AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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RELIGION UND GESELLSCHAFT<br />
ten Kirchenkonzil überhaupt gehen<br />
soll. Papst Johannes XXIII. hatte verschiedene<br />
richtungsweise Bildworte<br />
verkündet wie etwa dem von „Öffnet<br />
weit die Türen der Kirche“, doch diesen<br />
eher allgemeinen Formulierungen<br />
galt es nun, theologischen Sinngehalt<br />
und kirchliche Deutungsschärfe zu<br />
verleihen. Viele in der Vorbereitungskommission<br />
waren der Auffassung,<br />
dass das geplante Konzil auf wenige<br />
Themen eingegrenzt werden könnte.<br />
Im Raum standen etwa die Themen<br />
„Kirche in der Welt“, „Die Friedensfrage<br />
in unserer Zeit“ oder „Christliche<br />
Herausforderungen der modernen<br />
Gesellschaft“. Diese Themen sollten<br />
auch in der Folgezeit des II. Vaticanums<br />
ihre kirchenpolitische Bedeutung<br />
behalten und immer wieder von<br />
Theologen aufgegriffen werden, etwa<br />
in der bei Herder in Freiburg erschienen<br />
Enzyklopädie „Christlicher Glaube<br />
in moderner Gesellschaft“, zu deren<br />
Herausgebern Karl Rahner und<br />
Franz Böckle zählen. Es gab eine<br />
starke, von den Mitgliedern der römischen<br />
Kurie ausgehende Tendenz,<br />
Meinungsbildung zu Themen zu betreiben,<br />
die außerhalb der Kirche angesiedelt<br />
sind, um so zu vermeiden,<br />
dass die Kirche selbst zum Thema gemacht<br />
und damit der Kritik ausgesetzt<br />
wird. Eben dies intendierten aber die<br />
progressiven Kräfte innerhalb der römisch-katholischen<br />
Kirche.<br />
So machte Kardinal Ottaviani als<br />
Vorsitzender der Vorbereitungskommission<br />
rasch deutlich, dass es eben<br />
der Wunsch des Papstes sei, die kirchliche<br />
Lehre und die römisch-katholische<br />
Kirche selbst zum Gegenstand<br />
der Diskussion und auch der Erneuerung<br />
zu machen. Bis zu Ende des<br />
Konzils blieb aber stets eine gewichtige<br />
Minderheit bestehen, die eine<br />
Erneuerung der Kirche aus innigster<br />
Überzeugung ablehnte. Hierzu zählt<br />
die Gruppierung um den Erzbischof<br />
von Bourges, Joseph-Charles Lefèbvre<br />
(1892-1973), der zwar nicht selbst der<br />
Vorbereitungskommission angehörte,<br />
wohl aber Mitglied des II. Vaticanums<br />
war. Auch die heutigen Debatten um<br />
die am 1. November 1970 gegründete<br />
Pius-Bruderschaft finden ihre geistigen<br />
Wurzeln in jener kirchlichen Minderheit<br />
bzw. Minderheitsmeinung im<br />
II. Vaticanum, die jedwede Erneuerung<br />
ablehnte.<br />
<strong>AUFTRAG</strong> <strong>283</strong> • SEPTEMBER 2011<br />
Für großes Entsetzen sorgte die<br />
zweite Ankündigung von Kardinal<br />
Ottaviani, dass die Diskussionen in<br />
Vorbereitungskommission und im<br />
Konzil ergebnisoffen gestaltet werden<br />
sollten. Das implizierte auch, dass<br />
alle kirchlichen Lehrsätze (Dogmen)<br />
zur Diskussion gestellt wurden. Viele<br />
Kirchenleute sahen dieses Vorgehen<br />
geradezu als Frevel und als Angriff<br />
auf den göttlichen Auftrag der Kirche<br />
an. Die konservativ eingestellten<br />
Kirchenleute befürchteten, dass<br />
das Unfehlbarkeitsdogma des Papstes<br />
in Glaubensfragen („ewige Wahrheiten“),<br />
welches auf dem I. Vaticanum<br />
verkündet und im Dogma von<br />
der Himmelfahrt von Leib und Seele<br />
Marias (1950) eine erste Entfaltung<br />
fand, wieder infrage gestellt oder gar<br />
zurückgenommen werden sollte.<br />
Die römische Kurie sah zudem<br />
die Gefahr am Horizont aufsteigen,<br />
dass die römische Zentralgewalt geschwächt<br />
und die Ortskirchen gestärkt<br />
werden sollten. Diese Wahrnehmung<br />
stellte sich als nicht ganz unbegründet<br />
dar. So wurden als Ergebnis des<br />
II. Vaticanums die Stellung der nationalen<br />
Bischofskonferenzen gestärkt,<br />
ebenso die Rolle regionaler Bischofskonferenzen<br />
– etwa in Form der lateinamerikanischen<br />
Bischofskonferenz<br />
oder des Rates der europäischen Bischofskonferenzen<br />
(CCEE). Der verstorbene<br />
Bischof von Hildesheim Josef<br />
Homeyer (1929-2004), langjähriger<br />
Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen<br />
der Europäischen<br />
<strong>Gemeinschaft</strong> (ComECE), berichtete<br />
dem Autor gegenüber von den großen<br />
Schwierigkeiten, die mit der Gründung<br />
der ComECE durch die römische<br />
Kurie einhergingen. So bestand auch<br />
nach dem II. Vaticanum der grundsätzliche<br />
Anspruch der römischen<br />
Kurie, die römisch-katholische Kirche<br />
in allen Angelegenheiten nach<br />
außen hin zu vertreten.<br />
Viele dieser Neuerungen durch<br />
das II. Vaticanum sind Katholiken<br />
heute ganz selbstverständlich, doch in<br />
der Vorbereitungskommission und auf<br />
dem Konzil riefen diese Diskussionspunkte<br />
Ängste und mitunter großes<br />
Befremden hervor, weil es das Selbstverständnis<br />
vieler Kirchenleute infrage<br />
stellte, etwa in der Frage der Errichtung<br />
des ComECE-Büros in Brüssel.<br />
Bislang waren die Bischöfe allein<br />
dem Papst verantwortlich gewesen;<br />
eine Abstimmung oder Zusammenarbeit<br />
mit anderen Bischöfen entstanden<br />
allein aufgrund eigener Initiative.<br />
Dass mit dem II. Vaticanum nationale<br />
Bischofskonferenzen eingerichtet<br />
wurden, die richtungsweisende und<br />
verbindliche Entscheidungen treffen<br />
können, traf viele Bischöfe ganz persönlich<br />
in ihrem kirchlichen Selbstverständnis,<br />
da viele Bischöfe sich in<br />
ihrem Handlungs- und Wirkungsradius<br />
eingeschränkt fühlten. Auch das II.<br />
Vaticanum als Konzil wurde an sich<br />
als Belastung, mitunter gar als Zumutung<br />
empfunden.<br />
V<br />
Ost-West-Konflikt<br />
orbereitungskommission und<br />
Konzil fanden zudem ganz im<br />
Zeichen des Ost-West-Konflikts statt.<br />
Die Schreckensherrschaft Stalins in<br />
Sowjetrussland war zwar beendet und<br />
mit ihm der Massenmord am eigenen,<br />
russischen Volk, doch Europa<br />
war nach wie vor geprägt vom „Eisernen<br />
Vorhang“ und von einer Zweiteilung<br />
der Welt in eine freie, westliche<br />
Welt und eine östliche Hemisphäre,<br />
in der Unterdrückung und Verfolgung<br />
herrschten. Gerade in der Zeit<br />
der Vorbereitungskommission des II.<br />
Vaticanums kam es zur so genannten<br />
Kuba-Krise und der Gefahr eines<br />
„Dritten Weltkrieges“. Die Feindbilder<br />
waren klar verteilt; der Osten sah<br />
im Westen den Brandherd für alle<br />
Gefahren, der Westen nahm Moskau<br />
als den Ursprung allen Übels an – ein<br />
Denken, welches bis in die Ära Ronald<br />
Reagans Bestand haben sollte.<br />
In der östlichen Hemisphäre, also<br />
vor allem in Osteuropa und in China,<br />
war die katholische Kirche Unterdrückung<br />
und Verfolgung ausgesetzt.<br />
In Staaten wie der Tschechoslowakei<br />
war die katholische Kirche in<br />
der Zeit vor dem Ende des Ost-West-<br />
Konflikts 1990 ständig der Verfolgung<br />
und Unterdrückung ausgesetzt.<br />
In China versuchte die kommunistische<br />
Parteiführung durch Gründung<br />
einer Peking-hörigen, katholischen<br />
Kirche den römischen Einfluss drastisch<br />
zu begrenzen. Deshalb forderten<br />
Kleriker in der Vorbereitungskommission<br />
und auf dem Konzil in Rom, dass<br />
hier etwas zur Verbesserung der Lage<br />
der römisch-katholischen Kirche vor<br />
allem in den kommunistischen Staa-<br />
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