AUFTRAG_283_w.pdf - Gemeinschaft Katholischer Soldaten
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RELIGION UND GESELLSCHAFT<br />
Aufbruch der Kirche<br />
II. Vaticanum<br />
Vorbereitungskommission und erste Sitzungsperiode (1960-1962)<br />
Sowohl in der Vorbereitungskommission<br />
als auch in den beiden Sitzungsperioden<br />
des II. Vaticanums kam<br />
es immer wieder zu Richtungsstreitigkeiten<br />
zwischen reformorientierten<br />
Kräften um Papst Johannes XXIII.<br />
und einer konservativen, am Status<br />
quo orientierten römischen Kurie.<br />
Im Unterschied zu Joseph Ratzinger,<br />
der bei seiner Wahl zum Papst<br />
2005 fast 25 Jahre der römischen Kurie<br />
an leitender Stelle als Präfekt der<br />
wichtigen Kongregation für Glaubensfragen<br />
angehörte, verfügte der Roncalli-Papst<br />
nicht wie Ratzinger über<br />
eine „Hausmacht“ in der römischen<br />
Kurie. Als Papst Johannes XXIII. im<br />
Januar 1959 erste Andeutungen über<br />
die Einberufung eines Kirchenkonzils<br />
machte, war er selbst ein gutes halbes<br />
Jahr im Amt und nahezu alle wichtigen<br />
Positionen in der römischen Kurie<br />
waren noch durch den konservativen<br />
Papst Pius XII. besetzt worden.<br />
Dementsprechend fühlten sich die<br />
damaligen Amtsinhaber dem Denken<br />
und der Person Papst Pius XII. mehr<br />
verpflichtet als dem Roncalli-Papst.<br />
Zwar hatte Roncalli als langjähriger<br />
Kardinal der Kirche und als vatikanischer<br />
Diplomat gute Kontakte in den<br />
Vatikan, doch fehlte Papst Johannes<br />
XXIII. im Vergleich etwa mit Papst<br />
Benedikt XVI. auch ein detailliertes<br />
Wissen über die Mehrzahl der Personen<br />
und Persönlichkeiten in der römischen<br />
Kurie, sodass er – zumindest<br />
im Mittelbau der römischen Kurie –<br />
nicht präzise zwischen progressiven<br />
und konservativen Kräften im Staat<br />
der Vatikanstadt zu unterscheiden<br />
vermochte. So wuchs auch die Vorbereitungskommission<br />
zum Versuch<br />
seitens der römischen Kurie auf, die<br />
Folgen des nun einmal nicht mehr verhinderbaren<br />
Konzils möglichst stark<br />
einzudämmen.<br />
1 Prof (eh) Dr. Andreas M. Rauch ist<br />
Gymnasiallehrer im kirchlichen Dienst<br />
und Lehrbeauftragter an der Universität<br />
Köln<br />
VON ANDREAS M. RAUCH 1<br />
Als Vorsitzender der Vorbereitungskommission<br />
hatte Papst Johannes<br />
XXIII. den reformorientierten<br />
Kardinal Alfredo Ottaviani (1890-<br />
1979) ernannt und ihm weitere Reformkräfte<br />
wie die Kardinäle Frings<br />
und König zur Seite gestellt. Insgesamt<br />
bestand die Vorbereitungskommission<br />
aus zehn Personen. Allerdings<br />
war die Vorbereitungskommission<br />
auf theologische Vorlagen aus<br />
der römischen Kurie angewiesen. Darüber<br />
hinaus wurden auch die Protokolle<br />
von Referenten aus der römischen<br />
Kurie verfasst, wobei die von<br />
der römischen Kurie genehmigten<br />
Protokollendfassungen oft erheblich<br />
vom tatsächlichen Diskussionsstand<br />
in der Vorbereitungskommission abwichen.<br />
Diese nachträglichen Änderungen<br />
der Protokolle durch die römische<br />
Kurie wieder rückgängig zu<br />
machen, kostete der Vorbereitungskommission<br />
viel Kraft, war für ihre<br />
Mitglieder mitunter zermürbend und<br />
auch in vielen Fällen nicht immer<br />
mehr möglich. Die 9920 Seiten umfassenden<br />
Druckhefte in lateinischer<br />
Sprache, die den Versammlungen zur<br />
Abstimmung vorgelegt wurden, verteilten<br />
sich auf sechzehn Quarthefte.<br />
Da in den einzelnen Kommissionen<br />
alle Probleme der Kirche der einzelnen<br />
Länder mit sehr großer Offenheit<br />
diskutiert und angesprochen wurden,<br />
blieben die ersten fünfzehn Quarthefte<br />
geheim. Der von der römischen Kurie<br />
redigierte sechzehnte Band hingegen<br />
wurde veröffentlicht.<br />
Eine Problemebene für den Konzilsprozess<br />
in der Vorbereitungskommission<br />
und der ersten Sitzungsperiode<br />
stellten dabei auch die wirtschaftlichen<br />
Angelegenheiten des Heiligen<br />
Stuhles dar, die damals noch intransparenter<br />
waren als in der Gegenwart,<br />
in der sich der Vatikan zumindest<br />
müht, Zahlen über Einnahmen und<br />
Ausgaben zu veröffentlichen. Damals<br />
wie heute blieben dabei die Geschäfte<br />
der Vatikanbank außen vor, da sie<br />
nicht unmittelbar zum Haushalt des<br />
Staates der Vatikanstadt gehören. Der<br />
Heilige Stuhl hatte zwar durch die Republik<br />
Italien für den verloren gegangenen<br />
Kirchenstaat in den Lateranverträgen<br />
von 1929 eine Entschädigungszahlung<br />
in Milliardenhöhe erhalten,<br />
doch war auch bekannt, das ein Teil<br />
des Geldes etwa durch Kriegsanleihen<br />
verloren gegangen war. Von dem Rest<br />
war vieles in Immobilien, vor allem in<br />
Rom, angelegt worden. Doch erlitten<br />
viele Gebäude und Mietshäuser durch<br />
die Folgen des II. Weltkrieges bedingt<br />
massive Schäden, sodass es zu weiteren<br />
Vermögensverlusten durch erhebliche<br />
Sanierungsarbeiten kam.<br />
Kurzum, die römische Kurie<br />
machte Papst Johannes XXIII. deutlich,<br />
dass ein Kirchenkonzil zum gegenwärtigen<br />
Zeitpunkt eigentlich<br />
nicht finanziert werden könnte, schon<br />
gar nicht gerade einmal fünfzehn Jahre<br />
nach dem Ende des II. Weltkrieges.<br />
So ganz unberechtigt dürfte der Einwand<br />
der römischen Kurie nicht gewesen<br />
sein. Während die Teilnahme der<br />
Mitglieder des Kardinalskollegiums<br />
am Konzil weitgehend vom Vatikan<br />
finanziert wurde, mussten Bischöfe<br />
meist auf eigene Kosten anreisen und<br />
ihren Aufenthalt in Rom finanzieren.<br />
Und Bischöfe aus Entwicklungsländern<br />
mit europäischer Herkunft wurden<br />
oft von ihren europäischen Heimatdiözesen<br />
finanziert, in denen sie<br />
zum Priester geweiht worden waren.<br />
So fanden sich im Ergebnis nur wenige<br />
Teilnehmer und Berater aus Entwicklungsländern,<br />
die dort auch geboren<br />
waren, in Rom auf dem II. Vaticanum<br />
ein. Zu den europäischen Vertretern<br />
aus Entwicklungsländern gehörte<br />
auch der Franzose Marcel Lefebvre,<br />
der damals amtierende Erzbischof von<br />
Dakar im Senegal.<br />
„Alles auf den Prüfstand“<br />
Die Vorbereitungskommission sah<br />
sich vor das Problem gestellt, zu<br />
bestimmen, worum es bei dem geplan-<br />
36 <strong>AUFTRAG</strong> <strong>283</strong> • SEPTEMBER 2011