<br />
a<br />
c<br />
Da die Gleichung/Ungleichung (2.2.34) für jeden Lastzyklus erfüllt sein muss kann allgemein<br />
ausgesagt werden, dass<br />
(σ c − σ a ) : dε p ≥ 0 (2.2.35)<br />
gelten muss wenn <strong>der</strong> Spannungszustand σ c dem Fließkriterium genügt. Die linke Seite<br />
<strong>der</strong> bildet einen Skalar, welcher gemäß dem Stabilitätspostulats nicht negativ sein darf.<br />
Daraus ergibt sich, dass <strong>der</strong> Winkel, unter welchem sich die beiden Vektoren schneiden,<br />
nicht größer als 90 ◦ sein kann. Da für den Zustand σ a keine weiteren Einschränkungen<br />
vorgenommen wurden muss diese Bedingung für alle möglichen Lagen des Punktes A<br />
gegeben sein (siehe Abb. 2.8). Dies ist nur dann <strong>der</strong> Fall, wenn <strong>der</strong> Vektor dε p von <strong>der</strong><br />
Fließfläche aus nach außen weist und die Fließfläche <strong>der</strong> Definition einer konvexen Flächen<br />
entspricht. Ferner muss für jeden Fließpunkt gelten, dass <strong>der</strong> Vektor dε p mit <strong>der</strong><br />
äußeren Normalen <strong>der</strong> Fließfläche zusammenfällt. Die äußere Normale lässt sich durch
2.2.3 Fließgesetze 25<br />
ƒ(ó)=0<br />
ó a<br />
0<br />
A = B<br />
ó c<br />
D<br />
C<br />
då p<br />
Abb. 2.8: Spannungszyklus eines ideal-plastischen Werkstoffes nach Drucker.<br />
den Gradienten <strong>der</strong> Fließfunktion f bestimmen. Es ergibt sich die Beziehung<br />
dε p = λ ∂f<br />
∂σ , λ ≥ 0 (2.2.36)<br />
mit dem Plastizitätsmultiplikator λ, <strong>der</strong> bestimmend für das Ausmaß <strong>der</strong> plastischen<br />
Verzerrung ist. [25, 28]<br />
Bestimmung des Faktors λ<br />
Der Plastizitätsmultiplikator λ ist nicht wie <strong>der</strong> Elastizitätsmodul o<strong>der</strong> Gleitmodul als<br />
Werkstoffkonstante aufzufassen. Vielmehr ist er eine skalare Funktion <strong>der</strong> Spannungen und<br />
<strong>der</strong> Verzerrungsinkremente λ = λ (σ, dε) [28]. Für plastische Verformung gilt, dass neben<br />
<strong>der</strong> Bedingung f = 0 sich auch die Inkremente <strong>der</strong> Fließfunktion zu Null ergeben müssen,<br />
<strong>der</strong> Spannungszustand somit auch bei einer Än<strong>der</strong>ung einen Punkt auf <strong>der</strong> Fließfläche<br />
einnimmt. Es gilt die Beziehung<br />
df = ∂f dσ = 0 (2.2.37)<br />
∂σ<br />
Ausgehend von <strong>der</strong> Beziehung des allgemeinen Hooke’schen Gesetzes<br />
dσ = C dε e (2.2.38)
2.2.4 Materialverfestigung 26<br />
mit den elastischen Verzerrungsinkrementen als Differenz zwischen <strong>der</strong> Gesamtdehnung<br />
und <strong>der</strong> plastischen Dehnung, dε e = dε − dε p , folgt<br />
dσ = C (dε − dε p ) (2.2.39)<br />
Zusammen mit Gl. (2.2.36) erhält man<br />
dσ = C<br />
(<br />
dε − λ ∂f )<br />
∂σ<br />
(2.2.40)<br />
Durch Multiplikation bei<strong>der</strong> Seiten mit ∂f/∂σ und Beachtung <strong>der</strong> Beziehung aus Gl. (2.2.37)<br />
ergibt sich für den Plastizitätsmultiplikator<br />
λ = C ∂f<br />
dε ∂σ<br />
C ∂f ∂f<br />
∂σ ∂σ<br />
(2.2.41)<br />
bzw. unter Nutzung <strong>der</strong> entsprechenden Summationsindizes nach [28]<br />
λ = C ijkl<br />
C pqrs<br />
∂f<br />
∂σ ij<br />
dε kl<br />
∂f<br />
∂σ pq<br />
(2.2.42)<br />
∂f<br />
∂σ rs<br />
Die bisher getroffenen Aussagen gelten für einen Werkstoff mit ideal–plastischem Verhalten.<br />
Um das Fließgesetz auf allgemeine Spannungs-Dehnungs-Verläufe zu erweitern,<br />
müssen Erscheinungen wie die Materialverfestigung mit einbezogen werden, da sie im Gegensatz<br />
zum ideal–plastischen Fall auch nach Erreichen <strong>der</strong> Fließbedingung einen weiteren<br />
Anstieg <strong>der</strong> Spannung mit wachsenden Dehnungen bewirken. Dies soll in dem folgenden<br />
Abschnitt genauer betrachtet werden.<br />
2.2.4 Materialverfestigung<br />
Die zuvor behandelten Fließbedingungen beschreiben den Übergang des Werkstoffverhaltens<br />
von rein elastisch zu elastisch–plastisch beim ersten Auftreten plastischer Verzerrungen,<br />
dem Fließbeginn. Sie sind daher allein vom Spannungszustand abhängig. Be-
2.2.4 Materialverfestigung 27<br />
ó<br />
ƒy<br />
Abb. 2.9: Linear-elastisch–ideal-plastisches Materialverhalten.<br />
å<br />
sitzen alle folgenden Zustandsän<strong>der</strong>ungen weiter die bei erreichen <strong>der</strong> Fließbedingungen<br />
nach (2.2.19) o<strong>der</strong> (2.2.24) wirkenden Spannung spricht man von einem elastisch–idealplastischen<br />
Werkstoffverhalten (siehe Abb. 2.9). Nach Erreichen <strong>der</strong> Streckgrenze nimmt<br />
die Verzerrung bei konstantem Spannungsniveau theoretisch unendlich zu. Bei realen<br />
Werkstoffen steigt jedoch die Spannungs-Dehnungs-Kurve nach Überschreitung des Fließplateaus<br />
zumeist weiter an. Die Fließbedingung verfestigen<strong>der</strong> Werkstoffe ist demnach<br />
gleichfalls eine Funktion <strong>der</strong> bis zum Momentanzustand auftretenden plastischen Verzerrungen.<br />
Zur Berücksichtigung <strong>der</strong> Verfestigung werden einige Verfestigungsparameter κ i<br />
eingeführt, womit die Fließfunktion nun dargestellt wird als Funktion f[σ, κ] mit κ = κ i .<br />
Das Fließkriterium kann jetzt wie folgt formuliert werden<br />
⎧<br />
⎨= 0 ⇒ Beginn des Fließens<br />
f[σ, κ] = f 1 [σ − σ 0 (κ)] − f y (κ)<br />
(2.2.43)<br />
⎩< 0 ⇒ elastisches Verhalten<br />
σ 0 (κ) ist ein Spannungstensor, welche ausschließlich von den Verfestigungsparametern<br />
abhängig ist. Die skalarwertige Größe f y (κ) repräsentiert die variable, gewöhnlich ansteigende<br />
Streckgrenze.<br />
Als Verfestigungsparameter bietet es sich an, die Verformungsarbeit pro Volumeneinheit<br />
zu nutzen<br />
∫ εp<br />
κ = σ : dε p (2.2.44)<br />
0
2.2.4 Materialverfestigung 28<br />
ó 2<br />
ó 1<br />
a) b) ó 2<br />
ó 1<br />
ƒy<br />
ƒy<br />
-ƒy<br />
-ƒy<br />
ƒy<br />
ƒy<br />
-ƒy<br />
Ausgangszustand<br />
Folgezustand<br />
-ƒy<br />
Abb. 2.10: Fließbedingung mit Materialverfestigung. a) Isotrope Verfestigung. b) Kinematische Verfestigung.<br />
mit dε p als dem plastischen Verzerrungsdifferential, welches sowohl vom momentanen<br />
Spannungszustand als auch vom Spannungsinkrement während des Fließvorganges abhängig<br />
ist. Die Untersuchung <strong>der</strong> in Gl. (2.2.43) gegebenen Fließbedingung liefert drei<br />
Spezialfälle, welche für ingenieursmäßige Betrachtungen relevant sind<br />
⎧<br />
= 0, ⎪⎨<br />
∂fy(κ) = 0 ⇒ ideal-plastisch<br />
∂κ<br />
σ 0 (κ) = 0, ∂fy(κ) > 0 ⇒ isotrope Verfestigung<br />
(2.2.45)<br />
∂κ<br />
⎪⎩ ≠ 0, ∂fy(κ) = 0 ⇒ kinematische Verfestigung<br />
∂κ<br />
Die Theorie <strong>der</strong> isotropen Verfestigung besagt (vgl. Abb. 2.10a), dass sich die Fließfläche<br />
während des verfestigenden Fließprozesses ausdehnt. Die entstehenden Fließflächen<br />
sind entsprechende konzentrisch ausgerichtete Flächen zur ursprünglichen Fließfläche beim<br />
Fließbeginn. Für proportional ansteigende Spannungen sowie für mäßige Dehnungen liefert<br />
dieses Modell annehmbare Ergebnisse. Man kann davon ausgehen, dass ein isotroper<br />
Werkstoff während <strong>der</strong> isotropen Verfestigung seine richtungsunabhängigen Eigenschaften<br />
beibehält. Hingegen besagt die Theorie <strong>der</strong> kinematischen Verfestigung (vgl. Abb. 2.10b)<br />
ein Wan<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Fließfläche im Spannungsraum bei gleichbleiben<strong>der</strong> Form und Größe.<br />
Die mechanischen Eigenschaften eines anfangs isotropen Werkstoffes sind nach <strong>der</strong> Verformung<br />
anisotrop, da sie unterschiedliches Verhalten bei Zug- und Druckbelastung auf-
2.2.4 Materialverfestigung 29<br />
ó<br />
a) b)<br />
ƒ/y<br />
ƒy<br />
ƒ/y<br />
ƒy<br />
ó<br />
å<br />
å<br />
-ƒy<br />
-ƒ´´ y<br />
-ƒy<br />
-ƒ´´ y<br />
Abb. 2.11: Linear-elastisch–plastischer Werkstoff mit Materialverfestigung. a) Kinematische Verfestigung<br />
f y ′′ + f y ′ = 2 f y . b) Isotrope Verfestigung f y ′′ = f y.<br />
′<br />
weisen. [10, 25]<br />
Die Verfestigungsarten lassen sich ebenfalls im Zusammenhang mit dem Effekt <strong>der</strong> deformationsbedingten<br />
mechanischen Anisotropie beschreiben. Dieser Effekt bewirkt Unterschiede<br />
<strong>der</strong> plastischen Eigenschaften unter Druckbeanspruchung mit vorrangegangener<br />
Zugbelastung und ausschließlicher Zug- o<strong>der</strong> Druckbeanspruchung. Man unterscheidet<br />
grundsätzlich, wie in Abb. 2.11 dargestellt, zwischen zwei Formen (vgl. [25]):<br />
i) Fall a) gilt für mäßige Dehnungen. Die Vordeformierung mit einer Spannung an<strong>der</strong>en<br />
Vorzeichens führt zu einer Erniedrigung <strong>der</strong> Streckgrenze f ′′<br />
y<br />
< f y . Dieses Verhalten<br />
wird als Bauschinger-Effekt bezeichnet. Wenn die Gleichung f ′′<br />
y + f ′<br />
y = 2 f y erfüllt<br />
ist, zeigt <strong>der</strong> Werkstoff kinematische Verfestigung (siehe Abb. 2.11a) .<br />
ii) Für große Dehnungen kann Fall b) Anwendung finden. Entgegen Fall a) führt die<br />
Vordeformierung zu einer Erhöhung <strong>der</strong> Streckgrenze f ′′<br />
y<br />
isotroper Verfestigung, wenn f ′′<br />
y = f ′<br />
y (siehe Abb. 2.11b).<br />
> f y . Man spricht von
2.3.1 Kristallbaufehler 30<br />
2.3 Theoretische Grundlagen <strong>der</strong> Versetzungen<br />
Idealkristalle zeichnen sich durch eine ideal angeordnete, ungestörte Kristallstruktur aus,<br />
bei <strong>der</strong> jedes Atom einen fest definierten Abstand zu seinem Nachbarn besitzt. Die Struktur<br />
realer kristalliner Festkörper unterscheidet sich aber zumeist erheblich von diesem<br />
Idealabstand. Störungen des Kristallaufbaus, welche auch als Kristallbaufehler bezeichnet<br />
werden, haben einen erheblichen Einfluss auf die mechanischen Eigenschaften des Werkstoffes.<br />
Die Kristallbaufehler können anhand geometrischer Fesichtspunkte grundsätzlich<br />
in vier Gruppen eingeteilt werden [49]:<br />
i) nulldimensionale (punktförmige) Defekte,<br />
ii) eindimensionale (linienförmige) Defekte,<br />
iii) zweidimensionale (flächenhafte) Defekte und<br />
iv) dreidimensionale (räumliche) Defekte.<br />
2.3.1 Kristallbaufehler<br />
Eindimensionale Defekte bilden die einfachste Form eines Fehlers <strong>der</strong> Kristallstruktur. Zu<br />
ihr werden Leerstellen, Zwischengitteratome o<strong>der</strong> Substitutionsatome gezählt. Ursache für<br />
das Vorhandensein solcher Punktdefekte sind unteran<strong>der</strong>em thermisch aktivierte Prozesse<br />
(Diffusion), aber auch mechanische Deformationen o<strong>der</strong> die Einwirkung energetischer<br />
Strahlungen sind für ihre Entstehung verantwortlich. Punktdefekte führen zu einer elastischen<br />
Relaxation, d. h. einer elastischen Verspannung <strong>der</strong> Struktur durch Zusammenziehen<br />
o<strong>der</strong> Aufweiten des Gitters im Nahfeldbereich. Zu den eindimensionalen Defekte zählen<br />
die Versetzungen. Sie entstehen während des Kristallisattionsprozesses o<strong>der</strong> während mechanischer<br />
Beanspruchung durch Einwirkung einer Schubspannung. Da Versetzungen in<br />
einen direkten Zusammenhand mit <strong>der</strong> plastischen Verformung gebracht werden können,<br />
soll an späterer Stelle noch einmal genauer auf sie eingegangen werden. Die Gruppe <strong>der</strong>
2.3.1 Kristallbaufehler 31<br />
zweidimensionalen Kristallbaufehler bilden Stapelfehler sowie Grenzflächen zwischen den<br />
Kristallen. Reale Werkstoffe liegen meist multikristallin vor, d. h. sie bestehen aus mehreren<br />
Kristallen, wobei je<strong>der</strong> Kristall eine eigene kristallographische Orientierung besitzt.<br />
Die Kristalle, auch Körner genannt, werden durch Korngrenzen voneinan<strong>der</strong> getrennt. Beträgt<br />
<strong>der</strong> Winkelunterschied zwischen bei benachbarten Körnern maximal 15 ◦ , spricht man<br />
von Kleinwinkelkorngrenzen, an<strong>der</strong>erseits von Großwinkelkorngrenzen. Zwillingsgrenzen<br />
entstehen, wenn die Orientierung bei<strong>der</strong> Körner an <strong>der</strong> Grenzfläche gespielt ist. Weiter<br />
zählen auch die Werkstoffoberfläche selbst und Phasengrenzen, z. B. an inkohärenten o<strong>der</strong><br />
teilkohärenten Ausscheidungen, zu diesen Grenzflächen. Als Stapelfehler bezeichnet man<br />
eine Störung des periodischen Aufbaus <strong>der</strong> Atomschichten durch parallele Verschiebung<br />
<strong>der</strong> aufeinan<strong>der</strong>liegenden Atomschichten zueinan<strong>der</strong>. Der letzten Gruppe, den räumlichen<br />
Defekten, gehören Anhäufungen von Punktfehlern, sowie Hohlräume und Ausscheidungen<br />
von Verunreinigungen o<strong>der</strong> Phasen an. Hohlräume können z. B. während des Erstarrungsvorganges<br />
entstehen. Ohne eine gerichtete Wärmeabfuhr erstarrt <strong>der</strong> Körper von außen<br />
nach innen, wobei durch Volumenkontraktion im Körper ein Hohlraum entsteht, welcher<br />
auch als Lunker bezeichnet wird. Ausscheidungen von Verunreinigungen sind eine Folge<br />
<strong>der</strong> Löslichkeitssättigung. Da ein Werkstoff im flüssigen Zustand in <strong>der</strong> Regel eine geringere<br />
Löslichkeit gegenüber dem Festkörper aufweist, besitzt während <strong>der</strong> Erstarrung die<br />
Restschmelze eine wesentlich höhere Konzentration an Fremdstoffen. Es bilden sich Bereiche<br />
hoher Fremdstoffkonzentration, welche sich durch Diffusion zu Blöcken verbinden<br />
und eine massive Verzerrung des Gitters zur Folge haben können. Phasen hingegen stellen<br />
homogene, chemisch stabile Verbindungen dar, indem sich <strong>der</strong> Basiswerkstoff mit Fremdelementen<br />
vereint und eine Überstruktur ausbildet mit eigenen chemischen, mechanischen<br />
und physikalischen Eigenschaften. Eine <strong>der</strong> wohl bekanntesten Vertreter ist die intermediäre<br />
Phase ‘Zementit’ im metastabilen Eisen-Kohlenstoff-Diagramm. [18, 32, 49]
2.3.2 Versetzungen 32<br />
b<br />
Abb. 2.12: Schematische Darstellung einer Versetzung mit <strong>der</strong> Versetzungslinie ⊥ senkrecht zur Bildebene.<br />
Dargestellt ist ein vollständiger Umlauf (rot) um die Versetzungslinie (links) und <strong>der</strong><br />
gleiche Umlauf im ungestörten Gitter (rechts) mit Burgers-Vektor (grün).<br />
2.3.2 Versetzungen<br />
Durch Versetzungen ist die regelmäßige Anordnung <strong>der</strong> Kristallnetzebenen entlang einer<br />
Linie, <strong>der</strong> Versetzungslinie, gestört und lokal verzerrt. Diese Verzerrung führt zu elastischen<br />
Spannungen in <strong>der</strong> Kristallstruktur. Richtung und Größe <strong>der</strong> Versetzung werden<br />
durch den Burgers-Vektor beschrieben. Zu seiner Bestimmung wird im gestörten Kristall<br />
ein voller Umlauf um die Versetzung herum konstruiert. Überträgt man diesen Umlauf,<br />
wie in Abb. 2.12 dargestellt, auf das ungestörte Gitter ist dieser nicht mehr geschlossen.<br />
Der fehlende Vektor, welcher diesen Umlauf schließen würde, ist <strong>der</strong> Burgers-Vektor b.<br />
Der Winkel, welcher sich zwischen Burgers-Vektor und Versetzungslinie ergibt, ist bestimmend<br />
für den Charakter <strong>der</strong> Versetzung. Im Allgemeinen Fall kann dieser Winkel beliebig<br />
groß sein. In realen Kristallen jedoch treten bestimmte Winkel bevorzugt auf. Die bevorzugten<br />
Burgers-Vektoren sind die am kürzesten möglichen Gittervektoren zwischen<br />
benachbarten Atomen, und Versetzungslinien befinden sich bevorzugt in den am dichtesten<br />
gepackten Ebenen im Kristallgitter. Man unterscheidet zwei Grenzfälle in kubisch<br />
primitiven Gittern, die Stufenversetzung und die Schraubenversetzung. Bei einer Stufenversetzung<br />
stehen Burgers-Vektor und Versetzungslinie orthogonal zueinan<strong>der</strong>, bilden<br />
somit einen rechten Winkel. Eine im Kristall wirkende Schubspannung τ hat eine Abgleiten<br />
einer Ebene zur Folge. Da ein starres Abgleiten <strong>der</strong> Ebene als ganzes energetisch<br />
ungünstig ist, erfolgt eine schrittweise Auflösung und Neubildung <strong>der</strong> Bindungen zwischen<br />
den Atomen. Dieses schrittweise Abgleiten <strong>der</strong> Ebene wird durch eine Versetzung reali-
2.3.2 Versetzungen 33<br />
siert und ist in Abb. 2.13 dargestellt. Die Versetzung wan<strong>der</strong>t dabei immer parallel zur<br />
wirkenden Schubspannung und zur Gleitebene. Tritt die Versetzung an <strong>der</strong> Grenzfläche<br />
aus, bildet sie eine Stufe durch Verschiebung des Gitters um genau einen Atomabstand.<br />
Bei <strong>der</strong> Schraubenversetzung verlaufen Burgers-Vektor und Versetzungslinie parallel zueinan<strong>der</strong>,<br />
schließen somit den Winkel 0 ◦ ein. Die Versetzungslinie liegt ebenfalls parallel<br />
zur Gleitebene und <strong>der</strong> anliegenden Schubspannung (siehe Abb. 2.14). Ein vollständiger<br />
Umlaufs um die Versetzungslinie herum ergibt den Verlauf einer Helix, was den Namen<br />
<strong>der</strong> Schraubenversetzung erklärt. [9, 32, 49]<br />
Die Erzeugung einer Versetzungslinie ist mit <strong>der</strong> Aufwendung von Energie verbunden,<br />
<strong>der</strong> sogenannten Linienenergie. Die Linienenergie gibt an, wieviel Energie nötig ist um<br />
eine Längeneinheit Versetzungslinie zu bilden durch Gitterverzerrung. Sie wird folglich<br />
in Form elastischer Verzerrungsenergie im Nahfeldgitter <strong>der</strong> Versetzungs gespeichert. Da<br />
dieser Prozess ebenfalls ein Minimum an Energie anstrebt, werden Versetzungen bevorzugt<br />
in den am dichtesten gepacktesten Ebenen gebildet, den Gleitebenen. Weil die durch<br />
die Versetzung entstehende Gitterverzerrung ebenfalls ein Maß für die Linienenergie ist<br />
streben Versetzungen einen kleinen Burgers-Vektor an bzw. dissoziieren in mehrere Teilversetzungen<br />
(wenn möglich) mit kleineren Burgers-Vektoren. [9]<br />
2.4 Struktureigenschaften von Silizium und<br />
Kristallplastizität<br />
Der beson<strong>der</strong>e strukturelle Aufbau von Silizium führt zu einem Werkstoffverhalten, welches<br />
in vieler Hinsicht unterschiedlich zu dem üblichen bekannten Verhalten von z. B.<br />
Metallen ist. Ein wichtiger hier vorab zu erwähnen<strong>der</strong> Fakt ist die Tatsache, dass Silizium<br />
bei Raumtemperaturen ein sprödes Verhalten zeigt, sich aber bei hohen Temperaturen<br />
gut plastisch verformen lässt. Der Übergang zwischen sprödem und duktilem Verhalten ist<br />
folglich ein thermisch aktivierter Prozess, auf dem in Verbindung mit dem Mechanismus<br />
<strong>der</strong> Versetzungsbewegung genauer eingegangen werden soll.
2.3.2 Versetzungen 34<br />
a)<br />
ô<br />
b)<br />
ô<br />
ô<br />
ô<br />
Abb. 2.13: Abgleitbewegung in <strong>der</strong> Ebene (gestrichelte Linie) eines kubisch primitiven Gitters. Die<br />
Versetzungslinie ⊥ verläuft senkrecht zur Schubspannungsrichtung und Bildebene. a) Starres<br />
Abgleiten. b) Schrittweises Abgleiten durch Bewegung einer Versetzung. [32]<br />
ô<br />
Abb. 2.14: Entstehung einer Schraubenversetzung durch Abgleitung eines Teils einer Ebene in Richtung<br />
<strong>der</strong> Schubspannung. Die Versetzungslinie ist mit einer dicken Linie gekennzeichnet. Darstellung<br />
<strong>der</strong> Ebenen oberhalb (hell, gestrichelte Bindungen) und unterhalb (dunkel, durchgezogene<br />
Linien) <strong>der</strong> Versetzung. [32]<br />
ô
2.4.1 Aufbau und Eigenschaften <strong>der</strong> Kristallstruktur 35<br />
2.4.1 Aufbau und Eigenschaften <strong>der</strong> Kristallstruktur<br />
Kristalline Werkstoffe sind Körper, <strong>der</strong>en Atome o<strong>der</strong> Moleküle nicht zufällig im Raum,<br />
son<strong>der</strong>n regelmäßig in einem Kristallgitter angeordnet sind. Reduziert man diese Anordnungen<br />
auf die einfachste, sich wie<strong>der</strong>holende Einheit ergibt sich eine Elementarzelle, auch<br />
Einheitszelle genannt. Elementarzellen sind durch weitere Eigenschaften gekennzeichnet.<br />
Sich gegenüberstehende Flächen sind stets parallel und sie weisen die vollständige Symmetrie<br />
des Kristallgitters auf. Die Menge aller möglichen Elementarzellen im Raum werden<br />
Bravais-Gitter genannt. Nach <strong>der</strong> getroffenen Definition <strong>der</strong> Elementarzelle existieren 14<br />
verschiedene Bravais-Gitter. Eine detaillierte Darstellung <strong>der</strong> Bravais-Gitter erfolgt in<br />
[29, 33, 51]. Eines dieser Gitter stellt das kubisch-flächenzentrierte (kfz) Gitter dar. Es<br />
besitzt eine kubische Elementarzelle (alle Seiten gleich lang, alle Winkel gleich 90 ◦ ) mit je<br />
einem Atom auf den acht Eckpunkten und je einem weiteren Atom im Zentrum auf den<br />
sich ergebenden sechs Flächen.<br />
Silizium besitzt eine Diamantstruktur [5]. Der Aufbau <strong>der</strong> Diamantstruktur ergibt sich<br />
aus zwei kfz-Gittern, wobei das zweite Gitter um (√ 3/4 ) a relativ zum Ersten entlang<br />
<strong>der</strong> Raumdiagonalen [111] verschoben ist. Die kristallographische Orientierung im Raum<br />
erfolgt anhand <strong>der</strong> Miller-Indizes [51]. Die Längenangabe a ist ein Gitterparameter und besitzt<br />
die Größe einer Kantenlänge des kfz-Gitters. Abb. 2.15 zeigt den Aufbau dieser Diamantstruktur.<br />
Die Diamantstruktur ermöglicht eine dreidimensionale kovalente Bindung,<br />
bei <strong>der</strong> sich jedes Atom in einer tetraedischen Umgebung mit vier nächsten Nachbarn<br />
befindet [5, 24]. Die Wechselwirkung zwischen den nächsten Nachbarn dominiert diese<br />
Bindungsart [24]. Der Abstand zu den nächsten Nachbarn ergibt sich somit zu (√ 3/4 ) a.<br />
Die dicht gepacktesten Ebenen (maximale Packungsdichte <strong>der</strong> Atome auf diesen Ebenen)<br />
sind gleich dem kfz-Gitter die {111}–Ebenen. Diese sind durch die Verschiebung des<br />
zweiten Gitters jedoch als Doppelebenen ausgebildet. Entsprechend Abb. 2.16 ergibt sich<br />
auch die Stapelfolge dieser Ebenen. A-B-C-A-B-C sei die Stapelfolge <strong>der</strong> {111}–Ebenen<br />
des ersten kfz-Untergitters und α-β-γ-α-β-γ die des zweiten Untergitters. Es ergibt sich<br />
für die Diamantstruktur die Stapelfolge Aβ-Bγ-Cα-Aβ-Bγ-Cα, wobei die Atomlagen Aβ<br />
(o<strong>der</strong> äquivalente Paare) eine (111)–Doppelebene bilden. Diese eng beieinan<strong>der</strong>liegenden
2.4.1 Aufbau und Eigenschaften <strong>der</strong> Kristallstruktur 36<br />
a) b)<br />
[001]<br />
[010]<br />
3 a<br />
4 [111] a<br />
[100]<br />
Abb. 2.15: Aufbau <strong>der</strong> Diamantstruktur von Silizium. a) Relative Verschiebung von zwei kfz-Gittern.<br />
a) b) Diamantstruktur mit kovalenten Bindungen.<br />
(111)<br />
[111]<br />
[112]<br />
A<br />
â<br />
B<br />
ã<br />
C<br />
á<br />
A<br />
â<br />
B<br />
ã<br />
Gleitebene<br />
Zwischenebene<br />
(111)<br />
(111)<br />
Abb. 2.16: Projektion <strong>der</strong> Diamantstruktur auf die (1¯10)–Ebene. Gekennzeichnet sind die Lage <strong>der</strong><br />
Gleit- und Zwischenebene, die Stapelfolge <strong>der</strong> dichtgepacktesten Doppelgleitebenen sowie<br />
die {111}–Halbebenen (gestrichelt umrandet).
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 37<br />
doppelten Ebenen sind verbunden durch die dreifache Anzahl an Bindungen als zwischen<br />
den (dreimal so weit entfernten) αA, βB, γC Ebenenpaaren zu finden sind [5].<br />
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium<br />
In kristallinen Werkstoffen ist die plastische Deformation hauptsächlich gekennzeichnet<br />
durch die Vorgänge <strong>der</strong> Nukleation (Bildung), Migration (Ausbreitung), Multiplikation<br />
und Annihilation (Auslöschung) von Versetzungen. Die dominanteste Form <strong>der</strong> Versetzungsbewegung<br />
ist das Versetzungsgleiten in den aktivierten Gleitsystemen. Sie wird gekennzeichnet<br />
durch die Versetzungsgeschwindigkeit mit welcher sich die Versetzungen im<br />
Werkstoff bewegen und ist im wesentlichen abhängig von <strong>der</strong> im Gleitsystem herrschenden<br />
Schubspannung und <strong>der</strong> Temperatur. Diese Vorgange sind zumeist allgemein in vielen<br />
Werkstoffen gültig, es sollen dabei aber auch die Beson<strong>der</strong>heiten <strong>der</strong> Diamantstruktur mit<br />
berücksichtigt werden.<br />
Versetzungsbewegung in den Gleitebenen<br />
Die plastische Verformung eines Körpers findet duch Scherung statt. Scherung bedeutet<br />
das Abgleiten von Atomlagen parallel zu den Gleitebenen in eine festgelegte Richtung,<br />
<strong>der</strong> Gleitrichtung. Gleitebene und Gleitrichtung bilden zusammen ein Gleitsystem [49].<br />
Man erwartet das Auftreten von Gleitung in den {111}–Ebenen in 〈110〉–Richtungen, da<br />
das Gitter <strong>der</strong> Diamantstruktur noch immer auf einem kfz-Gitter beruht. Diese Tatsache<br />
wurde von Kocks [30] bei Messungen <strong>der</strong> Ätzgrübchendichte und Treuting [59] mittels<br />
Röntgentopografie bestätigt. Innerhalb <strong>der</strong> Diamantstruktur stellt sich die Frage, ob die<br />
Scherung im Aβ–Doppelgleitsystem o<strong>der</strong> zwischen den βB–Ebenenpaaren (o<strong>der</strong> äquivalenten<br />
Paaren) stattfindet. Nach Shockley [52] kann die Scherung zwischen βB wesentlich<br />
leichter erfolgen und sollte daher die dominantere Form <strong>der</strong> Scherung darstellen. Scherung<br />
in den Doppelgleitsystemen ermöglicht die Dissoziation einer Versetzung mit dem<br />
Burgers-Vektor b = a/2 〈110〉 in zwei Partialversetzungen (b = a/6 〈112〉) [5, 37]. Die
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 38<br />
ã<br />
ã<br />
A<br />
â<br />
P 1<br />
P 2<br />
á á á ã<br />
B<br />
ã<br />
C<br />
á<br />
Abb. 2.17: Shockleysche Partialversetzungen P 1 , P 2 in <strong>der</strong> Doppelgleitebene und <strong>der</strong> sich ausgebildete<br />
Stapelfehler.<br />
Aufspaltung <strong>der</strong> Versetzung führt zu einem Fehler in <strong>der</strong> Stapelfolge <strong>der</strong> Packungsdichte,<br />
einem sogenannten Shockley’schen Stapelfehler o<strong>der</strong> Zwillingsscherung. Dieser Flächendefekt<br />
tritt in den Doppelgleitebenen auf und wird durch die beiden Versetzungslinien<br />
<strong>der</strong> Partialversetzungen begrenzt. Bei diesem Prozess wird für Werkstoffe mit geringer<br />
Stapelfehlerenergie, zu denen auch Silizium gezählt wird, Energie aus <strong>der</strong> sich bildenden<br />
Gitterverzerrung gewonnen. In Abb. 2.17 sind solche dissoziierten Partialversetzungen<br />
dargestellt. Das Partial P 1 ist durch einen Stapelfehler (Lage <strong>der</strong> Atome wechselt von <strong>der</strong><br />
γ– auf die α–Konfiguration) mit dem Partial P 2 entgegengesetzter Richtung verbunden.<br />
Gleitfähige Versetzungen scheinen bevorzugt als solche dissoziierten Versetzungen aufzutreten<br />
[37].<br />
Zu den wichtigsten Arten von Versetzungen zählen die 60 ◦ –Versetzungen und die Schraubenversetzungen.<br />
Die Bezeichnung 60 ◦ beschreibt hier den Winkel zwischen <strong>der</strong> Versetzungslinie<br />
s und dem Burgers-Vektor b (siehe Abb. 2.19a). Für Schraubenversetzungen<br />
beträgt dieser Winkel 0 ◦ . Aus Abb. 2.15 kann die Bildung von 60 ◦ –Versetzungen gedanklich<br />
durch das Entfernen o<strong>der</strong> zusätzliche Einfügen <strong>der</strong> in Abb. 2.16 dargestellten<br />
Halbebenen erfolgen. Entlang <strong>der</strong> Grenze dieser Extrahalbebenen entsteht eine dichte<br />
Reihe ungepaarter Bindungen. Der Einschub solcher Ebenen erfolgt bis auf die Gleitbzw.<br />
Mischebenen <strong>der</strong> aktiven Gleitsysteme. Daraus ergeben sich, wie in Abb. 2.18 dargestellt,<br />
zwei unterschiedliche Möglichkeiten <strong>der</strong> Versetzungsbildung einer 60 ◦ –Versetzung.<br />
Bei Schraubenversetzungen hingegen treten keine ungepaarten Bindungen auf. Der schraubenförmige<br />
Charakter einer solchen Versetzung lässt sich in Abb. 2.19b durch Vergleich<br />
mit einer ‘normalen’, hexagonalen Struktur vergleichen. Ein normales Hexagon wird beschrieben<br />
durch die Atomfolge 7–8–9–10–11–12–7. Das Atom an Position 7 bildet den<br />
Anfang und das Ende dieses Ringes. Durch eine Schraubenversetzung wird das Gitter
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 39<br />
in <strong>der</strong> Art verän<strong>der</strong>t, dass sich für ursprüngliche Hexagon nun die Atomfolge 13–2–3–<br />
14–15–16–17 ergibt. Zwischem den Anfang und Ende dieser Struktur an den Positionen<br />
13 bzw. 17 ergibt sich eine Lücke. Der Vektor # » 13–17 entspricht dem Burgers-Vektor und<br />
fällt mit <strong>der</strong> Versetzungslinie zusammen. Die sich um die Versetzungslinie ergebenden<br />
Hexagone sind verdreht, wie es in Abb. 2.19b anhand aufgedickter Linie <strong>der</strong> Atomfolge<br />
17–4–3–14–15–16–17 dargestellt ist.<br />
Versetzungsmultiplikation<br />
Neben dem Gleiten bereits bestehen<strong>der</strong> Versetzungen bilden sich während <strong>der</strong> plastischen<br />
Verformung eine Vielzahl neuer Versetzungen. Die Ausgangsversetzungsdichte (Versetzungsdichte<br />
vor Beginn <strong>der</strong> Verformung) kann dabei um mehrere Zehnerpotenzen ansteigen.<br />
Unter <strong>der</strong> Versetzungsdichte versteht man die Versetzungslinienlänge im Werkstoff<br />
je Volumen. Eine Erhöhung <strong>der</strong> Versetzungsdichte muss damit nicht zwingend eine Erhöhung<br />
<strong>der</strong> Einzelversetzungsanzahl bedeuten, son<strong>der</strong>n kann auch durch Vergrößerung<br />
<strong>der</strong> vorhanden Versetzungslinien erfolgen. Die Versetzungsdichte von Silizium kann bei<br />
plastischer Verformung von anfangs nahezu versetzungsfreien Material bzw. Material mit<br />
einer Ausgangsversetzungsdichte von rund 10 4 cm −2 auf rund 10 8 bis 10 9 cm −2 ansteigen.<br />
Grund hierfür sind verschiedene im Werkstoff wirkende Versetzungsquellen. Eine<br />
<strong>der</strong> wohl bekanntesten Versetzungsquellen arbeiten nach dem sogenannten Frank–Read-<br />
Mechanismus (vlg. Abb. 2.20). In <strong>der</strong> Gleitebene liegt eine an zwei Hin<strong>der</strong>nissen verankerte<br />
Versetzungslinie AB. Die Hin<strong>der</strong>nisse können an<strong>der</strong>e Versetzungslinien, Ausscheidungen,<br />
a) b)<br />
A<br />
â<br />
B<br />
ã<br />
C<br />
á<br />
A<br />
â<br />
A<br />
â<br />
B<br />
ã<br />
C<br />
á<br />
A<br />
â<br />
Abb. 2.18: Vollständige 60 ◦ –Versetzungen. Ansicht projeziert auf die (1¯10)–Ebene. a) In <strong>der</strong> Gleitebene.<br />
b) In <strong>der</strong> Mischebene.
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 40<br />
a)<br />
b)<br />
b<br />
s<br />
s<br />
Abb. 2.19: Versetzungen in <strong>der</strong> Diamantstruktur. a) 60 ◦ –Versetzung mit gekennzeichneten Richtungen<br />
<strong>der</strong> Versetzungslinie s und des Burgers-Vektors b. b) Schraubenversetzung. Die Atomfolge<br />
7–8–9–10–11–12–7 zeigt ein ‘normales’ Hexagon. Die Atomfolge 17–4–3–14–15–16–17 zeigt<br />
ein verdrehtes Hexagon (aufgedickte Linien) durch die Schraubenversetzung. [22]<br />
b<br />
Einschlüsse o<strong>der</strong> Kristallbaufehler darstellen. Durch die einwirkende Schubspannung beginnt<br />
sich die Versetzungslinie auszubauen. Erreicht sie einen instabilen Zustand wird<br />
durch Annihilation <strong>der</strong> sich berührenden Versetzungsbögen ein neuer Versetzungsring abgelöst.<br />
Das übrig gebliebene Segment AB kehrt darauf hin wie<strong>der</strong> in seine ursprüngliche<br />
Lage zurück um durch erneutes Bauchen den Vorgang wie<strong>der</strong>holen zu können. [49]<br />
Der Frank–Read-Mechanismus ist die dominante Form <strong>der</strong> Versetzungsmultiplikation bei<br />
Werkstoffen mit hoher Ausgangsversetzungsdichte. Bei anfangs versetzungsfreiem Material<br />
wäre diese Form jedoch aufgrund <strong>der</strong> wenigen vorhanden Versetzungen nicht sehr<br />
effektiv. Hier kommen zu Beginn <strong>der</strong> plastischen Verformung an<strong>der</strong>e Versetzungsquellen<br />
zum tragen. Schäfer [48] konnte durch Ritzversuche an Probenoberflächen nachweisen,<br />
dass Oberflächenfehler eine Versetzungsquelle bilden. Dadurch kommt es verstärkt am<br />
äußeren Rand <strong>der</strong> Probe zu einer Versetzungsmultiplikation, während das Probeninnere<br />
relativ versetzungsfrei bleibt [42]. Durch fortschreitende Deformation wan<strong>der</strong>n diese Versetzungen<br />
dann in das Probeninnere. Bei den heutigen Wafern aus Silizium kann aber<br />
durch chemische Behandlung und Feinpolitur von einer fehlerfreien Oberfläche ausgegangen<br />
werden. Daher müssen für diese Wafer an<strong>der</strong>e Versetzungsquellen aktiviert werden.<br />
Auch können an Ausscheidungen wie SiO 2 in sauerstoffhaltigen Silizium sowie an<br />
Doterierungselementen Versetzungen entstehen. Da die Dotierung im wesentlichen die<br />
elektrischen Eigenschaften <strong>der</strong> Wafer bestimmt kann angenommen werden, dass sie die<br />
dominanten Versetzungsquellen in heutigen monokristallinen Wafern mit nahezu verset-
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 41<br />
ô<br />
A<br />
A<br />
A<br />
A<br />
B<br />
B<br />
B<br />
B<br />
Abb. 2.20: Versetzungsmultiplikation mittels des Frank–Read-Mechanismus.<br />
zungsfreiem Werkstoff darstellen.<br />
Orowan [41] stellte hierbei eine Beziehung zwischen <strong>der</strong> Versetzungsdichte mobiler Versetzungen<br />
N m , <strong>der</strong> Versetzungsgeschwindigkeit υ und <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit ȧ auf. Er<br />
betrachtete als erster die plastische Deformation als dynamischen Prozess. Er beschrieb<br />
die plastische Dehnungsgeschwindigkeit mit <strong>der</strong> Dichte mobiler Versetzungen N m und dem<br />
Betrag des Burgers-Vektors b nach folgende Beziehung<br />
ȧ = b N m υ (2.4.1)<br />
Eine alternative Formulierung ist durch<br />
ȧ = b Ṅm χ (2.4.2)<br />
möglich mit χ als <strong>der</strong> mittleren freien Weglänge <strong>der</strong> Versetzungen und Ṅm als <strong>der</strong> zeitlichen<br />
Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> mobilen Versetzungsdichte. Diese Formulierung resultiert aus <strong>der</strong><br />
Tatsache, dass im Allgemeinen we<strong>der</strong> die Versetzungsdichte noch die Versetzungsgeschindigkeit<br />
während des Verformungsprozesses als konstante Größen angenommen werden<br />
können.<br />
Peierls-Mechanismus<br />
Die Versetzungsbewegung unterliegt im Werkstoff einigen Einschränkungen. Peierls [43]<br />
postulierte eine Einschränkung <strong>der</strong> Versetzungsbewegung einer Versetzungslinie durch ein<br />
periodisches Potential, welches sich mit einer Periodizität von Betrag des Burgers-Vektors<br />
wie<strong>der</strong>holt. Dieses Peierlspotential besitzt ein Potentialtal und einen Potentialwall. Ei-
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 42<br />
ô<br />
1<br />
2<br />
2<br />
Abb. 2.21: Peierls-Mechanismus <strong>der</strong> Versetzungsbewegung mittels Kinkpaarbildung. ❥ 1 Kinkbildung.<br />
❥2 Kinkausbreitung.<br />
ne Versetzung strebt eine energetisch günstige Position an und befindet sich daher im<br />
Potentialtal (Gleichgewichtslage). Um gleiten zu können muss die Versetzung aus dem<br />
Potentialtal über den Potentialswall herausgehoben werden in nächste Potentialtal. Für<br />
die dichtgepacktesten Ebenen mit den dichtgepacktesten Richtung ist <strong>der</strong> Potentialwall<br />
am niedrigsten. Gleitvorgänge werden bevorzugt in diesen System stattfinden. Eine Bewegung<br />
<strong>der</strong> Versetzungslinie als Ganzes erweist sich jedoch als energetisch ungünstig, weshalb<br />
zunächst ein kurzes Segment über den Potentialwall gehoben wird. Begrenzt wird<br />
das Segment von zwei Knicken <strong>der</strong> Versetzungslinie in <strong>der</strong> Gleitebene. Ein solcher Knick<br />
wird als Kinke bezeichnet [31]. Da es zur Bildung von zwei Kinken kommt, spricht man<br />
von Kinkpaaren. Nach <strong>der</strong>en Bildung entfernen sich die Einzelkinken von einan<strong>der</strong> (Migration<br />
bzw. Kinkdiffusion). Bei dieser Bewegung entlang <strong>der</strong> Versetzungslinie haben die<br />
Kinken ebenfalls ein Potentialreflief zu überwinden (Peierlspotential zweiter Ordnung),<br />
was gegenüber dem Heben <strong>der</strong> gesamten Versetzung mit einer niedrigeren Energie verbunden<br />
ist. Die Versetzungsbewegung erfolgt somit durch segmentweises Herausheben<br />
<strong>der</strong> Versetzungslinie über den Potentialwall (siehe Abb. 2.21) und ist abgeschlossen mit<br />
<strong>der</strong> Annihilation <strong>der</strong> Kinken am Ende <strong>der</strong> Versetzungslinie (Versetzungslinien enden an<br />
den Oberflächen <strong>der</strong> Kristalle o<strong>der</strong> bilden Versetzungsringe) o<strong>der</strong> durch Zusammentreffen<br />
zweier entgegengesetz polarisierter Kinken. Der Vergleich <strong>der</strong> Aktivierungsenergie <strong>der</strong><br />
Versetzungsbewegung einer Schraubenversetzung mit <strong>der</strong> Bildungsenergie eines Kinkpaares<br />
zeigt gute Übereinstimmung [5, 35]. Die Bildungsenergie konnte zwischen 2,2..2, 4 eV
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 43<br />
bestimmt werden [5, 58]. Schäfer [48] wies zudem nach, dass die Aktiveriungsenergie<br />
für eine 60 ◦ –Versetzung und eine Schraubenversetzung nahezu gleich sind. Die Versetzungsbewegung<br />
in Silizium bei hohen Temperaturen wird somit hauptsächlich durch den<br />
Überwindungsprozess des Peierlspotentials bestimmt.<br />
Zur Bestimmung <strong>der</strong> Größe <strong>der</strong> Streckgrenze ist es nunmehr nur noch erfor<strong>der</strong>lich die<br />
Größe <strong>der</strong> kritischen Schubspannung zu bestimmen, welche nötig ist um ein Gleitsystem<br />
zu aktivieren. Die minimale Spannung um eine Versetzung zu bewegen, ist die Peierls-<br />
Spannung zur Überwindung des Peierls-Potentials. Bei Untersuchungen bei hohen Temperaturen<br />
zeigt sich jedoch in <strong>der</strong> Regel, dass die kritische Schubspannung unterhalb <strong>der</strong><br />
Peierls-Spannung liegt. Da <strong>der</strong> Peierls-Mechanismus einer thermisch aktivierter Prozess<br />
ist, kann durch das heftige Schwingen <strong>der</strong> Atome bei hohen Temperaturen das Peierls-<br />
Potential leichter überwunden werden. Bei Raumtemperatur verhält sich Silizium spröde,<br />
d. h. dass die Streckgrenze größer als die Bruchspannung des Werkstoffes ist. Der Werkstoff<br />
wird ohne plastische Dehnung brechen. Mit zunehmen<strong>der</strong> thermischer Aktivierung<br />
tritt ab einem bestimmten Temperaturbereich plastische Deformation auf und das Werkstoffverhalten<br />
wechselt von spröde zu duktil. Man spricht vom spröd–duktil-Übergang<br />
bzw. von <strong>der</strong> englischen Bezeichnung brittle–ductile transition (BDT). Dieser Übergang<br />
ist jedoch stark abhängig von den Umgebungsbedingungen und lässt sich daher nicht<br />
auf einen genauen Wert festlegen. Die spröd–duktil-Übergangstemperatur liegt in einem<br />
Bereich von etwa T BDT = 700..800 ◦ C. [18]<br />
Versetzungsgeschwindigkeit<br />
Die Messung <strong>der</strong> Geschwindigkeit von Versetzungen erfolgt mittels eines chemischen Anätzens<br />
niedrig indizierter Oberflächen, um die Durchstoßpunkte <strong>der</strong> Versetzungen als Ätzgrübchen<br />
sichtbar zu machen [12, 26]. Nachdem in einem ersten Ätzvorgang die Lage <strong>der</strong><br />
Versetzungen bestimmt wurde wird die Probe anschließend für die Dauer einer festgelegten<br />
Zeit belastet. Bei einem anschließenden zweiten Ätzvorgang kann die neue Lage<br />
<strong>der</strong> Versetzungen bestimmt werden. Aus <strong>der</strong> so ermittelten Weglänge und <strong>der</strong> Dauer <strong>der</strong><br />
belastung wird die Versetzungsgeschwindigkeit je<strong>der</strong> Versetzung bestimmt und über al-
2.4.2 Versetzungsbildung und Versetzungsbewegung in Silizium 44<br />
le Versetzungen gemittelt. Die so ermittelte Versetzungsgeschwindigkeit ist jedoch eine<br />
Funktion in Abhängigkeit von sowohl <strong>der</strong> angelegten Schubspannung τ, also auch <strong>der</strong><br />
Temperatur T . Eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versuchstemperatur zeigt dabei eine große Beeinflussung<br />
<strong>der</strong> Geschwindigkeit [48]. Die Temperatur stellt einen einfach zu regulierenden<br />
Parameter dar. Schwieriger zu regulieren ist dagegen die Schubspannung. Chaudhuri et<br />
al. [12] haben eine Abhängigkeit von <strong>der</strong> Schubspannung nach υ ∝ τ m bestimmt. Der<br />
Faktor m wird als Spannungsexponent bezeichnet und nimmt für Halbleiter Werte zwischen<br />
1 und 2 an. Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] gehen in ihrem Modell davon aus, dass sich<br />
die Versetzungen entsprechend des Peierls-Mechanismus mit Hilfe <strong>der</strong> Kinkpaarbildung<br />
bewegen. Unter dieser Voraussetzung und <strong>der</strong> weiteren Annahme, die von <strong>der</strong> angelegten<br />
Spannung verrichtete Arbeit sei klein gegenüber dem thermischen Beitrag zur Kinkpaarbildung,<br />
erhalten sie für die Versetzungsgeschwindigkeit υ den Ausdruck<br />
υ = B(T ) τ m (2.4.3)<br />
Der Term B stellt eine Funktion von <strong>der</strong> Temperatur dar und ist ein Maß für die Beweglichkeit<br />
von Versetzungen und durch<br />
(<br />
B(T ) = B 0 exp − U )<br />
k T<br />
(2.4.4)<br />
gegeben. Zusammen mit Gl. (2.4.3) ergibt sich somit für die Versetzungsgeschwindigkeit<br />
folgende Beziehung<br />
(<br />
υ = B 0 τ m exp − U )<br />
k T<br />
(2.4.5)<br />
Hier ist U die Aktiverungsenergie, welche sich aus <strong>der</strong> Energie zur Bildung und Ausbreitung<br />
<strong>der</strong> Kinkpaare zusammensetzt. Die Konstante k bezeichnet die Boltzmann-Konstante<br />
und B 0 ist eine empirische Konstante.
2.4.3 Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik 45<br />
2.4.3 Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik<br />
Unter <strong>der</strong> Verformungsdynamik versteht man die makroskopische Deformation des Einkristalls<br />
in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Zeit. Zur Bestimmung des Verformungsverhaltens eines<br />
Werkstoffes führt man experimentelle Untersuchungen durch, bei denen zum einen<br />
die Fließspannung τ (herrschende Schubspannung im aktiven Hauptgleitsystem) und zum<br />
an<strong>der</strong>en die Abgleitung a als Funktion <strong>der</strong> Zeit ermittelt werden. Da eine gleichzeitige Bestimmung<br />
bei<strong>der</strong> Parameter zu komplex wäre, ist es gebräuchlich eine Variable während<br />
des Versuchs konstant zu halten. Daraus ergeben sich zwei unterschiedliche Versuchsarten,<br />
welche folgend für diese Arbeit als statischer und dynamischer Versuch definiert werden.<br />
Im statischen Versuch, dem sogenannten Kriechversuch, wird auf die Probe eine Last<br />
aufgebracht und während <strong>der</strong> Versuchsdauer konstant gehalten, τ = const. Es erfolgt die<br />
Messung <strong>der</strong> Abgleitung a bzw. <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit ȧ. Im Gegensatz dazu wird bei<br />
<strong>der</strong> dynamischen Versuchsart die Abgleitgeschwindigkeit konstant gehalten (ȧ = const.)<br />
und gemessen wird die Beziehung zwischen <strong>der</strong> angelegten Spannung σ bzw. <strong>der</strong> daraus<br />
resultierenden wirkenden Schubspannung τ und <strong>der</strong> Dehnung ε bzw. Abgleitung a im<br />
Kristall. Typische Ergebnisse <strong>der</strong> beiden Versuchsarten zeigt Abb. 2.22. In beiden Fällen<br />
erfolgt eine Messung <strong>der</strong> Dehnungen als Summe aus elastischem und plastischem Anteil.<br />
Der plastische Anteil ergibt sich durch Abziehen <strong>der</strong> elastischen Anteile von <strong>der</strong> Gesamtdehnung.<br />
[5]<br />
a<br />
a) ô b)<br />
ô III<br />
a W<br />
t W t<br />
ô uy<br />
ô<br />
ô II<br />
I<br />
ô ly<br />
a uy a ly<br />
Abb. 2.22: Experimentelle Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik. a) Statische Versuchsart (Kriechversuch).<br />
b) Dynamische Versuchsart.<br />
a
2.4.3 Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik 46<br />
Die aus den Versuchen direkt gewonnen Größen für Spannung und Dehnung müssen jedoch<br />
für eine Vergleichbarkeit <strong>der</strong> Ergebnisse auf die in den Hauptgleitebenen wirkenden<br />
Schubspannungen und Abgleitungen umgerechnet werden, da die werkstoffspezifischen<br />
Größen abhängig von <strong>der</strong> Orientierung <strong>der</strong> Proben sind. Das Schmid’sche Schubspannungsgesetz<br />
[18, 21] stellt eine solche Beziehung her. Plastische Verformung setzt mit<br />
dem Erreichen o<strong>der</strong> Überschreiten einer Grenzspannung, <strong>der</strong> Streckgrenze ein. Durch unterschiedliche<br />
Orientierungen <strong>der</strong> Proben kann <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> Streckgrenze jedoch variieren.<br />
Der Beginn <strong>der</strong> plastischen Verformung ist mit einer massiven Versetzungsbewegung verbunden.<br />
Die Versetzungsbewegung wird infolge einer Krafteinwirkung in <strong>der</strong> Gleitebene<br />
in Richtung des Burgers-Vektors ausgelöst. Für die Versetzungsbewegung und damit den<br />
Beginn <strong>der</strong> plastischen Verformung ist also die in <strong>der</strong> Gleitebene resultierende Schubspannung<br />
maßgeblich, die einen kritischen Wert erreicht o<strong>der</strong> überschreitet. Mit zunehmen<strong>der</strong><br />
Temperatur wird durch den thermisch aktivierten Prozess <strong>der</strong> Versetzungsbewegung die<br />
notwendige kritische Schubspannung reduziert. Das Schmidsche Schubspannungsgesetz<br />
wird durch die Gleichungen<br />
τ = µ σ (2.4.6)<br />
bzw.<br />
da = 1 dε (2.4.7)<br />
µ<br />
dargestellt [42]. Hier bereichnet µ den Schmid-Faktor, welcher sich (siehe Abb. 2.23) mit<br />
α als dem Winkel zwischen <strong>der</strong> Probenorientierung und <strong>der</strong> Gleitebenennormalen und β<br />
als dem Winkel zwischen <strong>der</strong> Probenorientierung und <strong>der</strong> Gleitrichtung nach Gl. (2.4.8)<br />
berechnet.<br />
µ = cos α cos β (2.4.8)<br />
Bei einer vorgegebenen Kristallorientierung <strong>der</strong> Probe können die Schmidfaktoren aller<br />
Gleitsysteme berechnet werden. Das System, welches den größten Schmid-Faktor aufweist,
2.4.3 Untersuchung <strong>der</strong> Verformungsdynamik 47<br />
F<br />
ô<br />
â<br />
á<br />
n<br />
F<br />
Abb. 2.23: Definition des Schmidfaktors als Teil <strong>der</strong> Kristallplastizität. Winkelbeziehungen zwischen<br />
<strong>der</strong> Probenorientierung (in Zugrichtung), <strong>der</strong> Gleitebenennormalen n und <strong>der</strong> Gleitrichtung.<br />
wird als erstes System die kritische Schubspannung (alle Gleitsysteme besitzen die gleiche<br />
kritische Schubspannung) erreichen und daher als Hauptgleitsystem bezeichnet. Man<br />
spricht von Einfachgleitung. Es besteht ebenfalls die Möglichkeit, dass mehrere Systeme<br />
den gleichen Schmid-Faktor besitzen. In diesem Fall tritt Doppel- o<strong>der</strong> Mehrfachgleitung<br />
auf.
3 Plastizität in Silizium 48<br />
3 Plastizität in Silizium<br />
Im wissenschaftlichen Erkenntnisprozess über das Werkstoffverhalten bildet die Modellbildung<br />
eine wichtige Arbeitsmethode in <strong>der</strong> Ingenieursarbeit. Die Modelle <strong>der</strong> Werkstoffmechanik<br />
sollen dabei das reale Werkstoffverhalten möglichst wirklichkeitsnah abbilden.<br />
Eine exakte Abbildung ist aber meist nicht möglich, da ein realer Werkstoff nicht über das<br />
gesamte Volumen konstante Eigenschaften besitzt und dies zu lokal beschränkten Effekten<br />
führt. Im Verlauf <strong>der</strong> Modellbildung müssen daher bewusst wesentliche Erscheinungen<br />
herausgehoben werden, wohingegen weniger bedeutende Erscheinungen vernachlässigt<br />
werden. Die Entscheidung darüber muss zumeist anfangs subjektiv getroffen werden und<br />
erst ein anschließen<strong>der</strong> Vergleich des Modells mit realen, experimentell ermittelten Werten<br />
kann diese Entscheidung objektivieren. Die gesetzte Zielstellung bestimmt dabei die<br />
Genauigkeit des Approximationsgrades. Zur Analyse des Deformationszustandes werden<br />
zunächst lokale Effekte nicht berücksichtigt. Es erfolgt eine Mittelung (Homogenisierung)<br />
des Werkstoffes über das gesamte Volumen. Dies führt dazu, dass die entwickelten Modelle<br />
noch einfach zu handhaben, jedoch in ihrer Aussagekraft deutlich eingeschränkt sind. Hinzunahme<br />
weiterer lokaler Erscheinungen verbessert die Genauigkeit <strong>der</strong> Approximation,<br />
führt aber gleichfalls zu einer Aufwandssteigerung im Lösungsprozess <strong>der</strong> Modellgleichungen.<br />
Der klassische Weg <strong>der</strong> Modellbildung führt vom physikalischen zum mathematischen<br />
Modell. Die physikalischen Modelle basieren auf experimentellen Untersuchungen des zu<br />
modellierenden Werkstoffes. Auftretende Effekte werden theoretisch betrachtet, beschrieben<br />
und in Gleichungen formuliert. Mathematische Modelle hingegen sind weitestgehend<br />
als allgemein gültige Gleichungen aufzufassen, welche für den speziellen Fall angepasst<br />
werden. Es werden dabei mathematische Beziehungen zwischen abhängigen und unabhängigen<br />
Variablen hergestellt, welche den Spannungs-Dehnungs-Verlauf beschreiben. Die<br />
Anpassung <strong>der</strong> mathematischen Gleichungen an die realen Kurvenverläufe geschieht mittels<br />
<strong>der</strong> Definition von Koeffizienten. Diese repräsentieren werkstoffspezifische Größen und
3 Plastizität in Silizium 49<br />
müssen experimentell ermittelt werden.<br />
In dem folgenden Kapitel sollen die Grundlagen <strong>der</strong> Modellbildung des mechanischen<br />
Werkstoffverhaltens bzw. <strong>der</strong> mechanischen Eigenschaften von Silizium dargestellt werden.<br />
Die in den Grundlagen vorgestellten Stoffmodelle finden bei <strong>der</strong> Modellierung <strong>der</strong><br />
Plastizität von Silizium kaum Anwednungen. Dies mag mit den komplexen Abhängigkeiten<br />
<strong>der</strong> Beziehungen zwischen Spannungen und Dehnungen in Zusammenhang gebracht<br />
werden. Stattdessen erfolgt die Modellierung im Rahmen des von Alexan<strong>der</strong> und Haasen<br />
entwickelten Modells [5]. Dieses 1969 entwickelte Modell stellt das heute immer noch<br />
dominante Konzept für Silizium (und an<strong>der</strong>e Werkstoffe mit Diamantstruktur) in <strong>der</strong><br />
Ingenieurspraxis dar.<br />
Die folgenden Aussagen dieser Arbeit, insbeson<strong>der</strong>e über die Versetzungsbewegung im<br />
Werkstoff, beziehen sich auf monokristallines Silizium. Bei multikristallinen sind weitere<br />
Effekte mit einzubeziehen, wie die Behin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versetzungsbewegung durch die<br />
vorhanden Korngrenzen. Sowohl die Art Einflusses als auch <strong>der</strong>en Ausmaß bei <strong>der</strong> Betrachtung<br />
multikristallinen Siliziums auf die Spannungs-Dehnungs-Kurve konnten mit <strong>der</strong><br />
verwendeten Literatur nicht bestimmt werden.<br />
3.1 Materialmodell nach Alexan<strong>der</strong> und Haasen<br />
Das Modell von Alexan<strong>der</strong> und Haasen beschreibt das Deformationsverhalten von Halbleiterkristallen<br />
mit Diamantstruktur bei niedriger Ausgangsversetzungsdichte. Es stellt<br />
allgemeine Beziehungen zwischen plastischer Deformation und dem daraus resultierenden<br />
Spannungsverlauf unter Beachtung des dynamischen Verhaltens <strong>der</strong> Versetzungsbewegung<br />
und Versetzungsmultiplikation dar. Die Zusammenhänge wurden aus experimentellen Untersuchungen<br />
zum plastischen Verhalten von Silizium und Germanium, aber auch an<strong>der</strong>en,<br />
<strong>der</strong> Diamantstruktur ähnlichen Werkstoffen wie Indium-Antimonid gewonnen. [5]<br />
In den Grundlagen (siehe Abs. 2 wurde die Streckgrenze als <strong>der</strong> Punkt definiert, bei<br />
dem Spannung und Dehnung durch einsetzendes plastisches Fließen die linear anteigen-
3.1.1 Beschreibung des Streckgrenzenbereiches 50<br />
de Hooke’sche Gerade verlassen. Um in dem folgenden Abschnitten Missverständnisse zu<br />
vermeiden, muss daher die Streckgrenze neu definiert werden. Ausgehend von experimentellen<br />
Ergebnissen versteht man unter dem Streckgrenzenbereich ein auftretendes lokales<br />
Maximum, als obere Streckgrenze bezeichnet, mit anschließendem lokalen Minimum, <strong>der</strong><br />
unteren Streckgrenze, in <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve.<br />
3.1.1 Beschreibung des Streckgrenzenbereiches<br />
Unabhängig von <strong>der</strong> experimentellen Versuchsart (Zug-, Druck-, Biege- o<strong>der</strong> Torsionsversuch)<br />
ergibt sich stets <strong>der</strong> prinzipielle Verlauf <strong>der</strong> Spannungs–Dehnungs–Kurve bei<br />
dynamischer Versuchsart, wie er in Abb. 3.1 dargestellt ist. Zu Beginn erfolgt ein linearer<br />
Anstieg <strong>der</strong> Spannung, welcher im Sinne des Hooke’schen Gesetzes durch den Elastizitätsmodul<br />
bzw. bei Betrachtung <strong>der</strong> in den Hauptgleitebenen wirkenden Schubspannungen<br />
durch den Gleitmodul G bestimmt wird. In dem Kristall mit wenigen eingewachsenen<br />
Versetzungen (Ausgangsversetzungsdichte ist gering) kann eine konstante Dehnungsgeschwindigkeit<br />
entsprechend <strong>der</strong> Proportionalität ȧ ∝ υ nach Gl. (2.4.1) nur dann erreicht<br />
werden, wenn die Deformationgeschwindigkeit ˙τ/G groß ist. Daraus resultiert eine große<br />
wirkende Schubspannung und es ergibt sich aus Gl. (2.4.5) für die vorhandenen Versetzungen<br />
eine hohe Versetzungsgeschwindigkeit. Dies deckt sich ebenfalls mit <strong>der</strong> Vorstellung,<br />
dass die wenigen vorhanden Versetzungen nahezu ungehin<strong>der</strong>t im Kristall wan<strong>der</strong>n könô<br />
ô uy<br />
ô ly<br />
a uy a ly<br />
Abb. 3.1: Darstellung des Streckgrenzenbereiches beim Übergangs vom elastischen zum plastischen Materialverhalten.<br />
Markiert sind die Schubspannungen und Gleitungen für die obere (τ uy ,a uy )<br />
und untere Streckgrenze (τ ly ,a ly ).<br />
a
3.1.1 Beschreibung des Streckgrenzenbereiches 51<br />
nen. Ab etwa 2/3 <strong>der</strong> oberen Streckgrenze steigt die Spannung nicht mehr linear mit <strong>der</strong><br />
elastischen Dehnung an. Der Ansteig dτ/da flacht merklich ab und durchwan<strong>der</strong>t schließlich<br />
ein lokales Maximum. Die obere Streckgrenze τ uy (upper yield point) ist erreicht.<br />
Durch die bereits beschriebenen Mechanismen <strong>der</strong> Versetzungsmultiplikation beginnt in<br />
diesem Bereich eine starke Vergrößerung <strong>der</strong> ursprünglichen Versetzungsdichte. Bei Erreichen<br />
<strong>der</strong> oberen Streckgrenze konnten bereits bei Proben mit anfänglich etwa 10 4 cm −2<br />
durch Messungen <strong>der</strong> Ätzgrübchendichte Versetzungsdichten von 10 7 bis 10 8 cm −2 festgestellt<br />
werden [5]. Nach dessen Überschreitung fällt die Spannung ab. Der Abfall geschiet<br />
aber nicht abrupt, son<strong>der</strong>n sinkt kontinuierlich über einen Bereich von etwa 1 % Dehnung.<br />
Der genaue Mechanismus für den Spannungsabfall ist nach, in dieser Arbeit verwendeten<br />
Literaturstand nocht nicht geklärt. Bis zur oberen Streckgrenze scheint eine Art von<br />
Barriere die Versetzungsbewegung zu unterbinden. Durch die immer weiter ansteigende<br />
Spannung beginnen zunächst einzelne Versetzungen unter günstigeren Bedingungen zu<br />
wan<strong>der</strong>n. Dies könnte das Abflachen des Kurvenanstieg vor Erreichen <strong>der</strong> oberen Streckgrenze<br />
erklären. Ab einem entsprechend hohem Spannungsniveau bricht dann die Barriere<br />
auf und Versetzungsbewegung beginnt lawinenartig zu starten. Das Gitter kann nun die<br />
zuvor aufgestauten Spannungen durch Versetzungsbewegung abbauen. Durch die große<br />
Versetzungsdichte beginnen die Versetzungen in Wechselwirkung miteinan<strong>der</strong> zu treten.<br />
Bei ihrer Bewegung behin<strong>der</strong>n sie sich gegenseitig durch Schneiden von Versetzungslinie<br />
o<strong>der</strong> Aufstauen an Hin<strong>der</strong>nissen. Ebenfalls bauen die Versetzungen große Gitterverzerrungen<br />
auf, welche in Eigenspannungsfel<strong>der</strong> um die Versetzungen resultieren. Diese müssen<br />
von den an<strong>der</strong>en Versetzungen überwunden werden und wirken <strong>der</strong> Geschwindigkeit <strong>der</strong><br />
Versetzungen entgegen. Nach <strong>der</strong> Reduzierung <strong>der</strong> Spannung durchläuft die Spannungs–<br />
Dehnungs–Kurve ein lokales Minimum. Die untere Streckgrenze τ ly (lower yield point)<br />
kann in Verbindung mit einem ausgeprägtem Streckgrenzenbereich stehen, bei dem ohne<br />
Verfestigungserscheinungen über einen Dehnungsbereich die Spannung nicht merklich<br />
ansteigt und folgt aus einer inohomogenen Deformation des Kristalls durch Bildung und<br />
Ausbreitung von Lü<strong>der</strong>sbän<strong>der</strong>n. An die untere Streckgrenze schließt sich <strong>der</strong> Bereich <strong>der</strong><br />
Materialverfestigung an, welcher im später folgenden Abschnitt 3.1.4 genauer beschrieben<br />
werden soll.
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung 52<br />
Nach <strong>der</strong> Ansicht von Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] beruht <strong>der</strong> Effekt des Streckgrenzenmaximums<br />
in Kristallen mit Diamantstruktur auf dem Johnsten–Gilman-Effekt. Nach dieser<br />
Theorie führt die geringe Ausgangsversetzungsdichte zu größtenteils elastischen Dehnungen,<br />
weshalb ein schneller Anstieg <strong>der</strong> Spannung stattfindet und die Versetzungen sich<br />
entsprechend schnell bewegen. Gleichzeitig nimmt auch durch Versetzungsmultiplikation<br />
die Versetzungsdichte zu [4]. An<strong>der</strong>e Effekte wie <strong>der</strong> Cotrell-Effekt, welcher auf dem Loslösen<br />
<strong>der</strong> Versetzungen an wolkenförmigen Ansammlungen von Verunreinigungen beruht,<br />
scheinen aufgrund <strong>der</strong> hohen erreichbaren Reinheiten des monokristallinen Siliziums im<br />
Czochralski- o<strong>der</strong> FZ-Verfahren nicht in Frage zu kommen. Experimentelle Untersuchungen<br />
zeigten zudem eine Reihe von Faktoren, welche das Auftreten und das Ausmaß <strong>der</strong><br />
oberen und unteren Streckgrenze in Silizium entscheidend beeinflussen:<br />
i) Temperatur T ,<br />
ii) Abgleitgeschwindigkeit ȧ,<br />
iii) mechanische Härte des Werkstoffes,<br />
iv) Orientierung <strong>der</strong> Proben,<br />
v) Ausgangsversetzungsdichte des Kristalls,<br />
vi) Grad <strong>der</strong> Verformungsinhomogenität.<br />
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung<br />
Beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Bereich erster plastischer Verformungen, bestimmt durch das Auftreten<br />
einer oberen und unteren Streckgrenze, unterscheidet sich stark von dem an<strong>der</strong>er Werkstoffe.<br />
Durch die stark ablaufende Versetzungsmultiplikation im Bereich <strong>der</strong> oberen Streckgrenze<br />
kann von einer großen Beeinflussung dieser untereinan<strong>der</strong> ausgegangen werden. In<br />
dem folgenden Abschnitt soll daher die Multiplikationsrate <strong>der</strong> Versetzungen sowie <strong>der</strong>en<br />
Wechselwirkung genauer betrachtet werden.
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung 53<br />
Effektivspannung<br />
Wie bereits zuvor erwähnt, beginnen die Versetzungen mit zunehmen<strong>der</strong> Anzahl in Wechselwirkung<br />
miteinan<strong>der</strong> zu treten. Eine statistische Verteilung von N parallelen Versetzungen<br />
bewirken eine mittlere innere Schubspannung nach<br />
τ i =<br />
G b<br />
2π (1 − ν) N 1 2 (3.1.1)<br />
Hier ist G <strong>der</strong> in dem Hauptgleitsystem wirkende Schubmodul, eine werkstoffspezifische<br />
und gleichfalls von <strong>der</strong> Temperatur abhängige Größe, b <strong>der</strong> Betrag des Burgers-Vektors,<br />
ν ist die Poisson-Zahl und N die Gesamtversetzungsdichte. Die Beachtung <strong>der</strong> inneren<br />
Schubspannung ist wichtig, da sie bereits nach sehr kleinen Deformationen eine Größenordnung<br />
vergleichbar mit <strong>der</strong> aufgebrachten Schubspannung τ erreicht. Innerhalb des<br />
Kristalls wirkt die innere Schubspannung <strong>der</strong> aufgebrachten Schubspannung entgegen.<br />
Unter <strong>der</strong> Bedingung, dass die Versetzungsbewegung fortschreiten muss, um plastische<br />
Deformation zu ermöglichen, führt Haasen [19] eine effektive Schubspannung ein, welche<br />
die maßgebende Spannung ist um Versetzungsbewegung zu ermöglichen<br />
τ eff = τ − τ i (3.1.2)<br />
Gl. (3.1.1) lässt sich nun in Gl. (3.1.2) einsetzen<br />
τ eff = τ −<br />
G b<br />
2π (1 − ν) N 1 2 (3.1.3)<br />
Um den entstanden Ausdruck zu vereinfachen, wird aus dem Term bestehend aus Schubmodul,<br />
Poisson-Zahl und Betrag des Burgers-Vektors ein Verfestigungsfaktor A definiert<br />
A =<br />
G b<br />
2π (1 − ν)<br />
(3.1.4)<br />
Damit folgt aus Gl. (3.1.3)<br />
τ eff = τ − A N 1 2 (3.1.5)
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung 54<br />
Der Verfestigungsfaktor A charakterisiert die Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Werkstoffeigenschaften<br />
bei plastischer Verformung durch Verfestigung. Die Verfestigung zeigt sich durch eine<br />
Erhöhung <strong>der</strong> Fließspannung bzw. eine Erhöhung des Wi<strong>der</strong>standes gegen eine Verformung,<br />
welcher durch zunehmende Gitterverzerrung folgt. Der Verfestigungsfaktor lässt<br />
sich durch experimentelle Untersuchungen ermitteln.<br />
Multiplikationsgesetze<br />
Bereits kleine Dehnungen führen bei Halbleitern mit Diamantstruktur zu einem erheblichen<br />
Anstieg <strong>der</strong> Versetzungsdichte um mehrere Zehnerpotenzen. Eine allgemeine Beziehung<br />
<strong>der</strong> Versetzungsdichte in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Dehnung bzw. Abgleitung N (a)<br />
existiert aber nicht [5]. Es zeigen sich Unterschiede bei <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong> Versuchsart, statischer<br />
o<strong>der</strong> dynamischer Versuch. Bei letzt genannter Versuchsart erweitert sich die Abhängigkeit<br />
in Bezug auf die Abgleitgeschwindigkeit. Grund hierfür sind die wirkenden Multiplikationsmechanismen.<br />
Grundsätzlich existieren zwei voneinan<strong>der</strong> verschiedene Prozesse <strong>der</strong><br />
Versetzungsmultiplikation:<br />
i) Das Wirken statischer (ortsunverän<strong>der</strong>licher) Versetzungsquellen, wie z. B. Frank–<br />
Read-Quellen o<strong>der</strong> Oberflächenfehler, welche während des Vorgangs <strong>der</strong> plastischen<br />
Verformung unverän<strong>der</strong>lich sind.<br />
ii) Die Evolution <strong>der</strong> Versetzungen.<br />
Letztgenannter Prozess beschreibt die Multiplikationsrate beweglicher Versetzungen in<br />
Proportionalität zu ihrer Bewegungslänge und dem bereits zurückgelegten Weg<br />
dN = N m υ δ dt (3.1.6)<br />
Das Multiplikationsgesetz nach Gl. (3.1.6) zeigt, dass die zeitliche Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versetzungsdichte<br />
von <strong>der</strong> mittleren Versetzungsgeschwindigkeit υ, <strong>der</strong> mobilen Versetzungsdichte<br />
N m und von einem Multiplikationsfaktor δ abhängig ist. Nach Peissker et al. [44] ist
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung 55<br />
dieser Faktor entsprechend abhängig von <strong>der</strong> effektiven Schubspannung und einer Konstanten<br />
K, welche eine werkstoffspezifische Größe darstellt und experimentell ermittelt<br />
werden muss.<br />
δ = K τ eff (3.1.7)<br />
Modellgleichungen<br />
Mit Hilfe <strong>der</strong> Gleichungen (2.4.3), (2.4.4) und (3.1.7) ist es nun möglich, die explizit angegebenen<br />
Gleichungen (2.4.1) und (3.1.6) genauer zu definieren. Hierzu sind aber noch<br />
zwei Annahmen zu treffen. Entsprechend Abschnitt 3.1.2 muss die Schubspannung τ in<br />
Gl. (2.4.3) durch τ eff ersetzt werden, da die effektive Schubspannung im direkten Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> Bewegung <strong>der</strong> Versetzungen steht. Es ergibt sich somit<br />
υ = B(T ) τ eff<br />
m<br />
(3.1.8)<br />
In den Gleichungen (2.4.1) und (3.1.6) wird die mobile Versetzungsdichte durch die Gesamtversetzungsdichte<br />
ersetzt, N m = N. Dieser Schritt beruht auf experimentellen Beobachtungen<br />
und stellt eine Näherung bei kleinen Dehnungen dar. Die eingewachsene<br />
Versetzungsdichte N 0 mit Anteilen unbeweglicher Versetzungen ist bereits bei kleinen<br />
Dehnungen vernachlässigbar gering gegenüber <strong>der</strong> Gesamtversetzungsdichte. Bilden sich<br />
während <strong>der</strong> Verformung unbewegliche Versetzungen aus, nehmen sie meist die Form von<br />
Dipolen ein und tragen somit wesentlich geringer zur inneren Schubspannung bzw. zur<br />
effektiven Schubspannung bei [5]. Diese Dipole kennzeichnen sich dadurch, dass Versetzungen<br />
entgegengesetzten Vorzeichens sich bei genügend kleiner Entfernung zueinan<strong>der</strong><br />
(< 10 b) durch Klettern annihilieren können. Ein vollständiger Burgersumlauf, welcher<br />
beide Versetzungslinien enthält, liefert als Ergebnis Null. Ein Dipol erscheint somit nach<br />
außen als ‘neutral’. Dennoch bildet er ein Spannungsfeld aus, welches aber im Gegensatz<br />
zu einzelnen Versetzungen nach außen schneller abfällt.
3.1.2 Theorie <strong>der</strong> Anfangsverformung 56<br />
Aus den getroffenen Annahmen folgen<br />
ȧ ≡ da<br />
dt = N b B(T ) ( τ − A N 1/2) m<br />
,<br />
(<br />
= N b B ) (<br />
0 τ − A N<br />
1/2 m<br />
exp − U ) (3.1.9)<br />
k T<br />
Ṅ ≡ dN<br />
dt = N K B(T ) ( τ − A N 1/2) m+1<br />
,<br />
(<br />
= N K B ) (<br />
0 τ − A N<br />
1/2 m+1<br />
exp − U ) (3.1.10)<br />
k T<br />
Gleichung (3.1.9) und (3.1.10) sind die eindimensionalen Gleichungen des Modells von<br />
Alexan<strong>der</strong> und Haasen. Sie beschreiben die zeitliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Versetzungsdichte<br />
und <strong>der</strong> Abgleitung eines Werkstoffes mit Diamantstruktur. Ihre Lösung liefert die Versetzungsdichte<br />
bzw. die plastische Dehnung zu einem bestimmten Zeitpunkt t. Hierzu<br />
müssen die Gleichungen nach <strong>der</strong> Zeit integriert werden<br />
a(t) − a 0 =<br />
N(t) − N 0 =<br />
∫ t [<br />
(<br />
N b B ) (<br />
0 τ − A N<br />
1/2 m<br />
exp − U )]<br />
dt (3.1.11)<br />
k T<br />
t 0<br />
∫ t [<br />
(<br />
N K B ) (<br />
0 τ − A N<br />
1/2 m+1<br />
exp − U )]<br />
dt (3.1.12)<br />
k T<br />
t 0<br />
Aufgrund <strong>der</strong> Zeitabhängigkeit <strong>der</strong> aufgebrachten Schubspannung τ, <strong>der</strong> inneren Schubspannung<br />
τ i = A N 1/2 und <strong>der</strong> vorhandenen Versetzungsdichte N können die Gleichungen<br />
(3.1.11) und (3.1.12) nicht analytisch gelöst werden. Außerdem sind die beiden Gleichungen<br />
nicht unabhängig voneinan<strong>der</strong>, weshalb <strong>der</strong>en mathematische Lösung nur mittels iterativer<br />
numerischer Methoden erfolgen kann. Eine solcher Lösungsansatz wurde in <strong>der</strong><br />
Dissertation von Bános [9] für die Versetzungsmultiplikation während des Kristallzüchtungsprozesses<br />
untersucht.
3.1.3 Bestimmung <strong>der</strong> Fließspannungen aus statischen Versuchen 57<br />
3.1.3 Bestimmung <strong>der</strong> Fließspannungen aus statischen Versuchen<br />
Statische Versuche beschreiben die zeit- und temperaturabhängige plastische Deformation<br />
eines Werkstoffes unter Last. Die Lasteinwirkung wird dabei während des Versuches<br />
konstant gehalten und es ergibt sich daher für eine konstante Temperatur T die plastische<br />
Dehnung. Der S-förmige Kurvenverlauf (siehe Abb. 3.2) lässt sich prinzipiell in<br />
drei Bereiche unterteilen. Der Beginn ist geprägt von schnell ablaufenden Vorgängen <strong>der</strong><br />
Versetzungsmultiplikation und bewirkt ein Kriechen des Werkstoffes, eine mit <strong>der</strong> Zeit<br />
fortschreitende plastische Verformung unter ruhen<strong>der</strong> Last, welche durch transkristalline<br />
Versetzungsbewegung und Leerstellendiffusion hervorgerufen wird. Die plastische Dehnung<br />
steigt in diesem Bereich exponentiell an. Mit Zunahme <strong>der</strong> Versetzungsdichte treten<br />
innere Schubspannung durch Wechselwirkung <strong>der</strong> Versetzungen untereinan<strong>der</strong> auf. Diese<br />
inneren Schubspannungen machen sich dadurch bemerkbar, dass die Prozesse <strong>der</strong> Versetzungsbewegung<br />
und Versetzungsmultiplikation verlangsamt werden. Die Kriechkurve<br />
durchschreitet ein Maximum <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit, welcher durch einen Wendepunkt<br />
mit einem Wechsel <strong>der</strong> Kurvenkrümmung von positiv zu negativ gekennzeichnet ist.<br />
Darauf folgend beginnt <strong>der</strong> Werkstoff mit weiterer Zunahme <strong>der</strong> inneren Schubspannung<br />
zu verfestigen. Er nähert sich asymptotisch einen Zustand an, an dem die aufgebrachte<br />
äußere Belastung vollständig durch die inneren Schubspannungen kompensiert wird und<br />
die plastische Verformung somit als ‘abgeschlossen’ angesehen werden kann. Abb. 3.2 zeigt<br />
den Verlauf einer solchen Kriechkurve. Die Koordinaten für Abgleitung und Zeit wurden<br />
in <strong>der</strong> Darstellung auf den Wendepunkt <strong>der</strong> Kurve (a W , t W ) normiert. [5, 44]<br />
Peissker et al. [44] führten numerische Integrationen <strong>der</strong> vorgestellten Gleichungen (3.1.11)<br />
und (3.1.12) durch. Unter <strong>der</strong> Annahme, dass bis zum Erreichen des Wendepunktes <strong>der</strong><br />
Kriechkurve die inneren Schubspannungen klein sind und somit gegenüber <strong>der</strong> aufgebrachten<br />
Last vernachlässigt werden können, A N 1/2 ≪ τ, bestimmten sie eine Beziehung für<br />
die Versetzungsdichte im Bereich des Wendepunktes. Der Wendepunkt ist definiert durch
3.1.3 Bestimmung <strong>der</strong> Fließspannungen aus statischen Versuchen 58<br />
Abb. 3.2: Darstellung <strong>der</strong> Kriechkurve bei statischer Versuchsdurchführung. Die Koordinaten wurden<br />
auf den Wendepunkt (a W , t W ) normiert. [44]<br />
die For<strong>der</strong>ung d 2 a/dt 2 = 0. Als Ergebnis erhält man<br />
N W = N(t W ) =<br />
( 2<br />
m + 2<br />
) 2<br />
τ<br />
(3.1.13)<br />
A<br />
Diese Beziehung eingesetzt in Gl. (3.1.11) liefert die stationäre Kriechgeschwindigkeit ȧ W<br />
am Wendepunkt<br />
ȧ W =<br />
(<br />
4 m m b B 0<br />
(m + 2) m+2 A τ m+2 exp − U )<br />
2<br />
k T<br />
(3.1.14)<br />
Nach Ansicht von Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] entspricht <strong>der</strong> Zustand am Wendepunkt <strong>der</strong><br />
Kriechkurve in etwa dem Zustand bei Erreichen <strong>der</strong> unteren Streckgrenze im dynamischen<br />
Versuch. Beide Zustände sind gekennzeichnet durch ein Optimum <strong>der</strong> Versetzungsdichte,<br />
bei dem ein Maximum <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit (statischer Versuch) bzw. Abgleitung<br />
(dynamischer Versuch) bei einer minimalen Schubspannung erreicht wird. Die Schubspannung<br />
an <strong>der</strong> unteren Streckgrenze τ ly (N ly = N W ) kann somit durch umstellen von<br />
Gl. (3.1.14) ermittelt werden aus<br />
[<br />
]<br />
(m + 2) m+2 1/(m+2) [<br />
]<br />
A 2<br />
τ ly =<br />
ȧ 1/(m+2) U<br />
exp<br />
4 m m b B 0 (m + 2) k T<br />
(3.1.15)
3.1.4 Verformung nach <strong>der</strong> unteren Streckgrenze 59<br />
bzw. nach weiterer Vereinfachung<br />
τ ly = m + 2<br />
m<br />
( ) A 2 m 2 1/(m+2) [<br />
]<br />
ȧ 1/(m+2) U<br />
exp<br />
4 b B 0 (m + 2) k T<br />
(3.1.16)<br />
Der Vorfaktor, welcher sich aus Spannungsexponent m, Verfestigungsfaktor A, Betrag<br />
des Burgers-Vektor b und Beweglichkeitskonstanten B 0 , kann zu einer Konstanten C y ,<br />
welche ebenfalls wie die darin enthaltenen Größen eine werkstoffspezifische Größe darstellt<br />
und experimentell ermittelt werden muss. Damit kann eine allgemein gültige Form von<br />
Gl. (3.1.16) angegeben werden<br />
[ ] U<br />
τ y = C y ȧ 1/n exp<br />
n k T<br />
(3.1.17)<br />
mit dem zusammengefassten Exponenten n = m + 2. Gleichung (3.1.17) gilt gleichfalls<br />
für die obere und untere Streckgrenze, da <strong>der</strong> Wert von n verschieden ist. Zwischen dem<br />
Spannungsexponent n, <strong>der</strong> Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Fließspannung U y = U/n und <strong>der</strong> Aktivierungsenergie<br />
<strong>der</strong> Versetzungsbewegung U besteht ein theoretischer Zusammenhang<br />
für beide Streckgrenzen. Da sich <strong>der</strong> Mechanismus <strong>der</strong> Versetzungsbewegung nicht än<strong>der</strong>t,<br />
erwartet man bei einer konstanten Temperatur, dass die Aktivierungsenergie für die<br />
Versetzungsbewegung in beiden Streckgrenzenpunkten gleich ist. Es folgt daraus, dass<br />
n ly U ly = U = n uy U uy (3.1.18)<br />
gilt. Diese Tatsache konnte bereits vielfach in Experimenten beobachtet werden [15, 42,<br />
50, 53, 55, 57].<br />
3.1.4 Verformung nach <strong>der</strong> unteren Streckgrenze<br />
Der weitere Verlauf <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve nach Überschreitung <strong>der</strong> unteren<br />
Streckgrenze ist gekennzeichnet durch fortschreitende Materialverfestigung und Kristallerholung.<br />
Die Ermittlung des Kurvenverlaufes erfolgt ebenfalls in dynamischer Versuchs-
3.1.4 Verformung nach <strong>der</strong> unteren Streckgrenze 60<br />
Abb. 3.3: Spannungs-Dehnungs-Kurve von undotierten Silizium-Kristallen in 〈123〉–Richtung im Druckversuch.<br />
Kurve a bei T = 1300 ◦ C, Kurve a bei T = 1000 ◦ C. [23]<br />
weise. Das Ergebnis wird zumeist auch als Verfestigungskurve bezeichnet und beschreibt<br />
die nötige Spannung, welche aufgebracht werden muss, um ein weiteres Abgleiten mit<br />
kontstanter Abgleitgeschwindigkeit zu gewährleisten. Wie in Abb. 3.3 ersichtlich ist, unterscheidet<br />
man 5 Bereiche <strong>der</strong> Verfestigungskurve. Im Kurvenverlauf b ist Bereich<br />
charakterisiert durch eine kleine, konstante Verfestigungsrate Θ I = dτ/da und geht über<br />
in Bereich<br />
❧ II , welcher eine deutlich größere, aber dennoch konstante Verfestigungsrate<br />
Θ II aufweist. Es schließt sich für Kurve b ein Bereich<br />
❧ III an, <strong>der</strong> einen abflachenden Kurvenverlauf<br />
zeigt und als <strong>der</strong> Bereich erster dynamischer Erholung zu betrachten ist. Kurve<br />
b repräsentiert den Verlauf <strong>der</strong> Verfestigungskurve bei niedrigeren Temperaturen, wobei<br />
niedrig hier meint, dass die Temperatur ausreichend hoch ist um plastische Deformation<br />
zu ermöglichen. Bei höheren Temperaturen, oberhalb von 80 % <strong>der</strong> Schmelztemperatur<br />
T S [23], ist die Existenz weiterer Bereich erkennbar. In Kurve a aus Abb. 3.3 schließt sich<br />
an<br />
III ❧ ein weiterer Bereich IV ❧ an, welcher durch erneute Verfestigung bei konstanter<br />
Verfestigungsrate gekennzeichnet ist und in einen Bereich ❧ V erneuten Abflachens des<br />
Verlaufes übergeht, <strong>der</strong> zweiten dynamischen Kristallerholung.<br />
Die genauen mikrostrukturellen Zusammenhänge, welche zu diesen Stadien <strong>der</strong> Materialverfestigung<br />
führen, sind indess noch nicht eindeutig geklärt. Nach Gindin et al. [17]<br />
❧ I
3.1.4 Verformung nach <strong>der</strong> unteren Streckgrenze 61<br />
sind die Bereiche vor Eintreten erster dynamischer Erholung, bedingt durch eine intesive<br />
Versetzungsbewegung in primären und sekundären Gleitebenen, gekennzeichnet lokale<br />
Strukturen mit Gruppen wirr angeordneter unbeweglicher Versetzungen. Diese stellen zusammen<br />
mit Versetzungsdipolen erhebliche Hin<strong>der</strong>nisse für die Bewegung einzelner mobiler<br />
Versetzungen dar. Zur Überwindung <strong>der</strong> Hin<strong>der</strong>nisse ist eine höhere Energie nötig.<br />
Als Folge daraus steigt die Spannung an. Ab einem gewissen Spannungsniveau tritt ein<br />
weiterer Mechanismus in Kraft, welcher auf Eigendiffusion basiert, dem Versetzungsklettern<br />
[56]. Durch Einlagerung von Leerstellen in den Gitterhalbebenen <strong>der</strong> Versetzungen<br />
wird es den Stufenversetzungen ermöglicht, ihre Lage zu verän<strong>der</strong>n und energetisch günstigere<br />
Positionen einzunehmen. Da dieser Prozess zu einer Entzerrung des Gitters führt<br />
werden elastische Spannungen abgebaut und <strong>der</strong> Kurvenverlauf flacht ab. Ein, dem Versetzungsklettern<br />
ähnlicher Prozess ist nach Ansicht von Siethoff [54] für das Auftreten<br />
<strong>der</strong> zweiten dynamischen Kristallerholung verantwortlich. Das Quergleiten von Schraubenversetzungen.<br />
Dies ist ein thermisch aktivierter Vorgang, weshalb er unterhalb von<br />
0,8 T S nicht auftritt. Hier nehmen durch Umordnung die Schraubenversetzungen energetisch<br />
günstigere Positionen ein und bauen elastische Spannungen durch Gitterentzerrung<br />
ab. Der verfestigende Bereich dazwischen ist laut Siethoff [56] durch die Überlagerung von<br />
Kletter- und Quergleitprozessen zu erklären. Die 60 ◦ -Versetzungen treten mit Schraubenversetzungen<br />
in den primären und sekundären Gleitebenen in Wechselwirkung und bilden<br />
auf diese Weise ein stabiles, hexagonal angeordnetes Versetzungsnetzwerk aus, welches<br />
zum einen Versetzungen bindet, zum an<strong>der</strong>en ein Hin<strong>der</strong>nis für an<strong>der</strong>e gleitfähige Versetzungen<br />
darstellt.<br />
3.2 Experimentelle Bestimmung <strong>der</strong><br />
Spannungs-Dehnungs-Kurve<br />
Wegen seiner wachsenden Bedeutung in <strong>der</strong> Halbleiterindustrie wurde Silizium sowie an<strong>der</strong>e<br />
Werkstoffe mit Diamantstruktur (Germanium, Indium-Antimonid) vielfach Gegen-
3.2.1 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Temperatur 62<br />
stand experimenteller Untersuchungen in den vergangenen Jahrzehnten. Beson<strong>der</strong>s die<br />
Untersuchung <strong>der</strong> für diese Werkstoffe charakteristischen Streckgrenze lag dabei oft im<br />
Fokus <strong>der</strong> Experimente. Die Versuchsdurchführungen erfolgten in dynamischen (konstante<br />
Dehnrate) Zug- o<strong>der</strong> Druckversuchen. Ein Einfluss <strong>der</strong> Versuchsart (Zug o<strong>der</strong> Druck) auf<br />
die Messergebnisse konnte von Over et al. [42] ausgeschlossen werden, weshalb die Ergebnisse<br />
aus allen Versuchen vergleichbar werden. Variable Parameter waren die Temperatur,<br />
die Dehnrate, die Ausgangsversetzungsdichte sowie die kristallografische Orientierung <strong>der</strong><br />
Proben in Lastrichtung.<br />
Wie schon aus dem Modell von Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] hervorgeht, ist die Streckgrenze<br />
abhängig von verschiedenen Faktoren. Die obere Streckgrenze stellt sich als eine Funktion<br />
von vorrangig <strong>der</strong> Temperatur, <strong>der</strong> Verformungs- bzw. Abgleitgeschwindigkeit und<br />
<strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte dar. Für die untere Streckgrenze konnten Abhängigkeiten<br />
gleichfalls von <strong>der</strong> Temperatur und <strong>der</strong> Verformungsgeschwindigkeit gefunden werden, jedoch<br />
keine o<strong>der</strong> nur nur eine geringe Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte.<br />
Um die einzelnen Einflussfaktoren und <strong>der</strong>en Wirkung genau untersuchen zu können,<br />
wurden während <strong>der</strong> Versuche einzelne Parameter konstant gehalten, an<strong>der</strong>e hingegen<br />
während <strong>der</strong> Messreihen verän<strong>der</strong>t. So war es üblich, über mehrere Messungen bei gleicher<br />
Probenorientierung und konstanter Dehnrate die Versuchstemperatur in einem Temperaturintervall<br />
zu variieren. Umgekehrt wurde aber gleichfalls die Versuchstemperatur<br />
konstant gehalten und die Proben bei unterschiedlichen Dehnraten verformt. Auf die dabei<br />
gefunden Ergebnisse soll nun einzeln etwas näher eingegangen werden.<br />
3.2.1 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Temperatur<br />
In Abb. 3.4 sind die von Omri et al. [40] erhaltenen Spannungs-Dehnungs-Kurven von anfangs<br />
versetzungsfreien Siliziumproben bei verschiedenen Temperaturen dargestellt. Man<br />
erkennt deutlich die Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> oberen und unteren Streckgrenze. Mit<br />
steigen<strong>der</strong> Temperatur nehmen die Spannungswerte bei<strong>der</strong> Streckgrenzen ab, wobei bei<br />
<strong>der</strong> oberen Streckgrenze jedoch eine viel stärkere Beeinflussung durch die Temperatur be-
3.2.2 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit 63<br />
obachtet werden kann. Die Abnahme <strong>der</strong> Spannung mit steigen<strong>der</strong> Temperatur lässt sich<br />
auf den thermischen aktivierten Prozess des Peierls-Mechanismus zurückführen. Bei höheren<br />
Temperaturen ist eine geringere zusätzliche Energieaufbringung von außen notwendig<br />
ist um den Potentialwall zu überwinden und Versetzungsbewegung zu ermöglichen. Das<br />
Verhältnis zwischen oberer und unterer Streckgrenze τ uy /τ ly nähert sich mit steigen<strong>der</strong><br />
Temperatur immer weiter dem Wert 1 an. Nach Omri et al. [40] verschwindet das lokale<br />
Maximum in <strong>der</strong> Kurve, welches die obere Streckgrenze kennzeichnet, bei Temperaturen<br />
oberhalb von 1050 ◦ C. Obere und untere Streckgrenze fallen oberhalb dieser Temperatur<br />
zu einer Streckgrenze zusammen. Siethoff und Brion [55] stellten bei ihren Untersuchungen<br />
fest, dass sich diese Temperaturgrenze mit zunehmen<strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte<br />
zu höheren Temperaturen verschiebt. Darüber hinaus beobachteten sie eine Erhöhung<br />
<strong>der</strong> Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Versetzungsbewegung U in diesem von ihnen bezeichneten<br />
‘Hochtemperaturbereich’, was sie durch einen Wechsel im Mechanismus <strong>der</strong> Eigendiffusion<br />
begründet. Genauere Untersuchungen dieses Effektes müssen zur besseren Klärung<br />
jedoch noch folgen. Trägt man die Spannungswerte <strong>der</strong> Streckgrenzen in einer halblogarithmischen<br />
Darstellung <strong>der</strong> Spannung über die reziproke Temperatur auf, dem sogenannten<br />
Arrhenius-Plot, lässt sich <strong>der</strong> mathematische Zusammenhang erkennen. Entsprechend<br />
des Modells von Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] besitzen nach Gl. (3.1.18) die Streckgrenzenspannungen<br />
eine logarithmische Abhängigkeit von <strong>der</strong> Temperatur, τ y ∝ exp [U/ (n k T )]<br />
(siehe Abb. 3.5 rechts). Im Arrhenius-Plot ergeben sich daher für die Temperaturabhängigkeit<br />
bei verschiedenen Dehnraten parallele Linien, wie sie in Abb. 3.5b aus Versuchen<br />
von Siethoff [53] dargestellt sind. Der Anstieg <strong>der</strong> Kurven wird durch den Faktor U/n bestimmt.<br />
Es ist zu erkennen, dass die obere Streckgrenze eine größere Beeinflussung durch<br />
die Temperatur aufweist und daher die Kurven einen steileren Anstieg besitzen.<br />
3.2.2 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit<br />
Ähnlich <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong> Temperaturabhängigkeit wurden viele Experimente bei<br />
konstanten Temperaturen und variierenden Dehnraten durchgeführt. Dadurch wurde es
3.2.2 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit 64<br />
Abb. 3.4: Darstellung <strong>der</strong> experimentell aufgezeichneten Spannungs-Dehnungs-Kurven anfangs versetzungsfreier<br />
Proben bei konstanter Abgleitgeschwindigkeit a = 2 · 10 −5 s −1 und unterschiedlichen<br />
Temperaturen. [40]<br />
Abb. 3.5: Darstellung <strong>der</strong> aufgezeichneten Temperaturabhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenzenspannungen.<br />
Links. Darstellung <strong>der</strong> Spannung <strong>der</strong> oberen und unteren Streckgrenze als Funktion <strong>der</strong> Temperatur<br />
bei zwei Abgleitgeschwindigkeiten von anfangs versetzungsfreien Proben [40]. Rechts.<br />
Arrhenius-Plot <strong>der</strong> oberen (τ so ) und unteren Streckgrenze (τ su ) als Funktion <strong>der</strong> reziproken<br />
Temperatur bei zwei Abgleitgeschwindigkeiten von anfangs versetzungsbehafteten Proben mit<br />
N 0 ≈ 10 4 cm −2 [53]. Anmerkung: Die Einheit kp/mm 2 entspricht durch Multiplikation mit<br />
dem Wert 9,80665 <strong>der</strong> Einheit N/mm 2 .
3.2.2 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit 65<br />
Abb. 3.6: Darstellung <strong>der</strong> aufgezeichneten Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenzenspannungen von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit.<br />
Doppellogarithmische Darstellung <strong>der</strong> oberen (τ so ) und unteren Streckgrenze<br />
(τ su ) als Funktion <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit bei zwei Temperaturen von anfangs versetzungsbehafteten<br />
Proben mit N 0 ≈ 10 4 cm −2 [53].<br />
ermöglicht, den Einfluss <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit auf die Streckgrenzenspannungen zu<br />
bestimmen. Typische Messergebnisse, welche in den Experimenten gewonnen wurden, sind<br />
in Abb. 3.6 von Siethoff [53] dargestellt. Die Abbildung zeigt die doppellogarithmische<br />
Darstellung <strong>der</strong> oberen und unteren Streckgrenzenspannung als Funktion <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit.<br />
Analog zu den Arrhenius-Plot bei <strong>der</strong> Temperaturabhängigkeit ergeben<br />
sich auch hier in <strong>der</strong> doppellogarithmischen Darstellungen parallele Geraden. Die Abhängigkeit<br />
<strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit kann aus Gl. (3.1.17) durch die Proportionalität<br />
τ y ∝ ȧ 1/n beschrieben werden. Der Faktor 1/n kennzeichnet dabei den Anstieg <strong>der</strong> Geraden<br />
in Abb. 3.6. Es ist zu erkennen, dass die Kurven für die obere und untere Streckgrenze<br />
verschiedene Anstiege besitzen, aber nicht mit <strong>der</strong> Temperatur variieren. Dies lässt auf<br />
einen unterschiedlichen Spannungsexponent n = m + 2 für die obere und untere Streckgrenze<br />
schließen.
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 66<br />
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte<br />
Experimentelle Untersuchungen zum Einfluss <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte auf die Spannung<br />
im Bereich <strong>der</strong> Streckgrenze wurden von Doerschel et al. [15] durchgeführt. Sie verglichen<br />
das Verformungsverhalten anfangs versetzungsfreier mit dem versetzungsbehafteter<br />
Kristalle bei ansonsten gleichen Versuchsbedingungen für beide Kristallarten. Die Proben<br />
wurden bei einer Abgleitgeschwindigkeit von ȧ = 1,45 · 10 −4 s −1 und innerhalb eines<br />
Temperaturintervalles von T = 850...1025 ◦ C im dynamischen Druckversuch verformt. Die<br />
kristallografische Orientierung war für Einfachgleitung in 〈123〉–Richtung ausgelegt. Über<br />
die Berechnung des Schmid-Faktors µ für alle 12 möglichen Gleitsysteme (vier Gleitebenen<br />
mit je drei Gleitrichtungen) lässt sich zeigen, dass bei dieser Orientierung nur eine<br />
Gleiteben mit einer Gleitrichtung den höhsten Schmid-Faktor aufweist und demzufolge als<br />
aktives Gleitsystem zu betrachten ist. Für eine Orientierung in 〈111〉–Richtung würden<br />
dagegen drei Gleitebenen mit je zwei Gleitrichtungen aktiviert und es würde Mehrfachgleitung<br />
(sechs aktive Gleitsysteme) vorliegen. Zur Untersuchung <strong>der</strong> Versetzungsdichte<br />
wurde <strong>der</strong> Maschinenantrieb bei Erreichen festgelegter Punkte (obere Streckgrenze, im<br />
Bereich des Spannungsabfalls, untere Streckgrenze, vgl. Abb. 3.8) gestoppt und die Proben<br />
unter dieser Spannung schnell abgekühlt. Anschließend erfolgte mit Hilfe <strong>der</strong> Ätzgrübchenmethode<br />
[12, 26] eine Messung <strong>der</strong> Versetzungsverteilung entlang <strong>der</strong> Stabachse<br />
in Verformungsrichtung. Das Ergebnis dieser Messung ist in Abb. 3.7 dargestellt. Die<br />
anfangs versetzungsbehafteten Proben zeigen bereits im Anfangsstadium <strong>der</strong> plastischen<br />
Verformung ein relativ einheitliches Niveau <strong>der</strong> Versetzungsdichte über das gesamte Probenvolumen<br />
(siehe Abb. 3.7b), während die ehemals versetzungsfreien Proben im Bereich<br />
<strong>der</strong> oberen Streckgrenze eine stark inhomogene Verteilung aufweisen (siehe Abb. 3.7a).<br />
Bis Erreichen <strong>der</strong> unteren Streckgrenze hat sich jedoch auch hier das gesamte Volumen<br />
relativ homogen mit Versetzungen aufgefüllt. Ein Grund hierfür kann nach Ansicht von<br />
Schäfer [48] und Over et al. [42] die unterschiedlich wirkenden Versetzungsquellen sein.<br />
Während bei Proben mit eingewachsenen Versetzungen die Versetzungsbildung dominierend<br />
mittels Frank–Read-Quellen abläuft, werden bei versetzungsfreien Proben die Versetzungen<br />
hauptsächlich an Oberflächenfehlern, Verunreinigen und Rissen im Volumen
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 67<br />
a) b)<br />
Abb. 3.7: Darstellung des Verlaufs <strong>der</strong> Versetzungsdichte entlang <strong>der</strong> Stabachse für definierte Punkte<br />
<strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve. a) Anfangs versetzungsfreies Material. b) Anfangs versetzungsbehaftetes<br />
Material mit N 0 = 6,5 · 10 4 cm −2 . Die Messungen <strong>der</strong> Versetzungsdichte<br />
erfolgten für die Kurven 1 ❥ bzw. 4 ❥ bei <strong>der</strong> oberen Streckgrenze, für 2 ❥ bzw. 5 ❥ im Bereich<br />
des Spannungsabfalls zwischen oberer und unterer Streckgrenze und für 3 ❥ bzw. 6 ❥ bei <strong>der</strong><br />
unteren Streckgrenze [15].<br />
Abb. 3.8: Darstellung <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurven für anfangs versetzungsbehaftete (Verlauf ❥ 1 ,<br />
❥2 , ❥ 3 ) und versetzungsfreie (Verlauf ❥ 4 , ❥ 5 , ❥ 6 ) Proben [15].
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 68<br />
entstehen. Diese Versetzungsquellen sind im Vergleich zu den Frank–Read-Quellen relativ<br />
träge bzw. können die so entstanden Versetungen nicht schnell genug lokale Spannungsfel<strong>der</strong><br />
überwinden und werden in ihrer Bewegung gehin<strong>der</strong>t. Die daraus folgende inhomogene<br />
plastische Verformung führt zu größeren Spannungen <strong>der</strong> oberen Streckgrenze im Vergleich<br />
zu den versetzungsbehafteten Proben (siehe Abb. 3.8). An <strong>der</strong> unteren Streckgrenze ergab<br />
sich für die Probe 6 ❧ (versetzungsfrei) eine etwa dreifach höhere Versetzungsdichte als für<br />
Probe 3 ❧ (versetzungsbehaftet). Bedingt durch den höheren Anteil mobiler Versetzungen<br />
ist für die versetzungsfreie Probe eine größere Spannung <strong>der</strong> unteren Streckgrenze feststellbar.<br />
Doerschel et al. [15] begründen diese Erscheinung mit einem höheren Anteil an<br />
ortsfesten, unbeweglichen Versetzungen, welche die beweglichen Versetzungen behin<strong>der</strong>n.<br />
Dadurch könne es zum Quergleiten <strong>der</strong> Versetzungen auf sekundären Ebenen kommen<br />
wodurch weitere Gleitebenen aktiviert werden und in Folge <strong>der</strong> größeren Anzahl aktiver<br />
Gleitsysteme die Versetzungsdichte ansteigt.<br />
3.3 Reflexion <strong>der</strong> Ergebnisse durch eigene<br />
Untersuchungen<br />
Im folgendenen Abschnitt sollen die experimentell ermittelten Werte einiger Autoren mit<br />
errechneten Werten aus dem Modell von Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] verglichen werden.<br />
Die dafür notwendigen Messwerte wurden aus <strong>der</strong> Literatur extrahiert und in Tabelle<br />
zusammengefasst (siehe Tab. A.1 bis A.4).<br />
Die Ermittlung <strong>der</strong> Parameter des Alexan<strong>der</strong>–Haasen Modells erfolgte auf Grundlage <strong>der</strong><br />
Gl. (3.1.17), welche für die rechnergestützte Auswertung <strong>der</strong> Messwerte noch angepasst<br />
wurde. Innerhalb <strong>der</strong> Exponentialfunktion exp [U/ (n k T )] wurden die Aktiverungsenergie<br />
<strong>der</strong> Versetzungsbewegung U und <strong>der</strong> Spannungsexponent n zu einem Faktor, <strong>der</strong> Aktivierungsenergie<br />
<strong>der</strong> Fließspannung U y zusammengefasst. Damit zeigt sich Gl. (3.1.17) in
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 69<br />
folgen<strong>der</strong> Darstellung,<br />
[ ]<br />
τ y = C y ȧ 1/n Uy<br />
exp<br />
k T<br />
(3.3.1)<br />
Die Gründe dafür liegen in einer voneinan<strong>der</strong> unabhängigen Auswertung <strong>der</strong> Abhängigkeiten<br />
von <strong>der</strong> Temperatur und <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit, da n und U y mit jeweils<br />
nur einer variablen Größe verknüpft sind. Die Anpassung <strong>der</strong> Funktion aus Gl. (3.3.1)<br />
bzw. die Ermittlung <strong>der</strong> Parameter n, U y und C y erfolgte mit Hilfe des mathematisch–<br />
naturwissenschaftlichen Programmpaketes Mathematica R○ .<br />
Zunächst sollen die allgemeinen Auswirkungen <strong>der</strong> Parameter auf das Alexan<strong>der</strong>–Haasen-<br />
Modell genauer betrachtet werden. Hierzu wird Gl. (3.3.1) bei einer konstanten Abgleitgeschwindigkeit<br />
als Funktion <strong>der</strong> Temperatur, und analog dazu bei einer konstanten Temperatur<br />
als Funktion <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit ausgewertet für verschiedene Werte <strong>der</strong><br />
Parameter n, U y und C y , wobei immer je zwei Parameter konstant gehalten werden.<br />
In allen Abbildung gilt, dass <strong>der</strong> Parameterwert von <strong>der</strong> roten zur blauen Kurve in aufsteigen<strong>der</strong><br />
Folge dargestellt ist. Es zeigt sich, dass in <strong>der</strong> Darstellung <strong>der</strong> Streckgrenze<br />
als Funktion <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit <strong>der</strong> Anstieg <strong>der</strong> Kurven lediglich durch den Parameter<br />
n beschrieben wird, entsprechend <strong>der</strong> Beziehung τ y ∝ ȧ 1/n (siehe Abb. 3.9a).<br />
Die Parameter U y und C y bewirken nur eine parallele Verschiebung <strong>der</strong> Kurven (siehe<br />
Abb. 3.9b bzw. Abb. 3.9c). Im Gegensatz dazu wird <strong>der</strong> Anstieg <strong>der</strong> Kurven bei Darstellung<br />
<strong>der</strong> Streckgrenze als Funktion <strong>der</strong> reziproken Temperatur (Arrhenius-Plot) durch<br />
den Parameter U y entsprechend τ y ∝ exp [U y / (k T )] bestimmt (siehe Abb. 3.10b) und<br />
n und C y führen zu einer Parallelverschiebung (siehe Abb. 3.10a bzw. Abb. 3.10c). Aus<br />
diesen Untersuchungen folgt, dass sich n und U y unabhängig voneinan<strong>der</strong> in <strong>der</strong> jeweiligen<br />
Darstellung als Anstieg <strong>der</strong> Kurven ermitteln lassen.<br />
Nachdem <strong>der</strong> Einfluss <strong>der</strong> Parameter geklärt wurde, sollen diese Parameter aus Experimenten<br />
verschiedener Autoren ermittelt und miteinan<strong>der</strong> verglichen werden. Dies soll<br />
hier exemplarisch für die Experimente von Siethoff aus [53] durchgeführt werden. In<br />
Abb. 3.11 sind die experimentell ermittelten Werte (Punkte) sowie die durch Anpassung<br />
<strong>der</strong> Parameter über die Fit-Funktion von Mathematica R○ erhaltenen Geraden für die obere
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 70<br />
Τ MPa<br />
100.0<br />
Τ MPa<br />
100.0<br />
Τ MPa<br />
100.0<br />
50.0<br />
50.0<br />
50.0<br />
10.0<br />
10.0<br />
10.0<br />
5.0<br />
5.0<br />
5.0<br />
1.0<br />
1.0<br />
1.0<br />
0.5<br />
0.5<br />
0.5<br />
0.1<br />
10 6 10 4 0.01 1<br />
(a) n<br />
a s 1<br />
0.1<br />
a s 1<br />
10 6 10 4 0.01 1<br />
0.1<br />
(b) U y (c) C y<br />
10 6 10 4 0.01 1<br />
a s 1<br />
Abb. 3.9: Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze von <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit bei verschiedenen Werten für<br />
a) n, b) U y und c) C y in doppellogarithmischer Darstellung.<br />
Τ MPa<br />
100.0<br />
Τ MPa<br />
100.0<br />
Τ MPa<br />
100.0<br />
50.0<br />
50.0<br />
50.0<br />
10.0<br />
10.0<br />
10.0<br />
5.0<br />
5.0<br />
5.0<br />
1.0<br />
1.0<br />
1.0<br />
0.5<br />
0.5<br />
0.5<br />
10 4<br />
0.1<br />
6 7 8 9 10 11 T<br />
K1<br />
(a) n<br />
10 4<br />
0.1<br />
6 7 8 9 10 11 T<br />
K1<br />
0.1<br />
(b) U y (c) C y<br />
6 7 8 9 10 11<br />
10 4<br />
T<br />
K1<br />
Abb. 3.10: Abhängigkeit <strong>der</strong> Streckgrenze von <strong>der</strong> Temperatur bei verschiedenen Werten für a) n, b)<br />
U y und c) C y im Arrhenius-Plot.
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 71<br />
Τ MPa<br />
100<br />
50<br />
20<br />
10<br />
5<br />
2<br />
1<br />
10 5 10 4 0.001 0.01<br />
a s 1 <br />
Abb. 3.11: Ermittlung des Spannungsexponenten n aus experimentell gewonnen Werten (Punkte) nach<br />
[53] in einer doppellogarithmischen Darstellung <strong>der</strong> Spannung als Funktion <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit<br />
für verschiedene Temperaturen. Die Geraden sind das Ergebnis <strong>der</strong> Parameteranpassung.<br />
Obere Streckgrenze für T = 1173 K (schwarz) und T = 1273 K (rot). Untere<br />
Streckgrenze für T = 1173 K (blau) und T = 1273 K (grün).<br />
Streckgrenze bei T = 1173 K (schwarz) und T = 1273 K und die untere Streckgrenze bei<br />
T = 1173 K (blau) und T = 1273 K (grün) dargestellt. Für alle Proben lag eine Orientierung<br />
für Einfachgleitung in 〈123〉 sowie eine Ausgangsversetzungsdichte von N 0 ≈ 10 4<br />
vor. Es lässt sich erkennen, dass die Anstiege bezüglich <strong>der</strong> jeweiligen Streckgrenze nur<br />
minimal voneinan<strong>der</strong> Abweichen, im Vergleich bei<strong>der</strong> Streckgrenzen zueinan<strong>der</strong> aber eine<br />
merkliche Abweichung des Anstieges feststellbar ist. Die Anpassung mittels Mathematica<br />
lieferte für die obere Streckgrenze n = 2,10 (schwarz) bzw. n = 2,06 (rot) und für die<br />
untere Streckgrenze n = 2,82 (blau) bzw. n = 2,77 (grün). Die Ertmittlung <strong>der</strong> Aktivierungsenergie<br />
<strong>der</strong> Fließspannung U y erfolgt analog dazu aus <strong>der</strong> doppellogarithmischen<br />
Darstellung <strong>der</strong> Spannung als Funktion <strong>der</strong> reziproken Temperatur nach Abb. 3.12. Punkte<br />
zeigen die experimentellen Messwerte, die Geraden <strong>der</strong> Anpassung von Gl. (3.3.1) für<br />
die obere Streckgrenze bei ȧ = 4,77 · 10 −4 s −1 (schwarz) und ȧ = 2,39 · 10 −4 s −1 (rot) und<br />
die untere Streckgrenze bei ȧ = 4,77 · 10 −4 s −1 (blau) und ȧ = 2,39 · 10 −4 s −1 (grün). Die<br />
Anpassung liefert für die obere Streckgrenze U y = 1,07 eV (schwarz) bzw. U y = 1,08 eV<br />
(rot) und für die untere Streckgrenze U y = 0,80 eV (blau) bzw. U y = 0,79 eV (grün). Der<br />
nun noch fehlende Parameter C y lässt sich in beiden Darstellungen durch Vorgabe <strong>der</strong> zuvor<br />
ermittelten Parameter n und U y bestimmen. Um eine möglichst genaue Anspassung
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 72<br />
Τ MPa<br />
100<br />
50<br />
20<br />
10<br />
5<br />
2<br />
1<br />
7.0 7.5 8.0 8.5 9.0 9.5 10.0 104 T 1K<br />
Abb. 3.12: Ermittlung <strong>der</strong> Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Fließspannung U y aus experimentell gewonnen Werten<br />
(Punkte) nach [53] in einer halblogarithmischen Darstellung <strong>der</strong> Spannung als Funktion<br />
<strong>der</strong> reziproken Temperatur für verschiedene Abgleitgeschwindigkeiten. Die Geraden sind das<br />
Ergebnis <strong>der</strong> Parameteranpassung. Obere Streckgrenze für ȧ = 4,77 · 10 −4 s −1 (schwarz)<br />
und ȧ = 2,39 · 10 −4 s −1 (rot). Untere Streckgrenze für ȧ = 4,77 · 10 −4 s −1 (blau) und<br />
ȧ = 2,39 · 10 −4 s −1 (grün).<br />
zu gewährleisten und weil die einzelnen Werte um weniger als 10 % voneinan<strong>der</strong> abwichen,<br />
wurde <strong>der</strong> Parameter aus beiden Varianten ermittelt und anschließend gemittelt. Aus den<br />
Experimenten von Siethoff konnte die Konstante zu C = 2,6 · 10 −2 für die obere und<br />
C = 4,9 · 10 −2 für die untere Streckgrenze bestimmt werden.<br />
Die ermittelten Parameter (gemittelt) aus den experimentellen Untersuchungen von Siethoff<br />
und an<strong>der</strong>er Autoren sind in Tab. 3.1 zusammengefasst. Die Aktivierungsenergie<br />
<strong>der</strong> Versetzungsbewegung ist zusätzlich mit angegeben. Entsprechend <strong>der</strong> Vereinfachung<br />
berechnet sie sich aus U = U y n. Aus Tab. 3.1 lässt sich erkennen, dass die errechneten<br />
Tab. 3.1: Zusammenfassung <strong>der</strong> ermittelten Parameter verschiedener Quellen für das Alexan<strong>der</strong>–<br />
Haasen-Modell.<br />
❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤❤<br />
Parameter<br />
Streckgrenze<br />
n U y /eV C y /10 −2 U/eV Ref.<br />
τ ly<br />
τ uy 2,08 1,08 2,6 2,25 [53]<br />
- 1,06 - - [40]<br />
2,37 1,06 0,7 2,51 [62]<br />
2,84 0,81 4,8 2,30 [50]<br />
2,80 0,80 4,9 2,24 [53]<br />
- 0,81 - - [40]<br />
2,90 0,80 5,8 2,32 [62]<br />
Parameter für die untere Streckgrenze eine ziemlich große Übereinstimmung miteinan<strong>der</strong>
3.2.3 Abhängigkeit von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte 73<br />
zeigen. Bei <strong>der</strong> oberen Streckgrenze weisen die Parameter hingegen ein größere Streuung<br />
auf, auf dessen Gründe im folgenden Diskussionsteil näher eingegangen werden soll.
4 Diskussion <strong>der</strong> Anwendungen 74<br />
4 Diskussion <strong>der</strong> Anwendungen<br />
Die Ergebnisse <strong>der</strong> eigenen Untersuchung sollen in diesem Abschnitt näher beleuchtet und<br />
die möglichen Ursachen identifiziert und diskutiert werden. Im Anschluss daran erfolgt<br />
die Ausarbeitung eines prinzipiellen Ablaufplanes für die Implementierung in das Finite-<br />
Elemente-Programm ANSYS, wobei auch auf die Methoden <strong>der</strong> numerischern Simulation<br />
eingegangen werden soll.<br />
4.1 Anwendbarkeit des Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modells<br />
Folgend soll die Anwendbarkeit des Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modells diskutiert werden. Darunter<br />
seien neben <strong>der</strong> Gegenüberstellung <strong>der</strong> Vor- und Nachteile dieses Modells auch die<br />
Auswertung <strong>der</strong> eigenen Untersuchungen und mögliche Erweiterungen zu verstehen.<br />
4.1.1 Diskussion <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Parameterbestimmung<br />
Die Ermittlung <strong>der</strong> Parameter des Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modells aus Abs. 3.3 zeigen für<br />
die experimentell ermittelten Werte verschiedener Autoren eine relativ gute Übereinstimmung.<br />
Es kann gezeigt werden, dass <strong>der</strong> Spannungsexponent zu n = 2,85 ± 0,05, die<br />
Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Fließspannung zu U y = (0,81 ± 0,05) eV und die Konstante zu<br />
C y = (5,2 ± 0,6) · 10 −2 bestimmt wurde. Die sich daraus ergebende Aktivierungsenergie<br />
<strong>der</strong> Versetzungsbewegung stimmt mit U = (2,29 ± 0,05) eV gut mit <strong>der</strong> Bildungsenergie<br />
eines Kinkpaares überein, welche zwischen 2,2 und 2,4 eV angenommen wird [5, 58].<br />
Für die untere Streckgrenze τ ly lässt sich nur eine geringe Streuung <strong>der</strong> in Tab. 3.1 dargestellten<br />
Werte erkennen. Dagegen weisen die Parameter für die obere Streckgrenze τ uy
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit 75<br />
deutlich größere Abweichungen auf. Dies kann auf die deutlich geringer Anzahl an auswertbaren<br />
Messwerten (vgl. Tab. A.1 bis A.4) zurückzuführen sein. Aber auch <strong>der</strong> Einfluss<br />
<strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte kann <strong>der</strong> Grund hierfür sein. Die Proben mit einer eingewachsenen<br />
Versetzungsdichte von N 0 ≈ 1 · 10 4 cm −2 [53] zeigen mit einer gefunden<br />
Aktivierungsenergie U = 2,25 eV gute Übereinstimmung mit <strong>der</strong> unteren Streckgrenze<br />
und bestätigen die in Gl. (3.1.18) getroffene Annahme, dass <strong>der</strong> Mechanismus <strong>der</strong> Versetzungsbewegung<br />
für beide Streckgrenzen gleich ist. Dagegen weisen die Proben mit<br />
N 0 ≈ 2 · 10 4 cm −2 [62] eine Aktivierungsenergie von U = 2,51 eV für die obere Streckgrenze<br />
auf. Da die obere Streckgrenze nach Alexan<strong>der</strong> und Haasen [5] eine Abhängigkeit<br />
von <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte besitzt, welche in <strong>der</strong> speziellen Gleichung (3.1.17)<br />
für die Streckgrenzenspannungen nicht berücksichtigt wird, kann ein etwas höheres N 0<br />
für letztgenannte Proben eine mögliche Erklärung sein. Aufgrund <strong>der</strong> geringen Differenz<br />
<strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichten sowie <strong>der</strong> großen Schwankung <strong>der</strong> Konstanten C y (siehe<br />
Tab. 3.1) wird jedoch eine Abweichung aufgrund weniger Messdaten als wahrscheinlicher<br />
angesehen. Ebenfalls denkbar wäre eine Beeinflussung <strong>der</strong> Messwerte durch die Testmaschinen.<br />
Prinzipiell sind auftretende Ungenauigkeiten <strong>der</strong> Testmaschinen, welche sich<br />
negativ auf den aufgenommenen Spannungs-Dehnungs-Verlauf und somit die Messwerte<br />
auswirken, nicht auszuschließen. Diese können in Verbindung mit auftretenden Reibkräften<br />
an den Einspannungen o<strong>der</strong> mit Bewegungen einzelner Maschinenteile in Verbindung<br />
stehen, aber auch menschlische Fehler, wie eine nicht exakte Positionierung <strong>der</strong> Proben,<br />
sind denkbar.<br />
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit<br />
Das Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modell war seit seiner Einführung immer wie<strong>der</strong> Gegenstand wissenschaftlicher<br />
Untersuchungen gewesen und hat sich bei <strong>der</strong> Validierung von experimentellen<br />
Ergebnissen bewährt. Es erfasst die Spannungs-Dehnungs-Kurve von Werkstoffen<br />
mit Diamantstruktur in Abhängigkeit von Temperatur und Abgleitgeschwindigkeit, wobei<br />
beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> Bereich bei Beginn plastischen Fließens mit dem Auftreten einer oberen und
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit 76<br />
unteren Streckgrenze beschrieben wird. Hingegen kann es nach Überschreitung <strong>der</strong> unteren<br />
Streckgrenze nur bedingt Aussagen über den weiteren Spannungs-Dehnungs-Verlauf<br />
machen, welcher durch mehrstufige Verfestigung gekennzeichnet ist. Ein Phänomen, welches<br />
beson<strong>der</strong>s bei Belastungen mit daraus folgenden großen Dehnungen zu einer deutlichen<br />
Abweichung <strong>der</strong> Simulationsergebnisse vom realen Werkstoffverhalten führen kann.<br />
Die aus dem Modell hervorgegangene Gl. (3.1.17) liefert indess Streckgrenzenspannungen,<br />
welche in guter Übereinstimmung zu realen Versuchen stehen. Jedoch werden in den experimentellen<br />
Grundlagen des Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modells nicht alle Abhängigkeiten des<br />
Streckgrenzenbereiches erfasst. So gehen Faktoren wie die kristallografische Orientierung<br />
<strong>der</strong> Kraftwirkung o<strong>der</strong> Art und Grad <strong>der</strong> Dotierung, welche für die elektrischen Eigenschaften<br />
<strong>der</strong> Wafer von entscheiden<strong>der</strong> Bedeutung sind, nicht mit in die Gleichung ein.<br />
Als Schwierigkeit haben sich die komplexen Abhängigkeiten <strong>der</strong> einzelnen Faktoren untereinan<strong>der</strong><br />
herausgestellt, wodurch die Modellgleichungen (3.1.10) und (3.1.11) nur mittels<br />
numerischer Methoden gelöst werden können. Hierauf soll in Abschnitt 4.2 näher eingegangen<br />
werden.<br />
Auch die während <strong>der</strong> Entwicklung des Modells von Alexan<strong>der</strong> und Haasen getroffenen<br />
Annahmen und Vereinfachungen bilden einen Ansatzpunkt für weitere Optimierungen<br />
und Erweiterungen. So stellt die Multiplikationskonstante K, welche in Gl. (3.1.7) definiert<br />
wurde, im klassischen Modell [5] eine unabhängige Größe dar. Nach Vallino et al.<br />
[60] tritt zu Beginn <strong>der</strong> plastischen Verformung gleichzeitig Quergleiten von Schraubenversetzungen<br />
auf, welches durch Aktivierung sekundärer Gleitsysteme zusätzliche Versetzungsquellen<br />
in den Multiplikationsprozess mit einbezieht. Quergleiten ist ein thermisch<br />
aktivierter Vorgang. Die Konstante K sollte daher als ein temperaturabhängiger Faktor<br />
neu definiert werden [14].<br />
Ebenfalls wurde im klassischen Modell die mobile Versetzungsdichte N m in <strong>der</strong> Evolutionsgleichung<br />
<strong>der</strong> Versetzungsmultiplikation nach Gl. (3.1.6) durch die Gesamtversetzungsdichte<br />
N ersetzt, unter <strong>der</strong> Annahme, dass die Anzahl unbeweglicher Versetzungen<br />
gegenüber gleitfähigen Versetzungen vernachlässigbar klein ist bzw. sie sich bevorzugt<br />
als Dipolversetzungen anordnen und bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Ausgangsversetzungsdichte
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit 77<br />
durch Anätzen nicht sichtbar werden. Diese Dipolversetzungen bilden im Nahfeld elastische<br />
Spannungen aus, welche die Versetzungsbewegung gleitfähiger Versetzungen behin<strong>der</strong>n.<br />
Die Effektivspannung, bestimmend für die Versetzungsbewegung und definiert<br />
in Gl. (3.1.2), sollte nach Cochard et al. [14] um eine zusätzliche, nur im Nahfeld von<br />
Versetzungshin<strong>der</strong>nissen wirkende, innere Spannung erweitert werden<br />
τ eff = τ − τ is − τ il (4.1.1)<br />
mit τ is als <strong>der</strong> im Nahfeld <strong>der</strong> Hin<strong>der</strong>nisse wirkenden inneren Spannung (short-range)<br />
und <strong>der</strong> nach Gl. (3.1.1) weitreichenden, mittleren inneren elastischen Spannung τ il (longrange),<br />
hervorgerufen durch die Gitterverzerrung gleiten<strong>der</strong> Versetzungen selbst.<br />
4.2 Ablaufplan für die Implementierung in ANSYS<br />
Für eine Implementierung <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve von Silizium im Finite-Elemente-<br />
Programm ANSYS ist es zunächst erfor<strong>der</strong>lich die Modellgleichungen des Alexan<strong>der</strong>–<br />
Haasen-Modells zu lösen. In Abschnitt 3.1.2 wurde bereits darauf hingewiesen, dass die<br />
Gleichungen (3.1.9) und (3.1.10) nicht unabhängig voneinan<strong>der</strong> gelöst werden können.<br />
Es bedarf iterativer numerischer Methoden, um die gegenseitige Beeinflussung <strong>der</strong> verschiedenen<br />
Variablen zu erfassen. Da die Versetzungsdichte die plastische Deformation<br />
beeinflusst, die Komponenten <strong>der</strong> plastischen Dehnung aber von den Komponenten des<br />
Spannungstensors abhängen, welcher wie<strong>der</strong>um eine Funktion <strong>der</strong> Versetzungsdichte und<br />
des Deformationszustandes ist, kann die Lösung <strong>der</strong> Gleichungen des Modells von Alexan<strong>der</strong><br />
und Haasen [5] nur schrittweise (iterativ) erfolgen.<br />
In Abb. 4.1 ist eine schematische Darstellung eines solchen numerischen Lösungsalgorithmus<br />
dargestellt. Im ersten Schritt erfolgt die Berechnung <strong>der</strong> Temperatur und des Spannungszustandes<br />
im quasistationären Fall. Dies bedeutet, dass die Gleichungen (3.1.9) und<br />
(3.1.10) beim Verformungsbeginn durch Definition <strong>der</strong> Anfangsbedingungen ε p 0 und N 0<br />
gelöst und daraus Spannung und Temperatur zum Zeitpunkt t = t 0 berechnet werden
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit 78<br />
START<br />
Anfangstemperatur quasistatisch berechnen<br />
Anfangsspannung quasistatisch berechnen<br />
neuer Zeitpunkt:<br />
t = t + dt<br />
Temperatur zeitabhängig berechnen<br />
Spannung zeitabhängig berechnen<br />
Versetzungsdichte ermitteln<br />
Komponenten <strong>der</strong> plastischen Dehnungen ermitteln<br />
nein<br />
Endzeitpunkt<br />
erreicht<br />
ja<br />
STOP<br />
Abb. 4.1: Flussdiagramm eines numerischen Algorithmus zur Lösung <strong>der</strong> zeitabhängigen Modellgleichungen<br />
von Alexan<strong>der</strong> und Haasen zur Bestimmung <strong>der</strong> Versetzungsdichte und <strong>der</strong> plastischen<br />
Deformation. (vgl. [9])
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit 79<br />
können. Im nächsten und jedem weiteren Schritt wird die Zeit auf den nächstfolgenden<br />
Zeitpunkt t i erhöht und die zugehörige Temperatur und Spannung ermittelt. Unter<br />
Verwendung <strong>der</strong> Spannung und <strong>der</strong> Versetzungsdichte aus dem jeweils vorrangegangen<br />
Schritt t i−1 werden dann die aktuelle Versetzungsdichte und die Dehnungen aus (3.1.9)<br />
und (3.1.10) ermittelt. Der Algorithmus ist beendet, wenn <strong>der</strong> festgelegte Endzeitpunkt<br />
erreicht wurde. Für weiterführende Informationen bezüglich <strong>der</strong> Anwendung numerischer<br />
Verfahren in Bezug auf das Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modell sei an dieser Stelle auf die Arbeiten<br />
<strong>der</strong> zitierten Autoren [9, 11, 13, 45, 46, 61] verwiesen. Es sei aber angemerkt,<br />
dass ebenfalls analytische Lösungen möglich sind, welcher aber nicht mehr den eigentlichen<br />
Modellgleichungen (3.1.9) und (3.1.10) zugrunde liegen, son<strong>der</strong>n Näherungen zu den<br />
wirklichen Kurvenverläufen darstellen. Dabei werden die Koeffizienten in den Approximationsgleichungen<br />
solange variiert, bis sie innerhalb eines festgelegten Toleranzintervalls<br />
den realen Kurvenverläufen entsprechen. Petukhov [45] untersuchte solche analytischen<br />
Approximationen und stellte seine Ergebnisse iterativen numerischen Verfahren gegenüber.<br />
Welches mathematische Verfahren auch angewendet wird, als Ergebnis erhält man den<br />
Verlauf <strong>der</strong> Schubspannung τ in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Abgleitung a bzw. in Abhängigkeit<br />
von <strong>der</strong> Zeit t, wobei letzterer unter Verwendung <strong>der</strong> Abgleitgeschwindigkeit als Funktion<br />
<strong>der</strong> Abgleitung umgerechnet werden kann. Die Kurvenverläufe gelten entsprechend für eine<br />
bestimmte Temperatur, Abgleitgeschwindigkeit, Orientierung und Ausgangsversetzungsdichte.<br />
Für an<strong>der</strong>e Ausgangs- und Umgebungsbedingungen müssen die Kurvenverläufe<br />
nach genannten mathematischen Methoden neu ermittelt werden. Auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />
Kurvenverläufe kann nun die Implementierung im Finite-Elemente-Programm ANSYS<br />
erfolgen. Zu diesem Zweck wird ein multilineares Materialmodell empfohlen. Es ermöglicht<br />
die Definition eines multilinearen Kurvenverlaufes <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve<br />
durch Angabe von bis zu 20 temperaturabhängigen Kurven mit je bis zu 100 Spannungs-<br />
Dehnungs-Paarungen [1, 2]. In Anbetracht <strong>der</strong> großen Anzahl von Kurvenpunkten sollte<br />
die Approximation des Kurvenverlaufs durch lineare Einzelsegmente eine genügend große<br />
Genauigkeit aufweisen. Das multilineare Modell nutzt die Fließbedingung nach Huber–von<br />
Mises. Die Dokumentation von ANSYS [1, 2] empfiehlt für die Analyse großer Verformung
4.1.2 Diskussion zur Anwendbarkeit 80<br />
die Nutzung des Materialmodelles mit isotroper Verfestigung, kurz MISO von <strong>der</strong> englischen<br />
Bezeichnung multilinear isotropic hardening material model. Für kleine Dehnungen<br />
sollte aber auf das Materialmodell MKIN zurückgegriffen werden, welches analog zu MISO<br />
(multilinear kinematic hardening material model)eine kinematische Verfestigung vorraussetzt.<br />
Es ist für die jeweilige Simulation das geeignetere Modell zu wählen.<br />
Neben <strong>der</strong> Implementierung in ANSYS besteht des weiteren die Möglichkeit, einer Implementierung<br />
im Finite-Elemente-Programm ABAQUS durchzuführen. Unter <strong>der</strong> Verwendung<br />
eigener Subroutinen (genannt VUMAT - user-defined mechanical material behavior<br />
[3]) lassen sich Stoffgesetze, wie die des Alexan<strong>der</strong>–Haasen-Modells, einbinden. Für weiterführende<br />
Informationen bezügich <strong>der</strong> Implementierung in ABAQUS sei auf die Autoren<br />
in [14, 39] verwiesen.
5 Zusammenfassung und Ausblick 81<br />
5 Zusammenfassung und Ausblick<br />
Bei <strong>der</strong> Herstellung von Solarzellen für die Nutzung in <strong>der</strong> Photovoltaik durchläuft <strong>der</strong><br />
Werkstoff Silizium mehrere thermische Behandlungen. Schon bereits <strong>der</strong> Abkühlprozess<br />
<strong>der</strong> flüssigen Siliziumschmelze zum Festkörper führt zu einem Zustand, in dem Silizium<br />
plastisches Verformungsvermögen besitzt. Durch das Streben nach immer effektiveren<br />
Herstellungsverfahren und zur Optimierung <strong>der</strong> bestehenden Prozessabläufe durch computerunterstützte<br />
Simulationsverfahren muss daher ein tiefes Verständnis für das plastische<br />
Verhalten von Silizum gewonnen werden. Im Rahmen dieser Arbeit wurden die Modellierungsmöglichkeiten<br />
des plastischen Verhaltens von Silizium näher untersucht. Hierfür<br />
sollten durch eine intensive Literaturrecherche für die Modellbildung wichtige Materialdaten<br />
erörtert werden. Die Abhängigkeit <strong>der</strong> Spannungs-Dehnungs-Kurve von den Umgebungsbedingungen<br />
während <strong>der</strong> plastischen Verformung sollten zudem erarbeitet werden.<br />
Bei Raumtemperatur weist Silizium ein sprödes Materialverhalten auf. Wird hingegen<br />
eine bestimmte Temperaturschwelle, die Spröd-Duktil-Übergangstemperatur, von etwa<br />
T = 700...800 ◦ C überschritten, zeigt sich ein duktiles Verhalten, weleches plastische Deformation<br />
ermöglicht. Silizium, sowie weitere Werkstoffe mit einer Diamantstruktur, weisen<br />
zu Beginn des plastischen Werkstofffließens einen beson<strong>der</strong>en Streckgrenzenübergang<br />
auf. Im Gegensatz zu klassischen Werkstoffen, wie z. B. Stahl, ist hier das Vorhandensein<br />
eines lokalen Maximums und Minimums im Spannungsverlauf bei einachsigen Versuchen<br />
zu beobachten, welche auf die Beson<strong>der</strong>heiten des kristallographischen Aufbaus <strong>der</strong> Kristallstruktur<br />
zuruckzuführen sind. Diese lokalen Extrema werden als obere und untere<br />
Streckgrenze bezeichnet. Für die Modellierung des plastischen Verhaltens hat sich ein<br />
Materialmodell von Alexan<strong>der</strong> und Haasen seit nunmehr über 40 Jahren bewährt. Dieses<br />
Modell war Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Untersuchungen und wurde vielfach<br />
durch experimentelle Ergebnisse validiert. Es basiert auf <strong>der</strong> Verknüpfung von für<br />
Silizium spezifischen Eigenschaften des Materialverhaltens mit allgemein gültigen Bezie-
5 Zusammenfassung und Ausblick 82<br />
hungen für die Versetzungsbewegung, welche die Basis für das Vorhandensein plastischer<br />
Verformung darstellt. Die eindimensionalen mathematischen Gleichungen dieses Modells<br />
können jedoch aufgrund starker Abhängigkeiten <strong>der</strong> variablen Parameter untereinan<strong>der</strong><br />
nicht unabhängig voneinan<strong>der</strong> gelöst werden, son<strong>der</strong>n es bedarf hierfür iterative numerische<br />
Lösungsalgorithmen. Die Erarbeitung und Durchführung eines solchen Algorithmuses<br />
überschreiten jedoch den zeitlichen und inhaltlichen Rahmen dieser Arbeit und müssen<br />
das Ziel weiterer, an dieser Arbeit anknüpfenden Untersuchungen sein. Für die Implementierung<br />
in das Finite-Elemente-Programm ANSYS wurde ein Ablaufplan erstellt. Auf<br />
dieser Grundlage kann in weiteren Arbeiten mittels numerischer Verfahren <strong>der</strong> Spannungs-<br />
Dehnungs-Verlauf während <strong>der</strong> Verformung berechnet und über einen Programmcode in<br />
ANSYS eingebunden werden.<br />
Eine, aus diesem Modell abgeleitete Beziehung für die analytische Berechnung <strong>der</strong> Streckgrenzenspannungen<br />
wurde hinsichtlich ihrer Übereinstimmung mit experimentell gewonnen<br />
Messwerten untersucht, sowie die dafür nötigen Materialparameter bestimmt. Es ergab<br />
sich für die untere Streckgrenze eine gute Übereinstimmung für den Spannungsexponenten<br />
n = 2,85±0,05, die Aktivierungsenergie <strong>der</strong> Fließspannung U y = (0,81 ± 0,05) eV<br />
und <strong>der</strong> Konstanten C y = (5,2 ± 0,6)·10 −2 . Für die obere Streckgrenze zeigten diese Werte<br />
eine größere Abweichung, wobei die Ursachen einerseits in <strong>der</strong> Streuung <strong>der</strong> Messwerte,<br />
an<strong>der</strong>erseits in Effekten während <strong>der</strong> Versuchsdurchführung zu suchen sind. Auch <strong>der</strong><br />
Einfluss <strong>der</strong> Versuchsbedingungen haben einen entscheidenden Einfluss auf das plastische<br />
Materialverhalten. So führt eine Erhöhung <strong>der</strong> Versuchstemperatur zu einer Erniedriegung<br />
des gesamten Spannungsverlaufes, wobei die obere Streckgrenze eine ausgeprägtere<br />
Abhängigkeit von <strong>der</strong> Temperatur aufweist. Eine Erhöhung <strong>der</strong> Dehnungsgeschwindigkeit<br />
hingegen führt zu deutlich höheren Streckgrenzenspannung, bis hin zum Versagen<br />
<strong>der</strong> Probe durch Bruch, bereits im elastischen Bereich. Weitere Einflüsse stellen zudem<br />
die Ausgangsversetzungsdichte sowie die kristallographische Orientierung <strong>der</strong> Proben dar,<br />
wobei <strong>der</strong>en Auswirkungen auf das Materialverhalten noch nicht vollständig geklärt ist.<br />
Für weiterführende Untersuchungen sollten diese Punkte im Fokus <strong>der</strong> Betrachtung stehen.<br />
Ebenfalls (nach verwendetem Literaturstand) wissenschaftlich ungeklärt sind die<br />
mikrostrukturellen Vorgänge nach Überschreitung <strong>der</strong> unteren Streckgrenze, welcher sich
5 Zusammenfassung und Ausblick 83<br />
durch Verfestigungs- und Erholungsprozesse auszeichnet und ebenfalls komplexe Abhängigkeiten<br />
aufweist. Es sollte Ziel weiterer Untersuchungen sein, die genauen Mechanismen<br />
<strong>der</strong> Verfestigung in Silizium zu analysieren und durch mathematische Beschreibung das<br />
bestehende Materialmodell zu erweitern, sowie in ANSYS zu implementieren.
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Anhang<br />
XX
A Messdaten<br />
XXI
XXII<br />
Tab. A.1: Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von Omri et al.<br />
τ ly τ uy T ȧ N 0 Orien-<br />
MPa MPa K 10 −4 s −1 10 3 cm −2 tierung<br />
Ref.<br />
14,9 38,0 975 0,20 0<br />
13,7 34,1 999 0,20 0<br />
9,6 18,1 1024 0,20 0<br />
5,9 10,3 1075 0,20 0<br />
3,7 6,5 1124 0,20 0<br />
2,7 4,2 1174 0,20 0<br />
2,8 3,7 1225 0,20 0<br />
2,9 3,4 1275 0,20 0<br />
2,6 2,9 1327 0,20 0<br />
1,9 - 1376 0,20 0<br />
1,2 - 1425 0,20 0<br />
0,6 - 1476 0,20 0 〈111〉 [40]<br />
0,5 - 1527 0,20 0<br />
0,4 - 1577 0,20 0<br />
10,3 24,8 1123 2,00 0<br />
6,4 11,2 1173 2,00 0<br />
5,5 8,9 1224 2,00 0<br />
4,1 4,9 1276 2,00 0<br />
3,5 4,0 1327 2,00 0<br />
3,0 - 1375 2,00 0<br />
1,9 - 1426 2,00 0<br />
1,4 - 1476 2,00 0<br />
1,1 - 1527 2,00 0
XXIII<br />
Tab. A.2: Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von Schröter et al.<br />
τ ly τ uy T ȧ N 0 Orien-<br />
MPa MPa K 10 −4 s −1 10 3 cm −2 tierung<br />
Ref.<br />
1,1 - 1573 2,42 10<br />
1,3 - 1573 5,00 10<br />
3,2 - 1573 50,52 10<br />
1,6 - 1373 1,18 10<br />
1,9 - 1373 1,19 10<br />
1,8 - 1373 1,20 10<br />
2,7 - 1373 4,95 10<br />
4,4 - 1373 11,55 10<br />
5,0 - 1373 23,75 10<br />
6,1 - 1373 48,62 10<br />
8,8 - 1373 127,68 10<br />
1,4 - 1579 4,80 10 〈123〉 [50]<br />
2,9 - 1379 4,80 10<br />
4,7 - 1279 4,80 10<br />
6,0 - 1227 4,80 10<br />
9,1 - 1177 4,80 10<br />
12,8 - 1126 4,80 10<br />
18,9 - 1075 4,80 10<br />
31,2 - 1027 4,80 10<br />
3,1 - 1579 50,00 10<br />
6,4 - 1379 50,00 10<br />
10,7 - 1279 50,00 10<br />
20,5 - 1177 50,00 10
XXIV<br />
Tab. A.3: Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte aus Versuchen von Siethoff<br />
τ ly τ uy T ȧ N 0 Orien-<br />
MPa MPa K 10 −4 s −1 10 3 cm −2 tierung<br />
Ref.<br />
2,2 3,0 1370 2,39 10<br />
3,5 6,2 1269 2,39 10<br />
4,8 9,4 1221 2,39 10<br />
6,8 14,0 1170 2,39 10<br />
9,5 24,2 1119 2,39 10<br />
13,8 37,6 1071 2,39 10<br />
2,8 4,2 1370 4,77 10<br />
4,5 8,7 1269 4,77 10<br />
5,8 14,0 1221 4,77 10<br />
8,3 20,2 1170 4,77 10<br />
11,9 33,7 1119 4,77 10<br />
17,4 53,3 1071 4,77 10<br />
28,6 81,9 1020 4,77 10<br />
3,6 6,2 1273 2,40 10 〈123〉 [53]<br />
4,6 8,7 1273 4,77 10<br />
6,4 15,0 1273 11,96 10<br />
7,8 17,8 1273 24,30 10<br />
10,4 27,9 1273 48,98 10<br />
14,5 41,9 1273 119,44 10<br />
5,1 10,2 1173 1,22 10<br />
7,1 13,8 1173 2,40 10<br />
8,5 19,7 1173 4,77 10<br />
12,0 33,2 1173 11,96 10<br />
15,8 44,7 1173 24,30 10<br />
19,7 59,5 1173 49,98 10<br />
27,2 94,3 1173 119,44 10
XXV<br />
Tab. A.4: Zusammenfassung <strong>der</strong> gewonnenen Messwerte von Yonenaga und Sumino.<br />
τ ly τ uy T ȧ N 0 Orien-<br />
MPa MPa K 10 −4 s −1 10 3 cm −2 tierung<br />
Ref.<br />
3,3 3,8 1271 1,20 20<br />
3,9 4,5 1222 1,20 20<br />
5,5 8,6 1172 1,20 20<br />
8,8 14,9 1122 1,20 20<br />
12,6 30,5 1074 1,20 20<br />
11,8 23,3 1073 1,20 20<br />
5,7 6,9 1272 6,00 20<br />
10,5 19,1 1172 6,00 20<br />
10,9 20,4 1172 6,00 20<br />
21,5 58,4 1074 6,00 20<br />
- 48,2 1074 6,00 20<br />
2,5 3,2 1273 0,58 20<br />
3,1 3,7 1273 1,14 20<br />
3,8 4,4 1273 2,32 20<br />
5,6 7,0 1273 5,74 20<br />
3,8 4,6 1173 0,23 20 〈123〉 [62]<br />
4,8 8,4 1173 0,58 20<br />
5,4 8,7 1173 1,13 20<br />
7,7 13,3 1173 2,32 20<br />
11,2 19,6 1173 5,77 20<br />
10,5 21,8 1173 5,76 20<br />
8,8 15,6 1073 0,23 20<br />
8,8 13,1 1073 0,23 20<br />
10,4 21,7 1073 0,57 20<br />
11,0 19,3 1073 0,57 20<br />
11,5 25,5 1073 0,58 20<br />
12,5 23,2 1073 1,11 20<br />
13,4 31,9 1073 1,18 20<br />
15,7 36,5 1073 2,33 20<br />
23,7 49,8 1073 5,51 20<br />
21,8 60,2 1073 5,76 20