06.02.2015 Aufrufe

AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten

AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten

AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK<br />

Stichwort Arabellion<br />

Revolten in der arabischen Welt<br />

Protestwelle oder Demokratisierungswille<br />

1<br />

eit nunmehr acht Monaten hal-<br />

die Unruhen in vielen arabi-<br />

Sten<br />

schen Staaten ununterbrochen an. Immer<br />

mehr Menschen trauen sich auf<br />

die Straße zu gehen, um ihren lang<br />

angestauten Frust über die desolaten<br />

politischen und wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse in ihren Ländern eine<br />

öffentlich vernehmbare Stimme zu<br />

geben. Die anfänglichen Revolten in<br />

Tunis und Kairo sowie insbesondere<br />

die überraschend frühe Flucht des tunesischen<br />

Diktators bin Ali als auch<br />

der mysteriöse Rückzug von Mubarak<br />

ermutigten weite Teile der arabischen<br />

Welt, dem tunesischen bzw. ägyptischen<br />

Erfolgskonzept nachzuahmen.<br />

Die tief gebeutelte arabische Seele<br />

ließ sich von der Begeisterungswelle<br />

in Tunesien und Ägypten und von<br />

der Macht der Bilder, die pausenlos<br />

durch den arabischen Sender al-Jazeera<br />

in die Wohnstuben und dicht<br />

besuchten Cafés der arabischen Welt<br />

ausgestrahlt werden, rasch emotional<br />

aufladen. Die Rolle dieser eindeutig<br />

parteiischen Berichterstattung der al-<br />

Jazeera-Sender kann nicht hoch genug<br />

eingeschätzt werden. Ohne den<br />

medialen Feldzug gegen die Diktatoren<br />

in den arabischen Staaten, denen<br />

die Verantwortlichen dieses Senders<br />

unverblümt den Krieg erklärt haben,<br />

und ohne die ununterbrochene und<br />

repetitive Übertragung der Ereignisse<br />

und vor allem der (Schreckens-) Bilder<br />

auf allen Kanälen des quatarischfinanzierten<br />

Senders hätte der Domino-Effekt<br />

der Protestwellen niemals<br />

diese Ausmaße annehmen können, in<br />

denen er uns heute begegnet.<br />

Was wollen die Protestierenden eigentlich<br />

Die einzige politische Hauptforderung<br />

der Protestierenden im gesam-<br />

1 Hauptmann Dr. Said AlDailami ist seit<br />

1998 Angehöriger der Bundeswehr.<br />

Derzeit ist er im Stab Landeskommando<br />

Bayern in München eingesetzt. Er lebt<br />

seit 1989 in Deutschland und kommt<br />

gebürtig aus dem Jemen.<br />

VON SAID ALDAILAMI 1<br />

ten aufgewühlten arabischen Raum<br />

lässt sich auf folgende Formel reduzieren:<br />

Austausch des maroden politischen<br />

Apparates mit seinen seit Jahrzehnten<br />

tief verwurzelten wirtschaftlichen<br />

und sozialen Verästelungen in<br />

Staat und Gesellschaft. Ob die Protestwellen<br />

als Demokratisierungswille<br />

der Massen gewertet werden können,<br />

ist indes mit einem großen Fragezeichen<br />

zu versehen. Zunächst muss darauf<br />

hingewiesen werden, dass die Protestierenden<br />

nicht die Mehrheit der<br />

Bevölkerungen darstellen. Die Köpfe<br />

und Organisatoren dieser Bewegungen<br />

sind vorwiegend junge, internetaffine<br />

Männer und Frauen, die über<br />

einen universitären Abschluss verfügen<br />

und mit dem Social-Networking<br />

bestens vertraut sind. Sie sind eine<br />

Minderheit. Hiesige Berichterstatter<br />

und Politikwissenschaftler tendieren<br />

vorschnell dazu, die Aufstände in<br />

der arabischen Welt mit den Begriffen<br />

„Revolution“ und „Demokratiebewegung“<br />

zu titulieren. Sie glauben<br />

zu wissen, dass aus heiterem Himmel<br />

eine Demokratisierungswelle den<br />

arabischen Raum erfasst habe. Diese<br />

Analyse zeugt einmal mehr von einer<br />

eurozentrischen Wahrnehmung der<br />

Welt, die im Anderen ein Spiegelbild<br />

ihrer eigenen Entwicklung sehen will.<br />

Diese eilfertige Zuweisung von Demokratisierungsattributen<br />

kann auch<br />

im Sinne der self-fulfilling-prophecy<br />

gedeutet werden: Allein die Prophezeiung<br />

der Demokratisierung einer<br />

ganzen Region und der feste Glaube<br />

an dieser Vorhersage machten den<br />

Eintritt derselben möglich. Politische<br />

Reformen wie beispielsweise Verfassungsänderungen,<br />

Parlamentsauflösungen<br />

und Neuwahlen sind die mit<br />

diesem Orakel einhergehenden Forderungen<br />

– insbesondere von westlichen<br />

Politikern – die in der Intention<br />

artikuliert werden, sich mit den<br />

arabischen Völkern zu „solidarisieren“,<br />

um so u. a. die längst verspielte<br />

Glaubwürdigkeit des Westens im<br />

arabischen Raum zurückzugewinnen.<br />

Die Frage muss aber lauten: Sind es<br />

wirklich politische Forderungen, welche<br />

die jungen Menschen im Nahen<br />

und Mittleren Osten zu Revolten bewegen,<br />

oder handelt es sich um „politisierte<br />

Brotrevolten“, die nach Befriedigung<br />

der Grundbedürfnisse, sozialer<br />

Gerechtigkeit und öffentlicher<br />

Sicherheit schreien<br />

Demokratiebedingungen erfüllt<br />

Die Prediger des Demokratisierungswahns,<br />

der ihrer Ansicht nach<br />

die arabische Welt über Nacht heimgesucht<br />

haben soll, übersehen wohl<br />

geflissentlich, dass die strukturellen<br />

Gegebenheiten, insbesondere die fehlende<br />

„demokratische Infrastruktur“<br />

in diesen Ländern, einer beschleunigten<br />

Demokratisierung im Wege<br />

stehen. Sicherlich muss auf die Heterogenität<br />

der verschiedenen arabischen<br />

Staaten und ihrer Bevölkerungen<br />

Rücksicht genommen werden; von<br />

einer Demokratisierung nach europäischen<br />

Maßstäben kann jedoch mittelfristig<br />

in keinem dieser Länder die<br />

Rede sein. Zu groß sind die Defizite<br />

im Bereich der politischen Bildung,<br />

die für den Einzug demokratischer<br />

Verhaltensstrukturen und Ordnungsformen<br />

in Staat und Gesellschaft notwendig<br />

sind. So muss die Frage nach<br />

der Bindung des gesamten staatlichen<br />

Handelns an Recht genauso diskutiert<br />

werden wie jene nach Gewaltenteilung<br />

und nach der Rolle des Militärs in der<br />

zukünftigen Staatsstruktur. Überhaupt<br />

muss eine Kultur des Diskurses, des<br />

Dialogs und der Kritik bzw. Kritikfähigkeit<br />

in den vorwiegend patriarchalisch<br />

und tribal geordneten Gesellschaften<br />

eingeführt und internalisiert<br />

werden. Kurz: Demokratie muss<br />

gelernt werden. Sie ist nicht nur eine<br />

Staatsform. Sie ist vielmehr eine Gesellschafts-,<br />

Ordnungs- und Lebensform;<br />

ein Konzert aus verschiedenen<br />

Teildisziplinen, denen ein bestimmtes<br />

Welt- und Menschenbild zugrunde<br />

22 <strong>AUFTRAG</strong> <strong>283</strong> • SEPTEMBER 2011

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!