08.02.2015 Aufrufe

ÖMZ 3/2009

ÖMZ 3/2009

ÖMZ 3/2009

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

felberbauer: solferino und seine folgen - sadowa und sedan<br />

Geschoß aufweitete und in Zug und Feld einpresste (Bild 1).<br />

Es wurde bald entdeckt, dass der Einpressvorgang auch ohne<br />

Eisennäpfchen funktionierte. Das Langgeschoß behielt seine<br />

ballistisch günstige Form bei und verließ den Lauf immer in<br />

gleicher Richtung. Der Drall der Züge teilte sich dem Geschoß<br />

mit, das dadurch im Flug stabilisiert wurde. Durch die<br />

Aufweitung dichtete das Geschoß den Innenraum des Laufes<br />

weitgehend gegen den Laderaum ab. Der Druck der Pulvergase<br />

wurde voll wirksam, und die Mündungsgeschwindigkeit und<br />

damit die Schussweite stiegen an. Durch den Drall ergab sich<br />

bei Verwendung eines Langgeschoßes im Vergleich zur Kugel<br />

eine präzisere Flugbahn, eine viel geringere Streuung und eine<br />

höhere Treffwahrscheinlichkeit.<br />

Mit dem Minié-Gewehr erzielte man mit einiger Übung<br />

auf Ziele von der Größe eines Mannes bis 225 m (300 Schritt)<br />

recht gute Treffer. Gegen Reiter oder Pferde mit ihrer größeren<br />

Zielfläche erhöhte sich diese Treffwahrscheinlichkeit auf 300 m<br />

bis 350 m. Große Massenziele wie Infanteriekolonnen konnten<br />

bis etwa 750 m unter Feuer genommen werden. 4)<br />

Das Minié-Gewehr besaß damit etwa die zwei- bis dreifache<br />

effektive Schussweite einer glatten Muskete. Bereits dieser erste<br />

gezogene Vorderlader in Truppenverwendung machte eine bisher<br />

übliche napoleonische Taktik unmöglich, die darin bestanden<br />

hatte, dass Glattrohrgeschütze praktisch ungehindert auf 250 m<br />

bis 300 m an die Infanterie heranfahren und sie mit Kartätschen<br />

unter Feuer nehmen konnten. Auch die napoleonische Taktik,<br />

Infanteriekolonnen mit zweifacher Kompaniebreite und großer<br />

Tiefe im Schnellschritt zum Durchbruch vorrücken zu lassen,<br />

konnte angesichts der großen Reichweite des Gewehres gegen<br />

solche Flächenziele nicht mehr aufrechterhalten werden.<br />

Ein großer Vorteil des Minié-Systems bestand darin, dass<br />

sich nahezu jedes alte glatte Gewehr billig umrüsten ließ, indem<br />

man einfach Züge in den glatten Lauf einschnitt. Allerdings<br />

musste dabei das Kaliber - bei Gewehren der Napoleonzeit waren<br />

etwa 18 mm gebräuchlich - beibehalten werden, wodurch die<br />

Geschoßmasse beim Übergang von der Kugel zum Langgeschoß<br />

um etwa 10% zunahm. Die übliche Taschenmunition von 60<br />

Patronen sank bei gleicher Masse auf etwa 48 Minié-Patronen<br />

ab. Ihre Geschoßmasse betrug 46 g mit einer Pulverladung von<br />

etwa 4,5 g.<br />

Frankreich entschied sich für diese Minié-Lösung. Bis zum<br />

Jahre 1859 konnten aber nur das französische Gardekorps und<br />

Jägerbataillone mit dem Minié-Gewehr ausgerüstet werden. 5)<br />

Die übrigen Verbände - ebenso wie die Armee Piemont-<br />

Sardiniens - verwendeten weiterhin eine glatte Muskete mit<br />

Perkussionszündung.<br />

Die französische Artillerie bei Solferino<br />

Napoleon I. verfügte über die 1774 von Oberst Griebauval<br />

eingeführten Kanonen, deren Sechspfünder mit Kartätschen etwa<br />

250 m bis 300 m und mit Vollkugeln bis etwa 800 m effektiv<br />

waren. Mit den neu eingeführten gezogenen Infanteriegewehren<br />

des Feldzuges von 1859 konnte man die Bedienungen dieser<br />

Geschütze und besonders deren Pferde wirksam unter Feuer<br />

nehmen und abschießen, bevor sie für einen Kartätschangriff<br />

einsatzbereit waren.<br />

Wollte man die Existenzberechtigung dieser Waffengattung<br />

nicht aufs Spiel setzen, war eine Wirkungssteigerung der Geschütze<br />

unbedingt nötig. Die einfachste Lösung bestand darin,<br />

nach dem Vorbild der Infanteriegewehre in die vorhandenen<br />

Glattrohrgeschütze Züge einzuschneiden. Die Langgeschoße<br />

konnten mit Führungselementen (Warzen) versehen werden, die<br />

man an der Mündung in die Züge einsetzte und mit einem entsprechenden<br />

Ladewerkzeug dem Drall folgend ins Rohr drehte,<br />

bis sie auf der vorher geladenen Treibladung aufsaßen.<br />

Frankreich entschied sich für diese Methode. Man hatte auf<br />

Weisung Kaiser Napoleons III. nach erfolgreichen Vorversuchen<br />

in den Jahren 1848 bis 1850 in die alten bronzenen Gribauval-<br />

Vierpfünder-Vorderlader von 86,7 mm-Kaliber sechs Züge<br />

eingeschnitten und eine neue Munition entwickelt. Das System<br />

wurde unter dem Namen „La Hitte“ 6) eingeführt.<br />

Der Vierpfünder, nunmehr als leichte „canon de 4, rayé, de<br />

campagne“ (Feldkanone) bezeichnet, wurde mit vier Pferden<br />

bespannt und war äußerst beweglich. Die neuen Hohlgeschoße<br />

mit Warzenführung wogen vier kg. Es gab eine Sprenggranate<br />

(obus ordinaire), ein Schrapnell (obus à balles) und eine Kartätsche<br />

(botte a mitraille) (Abbildung 2).<br />

Dies bedeutete eine totale Abkehr vom System der jahrhundertelang<br />

verwendeten Vollkugeln und Kartätschen. Für die<br />

Sprenggranate benötigte man einen Aufschlagzünder und für die<br />

Schrapnelle einen Zeitzünder. Die in Frankreich eingeführten<br />

Geschoßzünder waren allerdings ziemlich mangelhaft. Die Geschoßwirkung<br />

ließ hauptsächlich aus diesem Grund zu wünschen<br />

übrig. Bei den Sprenggranaten war die Treffgenauigkeit auf<br />

größere Entfernungen wegen des zum Laden von vorne nötigen<br />

Spiels zwischen Rohrwand und Geschoß unbefriedigend. Die<br />

Granaten streuten mit zunehmender Schussweite ziemlich stark<br />

und zerlegten sich beim Aufschlag in etwa 50 bis 60 Splitter. 7)<br />

Die bevorzugte Munition der französischen Artillerie war<br />

das Schrapnell, ursprünglich eine englische Erfindung. Ein<br />

granatähnliches, dünnwandigeres Hohlgeschoß wurde mit Kugeln<br />

gefüllt und enthielt eine Zerlegerladung, die durch einen<br />

Zeitzünder ausgelöst wurde. Schrapnelle waren nur wirksam,<br />

wenn der Zeitzünder an einem Punkt der Flugbahn ansprach,<br />

der vor und über dem zu bekämpfenden Ziel lag. In diesem<br />

Fall schlugen die 50 bis 60 Kugeln der Füllung im Zielgebiet<br />

ein. Löste der Zünder zu früh oder zu spät aus, so landeten sie<br />

wirkungslos im Gelände. Die Reichweite des neuen gezogenen<br />

französischen Vierpfünders hatte sich aber gegenüber dem<br />

glattrohrigen Vorgängermodell verdoppelt, ein Vorteil, den die<br />

veraltete österreichische Artillerie im Jahre 1859 nie egalisieren<br />

konnte.<br />

Im italienischen Feldzug 1859 traten 32 Batterien (zu je sechs<br />

22<br />

<strong>ÖMZ</strong>-Online 3/<strong>2009</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!