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Schulkonkurrenz – wozu? - AMV

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aktuell<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> –<br />

<strong>wozu</strong><br />

2006<br />

1<br />

Sonderheft<br />

Aargauer Mittelschullehrerinnenund<br />

Mittelschullehrer-Verein


Der <strong>AMV</strong> – Vorstand<br />

Präsident<br />

Stefan Läderach<br />

Bündtenweg 19<br />

5000 Aarau<br />

Tel u. Fax 062 823 19 60<br />

stefan.laederach@bluewin.ch<br />

Kassier<br />

Andreas Flückiger<br />

Reussgasse 9<br />

5620 Bremgarten<br />

Tel 056 631 43 13<br />

andreas.flueckiger@ffconsulting.ch<br />

Vizepräsident<br />

Erich Bühlmann<br />

Bodenackerweg 45<br />

5612 Villmergen<br />

Tel 056 622 68 18<br />

erich.buehlmann@gmx.ch<br />

Aktuarin<br />

Ariane Bolli<br />

Schiibe 10c<br />

5408 Ennetbaden<br />

Tel 056 427 44 94<br />

ariane.bolli@gmx.net<br />

Marco Arni<br />

Kilchbergstrasse 25<br />

4800 Zofingen<br />

Tel 062 751 64 61<br />

maarni@gmx.ch<br />

Ruedi Ingold<br />

Kongoweg 11<br />

5034 Suhr<br />

Tel 062 842 46 35<br />

ringold1@bluewin.ch<br />

Alexander Fend<br />

Wildeggerstrasse 6<br />

5702 Niederlenz<br />

Tel 062 892 24 91<br />

fend@hispeed.ch<br />

Monika Langmeier<br />

Berneggweg 3<br />

8055 Zürich<br />

Tel 044 451 21 62<br />

mlangmeier@dplanet.ch<br />

Patrik Schneider<br />

Bernerstrasse 4<br />

5400 Baden<br />

Tel 056 221 18 67<br />

padi.schneider@cwmail.ch<br />

Redaktionsteam<br />

Ariane Bolli, Alexander Fend, Ruedi Ingold, Stefan Läderach, Monika Langmeier<br />

Redaktionsschluss <strong>AMV</strong>-aktuell 06/1: 10. März 2006


<strong>Schulkonkurrenz</strong> – <strong>wozu</strong><br />

<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 2006/1<br />

Inhalt<br />

Editorial 3<br />

Stefan Läderach<br />

Ohne Typenprofil sind Einzelprofile nutzlos 4<br />

Ein Amuse-bouche von Dr. Ludwig Hasler<br />

Steuerung der aargauischen Mittelschulen<br />

mit den neuen Führungsinstrumenten 6<br />

Stephan Campi<br />

Wettbewerb und Profilierung der aargauischen Gymnasien 10<br />

Rektorenkonferenz der aargauischen Mittelschulen<br />

Eine Aufgabe für viele: Die eigene Schule profilieren 13<br />

Dr. Gerhard W. Schnaitmann<br />

Bildung und Wettbewerb 16<br />

Christian Aeberli<br />

Die Freiheit der Schulwahl: Ein Problemaufriss 22<br />

Prof. Dr. Jürgen Oelkers<br />

Kann das Schulwesen durch Wettbewerb genesen 32<br />

Prof. Dr. Manfred Weiss<br />

Mehr Demokratie oder mehr Effizienz 37<br />

Peter Ringel<br />

Erfahrungen mit der freien Schulwahl an den Zürcher Kantonsschulen 39<br />

Stephan Aebischer<br />

Und wenn die freie Schulwahl ein leeres Versprechen bleibt 40<br />

Schülerinnen und Schüler von aargauischen Kantonsschulen<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> I – V. Ein Kaleidoskop 42<br />

Stefan Läderach


Pressestimmen zum Thema<br />

MZ 31. Jan. 2006; AZ Baden 23. Sept. 2005; MZ 13. Jan. 2006; Die Südostschweiz 27. Dez. 2005


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 3<br />

Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser<br />

Seit der Einführung von GAL per 1. Januar 2005 sind die Aargauer Kantonsschulen teilautonom.<br />

Wichtige Entscheidungskompetenzen wurden vom Bildungsdepartement auf die Ebene<br />

der einzelnen Schulleitungen verlagert. Grundsätzlich eine sinnvolle Sache, gewiss. Die inzwischen<br />

erfolgte Einführung von Konferenzausschüssen an allen Schulen auf Veranlassung des<br />

<strong>AMV</strong> trägt dem Umstand Rechnung, dass immer mehr Entscheidungen vor Ort gefällt werden<br />

und die Lehrpersonen sich ein Stück Mitsprache sichern möchten.<br />

Nun gibt es allerdings Bereiche, wo Schulautonomie nichts zu suchen hat. Dazu gehören vorab<br />

die Anstellungsbedingungen der Lehrpersonen: die Löhne natürlich, aber auch die Spesenregelungen<br />

und das weite Feld der Jahresarbeitszeit. Es ist eine neue Aufgabe des <strong>AMV</strong>, Unterschiede<br />

zwischen den Schulen und allfällige Missbräuche transparent zu machen, den Vergleich<br />

mit dem übrigen Staatspersonal herzustellen und auf eine gewisse Einheitlichkeit in der<br />

Ausgestaltung der Rahmenbedingungen zu drängen.<br />

Vor Ort verstärkt die Einführung der Teilautonomie in einem ersten Schritt die Tendenz zur<br />

„Schulprofilierung“ durch schulspezifische Erweiterung der Angebotspalette, dann aber sogleich<br />

auch den Zwang zum Komplettangebot. Der Motor hinter dieser beobachtbaren Entwicklung ist<br />

die freie Schulwahl, die seit der Einführung von MAR im Gymnasium Aargau gilt – zumindest<br />

dürfen die künftigen GymnasiastInnen heute davon ausgehen und sind zunächst entsprechend<br />

enttäuscht, wenn sie aus Ressourcengründen an eine andere Schule umgeteilt werden.<br />

Teilautonomie, Schulprofilierung, freie Schulwahl: Dies sind die Ingredienzien der neu etablierten<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> in der Aargauer Gymnasiallandschaft, und in diesem begrifflichen Bermudadreieck<br />

bewegen sich die Beiträge im vorliegenden Heft. Wir fragen nach Ursachen und<br />

Wirkungen, historischen und theoretischen Hintergründen sowie der täglichen Praxis vor Ort.<br />

Ausgangspunkt ist der Verdacht, dass mit der Steuerung des Systems etwas nicht mehr stimmt,<br />

mit der Folge, dass immer mehr Ressourcen in Aktivitäten investiert werden müssen, die kaum<br />

etwas mit Schulqualität, aber viel mit Standortmarketing der Einzelschulen zu tun haben.<br />

Der <strong>AMV</strong>-Vorstand bedankt sich bei allen Autoren, die bereit waren, einen Beitrag für das vorliegende<br />

Heft zu verfassen oder zum Wiederabdruck zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis ist<br />

ein Reader, der gänzlich unterschiedliche Positionen und Perspektiven vereint und mithelfen<br />

soll, die Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen neoliberaler Markt- und Wettbewerbsphilosophie<br />

im Bereich öffentlicher Bildung anzuregen.<br />

Stefan Läderach


4 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Ohne Typenprofil sind Einzelprofile nutzlos<br />

Ein Amuse-bouche von Dr. Ludwig Hasler *<br />

Konkurrenz belebt das Geschäft<br />

Nicht unter allen Umständen.<br />

Was nützte es zum Beispiel der<br />

Aargauer Gastro-Branche, wenn<br />

zwei Restaurants feinschmeckerisch<br />

kochten, der Rest aber im<br />

Mittelmass verhockte Nichts.<br />

Die beiden exzellenten Lokale<br />

florierten dank ihrer Stammgäste;<br />

die übrigen offerierten weiter<br />

Allerweltskost – und ruinierten<br />

damit den Ruf der Branche. Dieser<br />

Ruf lebt davon, dass (möglichst)<br />

alle ihre Ansprüche steigern,<br />

die Kunden auf den Geschmack<br />

am Besseren bringen,<br />

ihnen zeigen, dass Essen kulturelle<br />

Sensation ist, nicht bloss<br />

Nahrungsaufnahme. Diese Kultur<br />

muss die Branche erreichen, erst<br />

dann belebt Konkurrenz das<br />

Geschäft.<br />

Ähnlich läuft es mit der „Branche“<br />

Gymnasium. Sicher ist es<br />

wünschbar, dass die eine Kantonsschule<br />

sich mit exzellenter<br />

Musikkultur empfiehlt, eine andere<br />

mit Sport, eine dritte mit Chinesisch.<br />

Doch das bleibt ein<br />

Wettbewerb in der Kür. Im<br />

Pflichtteil muss „das Gymnasium<br />

Aargau“ sich so profilieren, dass<br />

alle vifen, neugierigen, bildungsbegierigen<br />

Jugendlichen ihm<br />

zuströmen. Ohne die Attraktivierung<br />

des Bildungstypus Gymnasium<br />

hilft ein Sonderprofil für<br />

Zofingen oder Baden nicht weiter.<br />

Die paar Zukunfts-Cleveren,<br />

die wegen der Spezialofferte<br />

Chinesisch Wettingen wählen,<br />

wollen weniger dorthin ins Gymnasium,<br />

sie wollen bloss gratis<br />

Chinesisch lernen.<br />

Das Gymnasium ist, erstmals in<br />

seiner Geschichte, bedrängt –<br />

seitlich durch Berufsmaturitäten<br />

mit Lizenz für Fachhochschulen,<br />

Passerellen zu Universitäten, von<br />

oben durch den Druck der Universitäten.<br />

Die eine Bedrängung<br />

heisst: Das Gymnasium ist umgehbar<br />

geworden; vor allem junge<br />

Männer sehen keinen Grund,<br />

Jahre mit „Allgemeinbildung“ zu<br />

verplempern, wenn sie mit der<br />

Berufsmatur früh Geld haben und<br />

mit der Fachhochschule früher<br />

Karriere machen können. Die<br />

andere Bedrängung bedeutet:<br />

Das Gymnasium verliert seinen<br />

exklusiven Passepartout zu Universitäten;<br />

Hochschulen werden<br />

mittelfristig Wege finden, ihre<br />

Studenten zu testen, selber auszuwählen.<br />

Bevor man dagegen<br />

Amok läuft, sollte man sich vor<br />

Augen halten: Jede dritte Gymnasiastin<br />

fliegt später aus dem<br />

Hochschulstudium raus. Das ist<br />

skandalös, ökonomisch sowieso,<br />

individuell erst recht.<br />

Das Gymnasium in der Zwickmühle.<br />

Intern will man das entweder<br />

nicht wahrhaben oder man<br />

sieht keinen Ausweg. Extern<br />

reden alle nur von der sogenannten<br />

„Schnittstellen-Problematik“.<br />

Dabei ist diese Krise im Kern<br />

hausgemacht: Das Gymnasium<br />

hat sein Selbstbewusstsein verloren,<br />

die Unverwechselbarkeit<br />

seines inhaltlichen Auftrags, sein<br />

Bildungsprofil. Jahrzehnte lang<br />

existierte es im Bewusstsein<br />

seiner vollkommenen Selbstverständlichkeit.<br />

Doch das, was<br />

einst diese Selbstverständlichkeit<br />

begründete – Wissenschaftspropädeutik,<br />

Elitebildung etc. – , hat<br />

es durch Expansion selber verspielt.<br />

Jetzt sucht es sich an den<br />

Rändern (Schwerpunktfächer) zu<br />

profilieren, im Zentrum (gymnasiale<br />

Bildung) bleibt es schwammig.<br />

Von aussen gedrängt,<br />

macht es, mehr contre coeur, mit<br />

in nationalen Prozeduren zur<br />

Ermittlung sogenannter Bildungsstandards.<br />

Diese Standards-Debatte verwirrt<br />

mich vollends: Wie kann man an<br />

Standards für einzelne Fächer<br />

herumschrauben, bevor man sich<br />

darüber verständigt, was man mit<br />

bestimmten Bildungstypen eigentlich<br />

will Erst müsste man<br />

doch eine Vista vom Gymnasium<br />

klären. Genauer: eine Vista vom<br />

Menschentyp, auf den der gymnasiale<br />

Weg abzielt. Damit müssten<br />

Gymnasien beginnen: mit<br />

dem Modellieren der Ideal-<br />

Gymnasiastin. Und dies in Abgrenzung<br />

zu konkurrierenden<br />

Bildungstypen, zum Beispiel zu<br />

Berufsmaturanden. Da handelt<br />

es sich doch hoffentlich nicht<br />

allein um zwei unterschiedlich<br />

befrachtete Stundentafeln. Die<br />

beiden Ausbildungsformen müssen<br />

zwei differente Existenzen in<br />

Form bringen. Der junge Mann,<br />

der eine Banklehre macht, dazu<br />

Berufsmatur, verfolgt nicht nur<br />

einen andern Bildungszweck als<br />

der Gymnasiast, er lebt auch<br />

anders, hat Geld, konkrete Aussicht<br />

auf eine lineare Laufbahn.<br />

Die Gymnasiastin lebt freischwebend,<br />

ist eine Art hors-sol-<br />

Produkt, also müsste sie in der<br />

Bildung geerdet werden. Der<br />

berufstätige Maturand braucht<br />

seine Bildung zum Zweck, zum<br />

unmittelbaren Gebrauch, nicht<br />

nur, doch vorwiegend. Die Gymnasiastin<br />

weiss noch gar nicht,<br />

<strong>wozu</strong> sie ihre Bildung dereinst<br />

brauchen wird, also muss gymnasiale<br />

Bildung als Selbstzweck<br />

taugen. Bildung als Abenteuer.<br />

Das Gymnasium betreibt Bildung<br />

nicht als Präparation für eindeutige<br />

Berufsqualifikationen. Eher<br />

in eine offene Zukunft hinein.<br />

Ich breche hier ab. Pardon, ist<br />

sonst nicht meine Art. Stefan<br />

Läderach bat mich, eine Art<br />

Amuse-bouche zu schreiben.<br />

Das Menü folgt mündlich an der<br />

<strong>AMV</strong>-Jahresversammlung am<br />

6. April.<br />

* Dr. Ludwig Hasler, Publizist und<br />

Philosoph, tanzt auf vielen<br />

Bühnen. In Bildungsdebatten<br />

fällt er als origineller Kopf auf.<br />

Seine Gedanken zur „Marke<br />

Gymnasium“ trägt er am 6. April<br />

auf der Jahresversammlung<br />

des <strong>AMV</strong> in Aarau vor.


38. Jahresversammlung <strong>AMV</strong><br />

Mittwoch, 5. April 2006, 17.45 Uhr<br />

Aula der Neuen Kantonsschule Aarau<br />

Gäste:<br />

Regierungsrat Rainer Huber<br />

Grusswort<br />

Dr. Ludwig Hasler<br />

KOMPLETTBILDUNG – Wie das Gymnasium<br />

sich profilieren könnte, müsste<br />

Anschliessend Apéro und Imbiss (Buffet)


6 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Steuerung der aargauischen Mittelschulen mit den<br />

neuen Führungsinstrumenten<br />

Stephan Campi<br />

Chef Sektion Mittelschule im Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS)<br />

Das Gesetz über die wirkungsorientierte<br />

Steuerung von Aufgaben<br />

und Finanzen (GAF) ist<br />

im Kanton Aargau am 1. August<br />

2005 in Kraft getreten. Damit<br />

sind in den Bereichen der<br />

Staatsleitung und der Verwaltungsführung<br />

tief greifende<br />

Reformen eingeleitet worden,<br />

von denen auch die Mittelschule<br />

Aargau stark betroffen ist.<br />

Das neue Gesetz regelt das<br />

Verfahren der Zielsetzung,<br />

Planung und Steuerung der<br />

Leistungen, Wirkungen und<br />

Finanzen des Kantons sowie<br />

die Führung des kantonalen<br />

Finanzhaushalts. Seit dem<br />

1. Januar 2006 werden damit<br />

die staatlichen Aufgaben in 42<br />

Aufgabenbereichen mit Wirkungs-<br />

und Leistungszielen,<br />

Globalbudgets und einem<br />

durchgängigen Controlling geführt.<br />

Das Steuerungsinstrument von<br />

Regierung und Parlament im<br />

Kanton Aargau stellt der Aufgaben-<br />

und Finanzplan (AFP)<br />

dar, der eine Planungsperiode<br />

von vier Jahren umfasst, d.h.<br />

das Budget und die Jahresziele<br />

für das Folgejahr sowie drei<br />

weitere Jahre. Der AFP wird<br />

rollend jährlich aktualisiert und<br />

stellt das Ergebnis des Planungsprozesses<br />

dar. Die Planungsprozesse,<br />

die zu den<br />

Steuerungsgrössen mit Zielwerten<br />

führen, sind daraus<br />

nicht ersichtlich. Ein Aufgabenbereich,<br />

z. B. „Berufsbildung<br />

und Mittelschule Sek II“, wird<br />

mit einer begrenzten Anzahl<br />

von Steuerungsgrössen beschrieben,<br />

mit dem Ziel, möglichst<br />

nur Zielgrössen auszuwählen,<br />

welche den Output des<br />

Systems beschreiben (z. B. das<br />

Ziel „Anzahl geförderter besonders<br />

Begabter im Sport- und<br />

Instrumentalbereich“). Neben<br />

den 42 Aufgabenbereichen<br />

gelten gemäss § 7 GAF grundsätzlich<br />

die Produktgruppe und<br />

das Produkt als weiterer Steuerungsbereich.<br />

Mit der Dreistufigkeit<br />

Aufgabenbereich – Produktgruppe<br />

– Produkt ist das<br />

aargauische System der Wirkungsorientierten<br />

Verwaltungsführung<br />

WOV im Vergleich zur<br />

bisherigen Steuerung sehr<br />

schlank: Es ist transparent,<br />

verständlich und agil.<br />

Der AFP konsolidiert die Produktgruppenpläne<br />

der nächst<br />

tieferen Stufe. Die Produktgruppen<br />

werden mit den gleichen<br />

sechs Steuerungsgrössen<br />

umschrieben und geplant wie<br />

die Aufgabenbereiche. Die<br />

Produktgruppen bestehen aus<br />

Produkten. Für die einzelnen<br />

Produkte kann es ebenfalls<br />

Aufgabenbereich Produktgruppe Produkt<br />

Berufsbildung und<br />

Mittelschule<br />

Mittelschulbildung<br />

Berufsbildung<br />

entsprechende Produktpläne<br />

geben.<br />

Um das Leistungsangebot<br />

festlegen zu können, sind Leistungen<br />

– Produkte und<br />

Dienstleistungen – notwendigerweise<br />

zu definieren, zu diskutieren<br />

und zu beschliessen.<br />

Dieser an sich triviale, tatsächlich<br />

aber elementare und strategisch<br />

weit reichende Schritt<br />

geht mit der Auslotung des<br />

Handlungsspielraums der Verwaltung<br />

einher und setzt ein<br />

Bekenntnis zum Steuerungswillen<br />

voraus. Mit der Einführung<br />

der WOV im Aargau und<br />

dem Aufbau des dreistufigen,<br />

hierarchischen Systems von<br />

Steuerungsbereichen ist diese<br />

Definition geleistet worden. Für<br />

den Aufgabenbereich Berufsbildung<br />

und Mittelschule Sek II<br />

sieht das Resultat wie folgt aus:<br />

Maturitätsausweis<br />

Diplomausweis<br />

Eidgenössisches<br />

Fähigkeitszeugnis<br />

Produkte der<br />

Berufsbildung


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 7<br />

Vom Produktgruppenplan<br />

Mittelschulbildung zum<br />

Schulplan Einzelschule<br />

In § 39 der Verordnung über<br />

die Mittelschulen wird der Rektorenkonferenz<br />

der aargauischen<br />

Mittelschulen die<br />

Aufgabe erteilt, bei der Formulierung<br />

gemeinsamer Vorgaben<br />

für den Produktgruppenplan<br />

Mittelschulbildung mitzuarbeiten.<br />

Dieser stellt das Steuerungsinstrument<br />

für alle Mittelschulen<br />

dar und ist wie oben<br />

dargestellt ein Steuerungsbereich<br />

im Aufgabenbereichsplan<br />

„Berufsbildung und Mittelschule<br />

Sek II“. Auf der Basis des Produktgruppenplans<br />

Mittelschulbildung<br />

sind die Rektorin und<br />

die Rektoren der Mittelschulen<br />

für die Erarbeitung des Produktplans<br />

für ihre Schule zuständig.<br />

Der Produktgruppenplan Mittelschulbildung<br />

bzw. die Schulpläne<br />

der Kantonsschulen sind<br />

Steuerungsinstrumente, die ab<br />

dem 1. Januar 2006 eine zielorientierte<br />

Führung durch Leistungsauftrag,<br />

Produktedefinition<br />

und Globalbudget ermöglichen.<br />

Die Voraussetzungen für<br />

den Leistungsauftrag in Form<br />

des Schulplans bzw. Produktplans<br />

Einzelschule sind folgende:<br />

Es braucht zwei Partner:<br />

Auftragnehmer (Mittelschule)<br />

und Auftraggeber (Abteilung<br />

Berufsbildung und<br />

Mittelschule)<br />

Es braucht einen Gegenstand,<br />

z. B. den gesetzlichen<br />

Auftrag. Dieser wird<br />

als Produkt bezeichnet.<br />

Es braucht den Willen zur<br />

Trennung von strategischen<br />

und operativen Aufgaben,<br />

was mit der Bildung eines<br />

Globalbudgets sichergestellt<br />

wird.<br />

Der Leistungsauftrag ist also<br />

eine Vereinbarung zwischen<br />

zwei Akteuren – der Abteilung<br />

Berufsbildung und Mittelschule<br />

und der Schule –<br />

über die Bereitstellung einer<br />

Leistung (Produkt) zu einem<br />

bestimmten vereinbarten<br />

Geldbetrag (Globalbudget).<br />

Mit dem Leistungsauftrag soll in<br />

der Führung der Mittelschulen<br />

mehr Transparenz hergestellt<br />

werden und damit verbunden<br />

die Effizienz und Effektivität<br />

gesteigert werden. Die Schulen<br />

werden künftig ergebnisorientiert<br />

gesteuert (Controlling) und<br />

sie erhalten mehr Eigenverantwortung,<br />

was zu einer Steigerung<br />

von ihrem zielorientierten<br />

Handeln führt. Somit erreicht<br />

die einzelne Schule einen hohen<br />

Grad an Teilautonomie, die<br />

unabdingbare Voraussetzung<br />

für eine moderne Führungskonzeption<br />

bildet, die von der<br />

Rektorin und den Rektoren der<br />

aargauischen Mittelschulen zu<br />

realisieren ist und durch sie<br />

verantwortet wird. Die Steuerungsnotwendigkeit<br />

der vorgesetzten<br />

Behörde beschränkt<br />

sich dabei auf das strategisch<br />

Notwendige.<br />

Im WOV-Konzept des Kantons<br />

Aargau sind die Pläne der<br />

strategischen Ebene (Produktgruppenplan<br />

Mittelschulbildung<br />

auf Stufe der Abteilung Berufsbildung<br />

und Mittelschule) und<br />

der operativen Ebene (Schulplan<br />

Einzelschule auf Stufe der<br />

Mittelschulen) gleichartig<br />

strukturiert und sie werden mit<br />

den gleichen Zielgrössen beschrieben.<br />

Ein erster Schulplan Einzelschule<br />

wird derzeit von der<br />

Rektorin und den Rektoren<br />

nach Massgabe des Produktgruppenplans<br />

Mittelschulbildung<br />

erarbeitet. Initiiert und<br />

koordiniert wurde und wird dieser<br />

Prozess durch den Produktgruppenverantwortlichen<br />

Mittelschulbildung, d. h. den<br />

Leiter der Sektion Mittelschule,<br />

nach Massgabe des Aufgabenbereichsplans<br />

„Berufsbildung<br />

und Mittelschule Sek II“. Die<br />

Vorgaben zum Steuerungsbereich<br />

und zur Umfeldentwicklung<br />

sind dabei für alle Mittelschulen<br />

identisch und richten<br />

sich nach dem Produktgruppenplan.<br />

Der rechtliche und<br />

politische Auftrag der Schule ist<br />

somit definiert. Von den Schulen<br />

individuell zu entwickeln<br />

sind der Kennzahlenteil, die<br />

Entwicklungsschwerpunkte und<br />

die Ziele inkl. Indikatoren. Hierbei<br />

sind gewisse Vorgaben für<br />

alle Schulen verbindlich, um die<br />

Kohärenz zum übergeordneten<br />

Steuerungsbereich sicherzustellen<br />

und damit verbunden<br />

ein wirksames Controlling aufbauen<br />

zu können.<br />

Neue Führungsinstrumente<br />

und neue Leitungsstrukturen<br />

Der Wandel der aargauischen<br />

Mittelschulen hin zu dezentral<br />

geführten, teilautonomen<br />

Schulen ist mit der Einführung<br />

von neuen organisatorischen<br />

und personalrechtlichen Strukturen<br />

zu einem grossen Teil<br />

und parallel zur Erarbeitung der<br />

neuen Führungsinstrumente<br />

eingeleitet worden. Mit dem<br />

Inkrafttreten des Gesetzes über<br />

die Anstellung von Lehrpersonen<br />

(GAL) und dessen Folgeerlassen<br />

per 1. Januar 2005<br />

sind wichtige Elemente auf dem<br />

Weg zur neuen Führungsmethodik<br />

und mit Vorgriff auf die<br />

Implementierung der WOV<br />

eingeführt worden.<br />

Die Rektorin und die Rektoren<br />

der aargauischen Mittelschulen<br />

verfügen heute über Kompetenzen,<br />

die zuvor dem Departement<br />

Bildung, Kultur und<br />

Sport (BKS) bzw. dem Regierungsrat<br />

vorbehalten waren. Im<br />

Auftrag der Abteilung Berufsbildung<br />

und Mittelschule nehmen<br />

die Rektorin und die Rektoren<br />

der aargauischen Mittelschulen<br />

die Stellung ein, die beim<br />

Staatspersonal der bzw. die<br />

Vorgesetzte im Auftrag der<br />

Regierung wahrnimmt: Sie<br />

sind, angestellt von der Abteilung<br />

Berufsbildung und Mittelschule,<br />

selber Anstellungsbehörde<br />

mit vollumfänglicher Entscheidkompetenz<br />

für die ihnen<br />

unterstellten Lehrpersonen.<br />

Damit ist der Übergang vom


8 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

herkömmlichen Rektorat, das<br />

kaum über Anstellungskompetenzen<br />

verfügte und wenig Autonomie<br />

in Fragen bzgl. Finanzen<br />

und Organisation ausgestattet<br />

war, hin zu einer umfassend<br />

verstandenen Schulleitung<br />

vollzogen worden, die mit<br />

entsprechender Kompetenzstärkung<br />

die operative Führung<br />

der Mittelschule übernimmt. Die<br />

neue Führungsaufgabe der<br />

Schulleitungen stellt für die<br />

Mittelschulen und das Departement<br />

BKS eine tief greifende<br />

Neuerung dar und bedeutet<br />

einen Kulturwandel. Das neue<br />

Leitungsverständnis muss,<br />

basierend auf den Vorgaben<br />

der neuen Führungsinstrumente<br />

sowie des GAL und dessen<br />

Folgeerlassen, von allen Beteiligten<br />

gemeinsam entwickelt<br />

und anerkannt werden. Für die<br />

Konkretisierung der Leitungsstrukturen<br />

gelten dabei folgende<br />

Grundsätze:<br />

Grundsatz 1:<br />

Starke Schulleitungen<br />

Die Rektorin beziehungsweise<br />

der Rektor einer Mittelschule<br />

verfügt über Kompetenzen,<br />

Entscheide zu fällen und diese<br />

durchzusetzen.<br />

Dem Rektor beziehungsweise<br />

der Rektorin einer Mittelschule<br />

obliegt die Führung des lokalen<br />

Qualitätsmanagements, die<br />

Organisation und Administration<br />

des Schulbetriebs, die Information<br />

und Kommunikation<br />

sowie die Personalführung. Er<br />

beziehungsweise sie trägt somit<br />

die Führungsverantwortung<br />

für die unterstellten Lehrpersonen<br />

sowie das Verwaltungsund<br />

Betriebspersonal. Sie beziehungsweise<br />

er legt in Absprache<br />

mit der Abteilung Berufsbildung<br />

und Mittelschule<br />

und mit Einbezug der übrigen<br />

Schulleitungsmitglieder, der<br />

Lehrpersonen sowie der Schulkommission<br />

längerfristige Ziele<br />

fest. Gemeinsam mit den übrigen<br />

Schulleitungsmitgliedern,<br />

den Lehrpersonen sowie der<br />

Schulkommission und unter<br />

geeignetem Einbezug der Studierenden<br />

und weiterer Anspruchsgruppen<br />

der Mittelschulen<br />

(z. B. Zubringer- und Abnehmerschulen,<br />

Eltern, Wirtschaft<br />

etc.) planen sie Massnahmen<br />

zur Weiterentwicklung<br />

des Unterrichts und der Schule.<br />

Grundsatz 2:<br />

Outputorientierte Steuerung<br />

Der Gestaltungsspielraum der<br />

Mittelschulen ist durch kantonale<br />

Eckwerte und verbindliche<br />

Rahmenbedingungen klar abgesteckt.<br />

Innerhalb verbindlicher Rahmenbedingungen,<br />

die durch die<br />

Kantonsverfassung, das Schulgesetz,<br />

das Mittelschuldekret<br />

und die Verordnungen im Mittelschulbereich<br />

abgesteckt<br />

sind, erhalten die kantonalen<br />

Schulen freien Gestaltungsspielraum,<br />

um sich zu profilieren.<br />

Grundlage für die Definition<br />

der Führungskompetenzen<br />

der Schulleitungen bildet neben<br />

den mit dem Inkrafttreten des<br />

GAL einhergehenden Änderungen<br />

im Personal- und Organisationsrecht<br />

die mit WOV eingeführte<br />

outputorientierte Steuerung<br />

durch die politischen<br />

Behörden. Basierend auf dem<br />

Prinzip der Subsidiarität wird<br />

den Einzelschulen mit der<br />

Kompetenzdelegation gemäss<br />

WOV operative Autonomie<br />

übertragen, die einer Vereinheitlichung<br />

der Systemsteuerung<br />

dient. Der so gewonnene<br />

erweiterte Handlungsspielraum<br />

erlaubt es den Mittelschulen,<br />

die Aufgaben und Herausforderungen<br />

effizienter, der eigenen<br />

Situation angemessener und<br />

den örtlichen Gegebenheiten<br />

angepasster zu bewältigen.<br />

Grundsatz 3: Klare Zuordnung<br />

von Aufgaben, Kompetenzen<br />

und Verantwortung<br />

Ab Zeitpunkt des Inkrafttretens<br />

des GAL und des GAF übernehmen<br />

der Grosse Rat und<br />

der Regierungsrat die politische<br />

Steuerung, das Departement<br />

BKS bzw. die Abteilung Berufsbildung<br />

und Mittelschule die<br />

betriebliche Steuerung und die<br />

Schulleitungen die betriebliche<br />

Führung der Mittelschulen.<br />

Das Departement BKS nimmt<br />

die Arbeitgeberfunktion für die<br />

Rektorin und die Rektoren der<br />

Mittelschulen ein. Das Bildungsdepartement<br />

trägt somit<br />

die politische Verantwortung für<br />

die Mittelschulen und ist Rekursinstanz.<br />

Der Rektor beziehungsweise<br />

die Rektorin ist verantwortlich<br />

für ein umfassendes Schulqualitätsmanagement.<br />

Dazu gehört,<br />

dass die Rektorin beziehungsweise<br />

der Rektor<br />

einen Referenzrahmen entwickelt<br />

beziehungsweise<br />

weiterentwickelt (z. B. ein<br />

Leitbild), Ziele und Schwerpunkte<br />

der Schulentwicklung<br />

nach Massgabe des Schulplans<br />

für alle Mittelschulen<br />

festlegt und die entsprechenden<br />

Massnahmen umsetzt<br />

und überprüft,<br />

eine Feedbackkultur aufbaut,<br />

zum Beispiel mit Hilfe<br />

von gegenseitigen Hospitationen<br />

der Lehrpersonen im<br />

Unterricht,<br />

systematisch Teilbereiche<br />

oder umfassend die lokale<br />

Schul- und Unterrichtskultur<br />

evaluiert,<br />

regelmässig Mitarbeitergespräche<br />

mit den Lehrpersonen<br />

durchführt,<br />

Qualitätsdefizite lokalisiert<br />

und bearbeitet und Erkenntnisse<br />

aus Evaluationen verbindlich<br />

umsetzt,


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 9<br />

darauf achtet, dass alle Beteiligten<br />

in den Entwicklungsprozess<br />

miteinbezogen<br />

sind.<br />

Die Schulleitungen der Mittelschulen<br />

übernehmen somit<br />

durch die neue geregelte Führung<br />

die volle Verantwortung<br />

für die Qualitätsentwicklung<br />

und -sicherung des Unterrichts<br />

vor Ort.<br />

Ausblick<br />

Es wird künftig eine wichtige<br />

Aufgabe der Verantwortlichen<br />

sein – sei es im Departement<br />

BKS oder an den Mittelschulen<br />

–, mit den Instrumenten der<br />

WOV die vorgesetzte politische<br />

Behörde in ihrem Führungsauftrag<br />

wirksam zu unterstützen<br />

und sich in einem Umfeld, in<br />

dem die Ressourcen knapper<br />

werden, selbstbewusst zu behaupten.<br />

Der Regierungsrat hat<br />

festgehalten, dass WOV kein<br />

Spar-Projekt darstellt. Ziel ist<br />

vielmehr die Erhöhung der Leistungsfähigkeit<br />

und der Steuerbarkeit<br />

des Staates. WOV<br />

schafft die Voraussetzungen<br />

dafür. Die neuen Führungsinstrumente<br />

und -systeme und<br />

das Globalbudget bzw. die<br />

Globalkredite legen die Basis<br />

für die Ausschöpfung des Optimierungspotentials.<br />

Die Informationen<br />

aus den neuen Instrumenten<br />

und Systemen und<br />

die neue Flexibilität des Handelns<br />

müssen im zukünftigen<br />

Controllingprozess umgesetzt<br />

werden. Dies erfordert eine<br />

Verhaltensänderung aller Führungskräfte<br />

bzw. Entscheidträger.<br />

Das Potential von WOV wird<br />

nicht ausgeschöpft, wenn die<br />

Führungskräfte und Entscheidträger<br />

den Controllingkreislauf<br />

nicht schliessen und<br />

aus den neuen Informationen<br />

keinen Handlungsbedarf ableiten.<br />

Die Herausforderung in der<br />

Phase nach der Einführung der<br />

neuen Führungsinstrumente<br />

besteht darin, die verfügbare<br />

Fülle an Informationen stufengerecht<br />

aufzuarbeiten und zu<br />

priorisieren.<br />

Für die Akteure im Mittelschulbereich<br />

wird es eine grosse<br />

Herausforderung sein, unter<br />

WOV und der damit verbundenen<br />

Fokussierung auf Leistungen,<br />

Wirkungen und Kunden<br />

ein neues Bewusstsein für die<br />

wichtige Aufgabe der Mittelschulbildung<br />

und die damit<br />

aufzuwendenden Finanzen zu<br />

schaffen. Für die Entscheidträger<br />

wird das WOV-<br />

Instrumentarium die dazu notwendigen<br />

Führungsinformationen<br />

zur Verfügung stellen.<br />

Die Umsetzung der WOV<br />

schafft, in Verbindung mit der<br />

Einführung des Leistungsauftrags<br />

mit Globalbudget und der<br />

damit einhergehenden Verknüpfung<br />

von Aufgaben und<br />

Finanzen, die Voraussetzung<br />

für eine ergebnisorientierte<br />

Steuerung der Institutionen<br />

(Controlling). Diese führt, flankiert<br />

durch eine Berichterstattung<br />

auf der Basis von Indikatoren,<br />

zu mehr Transparenz in<br />

der Zielerreichung und Leistungserfüllung<br />

durch die Schulen.<br />

Das über 200-jährige „Unternehmen<br />

Mittelschule Aargau“<br />

wird sich in einem zunehmend<br />

wettbewerbsorientierten Umfeld<br />

der staatlichen Leistungserbringung<br />

zu bewegen haben;<br />

es wird sich darin als lernendes<br />

System nicht zuletzt dank dem<br />

konsistenten Regelwerk der<br />

WOV und deren Methodik zu<br />

behaupten wissen und seine<br />

Qualitäten nachhaltig unter<br />

Beweis stellen.


10 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Wettbewerb und Profilierung der aargauischen<br />

Gymnasien<br />

Die Rektoren der aargauischen Gymnasien wurden vom Aargauer Mittelschullehrerinnen- und Mittelschullehrerverein<br />

(<strong>AMV</strong>) aufgefordert, eine Beschreibung des Profils der einzelnen Schule zu verfassen.<br />

Sie haben sich entschieden, gemeinsam Stellung zu nehmen, da sie sich in erster Linie dem für alle<br />

Schulen geltenden Ziel, dem uneingeschränkten Universitätszugang der Maturandinnen und Maturanden,<br />

verpflichtet fühlen.<br />

Rektorenkonferenz der aargauischen Mittelschulen<br />

1. Ausgangslage<br />

Bei der Umsetzung des Maturitätsanerkennungs-Reglements<br />

(MAR) standen im Kanton Aargau<br />

zwei Bereiche im Zentrum.<br />

Erstens wurde die Struktur<br />

der Maturitätslehrgänge überarbeitet.<br />

Ergebnis war die<br />

Gliederung der Maturitätslehrgänge<br />

in eine je zweijährige<br />

Grund- und Vertiefungsstufe.<br />

Zweitens ging es um die<br />

Schulprofile. Es wurde den<br />

Schulen überlassen, welche<br />

Vertiefungsfächer sie führen<br />

wollen. Alle Schulen entschieden<br />

sich im Grundsatz,<br />

möglichst viele Schwerpunktund<br />

Ergänzungsfächer anzubieten.<br />

Das Schwergewicht der Diskussionen<br />

in den Konsultationen und<br />

in der Vernehmlassung während<br />

der Projektphase lag klar im Bereich<br />

der Maturitätslehrgänge<br />

(Struktur inkl. Stundentafel). Die<br />

(zukünftige) Brisanz der Schulprofilfrage<br />

inklusive der Schulwahl-,<br />

Schülerzuteilungs- und<br />

Wettbewerbsproblematik wurde<br />

sowohl in der schulinternen wie<br />

auch vor allem in der politischen<br />

Diskussion wenig beachtet und<br />

unterschätzt.<br />

Gut sechs Jahre nach Einführung<br />

der aargauischen MAR-Umsetzung<br />

darf festgestellt werden,<br />

dass sich die Konzeption der<br />

zweistufigen Maturitätslehrgänge<br />

in den Augen der Schülerinnen<br />

und Schüler, der Lehrerinnen<br />

und Lehrer sowie der Schulleitungen<br />

bewährt hat. Hingegen<br />

bestehen ungelöste Fragen und<br />

folglich Handlungsbedarf im facettenreichen<br />

Bereich der Profilierung<br />

der einzelnen Schulen.<br />

Die Rektoren sind jedoch der<br />

Meinung, dass die Frage der<br />

Profilierung der Einzelschulen im<br />

Gesamtzusammenhang der Profilierung<br />

des Gymnasiums als Ort<br />

der Allgemeinbildung diskutiert<br />

werden muss. Oder anders gefragt:<br />

Setzt sich die „Marke“<br />

Gymnasium aus der Summe der<br />

Einzelschulen zusammen, oder<br />

prägt die „Marke“ Gymnasium die<br />

Einzelschule Entscheidend ist<br />

zudem die Frage, welche Organe<br />

in welchen Bereichen die Entwicklung<br />

des (schweizerischen,<br />

aargauischen) Gymnasiums beziehungsweise<br />

der (aargauischen)<br />

Gymnasien steuern.<br />

2. Die Profilierung des<br />

schweizerischen, aargauischen<br />

Gymnasiums und der<br />

Einzelschule<br />

Auf der nationalen Ebene ist mit<br />

der vierjährigen Dauer des Maturitätslehrgangs<br />

ein wesentliches<br />

strukturelles Element weitgehend<br />

harmonisiert. Im Bereich des<br />

Angebots gibt das MAR Bandbreiten<br />

für die verschiedenen<br />

Lern- und Wahlbereiche vor.<br />

Dazu werden ein Fächerkatalog,<br />

eine Maturitätsarbeit sowie die<br />

Prüfungsfächer definiert. Die<br />

momentan laufende „kleine“ Revision<br />

des MAR bezieht sich vor<br />

allem auf die Bestehensnormen<br />

der Matur.<br />

Bei der aargauischen Umsetzung<br />

des MAR hatte die Profilierung<br />

des Gymnasiums Aargau im<br />

Bereich des Angebots eindeutig<br />

Priorität vor der Profilierung der<br />

Einzelschule. Die im eidgenössischen<br />

MAR angelegten Möglichkeiten<br />

wurden vor allem mit einer<br />

gemeinsamen (Semester-) Stundentafel<br />

auf kantonaler Ebene<br />

ausgeschöpft beziehungsweise<br />

eingeschränkt. Zusammen mit<br />

dem praktisch identischen Angebot<br />

im Bereich der Vertiefungsfächer<br />

hat die aargauische Umsetzung<br />

des MAR zu einer weitgehenden<br />

Angleichung des Angebots<br />

der Einzelschulen geführt.<br />

Die unterschiedlichen Angebote<br />

im Bereich der Freifächer machen<br />

einen Bruchteil des Gesamtangebots<br />

aus. Tiefere Rillen<br />

im Angebotsprofil der Einzelschulen<br />

sind zum Beispiel bei der<br />

Immersion auf Französisch, der<br />

Laptop-Abteilung, der Abteilung<br />

Informatik & Kommunikation und<br />

der Abteilung Nawimat festzustellen.<br />

Eine ausdrückliche Angebotsprofilierung<br />

liegt nur bei<br />

der Sportabteilung vor.<br />

Die einzelnen Schulen unterscheiden<br />

sich demnach vor allem<br />

durch ihre Lage, die Gebäude,<br />

die Infrastruktur, die Grösse sowie<br />

durch die „weichen“ Faktoren<br />

wie Schulleben (Spezialwochen,<br />

Anlässe), Schulkultur (methodisch-didaktische<br />

Schwerpunkte,<br />

Schulklima) oder das Verhältnis<br />

von Beständigkeit und Innovation.<br />

Die (Angebots-)Profilierung des<br />

Gymnasiums Aargau soll grundsätzlich<br />

auch weiterhin Priorität<br />

vor der Profilierung der Einzelschulen<br />

haben, vor allem in der<br />

aktuellen Situation der kantonalen<br />

Schulstrukturreform und im<br />

Hinblick auf die nach wie vor


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 11<br />

nicht ausreichend definierte Positionierung<br />

des Gymnasiums<br />

innerhalb der Sekundarstufe II.<br />

Die gemeinsamen Interessen auf<br />

der Ebene des Gymnasiums<br />

Aargau bleiben wichtiger als<br />

diejenigen der Einzelschule.<br />

Empirische Untersuchungen zur<br />

Frage von Schulqualität zeigen,<br />

dass die „weichen“ Faktoren, die<br />

das „innere“ Profil einer Schule<br />

bilden, einen wesentlichen Beitrag<br />

zum Lernerfolg leisten. Diese<br />

Bereiche der Schulentwicklung<br />

müssen vor Ort gesteuert<br />

werden.<br />

Die Profilierung des Gymnasiums<br />

Aargau, insbesondere auch verstanden<br />

als notwendige kontinuierliche<br />

Weiterentwicklung des<br />

bestehenden (erfolgreichen) Profils,<br />

wird zu einem wichtigen Teil<br />

geprägt und gefördert durch Innovationen<br />

der Einzelschulen.<br />

Diese Innovationen können bereits<br />

heute im Rahmen der bestehenden<br />

Möglichkeiten umgesetzt<br />

werden. Es ist jedoch<br />

wünschbar, dass die kantonalen<br />

Rahmenvorgaben gezielt flexibilisiert<br />

werden.<br />

3. Profilierung, Wettbewerb<br />

und Schulwahl<br />

Profilierungen von Einzelschulen<br />

orientieren sich am Ziel der Sicherung<br />

und Steigerung der Bildungs-<br />

und Ausbildungsqualität<br />

im Gymnasium unter optimalem<br />

Einsatz der zur Verfügung stehenden<br />

Ressourcen. Sie sind<br />

nicht Selbstzweck und erfolgen<br />

auch nicht im Hinblick auf eine<br />

Steigerung der Schülerzahl an<br />

einer Einzelschule ohne Rücksicht<br />

auf Lernerfolg und Qualität<br />

des Maturitätsabschlusses.<br />

Durch den Wegfall der Typen<br />

verschob sich die Anmeldezahl<br />

an den einzelnen Schulen zum<br />

Teil gravierend. Der Schülerrückgang<br />

in den letzten Jahren<br />

akzentuierte das Problem der<br />

Anmeldezahlen. Deshalb wurde<br />

von den Schulen versucht, über<br />

Angebote in peripheren Bereichen<br />

im Sinn einer Attraktivitätssteigerung<br />

eine grössere Zahl<br />

von Anmeldungen zu erreichen.<br />

Profilierung darf jedoch nicht<br />

gleichgesetzt werden mit dem<br />

Wettbewerb zwischen den<br />

Schulen, das heisst mit dem<br />

Kampf um Anteile auf dem<br />

Schülermarkt. Die Wettbewerbsproblematik<br />

unter den Einzelschulen<br />

ist nicht gelöst und kann<br />

nicht im Rahmen der Profilierung<br />

gelöst werden.<br />

Das Verhältnis zwischen Schulwahl<br />

der Schülerinnen und<br />

Schüler und den schulorganisatorischen<br />

Möglichkeiten der aargauischen<br />

Gymnasien ist noch<br />

nicht ausdiskutiert. Die Profilierung<br />

darf im Regelfall nicht dazu<br />

führen, dass die Unterschiede<br />

der Bildungsgänge derart gross<br />

werden, dass eine Umteilung aus<br />

schulorganisatorischen Gründen<br />

nicht möglich wäre. Das heisst,<br />

dass zwar der Wunsch für eine<br />

bestimmte Kantonsschule angegeben<br />

werden kann, dass jedoch<br />

eine Umteilung möglich sein<br />

muss, oder, in anderen Worten,<br />

die Anmeldung erfolgt in der<br />

Regel an das Gymnasium Aargau<br />

und, als Wunsch, an eine<br />

Einzelschule.<br />

Solange am uneingeschränkten<br />

Universitätszugang festgehalten<br />

wird, können die Unterschiede im<br />

Angebot nicht zu gross werden.<br />

Unter dieser Perspektive kann<br />

diskutiert werden, ob die Identität<br />

des Gymnasiums Aargau in erster<br />

Linie durch die Summe der<br />

Identitäten der Einzelschulen<br />

abgebildet wird. Aus der Sicht<br />

der (zukünftigen) Schülerinnen<br />

und Schüler ist entscheidend,<br />

dass im Kanton Aargau ein qualitativ<br />

hochstehendes gymnasiales<br />

Angebot besteht, das gute<br />

Ausgangsbedingungen für ein<br />

Universitätsstudium bietet. Die<br />

Identität der Einzelschule bietet<br />

dafür gute Voraussetzungen, ist<br />

aber für die Qualität nicht hinreichend.<br />

Andere Faktoren wie zum<br />

Beispiel die Eingangsvoraussetzungen<br />

der Schülerinnen und<br />

Schüler sind ebenso entscheidend.<br />

4. Profilierungsbereiche für<br />

die Einzelschule<br />

Die Rektoren sehen in den folgenden<br />

Bereichen, die in den<br />

Kompetenzbereich der Einzelschule<br />

gehören, Profilierungsmöglichkeiten.<br />

Wir unterscheiden<br />

dabei drei Bereiche der Schulentwicklung<br />

sowie das Qualitätsmanagement<br />

als übergeordneten<br />

Bereich:<br />

Organisationsentwicklung<br />

- Schulprogramm<br />

- Schulorganisation (Konferenzen,<br />

Fachschaften, Mitwirkung<br />

des Kollegiums)<br />

- Einsatz der finanziellen Ressourcen<br />

im Rahmen des<br />

WOV-Budgets und des globalen<br />

Stundenpools<br />

- Schulentwicklungs-, Innovationskultur<br />

- Kulturelle, sportliche Schulanlässe<br />

etc.<br />

Unterrichtsentwicklung<br />

- Partielle Stundentafelautonomie<br />

mit einheitlich festgelegter<br />

Gesamtzahl der obligatorischen<br />

Wochenlektionen für<br />

die vierjährigen Maturitätslehrgänge<br />

mit Beibehaltung<br />

der Struktur 2/2<br />

- Pflichtwahlfachangebot innerhalb<br />

der eidgenössischen und<br />

kantonalen Rahmenvorgaben<br />

- Freifachangebot<br />

- Erweiterte Unterrichts- und<br />

Lernformen (z.B. Methodentraining)<br />

- Unterrichtsorganisation<br />

(Stundenplanstruktur, Spezialwochen<br />

u.ä.)<br />

Personalentwicklung<br />

- Mitarbeitergespräche gemäss<br />

GAL und Folgeerlassen<br />

- Mentoratswesen<br />

- Umgang mit gravierenden<br />

Qualitätsdefiziten<br />

Qualitätsmanagement<br />

- Interne Evaluation (z.B. Datenfeedback<br />

mit Abschlussklassen)<br />

- Externe Evaluation (z.B. Projekt<br />

NW-EDK, Benchmarking)


12 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Die Aufstellung zeigt, dass das<br />

Angebot einer Schule, das in der<br />

Diskussion um die Profilierung<br />

meistens im Vordergrund steht,<br />

nur einen, wenn auch auffälligen<br />

Bereich darstellt. Die anderen<br />

Profilierungsbereiche sind jedoch<br />

für die Schulentwicklung und<br />

-qualität nicht weniger wichtig.<br />

Eine sinnvolle Vielfalt ist mit den<br />

vorhandenen oder zu schaffenden<br />

schulischen Gestaltungsspielräumen<br />

in den genannten<br />

Bereichen möglich, ohne dass<br />

die durch die vorhandenen Rahmenvorgaben<br />

und das gemeinsame<br />

Ziel geforderte Einheit<br />

gefährdet wird.<br />

5. Ausblick: Welche Probleme<br />

müssen gelöst werden<br />

Ein Problemkreis betrifft die<br />

kantonalen (Rahmen-)Vorgaben.<br />

Es müssen diejenigen Bereiche<br />

genannt werden, in denen die<br />

Vorgaben geändert werden müssen.<br />

Dazu können zum Beispiel<br />

die Stundentafel und der kantonale<br />

Fächerkatalog gehören. Im<br />

Weiteren müssten die Änderungen<br />

in diesen Bereichen ausgearbeitet<br />

und umgesetzt werden.<br />

Zudem müssen die Kompetenzen<br />

im Bereich der Steuerung<br />

der Angebotsprofilierung zwischen<br />

den einzelnen beteiligten<br />

Organen (Abteilung Berufsbildung<br />

und Mittelschule, Rektorenkonferenz,<br />

Schulleitungen /<br />

Schulen) geklärt werden.<br />

Die Zusammenarbeit der beiden<br />

Schulen in Aarau und derjenigen<br />

in Baden/Wettingen wird durch je<br />

spezifische Kooperationsvereinbarungen<br />

gesichert und weiterentwickelt.<br />

Ziel dieser Zusammenarbeit<br />

ist die Erhaltung und<br />

Optimierung der Bildungsqualität<br />

und der Angebotsvielfalt im Interesse<br />

der Studierenden an diesen<br />

Schulen. Inhalte dieser Vereinbarungen<br />

sind zum Beispiel<br />

die Durchführung der Vertiefungsfächer<br />

und die Koordination<br />

von Spezialwochen.<br />

Der sinnvolle qualitätsorientierte<br />

Wettbewerb zwischen profilierten<br />

Einzelschulen muss unbelastet<br />

von der Möglichkeit oder gar der<br />

Pflicht spielen können, zu Ungunsten<br />

von Partnerschulen die<br />

Schülerzahl an der eigenen<br />

Schule zu steigern. In Berücksichtigung<br />

verschiedener Kriterien<br />

muss für jede Schule eine<br />

sinnvolle Richtgrösse festgelegt<br />

werden. Neben der Schulwahl<br />

durch die Studierenden (u.a.<br />

beeinflusst von den Schulprofilen)<br />

sollen diese Grössen Grundlage<br />

für die Schülerzuteilung an<br />

die Schulen durch das Departement<br />

sein. Die Bezeichnung von<br />

(provisorischen) Zuteilungsrayons<br />

soll als Möglichkeit in Betracht<br />

gezogen werden.<br />

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<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 13<br />

Eine Aufgabe für viele: Die eigene Schule profilieren<br />

Dr. Gerhard W. Schnaitmann<br />

Referent für pädagogische Grundfragen, Schulentwicklung, Evaluation und empirische Bildungsforschung<br />

am Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart und Privatdozent für Schulpädagogik an der<br />

Universität Heidelberg<br />

Abdruck aus: Klett ThemenDienst Schule • Wissen • Bildung / Nr. 18 (4/2003) www.klett-themendienst.de<br />

Schulentwicklung – eine Chance<br />

Die Diskussion um den Erfolg von Schule und die Verantwortung der Lehrenden für ihren Unterricht hat in<br />

Deutschland seit Bekanntgabe der PISA-Ergebnisse im Dezember 2001 in der Bildungspolitik, in Wirtschaftskreisen,<br />

in Eltern- und Lehrerverbänden etc. höchste Bedeutung. Die Begriffe Schulprofilierung<br />

und -entwicklung, die bereits seit Ende der 1990er-Jahre zu den Leitbegriffen der Schul- und Bildungspolitik<br />

gehören, sind dadurch aktueller und populärer denn je geworden.<br />

Dr. Gerhard W. Schnaitmann, als Referent des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht Stuttgart u. a.<br />

für Schulentwicklung zuständig, fasst zusammen, wie Schulen sich besser profilieren sollen und Lernen<br />

dadurch mehr Freude machen kann.<br />

Für die Schule und den Unterricht<br />

genügt es heute nicht mehr,<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

über eine neue, innovative Lernkultur<br />

zu vermitteln und darauf zu<br />

hoffen, dass sie sich in der Praxis<br />

umsetzen lassen. Vielmehr ist<br />

im Rahmen von Schulentwicklung<br />

eine Auseinandersetzung<br />

über die grundlegenden Vorstellungen<br />

der Entwicklungen erforderlich,<br />

die an einer Schule vollzogen<br />

werden sollen.<br />

Das Problem ist, dass Lehrerinnen<br />

und Lehrer im metakommunikativen<br />

Reflektieren ihrer Tätigkeit<br />

auf Grund ihrer hauptsächlich<br />

auf die praktische Arbeit im<br />

Klassenzimmer fokussierten<br />

Tätigkeit wenig Übung und Erfahrung<br />

haben. Schulentwicklung,<br />

die zur Verbesserung des Unterrichts<br />

beitragen soll, muss deshalb<br />

bei den praktischen Erfahrungen<br />

der Lehrenden ansetzen,<br />

aber auch deren Bewusstmachung<br />

und Artikulation zur gemeinsamen<br />

Reflexion ermöglichen<br />

und – was wohl am schwierigsten<br />

ist – diese für Veränderung<br />

in der Praxis zugänglich<br />

machen.<br />

Profilbildung von oben<br />

verordnet<br />

In einigen Bundesländern (Hamburg,<br />

Hessen, Nordrhein-<br />

Westfalen) wurde die Profilbildung<br />

durch die Entwicklung von<br />

Schulprojekten und Schulprogrammen<br />

regelrecht verordnet. In<br />

einem obligatorischen Schulprogramm<br />

oder -projekt, das jede<br />

einzelne Schule für sich bestimmen<br />

kann, soll in einer ganzheitlichen<br />

Konzeption die spezifische<br />

pädagogische Zielsetzung der<br />

jeweiligen Bildungsstätte als<br />

Ergebnis einer Reflexion der<br />

Richtlinien- und Lehrplanvorgaben<br />

stehen.<br />

Als Resultat der kontinuierlichen<br />

Arbeit am Schulprogramm kristallisiert<br />

sich das Profil einer<br />

Schule heraus. Inzwischen haben<br />

die Profilbildungen von Einzelschulen<br />

in Form von Schulprojekten<br />

einen anderen, vorrangig<br />

pädagogischen Stellenwert<br />

erfahren. Dies wurde bedingt<br />

durch das verstärkte Bedürfnis,<br />

nicht nur zufällige Standortvoroder<br />

-nachteile dem Schulprofil<br />

zurechnen zu lassen, sondern<br />

die Profilbildung einer Schule, die<br />

Schulentwicklung der Einzelschule,<br />

aktiv gemeinsam zu planen<br />

und zu gestalten und damit<br />

die pädagogische Wirkungskraft<br />

der Einzelschule zu verstärken.<br />

Durch die Neugestaltung des<br />

Steuerungssystems (statt Hierarchie,<br />

Weisungen und Genehmigungen<br />

stehen Unterstützung,<br />

Beratung und Überzeugung im<br />

Vordergrund) sollen und werden<br />

Profilbildungen und Schulentwicklungsprojekte<br />

durch die<br />

Schulaufsicht und Schulverwaltung<br />

angeregt. Vergleiche des<br />

Angebots und der Leistungsfähigkeit<br />

der Einzelschule sollen es<br />

möglich machen, Qualität und<br />

Akzeptanz eines schulischen<br />

Angebots festzustellen und zu<br />

erhöhen sowie Impulse für einen<br />

Wettbewerb um kontinuierliche<br />

Qualitätsverbesserung und efifektiven<br />

Ressourceneinsatz zu<br />

geben.<br />

Baden-Württemberg reformiert<br />

von innen<br />

In Baden-Württemberg wurde im<br />

Hinblick auf Schulentwicklung<br />

und Schulprogramme ein anderer<br />

Weg beschritten. Dort gab es<br />

im Vergleich zu den oben genannten<br />

Bundesländern keine<br />

Verordnung „von oben“, Schulprojekte<br />

und Schulprogramme zu<br />

entwickeln. Hier wurde 1995<br />

durch einen Aufruf bei einem<br />

Workshop „Schulen brechen auf“<br />

das Interesse der Schulen geweckt,<br />

sich „von innen heraus“<br />

weiterzuentwickeln. Dieser Prozess<br />

der Weiterentwicklung aus<br />

dem „Innern“ einer Schule selbst<br />

geschah im Idealfall unter Beteiligung<br />

aller sich im Schulleben<br />

befindenden Gruppen – Schulleitung,<br />

Lehrerkollegium, Schüler-


14 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

schaft, Eltern und aller Bediensteten<br />

einer Schule.<br />

Die Kräfte, die eine Schulentwicklung<br />

tragen und vorantreiben<br />

können, sind immer vorhanden:<br />

Sie müssen nur geweckt, gestützt<br />

und in ihrer Arbeit gestärkt<br />

werden. Dabei sollen schulische<br />

Arbeit und Bildungspolitik stärker<br />

von den tatsächlichen Lebenslagen,<br />

den Erfahrungsräumen der<br />

Kinder und Jugendlichen ausgehen<br />

als von institutionellen, erziehungswissenschaftlichen<br />

und<br />

bildungspolitischen Interessen.<br />

Kinder und Jugendliche, die<br />

heute zur Schule gehen, müssen<br />

morgen in einer veränderten Welt<br />

bestehen. Sie müssen in Schule<br />

und Familie die Fähigkeit entwickeln,<br />

den gesellschaftlichen<br />

Wandel verantwortlich mitzugestalten<br />

und mitzutragen. Die<br />

Schule braucht Partner, die ihr<br />

bei der schwierigen Aufgabe<br />

helfen, zu grösserer schulindividueller<br />

Selbstständigkeit zu gelangen.<br />

Dazu bedarf es auch<br />

einer in ihren Zielen, Inhalten und<br />

Arbeitsweisen veränderten schulischen<br />

Bildung: Offenheit für<br />

unterschiedliche Lebens- und<br />

Arbeitssituationen, Sicherheit im<br />

Durchschauen von Zusammenhängen,<br />

in der Urteilsbildung und<br />

in der Wertorientierung sind zentrale<br />

Grundbefähigungen; die<br />

Kompetenz zu lebenslangem<br />

Lernen wird zu einem entscheidenden<br />

Bildungsziel.<br />

Immer mehr Kollegien gelangten<br />

durch diese Initiative zu der Einsicht,<br />

dass die Schulkultur zum<br />

Nutzen von Lehrenden, Eltern<br />

und Schülern gemeinsam weiterentwickelt<br />

werden muss. Zu Beginn<br />

waren es in Baden-<br />

Württemberg rund 100 Schulen,<br />

die dem Kultusministerium gegenüber<br />

Entwicklungsbereitschaft<br />

und –interesse bekundeten.<br />

Inzwischen haben etwa 450<br />

Schulen, das sind rund 10 Prozent<br />

der badenwürttembergischen<br />

Schulen, Dokumentationen<br />

zu innovativen Schulprojekten<br />

und zur Schulreform und<br />

Schulentwicklung an das Landesinstitut<br />

für Erziehung und<br />

Unterricht nach Stuttgart gesandt<br />

(www.leu.bw.schule.de/ise).<br />

Die Themen der innovativen<br />

Schulprojekte werden nach vier<br />

Handlungsfeldern bzw. drei<br />

Strukturmerkmalen systematisiert<br />

und in einer Datenbank dokumentiert.<br />

Im Vordergrund der<br />

Inneren Schulentwicklung in Baden-Württemberg<br />

steht nach wie<br />

vor die Entwicklung des Unterrichts,<br />

der insbesondere den<br />

Anforderungen einer sich verändernden<br />

Gesellschaft Rechnung<br />

tragen soll. Dieses Interesse<br />

steht in Verbindung mit dem<br />

ersten Handlungsfeld: neue<br />

Erziehungs- und Unterrichtsformen.<br />

Hier handelt es sich<br />

konkret um themenorientiertes<br />

Arbeiten über Fächergrenzen<br />

hinweg (fächerverbindendes<br />

bzw. fächerübergreifendes<br />

Lernen), um neue<br />

an Sachnotwendigkeiten orientierte<br />

Unterrichtseinheiten,<br />

um eine Erweiterung des Fächerkanons<br />

auf neue Unterrichtsbereiche<br />

sowie um die<br />

Verstärkung von Gruppenarbeiten<br />

und Individualarbeiten<br />

über einen längeren Zeitraum<br />

hinweg. Nicht nur an Grundschulen,<br />

sondern auch an<br />

weiterführenden Schulen bis<br />

hin zum Gymnasium wird mit<br />

Freiarbeit, Offenem Unterricht<br />

oder Formen der Montessori-<br />

Pädagogik gearbeitet. Letztlich<br />

geht es um kompetenten,<br />

fachlich fundierten Unterricht<br />

und um eine ebenso kompetente<br />

methodische Gestaltung<br />

des Unterrichts. Die Schüler<br />

sollen zu einem teamorientierten<br />

und eigenverantwortlichen,<br />

autonomen Lern- und<br />

Arbeitsverhalten angeleitet<br />

und hingeführt werden. Persönlichkeitsentwicklung<br />

steht<br />

gleichrangig neben der Informationsvermittlung<br />

im Zentrum<br />

des Unterrichts.<br />

Im zweiten Handlungsfeld<br />

geht es um die Verstärkung<br />

der Mitverantwortung von Eltern<br />

und Schülern am Schulleben<br />

durch intensivere Formen<br />

der Mitwirkung, z. B.<br />

durch Veränderungen bei den<br />

Klassenpflegschaften oder<br />

durch die Öffnung der Schule<br />

über den Unterrichts- und Arbeitsgemeinschaftsbereich<br />

hinaus.<br />

Das dritte Handlungsfeld betrifft<br />

die Öffnung von Schule in<br />

ihr Umfeld. Insbesondere im<br />

Hinblick auf die Berufs- und<br />

Arbeitswelt geht es um die<br />

Einbeziehung relevanter Institutionen<br />

sowie um die Ausschöpfung<br />

aller vor Ort bestehenden<br />

Möglichkeiten (gemeindenahe<br />

Projekte, Kooperation<br />

mit städtischen Einrichtungen).<br />

Zu diesem<br />

Handlungsfeld zählt auch eine<br />

intensivere Kooperation zwischen<br />

Schule und ausserschulischer<br />

Jugendarbeit, den<br />

Kirchen, den karitativen, medizinischen<br />

und therapeutischen<br />

Einrichtungen, sozialen<br />

und Umweltprojekten sowie<br />

anderen Bildungsträgern,<br />

Fördervereinen und Sportvereinen.<br />

Das vierte Handlungsfeld betrifft<br />

die Verbesserung der<br />

Kommunikation in der Schule<br />

bzw. Verfahren der Organisationsentwicklung.<br />

Hier können<br />

gemeinsam „Regeln für das<br />

Zusammenleben“ (man<br />

spricht auch von „Pädagogischer<br />

Schulverfassung“) aufgestellt,<br />

die Stärkung der Eigenverantwortung<br />

und –<br />

durch verbesserte Kommunikationsstrukturen<br />

– Einstellungen<br />

und Werthaltungen im<br />

Umgang miteinander eingeübt<br />

werden. Dies schliesst auch<br />

die Entscheidungsstrukturen<br />

und Verwaltungsabläufe und<br />

damit auch die Berührung mit<br />

den Schulverwaltungsorganisationen<br />

mit ein. Für die<br />

Schulaufsicht hat dies zur<br />

Folge, dass sie die Schwerpunkte<br />

ihres Handelns auf ein<br />

beratend steuerndes Unterstützen<br />

und Fördern hin verändern<br />

muss.<br />

Die folgenden drei Strukturmerkmale<br />

sind grundlegend für<br />

die Weiterentwicklung der Inneren<br />

Schulentwicklung (ISE) zur


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 15<br />

Schulentwicklung in der Praxis<br />

(SEP) in Baden-Württemberg<br />

und zugleich Ausgangspunkt der<br />

neuen Dokumentation der Schulprojekte<br />

für die Datenbank zu<br />

Schulentwicklungsprojekten<br />

(www.leu.bw.schule.de/sep).<br />

Unterrichtsentwicklung als zentraler<br />

Bereich der Schulentwicklung<br />

meint Initiativen zur Veränderung<br />

des Unterrichts zum<br />

Zweck der Optimierung (im Hinblick<br />

auf Erfolg, Effizienz, aber<br />

auch in Bezug auf Motivation und<br />

Interesse, des Lehrens und Lernens).<br />

Mit Personalentwicklung<br />

ist die individuelle Ebene der<br />

Organisation Schule gemeint.<br />

Organisationsentwicklung wird<br />

verstanden als ein längerfristig<br />

angelegter Entwicklungs- und<br />

Veränderungsprozess, der auf<br />

dem Lernen aller durch direkte<br />

Mitwirkung und praktische Erfahrung<br />

an Problemlösungs- und<br />

Erneuerungsprozessen beruht.<br />

Die Veränderung kann resultieren<br />

in neuen Strukturen, neuen<br />

Funktionsverteilungen, neuen<br />

Aufgabenbereichen, Führungsstilen<br />

und -techniken und in einer<br />

neuen Kommunikations- und<br />

Konferenzkultur.<br />

Auch Kritiker gehören ins<br />

Vorbereitungsteam<br />

Die Impulse zur Schulentwicklung<br />

kamen und kommen von<br />

den Schulleitern, aus dem Kollegium,<br />

zum Teil auch von aussen.<br />

Ein Kollegium, das selbst eine<br />

Weiterentwicklung wünscht, identifiziert<br />

sich mit dem Vorhaben<br />

besonders stark. Von aussen<br />

kamen Initiativen für Schulentwicklung<br />

von den Pädagogischen<br />

Fach- und Schulentwicklungsberatern,<br />

die es an allen<br />

Oberschulämtern in Baden-<br />

Württemberg gibt, und von universitären<br />

Institutionen.<br />

Die Entwicklungsarbeit kommt<br />

dort besonders gut in Gang, wo<br />

sie ein repräsentativ zusammengesetztes<br />

Vorbereitungsteam<br />

bildet. Diesem Team gehören<br />

nicht nur Befürworter, sondern<br />

auch Skeptiker der Schulentwicklung<br />

an. Eltern und Schüler<br />

werden bisher zu selten einbezogen.<br />

Bei Themen, in denen vor allem<br />

die Kommunikation und Kooperation<br />

im Fokus der Entwicklung<br />

stehen, ist dies verständlich. Es<br />

gibt jedoch Entwicklungsthemen<br />

(wie z. B. Schulprogramm, Lernen<br />

lernen, Prävention von Gewalt<br />

und Aggression), mit denen<br />

sich die ganze Schule befassen<br />

muss. Hier liegt es nahe, in enger<br />

Zusammenarbeit mit Eltern<br />

und Schülern Ist- und Sollanalysen<br />

(sog. Stärke-Schwäche-<br />

Analysen der pädagogischen<br />

Arbeit an einer Schule) durchzuführen<br />

sowie weiterführende<br />

Massnahmen zu planen und<br />

umzusetzen. Ein solches Entwicklungsmodell,<br />

das auch von<br />

den Eltern und Schülern mitgetragen<br />

wird, verspricht mehr<br />

Wirksamkeit, erfordert aber einen<br />

höheren Organisations- und Arbeitsaufwand.


16 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Bildung und Wettbewerb<br />

Christian Aeberli<br />

Bis Ende 2005 Bildungsexperte von Avenir Suisse, seit 1.1.2006 Chef Abt. Volksschule BKS<br />

Abdruck aus: Grünenfelder, Peter; Oelkers, Jürgen et al. (Hrsg.), Reformen und Bildung, Erneuerung aus<br />

Verantwortung, Festschrift für Ernst Buschor, Zürich Juni 2003: Verlag Neue Zürcher Zeitung<br />

Zusammenfassung Kap. 1-3 (kursiv) von M. Langmeier<br />

Das liberale Ideal einer Volksschulbildung<br />

für alle setzte sich<br />

in der Schweiz in der zweiten<br />

Hälfte des 19. Jahrhunderts mit<br />

der Verankerung der obligatorischen<br />

und unentgeltlichen Primarschule<br />

in der Bundesverfassung<br />

1874 durch. Religion,<br />

Rechnen, Lesen, Schreiben und<br />

Realien wurden unterrichtet.<br />

Verschiedene Bemühungen zur<br />

zentralen staatlichen Kontrolle<br />

der Schulen scheiterten, das<br />

föderalistische Schulsystem festigte<br />

sich. Immerhin gab es so<br />

genannte "Rekrutenprüfungen",<br />

um zu "wissen, wie es um unsere<br />

Volksbildung steht", und deren<br />

Ergebnisse wurden als viel beachtete<br />

Kantonsrangliste publiziert.<br />

Die Rekrutenprüfung wurde<br />

beim Ausbruch des 1. Weltkrieges<br />

abgeschafft, nicht aber die<br />

Differenzen zwischen den Kantonen...<br />

Bis in die neunziger Jahre des<br />

20. Jahrhunderts blieben Struktur<br />

und Organisation der Schweizer<br />

Bildungslandschaft weitgehend<br />

beständig. Die Reformdiskussionen<br />

Ende sechziger Anfang<br />

siebziger Jahre in Deutschland<br />

und England führten zu einigen<br />

Schulversuchen auf der Sekundarstufe<br />

I. In den achtziger Jahren<br />

führten viele Kantone neue<br />

Lehrpläne ein, und der Unterrichtsbeginn<br />

in einer ersten<br />

Fremdsprache wurde in die fünfte<br />

Klasse vorverlegt.<br />

Die einzelnen Schulen wurden<br />

somit rund alle zehn Jahre mit<br />

grösseren äusseren Veränderungen<br />

konfrontiert.<br />

An den gymnasialen Ausbildungsstätten<br />

herrschte weitgehend<br />

Beschaulichkeit. Eine der<br />

grössten Veränderungen geschah<br />

zu Beginn der neunziger<br />

Jahre, wo mehrere Kantone den<br />

Schulbeginn auf den September<br />

festlegten. Dadurch verschob<br />

sich die Maturitätsprüfung um<br />

einige Monate. Auch im Zuge der<br />

jüngsten Reformen wurden die<br />

im 19. Jahrhundert wurzelnden<br />

Grundprinzipien des Gymnasiums<br />

kaum verändert. Lähmend<br />

für die Entwicklung des Gymnasiums<br />

war vor allem der Umstand,<br />

dass die Dichotomie von<br />

Schule und Leben im Kern nie<br />

berührt wurde. Zweifel an den<br />

Grundfesten des Gymnasiums<br />

scheinen bis heute mit einem<br />

Tabu belegt zu sein.<br />

Etwas dynamischer verlief die<br />

Entwicklung an den Berufsschulen.<br />

Hier galt es, Berufsbilder und<br />

-gruppen den wirtschaftlichen<br />

Bedingungen anzupassen.<br />

Gleichzeitig wurde in den Berufsschulen<br />

der Förderung von Sozial-<br />

und Methodenkompetenzen<br />

grössere Beachtung geschenkt.<br />

Mit der Einführung der Berufsmaturität<br />

wurde zudem der Weg<br />

zur Fachhochschule massgeblich<br />

verbreitert.<br />

An den Universitäten veränderte<br />

sich ausser den steigenden Zahlen<br />

Studierender bis vor kurzem<br />

gar nichts.<br />

Der Übergang von den achtziger<br />

in die neunziger Jahre schaffte<br />

mit der informations- und kommunikationstechnischen<br />

Revolution<br />

und dem Zusammenbruch<br />

des kommunistischen Systems<br />

die Voraussetzungen für eine<br />

Internationalisierung von Märkten<br />

und Unternehmensaktivitäten.<br />

Die weltweite Ausbreitung des<br />

marktwirtschaftlichen Modells<br />

prägte die Globalisierung, die<br />

auch die Schweiz und ihre Bildungslandschaft<br />

"durchschüttelte".<br />

Politik und Verwaltung diskutierten<br />

Modelle des New-Public-<br />

Management (NPM), ein Teil der<br />

Öffentlichkeit forderte Englisch<br />

und Computer im Kindergarten,<br />

und die Hochschulen sahen sich<br />

plötzlich in einem internationalen<br />

Wettbewerb stehen. Charakteristisch<br />

für die Globalisierung war<br />

auch eine Beschleunigung der<br />

Prozesse und Entscheidungen.<br />

Sie löste eine grosse Dynamik im<br />

Bildungswesen und eine grosse<br />

Zahl von Aktivitäten, Schulversuchen<br />

und Reformvorschlägen<br />

aus.<br />

Vehementer Verfechter der<br />

NPM-Philosophie war der damals<br />

neue Zürcher Erziehungsdirektor<br />

Buschor. Die Ideen des New<br />

Public Management (NPM) führten<br />

zur Übertragung von mehr<br />

Autonomie an die Schulen, neue<br />

Leitungsstrukturen wurden entwickelt.<br />

Im Gegenzug wurde von<br />

den Schulen eine Rechenschaftslegung<br />

über ihre Leistungen<br />

und Wirkungen verlangt. Es<br />

wurden deshalb auch neue Verfahren<br />

und Instrumente zur internen<br />

und externen Evaluation von<br />

Schulen geschaffen.<br />

Erstmals in der Schweiz wurden<br />

im Kanton Zürich systematische<br />

Schulleistungsuntersuchungen<br />

durchgeführt. Damit sollten die<br />

Wirkung der Schule mit den Zielen<br />

verglichen und Wirkungszusammenhänge<br />

erkannt werden,<br />

um die Qualität der Schulen erhalten<br />

und fördern zu können. 1<br />

Druck der Eltern, Forderungen<br />

der Gesellschaft sowie die Glo-


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 17<br />

balisierung gaben den Anstoss<br />

zur Modernisierung mit Elementen<br />

wie z.B. Frühenglisch, 2 Computer<br />

an den Schulen, Blockzeiten<br />

und Tagesstrukturen. 3<br />

Im Hochschulbereich stellten das<br />

Bundesgesetz über die Fachhochschulen<br />

von 1995 und die<br />

Deklaration von Bologna von<br />

1999 die Schweiz vor neue forschungs-<br />

und bildungspolitische<br />

Aufgaben und führten zu neuen<br />

Konkurrenzsituationen.<br />

Die internationale Leistungsuntersuchung<br />

PISA 2000 4 schliesslich,<br />

bei der die 15-jährigen Jugendlichen<br />

sowohl in der<br />

Schweiz wie in Deutschland<br />

schlecht abschnitten, 5 eröffnete<br />

endgültig ein neues Kapitel im<br />

Bereich der Evaluation von Bildungssystemen:<br />

dasjenige des<br />

internationalen Vergleichs und<br />

des Wettbewerbs.<br />

4. Wettbewerb im<br />

Bildungswesen<br />

4.1 Bedingungen in der<br />

Schweiz noch wenig genutzt<br />

Die (vorhergehenden) Kapitel (...)<br />

illustrieren, dass die Schulen und<br />

Hochschulen in der Schweiz<br />

transparenter und damit auch<br />

vergleichbarer werden müssen.<br />

Im Bildungswesen herrschen<br />

zunehmend Wettbewerbsbedingungen.<br />

Allerdings wurden sie<br />

bisher wenig zur Qualitätsentwicklung<br />

und als Reformpotenzial<br />

genutzt.<br />

Den Akteuren im Bildungswesen<br />

ist zuwenig bewusst, dass Entwicklung<br />

und Fortschritt zuerst<br />

Analyse und Vergleich bedeuten.<br />

Wenn ein Schulleiter oder eine<br />

Schulleiterin seine beziehungsweise<br />

ihre Kolleginnen und Kollegen<br />

fördern möchte (z. B. durch<br />

eine Weiterbildung), kann eine<br />

Massnahme nur dann auch effektiv<br />

sein, wenn von den Stärken<br />

und Schwächen der Lehrperson<br />

ausgegangen wird. Oder:<br />

Wenn die Wirkung einer Schule<br />

untersucht wird, gehören die<br />

Leistungen der Schülerinnen und<br />

Schüler dazu. Und: Wenn eine<br />

Hochschule ihre Qualität beurteilen<br />

möchte, ist es sinnvoll,<br />

wenn sie sich mit anderen Hochschulen<br />

vergleicht.<br />

Nach der Analyse und dem Vergleich<br />

kann der Innovationsschritt<br />

geplant werden. Bei diesem ist<br />

die Tatsache zu beachten, dass<br />

es nicht immer notwendig ist,<br />

alles neu zu erfinden, sondern<br />

dass man auch voneinander<br />

lernen kann. Damit ist der Best-<br />

Practice-Ansatz 6 angesprochen.<br />

Es gibt innerhalb eines Schulhauses<br />

Lehrpersonen, die etwas<br />

sehr gut können. Es gibt Schulen,<br />

die ein besonders erfolgreiches<br />

Programm anbieten (z. B.<br />

für begabte Kinder). Es gibt<br />

Hochschulen und Institute, die<br />

hervorragende Forschungsergebnisse<br />

produzieren. Und, und,<br />

und …<br />

Von den guten Beispielen (Best<br />

Practice) kann gelernt werden.<br />

Sogar dann, wenn, wie heute im<br />

Bereich der Volksschule die Regel,<br />

einige Wettbewerbsbedingungen<br />

wie die freie Schulwahl<br />

ausgeschaltet sind. Ein in vielen<br />

Bereichen gutes Beispiel für die<br />

Schweiz stellt die Primarschulentwicklung<br />

der letzten Jahre in<br />

England dar.<br />

4.2 Das Beispiel England<br />

Bis Mitte der achtziger Jahre des<br />

letzten Jahrhunderts war das<br />

Geschehen in den englischen<br />

Schulen und Klassenzimmern<br />

fast ausschliesslich den Lehrpersonen<br />

überlassen. Es gab praktisch<br />

keine Erfolgskontrollen,<br />

wenige Herausforderungen und<br />

kaum Unterstützung. Zusammengefasst<br />

und etwas überspitzt<br />

formuliert gab es für das englische<br />

Schulsystem als Ganzes<br />

keinen Handlungsbedarf für Veränderungen.<br />

Dieser Zustand änderte sich mit<br />

dem Regierungswechsel: Premierministerin<br />

Margaret Thatcher<br />

und ihre Administration erkannten<br />

vielfältige Probleme im englischen<br />

Schulsystem. Ihre Antwort<br />

darauf war eine Erhöhung der<br />

Anforderungen: neue Standards,<br />

neue Tests, neue Schulinspektionen,<br />

Publikation der Testergebnisse<br />

der einzelnen Schulen.<br />

Zuwenig beachtet wurden dabei<br />

die Rahmenbedingungen, insbesondere<br />

die Unterstützung sowie<br />

die Aus- und Weiterbildung der<br />

Lehrerinnen und Lehrer. Ebenfalls<br />

zuwenig beachtet wurden<br />

die sozialen Verhältnisse, vor<br />

allem in den ehemaligen Industriegebieten.<br />

Die Reformen der<br />

Regierung Thatcher brachten<br />

zwar einige Verbesserungen im<br />

Schulwesen, aber auch viele<br />

Konflikte und zahlreiche demotivierte<br />

Lehrerinnen und Lehrer. In<br />

dieser Situation warteten viele<br />

Akteure im Bildungsbereich auf<br />

die Wahlen und hofften auf einen<br />

Regierungswechsel, der den<br />

Druck im System reduzieren und<br />

die Unterstützung für die Beteiligten<br />

erhöhen sollte.<br />

Die neue Regierung unter Premierminister<br />

Tony Blair folgte<br />

diesen Erwartungen nicht: Sie<br />

verlangte weiterhin hohe Leistungen,<br />

erhöhte dafür aber die<br />

Unterstützung. Die von der konservativen<br />

Regierung Thatcher<br />

eingeleiteten Reformen wurden<br />

von Tony Blair ab 1997 ausgebaut<br />

und die Unterstützungsangebote<br />

entscheidend erhöht. Zur<br />

Illustration seien zwei Beispiele<br />

aufgeführt:<br />

Im so genannt nationalen Curriculum<br />

wurden hohe minimale<br />

Leistungsstandards gesetzt.<br />

Durch nationale Tests wird deren<br />

Zielerreichung überprüft. Solche<br />

Assessments werden bei den<br />

Kindern und Jugendlichen im<br />

Alter von sieben, elf, vierzehn<br />

und sechzehn Jahren durchgeführt.<br />

Zur Unterstützung der<br />

Lehrpersonen wurden auf der<br />

Basis von Best-Practice-<br />

Erfahrungen detaillierte Lehrund<br />

Unterrichtsprogramme erarbeitet.<br />

Diese führen die Lehrerinnen<br />

und Lehrer zu den Zielsetzungen<br />

hin. Zu diesen Hilfen<br />

kann sicher auch die Übersetzung<br />

und Einführung der Zürcher<br />

Mathematiklehrmittel an der Primarschule<br />

gezählt werden.<br />

Unter dem englischen Titel «Intervention<br />

in inverse proportion to<br />

success» wurden Massnahmen<br />

zur Förderung der erfolgreichen<br />

Schulen sowie zur Unterstützung<br />

der nicht-erfolgreichen Schulen


18 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

aufgelistet. Gute Schulen können<br />

die Führung in weniger guten<br />

Schulen übernehmen. Sie werden<br />

auch ausgezeichnet. Zudem<br />

erhalten sie mehr Autonomie<br />

bezüglich des Curriculums, der<br />

Finanzen sowie der übrigen<br />

Rahmenbedingungen. Unterdurchschnittliche<br />

Schulen haben<br />

sich einem Aktionsplan zu unterziehen.<br />

Es ist möglich, dass ihnen<br />

Verantwortung über das<br />

Budget und anderes teilweise<br />

entzogen wird. Während dieser<br />

Zeit werden das nationale wie<br />

das lokale Wirkungsmonitoring<br />

verstärkt. Zur Unterstützung des<br />

«Turnarounds» beziehungsweise<br />

für konkrete praktische Verbesserungsmassnahmen<br />

werden<br />

zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt.<br />

Diese und viele andere Massnahmen<br />

haben dazu geführt,<br />

dass die Leistungen der Primarschülerinnen<br />

und -schüler in<br />

Sprache und Mathematik enorm<br />

gestiegen sind. Dies zeigte sich<br />

sowohl in den nationalen als<br />

auch in den internationalen<br />

Tests. In der im Dezember 2001<br />

publizierten PISA-Studie 7 schloss<br />

das Vereinigte Königreich erfolgreich<br />

ab. Die Leistungen der<br />

fünfzehnjährigen Jugendlichen<br />

lagen in allen gemessenen Bereichen<br />

im vordersten Viertel von<br />

32 OECD-Ländern: Rang 7 im<br />

Lesen, Rang 8 in der Mathematik<br />

und Rang 4 in den Naturwissenschaften.<br />

Im Vergleich dazu noch<br />

einmal die Resultate des «Bildungslandes»<br />

Schweiz: im Lesen<br />

Rang 17, in der Mathematik<br />

Rang 7 und in den Naturwissenschaften<br />

Rang 18.<br />

5. Plädoyer für mehr «Konkurrenz»<br />

zwischen den<br />

Schulen<br />

Ob wir es wollen oder nicht: Die<br />

Globalisierung geht auch an den<br />

Schulen und Hochschulen weiter.<br />

Sie fördert den Wettbewerb und<br />

die Transparenz zwischen den<br />

einzelnen Anbietern und Institutionen.<br />

Dies bedingt letztlich<br />

auch entsprechende Vergleichsund<br />

Wirksamkeitsparameter, die<br />

heute noch weitgehend fehlen.<br />

Zunehmen wird besonders die<br />

Konkurrenz zwischen öffentlichen<br />

und privaten Bildungsanbietern.<br />

Es ist möglich, dass in<br />

Zukunft mehr Eltern für ihre Kinder<br />

und Jugendlichen ein privates<br />

Angebot wählen werden.<br />

Dies dürfte dann relativ rasch<br />

geschehen, wenn die öffentlichen<br />

Institutionen aus Elternsicht nicht<br />

hohen Bildungsansprüchen zu<br />

genügen vermögen. Und damit<br />

korrespondiert die Möglichkeit,<br />

dass solche Eltern kaum mehr<br />

geneigt sein werden, Steuern zur<br />

Finanzierung der öffentlichen<br />

Schulen zu bezahlen. Das<br />

könnte dann mit den Worten des<br />

Soziologen Richard Titmuss zu<br />

einem «poor service for poor<br />

people» 8 führen. Oder eben auch<br />

die Kohäsion und damit den sozialen<br />

Frieden in der Schweiz<br />

gefährden. Nur wenn das öffentliche<br />

Bildungswesen gute Ergebnisse<br />

liefert, kann das erwähnte<br />

Szenario vermieden werden.<br />

Damit dies gelingt, ist die Konkurrenz<br />

zwischen den Schulen<br />

zu fördern.<br />

5.1 Virtuelle Konkurrenz zwischen<br />

öffentlichen Volksschulen<br />

«Für das Schulwesen sind die<br />

Kantone zuständig. Sie sorgen<br />

für einen ausreichenden Grundschulunterricht,<br />

der allen Kindern<br />

offen steht. Der Grundschulunterricht<br />

ist obligatorisch und untersteht<br />

staatlicher Leitung oder<br />

Aufsicht. An öffentlichen Schulen<br />

ist er unentgeltlich.» 9 So steht es<br />

in der Bundesverfassung. Und im<br />

Bericht «Potenzial Primarschule»<br />

wird die Integrationsfunktion der<br />

öffentlichen Schule als bedeutende<br />

Leistung bezeichnet: «Sie<br />

sei eine unabdingbare Voraussetzung<br />

für das friedliche Zusammenleben<br />

und das Funktionieren<br />

der direkten Demokratie in<br />

der Schweiz.» 10<br />

Die Kantone delegieren die Organisation<br />

und die Durchführung<br />

des obligatorischen Volksschulunterrichts<br />

in der Regel an die<br />

Gemeinden. Sie sind in erster<br />

Linie für das Angebot in und die<br />

Aufsicht über die kommunalen<br />

Schulen verantwortlich. In den<br />

einzelnen Klassen der Gemeindeschulen<br />

stehen dann die Lehrerinnen<br />

und Lehrer. Sie sind für<br />

das methodisch-didaktische Geschehen<br />

im Unterricht und die<br />

sozialen Beziehungen in der<br />

Klasse zuständig. Auf ihnen liegt<br />

die grösste Verantwortung: Lehrpersonen<br />

sind massgeblich am<br />

Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen<br />

beteiligt und tragen<br />

damit bedeutsam zur zukünftigen<br />

gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Entwicklung eines Landes<br />

bei.<br />

Die öffentliche Schule für alle in<br />

der Nähe des Wohnorts der Kinder<br />

und Jugendlichen ist zurzeit<br />

kaum bestritten. In den Augen<br />

vieler stellt sie ein wichtiges<br />

Qualitätsmerkmal dar. Es wird<br />

hier deshalb auf Forderungen<br />

nach freier Schulwahl, nach mehr<br />

Privatisierung oder nach Einführung<br />

von Bildungsgutscheinen<br />

verzichtet; dies wären Massnahmen,<br />

die unausweichlich eine<br />

Wettbewerbssituation eröffnen<br />

würden.<br />

Wenn hier Wettbewerb im Sinne<br />

eines Marktmechanismus zwischen<br />

den öffentlichen Schulen<br />

ausgeschlossen wird, heisst das<br />

trotzdem, dass schulische Unterschiede<br />

produktiv genutzt werden<br />

sollen. Die Unterschiede<br />

innerhalb und zwischen Schulen<br />

müssen transparent gemacht<br />

werden, indem sie evaluiert und<br />

als Basis für Entwicklung und<br />

Innovation wahrgenommen werden.<br />

In einem solchen Wettbewerb<br />

sind schwache Schulen und<br />

Lehrpersonen nicht existenziell<br />

gefährdet; dennoch kommen sie<br />

unter Druck, wenn die Leistung<br />

nicht mehr stimmt – und das ist<br />

dringend erwünscht. 11 Schwachen<br />

Schulen und Lehrpersonen<br />

sind verpflichtende Angebote zu<br />

machen und Leistungen zur Verfügung<br />

zu stellen, damit sie die<br />

Situation verbessern können.<br />

Den guten Schulen und Lehrpersonen<br />

sind ebenfalls mehr Ressourcen<br />

und eventuell auch mehr<br />

Autonomie zu gewähren. Die<br />

«virtuelle» Konkurrenz zwischen<br />

Schulen und Lehrpersonen er-


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 19<br />

höht die Leistungen des öffentlichen<br />

Schulwesens.<br />

Aber auch private Schulen haben<br />

ihren Platz. Sie ergänzen das<br />

öffentliche «Einheitsmenu» mit<br />

besonderen Angeboten. Sie treten<br />

in Konkurrenz zur öffentlichen<br />

Volksschule und tragen<br />

damit zur Lebendigkeit der Diskussion<br />

um die «beste» Schule<br />

bei.<br />

5.2 Transparenz und Wahlfreiheit<br />

zwischen den Gymnasien<br />

Die Leistungen und Angebote<br />

ausweisen und damit die Transparenz<br />

und Vergleichbarkeit erhöhen<br />

sollten auch die kantonalen<br />

Gymnasien. Sie richten sich<br />

an Kinder und Jugendliche, die<br />

schon älter sind. Der Besuch<br />

einer Mittelschule ist in den meisten<br />

Fällen mit einem Schulortwechsel<br />

und einer Anfahrt mit<br />

dem Velo oder einem öffentlichen<br />

Verkehrsmittel verbunden.<br />

Was für die öffentliche Volksschule<br />

nicht postuliert wurde,<br />

wird nun für das Gymnasium<br />

gefordert: die freie Schulwahl,<br />

auch über die Kantonsgrenzen<br />

hinaus. 12<br />

Im Bereich der Gymnasien ist<br />

eine adäquate Umsetzung von<br />

Marktmechanismen möglich.<br />

Über die Kantone hinaus, innerhalb<br />

der Regionen und Quartiere<br />

können die einzelnen Schulen in<br />

einen Wettbewerb zueinander<br />

treten. Damit ein solcher spielen<br />

kann, sind Instrumente zur Qualitätsmessung<br />

und Rechenschaftslegung<br />

zu entwickeln. Für<br />

die interessierten Schülerinnen<br />

und Schüler und ihre Eltern sind<br />

Unterlagen zu erarbeiten, aus<br />

denen die Stärken und Schwächen<br />

der verschiedenen gymnasialen<br />

Angebote deutlich werden.<br />

Den weniger erfolgreichen Gymnasien<br />

sind Angebote zur Verbesserung<br />

ihrer Situation zu machen.<br />

Bei Auftreten von erheblichen<br />

Schwierigkeiten könnte dies<br />

z. B. die «Adoption» durch eine<br />

erfolgreichere Schule sein. Verbunden<br />

mit einer grösseren Autonomie<br />

ist auch die Stärkung<br />

der Schulleitungen als Verantwortliche<br />

für den Lernbetrieb<br />

verbunden. Die strategische Führung<br />

könnte der Politik sowie<br />

Persönlichkeiten aus Politik,<br />

Wirtschaft und Verwaltung übertragen<br />

werden.<br />

5.3 Hochschulen in globaler<br />

Konkurrenz<br />

Die Eidgenössische Technische<br />

Hochschule, die kantonalen Universitäten<br />

sowie neu die von<br />

Bund und Kantonen gemeinsam<br />

getragenen Fachhochschulen<br />

stehen immer stärker in globaler<br />

Konkurrenz. Junge Menschen<br />

wählen den Studienort zunehmend<br />

mehr aufgrund von Qualitätskriterien<br />

als aufgrund der<br />

Nähe zum Wohnort. Damit wird<br />

es noch wichtiger, dass die<br />

Hochschulen hervorragende junge<br />

Dozierende und Forscherinnen<br />

und Forscher verpflichten<br />

können, und so den Hochschulstandort<br />

Schweiz international<br />

leistungsfähig und für Studierende<br />

attraktiv machen.<br />

Um im internationalen Wettbewerb<br />

bestehen zu können, brauchen<br />

die Hochschulen Autonomie<br />

und Ressourcen. Und dazu<br />

müssen sie nicht nur an sich<br />

selber, sondern auch an die Studentinnen<br />

und Studenten hohe<br />

Anforderungen stellen. Dazu<br />

meint der Deutsche Anglistikprofessor<br />

und Bestseller-Autor Dietrich<br />

Schwanitz: «Ausgerechnet<br />

eine Institution, der es um die<br />

Ermutigung der Begabtesten<br />

gehen sollte», habe «eine Ideologie<br />

entwickelt, die Leistungen<br />

diskreditiert und den Begriff der<br />

Elite tabuisiert.» 13<br />

Autonomie bedingt klare Steuerungsstrukturen:<br />

einen rechtlichen<br />

Rahmen, Leitungsstrukturen<br />

(strategische und operative)<br />

sowie eine leistungsgesteuerte<br />

Finanzierung. In der Schweiz ist<br />

darauf zu achten, dass der Bund<br />

im Zusammenhang mit der Revision<br />

des Hochschulartikels in der<br />

Bundesverfassung nicht zu viele<br />

Regelungskompetenzen übernimmt.<br />

Auch die Steuerungsmittel<br />

der Kantone sind zu überprüfen.<br />

Bezüglich Ressourcen ist die<br />

Situation heute angespannt. Das<br />

Bestehende droht zwischen den<br />

sinkenden Mitteln und der steigenden<br />

Zahl von Studierenden<br />

unter die Räder zu kommen. In<br />

Anbetracht dieser Situation sind<br />

die finanziellen Mittel zu erhöhen,<br />

und es sind Sparmöglichkeiten<br />

zu finden. Sparen liesse sich<br />

zum Beispiel, indem Studiengänge<br />

mit sehr kleinen Studierendenzahlen<br />

örtlich konzentriert<br />

würden. Oder: wenn mit Umsetzung<br />

der Bologna-Deklaration<br />

das Gros der Studierenden mit<br />

einem Bachelor-Abschluss ins<br />

Berufsleben übertreten würde,<br />

wie das in den angelsächsischen<br />

Ländern der Fall ist.<br />

Innerhalb der schweizerischen<br />

Hochschullandschaft ist also<br />

nicht nur Wettbewerb, sondern<br />

auch Kooperation anzustreben.<br />

Der in Deutschland arbeitende<br />

Schweizer Professor Walther<br />

Zimmerli hat hiefür die Wörter<br />

«Cooperation» und «Competition»<br />

miteinander verschmolzen<br />

und das Wort «Coopetition» geprägt.<br />

14 Nur mit «Coopetition»<br />

kann das Ensemble der Hochschulen<br />

auch in Zukunft auf der<br />

internationalen Bühne bestehen.<br />

Eine internationale Ausrichtung<br />

bedingt eine Orientierung an den<br />

Besten (Best Practice). Und damit<br />

der stete Wille, hohe Zielsetzungen<br />

erreichen zu wollen. Dieser<br />

Grundsatz muss für alle Akteure<br />

an den Hochschulen gelten.<br />

Besonders auch für die Studierenden.<br />

Wie würden diese<br />

heute reagieren, wenn ihnen<br />

jemand erzählt, dass in britischen<br />

oder amerikanischen Hochschulen<br />

250 Seiten pro Veranstaltung<br />

zu lesen sind, dies multipliziert<br />

mit vier Kursen pro Semester,<br />

dazu Papers und Examen Um<br />

wie viel besser könnte der Output<br />

von Lehrveranstaltungen an<br />

Hochschulen sein, wenn sich die<br />

Studierenden darauf vorbereiten<br />

würden!<br />

6. Blick nach vorne<br />

6.1 Die Gesellschaft wird<br />

«grauer» und «bunter»<br />

Der moderne Staat befindet sich<br />

im Übergang von der industriellen<br />

Gesellschaft in die Ökonomie


20 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

des Wissens. «In der Natur dieses<br />

Übergangs liegt die Verlagerung<br />

der Schwerpunkte gesellschaftlicher<br />

Organisation: von<br />

Massen-Organisationen auf das<br />

Individuum, von nationalstaatlichen<br />

auf supranationale Systeme,<br />

von gesicherten Märkten auf<br />

das neue globale Kräftespiel.» 15<br />

Damit einher geht in der Schweiz<br />

die demographische Entwicklung:<br />

Die Gesellschaft wird<br />

«grauer» und «bunter». Grauer<br />

wird sie durch die zunehmende<br />

Überalterung. Im Jahr 2030 wird<br />

der Anteil der 65-Jährigen und<br />

älteren Menschen über 50 Prozent<br />

der erwerbstätigen Bevölkerung<br />

betragen. 16 Bunter wird sie<br />

durch eine leicht zunehmende<br />

Zuwanderung. Eine solche ist<br />

höchst wünschenswert. Nur so<br />

können sie sich mit einer rasch<br />

alternden und schrumpfenden<br />

einheimischen Bevölkerung verbundenen<br />

Probleme gemildert<br />

werden. 17<br />

6.2 Bildung und Innovation als<br />

Schlüsselfaktoren<br />

Die genannten gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Veränderungen<br />

verursachen schmerzhafte<br />

Anpassungen und Verunsicherungen.<br />

Zur erfolgreichen Bewältigung<br />

dieser Verunsicherungen<br />

spielen innovationsbereite Menschen<br />

eine zentrale Rolle.<br />

In diesem Prozess ist Bildung im<br />

Sinne eines «lernenden Menschenbildes»<br />

zu verstehen. «Der<br />

‹industrial man›, der einmal in<br />

seinem Leben eine ‹Aus-Bildung›<br />

(!) erlebte und dann einen weit<br />

gehend vorbestimmten Lebensweg<br />

ging, ist Geschichte. Lernen<br />

lässt sich nicht in ‹Lehrplänen›<br />

kanalisieren, sondern begleitet<br />

unser Leben als zentraler Impuls<br />

und Konstante der menschlichen<br />

Neugier. Dabei benötigen wir<br />

eine neue ‹Kultur der Anerkennung›,<br />

die die Lernfähigkeit des<br />

Einzelnen und die Wandlungsfähigkeit<br />

des Individuums in Zentrum<br />

des gesellschaftlichen Diskurses<br />

stellt.» 18<br />

Eine «Kultur der Anerkennung»<br />

ist ein Schlüsselfaktor für die sich<br />

wandelnde Gesellschaft. Die<br />

Wertschätzung des Bisherigen ist<br />

Voraussetzung für Akzeptanz<br />

von Neuem. Den Menschen<br />

muss dieses Gefühl vermittelt<br />

und es muss ihnen die Notwendigkeit<br />

für Veränderungen erklärt<br />

werden.<br />

Es muss aufgezeigt werden,<br />

dass der Wandel der Gesellschaft<br />

eine permanente Innovation<br />

erfordert. Es muss vermittelt<br />

werden, dass zu einem innovativen<br />

Klima ein frischer Wind gehört.<br />

Es muss gesagt werden,<br />

dass dort, wo die Fenster dauernd<br />

zugesperrt bleiben, «der<br />

Wind nicht bläst». Es muss gefordert<br />

werden, dass die Fenster<br />

und Türen zu öffnen sind, damit<br />

neue Ideen und andere Gedanken<br />

sowie auch fremde Menschen<br />

neue eigene Impulse auslösen<br />

können, die dann wiederum<br />

Veränderung und Innovation<br />

bewirken.<br />

6.3 Staat und Markt<br />

«Der Staat muss die Grundlage<br />

schaffen, damit der Markt seine<br />

Magie entfalten kann.» 19 Eine<br />

besondere Verantwortung trägt<br />

der Staat für die Bildung. Der<br />

Bund und die Kantone haben für<br />

eine ausreichende Grundversorgung<br />

an Schule und Unterricht zu<br />

sorgen, die allen Menschen im<br />

Land unabhängig von sozialer<br />

Herkunft und Kultur in gleichem<br />

Masse zur Verfügung steht. Über<br />

die Sicherstellung der Grundversorgung<br />

hinaus haben staatliche<br />

Institutionen die Aufgabe, Regelungen<br />

für einen fairen Wettbewerb<br />

im Inland und mit dem Ausland<br />

zu erlassen. Ansonsten ist<br />

bei Regelungen darauf zu achten,<br />

dass diese möglichst von<br />

den betroffenen Schulen und<br />

Institutionen selber formuliert<br />

werden. Der übergeordneten<br />

Instanz verbleibt die Aufgabe<br />

dann einzugreifen, wenn es im<br />

Einzelnen nicht mehr funktioniert<br />

(Subsidiaritätsprinzip). Dafür<br />

braucht es jedoch Transparenz<br />

zwischen den Schulen, Rechenschaftslegung<br />

der Institutionen<br />

sowie geeignete Controllinginstrumente.<br />

Solche Bedingungen ermöglichen<br />

Wettbewerb und Kooperation.<br />

Sie sind Voraussetzungen für<br />

die notwendige Erneuerung sowie<br />

ständige Weiterentwicklung<br />

des Bildungswesens. Zum Wohle<br />

der Kinder und Jugendlichen, der<br />

Zukunft der Schweiz.<br />

Anmerkungen<br />

1 Urs Moser & Heinz Rhyn, Schulmodelle<br />

im Vergleich. Eine Evaluation<br />

der Leistungen in zwei Schulmodellen<br />

der Sekundarstufe I, Zürich 1999, 3.<br />

2 Christian Aeberli, Englisch ab der<br />

ersten Klasse: Das Zürcher Experiment,<br />

in: Richard J. Watts & Heather<br />

Murray (Hrsg.), Die fünfte Landessprache<br />

Englisch in der Schweiz,<br />

Bern 2001.<br />

3 Christian Aeberli, Lernen für das 21.<br />

Jahrhundert. Ein Schulversuch an<br />

Primarschulen des Kantons Zürich,<br />

in: Jacobs Foundation, Perspektiven<br />

im Rahmen der Erneuerung, Zürich<br />

2001.<br />

4 OECD, Knowledge and Skills for Life.<br />

First results from PISA 2000, Paris<br />

2001.<br />

5 Urs Moser, Für das Leben gerüstet<br />

Die Grundkompetenzen der Jugendlichen<br />

– Kurzfassung des nationalen<br />

Berichtes PISA 2000, Neuenburg<br />

2001.<br />

6 Armin Töpfer, Benchmarking. Der<br />

Weg zu Best Practice, Berlin 1997.<br />

7 OECD, 2001, 11.<br />

8 Michael Barber, The next stage for<br />

large scale reform in England: From<br />

good to great, Background Paper for<br />

the Federal Reserve Bank of Boston,<br />

47th Economic Conference, Boston,<br />

Juni 2002, 3.<br />

9 Bundesverfassung der Schweizerischen<br />

Eidgenossenschaft vom 18.<br />

Dezember 1996, Art. 62.<br />

10 Christian Aeberli & Charles Landert,<br />

Potenzial Primarschule. Eine Auslegeordnung,<br />

einige weiterführende<br />

Ideen und ein Nachgedanke, Zürich<br />

2001.<br />

11 Lutz Oertel & Jürgen Kussau, Kritische<br />

Überlegungen zur Zukunft der<br />

Volksschule, unveröffentlichtes Papier,<br />

Zürich 2001.<br />

12 In § 25 des Mittelschulgesetzes des<br />

Kantons Zürich ist die freie Schulwahl<br />

innerhalb des Kantons grundsätzlich<br />

verankert worden.<br />

13 Dietrich Schwanitz, Spiegel spezial<br />

«Lernen zum Erfolg», Nr. 3/2002, 21.<br />

14 Walther Ch. Zimmerli, Elitebildung<br />

und Wissenstechnologien, Referat<br />

vom 30.10.2002, Technopark Zürich.<br />

15 Matthias Horx, Zukunftsmanifest zur<br />

Jahreswende 2002/03, Köln 2002, 4.


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 21<br />

16 Rainer Münz & Ralf Ulrich, Alterung<br />

und Wanderung. Alternative Projektionen<br />

der Bevölkerungsentwicklung<br />

der Schweiz, Zürich 2001.<br />

17 Rainer Münz & Ralf Ulrich, Schweiz<br />

im Jahr 2060: Alternative Bevölkerungsprognosen<br />

und ihre Konsequenzen,<br />

Schweizer Monatshefte für<br />

Politik Wirtschaft Kultur, Zürich, November<br />

2001.<br />

18 Horx, 2002, 4.<br />

19 Nicholas Stern, Chefökonom der<br />

Weltbank, Interview im Magazin, Zürich<br />

2002.


22 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Die Freiheit der Schulwahl: Ein Problemaufriss<br />

Prof. Dr. Jürgen Oelkers<br />

Leiter des Pädagogischen Instituts der Universität Zürich<br />

Gekürzte Fassung eines Vortrags im Rahmen der interdisziplinären Veranstaltungsreihe „Ethische Verantwortung<br />

in den Wissenschaften“ am 27. Januar 2005 in der Universität Zürich<br />

1. Das Problem: Kunden<br />

oder Abnehmer<br />

Öffentliche Schulen in westlichen<br />

Gesellschaften sind staatlich<br />

verfasst und unterliegen einem<br />

Gleichheitsgebot, das Unterschiede<br />

minimiert und so Freiheiten<br />

beschränkt. Weder dürfen<br />

Schulen oder einzelne Lehrkräfte<br />

über gewisse Varianten hinaus<br />

ihre Angebote selber bestimmen<br />

noch haben Eltern oder Schüler<br />

die Wahl, sich die schulische<br />

Bildung nach ihren Bedürfnissen<br />

auszusuchen. Sie sind nicht<br />

„Kunden” des Systems, sondern<br />

Abnehmer, also müssen übernehmen,<br />

was staatlich geboten<br />

wird. „Schulpflicht“ heisst, dass<br />

der Staat ein Angebot bereitstellt,<br />

zu dem es für die meisten Abnehmer<br />

keine Alternative gibt.<br />

Eltern können über die Bildung<br />

ihrer Kinder nicht frei bestimmen,<br />

sondern sind gezwungen, staatliche<br />

Leistungen zu akzeptieren,<br />

die aus dem allgemeinen Steueraufkommen<br />

finanziert werden.<br />

Die Alternative lässt sich so formulieren:<br />

Wären Eltern und Schüler<br />

Kunden der Schule, so hätten<br />

sie die Freiheit der Wahl,<br />

könnten also über die Bildung<br />

selbst entscheiden.<br />

Die Anbieter von Bildung wären<br />

schlagartig in eine Wettbewerbssituation<br />

versetzt.<br />

Die Schulen müssten sich auf<br />

Nachfrage einstellen, bekämen<br />

nämlich ihre Klientel –<br />

Schülerinnen und Schüler –<br />

nicht mehr einfach ohne Eigenaufwand<br />

zugewiesen,<br />

sondern wären gezwungen,<br />

ihre Angebote auf Bildungsmärkten<br />

anzubieten.<br />

Qualität entstünde nicht durch<br />

Reglemente, sondern durch<br />

Wettbewerb.<br />

Nicht die Anbieter, sondern<br />

die Kunden entschieden über<br />

Ausstattung, Profil und Entwicklungstrends<br />

von Schulen.<br />

Kunden hätten Freiheiten, die sie<br />

als Abnehmer staatlicher Bildungsangebote<br />

nicht haben.<br />

Umgekehrt würde der Staat auf<br />

die Regulierung von Bildung<br />

verzichten, also nicht länger vorschreiben,<br />

was zwischen Latein,<br />

Sport und Biologie das Programm<br />

einer Schule ausmachen<br />

soll. Eltern würden sich die Bildung<br />

wählen, die sie für ihre<br />

Kinder als geeignet und richtig<br />

ansehen. Schliesslich könnten<br />

auch Kinder den Kundenstatus<br />

übernehmen, also mitbestimmen,<br />

was sie als Bildung akzeptieren<br />

und was nicht. „Bildung” wäre<br />

nicht staatlich verordneter Schulbesuch,<br />

sondern freie Wahl der<br />

Themen, Zeiten und Interessen.<br />

Die Folgen lassen sich zugespitzt<br />

formuliert so bestimmen: Die<br />

Nachfrage entscheidet über das<br />

Angebot, was keine Nachfrage<br />

erhält, wird nicht angeboten, es<br />

sei denn ein individuelles Angebot<br />

erzeugt für sich eine überraschende<br />

Nachfrage.<br />

Latein hätte eine neue Chance<br />

als Minderheitenfach für<br />

Kinder aus bildungsbürgerlichen<br />

Milieus,<br />

Computer Literacy wäre ein<br />

Nachfragefach, weil alle Kunden<br />

wissen, welche Schlüsselstellung<br />

für die Berufskarrieren<br />

der Zukunft diesem<br />

Fach zukommen wird.<br />

Englisch wäre die erste<br />

Fremdsprache, wobei neben<br />

dem Unterricht vor allem ein<br />

Auslandsjahr finanziert würde.<br />

Sport hätte gute Chancen,<br />

daneben neue Fächer wie<br />

Lebenskunst oder ganz alte<br />

wie Rhetorik;<br />

das Kriterium wäre überwiegend<br />

Lebensbezug, der dem<br />

heutigen Schulcurriculum erfolgreich<br />

abgesprochen werden<br />

kann.<br />

Der moderne Staat hat demgegenüber<br />

von Anfang an eine<br />

paternale Schulverfassung angestrebt,<br />

also zu bestimmen übernommen,<br />

was schulische Bildung<br />

ausmacht und was nicht. Gegenüber<br />

den staatlichen Lehrplänen<br />

und Lehrmitteln gab es nie die<br />

Freiheit von Kunden, die selbst<br />

definieren würden, was sie als<br />

„Bildung” nachfragen. Das Prinzip<br />

war nicht „Nachfrage”, sondern<br />

staatliche Vorschrift.<br />

Ich werde im Folgenden zunächst<br />

den Prozess der Verstaatlichung<br />

der Bildung skizzieren.<br />

In einem zweiten Schritt<br />

beschreibe ich die Alternative<br />

und gebe einen Problemaufriss,<br />

was heute als School Choice,<br />

Freiheit der Schulwahl, verstanden<br />

wird. Danach zeige ich anhand<br />

historischer Studien, dass<br />

die Effekte staatlicher Schulentwicklung<br />

nutzbringend und nicht<br />

nur negativ verstanden werden<br />

dürfen. Abschliessend […] gebe<br />

ich einen kurzen Ausblick auf die<br />

Entwicklung der öffentlichen Bildung.<br />

2. Verstaatlichung als<br />

Beseitigung privater<br />

Konkurrenz<br />

Im 19. Jahrhundert wurde in der<br />

Schweiz wie in anderen europäi-


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 23<br />

schen Ländern die allgemeine,<br />

staatlich unterhaltene Volksschule<br />

aufgebaut, nachdem man<br />

erkannt hatte, dass gleiche Bildung<br />

für alle zur Staatsaufgabe<br />

gehört. Während aber Verschulung,<br />

gerade im Elementarbereich,<br />

zu Beginn ohne Privatanbieter<br />

unmöglich war, gingen<br />

diese am Ende des 19. Jahrhundert<br />

ein, da der Staat für Anforderungen<br />

und Ausstattungen der<br />

öffentlichen Schulen sorgte, die<br />

jede vorhandene Konkurrenz<br />

überforderte. […]<br />

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

gab es erneut eine Gründungswelle<br />

von Privatschulen, die wesentlicher<br />

professioneller und<br />

marketingbewusster verlief als<br />

die individuellen Gründungen des<br />

19. Jahrhunderts. Im deutschen<br />

Sprachraum hiessen diese<br />

Schulen „Landerziehungsheime“<br />

und stellten eine eigene Marke<br />

dar. Das Produkt nutzte eine<br />

kritische Stimmung vor allem von<br />

unzufriedenen Eltern, die mit<br />

dem staatlichen Angebot insbesondere<br />

im Bereich der Höheren<br />

Bildung nicht einverstanden waren.<br />

Sie wollten sich die Bildung<br />

aussuchen, die sie für ihre Kinder<br />

als geeignet ansahen. […]<br />

Ende der zwanziger Jahre waren<br />

es hunderte von Schulen für sehr<br />

verschiedene Bildungsbedürfnisse,<br />

die eine regelrechte Produktpalette<br />

darstellten. Aber es waren<br />

Nischenprodukte, die wohl<br />

ihren eigenen, bis heute anhaltenden<br />

Nimbus aufbauten – man<br />

denke an die Steiner-Schulen –,<br />

die aber nie eine Konkurrenz zur<br />

staatlichen Bildungsversorgung<br />

darstellten. Die Träger waren<br />

junge, oft enthusiastische Bildungsunternehmer,<br />

die mit grossem<br />

öffentlichem Beifall rechnen<br />

konnten, ohne sich in irgendeinem<br />

nennenswerten Massstab<br />

durchsetzen zu können. Die kostenlose<br />

Bildungsversorgung aus<br />

Steuermitteln war weitaus attraktiver,<br />

zudem stieg die Qualität<br />

der öffentlichen Schulen, verbesserte<br />

sich die Verwertbarkeit der<br />

Abschlüsse und gewöhnte sich<br />

die Gesellschaft an ein paternales<br />

System, das vorschreibt und<br />

einklagt, was öffentliche Bildung<br />

sein soll.<br />

Diese historische Erfahrung ist<br />

grundlegend: Nur öffentliche<br />

Schulen waren imstande, für<br />

einen gleich bleibenden Anstieg<br />

der Bildungsqualität zu sorgen,<br />

ohne grössere Schwankungen in<br />

Kauf zu nehmen, mit wachsenden<br />

Budgetsicherheiten und<br />

spätestens seit Ende des 19.<br />

Jahrhunderts als gesellschaftlich<br />

akzeptierte Institution.<br />

Diese Gewähr scheint zu Ende<br />

zu gehen, wenn nicht die reale<br />

Schulentwicklung betrachtet wird,<br />

sondern Expertendiskussionen,<br />

die Argumente und Daten für<br />

einen Systemwechsel bereitstellen.<br />

Der Ansatzpunkt ist ein ökonomischer<br />

Verdacht: Wer immer<br />

mehr Geld für Bildung verlangt,<br />

erzeugt keine höhere Qualität<br />

und erst recht keinen Wandel<br />

des Systems, sondern immer<br />

more of the same. Investitionen<br />

in öffentliche Bildung sind daher<br />

gleichbedeutend mit Verschwendung,<br />

weil sie ein Fass ohne<br />

Boden beträfen, das nur ein Interesse<br />

habe, nämlich die Zufuhr<br />

öffentlicher Gelder unkontrolliert<br />

zu halten und zu steigern (HA-<br />

NUSHEK 1981).<br />

Der Ausgangspunkt dieser Diskussion<br />

sind amerikanische Krisenszenarien,<br />

in denen der ständige<br />

Niedergang der Bildungsleistungen<br />

mit der ständigen Erhöhung<br />

der zur Verfügung gestellten<br />

öffentlichen Mittel konfrontiert<br />

wurde. Diese Diskussion führt die<br />

amerikanische Öffentlichkeit seit<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts periodisch,<br />

ohne die zentralen Dualismen<br />

auflösen zu können. Die<br />

letzte grosse Diskussion begann<br />

in den frühen achtziger Jahren<br />

des 20. Jahrhunderts und erreichte<br />

zehn Jahre später einen<br />

ersten Höhepunkt, als die Geduld<br />

mit schlechten staatlichen Schulen<br />

zu Ende zu gehen schien.<br />

1990 erschien eine sehr einflussreiche<br />

Publikation, die den provozierenden<br />

Titel trug: Politics,<br />

Markets, and America’s Schools<br />

(CHUBB/MOE 1990).<br />

Unmittelbar nach Erscheinen war<br />

das Buch der Mittelpunkt einer<br />

aufgeregten Diskussion, die mit<br />

ihren wesentlichen Argumenten<br />

inzwischen auch Kontinentaleuropa<br />

erreicht hat. Die Thesen des<br />

Buches beziehen sich auf einen<br />

Negativbefund:<br />

Die amerikanischen Schulen<br />

sind über Gebühr bürokratisch<br />

und über Gebühr politisch<br />

(ebd., S. 26).<br />

Sie legen fest, was und wie<br />

gelernt werden soll, ohne dabei<br />

Abnehmerinteressen in<br />

Rechnung stellen zu müssen,<br />

und sie entschieden darüber<br />

mit politischer Macht, die die<br />

Freiheit sowohl der Eltern als<br />

auch der Kinder massiv einschränkt.<br />

Eltern und Kinder – also die<br />

Kunden des Systems – haben<br />

keine Mitsprache bei der Gestaltung<br />

der Lehrpläne, entscheiden<br />

nicht über die Lehrmittel,<br />

haben kaum Einflussnahme<br />

auf Lehreranstellungen<br />

und können vor allem<br />

auch nicht wählen, welche<br />

Schule für sie in Frage kommt<br />

und welche nicht.<br />

Sie entscheiden daher nicht<br />

nach Angebot, sondern bekommen<br />

Bildung zugeteilt.<br />

Bürokratie regelt möglichst gleich<br />

und begrenzt die Unterschiede.<br />

Weil aber Schulen nur dann gut<br />

sind, wenn sie einzigartig sind,<br />

schliessen CHUBB und MOE,<br />

dürfen und können sie nicht politisch<br />

verwaltet werden.<br />

„Bureaucracy is a clumsy and<br />

ineffective way of providing<br />

people with educational services”<br />

(ebd.).<br />

Die Bürokratie diene den politischen<br />

Zielen, für die sie eingesetzt<br />

wurde. Die amerikanische<br />

progressive Bewegung, also die<br />

liberale Politik der Demokraten<br />

und ihrer Interessengruppen,<br />

habe auf diesem schulpolitischen<br />

Wege ihre Macht zementiert und<br />

so andere von der Beteiligung<br />

ausgeschlossen. Diese Theorie<br />

ist grundlegend, um zu verstehen,<br />

warum Bildungsmärkte eine


24 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Alternative sein sollen. Bestimmte<br />

Gruppen, die die politische<br />

Macht mindestens der Aufsicht<br />

über die staatlichen Schulen<br />

besitzen, hätten es geschafft,<br />

der Mehrheit ihre Werte als die<br />

Werte der „richtigen” Erziehung<br />

zu verkaufen, ohne den einzelnen<br />

Eltern und Schülern die<br />

Wahl zu lassen, sich die Erziehung<br />

zu besorgen, die sie sich<br />

auch tatsächlich wünschen. Die<br />

Institutionen der demokratischen<br />

Kontrolle und das System öffentlicher<br />

Bildung als solches beeinträchtigten<br />

die Autonomie der<br />

Schulen und verhinderten, dass<br />

überhaupt unterschiedliche Angebote<br />

entstehen, zwischen denen<br />

freie Kunden (customers)<br />

wählen könnten (ebd., S. 47).<br />

Der damit gegebene Konflikt ist<br />

grundlegend für das Problem der<br />

freien Schulwahl:<br />

Sollen Eltern und Schüler,<br />

zusammengefasst als „Kunden”,<br />

frei über ihre Bildung<br />

bestimmen können<br />

Oder sollen staatliche Vorgaben<br />

regeln, was in Schulen<br />

für alle gleich unterrichtet<br />

wird<br />

Dieser Konflikt ist historisch neu,<br />

weil, wie gesagt, die Verstaatlichung<br />

der Schulen im 19. Jahrhundert<br />

die private Konkurrenz<br />

weitgehend 1 beseitigt oder zumindest<br />

marginalisiert und so die<br />

Systemfrage beruhigt hat. Nun<br />

wird der Konflikt zwischen Markt<br />

und Staat neu ins Spiel gebracht,<br />

vermutlich nicht zufällig nach<br />

1989, als die neoliberalen Positionen<br />

der Wirtschafts- und Bildungstheorie<br />

sich politisch geradezu<br />

im Weltmassstab bestätigt<br />

sehen konnten.<br />

Aber stellt sich eine Systemfrage,<br />

1 Das gilt für die konfessionellen Träger<br />

je nach Ausgang des Kulturkampfes im<br />

19. Jahrhundert. Wo starke staatliche<br />

Garantien (!) gewährt wurden, wie etwa<br />

in Frankreich, blieb ein beträchtlicher<br />

privater Sektor (allerdings fast ausschliesslich<br />

ein konfessioneller) bestehen.<br />

Regelrechte Schulunternehmer<br />

wie im 18. oder 19. Jahrhundert verschwanden<br />

dagegen sehr weitgehend<br />

(vgl. KERSTING 2002).<br />

wenn der historische Bildungszuwachs<br />

beträchtlich<br />

ist,<br />

die Versorgung weitgehend<br />

störungsfrei operiert,<br />

die Zufriedenheit historisch<br />

stark zugenommen hat<br />

und die Institution Schule<br />

tatsächlich jedermann erreicht<br />

Die Idee der Privatisierung der<br />

öffentlichen Schulen ist nie ganz<br />

verschwunden, wie ich an den<br />

radikalen Kritiken nachzuweisen<br />

versucht habe. Es war immer<br />

eine Provokation, Privatunternehmer<br />

der Bildung nicht in einer<br />

mehr oder weniger elenden<br />

Randrolle zu sehen, sondern ins<br />

Zentrum des Systems zu rücken,<br />

wo sie freilich nie waren, so dass<br />

es auch keine historischen Erfahrungen<br />

gibt, was eine Privatisierung<br />

oder mindestens eine<br />

Marktkonkurrenz auf dem heutigen<br />

Niveau der gesellschaftlichen<br />

Bildung bewirken würde.<br />

Die Diskussion wird von attraktiven<br />

Modellannahmen bestimmt,<br />

die seit etwa zehn Jahren auch in<br />

der Schweiz zunehmend Beachtung<br />

finden, vor allem aus<br />

Gründen der Grenzen staatlicher<br />

Bildungsfinanzierung.<br />

3. Alternativen zur<br />

staatlichen Schule<br />

Die grundlegenden Konzepte<br />

gehen auf einen Aufsatz zurück,<br />

den MILTON FRIEDMAN zuerst<br />

1955 veröffentlicht hatte und der<br />

The Role of Government in<br />

Education im Sinne der liberalen<br />

Ökonomie neu bestimmen sollte.<br />

2 FRIEDMAN hat dabei Ideen<br />

2 MILTON FRIEDMAN (geboren 1912),<br />

Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften<br />

(1972), ist Professor Emeritus<br />

of Economics der Universität von Chicago,<br />

an der von 1946 bis zu seiner<br />

Emeritierung 1977 lehrte. FRIEDMAN<br />

ist seitdem Senior Research Fellow der<br />

Hoover Institution an der Stanford University<br />

und des Paul Snowden Russell<br />

Distinguished Service . Er wurde mit<br />

dem Nobelpreis ausgezeichnet vor allem<br />

für seine Langzeitstudien und die<br />

damit verbundenen Geldtheorie (A Monetary<br />

History of the United States,<br />

1867-1960, verfasst zusammen mit<br />

ins Spiel gebracht, die sich erst<br />

heute nachhaltig auszuwirken<br />

beginnen, weltweit, nicht nur im<br />

Hinblick auf die bekanntlich hoch<br />

divergenten amerikanischen<br />

Schulverhältnisse. Unter dem<br />

Stichwort School Choice ist in<br />

den Vereinigten Staaten inzwischen<br />

eine regelrechte pädagogische<br />

Bewegung entstanden, 3<br />

die die Privatisierung des öffentlichen<br />

Schulwesens verfolgt und<br />

die staatlichen Lösungen des 19.<br />

Jahrhunderts für das historische<br />

überlebte Modell hält (COULSEN<br />

1999).<br />

FRIEDMAN ist der wesentliche<br />

Inspirator dieser Bewegung, die<br />

davon ausgeht, dass die öffentliche<br />

Bildung die Bedürfnisse ihrer<br />

Kunden zu berücksichtigen habe<br />

und dabei der Markt spielen<br />

müsse. Eine staatliche Bildungsversorgung<br />

wird abgelehnt, die<br />

Kunden sollen die Freiheit haben,<br />

sich das schulische Angebot<br />

zu wählen, das sie für ihre Kinder<br />

wünschen.<br />

FRIEDMAN bestreitet nicht die<br />

Notwendigkeit allgemeiner Bildung<br />

für alle, er ist in diesem<br />

Sinne auch nicht dagegen,<br />

öffentliche Gelder in Bildung zu<br />

investieren. Allerdings komme es<br />

sehr darauf an, wie der Gegenstand<br />

bestimmt werde. Grundlegend,<br />

so FRIEDMAN (1982, S.<br />

86ff.), sei zu unterscheiden zwischen<br />

der<br />

„general education for citizenship”,<br />

also der allgemeinen<br />

Bildung für künftige Bürgerinnen<br />

und Bürger,<br />

der Universitätsausbildung<br />

und der beruflichen Bildung<br />

(vocational and professional<br />

schooling) zu (ebd., S. 98ff.,<br />

100ff.).<br />

ANNA SCHWARTZ, 1963). Der Aufsatz<br />

„The Role of Government in Education“<br />

(1955) ist das sechste Kapitel von Capitalism<br />

and Freedom (FRIEDMAN 1982,<br />

S. 85-107). (Vgl. zum Kontext der neoliberalen<br />

Pädagogik: OSTERWALDER<br />

2003).<br />

3 School Choices:<br />

http://www.schoolchoises.org/htm


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 25<br />

Die allgemeine Bildung auf Primar-<br />

und Sekundarniveau wird<br />

als öffentliche Aufgabe akzeptiert,<br />

anders sei ein gemeinsames<br />

Minimum für alle Kinder der<br />

Gesellschaft nicht zu garantieren<br />

(ebd., S. 86). Daraus könne aber<br />

nicht abgeleitet werden, alle<br />

(staatlichen) Schulen direkt und<br />

gleich zu subventionieren. Vielmehr<br />

müsse der öffentliche Aufwand<br />

in Kunden investiert werden,<br />

die selbst wählen können,<br />

welche Bildung sie im Rahmen<br />

der staatlichen Vorgaben für ihre<br />

Kinder wollen oder nicht wollen.<br />

Von FRIEDMAN stammt das<br />

grundlegende Konzept der „Bildungsgutscheine”<br />

(vouchers), 4<br />

deren Zweck es ist, die regierungsabhängige<br />

education industry<br />

aufzulösen und mit demokratischen<br />

Entscheiden deren<br />

Macht zu brechen.<br />

Die staatliche Unterstützung der<br />

öffentlichen Bildung wird getrennt<br />

von der Finanzierung der Institutionen,<br />

eine Idee, die heute zunehmenden<br />

Einfluss gewinnt:<br />

„Governments could require a<br />

minimum level of schooling financed<br />

by giving parents vouchers<br />

redeemable for a specified<br />

maximum sum per child per year<br />

if spent on ‘approved’ educational<br />

services. Parents would then<br />

be free to spend this sum and<br />

any additional sum they themselves<br />

provided on purchasing<br />

educational services from an<br />

‘approved’ institution of their own<br />

choice. The educational services<br />

could be rendered by private<br />

enterprises operated for profit, or<br />

by non-profit institutions. The role<br />

of the government would be limited<br />

to insuring that the schools<br />

met certain minimum standards,<br />

such as the inclusion of a minimum<br />

common content in their<br />

programs, much as it now inspects<br />

restaurants to insure that<br />

4 Die Idee, (armen) Eltern Steuermittel<br />

zur Verfügung zu stellen, damit sie<br />

nach freier Wahl in die Schulbildung<br />

ihrer Kinder investieren können, stammt<br />

von THOMAS PAINE (The Rights of<br />

Man, Part 2/Chapter 5).<br />

they maintain minimum sanitary<br />

standards” (ebd., S. 89).<br />

Der Schlüsselbegriff ist educational<br />

services: Bildung wird nicht<br />

länger als hoheitliches Gebot,<br />

sondern als Dienstleistung verstanden,<br />

die angeboten und abgerufen<br />

werden muss. Der Staat<br />

legt Minimalstandards fest, die<br />

oberhalb einer bestimmten Grenze<br />

individualisiert werden können.<br />

Das System der Bildungsgutscheine<br />

setzt Wettbewerb<br />

zwischen privaten und öffentlichen<br />

Anbietern frei, Eltern können<br />

die besten Schulen für ihre<br />

Kinder auswählen, wobei sie die<br />

öffentliche Finanzierung mit Bildungsgutscheinen<br />

beliebig durch<br />

eigenes privates Kapital ergänzen<br />

können.<br />

Der Markt der Anbieter ist nicht<br />

gänzlich frei, auch in der Bildungsdienstleistung<br />

müssen<br />

bestimmte Kriterien garantiert<br />

sein, die der Staat als Rahmen<br />

festlegt. Wer den Test besteht,<br />

erhält die staatliche Anerkennung<br />

und kann seine Leistungen auf<br />

dem Bildungsmarkt anbieten. Die<br />

Nachfrage entscheidet über den<br />

Erfolg, was auch impliziert, dass<br />

erfolglose – also: nicht nachgefragte<br />

– Schulen vom Markt verschwinden.<br />

Was bislang ausgeschlossen<br />

ist, wird durch diesen<br />

Vorschlag provoziert; Schulen<br />

auf Bildungsmärkten müssen<br />

Konkurs machen können.<br />

Das gilt für den obligatorischen<br />

Bereich. Die Freiheit geht nicht<br />

so weit, auch die Schulpflicht<br />

abwählen zu können. FRIED-<br />

MAN sieht die Notwendigkeit, mit<br />

verpflichtenden Programmen<br />

allgemeiner Bildung Bürgerinnen<br />

und Bürger auf die demokratische<br />

Gesellschaft vorzubereiten.<br />

Die öffentliche Finanzierung wird<br />

nicht angetastet, auch wenn die<br />

Nutzung der Bildungsprogramme<br />

im Blick auf die Steuerbelastung<br />

schon im Bereich der Allgemeinbildung<br />

nicht gleich ist. Die Steuerzahler<br />

profitieren ungleich von<br />

den Bildungsangeboten, wer<br />

mehr Steuern zahlt, erhält nicht<br />

automatisch mehr Gegenwert an<br />

Bildung. Und Steuerzahler, die<br />

keine Kinder haben, profitieren<br />

vom schulischen Angebot höchstens<br />

indirekt, etwa dass Universitäten<br />

regelmässig Studenten<br />

erhalten, so dass die Forschungsqualität<br />

erhalten bleibt<br />

und gesellschaftliche Bereiche<br />

mit Know How versorgt werden.<br />

Wenn dieser ungleiche Nutzen<br />

aber in Kauf zu nehmen ist,<br />

muss, so FRIEDMAN, Kundenmacht<br />

durch Schulwahl freigesetzt<br />

werden. Diese Freisetzung<br />

würde das bisherige System sehr<br />

weitgehend verändern. Kinder<br />

könnten nicht mehr einfach nach<br />

festen Schulkreisen sortiert und<br />

einer bestimmten Schule zugeteilt<br />

werden, vielmehr hätten die<br />

Eltern oder die Erziehungsberechtigten<br />

die Wahl zwischen<br />

verschiedenen Schulen, die untereinander<br />

in Wettbewerb treten.<br />

Wer die stärkste Nachfrage provoziert,<br />

erhält die meisten Mittel;<br />

wer nur eine schwache Nachfrage<br />

auslöst, dem droht mit den<br />

ausbleibenden Mitteln Qualitätsverlust.<br />

Der Markt spielt: Alle<br />

Anbieter müssen sich anstrengen,<br />

niemand kann sicher sein,<br />

die einmal erreichte Nachfrage<br />

auf Dauer halten zu können.<br />

Höhere Bildung und Berufsbildung<br />

werden anders behandelt.<br />

Bei der Höheren Bildung werden<br />

staatliche Mittel, soweit sie zur<br />

Verfügung stehen, in Stipendien<br />

(scholarships) investiert, nicht in<br />

staatliche Colleges oder Universitäten,<br />

die den privaten Anbietern<br />

einen unfairen Wettbewerb<br />

aufzwingen (ebd., S.99/100). Die<br />

berufliche Bildung ist ganz Sache<br />

der privaten Investition, die je<br />

individuell bestimmen muss, mit<br />

welchem Aufwand sie welchen<br />

Nutzen erreichen will (ebd.,<br />

S. 101). Wenn dieser Markt noch<br />

nicht entwickelt ist, schreibt<br />

FRIEDMAN 1955, dann nur aus<br />

dem Grunde, weil die Staatsintervention<br />

zu gross ist (ebd.,<br />

S. 104). Wettbewerb wird verhindert,<br />

entsprechend werden Privilegien<br />

geschützt, die nur durch<br />

gezielte Investition oder durch<br />

wirkliche Kundenmacht heraus-


26 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

gefordert werden können (ebd.,<br />

S. 107).<br />

Diese Ideen:<br />

Reduktion der öffentlichen<br />

Bildung auf einen Kernbereich,<br />

Investition in Individuen und<br />

nicht in Institutionen,<br />

freie Wahl unter einem Angebot,<br />

das sich im Wettbewerb<br />

entwickelt<br />

dominieren die heutige Bildungsdiskussion,<br />

mindestens im angelsächsischen<br />

Bereich. Das ist<br />

auch in der Hinsicht erstaunlich,<br />

als kaum jemand FRIEDMANS<br />

Thesen zur Zeit ihrer Veröffentlichung<br />

beachtet hat. Keine einzige<br />

grössere Zeitschrift oder Zeitung<br />

hat FRIEDMANS Buch von<br />

1962 – Capitalism and Freedom<br />

– rezensiert. Der relative Verkaufserfolg<br />

als Longseller 5 spiegelt<br />

allmählich anwachsendes<br />

Interesse, während in den sechziger<br />

Jahren, nicht nur in den<br />

Vereinigten Staaten, die genau<br />

gegenteilige Politik angesagt<br />

war.<br />

Aber die staatliche Schulentwicklung<br />

scheint nur eine Erwartung<br />

wirklich zu bestätigen,<br />

nämlich dass mehr Mittel immer<br />

nur Gleiches erzeugen, und dies<br />

bei sinkenden Erträgen, wie etwa<br />

aus den PISA-Daten geschlossen<br />

werden könnte. Die Akzeptanz<br />

von FRIEDMANS Ideen<br />

setzt die Akzeptanz von radikaler<br />

Schulkritik voraus, aus der folgte,<br />

das System grundlegend ändern<br />

zu müssen, wenn wirklich Aufwand<br />

und Ertrag in einem kontrollierbaren<br />

Zusammenhang<br />

gesetzt werden sollen. Die Kritik<br />

geht von folgenden Tatbeständen<br />

aus:<br />

Staatliche Schulen sind unkontrollierbar<br />

teuer,<br />

5 Capitalism and Freedom verkaufte sich<br />

in mehr als 400’000 Exemplaren bis<br />

1980. 1980 erschien das Buch Free to<br />

Chose, das MILTON und ROSE<br />

FRIEDMAN verfassten; dieses Buch<br />

wurde allein im ersten Jahr des Erscheinens<br />

in 400’000 Hardcover-<br />

Versionen abgesetzt. Es entstand nach<br />

einer gleichnamigen Fernsehserie.<br />

die tatsächlichen Leistungen<br />

verschwinden hinter wohlmeinender<br />

Ideologie,<br />

weitere Investitionen in dieses<br />

System verbessern nur die<br />

Privilegien des Status Quo.<br />

Die Prämisse der Kritik ist Freiheit.<br />

„Freiheit von Kunden” ist<br />

eine abstrakte Grösse, die weder<br />

auf soziale und kulturelle noch<br />

auf gesellschaftliche Unterschiede<br />

achten muss. Kunden sind<br />

„Kunden”, weil sie sich, unabhängig<br />

davon, was sie selber<br />

ausmacht, für oder gegen Angebote<br />

entscheiden, also eine rationale<br />

Wahl treffen können.<br />

Das Hauptargument der Kritik<br />

bezieht sich auf die Macht der<br />

bürokratischen Organisation, die<br />

Freiheit behindert. Die Idee ist<br />

einfach: Alle staatlichen Anbieter<br />

müssten einem Wettbewerb ausgesetzt<br />

werden, also sich auf<br />

Bildungsmärkten bewähren, weil<br />

nur dadurch Entwicklungsanreize<br />

entstehen, die Monopole – auch<br />

Monopole pädagogischer Macht<br />

– ausschliessen. Die staatlichen<br />

Lehrpläne und Programme der<br />

Schulentwicklung, die im 19.<br />

Jahrhundert entstanden und im<br />

20. Jahrhundert weltweit etabliert<br />

wurden, sind de facto Monopole.<br />

Sie verletzen, wie FRIEDRICH<br />

AUGUST HAYEK 1960 6 schrieb,<br />

6 The Constitution of Liberty erschien im<br />

amerikanischen Original 1960. FRIED-<br />

RICH AUGUST VON HAYEK (1899-<br />

1992) war von 1927 bis 1931 Direktor<br />

des Oesterreichischen Instituts für Konjunkturforschung<br />

in Wien. HAYEK habilitierte<br />

sich 1929 in Politischer Ökonomie<br />

an der Universität Wien. Er wurde<br />

durch seine Prognose der Rezession<br />

1929 schnell bekannt und wurde 1931<br />

zum Tooke Professor of Economic<br />

Science an der London School of Economics<br />

and Political Science ernannt.<br />

HAYEK, seit 1938 englischer Staatsbürger,<br />

verliess die London School of<br />

Economics wegen eines Scheidungsprozesses.<br />

1950 erhielt er eine Stelle<br />

an der University of Chicago, wo er mit<br />

MILTON FRIEDMANS und GEORGE<br />

STIGLER zusammen arbeitete. HAYEK<br />

wurde 1962 auf eine Professur für Wirtschaftspolitik<br />

der Universität Freiburg/Breisgau<br />

berufen, die er bis 1967<br />

versah. Er erhielt 1974, mit GUNNAR<br />

MYRDAL, also seinem Hauptopponenten,<br />

den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.<br />

die „Mannigfaltigkeit” (HAYEK<br />

1971, S. 466) und beeinträchtigen<br />

die individuelle Freiheit. Es<br />

könnte sich bald herausstellen,<br />

so HAYEK,<br />

„dass die Lösung darin liegen<br />

wird, dass die Regierung nicht<br />

mehr der Hauptträger der Erziehung,<br />

sondern der unparteiische<br />

Beschützer des Einzelnen gegen<br />

jede Verwendung” der pädagogischen<br />

Macht, also der politischen<br />

Bürokratie, werden muss (ebd.,<br />

S. 467).<br />

Für die praktischen Lösungen<br />

verweist HAYEK auf FRIED-<br />

MANS Aufsatz aus dem Jahre<br />

1955, also auf Bildungsgutscheine,<br />

private Darlehen zur Finanzierung<br />

höherer Bildung und<br />

hinreichende Selektivität des<br />

Bildungssystems (ebd.,<br />

S. 467ff.). Theoretisch verschärft<br />

HAYEK die Spannung zwischen<br />

Gleichheit (equality) und Qualität<br />

(excellence), indem er darauf<br />

hinweist, dass nur staatliche<br />

Reglementierung, die Zufälle<br />

ausschalten soll, für Chancengleichheit<br />

sorgen kann, 7 also die<br />

Illusion weckt, alle würden „mit<br />

denselben Aussichten beginnen”<br />

(ebd., S. 472), während der Erfolg<br />

selbst gesucht und geschaffen<br />

werden muss, so dass in<br />

jedem System Gewinner und<br />

Verlierer erzeugt werden, die<br />

vorher wissen müssen, welche<br />

Risiken sie eingehen. Ausschalten<br />

kann man diese kompetitive<br />

Selektivität nur dadurch,<br />

„dass „manchen Möglichkeiten<br />

genommen werden, die nicht<br />

7 „Der dem Verlangen nach ‘sozialer<br />

Gerechtigkeit’ zugrunde liegende<br />

Wunsch, die Wirkungen des Zufalls<br />

auszuschalten, kann auf dem Gebiet<br />

der Erziehung ebenso wie überall sonst<br />

nur erfüllt werden, wenn alle jene Gelegenheiten<br />

ausgeschlossen werden, die<br />

nicht der bewussten Regelung unterworfen<br />

sind. Aber die Entwicklung der<br />

Zivilisation beruht grösstenteils darauf,<br />

dass die Einzelnen von den ihnen begegnenden<br />

Zufälligkeiten und den im<br />

wesentlichen unvoraussagbaren Vorteilen,<br />

die ihnen ein bestimmtes Wissen in<br />

neuen Verhältnissen über andere<br />

geben wird, den besten Gebrauch zu<br />

machen” (HAYEK 1971, S. 471).


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 27<br />

allen geboten werden können.<br />

Während wir wünschen, dass<br />

jedermanns Gelegenheiten so<br />

gross wie nur möglich seien,<br />

würden wir sicherlich die Möglichkeiten<br />

der meisten verringern,<br />

wenn wir verhindern wollten,<br />

dass sie grösser sind als die der<br />

weniger Begünstigten” (ebd.).<br />

Das Problem ist nicht, folgen wir<br />

HAYEK, durch standardisierte<br />

Leistungskontrollen lösbar, weil<br />

dann alle in Frage kommenden<br />

Personen einem Test unterworfen<br />

werden müssten, der seinerseits<br />

nur eine bestimmte Sichtweise<br />

von „Leistung” zum Ausdruck<br />

bringen kann. Die Selektivität<br />

wäre eine staatlich kontrollierte,<br />

die nicht mehr Gerechtigkeit<br />

erzeugt als der Verzicht auf<br />

Selektivität. Beides sind gleich<br />

schlechte Mittel, weil sie individuelle<br />

Unterschiede entweder<br />

nicht zulassen oder nicht genügend<br />

honorieren, während Individuen<br />

lernen und so die Unterschiede<br />

selbst erzeugen. Kein<br />

System kann ihre Fähigkeit objektiv<br />

nachweisen oder bestimmen,<br />

jeder Versuch führt nur<br />

dazu, zufällige Kategoriensysteme<br />

mit Selektionsmacht zu versehen,<br />

ohne Entscheide wirklich<br />

absichern zu können. Sie bleiben<br />

subjektiv und beliebig. 8<br />

8 „Die Forderung, dass die Ausbildung nur<br />

jenen gegeben werden soll, deren Fähigkeit<br />

erwiesen ist, führt zu einer<br />

Situation, in der die ganze Bevölkerung<br />

nach einem objektiven Test eingestuft<br />

wird und in der über die Frage, was für<br />

Personen sich für die Vorteile einer höheren<br />

Ausbildung eignen, nur eine Meinung<br />

massgebend ist. Das bedeutet<br />

eine offizielle Einstufung der Menschen<br />

in eine Rangliste mit dem bescheinigten<br />

Genie auf der obersten Stufe und dem<br />

bescheinigten Dummkopf auf der untersten<br />

– eine Rangliste, die dadurch<br />

noch schlimmer wird, dass sie angeblich<br />

‘Verdienst’ ausdrückt und den Zugang<br />

zu den Möglichkeiten bestimmen<br />

wird, bei denen sich der Wert zeigen<br />

kann. Wo die ausschliessliche Stützung<br />

auf ein staatliches Erziehungssystem<br />

‘sozialer Gerechtigkeit’ dienen soll, wird<br />

über die Frage, worin eine höhere Ausbildung<br />

besteht - und daher auch, welche<br />

Fähigkeiten dazu berechtigen -,<br />

eine einzige Ansicht allgemein massgebend<br />

sein und die Tatsache, dass<br />

jemand eine höhere Ausbildung genossen<br />

hat, wird als Beweis angesehen,<br />

Der Ausweg könne nur ein persönlich<br />

verantworteter Wettbewerb<br />

sein, in dem die Ausbildungschancen<br />

und die Ausbildungsrisiken<br />

nicht staatlich verteilt<br />

bzw. staatlich ausgeschlossen,<br />

sondern individuell ausgetragen<br />

werden. Was allerdings<br />

genau „Bildungswettbewerb”<br />

heisst, wird nicht gesagt, insbesondere<br />

wird nicht auf die Risiken<br />

dieses Vorschlages hingewiesen.<br />

Die Kritik an den staatlichen<br />

Schulen ist stark, die Abwägung<br />

der Folgen der eigenen<br />

Vorschläge schwach. Wesentlich<br />

mehr als die Logik der Freiheit,<br />

um MICHAEL POLANYI (1951)<br />

zu zitieren, ist den Argumenten<br />

nicht zu entnehmen, zumal sie<br />

entschlossen ignorieren, was die<br />

Schulentwicklung im 19. und 20.<br />

Jahrhundert tatsächlich bestimmt<br />

hat.<br />

Bildungsmärkte sind so gesehen<br />

ahistorische Vorschläge, die für<br />

einen radikalen Systemwechsel<br />

plädieren, ohne den Misserfolg<br />

des abgelehnten Systems hinreichend<br />

unter Beweis gestellt zu<br />

haben. Die Idee, Bildungsmärkte<br />

könnten für bessere Lösungen<br />

sorgen als staatliche Schulen,<br />

setzt voraus, dass die bisherigen<br />

Lösungen schlecht gewesen sind<br />

oder wenigstens ihren Optimierungszenit<br />

überschritten haben.<br />

Das würde historische Studien<br />

verlangen, die nachweisen könnten,<br />

staatliche Schulentwicklungen<br />

wären uneffektiv, ungerecht<br />

und sorgten mit ihren Nivellierungseffekten<br />

tatsächlich für eine<br />

schädigende Beschränkung der<br />

menschlichen Freiheit. Studien<br />

mit einem solchen Ergebnis liegen<br />

nicht vor.<br />

Die Effekte staatlicher Entwicklungspolitik<br />

sind für viele Länder<br />

das Vorbild rationaler Schulorganisation;<br />

sie sind nie nur negativ.<br />

Das zeigt sich auch in den Vereinigten<br />

Staaten, und es ist an sich<br />

erstaunlich, dass Autoren wie<br />

Milton Friedman diese Effekte<br />

dass er sie ‘verdient’ hat” (HAYEK<br />

1971, S. 473).<br />

nicht sehen oder nicht ernst<br />

nehmen.<br />

4. Effekte staatlicher<br />

Schulpolitik<br />

Lehrpläne, Lehrmittel, Lehrerstellen,<br />

der Apparat der Schule,<br />

seine geschützte staatliche Stellung<br />

und seine hoheitliche Verfassung<br />

definierten ein in vieler<br />

Hinsicht autonomes System, das<br />

sich der ökonomischen Logik der<br />

Freiheit entzog, weil nicht Individuen,<br />

sondern Institutionen gefördert<br />

wurden. Irgendein Nachweis,<br />

dass damit nur Schaden<br />

angerichtet wurde, steht historisch<br />

aus. Das gilt auch und gerade<br />

für die amerikanische<br />

Schulentwicklung, die nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg, als FRIED-<br />

MAN und HAYEK ihre Konzepte<br />

entwickelten, einen Modernisierungsschub<br />

erlebte, der imstande<br />

war, die gravierenden Unterschiede<br />

zwischen Stadt und<br />

Land und damit teilweise auch<br />

zwischen Arm und Reich wenn<br />

nicht auszugleichen, so doch zu<br />

minimieren.<br />

Insbesondere im weniger entwickelten<br />

Süden der Vereinigten<br />

Staaten hatten ländliche Schulen<br />

noch vor dem Zweiten Weltkrieg<br />

oft nur einen einzigen Raum zur<br />

Verfügung, waren karg und primitiv<br />

ausgestattet, mussten oft Absenzen<br />

von Schülerinnen und<br />

Schülern, die zur Feldarbeit eingesetzt<br />

wurden, in Kauf nehmen,<br />

waren zudem lokalen Regeln der<br />

Geschlechter- und Rassentrennung<br />

ausgesetzt und sollten vielfach<br />

bewusst keine grösseren<br />

Entwicklungschancen erhalten<br />

(ZILVERSMIT 1993, S. 26). Man<br />

sieht die Retardierung durch eine<br />

nur knapp elementarisierende<br />

Schule, der jeder Anschluss an<br />

Höhere Bildung verweigert war.<br />

Grössere Investitionen wurden<br />

nicht getätigt, andere als staatliche<br />

Anbieter 9 standen nicht zur<br />

Verfügung. Kein Privatunternehmer<br />

wäre auf die Idee gekom-<br />

9 „Staatlich” verstanden im Blick auf<br />

lokale, öffentlich kontrollierte Schulbezirke.


28 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

men, hier zu investieren, selbst<br />

wenn es möglich gewesen wäre,<br />

in solche Bildungsmärkte zu investieren.<br />

Bildungsmärkte entstehen nur<br />

dann, wenn zuvor eine kontinuierliche<br />

und erfolgreiche staatliche<br />

Entwicklungspolitik stattgefunden<br />

hat.<br />

Bildungsmärkte setzen ein<br />

qualitativ anspruchsvolles<br />

Schulsystem voraus, damit<br />

zugleich die Gewöhnung des<br />

Publikums an Standards der<br />

Verschulung, die nicht unterschritten<br />

werden dürfen.<br />

Erst von einem bestimmten,<br />

nicht zu tiefen Niveau an werden<br />

private Investitionen<br />

überhaupt erst angereizt, wobei<br />

niemand genau sagen<br />

kann, ab wann sie sich lohnen.<br />

Auf jeden Fall sollen die historischen<br />

Leistungen des<br />

Staates nicht abgegolten<br />

werden. Das Konzept der Bildungsmärkte<br />

setzt sie voraus,<br />

deutlich als Kalkulationsvorteil.<br />

[…]<br />

Die neoliberale Schulkritik der<br />

fünfziger Jahre, das lässt sich<br />

zusammenfassend sagen,<br />

nahm weder Rücksicht auf<br />

zeitgenössische Projekte, die<br />

bestimmte ihrer Anliegen unterstützten,<br />

ohne gleich einen<br />

Systemwechsel in Richtung<br />

Bildungsmärkte herbeiführen<br />

zu wollen,<br />

noch auf die Geschichte des<br />

Feldes, die gezeigt hätte,<br />

dass einzig staatliche Investitionen<br />

für eine in der Breite<br />

nennenswerte Schulentwicklung<br />

sorgen konnten.<br />

Das Schulsystem lernte im 19.<br />

Jahrhundert, eigene Standards<br />

der Effektivität auszubilden, die<br />

allmählich – wenngleich nie völlig<br />

– den Möglichkeiten und Bedürfnissen<br />

von Schülerinnen und<br />

Schülern angenähert wurden,<br />

ohne den Anspruch allgemeiner<br />

und in einem hohen Minimum<br />

gleichen Bildung für alle preiszugeben.<br />

Die Schulqualität verbesserte<br />

sich auf diesem Wege, mit<br />

grossen Anstrengungen und<br />

zunehmenden Erfolgen.<br />

Faire Leistungsbilanzen, die mit<br />

der Geschichte des Systems<br />

rechnen, spielen in der neoliberalen<br />

Kritik der Staatsschule<br />

keine Rolle. Sie ist fixiert auf den<br />

Gegensatz von staatlicher Bürokratie,<br />

die in toto als uneffektiv<br />

dargestellt wird, und „market<br />

settings”, die ebenso pauschal<br />

als effizient angepriesen werden.<br />

JOHN CHUBB und TERRY MOE<br />

beschreiben diesen Gegensatz<br />

wie folgt: Der allgemeinste Grund<br />

für die Überlegenheit des Marktsystems<br />

ergibt sich daraus, dass<br />

Marktkräfte den Besitzern privater<br />

Schulen starke Anreize (incentives)<br />

geben, bürokratische<br />

Organisationen zu vermeiden<br />

und stattdessen die eigene Autonomie<br />

zu befördern<br />

(CHUBB/MOE 1990, S. 51).<br />

Aber Schulen sind keine „bürokratischen<br />

Organisationen”, die<br />

sich an untauglichen Problemen<br />

abarbeiten, unfähig sind, effektiv<br />

zu arbeiten und letztlich an der<br />

eigenen Organisation scheitern.<br />

Wie immer man Schulen beschreiben<br />

will, man kommt nicht<br />

an der Tatsache vorbei, dass sie<br />

kollegial verfasst sind, also<br />

wenn überhaupt, dann nur eine<br />

flache Hierarchie ausbilden,<br />

mit Noten und Patenten einen<br />

Output nachweisen,<br />

die staatlichen Standards<br />

weder beliebig unterschreiten<br />

noch ignorieren können<br />

und der historische Beweis für<br />

ihre Uneffektivität fehlt.<br />

Warum haben dann aber Argumente<br />

für Bildungsmärkte heute<br />

so eine eigentümliche Attraktivität<br />

Zunächst verwendet auch<br />

die Kritik an Marktorientierungen<br />

wesentlich ein utilitäres Argument.<br />

Nutzerwägungen und Effizienzforderungen<br />

sind unausweichlich.<br />

Das war allerdings, um<br />

es zu wiederholen, historisch nie<br />

anders; wesentliche Massnahmen<br />

zur Schulentwicklung galten<br />

immer der Verbesserung der<br />

Effektivität von Schulen. Nur sind<br />

die Massnahmen nicht lediglich,<br />

wie in der neo-liberalen Bildungstheorie,<br />

auf den individuellen,<br />

sondern auf einen kollektiven<br />

Nutzen hin berechnet worden.<br />

Das Carnegie-Projekt von 1951 10<br />

sollte demokratischen Zielen und<br />

so einem politischen Nutzen<br />

dienen, der Bildung deutlich als<br />

common good, als gemeinsames<br />

Gut oder Gut der Gemeinschaft,<br />

verstand. Der Nutzen für Demokratie<br />

und in dieser Hinsicht auch<br />

für Freiheit lässt sich aber kaum<br />

nach Einkommensgewinnen oder<br />

-verlusten berechnen, die irgendwie<br />

mit Bildungskarrieren in<br />

Verbindung gebracht werden<br />

(KAHNE 1996, S. 99ff.).<br />

Die Human-Capital-Theorie hat<br />

hier klare Grenzen, weil der<br />

Zweck der Verschulung nicht<br />

lediglich individueller Nutzen ist,<br />

sondern immer ein common<br />

good – Nutzen für das Allgemeinwohl<br />

– ins Spiel gebracht<br />

wird. Anders wäre Bildung überhaupt<br />

frei zu stellen, was den<br />

Rückzug des Staates zur Folge<br />

hätte, der dann jegliches Interesse<br />

verlieren würde, ob und wie<br />

künftige Bürgerinnen und Bürger<br />

imstande sind, öffentliche Geschäfte<br />

zu verstehen oder nicht.<br />

So weit gehen gerade Autoren<br />

wie MILTON FRIEDMAN nicht;<br />

sie betonen deutlich ausserökonomische<br />

Kriterien öffentlicher<br />

Bildung, die einzig imstande sind,<br />

die allgemeine Schulpflicht zu<br />

rechtfertigen. Anders liesse sich<br />

Bildung im Übrigen auch nicht<br />

begrenzen, weil alles, was irgendwie<br />

mit kognitiven oder ästhetischen<br />

Ansprüchen zu tun<br />

hat, „Bildung” genannt werden<br />

kann.<br />

10 Das Citizen Education Project, das<br />

vom Teachers College der Columbia<br />

University in New York lanciert wurde<br />

und 1951 von der Carnegie Corporation<br />

eine Unterstützung von mehr als einer<br />

Million Dollar erhielt, sollte zur Freiheit<br />

erziehen und die amerikanischen Werte<br />

persönlicher Autonomie und demokratischer<br />

Verfassung sollten gegen die<br />

kommunistische Herausforderung verteidigt<br />

werden.


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 29<br />

Die Freiheit der Schulwahl führt<br />

sofort zur Frage, was Eltern entscheiden<br />

sollen und können,<br />

wenn sie die „beste Bildung für<br />

ihr Kind” wählen. In einem nennenswerten<br />

Sinne könnte überhaupt<br />

nur dann gewählt werden,<br />

wenn es zwischen den Schulen<br />

grosse und erkennbare Unterschiede<br />

im Angebot gäbe. Aber<br />

öffentliche Schulen vollziehen<br />

identische Aufträge und sind im<br />

Blick auf ihre Angebote keineswegs<br />

„autonom”. Wenn sich<br />

Qualität der Schulen unterscheidet,<br />

was zu erwarten ist, würde<br />

das nicht dazu berechtigen, die<br />

schlechtere Schule zu benachteiligen,<br />

was eine freigesetzte<br />

Schulwahl, die Ranglisten von<br />

„gut” und “schlecht” zur Verfügung<br />

hat, sofort bewirken würde.<br />

Die schlechtere Schule erfüllt<br />

keinen anderen Auftrag als die<br />

bessere. Evaluationsdaten, die<br />

auf eine schlechtere Qualität<br />

verweisen, können also, angesichts<br />

des gemeinsamen Auftrages,<br />

nur der Anlass sein, für Verbesserungen<br />

zu sorgen. Schwächen<br />

müssen ausgeglichen werden,<br />

während das Marktmodell<br />

den Verlust der Lizenz vorsieht,<br />

wenn eine minimale Nachfrage<br />

unterschritten wird.<br />

Das hätte zwei missliche Konsequenzen:<br />

Bei gleicher Gesamtschülerzahl<br />

müssten stark nachgefragte<br />

Schulen einen Numerus<br />

Clausus einführen, der ihre Qualität<br />

schützen soll und dadurch<br />

andere Anbieter benachteiligt;<br />

gleichzeitig begrenzt die Finanzierung<br />

durch Nachfrage diesen<br />

Selbstschutz, weil die Mittel nach<br />

dem Schüleraufkommen und so<br />

den Elternwahlen verteilt werden.<br />

Gute Schulen würden sich durch<br />

einen strikten Numerus Clausus<br />

schützen und schädigen:<br />

Wenn sie ihre Schülerzahl<br />

begrenzen, verzichten sie auf<br />

Mittel, die aus ihrer Attraktivität<br />

für Eltern erwachsen;<br />

wenn sie die Schülerzahl mit<br />

der Nachfrage ausweiten, bedrohen<br />

sie ihre Qualität, die<br />

der Grund ist für die Nachfrage.<br />

Gerade einzelne, erfolgreiche<br />

Schulen kommen also in Schwierigkeiten,<br />

wenn wirklich die Elternwahl<br />

freigesetzt wird und die<br />

Wahl sich nach Rangskalen von<br />

„gut” und „schlecht” ausrichten.<br />

5. Ausblick auf die Entwicklung<br />

der öffentlichen Bildung<br />

[…] Die Idee der freien Schulwahl<br />

und der Einführung von<br />

Bildungsgutscheinen ist, wenigstens<br />

in der Literatur, populärer<br />

denn je. Sie hat, ohne grosse<br />

Untersuchung der gescheiterten<br />

amerikanischen Kampagnen, die<br />

Schweiz erreicht, mit Argumenten,<br />

die sämtlich auf HAYEK und<br />

FRIEDMAN zurückzuführen sind<br />

und die erneut der Schlüsselfrage<br />

ausweichen, ob und wenn ja,<br />

wie öffentliche Güter mit Marktmodellen<br />

in Verbindung gebracht<br />

werden können, ohne dass die<br />

allgemeine Bildung der Bürgerinnen<br />

und Bürger einen Schaden<br />

erleidet. Der Markt müsste es<br />

besser machen, aber das liesse<br />

sich erst nach der Systementscheidung<br />

feststellen. Wer diesen<br />

Wechsel ernsthaft wünscht,<br />

muss eine Risikoanalyse in Auftrag<br />

geben.<br />

Freilich, eine weitreichende Privatisierung<br />

des Bildungssystems<br />

hat bislang in den Vereinigten<br />

Staaten ebenso wenig stattgefunden<br />

wie die komplette Umstellung<br />

der Bildungsfinanzierung<br />

auf Vouchers (so noch eine starke<br />

Programmatik am Ende der<br />

REAGAN-Administration: LIE-<br />

BERMAN 1989). Auf der anderen<br />

Seite werden die öffentlichen<br />

Haushalte eng, die Mittel verknappen<br />

sich, das Bildungssystem<br />

kann nicht ewig mit Zuwachs<br />

rechnen. Die staatliche<br />

Finanzierung, wie immer sie organisiert<br />

werden mag, kann nicht<br />

jeden irgendwie berechtigten<br />

Bildungswunsch unterstützen,<br />

sondern muss sich auf Kernaufgaben<br />

beschränken, was deswegen<br />

schwer fällt, weil sich die<br />

eigentlichen „Kunden” des Bildungssystems,<br />

also die Schüler,<br />

längst daran gewöhnt haben,<br />

eine Shopping Mall vor sich zu<br />

sehen (so die Kritik Mitte der<br />

achtziger Jahre: PO-<br />

WELL/FERRAR/COHEN 1985).<br />

Die neuere theoretische Kritik an<br />

Marktmodellen in der Bildung<br />

greift auf die klassische Nationalökonomie<br />

zurück 11 und minimiert<br />

oder marginalisiert die beiden<br />

neoliberalen Alternativen,<br />

nämlich die Human-Capital- und<br />

die Rational-Choice-Theorie.<br />

Eine allgemeine Bildung, die an<br />

öffentlichen Gütern (public<br />

goods) orientiert ist, also die<br />

nicht einfach von Abschlüssen<br />

Gewinne erwartet, sondern von<br />

Lernen Effekte für Bürgerinnen<br />

und Bürger, lässt sich nicht<br />

marktförmig organisieren, weil<br />

und soweit Märkte nur Gewinne<br />

oder Verluste für Individuen –<br />

Personen oder Unternehmen –<br />

regeln (WINCH 1996, S. 110f.).<br />

Wer keine öffentlichen Güter<br />

anerkennt, kann auch keine öffentlichen<br />

Unternehmungen anerkennen<br />

und so aber auch keine<br />

öffentlichen Wahlen (STRET-<br />

TON/ORCHARD 1994). Allgemeinbildende<br />

Schulen sind aber<br />

nicht anders als mit öffentlichen<br />

Gütern zu begründen. Bedürfnisse<br />

von Kindern, die die Eltern<br />

definieren, sind kein hinreichender<br />

Grund, das bisherige System<br />

umzustellen, was umgekehrt<br />

aber auch nicht heissen kann,<br />

zwischen einzelnen Schulen<br />

gravierende Qualitätsunterschiede<br />

in Kauf nehmen zu müssen.<br />

Das Lernen muss nachweislich<br />

mit öffentlichen Gütern verknüpft<br />

werden, anders ist die exklusive<br />

Zuständigkeit der Schule ernsthaft<br />

bedroht. Die Grenzen der<br />

Marktmetapher (HENIG 1994)<br />

lassen sich nur empirisch zeigen,<br />

während auf der anderen Seite<br />

immer genügend kritisches Potential<br />

vorhanden ist, die tatsächlichen<br />

Leistungen der Schule,<br />

11 Gemeint ist der Teil III “Of the Expence<br />

of Public Works and public Institutions”<br />

im fünften Buch von ADAM<br />

SMITH’ The Wealth of Nations. Ich folge<br />

der Deutung von OSTERWALDER<br />

(1993)


30 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

weil über sie wenig bekannt ist,<br />

in Frage zu stellen. Effizienzfragen<br />

stellen sich also nicht nur<br />

negativ, sondern zugleich positiv.<br />

In Zukunft werden Schulen<br />

nachweisen müssen, was sie zur<br />

Festigung öffentlicher Güter beitragen<br />

und warum sie eine echte<br />

Marktorganisation nicht vertragen.<br />

Die Bildungspolitik der Zukunft<br />

wird sich vermutlich an der<br />

Frage entscheiden, ob die Schulen<br />

nach klar festgelegten Standards<br />

ihre Ressourcen effektiv<br />

einsetzen oder nicht. Das System<br />

ist zu teuer, um keine Kostenfragen<br />

aufzuwerfen (LE-<br />

VIN/MCEWAN 2001).<br />

Andererseits sind die Alternativen<br />

nur dann überzeugend,<br />

wenn bestimmte Zusammenhänge<br />

ausgeblendet werden. Elternwahlen<br />

sind immer Interessen<br />

geleitete Wahlen. Das Interesse<br />

am Wohl des eigenen Kindes<br />

wäre plötzlich für den Unterhalt<br />

von Schulen die dominante Grösse,<br />

die nicht garantieren könnte,<br />

dass andere als nur die Interessen<br />

für das eigene Kind die<br />

schulischen Angebote bestimmen.<br />

Das Wohl des eigenen<br />

Kindes geht mit Wertungen einher,<br />

die nicht nur individuell, sondern<br />

oft unvereinbar mit anderen<br />

Wertungen sind. Bildungsgutscheine<br />

sind eine überragende<br />

Forderung, der keine auch nur<br />

annähernde Praxis gegenübersteht<br />

(MANGOLD/OELKERS/<br />

RHYN 2000). Oft sind Vouchers<br />

nur andere Formen der Förderung<br />

von Bedürftigen, fast immer<br />

sind damit nur marginale Zahlen<br />

verbunden, vielfach entsprachen<br />

aber auch diese Versuche nicht<br />

den Erwartungen, weil freie<br />

Wahlen komplexe Entscheidungen<br />

verlangen, eine Transparenz,<br />

die fast nie gegeben ist,<br />

und einen Aufwand, der in keinem<br />

Verhältnis steht zum Ertrag.<br />

Modellrechnungen zeigen, dass<br />

sich das amerikanische Bildungssystem<br />

dramatisch verteuerte,<br />

würde wirklich flächendeckend<br />

die Bildungsfinanzierung<br />

auf Vouchers umgestellt. 12<br />

Nichts garantiert, dass sich dadurch<br />

die Wirksamkeit des Bildungssystems<br />

signifikant verbessern<br />

würde, zumal die Finanzierung<br />

der Bildung keinen Aufschluss<br />

darüber gibt, welche<br />

Effekte überhaupt erwartet werden.<br />

Schon die Frage, ab wann<br />

Freiheit so beschaffen ist, dass<br />

sie auch verantwortlich genutzt<br />

wird, lässt sich mit diesen Vorgaben<br />

kaum beantworten. Freiheit<br />

würde Bildung in einem bestimmten<br />

Minimum voraussetzen,<br />

über das nicht wiederum<br />

freiheitlich entschieden werden<br />

kann. Sollen entscheidungsfähige<br />

Kunden entstehen, müssen<br />

sie gebildet werden, ohne dabei<br />

wiederum nur „Kunden” sein zu<br />

können.<br />

Das vorgesehene Minimum der<br />

Bildung muss gleich vorhanden<br />

sein, also in allen sozialen Milieus<br />

und geographischen Räumen.<br />

Ein Bildungsmarkt wäre aus<br />

Gründen der Kundenkonzentration<br />

ausserstande, schwach besiedelte<br />

Gebiete zu bedienen,<br />

aber der Markt könnte auch nicht<br />

angemessen (fair) auf starke<br />

Ungleichverteilung von Elternressourcen<br />

reagieren. Die Reichen<br />

könnten weit mehr Zusatzinvestitionen<br />

aufbringen als die<br />

Armen und sich so die Schulen<br />

anmieten, die sie für ihre – und<br />

nur ihre – Kinder wünschen.<br />

Übertragen auf die Schweiz lässt<br />

sich sagen: Bislang liegen nur<br />

Modelldiskussionen vor, ernsthafte<br />

politische Initiativen gibt es<br />

derzeit nicht, wenngleich das<br />

Problem deutlich spürbar ist. Die<br />

Frage der Bildungsfinanzierung<br />

und so der Leistungserwartungen<br />

stellt sich unweigerlich. Und sie<br />

muss beantwortet werden, ohne<br />

sich auf die alten Sicherheiten<br />

zurückziehen zu können. Auf-<br />

12 Die Transportkosten würden dramatisch<br />

steigern, damit einhergehend der<br />

Versicherungs- und der Betreuungsaufwand,<br />

die Kosten für die Administration<br />

des neuen Systems, für unvorhergesehene<br />

Systemfehler, für Gerichtsprozesse<br />

usw. (Angaben nach LEVIN<br />

1998).<br />

wand und Ertrag müssen in ein<br />

transparentes Verhältnis gesetzt<br />

werden, was erklärt, warum Bildungsmonitoring<br />

und Schulevaluation<br />

zu zentralen Themen der<br />

Bildungspolitik geworden sind.<br />

Aber vermutlich stellt sich auf<br />

absehbare Zeit die Systemfrage<br />

– Staat oder Markt – nicht. Das<br />

gilt allerdings nur für den obligatorischen<br />

Bereich, der auch gesellschaftlich<br />

gut geschützt ist.<br />

Ein Grund, sich auszuruhen, ist<br />

das nicht.<br />

Literatur<br />

CIBULKA (Eds.): Private Schools and<br />

Public Policy. International Perspectives.<br />

New York/London: The Falmer<br />

Press 1989, S. 285-313.<br />

CHUBB J.E./MOE, T.M.: Politics, Markets,<br />

and America’s Schools. Washington,<br />

D.C.: The Brookings Institution<br />

1990.<br />

COONS, J.E.: School Choice as Simple<br />

Justice. In: First Things 1992, S. 15-<br />

22.<br />

COULSON, A.J.: Market Education: The<br />

Unknown History. New Brunswick<br />

N.J.: Transaction Publishers 1999.<br />

FINKELSTEIN, B.: Governing the Young.<br />

Teacher Behavior in Popular Primary<br />

Schools in Nineteenth-Century United<br />

States. New York/Philadelphia/ London:<br />

The Falmer Press<br />

1989. (= Studies in Curriculum History,<br />

ed. I.F. GOODMAN, Vol. 11)<br />

FRIEDMAN, M.: Capitalism and Freedom.<br />

With a New Preface by the Author.<br />

Chicago/London: The University<br />

of Chicago Press 1982. (erste Ausg.<br />

1962)<br />

HANUSHEK, E. A.: Throwing Money at<br />

Schools. In: Journal of Policy Analysis<br />

Vol. 1, No. 1 (1981), S. 19-41.<br />

HAYEK, F.A.V.: Die Verfassung der<br />

Freiheit. Tübingen: J.C.B Mohr (Paul<br />

Siebeck) 1971.<br />

HENIG, J.R. Rethinking School Choice:<br />

Limits of the Market Metaphor. Princeton,<br />

N.J.: Princeton University<br />

Press 1994.<br />

KAHNE, J.: Reframing Educational Policy.<br />

Democracy, Community, and the<br />

Individual. New York/London: Teachers<br />

College Press 1996.<br />

KERSTING, Chr.: Vom „Interimspädagogen“<br />

zum pädagogischen Unternehmer.<br />

In: M. MANGOLD/J. OELKERS<br />

(Hrsg.): Oekonomie, öffentliche Bildung<br />

und Demokratie. Bern et. al.<br />

2002. (= Explorationen. Studien zur<br />

Erziehungswissenschaft, hrsg. v. J.<br />

OELKERS, Bd. 35), S. 22<br />

LEVIN, H.: Educational Vouchers: Effectiveness,<br />

Choice, and Costs. In: Jour-


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 31<br />

nal of Policy Analysis and Management<br />

Vol. 17, No. 3 (1998), S. 373-<br />

392.<br />

LEVIN, H.M./MCEWAN, P.J.: Cost-<br />

Effectiveness Analysis. Methods and<br />

Applications. 2 nd Edition. Thousand<br />

Oakes/London/New Dehli: SAGE Publications<br />

2001.<br />

LIEBERMAN, M.: Privatization and Educational<br />

Choice. New York: St. Martin’s<br />

Press 1989.<br />

MANGOLD, M./OELKERS, J./RHYN, H.:<br />

Bildungsfinanzierung durch Bildungsgutscheine.<br />

Modelle und Erfahrungen.<br />

In : Zeitschrift für Pädagogik 46<br />

(2000), S. 39-59.<br />

OSTERWALDER, F.: Schule und Unterricht<br />

im ordnungspolitischen Konzept<br />

der klassischen und neoklassischen<br />

Ökonomie. In: Zeitschrift für Pädagogik<br />

39, 1 (1993), S. 85-108.<br />

OSTERWALDER, F.: Milton Friedmans<br />

„truly free-market educational system“<br />

im Kontext des Neoliberalismus. In:<br />

M. MANGOLD/J. OELKERS (Hrsg.):<br />

Demokratie, Bildung und Markt. Bern:<br />

Peter Lang 2003. (= Explorationen.<br />

Studien zur Erziehungswissenschaft,<br />

hrsg. v. J. Oelkers, Band 35)<br />

POLANYI, M.: The Logic of Liberty. London:<br />

Routledge&Kegan Paul 1951.<br />

POWELL, A.G./FERRAR, E./COHEN,<br />

D.K.: The Shopping Mall High School.<br />

Boston: Houghton Mifflin 1985.<br />

STRETTON, H./ORCHARD, L.: Public<br />

Good, Public Enterprise and Public<br />

Choice. London: Macmillan 1994.<br />

WINCH, Chr.: Quality and Education.<br />

Oxford/Cambridge: Blackwell Publishers<br />

1996. (=Journal of Philosophy<br />

of Education Monograph Series, Vol.<br />

2).<br />

ZILVERSMIT, A.: Changing Schools.<br />

Progressive Education Theory and<br />

Practice, 1930-1960. Chicago/London:<br />

The University of Chicago<br />

Press 1993.


32 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Kann das Schulwesen durch Wettbewerb genesen<br />

Prof. Dr. Manfred Weiss<br />

Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Frankfurt am Main<br />

Artikel aus: Döbert, H. u.a. (Hrsg.), Bildung vor neuen Herausforderungen. Festschrift für H. Avenarius.<br />

Neuwied, 2003<br />

1. Einleitung<br />

Im bildungsökonomischen<br />

Schrifttum blieb die wissenschaftliche<br />

Bearbeitung von Steuerungsfragen<br />

unter Effizienzaspekten<br />

bislang im Wesentlichen<br />

auf eine theoretischabstrakt<br />

geführte Markt-Plan-<br />

Debatte beschränkt. Versuche,<br />

die Überlegenheit eines der beiden<br />

idealtypischen Steuerungssysteme<br />

durch Konfrontation der<br />

Aussagen der Theorie des<br />

Staatsversagens mit denen der<br />

Theorie des Marktversagens zu<br />

begründen, haben für den Schulbereich<br />

keine schlüssigen Ergebnisse<br />

erbracht. 1 Allerdings<br />

konnte Timmermann später zeigen<br />

2 , dass sich auf der Basis<br />

einer wissenschaftstheoretisch<br />

begründeten Argumentationsgewichtung<br />

(die theoriebezogene<br />

Aussagen privilegiert), ein Effizienzvorteil<br />

der Marktsteuerung<br />

konstatieren lässt. Diesem Ergebnis<br />

bleibt jedoch die erfahrungswissenschaftliche<br />

Fundierung<br />

(und damit Falsifizierbarkeit)<br />

versagt, weil bislang nirgendwo<br />

ein reines Marktsteuerungssystem<br />

im Schulbereich etabliert<br />

ist. Wissenschaftlich inakzepta-<br />

1 A. Hegelheimer: Auch in Bildung und<br />

Wissenschaft mehr Wirtschaftlichkeit<br />

durch Marktmodelle in: F. Letzelter/H.<br />

Reinermann (Hrsg.): Wissenschaft,<br />

Forschung und Rechnungshöfe. Berlin<br />

1981, S. 351-375; D. Timmermann:<br />

Bildungsmärkte oder Bildungsplanung:<br />

eine kritische Auseinandersetzung mit<br />

zwei alternativen Steuerungssystemen<br />

und ihren Implikationen für das Bildungswesen.<br />

Mannheim 1985. Deutsche<br />

Stiftung für Internationale Entwicklung.<br />

2 D. Timmermann: Abwägen heterogener<br />

bildungsökonomischer Argumente zur<br />

Schulautonomie. Zeitschrift für Pädagogik<br />

1995, H. 1, S. 49-60.<br />

bel ist der – z.B. von Chubb und<br />

Moe 3 unternommene – Versuch,<br />

auf der Basis der Ergebnisse<br />

eines Vergleichs zwischen staatlichen<br />

und privaten Schulen in<br />

„Mischsystemen“ die Funktionsweise<br />

und Leistungsfähigkeit<br />

marktgesteuerter Schulsysteme<br />

vorherzusagen. 4<br />

Was indes einer empirischen<br />

Analyse zugänglich ist, sind<br />

marktapproximative Steuerungssysteme,<br />

wie sie der „Paradigmenwechsel<br />

der Steuerungsphilosophie“<br />

vor allem in einigen<br />

angelsächsischen Ländern hervorgebracht<br />

hat. Leitend war<br />

dabei die Überzeugung, dass der<br />

Marktlogik folgende Reformen<br />

den Schlüssel für die Bewältigung<br />

der im Schulbereich diagnostizierten<br />

Qualitäts- und Effizienzkrise<br />

darstellen. Zu den daran<br />

orientierten bildungspolitischen<br />

Leitbildern zählen die Stärkung<br />

der Nachfragemacht durch Ausweitung<br />

des Einflusses der Eltern<br />

im Schulwesen (parent empowerment)<br />

und Erweiterung der<br />

Schulwahlmöglichkeiten (school<br />

choice), die Erhöhung der Angebotsvielfalt<br />

und –flexibilität durch<br />

Dezentralisierung, Deregulierung<br />

und Stärkung der Autonomie der<br />

Einzelschule und die schülergesteuerte<br />

Mittelzuweisung. Damit<br />

sind die wesentlichen Voraussetzungen<br />

für die Entstehung eines<br />

Quasi-Marktes gegeben, auf dem<br />

den Erwartungen nach der Wett-<br />

3 J.E. Chubb/ T.M. Moe: Politics, markets,<br />

and America’s schools. Washington,<br />

D.C. 1990. The Brookings Institution.<br />

4 S. zur Kritik im einzelnen M. Weiss: Der<br />

Markt als Steuerungssystem im Schulwesen<br />

Zeitschrift für Pädagogik 1993,<br />

H. 1, S. 71-84.<br />

bewerb der Anbieter (Schulen)<br />

um Klienten (Eltern/Schüler) eine<br />

hohe Innovationsbereitschaft<br />

sowie eine effiziente und präferenzgemässe<br />

Versorgung mit<br />

Bildungsleistungen sicherstellt.<br />

Quasi-Märkte stellen ein hybrides<br />

Steuerungssystem dar, das<br />

marktwirtschaftliche und staatlich-bürokratische<br />

Steuerungselemente<br />

kombiniert. Die Leistungserstellung<br />

erfolgt unter<br />

Wettbewerbsbedingungen, wird<br />

aber weiterhin öffentlich (erfolgsorientiert)<br />

finanziert und unterliegt<br />

staatlicher Regulierung und<br />

Kontrolle.<br />

Im Folgenden wird auf der Basis<br />

theoretischer Argumente, die<br />

sich vor allem auf Erkenntnisse<br />

der Neuen Institutionenökonomie<br />

5 stützen, und vorliegender<br />

empirischer Evidenz aus fortgeschrittenen<br />

Deregulierungsländern<br />

eine Einschätzung des Effizienzverbesserungspotenzials<br />

dieses Steuerungsregimes vorgenommen.<br />

2. Wirkungserwartungen:<br />

Hypothesen und empirische<br />

Befunde<br />

Die Einführung des Steuerregimes<br />

des Quasi-Marktes wird<br />

mit der Erwartung nachhaltiger<br />

Effizienzverbesserungen begründet:<br />

(1) der Steigerung der Produktionseffizienz<br />

aufgrund des induzierten<br />

Kosten- und Qualitätswettbewerbs<br />

und der Dezentralisierung<br />

von Ressourcenverantwortung;<br />

5 M. Ebers/W. Gotsch: Institutionenökonomische<br />

Theorien der Organisation,<br />

in: A. Kieser (Hrsg.): Organisationstheorien,<br />

3. Aufl. Stuttgart 1999, S.<br />

199-251.


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 33<br />

(2) der Steigerung der Allokationseffizienz<br />

aufgrund einer<br />

grösseren Kompatibilität von<br />

Bildungsangebot und Präferenzen<br />

der Bildungsnachfrager,<br />

denen dadurch Wohlfahrtsgewinne<br />

entstehen.<br />

2.1 Produktionseffizienz<br />

Was die Annahme betrifft, der<br />

Konkurrenzdruck sorge über eine<br />

kostengünstigere Leistungserstellung<br />

im Schulbereich für Effizienzgewinne,<br />

so erscheint es<br />

wenig plausibel, dass für öffentlich<br />

finanzierte Schulen bei fehlendem<br />

Gewinnmotiv ein Zwang<br />

bestehe, in Kostenwettbewerb zu<br />

treten. Dies ist auch deshalb<br />

anzuzweifeln, weil von den Bildungsnachfragern<br />

hohe Unitcosts<br />

(Ausgaben pro Schüler)<br />

meist mit hoher Bildungsqualität<br />

assoziiert werden.<br />

Was Wettbewerb nicht erreicht,<br />

scheint durch Dezentralisierung<br />

der Ressourcenverantwortung zu<br />

gelingen. An Schulen mit eigenverantwortlicher<br />

Mittelbewirtschaftung<br />

lässt sich ein deutlich<br />

kostenbewussteres Verhalten<br />

und ein sparsamerer Umgang mit<br />

Ressourcen beobachten. 6 Diesen<br />

Kostenvorteilen auf einzelinstitutioneller<br />

Ebene stehen jedoch<br />

– vermutlich stärker ins<br />

Gewicht fallende – gesamtsystemische<br />

Kostennachteile gegenüber.<br />

Zum einen verursacht<br />

Steuerung durch Quasi-Märkte<br />

Mehrkosten, die mit dem notwendigen<br />

Auf- bzw. Ausbau inf-<br />

6 K.N. Ross/R. Levacic (Hrsg.): Needs–<br />

based resource allocation in education<br />

via formula funding of schools. Unesco/IIEP.<br />

Paris. 1999; G. Bellenberg/W.<br />

Böttcher/K. Klemm: Stärkung der Einzelschule.<br />

Luchterhand. Neuwied, Kriftel.<br />

2001. Schubkraft verliehen wird<br />

dem zum Teil durch eine Verschärfung<br />

des Kostendrucks. In England z.B.<br />

wurden die Personalmittel im Rahmen<br />

der den Schulen zugewiesenen Globalbudgets<br />

an durchschnittlichen Ausgabenwerten<br />

bemessen. Damit sollten die<br />

Schulen veranlasst werden, die Personalrekrutierung<br />

stärker an Kostenaspekten<br />

auszurichten und ihre Kostenstruktur<br />

durch Personalsubstitution<br />

günstiger zu gestalten. Empirische Befunde<br />

bestätigen solche Effekte (z.B.<br />

Ross und Levacic 1999).<br />

rastruktureller Stützsysteme verbunden<br />

sind: eines Informationssystems,<br />

das für Markttransparenz<br />

sorgt, eines Evaluationssystems<br />

zur Qualitätssicherung und<br />

eines leistungsfähigen Transportsystems.<br />

Zum anderen sind<br />

negative Kosteneffekte davon zu<br />

erwarten, dass durch dieses<br />

Steuerungssystem einer auf<br />

Ausgleich<br />

bedachten<br />

Schulstandort- und regionalen<br />

Schulentwicklungsplanung die<br />

Grundlagen entzogen und bei<br />

unerwünschten Wettbewerbsergebnissen<br />

nachträglich Korrekturen<br />

durch das politischadministrative<br />

System erforderlich<br />

werden. 7 Diese Beispiele<br />

lenken den Blick auf die Frage<br />

nach den Transaktionskosten<br />

von Steuerungssystemen, den<br />

Kosten ihrer „Benutzung“, denen<br />

meist wenig Beachtung geschenkt<br />

wird. Die bisherigen<br />

Erfahrungen mit Quasi-Märkten<br />

legen die Vermutung nahe, dass<br />

dieses Steuerungsregime nicht<br />

unbedingt transaktionskostengünstiger<br />

als staatlichbürokratische<br />

Steuerung ist.<br />

Wettbewerb und Dezentralisierung<br />

sollen zweitens über eine<br />

Steigerung der Effektivität der<br />

Leistungserstellung effizienzwirksam<br />

werden. Theoretisch wird<br />

dies damit begründet, dass das<br />

Damoklesschwert „Klientenverlust“<br />

– und damit Ressourcenverlust<br />

– X-Ineffizienz (Leibenstein)<br />

reduziere, d.h. eine besondere<br />

Anstrengungsbereitschaft<br />

und eine produktive Ressourcenverwendung<br />

auf Seiten der schulischen<br />

Akteure erzwinge, um mit<br />

hohen Leistungsstandards im<br />

Wettbewerb bestehen zu können.<br />

Die bis jetzt vorliegenden<br />

Forschungsbefunde zu wirksamkeitsbezogenen<br />

Effizienzeffekten<br />

von Wettbewerb fallen wider-<br />

7 Ein Beispiel dafür sind die zahlreichen<br />

„admission authorities“, die in England<br />

eingerichtet wurden, um dem durch die<br />

Schulwahlfreiheit entstandenen Planungschaos<br />

Herr zu werden. Allein in<br />

der Grafschaft Essex gibt es 192 solcher<br />

Behörden, die weitgehend unkoordiniert<br />

und zum teil untereinander<br />

konkurrierend Schülerplätze zuweisen.<br />

sprüchlich aus. Verschiedene<br />

ökonometrische Untersuchungen<br />

aus den USA lassen auf moderate<br />

wettbewerbsinduzierte Effizienzgewinne<br />

schliessen. 8 Allerdings<br />

lässt sich gegen diese<br />

Untersuchungen einwenden,<br />

dass mit der Messung der Wettbewerbsintensität<br />

durch strukturelle<br />

Indikatoren auf Systemebene<br />

(Privatschüleranteil, Masse<br />

der Marktkonzentration) die für<br />

das Anbieter- und Nachfragerverhalten<br />

letztlich massgebenden<br />

lokalen Wettbewerbsbedingungen<br />

nicht angemessen abgebildet<br />

werden. Studien, die Wettbewerb<br />

im lokalen Kontext erfassen<br />

und dabei verhaltensbasierte<br />

Indikatoren verwenden, legen<br />

eine eher zurückhaltende Einschätzung<br />

des der Wettbewerbssteuerung<br />

zugeschriebenen effizienzverbessernden<br />

Potenzials<br />

nahe. So resümieren die Autoren<br />

einer an der Open University<br />

durchgeführten Untersuchung<br />

des Wettbewerbseinflusses auf<br />

die über fünf Jahre verfolgte Leistungsentwicklung<br />

einer Stichprobe<br />

englischer Sekundarschulen:<br />

„... the evidence for a positive<br />

impact of competition is very<br />

weak“. 9 Englische Fallstudien 10<br />

liefern zudem Hinweise darauf,<br />

dass identische lokale Wettbewerbs-<br />

und Schulstrukturbedingungen<br />

mit höchst unterschiedlichen<br />

Reaktionen der schulischen<br />

Akteure einhergehen können, die<br />

von Nischenmarketing über aggressive<br />

Strategien der Marktpositionierung<br />

bis hin zu kooperativen<br />

Arrangements reichen.<br />

8 C.R. Belfield/H.M. Levin: The effects of<br />

competition on educational outcome: a<br />

review of US evidence. Columbia University.<br />

N.Y. 2001.<br />

9 R. Levacic und P. Woods: Quasimarkets<br />

and school performance: evidence<br />

from a study of English secondary<br />

schools, in: M. Weiß/H. Weishaupt<br />

(Hrsg.): Bildungsökonomie und Neue<br />

Steuerung. Frankfurt am Main u.a.<br />

2000, S. 102.<br />

10 P. Davies/N.Adnet/J. Mangan: The<br />

diversity and dynamics of competition:<br />

evidence from two local schooling markets,<br />

Oxford Review of Education 2002,<br />

H. 28, S. 91-107.


34 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Die von Dezentralisierung erwarteten<br />

Effektivitätsverbesserungen<br />

werden mit dem Informationsvorsprung<br />

und der Expertise<br />

der Agenten der operativen Ebene<br />

begründet sowie mit positiven<br />

motivationalen Effekten grösserer<br />

Handlungsautonomie. Aber<br />

auch für diese Wirkungserwartungen<br />

stehen bislang überzeugende<br />

erfahrungswissenschaftliche<br />

Belege im Schulbereich aus.<br />

So liefern z.B. Auswertungen von<br />

Studien zum School Based Management<br />

in angelsächsischen<br />

Ländern kaum Hinweise auf einen<br />

positiven Zusammenhang<br />

zwischen erweiterter schulischer<br />

Handlungskompetenz und Schülerleistungen.<br />

11 Dieses Ergebnis<br />

korrespondiert mit den TIMSS-<br />

Befunden auf Systemebene: Der<br />

Grad der Zentralisierung bzw.<br />

Dezentralisierung von Schulsystemen<br />

und die mathematischnaturwissenschaftlichen<br />

Leistungsergebnisse<br />

variieren praktisch<br />

unabhängig voneinander. 12<br />

Auch die bis jetzt vorliegenden<br />

Auswertungen der internationalen<br />

PISA-Daten 13 legen eine<br />

eher zurückhaltende Einschätzung<br />

der von Dezentralisierung<br />

zu erwartenden Erträge im Leistungsbereich<br />

nahe. Für einzelne<br />

Autonomieaspekte (Fächerangebot,<br />

Mittelverwendung) zeigt sich<br />

zwar in bivariaten Zusammenhangsanalysen<br />

eine Korrelation<br />

mit Schülerleistungen im Lesen;<br />

doch werden erst komplexere<br />

multivariate Analysen zeigen, ob<br />

dieses Ergebnis auch bei Berücksichtigung<br />

anderer Faktoren<br />

noch Bestand hat. Reanalysen<br />

11 A.A. Summers/A.W. Johnson: A<br />

Review of the evidence on the effects<br />

of school-based management plans.<br />

Paper Prepared for the Panel of the<br />

Economics of Educational Reform and<br />

Teaching (vervielf.) 1992;<br />

K. Leithwood/T. Menzies: Forms and<br />

effects of school-based management: A<br />

review, Educational Policy 1998, H. 12,<br />

S. 325-346.<br />

12 J. Baumert et al.: TIMSS – Mathematisch-naturwissenschaftlicher<br />

Unterricht<br />

im internationalen Vergleich. Berlin<br />

1997.<br />

13 OECD: Knowledge and skills for life.<br />

Paris 2001.<br />

von TIMSS-Daten 14 liefern Anhaltspunkte<br />

dafür, dass dezentrale<br />

Entscheidungskompetenz über<br />

Ressourcen offenbar nur in Verbindung<br />

mit zentralen Leistungsprüfungen<br />

positiv wirkt. Fehlt<br />

diese Voraussetzung, kann ein<br />

hoher Autonomiegrad sogar<br />

kontraproduktiv sein.<br />

Die erwartungswidrige empirische<br />

Befundlage zu den Effizienzwirkungen<br />

von Wettbewerb<br />

und Dezentralisierung gibt Anlass,<br />

einen genaueren Blick auf<br />

die angebots- und nachfrageseitigen<br />

Verhaltensprämissen des<br />

Quasi-Markt-Modells zu werfen.<br />

2.1.1 Anbieterverhalten<br />

Angebotsseitig ist der Spezifik<br />

der schulischen Leistungserstellung<br />

besondere Aufmerksamkeit<br />

zu schenken. Die für den Bildungsbereich<br />

charakteristische<br />

„Technologie-Vagheit“, das Fehlen<br />

von Potenzialen für substanzielle<br />

Produktivitätssteigerungen<br />

durch technischen Fortschritt und<br />

der beträchtliche Einfluss externer<br />

Mitproduzenten stellen<br />

strukturelle Rahmenbedingungen<br />

dar, die die Möglichkeiten einer<br />

effizienteren Gestaltung von<br />

Schule und Unterricht stark einschränken.<br />

Wettbewerb und Dezentralisierung<br />

können an diesem<br />

Sachverhalt wenig ändern.<br />

Folgt man den Argumenten der<br />

Neuen Institutionenökonomie,<br />

dann könnte eine mögliche Ursache<br />

für die relative Wirkungslosigkeit<br />

von Dezentralisierung und<br />

Autonomisierung auch darin zu<br />

suchen sein, dass die erweiterten<br />

Verfügungsrechte an Ressourcen<br />

von den schulischen Akteuren<br />

opportunistisch genutzt werden,<br />

d.h. zur Verbesserung ihrer<br />

eigenen Wohlfahrtsposition statt<br />

zur Effektivitätssteigerung. 15<br />

14 L. Wössmann: How control exams<br />

affect educational achievement: International<br />

evidence from TIMSS and<br />

TIMSS repeat. Paper presented at the<br />

conference „Taking account of accountability“,<br />

Boston: Harvard University<br />

2002 (www.ksg.harvard.edu/pepg/).<br />

15 Hinweise auf eine von Eigeninteressen<br />

geleitete Einflussnahme auf die<br />

Dieses Risiko ist dann besonders<br />

hoch, wenn Handlungsautonomie<br />

und Technologie-Vagheit zusammentreffen.<br />

Ineffizienz ist in<br />

diesem Fall gewissermassen<br />

programmiert: „When discretional<br />

leeway of subordinate units goes<br />

together with unclear technology<br />

this...adds to the overall nourishing<br />

ground for inefficient organisational<br />

functioning“. 16 Dieser<br />

Sachverhalt bietet eine Erklärung<br />

dafür, dass im Kontext schulischer<br />

Leistungserstellung das<br />

Steuerungsregime des Quasi-<br />

Marktes nicht ohne ein umfangreiches<br />

(transaktionskostenintensives)<br />

Kontrollsystem auskommt,<br />

das dafür sorgt, dass „das Verhalten<br />

der Akteure ... in Richtung<br />

des Organisationsziels gelenkt<br />

(wird)“. 17 Neuerdings wird – vielfach<br />

in Ergänzung dazu – in<br />

verstärktem Masse auch auf<br />

Instrumente des Kontraktmana-<br />

Ressourcenverteilung liefert eine Weltbankstudie<br />

(L. Pritchet/D. Filmer: What<br />

education production functions really<br />

show: a positive theory of education<br />

expenditures, Economics of Education<br />

Review 1999, H. 18, S. 223-239.), in<br />

der Daten aus Untersuchungen zur<br />

Ressourcenwirksamkeit in Entwicklungsländern<br />

unter Effizienzaspekten<br />

reanalysiert wurden. Die Autoren sehen<br />

durch ihre Ergebnisse die These bestätigt,<br />

dass die festgestellte Ineffizienz<br />

der Ressourcen vor allem auf die vorrangige<br />

Verwendung der Mittel für Inputs<br />

zurückzuführen ist, die direkt den<br />

Nutzen der Lehrer erhöhen (Anhebung<br />

der Lehrergehälter, Verkleinerung der<br />

Klassen), die aber gegenüber den von<br />

ihnen wenig präferierten Inputs (z.B<br />

Lehr-/Lernmittelausstattung) eine deutlich<br />

geringere Grenzproduktivität je Dollar<br />

aufweisen. In die gleiche Richtung<br />

weisen Befunde einer amerikanischen<br />

Studie, in der ein Zusammenhang zwischen<br />

gewerkschaftlichem Einfluss und<br />

Ineffizienz im Schulbereich festgestellt<br />

wurde (vgl. C. M. Hoxby: How teachers‘<br />

unions effect education, The Quarterly<br />

Journal of Economics 1996 H. 3, S.<br />

671-718).<br />

16 J. Scheerens: Conceptual models<br />

and theory-embedded principles on<br />

effective schooling, School Effectiveness<br />

and School Improvement 1997,<br />

H.8, S. 296-310.<br />

17 K.-D. Grüske/M. Maier: Das Neue<br />

Steuerungsmodell in der kommunalen<br />

Verwaltung: Grundlagen, Zwischenbilanz<br />

und kritische Analyse, in: N. Andel<br />

(Hrsg.): Probleme der Kommunalfinanzen<br />

2001, S. 190.


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 35<br />

gements (z.B. Zielvereinbarungen)<br />

zur Einschränkung opportunistischen<br />

Verhaltens zurückgegriffen.<br />

18<br />

Zu den Spezifika personaler<br />

Dienstleistungsproduktion zählt<br />

weiterhin die Mitwirkung der<br />

Klienten an der Leistungserstellung.<br />

19 Dies gilt in besonderer<br />

Weise für den Schulbereich. Die<br />

Selektion der „richtigen“ externen<br />

Mitproduzenten wird damit zu<br />

einer erfolgbestimmenden Organisationsaufgabe<br />

von Schulen.<br />

Revisionsbedürftig wird dadurch<br />

eine weitere Annahme des Quasimarkt-Modells:<br />

Schulen konkurrieren<br />

nicht um Schüler, sondern<br />

um Schüler mit bestimmten Eigenschaften.<br />

Streben die Schulen<br />

– entsprechend den Modellannahmen<br />

– ein möglichst hohes<br />

Performanzniveau an, dann gilt<br />

angesichts der durch unzählige<br />

empirische Untersuchungen belegten<br />

hohen Erfolgsabhängigkeit<br />

von kognitiven Lernvoraussetzungen<br />

und sozialer Herkunft der<br />

Schüler/innen (als individuelle<br />

und aggregierte Merkmale) 20 ,<br />

18 Dies sieht z.B. das im April 2001 an<br />

englischen Schulen eingeführte Performance<br />

Management vor. Danach<br />

sind sämtliche Lehrer/innen im staatlichen<br />

Schuldienst verpflichtet, mit der<br />

Schulleitung über mindestens drei Ziele<br />

schriftliche Vereinbarungen zu treffen.<br />

Eines der Ziele muss sich dabei auf<br />

den mit „benchmarks“ vergleichbaren<br />

Lernfortschritt der Schüler beziehen<br />

(vgl. D. Wood: Performance management.<br />

Manchester Metropolitan University,<br />

Institute of Education 2001).<br />

19 Vgl. R. Maleri: Grundlagen der<br />

Dienstleistungsproduktion. 4. Aufl. Berlin:<br />

Springer 1997.<br />

20 Daneben spielt die – einem Opportunitätskostenkalkül<br />

unterliegende – individuelle<br />

Bereitschaft der Schüler/innen<br />

zur „Mitproduktion“ eine Rolle. Auch<br />

darauf müssen die Schulen zur Sicherung<br />

eines wettbewerbsfähigen Performanzniveaus<br />

Einfluss nehmen. In<br />

England z.B. werden auch mit den<br />

Schüler/innen individuelle leistungsbezogene<br />

Zielvereinbarungen getroffen.<br />

In der Diskussion sind auch monetäre<br />

Anreizsysteme, wie sie etwa in Michigan<br />

mit dem Merit Award Program bereits<br />

existieren. Dort erhalten Sekundarschüler<br />

ein einjähriges Stipendium<br />

in Höhe von 2 500 Dollar für den späteren<br />

Collegebesuch, wenn sie vorgegebene<br />

Leistungsstandards in vier Komdass<br />

„any school entrepreneur<br />

acting rationally would seek to<br />

exclude pupils (from socially<br />

disadvantaged backgrounds,<br />

M.W.) who would drag down the<br />

overall performance score of the<br />

school, its major selling point to<br />

parents“. 21 In welchem Umfang<br />

dies Schulen gelingt, hängt in<br />

hohem Masse von sozialstrukturellen<br />

Standortmerkmalen<br />

und/oder ihrer Position in einer<br />

formellen oder informellen Hierarchie<br />

ab. Die fatalen Konsequenzen<br />

selektiver Schulsysteme<br />

haben die Befunde der PISA-<br />

Studie 22 drastisch vor Augen<br />

geführt. In abgeschwächter Form<br />

lassen sich ähnliche Effekte in<br />

(formal undifferenzierten) Schulsystemen<br />

mit marktorientiertem<br />

Steuerungsregime beobachten. 23<br />

2.1.2 Nachfragerverhalten<br />

Schulwahlentscheidungen werden<br />

wesentlich dadurch beeinflusst,<br />

welche schulstrukturellen<br />

Gegebenheiten vorliegen. In<br />

einem hierarchisch gegliederten<br />

Schulsystem dominieren investive<br />

Gesichtspunkte. Massgebend<br />

sind die mit den Alternativen<br />

jeweils verbundenen Berechtigungen<br />

und damit zusammenhängende<br />

Einkommens- und<br />

Statuserwartungen. Wenn angestrebte<br />

Abschlüsse gefährdet<br />

sind, ist es rational, die Exit-<br />

Option wahrzunehmen und auf<br />

eine Schule zu wechseln, die<br />

geringere Leistungsanforderungen<br />

stellt (falls nicht einheitliche<br />

Leistungsstandards und deren<br />

petenzbereichen (Lesen, Mathematik,<br />

Naturwissenschaften, Schreiben) erreichen<br />

oder überschreiten (vgl. J.H. Bishop:<br />

A prospective policy evaluation of<br />

the Michigan Merit Award Program.<br />

Paper presented at the conference<br />

„Taking Account of Accountability“,<br />

Harvard University, Juni 2002<br />

(www.ksg.harvard.edu/pepg/).<br />

21 H. Glennerster: Quasi-markets for<br />

education, The Economic Journal 1991,<br />

H. 101, S.1271.<br />

22 Baumert et al.: PISA 2000. Opladen:<br />

Leske und Budrich 2001.<br />

23 Vgl. z.B. H. Lauder et al.: Trading in<br />

futures. Open University Press. Buckingham,<br />

Phil. 1999.<br />

Überprüfung dies ausschliessen).<br />

Dieses Motiv für Exit mit der Folge<br />

von adverse selection, der<br />

Auswahl inferiorer Anbieter, ist<br />

im Quasimarkt- Modell überhaupt<br />

nicht vorgesehen. In integrierten<br />

Schulsystemen ohne formale<br />

Abschlussdifferenzierung wird<br />

der investive Aspekt bei Schulwahlentscheidungen<br />

in den Hintergrund<br />

treten, es sei denn,<br />

dass Merkmalsunterschiede zwischen<br />

Schulen, insbesondere<br />

leistungsbezogene Qualitätsdifferenzen,<br />

einkommensrelevant<br />

wären (und die Bildungsnachfrager<br />

darüber Kenntnis hätten). Die<br />

einschlägige Forschung bietet<br />

dafür wenig Anhaltspunkte. 24<br />

Wie die empirische Forschung<br />

weiterhin zeigt 25 , kommen in<br />

vielen Entscheidungssituationen<br />

zudem wesentlich differenziertere<br />

Schulwahlmotive zur Geltung,<br />

als es das Quasimarkt-Modell mit<br />

seiner normativen Fixierung auf<br />

schulische Leistungsergebnisse<br />

vorsieht. Zu den auffallenden<br />

Phänomenen zählt, dass der<br />

Anteil „aktiv“ wählender Eltern<br />

vielfach gering ist und bei einem<br />

Grossteil ausgeprägte Präferenzen<br />

für wohnortnahe Schulangebote<br />

bestehen. 26 Ein wichtiges<br />

24 Vgl. z.B. H.M. Levin/C. Kelley: Can<br />

education do it alone Economics of<br />

Education Review 1994, H. 13, S. 97-<br />

108; G. Burtless (Hrsg.): Does money<br />

matter The Brookings Institution.<br />

Washington D.C.1996.<br />

25 Vgl. z.B. J. Maddaus: Parental choice<br />

of school: What parents think and do,<br />

in: C.B. Cazden (Hg.): Review of Research<br />

in Education.1990, S. 267-295;<br />

OECD: Schools: a matter of choice.<br />

Paris 1994; R. Glatter / P.A. Woods/C.<br />

Bagley: Choice and diversity in schooling:<br />

Perspectives and prospects. Routledge.<br />

London 1997.<br />

26 Schon deshalb besteht ein infrastruktureller<br />

Auftrag des Staates, der auch<br />

die Verpflichtung zur Bereitstellung eines<br />

qualitativ gleichwertigen Bildungsangebots<br />

beinhaltet. Vgl. auch H. Avenarius:<br />

Welche Rechte und Pflichten<br />

haben Lehrkräfte, Schulleitung und<br />

Schulaufsicht bei der Qualitätsentwicklung<br />

der Schulen und bei der Sicherung<br />

gleicher Lebenschancen Vortrag auf<br />

der GEW-Tagung „PISA- und dann<br />

Lehrerinnen – Schulleitung – Schulaufsicht:<br />

Wer ist eigentlich für Qualität und<br />

Gerechtigkeit verantwortlich“ am


36 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Schulwahlmotiv der Eltern ist<br />

auch die Platzierung ihrer Kinder<br />

in das gewünschte Sozialmilieu.<br />

Hinreichend belegt ist weiterhin,<br />

dass bei Schulwahlentscheidungen<br />

in vielfältiger Weise Statusmerkmale<br />

ins Spiel kommen. Sie<br />

manifestieren sich in einem<br />

asymmetrischen Informationsstand<br />

über das Schulangebot<br />

ebenso wie in schichtspezifischen<br />

Selektionskriterien. Welche<br />

Vorstellungen Eltern von<br />

einer „guten“ Schule haben, wie<br />

sie Abschlüsse und Mobilität<br />

bewerten und welchen Stellenwert<br />

sie Bildung in den Lebensentwürfen<br />

für ihre Kinder beimessen,<br />

ist zu einem wesentlichen<br />

Teil durch ihre sozioökonomische<br />

Lage präformiert. Auch<br />

in diesem Punkt erweist sich das<br />

dem Quasimarkt-Modell zugrunde<br />

liegende Konstrukt eines einheitlichen<br />

Konsumenten als in<br />

höchstem Masse realitätsfern. 27<br />

2.2 Allokationseffizienz<br />

Die Einführung marktorientierter<br />

Reformen wird weiterhin damit<br />

begründet, dass dies die Bereitstellung<br />

eines Bildungsangebots<br />

gewährleiste, das den Präferenzen<br />

der Bildungsnachfrager besser<br />

entspreche, was über die<br />

damit verbundenen Wohlfahrtsgewinne<br />

die Allokationseffizienz<br />

steigere. Der Wettbewerbsdruck,<br />

so die theoretische Begründung,<br />

zwinge die Anbieter, stärker auf<br />

die Wünsche und Bedürfnisse<br />

der Eltern und Schüler einzugehen.<br />

Deren „Kundenposition“<br />

liesse zugleich eine engere Principal-Agent-Beziehung<br />

entstehen,<br />

so dass die Präferenzen in<br />

direktem Kontakt – und nicht<br />

über zwischengeschaltete<br />

14./15.9.2002 in Frankfurt am Main.<br />

27 Nicht nur unterschiedliche Präferenzen<br />

der Eltern und Schüler bieten eine<br />

Erklärung dafür, dass Quasi-Märkte die<br />

Nachfrage nicht unbedingt auf das effizienteste<br />

Angebot im Sinne der Modellannahmen<br />

lenken. Verantwortlich dafür<br />

ist auch das Fehlen valider institutioneller<br />

Value-added- und Effizienz-<br />

Indikatoren (vgl. dazu J. Gray/B. Wilcox:<br />

Good school, bad school. Buckingham:<br />

Open University Press 1995)<br />

Agenten des politischen Systems<br />

– artikuliert werden könnten.<br />

Diese Begründung hat hohe face<br />

validity und wird auch durch Umfrageergebnisse<br />

zur Zufriedenheit<br />

aktiv wählender Eltern gestützt.<br />

28 Dem stehen jedoch nicht<br />

weniger überzeugende empirische<br />

Belege für einen ausgeprägten<br />

Sozialschicht-Bias bei<br />

den Wohlfahrtserträgen gegenüber:<br />

Gewinner sind vor allem<br />

die Eltern und Schüler, denen<br />

aufgrund ihrer besseren Ausstattung<br />

mit ökonomischem, kulturellem<br />

und sozialem Kapital<br />

anbieterseitig eine besondere<br />

Wertschätzung entgegengebracht<br />

wird und deren Präferenzen<br />

deshalb stärkere Berücksichtigung<br />

finden. 29<br />

Wenn dies<br />

aber über Exklusion und Creaming-Effekte<br />

dazu führt, dass<br />

eine Verbesserung der Wohlfahrtsposition<br />

bei bestimmten<br />

Individuen mit einer Verschlechterung<br />

der Wohlfahrtsposition bei<br />

anderen Idividuen einhergeht,<br />

dann wird das Pareto-Kriterium<br />

verletzt, d.h. die gesellschaftliche<br />

Wohlfahrtsposition verbessert<br />

sich nicht unter Quasimarkt-<br />

Bedingungen.<br />

3. Resümee<br />

Die von der internationalen Bildungsforschung<br />

vermittelten<br />

Einsichten in Funktionsweise und<br />

Wirkungen von Quasi-Märkten im<br />

Schulbereich legen die These<br />

nahe, dass die Funktionalisierung<br />

von Wettbewerb und Dezentralisierung<br />

für die Erreichung<br />

von Effizienzzielen in diesem<br />

Bereich bislang nirgendwo überzeugend<br />

gelungen ist. Empirisch<br />

nachweisbar sind zwar positive<br />

Kosteneffekte einer Verlagerung<br />

der Dispositionskompetenz über<br />

Ressourcen auf die einzelinstitu-<br />

28 Vgl. z.B. J.F. Witte: The Milwaukee<br />

voucher experiment, Educational<br />

Evaluation and Policy Analysis 1998; H.<br />

20, S. 229-251.; P.E. Peterson: Learning<br />

from school choice (The Brookings<br />

Institution). Washington, D.C. 1998.<br />

29 Vgl. z.B. Woods/Bagley/Glatter:<br />

School choice and competition: markets<br />

in the public interest (Routledge) London.<br />

1998; Lauder et al. 1999 a.a.O.<br />

tionelle Ebene. Einiges spricht<br />

jedoch dafür, dass diesen Kostenvorteilen<br />

nicht unerhebliche<br />

Transaktionskosten und gesamtsystemische<br />

Kostennachteile von<br />

Quasi-Märkten gegenüberstehen.<br />

Empirisch nicht zu sichern<br />

ist die an Wettbewerb und Dezentralisierung<br />

im Schulbereich<br />

geknüpfte Erwartung einer systemweiten<br />

Verbesserung der<br />

Produktionseffizienz durch Effektivitätsgewinne.<br />

Die Befundlage<br />

spricht eher dafür, dass Quasi-<br />

Märkte zur Vergrösserung bestehender<br />

Leistungsdisparitäten und<br />

Chancenungleichheiten tendieren.<br />

Die sich darin manifestierende<br />

Logik, dass es bei Wettbewerbssteuerung<br />

Gewinner und<br />

Verlierer geben muss, widerspricht<br />

zentralen Prinzipien<br />

staatlicher Gesamtverantwortung<br />

im Schulbereich und verletzt<br />

zudem das Pareto-Kriterium.<br />

Trotz berechtigter Zweifel an der<br />

„Bildungstauglichkeit“ von Quasi-<br />

Märkten dürfte eine grundsätzliche<br />

Abkehr von diesem Steuerungsregime<br />

schon wegen seiner<br />

Bedeutung für die Legitimationssicherung<br />

des politischen Systems<br />

wenig wahrscheinlich sein.<br />

Solange die Modernität signalisierende<br />

Adoption von Steuerungsstrukturen<br />

aus der privaten<br />

Wirtschaft ihre suggestive Wirkung<br />

behält, geben ausstehende<br />

Effizienzbelege keinen Anlass zu<br />

einem Wechsel des Steuerungsregimes.<br />

Das heisst freilich nicht,<br />

dass legitimationsgefährdende<br />

Fehlentwicklungen nicht korrigiert<br />

würden. Das Beispiel der jüngsten<br />

Beacon School- und Diversity<br />

Pathfinder-Initiative der Regierung<br />

Blair kann als ein Indiz<br />

dafür angesehen werden, dass<br />

die staatliche Verantwortung für<br />

das gesamte Schulwesen wieder<br />

stärker in den Blick rückt und von<br />

der Schaffung einer auf Dissemination<br />

von „best practice“ zielenden<br />

Kooperationskultur eher<br />

Erfolge beim Bemühen um eine<br />

Verbesserung der Leistungsfähigkeit<br />

der Schulen erwartet wird<br />

als von ihrer Ausrichtung an den<br />

Regeln des Wettbewerbs.


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 37<br />

Die Entwicklung zu mehr Schulautonomie ist in vielen Bundesländern unseres nördlichen Nachbarn seit<br />

geraumer Zeit im Gang.<br />

Mehr Demokratie oder mehr Effizienz<br />

Peter Ringel<br />

Peter Ringel arbeitet in Oldenburg (Deutschland) als freier Autor. Seine Schwerpunkte sind die Themen<br />

Gesellschaft, Wissenschaft und Umwelt.<br />

Abdruck aus: Freitag, Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 15, 9. April 1999<br />

Die erweiterte Autonomie der<br />

Schulen bildet seit einigen Jahren<br />

einen Schwerpunkt der bildungspolitischen<br />

Diskussion.<br />

Das Schlagwort der Schulautonomie<br />

ist schillernd. Darunter<br />

werden so unterschiedliche Inhalte<br />

wie die Forderung nach<br />

mehr pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten<br />

oder die<br />

Einführung eines marktgesteuerten<br />

Bildungssystems verhandelt.<br />

Nicht zuletzt aus dieser<br />

Unschärfe des Begriffs resultieren<br />

die konträren Erwartungen,<br />

die mit einer autonomen Schule<br />

verbunden werden: Für die einen<br />

ist sie die Lösung aller Schulprobleme,<br />

für die anderen das<br />

Ende der Chancengleichheit im<br />

Bildungssystem.<br />

Während seit den späten sechziger<br />

Jahren die fortschrittlicheren<br />

Lehrerverbände mehr Autonomie<br />

forderten, um die Schulen demokratischer<br />

zu gestalten, geht die<br />

Initiative inzwischen vorrangig<br />

von den Vertretern der Bildungsadministration<br />

aus. Das Motto<br />

lautet nicht länger „mehr Demokratie“,<br />

sondern hat sich in den<br />

Ruf nach mehr Effizienz verwandelt.<br />

Die Befürworter der Schulautonomie<br />

versprechen sich geradezu<br />

eine Explosion von kreativem<br />

Potential, wenn die Einzelschule<br />

weniger Vorgaben der Kultusbehörden<br />

erfüllen muss. An Stelle<br />

der Lenkung von oben sollen<br />

eine Selbststeuerung eingeführt<br />

und die Finanzmittel teilweise<br />

von den Schulen – im Rahmen<br />

von Globalhaushalten – selbst<br />

verwaltet werden. Das Kernstück<br />

der Konzepte einer autonomen<br />

Schule bildet das Schulprofil, das<br />

von der Schulleitung und dem<br />

Kollegium unter Einbeziehung<br />

der Eltern und Schüler entwickelt<br />

wird. Am Schulprofil als pädagogischem<br />

Leitbild orientieren sich<br />

beispielsweise die Gestaltung<br />

des Curriculums, die Unterrichtsorganisation<br />

oder die Umgliederung<br />

von Fächern in Lernbereiche.<br />

Lehrerinnen und Lehrer<br />

sollen als Team arbeiten, allen<br />

Beteiligten soll die Identifikation<br />

mit ihrer Schule ermöglicht werden.<br />

Die Schulaufsicht verlagert<br />

ihren Aufgabenbereich dementsprechend<br />

von der direkten Einflussnahme<br />

zu dem einer Evaluationsinstanz.<br />

Derartige Autonomiekonzepte<br />

reagieren einerseits auf empirische<br />

Befunde, die den Lehrenden<br />

einen zentralen Einfluss auf<br />

die Qualität von Bildung bescheinigen,<br />

andererseits tragen sie<br />

den veränderten gesellschaftlichen<br />

Bedingungen Rechnung, in<br />

deren Folge sich die Einzelschule<br />

von einer reinen Unterrichtsschule<br />

zu einem Lebensund<br />

Lernort wandeln soll.<br />

Die Kritiker der Schulautonomie<br />

vermuten und befürchten, dass<br />

mit den neuen Konzeptionen<br />

lediglich Einsparungen kaschiert<br />

werden sollen. Vor allem die<br />

Lehrerschaft steht dem Thema<br />

zwiespältig gegenüber, da aus<br />

der geplanten Schulautonomie<br />

zusätzliche Arbeitsbelastungen<br />

resultieren würden. Die Vergleichbarkeit<br />

der Schulabschlüsse<br />

wird als gefährdet angesehen,<br />

wenn die Schulen vielfältiger<br />

werden. Und die Profilbildung<br />

könnte von den Lehrern verlangen,<br />

ihre Rolle als Einzelkämpfer<br />

aufzugeben.<br />

Misstrauen erweckt auch die<br />

euphorische Übernahme eines<br />

betriebswirtschaftlichen Vokabulars<br />

durch einige Protagonisten<br />

der Autonomiedebatte: die Rede<br />

ist von »neuesten Managementtechniken«.<br />

Controlling, reengineering<br />

und lean-management<br />

werden als geeignetes<br />

Mittel zur Entbürokratisierung<br />

propagiert. Da diese rhetorischen<br />

Versatzstücke bisher immer dann<br />

anzutreffen waren, wenn im Zuge<br />

der Standortdebatte wieder ein<br />

Teil des Sozialstaats geopfert<br />

wurde, ist der Verdacht berechtigt,<br />

dass nun – nach den Systemen<br />

der sozialen Sicherung und<br />

der Gesundheitsvorsorge – das<br />

Bildungssystem mittels der<br />

Schulautonomie »verschlankt«<br />

werden soll. Insbesondere Teile<br />

derjenigen, die seit den späten<br />

sechziger Jahren für eine Demokratisierung<br />

der Schulen eintraten,<br />

interpretieren sämtliche<br />

Konzepte der Schulautonomie<br />

inzwischen ausschliesslich als<br />

neuen Auswuchs neoliberaler<br />

oder neokonservativer Ideologie.<br />

Mit diesem Verdikt geht aber<br />

auch der Blick auf die Chancen<br />

einer selbstständigeren Schule<br />

verloren. Immerhin gibt es Indizien<br />

dafür, dass das Projekt<br />

Schulautonomie, das schon in<br />

Bremen, Hamburg und Hessen<br />

und inzwischen auch in weiteren<br />

Bundesländern in unterschiedlichen<br />

Ausformungen umgesetzt<br />

oder projektiert worden ist,<br />

durchaus positive pädagogische<br />

Effekte hervorbringen kann, auch<br />

wenn die weitgesteckten Zielvor-


38 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

stellungen nicht eingelöst wurden<br />

und die derzeitige Gestalt der<br />

Autonomiekonzepte kaum einen<br />

Anstoss hin zu mehr Partizipation<br />

der Beteiligten verspricht, der<br />

über die bestehenden pseudodemokratischen<br />

Gremienstrukturen<br />

hinausweist. Doch der Vorwurf,<br />

es handele sich – aufgrund<br />

der Verlagerung von der Detailauf<br />

die Rahmenplanung – um<br />

einen Rückzug des Staates aus<br />

seiner Verantwortlichkeit für die<br />

Bildung, deckt sich nicht mit der<br />

realen Entwicklung.<br />

Allerdings weist eine Konzeption<br />

von Schulautonomie, die nicht<br />

nur die Ausweitung des Gestaltungsspielraums<br />

einer Einzelschule<br />

meint, sondern auch die<br />

Konkurrenz zwischen den Schulen<br />

impliziert, eine völlig andere<br />

Qualität auf: Sobald die freie<br />

Schulwahl durch die Aufhebung<br />

der Schuleinzugsbezirke eingeführt<br />

würde, sobald Drittmittel<br />

eingeworben werden könnten<br />

und die Schulen die Möglichkeit<br />

erhielten Schüler abzulehnen,<br />

wäre ein marktgesteuertes Bildungssystem<br />

etabliert.<br />

Ein Blick auf die OECD-Länder,<br />

in denen die freie Schulwahl in<br />

unterschiedlichsten Formen<br />

praktiziert wird, zeigt, dass sich<br />

in diesen Ländern die soziale<br />

Segregation verstärkt: Insbesondere<br />

in den angelsächsischen<br />

Staaten werden Schulen in sozialen<br />

Brennpunkten abgehängt,<br />

in einkommensstarken Gegenden<br />

bilden sich Qualitätsschulen<br />

heraus. Mit der freien Schulwahl<br />

würde die Selektivität des Bildungssystems<br />

weiter erhöht<br />

werden und die Integration von<br />

Behinderten oder ethnischen<br />

Gruppen erschwert oder unmöglich<br />

gemacht, wenn deren Aufnahme<br />

nicht mit der »corporate<br />

identity« einer Schule vereinbar<br />

oder »zu kostenintensiv« wäre.<br />

Und wenn der Markt angeblich<br />

dafür sorgt, dass schlechte<br />

Schulen verschwinden, was ist<br />

mit den Schülern, die in den Jahren<br />

vor dem Verschwinden diese<br />

Schule besuchen Wie soll es in<br />

ländlichen Gebieten eine Konkurrenz<br />

der Schulen geben Und<br />

wer garantiert, dass die Eltern<br />

die beste Schule wählen und<br />

nicht diejenige, die über einen<br />

hohen Werbe-Etat verfügt oder<br />

hervorragende Noten verspricht<br />

ohne die Persönlichkeitsentwicklung<br />

der Schüler im Blick zu<br />

haben Dass neben dem Sachverhalt<br />

des Staatsversagens<br />

auch der des Marktversagens<br />

existiert, scheint den Propheten<br />

eines Bildungsmarktes nicht geläufig<br />

zu sein.<br />

Es zeugt von der Verzweiflung<br />

einiger Bildungstheoretiker, dass<br />

sich inzwischen selbst Pädagogen<br />

von einem Wettbewerb zwischen<br />

den Schulen einen heilsamen<br />

Schock für das Bildungssystem<br />

versprechen. Billigend in<br />

Kauf genommen wird dabei, dass<br />

der Aspekt der Chancengleichheit<br />

in einem marktgesteuerten<br />

Bildungssystem auf der Strecke<br />

bleibt.<br />

Mit dem Verweis auf die Studien<br />

Pierre Bourdieus und auf den<br />

Befund, dass das bisherige<br />

Schulsystem es nicht geschafft<br />

habe, die soziale Ungleichheit<br />

einzudämmen, da die Elitenreproduktion<br />

ausserhalb der<br />

Schule stattfände (Rainer Fischbach<br />

im Freitag 8/99), wird übergangen,<br />

dass das bisherige<br />

staatliche Schulsystem doch<br />

bedeutend egalitärer ist als die<br />

übrige Gesellschaft. Trotz aller<br />

Mängel erhöht das bisherige<br />

Bildungssystem die Durchlässigkeit<br />

der sozialen Schichten. Die<br />

Antwort auf die Schwächen der<br />

Schule bei der Verwirklichung<br />

von Chancengleichheit kann<br />

nicht darin bestehen, jeden egalitären<br />

Anspruch aufzugeben und<br />

sich auf die Seite der neuen<br />

Apologeten der Elitenbildung zu<br />

schlagen. Die Antwort muss statt<br />

dessen lauten, diejenigen Schüler,<br />

die weniger Unterstützung<br />

von ihren Eltern erfahren, gezielt<br />

zu fördern, um das Gebot der<br />

Chancengleichheit zumindest<br />

teilweise einzulösen.<br />

Die Ambivalenz der Schulautonomie<br />

ergibt sich vor allem aus<br />

der Frage, ob das Projekt Autonomie<br />

von einem marktgesteuerten<br />

Bildungssystem zu trennen<br />

ist. Der Verdacht liegt nahe, dass<br />

die Profilbildung und die Selbstverwaltungsstrukturen<br />

der Schulen<br />

lediglich der erste Schritt auf<br />

einem Weg sind, an dessen Ende<br />

die Schulen in ein Marktsystem<br />

entlassen werden. Bei einer<br />

derartigen Entwicklung wären<br />

zwar einige verfassungsrechtliche<br />

Hürden zu überwinden. Doch<br />

die Teilnehmer an der Debatte<br />

über die Schulautonomie müssen<br />

sich bewusst sein, dass ihre Diskussionsbeiträge<br />

für eine Einführung<br />

des marktgesteuerten<br />

Schulsystems instrumentalisiert<br />

werden können.<br />

Um der Gefahr einer Auslieferung<br />

an den Markt zu begegnen,<br />

sollte eine klare Grenzziehung<br />

zwischen den unterschiedlichen<br />

Inhalten und Zielvorstellungen<br />

von Schulautonomie versucht<br />

werden: Wenn Schulautonomie<br />

bedeuten kann, der Pädagogik<br />

an den Schulen mehr Gestaltungsspielraum<br />

einzuräumen,<br />

dürfte dieser Ansatz nicht unter<br />

dem Negativzeichen des Neoliberalismus<br />

verhandelt werden.<br />

Denn so würde eine Chance auf<br />

eine bessere Schule für alle vertan.<br />

Wenn sich hinter dem<br />

Schlagwort Schulautonomie jedoch<br />

hauptsächlich die Zielvorstellung<br />

eines marktgesteuerten<br />

Bildungssystems verbirgt, müssen<br />

dessen berechenbare Folgen<br />

aufgedeckt werden: die zunehmende<br />

Desintegration. Die<br />

sich weiter öffnende Schere zwischen<br />

Eliten und Verlierern. Der<br />

Abschied vom Anspruch auf<br />

Chancengleichheit.


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 39<br />

In der Schweiz hat der Kanton Zürich unter Erziehungsdirektor Buschor eine Pionierrolle in der Schulautonomiedebatte<br />

übernommen.<br />

Erfahrungen mit der freien Schulwahl an den Zürcher<br />

Kantonsschulen<br />

Stephan Aebischer<br />

Präsident des Mittelschullehrerverbands Zürich.<br />

Das Zürcher Mittelschulgesetz,<br />

gültig seit dem Jahr 2000, bestimmt<br />

zur Schulwahl Folgendes:<br />

"Die Schülerinnen und Schüler<br />

können grundsätzlich nach freier<br />

Wahl an eine Schule angemeldet<br />

werden. Bei Überbelegung oder<br />

bei mangelnder Auslastung einer<br />

Schule kann die für das Bildungswesen<br />

zuständige Direktion<br />

Umteilungen vornehmen."<br />

Mit diesem Gesetzesparagraphen<br />

hoffte der damalige Bildungsdirektor<br />

Buschor, eine<br />

Konkurrenz zwischen den 20<br />

Kantonsschulen, welche die Jugendlichen<br />

ins Gymnasium und<br />

in die Diplommittelschule aufnehmen,<br />

anzukurbeln. Im zweiten<br />

Satz wird aber das Wahlversprechen<br />

gleich relativiert für den<br />

Fall, dass die freie Schulwahl im<br />

grösseren Umfang benützt würde.<br />

Wie sind nun die effektiven Erfahrungen<br />

der letzten Jahre<br />

Offizielle Statistiken sind nicht<br />

bekannt, wahrscheinlich auch<br />

nicht vorhanden. Offensichtlich<br />

wird aber die gesetzliche Möglichkeit<br />

durch die Schülerinnen<br />

und Schüler bzw. durch deren<br />

Eltern wenig genutzt, obwohl ein<br />

gut ausgebautes öffentliches<br />

Verkehrssystem vieles möglich<br />

macht. Die Gründe dafür sind in<br />

städtischen und ländlichen Gebieten<br />

unterschiedlich.<br />

Die Kantonsschulen in den<br />

Städten Zürich und Winterthur<br />

führen jeweils nur einen Teil der<br />

Maturitätsprofile; Änderungen der<br />

Profilzuteilung für eine Schule<br />

werden durch den Bildungsrat<br />

nur ganz restriktiv genehmigt und<br />

von den andern Schulen sehr<br />

kritisch beobachtet. Wo Schulen<br />

mit dem gleichen geografischen<br />

Einzugsgebiet die gleichen Profile<br />

führen, wird mit Anmelde- und<br />

Prüfungspools ein vernünftiger<br />

Ausgleich gesucht, obwohl die<br />

ebenfalls von Buschor eingeführte<br />

Pro-Kopf-Finanzierung ein<br />

anderes Verhalten anvisiert.<br />

Die Kantonsschulen ausserhalb<br />

der grossen Städte (teils auch<br />

innerhalb) weisen ziemlich klare<br />

natürliche Einzugsgebiete auf,<br />

die Ortsbindung bei der Schülerschaft<br />

ist immer noch sehr stark.<br />

Diese Schulen führen auch unter<br />

dem gleichen Dach viele Profile;<br />

aus diesen Gründen kann eine<br />

echte Konkurrenzsituation gar<br />

nicht entstehen.<br />

Natürlich bemühen sich die<br />

Schulen sehr, ihren "Marktanteil"<br />

zu halten oder zu verbessern.<br />

Dies führt mitunter zu Anpreisungen<br />

in Hochglanzbroschüren und<br />

Veranstaltungen, welche den<br />

nüchternen Informationsbedarf<br />

deutlich übersteigen. Da aber der<br />

Zudrang zu den Mittelschulen<br />

hoch ist und weiter ansteigt, sind<br />

bisher noch keine grösseren<br />

Auseinandersetzungen um die<br />

Schülerzuteilungen entstanden.<br />

Die Schulleitungen sind sich<br />

bewusst, dass ein zu offensichtliches<br />

Werben oder gar Abwerben<br />

längerfristig allen Schulen mehr<br />

Probleme als Vorteile bringen<br />

würde.<br />

Soweit Schulentscheide durch<br />

die Eltern getroffen werden, sind<br />

erfahrungsgemäss immer noch<br />

Traditionen weitgehend bestimmend.<br />

Wettbewerb um<br />

die Schülergunst artikuliert sich,<br />

wenn überhaupt, zwischen den<br />

Profilen. Vorstellungen über zukünftige<br />

Studienrichtungen sind<br />

hier wichtig, aber auch Gruppenverhalten<br />

und Gerüchte über<br />

Anforderungen und Schwierigkeitsgrade.<br />

Dies dürfte sich andernorts<br />

ähnlich verhalten wie im<br />

Kanton Zürich.<br />

Bei uns gibt es, im Unterschied<br />

zum Kanton Aargau, nach zwei<br />

Jahren im Langgymnasium (siebtes<br />

und achtes Schuljahr mit<br />

Lateinunterricht) für die Schülerinnen<br />

und Schüler eine echte<br />

Wahl zwischen den weiterführenden<br />

Profilen, wobei in den<br />

grossen Städten eventuell ein<br />

Schulwechsel nötig ist. Solche<br />

Schulwechsel waren vor zwanzig<br />

Jahren selten, haben sich aber<br />

seither entwickelt und können<br />

bewirken, dass eine Schule bis<br />

zu einem Viertel ihrer Langgymnasiasten<br />

nach dem achten<br />

Schuljahr verliert. Wie weit sich<br />

hier hinter der Profilwahl eine<br />

Schulwahl oder Schulabwahl<br />

versteckt, lässt sich nicht verlässlich<br />

eruieren; diese Verschiebungen<br />

haben jedoch<br />

schon vor der proklamierten freien<br />

Schulwahl stattgefunden.<br />

Die oben beschriebenen Erfahrungen<br />

lassen sich nicht alle auf<br />

andere Kantone übertragen. Was<br />

sich wohl verallgemeinern lässt:<br />

Viel Wind und ein grosser Aufwand<br />

an der Oberfläche führen<br />

oft zu keinem realen Qualitätsgewinn.


40 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

Und wenn die freie Schulwahl ein leeres Versprechen<br />

bleibt<br />

Nicht alle Schülerinnen und Schüler können in diejenige Kantonsschule eintreten, die sie gerne besuchen<br />

möchten. <strong>AMV</strong>-aktuell befragte drei umgeteilte SchülerInnen über ihre Erfahrungen.<br />

Jolanda Nadler, Abteilung 1F der Kantonsschule Baden<br />

<strong>AMV</strong>-aktuell: Aus welchen Gründen<br />

haben Sie sich an die Kanti<br />

Wettingen angemeldet<br />

Jolanda Nadler: In erster Linie<br />

beschäftigte mich zur Zeit der<br />

Anmeldung eigentlich das Bestehen<br />

der Abschlussprüfung. Die<br />

Schulwahl spielte deshalb eher<br />

eine untergeordnete Rolle. Da<br />

ich unsicher war, ob ich den<br />

Durchschnitt fürs Gymnasium<br />

schaffe und ich andernfalls an<br />

die DMS wollte, meldete ich mich<br />

für die Schule an, die sowieso<br />

beides anbot (Anm. d. Red.: Zu<br />

jenem Zeitpunkt wusste man<br />

noch nicht, dass auch DMS-<br />

Abteilungen in Baden geführt<br />

werden). Daneben spielte auch<br />

eine Rolle, dass mir, wie sich<br />

anlässlich einer Informationsveranstaltung<br />

zeigte, die Gebäude<br />

und das Gelände in Wettingen<br />

sehr gut gefielen. Da ich, aus der<br />

Region Zurzach kommend, jeweils<br />

ganze Tage in der Schule<br />

verbringen muss, war mir die<br />

Umgebung wichtig – ich bin gern<br />

im Grünen.<br />

Welche Erfahrungen haben Sie<br />

in der Zwischenzeit an der Kantonsschule<br />

Baden gemacht<br />

Ich fühlte mich in Baden von<br />

Anfang an sehr wohl. Ich komme<br />

sowohl mit den Schülern und<br />

Schülerinnen als auch mit den<br />

Lehrpersonen sehr gut klar. Trotz<br />

der grossen Anforderungen habe<br />

ich eine Menge Spass. Auch der<br />

Schulort gefällt mir immer besser<br />

– ich habe die Stadtnähe inzwischen<br />

sehr schätzen gelernt.<br />

Und die Kantonsschule Baden<br />

hat eine gute Mensa. Von Bekannten,<br />

die nach Wettingen<br />

gehen, habe ich nun doch schon<br />

ein paar Dinge gehört, über die<br />

ich mich hier nicht beklagen<br />

kann. So herrsche dort eine recht<br />

stressige Atmosphäre, es gebe<br />

zu wenig Toiletten und beim<br />

Mittagessen sei ein strenger<br />

Schichtbetrieb nötig. Alles in<br />

allem bin ich also mit meiner<br />

Zuteilung ganz zufrieden.<br />

Wie beurteilen Sie die Möglichkeit<br />

die Schule zu wählen<br />

Dass man eine Wahlmöglichkeit<br />

hat, finde ich sehr positiv. Obwohl<br />

man sich ja im Klaren sein<br />

muss, dass man dabei kaum<br />

einen Einfluss darauf hat, mit<br />

welchen Leuten man schliesslich<br />

zu tun hat.<br />

Und das Umteilungsprozedere<br />

Ich für meinen Teil habe gar nie<br />

so recht daran gedacht, dass ich<br />

womöglich doch nicht nach Wettingen<br />

kann – ich war mir sicher,<br />

dass ich nach den Sommerferien<br />

dorthin gehe. Deshalb hat es<br />

mich zuerst schon sehr getroffen,<br />

dass ich umgeteilt wurde. Wir<br />

haben die Umteilungen dann<br />

aber untereinander diskutiert,<br />

wobei klar wurde, dass es unsinnig<br />

ist, irgendwelche Vorurteile<br />

zu haben. In dem Brief, den man<br />

erhält, wird unmissverständlich<br />

gesagt, dass die Zuteilung endgültig<br />

ist. Dies scheint auf den<br />

ersten Blick sehr hart, ist aber<br />

notwendig und richtig so, da<br />

sonst wohl ein Riesenchaos entstünde.<br />

Andrea Sprenger, Abteilung 1D der Kantonsschule Zofingen<br />

<strong>AMV</strong>-aktuell: Sie hatten sich<br />

ursprünglich an einer anderen<br />

Schule angemeldet. Welche<br />

Gründe waren ausschlaggebend<br />

für Ihre Präferenz<br />

Andrea Sprenger: An erster<br />

Stelle steht sicher der Schulweg:<br />

Nach Aarau hätte ich mit dem<br />

Velo fahren können. Der Zug, mit<br />

dem ich jetzt täglich nach Zofingen<br />

fahre, kostet meine Eltern<br />

viel Geld, und der Fahrplan lässt<br />

zu wünschen übrig. Dazu kommt,<br />

dass ich anlässlich des Kanti-<br />

Schnupperbesuchs, den ich als<br />

Bezirksschülerin hier machte,<br />

das Gebäude und die<br />

Schulräumlichkeiten überhaupt<br />

räumlichkeiten überhaupt nicht<br />

ansprechend fand, während mir<br />

die schönen, hellen Räume der<br />

Neuen Kanti Aarau auf Anhieb<br />

gefielen. Auch das Schulsportangebot<br />

wäre in Aarau attraktiver<br />

gewesen. Schliesslich kannte ich<br />

in Aarau mehr Kolleginnen und<br />

Kollegen, die bereits dort zur<br />

Schule gingen.<br />

Nun besuchen Sie schon ein<br />

halbes Jahr die Schule, an die<br />

Sie gegen Ihren Willen umgeteilt<br />

wurden. Wie fühlen Sie sich heute<br />

an der Kanti Zofingen<br />

Eigentlich gut, ich habe mich an<br />

die neue Situation gewöhnt.<br />

Wenn das Gespräch auf die<br />

Umteilung fällt, denke ich jeweils<br />

schon daran, dass ich lieber<br />

nach Aarau gegangen wäre. Mit<br />

den kühlen Temperaturen, die<br />

während des Winters hier im<br />

Schulhaus herrschen, habe ich<br />

noch etwas Mühe. Mein Hadern<br />

mit der Umteilung konzentriert<br />

sich aber eigentlich auf die<br />

Schulräumlichkeiten und stellt<br />

sonst nicht mehr ein echtes<br />

Problem dar.<br />

Wie beurteilen Sie im Nachhinein<br />

das ganze Umteilungsprozedere


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 41<br />

Über meine Zuteilung an die<br />

Kanti Zofingen wurde ich kurz<br />

und knapp per Brief informiert.<br />

Man teilte mir mit, dass in Aarau<br />

keine Abteilungskapazitäten<br />

mehr bestünden. Kantonsweit<br />

scheint es ja so zu sein, dass die<br />

Schulwahl der allermeisten SchülerInnen<br />

respektiert wird. Wir aus<br />

Kölliken sind offenbar eine Art<br />

Sonderfall, da wir zum Bezirk<br />

Zofingen gehören, in unserem<br />

Alltag aber doch eher Aarau orientiert<br />

leben. Ich fände es im<br />

Grunde ehrlicher, man würde uns<br />

von Beginn weg sagen, welche<br />

Schule wir zu besuchen haben.<br />

Im Allgemeinen fällt es mir ohnehin<br />

schwer, für Sparentscheide,<br />

welche die Bildung betreffen,<br />

Verständnis aufzubringen.<br />

Matthias Elsasser, Abteilung 4A der Neuen Kantonsschule Aarau<br />

<strong>AMV</strong>–aktuell: Sie hatten sich ursprünglich<br />

an die Alte Kantonsschule<br />

angemeldet. Aus welchen<br />

Gründen<br />

Matthias Elsasser: Für mich war<br />

klar, dass „Die Kantonsschule“<br />

die heutige „Alte Kantonsschule“<br />

bedeutete. Von der „Neuen“<br />

wusste ich kaum etwas. „Zelgli“<br />

verband ich immer noch mit seminaristischer<br />

Ausbildung. Zudem<br />

war es die „Alte Kantonsschule“,<br />

die uns Schülerinnen,<br />

Schüler der 4. Klasse der Bezirksschule<br />

Unterkulm zu einer<br />

Besichtigung der Räume und zu<br />

einer kurzen Vorstellung der<br />

Unterrichtsgänge ausserhalb der<br />

offiziellen Info – Veranstaltungen<br />

(mit Eltern) eingeladen hatte.<br />

Ausserdem gingen alle meine<br />

älteren Kolleginnen und Kollegen,<br />

die sich für die Mittelschule<br />

entschieden hatten, an die „Alte<br />

Kantonsschule“.<br />

Wie haben Sie die administrativ<br />

verordnete Zuteilung erlebt<br />

Zuerst war ich sehr enttäuscht,<br />

da ich als erster meiner Bezirksschulklasse<br />

den Brief mit dem<br />

Entscheid erhalten hatte, und<br />

dies zwei Tage nach dem oben<br />

erwähnten Augenschein an der<br />

„Alten Kantonsschule“. Später<br />

spürte ich eine gewisse Erleichterung,<br />

da ich feststellen konnte,<br />

dass Mitschülerinnen, Mitschüler<br />

gleichermassen von dieser<br />

Massnahme betroffen waren.<br />

Hat sich diese Enttäuschung auf<br />

den Schulalltag ausgewirkt<br />

Nein. Zuerst musste man sich<br />

ohnehin in der neuen Umgebung<br />

zurecht finden. Diese Umstellung<br />

geht wohl allen gleich. Zudem<br />

fand ich mich in einer Klasse,<br />

von der die Hälfte ebenfalls<br />

durch die Massnahme betroffen<br />

war. Gleich stellte ich fest, dass<br />

das Fächerangebot der NKSA<br />

mit demjenigen der AKSA identisch<br />

ist, auch andere Aktivitäten<br />

deckten oder ergänzten sich.<br />

Was mir damals aufgefallen ist<br />

und was mich heute noch anspricht:<br />

Die hellen Räume. Ein<br />

Spiegel der Schulatmosphäre –<br />

Ich weiss es nicht! – Aber Offenheit<br />

lässt sich in diesen Räumen<br />

leben, und ich erfahre dies<br />

mehrheitlich auch so im Umgang<br />

mit Kolleginnen, Kollegen, auch<br />

mit Lehrpersonen.<br />

Und heute<br />

Kein Thema, das interessiert.<br />

Vielleicht mal kleine ironische<br />

Bemerkungen, wenn man sich in<br />

Schwerpunktfächern mit Kolleginnen,<br />

Kollegen der andern<br />

Schule im gleichen Schulzimmer<br />

findet. („Eure gruftige Mensa“ –<br />

„Was, zehn Minuten vom Bahnhof“)<br />

Die Interviews führten Patrik Schneider, Alexander Fend und Rudolf Ingold<br />

Wir danken den Schülerinnen und dem Schüler für das Gespräch.


42 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> I – V. Ein Kaleidoskop<br />

Stefan Läderach<br />

Präsident <strong>AMV</strong><br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> I: Die Theorie und ihre Grenzen<br />

Neoliberale Bildungstheoretiker<br />

und -politiker sind sich einig:<br />

Konkurrenz belebt auch im<br />

Schulwesen das Geschäft. Als<br />

Vorteile einer Einführung von<br />

Marktmechanismen in das öffentliche<br />

Bildungswesen werden in<br />

der Literatur folgende Argumente<br />

genannt 1 :<br />

mehr Lebensbezug durch<br />

Kundenorientierung<br />

Innovationsdruck durch Nachfrageorientierung<br />

Beseitigung der „allokativen<br />

Ineffizienz“ (ineffektiver Ressourceneinsatz)<br />

Qualitätsdruck durch Wettbewerb<br />

unter den Schulen<br />

Steigerung der Produktivität<br />

der Schulen (Kosten pro „Einheit“<br />

Erfolg)<br />

Demokratisierung durch mehr<br />

Mitsprache der Kundschaft<br />

Entbürokratisierung und Entpolitisierung<br />

von Schule.<br />

Der Ruf nach mehr Wettbewerb<br />

im Bildungswesen ist in den 90er<br />

Jahren – sicher nicht ganz zufällig<br />

nur kurze Zeit nach dem Fall<br />

der Berliner Mauer – von den<br />

USA 2 nach Europa getragen<br />

worden. Die grundlegenden Konzepte<br />

gehen auf Publikationen<br />

von Milton Friedman (1955) und<br />

Friedrich August von Hayek<br />

(1971) zurück. Nach ihren Vorstellungen<br />

muss Kundenmacht<br />

durch Schulwahl freigesetzt werden:<br />

Wer die stärkste Nachfrage<br />

provoziert, erhält die meisten<br />

Mittel. Die erfolgloseren Anbieter<br />

1 zu den folgenden Ausführungen siehe<br />

etwa Hoxby (2000), Schnaitmann<br />

(2001), Oelkers (2005/1), OECD<br />

(1994), Aeberli (2003) u.a.<br />

2 besonders einflussreich: Chubb/Moe<br />

(1990)<br />

verschwinden letztlich vom<br />

Markt. Die (staatlichen) finanziellen<br />

Mittel werden in Individuen<br />

(Stipendien oder Bildungsgutscheine)<br />

investiert, nicht mehr<br />

direkt in Institutionen. Die öffentliche<br />

Bildung wird auf einen<br />

Kernbereich reduziert, und die<br />

Kunden erhalten freie Wahl unter<br />

einem Angebot, das sich im<br />

Wettbewerb entwickelt.<br />

Schulen erhalten Freiräume, um<br />

ihr Angebot zu profilieren. Vergleiche<br />

des Angebots und der<br />

Leistungsfähigkeit der Einzelschulen<br />

(z.B. aufgrund von<br />

Schulrankings) sollen zu einem<br />

Wettbewerb um kontinuierliche<br />

Qualitätsverbesserung und effektiven<br />

Ressourceneinsatz 3<br />

führen. Grosse Nachfrage<br />

bedeutet Erfolg und wird als Zeichen<br />

für gute Qualität des Angebots<br />

gewertet.<br />

Dass dieser Gedankengang zu<br />

kurz greift, ist offensichtlich. In<br />

einem System, in welchem von<br />

allen Anbietern identische Abschlüsse<br />

vergeben werden, die<br />

zum Eintritt in die nächst höhere<br />

Stufe berechtigen, kann der Anreizmechanismus<br />

sogar eine<br />

gegenteilige Wirkung entfalten:<br />

Der wahre, rational handelnde<br />

„discipulus oeconomicus“ wird<br />

sich für den angenehmeren,<br />

„leichteren“ Weg zum (gleichen)<br />

Ziel entscheiden.<br />

Noch in einem weiteren Punkt<br />

hinkt die Marktmetapher: Es ist<br />

für Lehrpersonen eine Binsenwahrheit,<br />

dass die Studierenden<br />

nicht nur KundInnen oder AbnehmerInnen,<br />

sondern in erheblichem<br />

Ausmass selber „MitproduzentInnen“<br />

von Bildung sind 4 .<br />

3 Schnaitmann (2003)<br />

4 Weiss (2003)<br />

Weil aber Schulqualität letztlich<br />

am Erfolg der Studierenden gemessen<br />

wird, sind sie somit entscheidend<br />

für den Wettbewerbserfolg<br />

ihrer Schule mitverantwortlich.<br />

Die konsequente Anwendung<br />

des Wettbewerbsgedankens<br />

führt zur Forderung, dass<br />

erfolgreiche Schulen das Recht<br />

haben müssten, sich ihre SchülerInnen<br />

selber auszusuchen bzw.<br />

aufgrund ihres Leitbilds und jenseits<br />

der eidgenössischen Bestehensnormen<br />

ungeeignete<br />

„MitproduzentInnen“ abzulehnen,<br />

wenn sie die Zielerreichung der<br />

Schule beeinträchtigen könnten 5 .<br />

Dies auch deshalb, weil es für<br />

jede Schule eine optimale Schülerzahl<br />

gibt, die sie nicht überschreiten<br />

sollte, um ihre Qualität<br />

hoch halten zu können – zumal<br />

unter den real existierenden politischen<br />

Bedingungen ein Schüleransturm<br />

nur zu mehr und grösseren<br />

Klassen und damit zu<br />

Platz- und Infrastrukturproblemen<br />

führt, ohne Aussicht auf rasche<br />

Abhilfe.<br />

Numerus Clausus der Einzelschule:<br />

eine Konsequenz des<br />

Wettbewerbs, die im privaten<br />

Markt eine gewisse Logik für sich<br />

beanspruchen mag, für öffentliche<br />

Schulen jedoch unter sozialen<br />

Gesichtspunkten höchst<br />

problematisch wäre.<br />

Die internationalen Erfahrungen<br />

der letzten Jahre zeigen deutlich,<br />

dass politische Massnahmen zur<br />

Erweiterung der freien Schulwahl<br />

sowohl Gefahren als auch Chancen<br />

mit sich bringen. 6 Es stellte<br />

sich heraus, dass die freie<br />

Schulwahl dann am besten funktioniert,<br />

wenn verschiedene<br />

5 Oelkers (2005)<br />

6 OECD (1994)


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 43<br />

Schulen unterschiedliche Bildungskonzepte<br />

oder Fächerspezialisierungen<br />

anbieten. Für die<br />

Politik bedeutet dies, dass sie<br />

neben der Freiheit der Wahl auch<br />

die Vielfalt der Schulen aktiv<br />

fördern müsste. Gleichzeitig ist<br />

es ihre Aufgabe, eine sinnvolle<br />

Distribution des notwendigen<br />

Angebots sicherzustellen. Denn<br />

die konsequente Kundenorientierung<br />

(teil)autonomer Anbieter<br />

bringt nicht automatisch eine<br />

vernünftige Verteilung des Angebots<br />

zwischen den konkurrierenden<br />

Schulen mit sich: Sie kann<br />

genau so gut zu einer hektischen<br />

Jagd nach modischen Trends<br />

und damit zu Angebotslücken in<br />

weniger „attraktiven“ Bereichen<br />

der Bildung führen.<br />

In der Privatwirtschaft basiert der<br />

Erfolg des Konkurrenzprinzips<br />

nicht einfach auf dem reinen<br />

Leistungswillen der Akteure,<br />

sondern auf den konkret abschöpfbaren<br />

Gewinnen, die dem<br />

erfolgreicheren Anbieter zugute<br />

kommen – auf Kosten seiner<br />

Konkurrenten, die dann vielleicht<br />

mit einem neuen Produkt reagieren,<br />

aufgekauft werden oder aus<br />

dem Markt verschwinden. Es ist<br />

systemimmanent, dass es Gewinner<br />

und Verlierer geben<br />

muss. Dies ist aber im öffentlichen<br />

Bildungssystem aus ethischen<br />

Gründen höchst problematisch:<br />

Bildung ist ein öffentliches<br />

Gut, auf das alle EinwohnerInnen<br />

nach Massgabe ihrer intellektuellen<br />

Leistungsfähigkeit<br />

Anspruch haben.<br />

Die Konsequenz wäre, dass eine<br />

weniger erfolgreiche Schule zusätzliche<br />

Mittel erhalten müsste,<br />

um ihre Leistungen optimieren zu<br />

können. Worin läge dann aber<br />

noch der Anreiz für die „besseren“<br />

Schulen, besser sein und<br />

besser bleiben zu wollen<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> II: Praxis 2010<br />

Sven Muster ist Bezirksschüler. und grau, sagen Felix und andere,<br />

Er ist schon sechzehn und will an<br />

die Kanti. Warum Wenn ihn<br />

niemand fragt, weiss er es, aber<br />

sobald ihn jemand fragt... Jedenfalls<br />

dort würden sie nie hingehen.<br />

Na ja, wenn Sven seinen Vater<br />

so ansieht, ist das vielleicht nicht<br />

wirklich ein Widerspruch...<br />

hat er den Durchschnitt<br />

Am nächsten wäre natürlich die<br />

locker, und eine Lehre kann er<br />

Schule auf dem Galgenhübel in<br />

sich nicht wirklich vorstellen.<br />

Halten, und auch ziemlich cool,<br />

Schon eher Informatik an der<br />

sagt Viktor, Svens Cousin, der<br />

ETH. Sven verbringt ja jetzt<br />

dort schon seit über fünf Jahren<br />

schon den halben Tag am Computer,<br />

wenn er Zeit hat.<br />

zur Schule geht. Aber eben, Halten<br />

liegt definitiv im Nachbarkanton.<br />

Zum Glück kann man heute die<br />

Wie viele Kantonsschu-<br />

Kantonsschule frei wählen. Als len gibt’s bei uns eigentlich<br />

Svens Vater in die Kanti ging, Sven geht auf die Homepage des<br />

gab es weit und breit nur eine Kantons. Da: Mittelschulen im<br />

Schule, die Kantonsschule „im Aargau: 975 Resultate. Und hier<br />

Stadtpark“ in Seldwyla. Idyllischer<br />

die Sites der sechs Schulen,<br />

Name eigentlich; damals einige davon sind echt gut ge-<br />

hiess sie natürlich noch anders,<br />

und sie war weit herum bekannt<br />

macht, andere etwas umständlich,<br />

aber das muss ja noch<br />

und geschätzt. Aber Sven hat nichts heissen.<br />

gelernt, sich ein eigenes Urteil zu<br />

Kuchentag, Adventskalender,<br />

bilden: Von ehemaligen Mitschülerinnen<br />

und Mitschülern,<br />

Kerzenfotos – nein, bitte nicht,<br />

das ist ja wie an der Bez. Kein<br />

die jetzt schon an der Kanti sind,<br />

Wunder, schwärmt Svens grosse<br />

hat er so einiges über diese<br />

Schwester in den höchsten Tönen.<br />

Gut für sie, aber nichts für<br />

Schule gehört, was ihm gar nicht<br />

gefällt: Hässliche Kantine, strenge<br />

Lehrer, kaum Computerräu-<br />

Sven. Und wer will denn schon<br />

Tag für Tag in die gleiche Schule<br />

me... Seriös und solid, sagt Papa:<br />

Schliesslich ging der grosse<br />

wie die grosse Schwester<br />

Chemiker Alfred Neumann hier Stopp, da: Eine Startseite wie bei<br />

eineinhalb Jahre lang zur Schule,<br />

und auch der Unternehmer und<br />

spätere Bundesrat Konrad Billiger,<br />

Bluewin, übersichtlich, reich bebildert.<br />

Gar nicht übel: sieht aus<br />

wie ein alter Wallfahrtsort oder<br />

und viele andere (und eben sowas, schön renoviert. Viel<br />

auch Papa selber)... Verstaubt Sport, Reisen, interaktive Agenda.<br />

Oder die da: Ziemlich modern,<br />

das Schulhaus. Viel Sport<br />

und Theater, Laptop-Klasse und<br />

weitere Informatik-Zusatzangebote,<br />

das klingt gut. Aber Neustadt<br />

ist nun doch definitiv zu<br />

weit weg. Also vielleicht doch in<br />

den „Stadtpark“ Immerhin, die<br />

Schule liegt gleich neben dem<br />

Bahnhof. Ein paar freie Minuten<br />

mehr, und das vier Jahre lang<br />

jeden Tag, das läppert sich<br />

schon zusammen.<br />

Aber Andreas und Roswitha und<br />

all die anderen aus der früheren<br />

Klasse, will ich diesen Strebern<br />

wirklich jeden Tag wieder über<br />

den Weg laufen O.k., die<br />

Schule ist ziemlich gross und<br />

anonym. Aber das ist ja auch<br />

nicht nur positiv. Darum gehen<br />

doch die meisten aus Svens<br />

Klasse nach Zopfikon, das ist<br />

erst noch näher. Das Informatik-<br />

Angebot sei dort eigentlich ziemlich<br />

gut, sagt Sandro, obwohl<br />

jetzt auf der Homepage kaum<br />

etwas davon zu sehen ist.<br />

Und übrigens will auch Eliane<br />

dorthin... E-Gitarre ist im Angebot,<br />

sehr gut. Vielleicht gibt’s ja<br />

noch einen Platz in der Kanti-<br />

Bänd Sieht sympathisch aus,<br />

recht viele Jungs dabei. Und<br />

wenn er vielleicht Eliane überreden<br />

könnte, sie spielt doch Sax...


44 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> III: Rahmenbedingungen<br />

Mit der Proklamation der freien<br />

Schulwahl ist es nicht getan: Damit<br />

sich <strong>Schulkonkurrenz</strong> als Steuerungsinstrument<br />

zur Qualitätssteigerung<br />

und Bereicherung des Angebots<br />

positiv auswirken könnte,<br />

müssten zunächst eine ganze<br />

Reihe von Voraussetzungen erfüllt<br />

sein.<br />

Notwendige Rahmenbedingungen...<br />

1. Gesamtsystem (alle Akteure)<br />

Verständigung auf gemeinsame<br />

Kriterien für „Qualität“ und<br />

„(Wettbewerbs-)Erfolg“ von<br />

Schulen bzw. Studierenden:<br />

Möglichst viele oder möglichst<br />

gute GymnasiastInnen Studienerfolgsquote<br />

an der Hochschule<br />

Renommee durch Spitzenleistungen<br />

Gutes Schulklima<br />

Innovative Ausstrahlung...<br />

2. Politik und Verwaltung<br />

Gewährung hinreichender Freiräume<br />

für kundenorientierte<br />

Angebotsdifferenzierung (Reduktion<br />

der obligatorischen<br />

Stundentafel)<br />

bei gleichzeitiger Gewährleistung<br />

des Vollangebots nach<br />

MAR AG für jede/n Studierende/n<br />

im ganze Kantonsgebiet in<br />

zumutbarer Distanz<br />

gleich lange Spiesse für alle<br />

Anbieter zum Zeitpunkt der<br />

„Marktöffnung“<br />

Sicherstellung des finanziellen<br />

Spielraums der Einzelschulen<br />

für erfolgreiche Reaktion auf<br />

Marktveränderungen<br />

Transparenz der gesamten<br />

Angebotspalette für die Kundschaft<br />

Evaluation und Transparenz<br />

der Leistungen der einzelnen<br />

Schulen<br />

Sicherstellung von rechtsgleicher<br />

Behandlung aller Mittelschullehrpersonen<br />

im Kanton<br />

echte Anreize (z.B. mehr Geld,<br />

mehr Autonomie, Neubauten)<br />

für erfolgreiche, Sanktionen (bis<br />

hin zur Schliessung) für erfolgsschwache<br />

Schulen<br />

3. Einzelschule<br />

Sicherstellung des minimalen<br />

Angebots für die Studierfähigkeit<br />

(MAR 95)<br />

hinreichende Autonomie für<br />

griffige, zielgruppenorientierte<br />

Profilbildung<br />

klare Vorstellungen von (und<br />

Orientierung an) den Präferenzen<br />

der Kunden und den gesellschaftlichen<br />

Erfordernissen<br />

hinreichender Handlungsspielraum<br />

und Flexibilität für rasches<br />

Reagieren auf Marktbewegungen<br />

professionelle Kommunikation<br />

(PR)<br />

ev. Recht auf Ablehnung von<br />

Studierenden nach selber definierten<br />

Kriterien<br />

4. Kundenseite (angehende Studierende,<br />

Eltern)<br />

Recht auf freie Schulwahl (Umteilungen<br />

nur im Notfall)<br />

verlässliche, übersichtliche Informationen<br />

über Inhalt und<br />

Qualität der Angebote<br />

hinreichende Erreichbarkeit der<br />

konkurrierenden Standorte<br />

rationales Wahlverhalten anhand<br />

von Kriterien der Qualität<br />

...und die Realität<br />

Es ist offensichtlich, dass die meisten<br />

Kriterien dieses Katalogs in der<br />

Mittelschule Aargau nicht erfüllt<br />

sind – ohne dass deswegen jedoch<br />

ein echtes Qualitätsdefizit festgestellt<br />

werden könnte.<br />

Das Produkt ist identisch<br />

Das von den „Kunden“ nachgefragte<br />

Gut ist nicht die „bestmögliche<br />

gymnasiale Bildung“, sondern<br />

primär das Maturzeugnis als Berechtigung<br />

für den freien und allgemeinen<br />

Hochschulzugang.<br />

Dieses Produkt ist an allen Schulen<br />

identisch und wird überall mit gleich<br />

hoher Wahrscheinlichkeit erreicht.<br />

Auch die Angebotspalette für den<br />

Weg zum Maturzeugnis ist<br />

mehr oder weniger identisch,<br />

da an allen Schulen nahezu<br />

alle Schwerpunkt- und Ergänzungsfächer<br />

belegt werden<br />

können.<br />

Die Schulwahl erfolgt aufgrund<br />

sekundärer Kriterien<br />

Da das nachgefragte Gut<br />

(Maturzeugnis) identisch ist,<br />

wählen die „Kunden“ ihre<br />

Schule aufgrund von sekundären<br />

Kriterien wie Erreichbarkeit,<br />

Familientraditionen,<br />

„Ruf“ einer Schule, Gruppenpräferenzen,<br />

Attraktivität der<br />

Schulanlage, erfolgreiche<br />

Selbstpräsentation der<br />

Schule, „Atmosphäre“ und<br />

„Modernität“, Nischenangebote<br />

im Freifachbereich etc.<br />

Verlässliche Daten über allfällige<br />

Qualitätsunterschiede<br />

zwischen den Schulen existieren<br />

nicht<br />

Verlässliche Daten, die eine<br />

Schulwahl nach qualitativen<br />

Kriterien ermöglichen würden,<br />

fehlen vollständig. Doch<br />

selbst wenn solche Daten zur<br />

Verfügung stehen und relevante<br />

Unterschiede aufweisen<br />

würden (was unwahrscheinlich<br />

ist), würde sich<br />

kaum viel verändern, da alle<br />

Schulen zum allgemeinen<br />

Hochschulzugang führen.<br />

(Dazu ein Gedankenexperiment:<br />

Was würde wohl mit<br />

einer Schule geschehen, die<br />

sich als „die strengste Kantonsschule<br />

im Kanton“ zu<br />

profilieren versuchte)<br />

Es gibt kein taugliches Konzept<br />

von „erfolgreicher Praxis“<br />

Hinsichtlich des nachgefragten<br />

Guts (Maturzeugnis) sind<br />

offensichtlich alle Aargauer<br />

Mittelschulen sehr erfolgreich.<br />

Ein von allen Akteuren<br />

gleichermassen anerkanntes<br />

und steuerungswirksames<br />

Konzept von „erfolgreicher<br />

Praxis“ von Gymnasien existiert<br />

nicht. Einzige (und


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 45<br />

fragwürdige) Orientierungsgrösse<br />

für erfolgreiche Praxis von Schulen<br />

ist deshalb Jahr für Jahr die Zahl<br />

der Neuanmeldungen – die, wie<br />

bereits erwähnt, hauptsächlich von<br />

Wahlkriterien abhängt, von welchen<br />

die meisten nichts mit der<br />

Ausbildungsqualität im Sinne der<br />

Hochschulvorbereitung zu tun<br />

haben.<br />

Geographische Distanz zwischen<br />

den Schulen<br />

Die Aargauer Mittelschulen liegen<br />

zu weit auseinander, als dass alle<br />

sechs Standorte jemals zueinander<br />

in echte Konkurrenz treten<br />

könnten. <strong>Schulkonkurrenz</strong> (auf der<br />

Basis echter Profilbildung) ist in<br />

einer Stadt wie Zürich machbar,<br />

aber nicht im dezentralen Kanton<br />

Aargau. Wenn man diesen Weg<br />

einschlagen möchte, so müsste<br />

man mindestens von zwei Zentren<br />

ausgehen: Aargau Ost und Aargau<br />

West.<br />

Die Schulen haben nicht gleich<br />

lange Spiesse<br />

Die einzelnen Schulen unterscheiden<br />

sich erheblich hinsichtlich ihrer<br />

Geschichte, ihrer Grösse und insbesondere<br />

im Bereich der oben<br />

erwähnten, besonders wahlrelevanten<br />

„sekundären Qualitäten“.<br />

Die Wahl ist nur scheinbar<br />

frei<br />

Die Zahl der umgeteilten<br />

SchülerInnen ist seit 2001<br />

permanent gestiegen (von 17<br />

im Jahr 2001 auf je 114 in<br />

den Jahren 2004 und 2005).<br />

Auf Beginn des Schuljahrs<br />

2005/06 wurden 3 ganze<br />

DMS-Klassen von Wettingen<br />

nach Baden umgeteilt.<br />

Ein Recht auf die Auswahl<br />

bzw. Ablehnung von Studierenden<br />

durch die Schulen<br />

besteht (glücklicherweise)<br />

nicht.<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> IV: Warum sie im Gymnasium Aargau höchstens Probleme bringt<br />

Die Aargauer Kantonsschulen<br />

erfüllen seit ihrem Bestehen ihre<br />

Aufgabe (Hinführung der Studierenden<br />

zur allgemeinen Hochschulreife)<br />

ausgezeichnet und<br />

bieten darüber hinaus ein überaus<br />

reiches – und ständig wachsendes<br />

und sich aktualisierendes<br />

– Angebot von Zusatzleistungen<br />

an. Für ideologieverhaftete und<br />

unausgegorene, eventuell gefährliche<br />

Experimente im Bereich<br />

der Systemsteuerung besteht<br />

daher keinerlei Bedarf.<br />

Die Verbindung von „freier“<br />

Schulwahl (de facto mit je über<br />

hundert Umteilungen in den letzten<br />

zwei Jahren) und Teilautonomie<br />

bei gleichzeitiger Abwesenheit<br />

echter Schulprofile inhaltlicher<br />

Art führt unweigerlich zu<br />

einer Form von <strong>Schulkonkurrenz</strong>,<br />

die kaum qualitätssteigernde<br />

Auswirkungen haben kann: Allerorts<br />

herrscht rege Betriebsamkeit,<br />

am meisten aber im PR-<br />

Bereich: Wer Zeitung liest, muss<br />

den Eindruck bekommen, das<br />

Tagwerk der GymnasiastInnen<br />

bestehe heute hauptsächlich aus<br />

Firmengründungen, Konzertauftritten,<br />

der Teilnahme an Podiumsdiskussionen<br />

und dem Verfassen<br />

trendiger Maturitätsarbeiten.<br />

Neue Fächer werden<br />

angeboten, teilweise sogar erfunden,<br />

ohne dass die Angebote<br />

untereinander sorgfältig koordiniert<br />

zu sein scheinen (vgl. Editorial<br />

<strong>AMV</strong>-aktuell 05/3). Im Freifachangebot<br />

besteht die Gefahr<br />

einer Popularisierung: Kaum eine<br />

Schule kann es sich beispielsweise<br />

leisten, das Instrument<br />

„Keyboard“ nicht anzubieten,<br />

auch wenn die Frage nach dem<br />

gymnasialen Curriculum noch<br />

nicht wirklich geklärt ist – selbst<br />

gegen die Skepsis sämtlicher<br />

Lehrpersonen einer betroffenen<br />

Fachschaft.<br />

Die neu etablierte <strong>Schulkonkurrenz</strong><br />

zwingt die Schulen zum<br />

verstärkten Werben um die BezirksschulabgängerInnen,<br />

verringert<br />

die Lust zur Kooperation<br />

zwischen den Schulen, verstärkt<br />

paradoxerweise den Druck zum<br />

Komplettangebot und bläht die<br />

PR-Aktivitäten auf. Bezirksschülerorientierungen<br />

dienen neuerdings<br />

zunehmend dem Standortmarketing.<br />

In Zeiten sich abzeichnenden<br />

Schülerrückgangs<br />

droht die „Einschaltquote“ zur<br />

wichtigsten Kennziffer für erfolgreiche<br />

Schulführung zu werden.<br />

Unterdessen wählen die Studierenden<br />

ihre Schule aufgrund von<br />

wenig beeinflussbaren, sekundären<br />

Faktoren wie Schulweg, Attraktivität<br />

der Schulbauten, „Ruf“<br />

einer Schule, Familientradition<br />

etc. – und sie verhalten sich damit<br />

absolut rational, ist doch das<br />

angebotene Produkt überall das<br />

gleiche: Gymnasiale Bildung<br />

nach MAR Aargau und der Maturitätsausweis,<br />

der die Zutrittsberechtigung<br />

zur Hochschule darstellt.<br />

Marktsteuerung durch “freie<br />

Schulwahl“ ohne echte Angebotsdifferenzierung<br />

bringt mehr<br />

Schaden als Nutzen. Sie wandelt<br />

sich von einer Verheissung zu<br />

einer Gefahr, indem sie fatalerweise<br />

einen Anreiz zur Nivellierung<br />

nach unten schafft: Das<br />

„billiger“ oder „angenehmer“ erreichbare<br />

Maturzeugnis könnte<br />

für die „Kundschaft“ das attraktivere<br />

sein, da es den Zweck genauso<br />

erfüllt. Lässt man eine<br />

solche Entwicklung zu, wird sich<br />

jedoch früher oder später der<br />

politische Druck auf den allgemeinen<br />

Hochschulzugang noch<br />

weiter erhöhen: Die Systemlogik<br />

der Marktsteuerung erfordert<br />

letztlich erkennbar „wertvollere“<br />

und „weniger wertvolle“ Maturitätsausweise.<br />

Und das wäre<br />

dann das Ende der Chancengerechtigkeit.


46 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

<strong>Schulkonkurrenz</strong> V: Perspektiven<br />

Es ist längst an der Zeit, eine<br />

ganzheitliche und überzeugende<br />

Steuerungsphilosophie für die<br />

Profilbildung und Schülerzuteilung<br />

in der Mittelschule Aargau<br />

zu entwickeln. Dafür bestehen<br />

theoretisch mehrere Möglichkeiten:<br />

a) Freie Schulwahl und autonome<br />

Angebotsdifferenzierung<br />

der Einzelschulen (selbstständige<br />

Profilbildung)<br />

Echte Angebotsdifferenzierung in<br />

einem für die Schulwahl relevanten<br />

Ausmass würde bedeuten:<br />

Entweder Profilbildung durch<br />

Weglassung im Wahlpflichtbereich<br />

(v.a. SPF/EF, etwa im Sinne<br />

der früheren Typen) und/oder<br />

Angebot zusätzlicher anerkannter<br />

Zertifikate über die gymnasiale<br />

Grundbildung hinaus (die<br />

nicht an allen anderen Schulen<br />

auch angeboten werden). Eine<br />

Profilierung durch Weglassung<br />

oder Zusatzangebote im Freifachangebot<br />

wäre ebenfalls<br />

denkbar, würde aber kaum starke<br />

Profile ergeben und zu einer<br />

Verarmung der Schulkultur führen.<br />

Die Variante a) fällt ausser Betracht,<br />

da das Angebot ohne<br />

zentrale Steuerung zu trendorientiert<br />

und zufällig würde, das<br />

MAR-AG-Vollangebot im Aargau<br />

nicht mehr gewährleistet wäre<br />

(welche Schule würde noch den<br />

teuren Griechischunterricht anbieten<br />

wollen) und die Einzelschulen<br />

auf Marktschwankungen<br />

zu wenig rasch reagieren könnten<br />

(Raumknappheit hier, Überkapazitäten<br />

dort).<br />

b) Freie Schulwahl und zentral<br />

gesteuerte Profilbildung mit<br />

Vollangebot in den zwei<br />

Grossregionen Aargau Ost<br />

und West<br />

Diese Variante ist zwar durchaus<br />

umsetzbar, führt jedoch zu entscheidenden<br />

Rückschritten gegenüber<br />

den Innovationen von<br />

MAR 95:<br />

Die Anzahl der Möglichkeiten<br />

für die Studierenden, sich ihr<br />

individuelles Bildungsprofil<br />

zusammenzustellen, würde<br />

empfindlich reduziert. Viele<br />

Studierende müssten in Zukunft<br />

auf ihr Wunsch-<br />

Ergänzungsfach und vielleicht<br />

auch auf einzelne Freifächer<br />

verzichten müssen.<br />

An jeder Schule würde ein<br />

grosser Teil der Lehrerschaft<br />

die Möglichkeit verlieren,<br />

Schwerpunktfachunterricht<br />

erteilen zu können. Wenn<br />

man weiss, wie stark sich die<br />

Lehrpersonen für den SPF-<br />

Unterricht einsetzen, kann<br />

man sich ausrechnen, wie<br />

empfindlich sich eine solche<br />

„Rückstufung“ auf die Motivation<br />

ganzer Fachschaften<br />

auswirken würde. Eine grosse<br />

Zahl von Fächern würde zu<br />

„Fächern zweiter Klasse“ an<br />

der jeweiligen Schule degradiert.<br />

Die Variante b) könnte demnach<br />

höchstens als langfristige Perspektive<br />

mit einem Horizont von<br />

ein bis zwei Jahrzehnten bei<br />

gleichzeitiger gezielter, profilorientierter<br />

Personalpolitik anvisiert<br />

werden – in Zeiten raschen<br />

Wandels ein fragwürdiges Spiel.<br />

c) Deckungsgleiches Angebot<br />

an allen Standorten in Verbindung<br />

mit zentral gesteuerter<br />

Schülerzuteilung (Verzicht auf<br />

freie Schulwahl)<br />

Die beste Variante für die Mittelschule<br />

Aargau ist die heutige<br />

Lösung mit praktisch deckungsgleichem<br />

Angebot an allen<br />

Standorten, einer Kooperation<br />

zwischen benachbarten Schulen<br />

und gewissen Erleichterungen für<br />

die Kursbildung an den kleineren<br />

Schulen.<br />

Im Unterschied zur aktuellen<br />

Situation sollte aus unserer Sicht<br />

allerdings auf die „freie“ Schulwahl<br />

verzichtet werden, da sie –<br />

wie wir gezeigt haben – unter<br />

den gegebenen Bedingungen<br />

mehr Schaden als Nutzen bringt.<br />

Die angehenden GymnasiastInnen<br />

sollen sich an das Gymnasium<br />

Aargau anmelden; die Schülerzuteilung<br />

soll nach regionalen<br />

Kriterien und primär aufgrund der<br />

vorhandenen Kapazitäten der<br />

einzelnen Schulen erfolgen. Zuteilungswünsche<br />

aus individuellen<br />

Gründen (z.B. Familientradition)<br />

können in Form von Gesuchen<br />

behandelt werden.<br />

Auf diese Weise gelingt die Entkoppelung<br />

von Schulentwicklung<br />

und einem Pseudo-Wettbewerb<br />

mit ungewissen Folgen. Die<br />

Schulautonomie sollte das Fächerangebot<br />

so wenig als möglich<br />

tangieren: Als sinnvoll und<br />

notwendig erkannte Innovationen<br />

(z.B. zur Aufwertung des mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />

Bereichs) sollten – soweit die<br />

Nachfrage besteht – an allen<br />

Schulen gleichermassen zum<br />

Tragen kommen.<br />

Und die Schulprofilierung Schon<br />

aufgrund der natürlichen Gegebenheiten<br />

und der Geschichte<br />

hat jede Schule ihren individuellen<br />

Charakter. Diese Individualität<br />

kann und soll im Rahmen der<br />

Schulentwicklung gepflegt werden,<br />

braucht aber nicht künstlich<br />

forciert zu werden. Profilieren wir<br />

das Gymnasium Aargau, oder<br />

noch besser: das Gymnasium<br />

überhaupt, statt unsere Energie<br />

mit kontraproduktiven Abgrenzungsmanövern<br />

zwischen den<br />

Schulen zu verschwenden!<br />

Literaturangaben<br />

Aeberli, Chr., Bildung und Wettbewerb,<br />

in: Grünenfelder, Peter; Oelkers, Jürgen<br />

et al. (Hrsg.), Reformen und Bildung,<br />

Erneuerung aus Verantwortung,<br />

Festschrift für Ernst Buschor,<br />

Zürich Juni 2003: Verlag Neue<br />

Zürcher Zeitung (auszugsweise abgedruckt<br />

im vorliegenden Heft auf<br />

S. 16)<br />

Chubb, J.E. / Moe, T.M., Politics, markets,<br />

and America’s schools. Washington<br />

D.C 1990.<br />

Criblez, L. Wie autonom dürfen Schulen<br />

sein In: NZZ, Juli 1997.<br />

Ekholm, M., Steuerungsmodelle für<br />

Schulen in Europa: Schwedische Erfahrungen<br />

mit alternativen Ord-


<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 47<br />

nungsmodellen, in: Zschr. für Pädagogik,<br />

43.4, 1997.<br />

Hoxby, Caroline Minter, „Does competition<br />

among public schools benefit<br />

students and taxpayers“ in: American<br />

Economic Review, 90:5<br />

Friedman, M., The Role of Government in<br />

Education (1955), in: Capitalism and<br />

Freedom (1982).<br />

Hayek, F. A. v., Die Verfassung der<br />

Freiheit. Tübingen 1971 (amerikan.<br />

Original 1960).<br />

OECD/Ceri-Bericht: School a Matter of<br />

Choice (1994).<br />

Oelkers, J., Die Freiheit der Schulwahl:<br />

Ein Problemaufriss. Vortrag am<br />

27.1.05 in der Universität Zürich<br />

(auszugsweise abgedruckt im vorliegenden<br />

Heft auf S. 22).<br />

Schnaitmann, G., Einführung, in: Schulprofilierung.<br />

Hg. v. G. Schnaitmann,<br />

Hannover 2002.<br />

Schnaitmann, G., Eine Aufgabe für viele:<br />

Die eigene Schule profilieren. In: Klett<br />

Themendienst Schule – Wissen –<br />

Bildung 27/18 (2003) (abgedruckt im<br />

vorliegenden Heft auf S. 13).<br />

Van Lith, Ulrich, Die Ordnung des Bildungswesens.<br />

Problemzonen seiner<br />

ordnungsökonomischen Gestaltung.<br />

Mühlheim an der Ruhr, 2005.<br />

Weiss, M. Der Markt als Steuerungssystem<br />

im Schulwesen In. Zschr. für<br />

Pädagogik, 39.1, 1993.<br />

Weiss, M., Quasi-Märkte im Schulbereich.<br />

Eine ökonomische Analyse, in:<br />

Zschr. für Pädagogik, 47 (43. Beiheft),<br />

2001.<br />

Weiss, M., Kann das Schulwesen durch<br />

Wettbewerb genesen In: Döbert u.a.<br />

(Hg.), Bildung vor neuen Herausforderungen.<br />

Neuwied 2003 (abgedruckt<br />

im vorliegenden Heft auf S. 32)<br />

Weiss, M., Wettbewerb, Dezentralisierung<br />

und Standards im Bildungssystem.<br />

Referat anlässlich des<br />

Workshops „Investition in Humankapital.<br />

Bildungspolitisch verwertbare<br />

Mikroaspekte der Bildungsökonomik“<br />

am 7. Juni 2004 in Bonn.<br />

Wössmann, L., Was macht die Bildungsökonomik,<br />

und warum Human“kapital“<br />

Einführung zum Workshop<br />

„Investition in Humankapital.<br />

Bildungspolitisch verwertbare Mikroaspekte<br />

der Bildungsökonomik“ am 7.<br />

Juni 2004 in Bonn.<br />

Wolter, St. C., Die Schule zwischen der<br />

Gewalt des Staates und der Gewalt<br />

des Marktes. Referat vom 26. April<br />

2002 an der Worlddidac in Zürich.<br />

Weitere Stellungnahmen zur Profilierungsfrage im Gymnasium Aargau<br />

BINDER Hans-Martin/FELLER-LÄNZLINGER Ruth, Maturitätsreform im Kanton Aargau. Schlussbericht<br />

der externen Evaluation, INTERFACE Institut für Politikstudien [online]. April 2004<br />

(http://www.ag.ch/shared/data/pdf/mittelschulen/mar_ag_schlussbericht_april_2004.pdf), Kapitel 4.5<br />

(Freie Schulwahl).<br />

HUBER, Rainer, „Auf zu einem modernen Gymnasium!“. In: Gymnasium wohin <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft<br />

2005/1, S. 13-16, insbesondere S. 15 („Herausforderung 2: Profilierung der Einzelschule“).<br />

(online verfügbar unter http://www.a-m-v.ch/downloads/amv_aktuell/<strong>AMV</strong>aktuell_2005_1.pdf).<br />

PROJEKTLEITUNG MAR, Schlussbericht der Projektleitung MAR zur Umsetzung des schweizerischen<br />

Maturitäts-Anerkennungsreglementes (MAR) im Kanton Aargau, [online] 15.01.2004<br />

(http://www.ag.ch/shared/data/pdf/mittelschulen/schlussbericht_pl_mar_def.pdf), Dritter Teil, Kapitel 2.1.


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