Schulkonkurrenz â wozu? - AMV
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aktuell<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> –<br />
<strong>wozu</strong><br />
2006<br />
1<br />
Sonderheft<br />
Aargauer Mittelschullehrerinnenund<br />
Mittelschullehrer-Verein
Der <strong>AMV</strong> – Vorstand<br />
Präsident<br />
Stefan Läderach<br />
Bündtenweg 19<br />
5000 Aarau<br />
Tel u. Fax 062 823 19 60<br />
stefan.laederach@bluewin.ch<br />
Kassier<br />
Andreas Flückiger<br />
Reussgasse 9<br />
5620 Bremgarten<br />
Tel 056 631 43 13<br />
andreas.flueckiger@ffconsulting.ch<br />
Vizepräsident<br />
Erich Bühlmann<br />
Bodenackerweg 45<br />
5612 Villmergen<br />
Tel 056 622 68 18<br />
erich.buehlmann@gmx.ch<br />
Aktuarin<br />
Ariane Bolli<br />
Schiibe 10c<br />
5408 Ennetbaden<br />
Tel 056 427 44 94<br />
ariane.bolli@gmx.net<br />
Marco Arni<br />
Kilchbergstrasse 25<br />
4800 Zofingen<br />
Tel 062 751 64 61<br />
maarni@gmx.ch<br />
Ruedi Ingold<br />
Kongoweg 11<br />
5034 Suhr<br />
Tel 062 842 46 35<br />
ringold1@bluewin.ch<br />
Alexander Fend<br />
Wildeggerstrasse 6<br />
5702 Niederlenz<br />
Tel 062 892 24 91<br />
fend@hispeed.ch<br />
Monika Langmeier<br />
Berneggweg 3<br />
8055 Zürich<br />
Tel 044 451 21 62<br />
mlangmeier@dplanet.ch<br />
Patrik Schneider<br />
Bernerstrasse 4<br />
5400 Baden<br />
Tel 056 221 18 67<br />
padi.schneider@cwmail.ch<br />
Redaktionsteam<br />
Ariane Bolli, Alexander Fend, Ruedi Ingold, Stefan Läderach, Monika Langmeier<br />
Redaktionsschluss <strong>AMV</strong>-aktuell 06/1: 10. März 2006
<strong>Schulkonkurrenz</strong> – <strong>wozu</strong><br />
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 2006/1<br />
Inhalt<br />
Editorial 3<br />
Stefan Läderach<br />
Ohne Typenprofil sind Einzelprofile nutzlos 4<br />
Ein Amuse-bouche von Dr. Ludwig Hasler<br />
Steuerung der aargauischen Mittelschulen<br />
mit den neuen Führungsinstrumenten 6<br />
Stephan Campi<br />
Wettbewerb und Profilierung der aargauischen Gymnasien 10<br />
Rektorenkonferenz der aargauischen Mittelschulen<br />
Eine Aufgabe für viele: Die eigene Schule profilieren 13<br />
Dr. Gerhard W. Schnaitmann<br />
Bildung und Wettbewerb 16<br />
Christian Aeberli<br />
Die Freiheit der Schulwahl: Ein Problemaufriss 22<br />
Prof. Dr. Jürgen Oelkers<br />
Kann das Schulwesen durch Wettbewerb genesen 32<br />
Prof. Dr. Manfred Weiss<br />
Mehr Demokratie oder mehr Effizienz 37<br />
Peter Ringel<br />
Erfahrungen mit der freien Schulwahl an den Zürcher Kantonsschulen 39<br />
Stephan Aebischer<br />
Und wenn die freie Schulwahl ein leeres Versprechen bleibt 40<br />
Schülerinnen und Schüler von aargauischen Kantonsschulen<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> I – V. Ein Kaleidoskop 42<br />
Stefan Läderach
Pressestimmen zum Thema<br />
MZ 31. Jan. 2006; AZ Baden 23. Sept. 2005; MZ 13. Jan. 2006; Die Südostschweiz 27. Dez. 2005
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 3<br />
Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser<br />
Seit der Einführung von GAL per 1. Januar 2005 sind die Aargauer Kantonsschulen teilautonom.<br />
Wichtige Entscheidungskompetenzen wurden vom Bildungsdepartement auf die Ebene<br />
der einzelnen Schulleitungen verlagert. Grundsätzlich eine sinnvolle Sache, gewiss. Die inzwischen<br />
erfolgte Einführung von Konferenzausschüssen an allen Schulen auf Veranlassung des<br />
<strong>AMV</strong> trägt dem Umstand Rechnung, dass immer mehr Entscheidungen vor Ort gefällt werden<br />
und die Lehrpersonen sich ein Stück Mitsprache sichern möchten.<br />
Nun gibt es allerdings Bereiche, wo Schulautonomie nichts zu suchen hat. Dazu gehören vorab<br />
die Anstellungsbedingungen der Lehrpersonen: die Löhne natürlich, aber auch die Spesenregelungen<br />
und das weite Feld der Jahresarbeitszeit. Es ist eine neue Aufgabe des <strong>AMV</strong>, Unterschiede<br />
zwischen den Schulen und allfällige Missbräuche transparent zu machen, den Vergleich<br />
mit dem übrigen Staatspersonal herzustellen und auf eine gewisse Einheitlichkeit in der<br />
Ausgestaltung der Rahmenbedingungen zu drängen.<br />
Vor Ort verstärkt die Einführung der Teilautonomie in einem ersten Schritt die Tendenz zur<br />
„Schulprofilierung“ durch schulspezifische Erweiterung der Angebotspalette, dann aber sogleich<br />
auch den Zwang zum Komplettangebot. Der Motor hinter dieser beobachtbaren Entwicklung ist<br />
die freie Schulwahl, die seit der Einführung von MAR im Gymnasium Aargau gilt – zumindest<br />
dürfen die künftigen GymnasiastInnen heute davon ausgehen und sind zunächst entsprechend<br />
enttäuscht, wenn sie aus Ressourcengründen an eine andere Schule umgeteilt werden.<br />
Teilautonomie, Schulprofilierung, freie Schulwahl: Dies sind die Ingredienzien der neu etablierten<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> in der Aargauer Gymnasiallandschaft, und in diesem begrifflichen Bermudadreieck<br />
bewegen sich die Beiträge im vorliegenden Heft. Wir fragen nach Ursachen und<br />
Wirkungen, historischen und theoretischen Hintergründen sowie der täglichen Praxis vor Ort.<br />
Ausgangspunkt ist der Verdacht, dass mit der Steuerung des Systems etwas nicht mehr stimmt,<br />
mit der Folge, dass immer mehr Ressourcen in Aktivitäten investiert werden müssen, die kaum<br />
etwas mit Schulqualität, aber viel mit Standortmarketing der Einzelschulen zu tun haben.<br />
Der <strong>AMV</strong>-Vorstand bedankt sich bei allen Autoren, die bereit waren, einen Beitrag für das vorliegende<br />
Heft zu verfassen oder zum Wiederabdruck zur Verfügung zu stellen. Das Ergebnis ist<br />
ein Reader, der gänzlich unterschiedliche Positionen und Perspektiven vereint und mithelfen<br />
soll, die Diskussion über die Möglichkeiten und Grenzen neoliberaler Markt- und Wettbewerbsphilosophie<br />
im Bereich öffentlicher Bildung anzuregen.<br />
Stefan Läderach
4 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Ohne Typenprofil sind Einzelprofile nutzlos<br />
Ein Amuse-bouche von Dr. Ludwig Hasler *<br />
Konkurrenz belebt das Geschäft<br />
Nicht unter allen Umständen.<br />
Was nützte es zum Beispiel der<br />
Aargauer Gastro-Branche, wenn<br />
zwei Restaurants feinschmeckerisch<br />
kochten, der Rest aber im<br />
Mittelmass verhockte Nichts.<br />
Die beiden exzellenten Lokale<br />
florierten dank ihrer Stammgäste;<br />
die übrigen offerierten weiter<br />
Allerweltskost – und ruinierten<br />
damit den Ruf der Branche. Dieser<br />
Ruf lebt davon, dass (möglichst)<br />
alle ihre Ansprüche steigern,<br />
die Kunden auf den Geschmack<br />
am Besseren bringen,<br />
ihnen zeigen, dass Essen kulturelle<br />
Sensation ist, nicht bloss<br />
Nahrungsaufnahme. Diese Kultur<br />
muss die Branche erreichen, erst<br />
dann belebt Konkurrenz das<br />
Geschäft.<br />
Ähnlich läuft es mit der „Branche“<br />
Gymnasium. Sicher ist es<br />
wünschbar, dass die eine Kantonsschule<br />
sich mit exzellenter<br />
Musikkultur empfiehlt, eine andere<br />
mit Sport, eine dritte mit Chinesisch.<br />
Doch das bleibt ein<br />
Wettbewerb in der Kür. Im<br />
Pflichtteil muss „das Gymnasium<br />
Aargau“ sich so profilieren, dass<br />
alle vifen, neugierigen, bildungsbegierigen<br />
Jugendlichen ihm<br />
zuströmen. Ohne die Attraktivierung<br />
des Bildungstypus Gymnasium<br />
hilft ein Sonderprofil für<br />
Zofingen oder Baden nicht weiter.<br />
Die paar Zukunfts-Cleveren,<br />
die wegen der Spezialofferte<br />
Chinesisch Wettingen wählen,<br />
wollen weniger dorthin ins Gymnasium,<br />
sie wollen bloss gratis<br />
Chinesisch lernen.<br />
Das Gymnasium ist, erstmals in<br />
seiner Geschichte, bedrängt –<br />
seitlich durch Berufsmaturitäten<br />
mit Lizenz für Fachhochschulen,<br />
Passerellen zu Universitäten, von<br />
oben durch den Druck der Universitäten.<br />
Die eine Bedrängung<br />
heisst: Das Gymnasium ist umgehbar<br />
geworden; vor allem junge<br />
Männer sehen keinen Grund,<br />
Jahre mit „Allgemeinbildung“ zu<br />
verplempern, wenn sie mit der<br />
Berufsmatur früh Geld haben und<br />
mit der Fachhochschule früher<br />
Karriere machen können. Die<br />
andere Bedrängung bedeutet:<br />
Das Gymnasium verliert seinen<br />
exklusiven Passepartout zu Universitäten;<br />
Hochschulen werden<br />
mittelfristig Wege finden, ihre<br />
Studenten zu testen, selber auszuwählen.<br />
Bevor man dagegen<br />
Amok läuft, sollte man sich vor<br />
Augen halten: Jede dritte Gymnasiastin<br />
fliegt später aus dem<br />
Hochschulstudium raus. Das ist<br />
skandalös, ökonomisch sowieso,<br />
individuell erst recht.<br />
Das Gymnasium in der Zwickmühle.<br />
Intern will man das entweder<br />
nicht wahrhaben oder man<br />
sieht keinen Ausweg. Extern<br />
reden alle nur von der sogenannten<br />
„Schnittstellen-Problematik“.<br />
Dabei ist diese Krise im Kern<br />
hausgemacht: Das Gymnasium<br />
hat sein Selbstbewusstsein verloren,<br />
die Unverwechselbarkeit<br />
seines inhaltlichen Auftrags, sein<br />
Bildungsprofil. Jahrzehnte lang<br />
existierte es im Bewusstsein<br />
seiner vollkommenen Selbstverständlichkeit.<br />
Doch das, was<br />
einst diese Selbstverständlichkeit<br />
begründete – Wissenschaftspropädeutik,<br />
Elitebildung etc. – , hat<br />
es durch Expansion selber verspielt.<br />
Jetzt sucht es sich an den<br />
Rändern (Schwerpunktfächer) zu<br />
profilieren, im Zentrum (gymnasiale<br />
Bildung) bleibt es schwammig.<br />
Von aussen gedrängt,<br />
macht es, mehr contre coeur, mit<br />
in nationalen Prozeduren zur<br />
Ermittlung sogenannter Bildungsstandards.<br />
Diese Standards-Debatte verwirrt<br />
mich vollends: Wie kann man an<br />
Standards für einzelne Fächer<br />
herumschrauben, bevor man sich<br />
darüber verständigt, was man mit<br />
bestimmten Bildungstypen eigentlich<br />
will Erst müsste man<br />
doch eine Vista vom Gymnasium<br />
klären. Genauer: eine Vista vom<br />
Menschentyp, auf den der gymnasiale<br />
Weg abzielt. Damit müssten<br />
Gymnasien beginnen: mit<br />
dem Modellieren der Ideal-<br />
Gymnasiastin. Und dies in Abgrenzung<br />
zu konkurrierenden<br />
Bildungstypen, zum Beispiel zu<br />
Berufsmaturanden. Da handelt<br />
es sich doch hoffentlich nicht<br />
allein um zwei unterschiedlich<br />
befrachtete Stundentafeln. Die<br />
beiden Ausbildungsformen müssen<br />
zwei differente Existenzen in<br />
Form bringen. Der junge Mann,<br />
der eine Banklehre macht, dazu<br />
Berufsmatur, verfolgt nicht nur<br />
einen andern Bildungszweck als<br />
der Gymnasiast, er lebt auch<br />
anders, hat Geld, konkrete Aussicht<br />
auf eine lineare Laufbahn.<br />
Die Gymnasiastin lebt freischwebend,<br />
ist eine Art hors-sol-<br />
Produkt, also müsste sie in der<br />
Bildung geerdet werden. Der<br />
berufstätige Maturand braucht<br />
seine Bildung zum Zweck, zum<br />
unmittelbaren Gebrauch, nicht<br />
nur, doch vorwiegend. Die Gymnasiastin<br />
weiss noch gar nicht,<br />
<strong>wozu</strong> sie ihre Bildung dereinst<br />
brauchen wird, also muss gymnasiale<br />
Bildung als Selbstzweck<br />
taugen. Bildung als Abenteuer.<br />
Das Gymnasium betreibt Bildung<br />
nicht als Präparation für eindeutige<br />
Berufsqualifikationen. Eher<br />
in eine offene Zukunft hinein.<br />
Ich breche hier ab. Pardon, ist<br />
sonst nicht meine Art. Stefan<br />
Läderach bat mich, eine Art<br />
Amuse-bouche zu schreiben.<br />
Das Menü folgt mündlich an der<br />
<strong>AMV</strong>-Jahresversammlung am<br />
6. April.<br />
* Dr. Ludwig Hasler, Publizist und<br />
Philosoph, tanzt auf vielen<br />
Bühnen. In Bildungsdebatten<br />
fällt er als origineller Kopf auf.<br />
Seine Gedanken zur „Marke<br />
Gymnasium“ trägt er am 6. April<br />
auf der Jahresversammlung<br />
des <strong>AMV</strong> in Aarau vor.
38. Jahresversammlung <strong>AMV</strong><br />
Mittwoch, 5. April 2006, 17.45 Uhr<br />
Aula der Neuen Kantonsschule Aarau<br />
Gäste:<br />
Regierungsrat Rainer Huber<br />
Grusswort<br />
Dr. Ludwig Hasler<br />
KOMPLETTBILDUNG – Wie das Gymnasium<br />
sich profilieren könnte, müsste<br />
Anschliessend Apéro und Imbiss (Buffet)
6 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Steuerung der aargauischen Mittelschulen mit den<br />
neuen Führungsinstrumenten<br />
Stephan Campi<br />
Chef Sektion Mittelschule im Departement Bildung, Kultur und Sport (BKS)<br />
Das Gesetz über die wirkungsorientierte<br />
Steuerung von Aufgaben<br />
und Finanzen (GAF) ist<br />
im Kanton Aargau am 1. August<br />
2005 in Kraft getreten. Damit<br />
sind in den Bereichen der<br />
Staatsleitung und der Verwaltungsführung<br />
tief greifende<br />
Reformen eingeleitet worden,<br />
von denen auch die Mittelschule<br />
Aargau stark betroffen ist.<br />
Das neue Gesetz regelt das<br />
Verfahren der Zielsetzung,<br />
Planung und Steuerung der<br />
Leistungen, Wirkungen und<br />
Finanzen des Kantons sowie<br />
die Führung des kantonalen<br />
Finanzhaushalts. Seit dem<br />
1. Januar 2006 werden damit<br />
die staatlichen Aufgaben in 42<br />
Aufgabenbereichen mit Wirkungs-<br />
und Leistungszielen,<br />
Globalbudgets und einem<br />
durchgängigen Controlling geführt.<br />
Das Steuerungsinstrument von<br />
Regierung und Parlament im<br />
Kanton Aargau stellt der Aufgaben-<br />
und Finanzplan (AFP)<br />
dar, der eine Planungsperiode<br />
von vier Jahren umfasst, d.h.<br />
das Budget und die Jahresziele<br />
für das Folgejahr sowie drei<br />
weitere Jahre. Der AFP wird<br />
rollend jährlich aktualisiert und<br />
stellt das Ergebnis des Planungsprozesses<br />
dar. Die Planungsprozesse,<br />
die zu den<br />
Steuerungsgrössen mit Zielwerten<br />
führen, sind daraus<br />
nicht ersichtlich. Ein Aufgabenbereich,<br />
z. B. „Berufsbildung<br />
und Mittelschule Sek II“, wird<br />
mit einer begrenzten Anzahl<br />
von Steuerungsgrössen beschrieben,<br />
mit dem Ziel, möglichst<br />
nur Zielgrössen auszuwählen,<br />
welche den Output des<br />
Systems beschreiben (z. B. das<br />
Ziel „Anzahl geförderter besonders<br />
Begabter im Sport- und<br />
Instrumentalbereich“). Neben<br />
den 42 Aufgabenbereichen<br />
gelten gemäss § 7 GAF grundsätzlich<br />
die Produktgruppe und<br />
das Produkt als weiterer Steuerungsbereich.<br />
Mit der Dreistufigkeit<br />
Aufgabenbereich – Produktgruppe<br />
– Produkt ist das<br />
aargauische System der Wirkungsorientierten<br />
Verwaltungsführung<br />
WOV im Vergleich zur<br />
bisherigen Steuerung sehr<br />
schlank: Es ist transparent,<br />
verständlich und agil.<br />
Der AFP konsolidiert die Produktgruppenpläne<br />
der nächst<br />
tieferen Stufe. Die Produktgruppen<br />
werden mit den gleichen<br />
sechs Steuerungsgrössen<br />
umschrieben und geplant wie<br />
die Aufgabenbereiche. Die<br />
Produktgruppen bestehen aus<br />
Produkten. Für die einzelnen<br />
Produkte kann es ebenfalls<br />
Aufgabenbereich Produktgruppe Produkt<br />
Berufsbildung und<br />
Mittelschule<br />
Mittelschulbildung<br />
Berufsbildung<br />
entsprechende Produktpläne<br />
geben.<br />
Um das Leistungsangebot<br />
festlegen zu können, sind Leistungen<br />
– Produkte und<br />
Dienstleistungen – notwendigerweise<br />
zu definieren, zu diskutieren<br />
und zu beschliessen.<br />
Dieser an sich triviale, tatsächlich<br />
aber elementare und strategisch<br />
weit reichende Schritt<br />
geht mit der Auslotung des<br />
Handlungsspielraums der Verwaltung<br />
einher und setzt ein<br />
Bekenntnis zum Steuerungswillen<br />
voraus. Mit der Einführung<br />
der WOV im Aargau und<br />
dem Aufbau des dreistufigen,<br />
hierarchischen Systems von<br />
Steuerungsbereichen ist diese<br />
Definition geleistet worden. Für<br />
den Aufgabenbereich Berufsbildung<br />
und Mittelschule Sek II<br />
sieht das Resultat wie folgt aus:<br />
Maturitätsausweis<br />
Diplomausweis<br />
Eidgenössisches<br />
Fähigkeitszeugnis<br />
Produkte der<br />
Berufsbildung
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 7<br />
Vom Produktgruppenplan<br />
Mittelschulbildung zum<br />
Schulplan Einzelschule<br />
In § 39 der Verordnung über<br />
die Mittelschulen wird der Rektorenkonferenz<br />
der aargauischen<br />
Mittelschulen die<br />
Aufgabe erteilt, bei der Formulierung<br />
gemeinsamer Vorgaben<br />
für den Produktgruppenplan<br />
Mittelschulbildung mitzuarbeiten.<br />
Dieser stellt das Steuerungsinstrument<br />
für alle Mittelschulen<br />
dar und ist wie oben<br />
dargestellt ein Steuerungsbereich<br />
im Aufgabenbereichsplan<br />
„Berufsbildung und Mittelschule<br />
Sek II“. Auf der Basis des Produktgruppenplans<br />
Mittelschulbildung<br />
sind die Rektorin und<br />
die Rektoren der Mittelschulen<br />
für die Erarbeitung des Produktplans<br />
für ihre Schule zuständig.<br />
Der Produktgruppenplan Mittelschulbildung<br />
bzw. die Schulpläne<br />
der Kantonsschulen sind<br />
Steuerungsinstrumente, die ab<br />
dem 1. Januar 2006 eine zielorientierte<br />
Führung durch Leistungsauftrag,<br />
Produktedefinition<br />
und Globalbudget ermöglichen.<br />
Die Voraussetzungen für<br />
den Leistungsauftrag in Form<br />
des Schulplans bzw. Produktplans<br />
Einzelschule sind folgende:<br />
Es braucht zwei Partner:<br />
Auftragnehmer (Mittelschule)<br />
und Auftraggeber (Abteilung<br />
Berufsbildung und<br />
Mittelschule)<br />
Es braucht einen Gegenstand,<br />
z. B. den gesetzlichen<br />
Auftrag. Dieser wird<br />
als Produkt bezeichnet.<br />
Es braucht den Willen zur<br />
Trennung von strategischen<br />
und operativen Aufgaben,<br />
was mit der Bildung eines<br />
Globalbudgets sichergestellt<br />
wird.<br />
Der Leistungsauftrag ist also<br />
eine Vereinbarung zwischen<br />
zwei Akteuren – der Abteilung<br />
Berufsbildung und Mittelschule<br />
und der Schule –<br />
über die Bereitstellung einer<br />
Leistung (Produkt) zu einem<br />
bestimmten vereinbarten<br />
Geldbetrag (Globalbudget).<br />
Mit dem Leistungsauftrag soll in<br />
der Führung der Mittelschulen<br />
mehr Transparenz hergestellt<br />
werden und damit verbunden<br />
die Effizienz und Effektivität<br />
gesteigert werden. Die Schulen<br />
werden künftig ergebnisorientiert<br />
gesteuert (Controlling) und<br />
sie erhalten mehr Eigenverantwortung,<br />
was zu einer Steigerung<br />
von ihrem zielorientierten<br />
Handeln führt. Somit erreicht<br />
die einzelne Schule einen hohen<br />
Grad an Teilautonomie, die<br />
unabdingbare Voraussetzung<br />
für eine moderne Führungskonzeption<br />
bildet, die von der<br />
Rektorin und den Rektoren der<br />
aargauischen Mittelschulen zu<br />
realisieren ist und durch sie<br />
verantwortet wird. Die Steuerungsnotwendigkeit<br />
der vorgesetzten<br />
Behörde beschränkt<br />
sich dabei auf das strategisch<br />
Notwendige.<br />
Im WOV-Konzept des Kantons<br />
Aargau sind die Pläne der<br />
strategischen Ebene (Produktgruppenplan<br />
Mittelschulbildung<br />
auf Stufe der Abteilung Berufsbildung<br />
und Mittelschule) und<br />
der operativen Ebene (Schulplan<br />
Einzelschule auf Stufe der<br />
Mittelschulen) gleichartig<br />
strukturiert und sie werden mit<br />
den gleichen Zielgrössen beschrieben.<br />
Ein erster Schulplan Einzelschule<br />
wird derzeit von der<br />
Rektorin und den Rektoren<br />
nach Massgabe des Produktgruppenplans<br />
Mittelschulbildung<br />
erarbeitet. Initiiert und<br />
koordiniert wurde und wird dieser<br />
Prozess durch den Produktgruppenverantwortlichen<br />
Mittelschulbildung, d. h. den<br />
Leiter der Sektion Mittelschule,<br />
nach Massgabe des Aufgabenbereichsplans<br />
„Berufsbildung<br />
und Mittelschule Sek II“. Die<br />
Vorgaben zum Steuerungsbereich<br />
und zur Umfeldentwicklung<br />
sind dabei für alle Mittelschulen<br />
identisch und richten<br />
sich nach dem Produktgruppenplan.<br />
Der rechtliche und<br />
politische Auftrag der Schule ist<br />
somit definiert. Von den Schulen<br />
individuell zu entwickeln<br />
sind der Kennzahlenteil, die<br />
Entwicklungsschwerpunkte und<br />
die Ziele inkl. Indikatoren. Hierbei<br />
sind gewisse Vorgaben für<br />
alle Schulen verbindlich, um die<br />
Kohärenz zum übergeordneten<br />
Steuerungsbereich sicherzustellen<br />
und damit verbunden<br />
ein wirksames Controlling aufbauen<br />
zu können.<br />
Neue Führungsinstrumente<br />
und neue Leitungsstrukturen<br />
Der Wandel der aargauischen<br />
Mittelschulen hin zu dezentral<br />
geführten, teilautonomen<br />
Schulen ist mit der Einführung<br />
von neuen organisatorischen<br />
und personalrechtlichen Strukturen<br />
zu einem grossen Teil<br />
und parallel zur Erarbeitung der<br />
neuen Führungsinstrumente<br />
eingeleitet worden. Mit dem<br />
Inkrafttreten des Gesetzes über<br />
die Anstellung von Lehrpersonen<br />
(GAL) und dessen Folgeerlassen<br />
per 1. Januar 2005<br />
sind wichtige Elemente auf dem<br />
Weg zur neuen Führungsmethodik<br />
und mit Vorgriff auf die<br />
Implementierung der WOV<br />
eingeführt worden.<br />
Die Rektorin und die Rektoren<br />
der aargauischen Mittelschulen<br />
verfügen heute über Kompetenzen,<br />
die zuvor dem Departement<br />
Bildung, Kultur und<br />
Sport (BKS) bzw. dem Regierungsrat<br />
vorbehalten waren. Im<br />
Auftrag der Abteilung Berufsbildung<br />
und Mittelschule nehmen<br />
die Rektorin und die Rektoren<br />
der aargauischen Mittelschulen<br />
die Stellung ein, die beim<br />
Staatspersonal der bzw. die<br />
Vorgesetzte im Auftrag der<br />
Regierung wahrnimmt: Sie<br />
sind, angestellt von der Abteilung<br />
Berufsbildung und Mittelschule,<br />
selber Anstellungsbehörde<br />
mit vollumfänglicher Entscheidkompetenz<br />
für die ihnen<br />
unterstellten Lehrpersonen.<br />
Damit ist der Übergang vom
8 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
herkömmlichen Rektorat, das<br />
kaum über Anstellungskompetenzen<br />
verfügte und wenig Autonomie<br />
in Fragen bzgl. Finanzen<br />
und Organisation ausgestattet<br />
war, hin zu einer umfassend<br />
verstandenen Schulleitung<br />
vollzogen worden, die mit<br />
entsprechender Kompetenzstärkung<br />
die operative Führung<br />
der Mittelschule übernimmt. Die<br />
neue Führungsaufgabe der<br />
Schulleitungen stellt für die<br />
Mittelschulen und das Departement<br />
BKS eine tief greifende<br />
Neuerung dar und bedeutet<br />
einen Kulturwandel. Das neue<br />
Leitungsverständnis muss,<br />
basierend auf den Vorgaben<br />
der neuen Führungsinstrumente<br />
sowie des GAL und dessen<br />
Folgeerlassen, von allen Beteiligten<br />
gemeinsam entwickelt<br />
und anerkannt werden. Für die<br />
Konkretisierung der Leitungsstrukturen<br />
gelten dabei folgende<br />
Grundsätze:<br />
Grundsatz 1:<br />
Starke Schulleitungen<br />
Die Rektorin beziehungsweise<br />
der Rektor einer Mittelschule<br />
verfügt über Kompetenzen,<br />
Entscheide zu fällen und diese<br />
durchzusetzen.<br />
Dem Rektor beziehungsweise<br />
der Rektorin einer Mittelschule<br />
obliegt die Führung des lokalen<br />
Qualitätsmanagements, die<br />
Organisation und Administration<br />
des Schulbetriebs, die Information<br />
und Kommunikation<br />
sowie die Personalführung. Er<br />
beziehungsweise sie trägt somit<br />
die Führungsverantwortung<br />
für die unterstellten Lehrpersonen<br />
sowie das Verwaltungsund<br />
Betriebspersonal. Sie beziehungsweise<br />
er legt in Absprache<br />
mit der Abteilung Berufsbildung<br />
und Mittelschule<br />
und mit Einbezug der übrigen<br />
Schulleitungsmitglieder, der<br />
Lehrpersonen sowie der Schulkommission<br />
längerfristige Ziele<br />
fest. Gemeinsam mit den übrigen<br />
Schulleitungsmitgliedern,<br />
den Lehrpersonen sowie der<br />
Schulkommission und unter<br />
geeignetem Einbezug der Studierenden<br />
und weiterer Anspruchsgruppen<br />
der Mittelschulen<br />
(z. B. Zubringer- und Abnehmerschulen,<br />
Eltern, Wirtschaft<br />
etc.) planen sie Massnahmen<br />
zur Weiterentwicklung<br />
des Unterrichts und der Schule.<br />
Grundsatz 2:<br />
Outputorientierte Steuerung<br />
Der Gestaltungsspielraum der<br />
Mittelschulen ist durch kantonale<br />
Eckwerte und verbindliche<br />
Rahmenbedingungen klar abgesteckt.<br />
Innerhalb verbindlicher Rahmenbedingungen,<br />
die durch die<br />
Kantonsverfassung, das Schulgesetz,<br />
das Mittelschuldekret<br />
und die Verordnungen im Mittelschulbereich<br />
abgesteckt<br />
sind, erhalten die kantonalen<br />
Schulen freien Gestaltungsspielraum,<br />
um sich zu profilieren.<br />
Grundlage für die Definition<br />
der Führungskompetenzen<br />
der Schulleitungen bildet neben<br />
den mit dem Inkrafttreten des<br />
GAL einhergehenden Änderungen<br />
im Personal- und Organisationsrecht<br />
die mit WOV eingeführte<br />
outputorientierte Steuerung<br />
durch die politischen<br />
Behörden. Basierend auf dem<br />
Prinzip der Subsidiarität wird<br />
den Einzelschulen mit der<br />
Kompetenzdelegation gemäss<br />
WOV operative Autonomie<br />
übertragen, die einer Vereinheitlichung<br />
der Systemsteuerung<br />
dient. Der so gewonnene<br />
erweiterte Handlungsspielraum<br />
erlaubt es den Mittelschulen,<br />
die Aufgaben und Herausforderungen<br />
effizienter, der eigenen<br />
Situation angemessener und<br />
den örtlichen Gegebenheiten<br />
angepasster zu bewältigen.<br />
Grundsatz 3: Klare Zuordnung<br />
von Aufgaben, Kompetenzen<br />
und Verantwortung<br />
Ab Zeitpunkt des Inkrafttretens<br />
des GAL und des GAF übernehmen<br />
der Grosse Rat und<br />
der Regierungsrat die politische<br />
Steuerung, das Departement<br />
BKS bzw. die Abteilung Berufsbildung<br />
und Mittelschule die<br />
betriebliche Steuerung und die<br />
Schulleitungen die betriebliche<br />
Führung der Mittelschulen.<br />
Das Departement BKS nimmt<br />
die Arbeitgeberfunktion für die<br />
Rektorin und die Rektoren der<br />
Mittelschulen ein. Das Bildungsdepartement<br />
trägt somit<br />
die politische Verantwortung für<br />
die Mittelschulen und ist Rekursinstanz.<br />
Der Rektor beziehungsweise<br />
die Rektorin ist verantwortlich<br />
für ein umfassendes Schulqualitätsmanagement.<br />
Dazu gehört,<br />
dass die Rektorin beziehungsweise<br />
der Rektor<br />
einen Referenzrahmen entwickelt<br />
beziehungsweise<br />
weiterentwickelt (z. B. ein<br />
Leitbild), Ziele und Schwerpunkte<br />
der Schulentwicklung<br />
nach Massgabe des Schulplans<br />
für alle Mittelschulen<br />
festlegt und die entsprechenden<br />
Massnahmen umsetzt<br />
und überprüft,<br />
eine Feedbackkultur aufbaut,<br />
zum Beispiel mit Hilfe<br />
von gegenseitigen Hospitationen<br />
der Lehrpersonen im<br />
Unterricht,<br />
systematisch Teilbereiche<br />
oder umfassend die lokale<br />
Schul- und Unterrichtskultur<br />
evaluiert,<br />
regelmässig Mitarbeitergespräche<br />
mit den Lehrpersonen<br />
durchführt,<br />
Qualitätsdefizite lokalisiert<br />
und bearbeitet und Erkenntnisse<br />
aus Evaluationen verbindlich<br />
umsetzt,
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 9<br />
darauf achtet, dass alle Beteiligten<br />
in den Entwicklungsprozess<br />
miteinbezogen<br />
sind.<br />
Die Schulleitungen der Mittelschulen<br />
übernehmen somit<br />
durch die neue geregelte Führung<br />
die volle Verantwortung<br />
für die Qualitätsentwicklung<br />
und -sicherung des Unterrichts<br />
vor Ort.<br />
Ausblick<br />
Es wird künftig eine wichtige<br />
Aufgabe der Verantwortlichen<br />
sein – sei es im Departement<br />
BKS oder an den Mittelschulen<br />
–, mit den Instrumenten der<br />
WOV die vorgesetzte politische<br />
Behörde in ihrem Führungsauftrag<br />
wirksam zu unterstützen<br />
und sich in einem Umfeld, in<br />
dem die Ressourcen knapper<br />
werden, selbstbewusst zu behaupten.<br />
Der Regierungsrat hat<br />
festgehalten, dass WOV kein<br />
Spar-Projekt darstellt. Ziel ist<br />
vielmehr die Erhöhung der Leistungsfähigkeit<br />
und der Steuerbarkeit<br />
des Staates. WOV<br />
schafft die Voraussetzungen<br />
dafür. Die neuen Führungsinstrumente<br />
und -systeme und<br />
das Globalbudget bzw. die<br />
Globalkredite legen die Basis<br />
für die Ausschöpfung des Optimierungspotentials.<br />
Die Informationen<br />
aus den neuen Instrumenten<br />
und Systemen und<br />
die neue Flexibilität des Handelns<br />
müssen im zukünftigen<br />
Controllingprozess umgesetzt<br />
werden. Dies erfordert eine<br />
Verhaltensänderung aller Führungskräfte<br />
bzw. Entscheidträger.<br />
Das Potential von WOV wird<br />
nicht ausgeschöpft, wenn die<br />
Führungskräfte und Entscheidträger<br />
den Controllingkreislauf<br />
nicht schliessen und<br />
aus den neuen Informationen<br />
keinen Handlungsbedarf ableiten.<br />
Die Herausforderung in der<br />
Phase nach der Einführung der<br />
neuen Führungsinstrumente<br />
besteht darin, die verfügbare<br />
Fülle an Informationen stufengerecht<br />
aufzuarbeiten und zu<br />
priorisieren.<br />
Für die Akteure im Mittelschulbereich<br />
wird es eine grosse<br />
Herausforderung sein, unter<br />
WOV und der damit verbundenen<br />
Fokussierung auf Leistungen,<br />
Wirkungen und Kunden<br />
ein neues Bewusstsein für die<br />
wichtige Aufgabe der Mittelschulbildung<br />
und die damit<br />
aufzuwendenden Finanzen zu<br />
schaffen. Für die Entscheidträger<br />
wird das WOV-<br />
Instrumentarium die dazu notwendigen<br />
Führungsinformationen<br />
zur Verfügung stellen.<br />
Die Umsetzung der WOV<br />
schafft, in Verbindung mit der<br />
Einführung des Leistungsauftrags<br />
mit Globalbudget und der<br />
damit einhergehenden Verknüpfung<br />
von Aufgaben und<br />
Finanzen, die Voraussetzung<br />
für eine ergebnisorientierte<br />
Steuerung der Institutionen<br />
(Controlling). Diese führt, flankiert<br />
durch eine Berichterstattung<br />
auf der Basis von Indikatoren,<br />
zu mehr Transparenz in<br />
der Zielerreichung und Leistungserfüllung<br />
durch die Schulen.<br />
Das über 200-jährige „Unternehmen<br />
Mittelschule Aargau“<br />
wird sich in einem zunehmend<br />
wettbewerbsorientierten Umfeld<br />
der staatlichen Leistungserbringung<br />
zu bewegen haben;<br />
es wird sich darin als lernendes<br />
System nicht zuletzt dank dem<br />
konsistenten Regelwerk der<br />
WOV und deren Methodik zu<br />
behaupten wissen und seine<br />
Qualitäten nachhaltig unter<br />
Beweis stellen.
10 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Wettbewerb und Profilierung der aargauischen<br />
Gymnasien<br />
Die Rektoren der aargauischen Gymnasien wurden vom Aargauer Mittelschullehrerinnen- und Mittelschullehrerverein<br />
(<strong>AMV</strong>) aufgefordert, eine Beschreibung des Profils der einzelnen Schule zu verfassen.<br />
Sie haben sich entschieden, gemeinsam Stellung zu nehmen, da sie sich in erster Linie dem für alle<br />
Schulen geltenden Ziel, dem uneingeschränkten Universitätszugang der Maturandinnen und Maturanden,<br />
verpflichtet fühlen.<br />
Rektorenkonferenz der aargauischen Mittelschulen<br />
1. Ausgangslage<br />
Bei der Umsetzung des Maturitätsanerkennungs-Reglements<br />
(MAR) standen im Kanton Aargau<br />
zwei Bereiche im Zentrum.<br />
Erstens wurde die Struktur<br />
der Maturitätslehrgänge überarbeitet.<br />
Ergebnis war die<br />
Gliederung der Maturitätslehrgänge<br />
in eine je zweijährige<br />
Grund- und Vertiefungsstufe.<br />
Zweitens ging es um die<br />
Schulprofile. Es wurde den<br />
Schulen überlassen, welche<br />
Vertiefungsfächer sie führen<br />
wollen. Alle Schulen entschieden<br />
sich im Grundsatz,<br />
möglichst viele Schwerpunktund<br />
Ergänzungsfächer anzubieten.<br />
Das Schwergewicht der Diskussionen<br />
in den Konsultationen und<br />
in der Vernehmlassung während<br />
der Projektphase lag klar im Bereich<br />
der Maturitätslehrgänge<br />
(Struktur inkl. Stundentafel). Die<br />
(zukünftige) Brisanz der Schulprofilfrage<br />
inklusive der Schulwahl-,<br />
Schülerzuteilungs- und<br />
Wettbewerbsproblematik wurde<br />
sowohl in der schulinternen wie<br />
auch vor allem in der politischen<br />
Diskussion wenig beachtet und<br />
unterschätzt.<br />
Gut sechs Jahre nach Einführung<br />
der aargauischen MAR-Umsetzung<br />
darf festgestellt werden,<br />
dass sich die Konzeption der<br />
zweistufigen Maturitätslehrgänge<br />
in den Augen der Schülerinnen<br />
und Schüler, der Lehrerinnen<br />
und Lehrer sowie der Schulleitungen<br />
bewährt hat. Hingegen<br />
bestehen ungelöste Fragen und<br />
folglich Handlungsbedarf im facettenreichen<br />
Bereich der Profilierung<br />
der einzelnen Schulen.<br />
Die Rektoren sind jedoch der<br />
Meinung, dass die Frage der<br />
Profilierung der Einzelschulen im<br />
Gesamtzusammenhang der Profilierung<br />
des Gymnasiums als Ort<br />
der Allgemeinbildung diskutiert<br />
werden muss. Oder anders gefragt:<br />
Setzt sich die „Marke“<br />
Gymnasium aus der Summe der<br />
Einzelschulen zusammen, oder<br />
prägt die „Marke“ Gymnasium die<br />
Einzelschule Entscheidend ist<br />
zudem die Frage, welche Organe<br />
in welchen Bereichen die Entwicklung<br />
des (schweizerischen,<br />
aargauischen) Gymnasiums beziehungsweise<br />
der (aargauischen)<br />
Gymnasien steuern.<br />
2. Die Profilierung des<br />
schweizerischen, aargauischen<br />
Gymnasiums und der<br />
Einzelschule<br />
Auf der nationalen Ebene ist mit<br />
der vierjährigen Dauer des Maturitätslehrgangs<br />
ein wesentliches<br />
strukturelles Element weitgehend<br />
harmonisiert. Im Bereich des<br />
Angebots gibt das MAR Bandbreiten<br />
für die verschiedenen<br />
Lern- und Wahlbereiche vor.<br />
Dazu werden ein Fächerkatalog,<br />
eine Maturitätsarbeit sowie die<br />
Prüfungsfächer definiert. Die<br />
momentan laufende „kleine“ Revision<br />
des MAR bezieht sich vor<br />
allem auf die Bestehensnormen<br />
der Matur.<br />
Bei der aargauischen Umsetzung<br />
des MAR hatte die Profilierung<br />
des Gymnasiums Aargau im<br />
Bereich des Angebots eindeutig<br />
Priorität vor der Profilierung der<br />
Einzelschule. Die im eidgenössischen<br />
MAR angelegten Möglichkeiten<br />
wurden vor allem mit einer<br />
gemeinsamen (Semester-) Stundentafel<br />
auf kantonaler Ebene<br />
ausgeschöpft beziehungsweise<br />
eingeschränkt. Zusammen mit<br />
dem praktisch identischen Angebot<br />
im Bereich der Vertiefungsfächer<br />
hat die aargauische Umsetzung<br />
des MAR zu einer weitgehenden<br />
Angleichung des Angebots<br />
der Einzelschulen geführt.<br />
Die unterschiedlichen Angebote<br />
im Bereich der Freifächer machen<br />
einen Bruchteil des Gesamtangebots<br />
aus. Tiefere Rillen<br />
im Angebotsprofil der Einzelschulen<br />
sind zum Beispiel bei der<br />
Immersion auf Französisch, der<br />
Laptop-Abteilung, der Abteilung<br />
Informatik & Kommunikation und<br />
der Abteilung Nawimat festzustellen.<br />
Eine ausdrückliche Angebotsprofilierung<br />
liegt nur bei<br />
der Sportabteilung vor.<br />
Die einzelnen Schulen unterscheiden<br />
sich demnach vor allem<br />
durch ihre Lage, die Gebäude,<br />
die Infrastruktur, die Grösse sowie<br />
durch die „weichen“ Faktoren<br />
wie Schulleben (Spezialwochen,<br />
Anlässe), Schulkultur (methodisch-didaktische<br />
Schwerpunkte,<br />
Schulklima) oder das Verhältnis<br />
von Beständigkeit und Innovation.<br />
Die (Angebots-)Profilierung des<br />
Gymnasiums Aargau soll grundsätzlich<br />
auch weiterhin Priorität<br />
vor der Profilierung der Einzelschulen<br />
haben, vor allem in der<br />
aktuellen Situation der kantonalen<br />
Schulstrukturreform und im<br />
Hinblick auf die nach wie vor
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 11<br />
nicht ausreichend definierte Positionierung<br />
des Gymnasiums<br />
innerhalb der Sekundarstufe II.<br />
Die gemeinsamen Interessen auf<br />
der Ebene des Gymnasiums<br />
Aargau bleiben wichtiger als<br />
diejenigen der Einzelschule.<br />
Empirische Untersuchungen zur<br />
Frage von Schulqualität zeigen,<br />
dass die „weichen“ Faktoren, die<br />
das „innere“ Profil einer Schule<br />
bilden, einen wesentlichen Beitrag<br />
zum Lernerfolg leisten. Diese<br />
Bereiche der Schulentwicklung<br />
müssen vor Ort gesteuert<br />
werden.<br />
Die Profilierung des Gymnasiums<br />
Aargau, insbesondere auch verstanden<br />
als notwendige kontinuierliche<br />
Weiterentwicklung des<br />
bestehenden (erfolgreichen) Profils,<br />
wird zu einem wichtigen Teil<br />
geprägt und gefördert durch Innovationen<br />
der Einzelschulen.<br />
Diese Innovationen können bereits<br />
heute im Rahmen der bestehenden<br />
Möglichkeiten umgesetzt<br />
werden. Es ist jedoch<br />
wünschbar, dass die kantonalen<br />
Rahmenvorgaben gezielt flexibilisiert<br />
werden.<br />
3. Profilierung, Wettbewerb<br />
und Schulwahl<br />
Profilierungen von Einzelschulen<br />
orientieren sich am Ziel der Sicherung<br />
und Steigerung der Bildungs-<br />
und Ausbildungsqualität<br />
im Gymnasium unter optimalem<br />
Einsatz der zur Verfügung stehenden<br />
Ressourcen. Sie sind<br />
nicht Selbstzweck und erfolgen<br />
auch nicht im Hinblick auf eine<br />
Steigerung der Schülerzahl an<br />
einer Einzelschule ohne Rücksicht<br />
auf Lernerfolg und Qualität<br />
des Maturitätsabschlusses.<br />
Durch den Wegfall der Typen<br />
verschob sich die Anmeldezahl<br />
an den einzelnen Schulen zum<br />
Teil gravierend. Der Schülerrückgang<br />
in den letzten Jahren<br />
akzentuierte das Problem der<br />
Anmeldezahlen. Deshalb wurde<br />
von den Schulen versucht, über<br />
Angebote in peripheren Bereichen<br />
im Sinn einer Attraktivitätssteigerung<br />
eine grössere Zahl<br />
von Anmeldungen zu erreichen.<br />
Profilierung darf jedoch nicht<br />
gleichgesetzt werden mit dem<br />
Wettbewerb zwischen den<br />
Schulen, das heisst mit dem<br />
Kampf um Anteile auf dem<br />
Schülermarkt. Die Wettbewerbsproblematik<br />
unter den Einzelschulen<br />
ist nicht gelöst und kann<br />
nicht im Rahmen der Profilierung<br />
gelöst werden.<br />
Das Verhältnis zwischen Schulwahl<br />
der Schülerinnen und<br />
Schüler und den schulorganisatorischen<br />
Möglichkeiten der aargauischen<br />
Gymnasien ist noch<br />
nicht ausdiskutiert. Die Profilierung<br />
darf im Regelfall nicht dazu<br />
führen, dass die Unterschiede<br />
der Bildungsgänge derart gross<br />
werden, dass eine Umteilung aus<br />
schulorganisatorischen Gründen<br />
nicht möglich wäre. Das heisst,<br />
dass zwar der Wunsch für eine<br />
bestimmte Kantonsschule angegeben<br />
werden kann, dass jedoch<br />
eine Umteilung möglich sein<br />
muss, oder, in anderen Worten,<br />
die Anmeldung erfolgt in der<br />
Regel an das Gymnasium Aargau<br />
und, als Wunsch, an eine<br />
Einzelschule.<br />
Solange am uneingeschränkten<br />
Universitätszugang festgehalten<br />
wird, können die Unterschiede im<br />
Angebot nicht zu gross werden.<br />
Unter dieser Perspektive kann<br />
diskutiert werden, ob die Identität<br />
des Gymnasiums Aargau in erster<br />
Linie durch die Summe der<br />
Identitäten der Einzelschulen<br />
abgebildet wird. Aus der Sicht<br />
der (zukünftigen) Schülerinnen<br />
und Schüler ist entscheidend,<br />
dass im Kanton Aargau ein qualitativ<br />
hochstehendes gymnasiales<br />
Angebot besteht, das gute<br />
Ausgangsbedingungen für ein<br />
Universitätsstudium bietet. Die<br />
Identität der Einzelschule bietet<br />
dafür gute Voraussetzungen, ist<br />
aber für die Qualität nicht hinreichend.<br />
Andere Faktoren wie zum<br />
Beispiel die Eingangsvoraussetzungen<br />
der Schülerinnen und<br />
Schüler sind ebenso entscheidend.<br />
4. Profilierungsbereiche für<br />
die Einzelschule<br />
Die Rektoren sehen in den folgenden<br />
Bereichen, die in den<br />
Kompetenzbereich der Einzelschule<br />
gehören, Profilierungsmöglichkeiten.<br />
Wir unterscheiden<br />
dabei drei Bereiche der Schulentwicklung<br />
sowie das Qualitätsmanagement<br />
als übergeordneten<br />
Bereich:<br />
Organisationsentwicklung<br />
- Schulprogramm<br />
- Schulorganisation (Konferenzen,<br />
Fachschaften, Mitwirkung<br />
des Kollegiums)<br />
- Einsatz der finanziellen Ressourcen<br />
im Rahmen des<br />
WOV-Budgets und des globalen<br />
Stundenpools<br />
- Schulentwicklungs-, Innovationskultur<br />
- Kulturelle, sportliche Schulanlässe<br />
etc.<br />
Unterrichtsentwicklung<br />
- Partielle Stundentafelautonomie<br />
mit einheitlich festgelegter<br />
Gesamtzahl der obligatorischen<br />
Wochenlektionen für<br />
die vierjährigen Maturitätslehrgänge<br />
mit Beibehaltung<br />
der Struktur 2/2<br />
- Pflichtwahlfachangebot innerhalb<br />
der eidgenössischen und<br />
kantonalen Rahmenvorgaben<br />
- Freifachangebot<br />
- Erweiterte Unterrichts- und<br />
Lernformen (z.B. Methodentraining)<br />
- Unterrichtsorganisation<br />
(Stundenplanstruktur, Spezialwochen<br />
u.ä.)<br />
Personalentwicklung<br />
- Mitarbeitergespräche gemäss<br />
GAL und Folgeerlassen<br />
- Mentoratswesen<br />
- Umgang mit gravierenden<br />
Qualitätsdefiziten<br />
Qualitätsmanagement<br />
- Interne Evaluation (z.B. Datenfeedback<br />
mit Abschlussklassen)<br />
- Externe Evaluation (z.B. Projekt<br />
NW-EDK, Benchmarking)
12 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Die Aufstellung zeigt, dass das<br />
Angebot einer Schule, das in der<br />
Diskussion um die Profilierung<br />
meistens im Vordergrund steht,<br />
nur einen, wenn auch auffälligen<br />
Bereich darstellt. Die anderen<br />
Profilierungsbereiche sind jedoch<br />
für die Schulentwicklung und<br />
-qualität nicht weniger wichtig.<br />
Eine sinnvolle Vielfalt ist mit den<br />
vorhandenen oder zu schaffenden<br />
schulischen Gestaltungsspielräumen<br />
in den genannten<br />
Bereichen möglich, ohne dass<br />
die durch die vorhandenen Rahmenvorgaben<br />
und das gemeinsame<br />
Ziel geforderte Einheit<br />
gefährdet wird.<br />
5. Ausblick: Welche Probleme<br />
müssen gelöst werden<br />
Ein Problemkreis betrifft die<br />
kantonalen (Rahmen-)Vorgaben.<br />
Es müssen diejenigen Bereiche<br />
genannt werden, in denen die<br />
Vorgaben geändert werden müssen.<br />
Dazu können zum Beispiel<br />
die Stundentafel und der kantonale<br />
Fächerkatalog gehören. Im<br />
Weiteren müssten die Änderungen<br />
in diesen Bereichen ausgearbeitet<br />
und umgesetzt werden.<br />
Zudem müssen die Kompetenzen<br />
im Bereich der Steuerung<br />
der Angebotsprofilierung zwischen<br />
den einzelnen beteiligten<br />
Organen (Abteilung Berufsbildung<br />
und Mittelschule, Rektorenkonferenz,<br />
Schulleitungen /<br />
Schulen) geklärt werden.<br />
Die Zusammenarbeit der beiden<br />
Schulen in Aarau und derjenigen<br />
in Baden/Wettingen wird durch je<br />
spezifische Kooperationsvereinbarungen<br />
gesichert und weiterentwickelt.<br />
Ziel dieser Zusammenarbeit<br />
ist die Erhaltung und<br />
Optimierung der Bildungsqualität<br />
und der Angebotsvielfalt im Interesse<br />
der Studierenden an diesen<br />
Schulen. Inhalte dieser Vereinbarungen<br />
sind zum Beispiel<br />
die Durchführung der Vertiefungsfächer<br />
und die Koordination<br />
von Spezialwochen.<br />
Der sinnvolle qualitätsorientierte<br />
Wettbewerb zwischen profilierten<br />
Einzelschulen muss unbelastet<br />
von der Möglichkeit oder gar der<br />
Pflicht spielen können, zu Ungunsten<br />
von Partnerschulen die<br />
Schülerzahl an der eigenen<br />
Schule zu steigern. In Berücksichtigung<br />
verschiedener Kriterien<br />
muss für jede Schule eine<br />
sinnvolle Richtgrösse festgelegt<br />
werden. Neben der Schulwahl<br />
durch die Studierenden (u.a.<br />
beeinflusst von den Schulprofilen)<br />
sollen diese Grössen Grundlage<br />
für die Schülerzuteilung an<br />
die Schulen durch das Departement<br />
sein. Die Bezeichnung von<br />
(provisorischen) Zuteilungsrayons<br />
soll als Möglichkeit in Betracht<br />
gezogen werden.<br />
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<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 13<br />
Eine Aufgabe für viele: Die eigene Schule profilieren<br />
Dr. Gerhard W. Schnaitmann<br />
Referent für pädagogische Grundfragen, Schulentwicklung, Evaluation und empirische Bildungsforschung<br />
am Landesinstitut für Erziehung und Unterricht Stuttgart und Privatdozent für Schulpädagogik an der<br />
Universität Heidelberg<br />
Abdruck aus: Klett ThemenDienst Schule • Wissen • Bildung / Nr. 18 (4/2003) www.klett-themendienst.de<br />
Schulentwicklung – eine Chance<br />
Die Diskussion um den Erfolg von Schule und die Verantwortung der Lehrenden für ihren Unterricht hat in<br />
Deutschland seit Bekanntgabe der PISA-Ergebnisse im Dezember 2001 in der Bildungspolitik, in Wirtschaftskreisen,<br />
in Eltern- und Lehrerverbänden etc. höchste Bedeutung. Die Begriffe Schulprofilierung<br />
und -entwicklung, die bereits seit Ende der 1990er-Jahre zu den Leitbegriffen der Schul- und Bildungspolitik<br />
gehören, sind dadurch aktueller und populärer denn je geworden.<br />
Dr. Gerhard W. Schnaitmann, als Referent des Landesinstituts für Erziehung und Unterricht Stuttgart u. a.<br />
für Schulentwicklung zuständig, fasst zusammen, wie Schulen sich besser profilieren sollen und Lernen<br />
dadurch mehr Freude machen kann.<br />
Für die Schule und den Unterricht<br />
genügt es heute nicht mehr,<br />
wissenschaftliche Erkenntnisse<br />
über eine neue, innovative Lernkultur<br />
zu vermitteln und darauf zu<br />
hoffen, dass sie sich in der Praxis<br />
umsetzen lassen. Vielmehr ist<br />
im Rahmen von Schulentwicklung<br />
eine Auseinandersetzung<br />
über die grundlegenden Vorstellungen<br />
der Entwicklungen erforderlich,<br />
die an einer Schule vollzogen<br />
werden sollen.<br />
Das Problem ist, dass Lehrerinnen<br />
und Lehrer im metakommunikativen<br />
Reflektieren ihrer Tätigkeit<br />
auf Grund ihrer hauptsächlich<br />
auf die praktische Arbeit im<br />
Klassenzimmer fokussierten<br />
Tätigkeit wenig Übung und Erfahrung<br />
haben. Schulentwicklung,<br />
die zur Verbesserung des Unterrichts<br />
beitragen soll, muss deshalb<br />
bei den praktischen Erfahrungen<br />
der Lehrenden ansetzen,<br />
aber auch deren Bewusstmachung<br />
und Artikulation zur gemeinsamen<br />
Reflexion ermöglichen<br />
und – was wohl am schwierigsten<br />
ist – diese für Veränderung<br />
in der Praxis zugänglich<br />
machen.<br />
Profilbildung von oben<br />
verordnet<br />
In einigen Bundesländern (Hamburg,<br />
Hessen, Nordrhein-<br />
Westfalen) wurde die Profilbildung<br />
durch die Entwicklung von<br />
Schulprojekten und Schulprogrammen<br />
regelrecht verordnet. In<br />
einem obligatorischen Schulprogramm<br />
oder -projekt, das jede<br />
einzelne Schule für sich bestimmen<br />
kann, soll in einer ganzheitlichen<br />
Konzeption die spezifische<br />
pädagogische Zielsetzung der<br />
jeweiligen Bildungsstätte als<br />
Ergebnis einer Reflexion der<br />
Richtlinien- und Lehrplanvorgaben<br />
stehen.<br />
Als Resultat der kontinuierlichen<br />
Arbeit am Schulprogramm kristallisiert<br />
sich das Profil einer<br />
Schule heraus. Inzwischen haben<br />
die Profilbildungen von Einzelschulen<br />
in Form von Schulprojekten<br />
einen anderen, vorrangig<br />
pädagogischen Stellenwert<br />
erfahren. Dies wurde bedingt<br />
durch das verstärkte Bedürfnis,<br />
nicht nur zufällige Standortvoroder<br />
-nachteile dem Schulprofil<br />
zurechnen zu lassen, sondern<br />
die Profilbildung einer Schule, die<br />
Schulentwicklung der Einzelschule,<br />
aktiv gemeinsam zu planen<br />
und zu gestalten und damit<br />
die pädagogische Wirkungskraft<br />
der Einzelschule zu verstärken.<br />
Durch die Neugestaltung des<br />
Steuerungssystems (statt Hierarchie,<br />
Weisungen und Genehmigungen<br />
stehen Unterstützung,<br />
Beratung und Überzeugung im<br />
Vordergrund) sollen und werden<br />
Profilbildungen und Schulentwicklungsprojekte<br />
durch die<br />
Schulaufsicht und Schulverwaltung<br />
angeregt. Vergleiche des<br />
Angebots und der Leistungsfähigkeit<br />
der Einzelschule sollen es<br />
möglich machen, Qualität und<br />
Akzeptanz eines schulischen<br />
Angebots festzustellen und zu<br />
erhöhen sowie Impulse für einen<br />
Wettbewerb um kontinuierliche<br />
Qualitätsverbesserung und efifektiven<br />
Ressourceneinsatz zu<br />
geben.<br />
Baden-Württemberg reformiert<br />
von innen<br />
In Baden-Württemberg wurde im<br />
Hinblick auf Schulentwicklung<br />
und Schulprogramme ein anderer<br />
Weg beschritten. Dort gab es<br />
im Vergleich zu den oben genannten<br />
Bundesländern keine<br />
Verordnung „von oben“, Schulprojekte<br />
und Schulprogramme zu<br />
entwickeln. Hier wurde 1995<br />
durch einen Aufruf bei einem<br />
Workshop „Schulen brechen auf“<br />
das Interesse der Schulen geweckt,<br />
sich „von innen heraus“<br />
weiterzuentwickeln. Dieser Prozess<br />
der Weiterentwicklung aus<br />
dem „Innern“ einer Schule selbst<br />
geschah im Idealfall unter Beteiligung<br />
aller sich im Schulleben<br />
befindenden Gruppen – Schulleitung,<br />
Lehrerkollegium, Schüler-
14 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
schaft, Eltern und aller Bediensteten<br />
einer Schule.<br />
Die Kräfte, die eine Schulentwicklung<br />
tragen und vorantreiben<br />
können, sind immer vorhanden:<br />
Sie müssen nur geweckt, gestützt<br />
und in ihrer Arbeit gestärkt<br />
werden. Dabei sollen schulische<br />
Arbeit und Bildungspolitik stärker<br />
von den tatsächlichen Lebenslagen,<br />
den Erfahrungsräumen der<br />
Kinder und Jugendlichen ausgehen<br />
als von institutionellen, erziehungswissenschaftlichen<br />
und<br />
bildungspolitischen Interessen.<br />
Kinder und Jugendliche, die<br />
heute zur Schule gehen, müssen<br />
morgen in einer veränderten Welt<br />
bestehen. Sie müssen in Schule<br />
und Familie die Fähigkeit entwickeln,<br />
den gesellschaftlichen<br />
Wandel verantwortlich mitzugestalten<br />
und mitzutragen. Die<br />
Schule braucht Partner, die ihr<br />
bei der schwierigen Aufgabe<br />
helfen, zu grösserer schulindividueller<br />
Selbstständigkeit zu gelangen.<br />
Dazu bedarf es auch<br />
einer in ihren Zielen, Inhalten und<br />
Arbeitsweisen veränderten schulischen<br />
Bildung: Offenheit für<br />
unterschiedliche Lebens- und<br />
Arbeitssituationen, Sicherheit im<br />
Durchschauen von Zusammenhängen,<br />
in der Urteilsbildung und<br />
in der Wertorientierung sind zentrale<br />
Grundbefähigungen; die<br />
Kompetenz zu lebenslangem<br />
Lernen wird zu einem entscheidenden<br />
Bildungsziel.<br />
Immer mehr Kollegien gelangten<br />
durch diese Initiative zu der Einsicht,<br />
dass die Schulkultur zum<br />
Nutzen von Lehrenden, Eltern<br />
und Schülern gemeinsam weiterentwickelt<br />
werden muss. Zu Beginn<br />
waren es in Baden-<br />
Württemberg rund 100 Schulen,<br />
die dem Kultusministerium gegenüber<br />
Entwicklungsbereitschaft<br />
und –interesse bekundeten.<br />
Inzwischen haben etwa 450<br />
Schulen, das sind rund 10 Prozent<br />
der badenwürttembergischen<br />
Schulen, Dokumentationen<br />
zu innovativen Schulprojekten<br />
und zur Schulreform und<br />
Schulentwicklung an das Landesinstitut<br />
für Erziehung und<br />
Unterricht nach Stuttgart gesandt<br />
(www.leu.bw.schule.de/ise).<br />
Die Themen der innovativen<br />
Schulprojekte werden nach vier<br />
Handlungsfeldern bzw. drei<br />
Strukturmerkmalen systematisiert<br />
und in einer Datenbank dokumentiert.<br />
Im Vordergrund der<br />
Inneren Schulentwicklung in Baden-Württemberg<br />
steht nach wie<br />
vor die Entwicklung des Unterrichts,<br />
der insbesondere den<br />
Anforderungen einer sich verändernden<br />
Gesellschaft Rechnung<br />
tragen soll. Dieses Interesse<br />
steht in Verbindung mit dem<br />
ersten Handlungsfeld: neue<br />
Erziehungs- und Unterrichtsformen.<br />
Hier handelt es sich<br />
konkret um themenorientiertes<br />
Arbeiten über Fächergrenzen<br />
hinweg (fächerverbindendes<br />
bzw. fächerübergreifendes<br />
Lernen), um neue<br />
an Sachnotwendigkeiten orientierte<br />
Unterrichtseinheiten,<br />
um eine Erweiterung des Fächerkanons<br />
auf neue Unterrichtsbereiche<br />
sowie um die<br />
Verstärkung von Gruppenarbeiten<br />
und Individualarbeiten<br />
über einen längeren Zeitraum<br />
hinweg. Nicht nur an Grundschulen,<br />
sondern auch an<br />
weiterführenden Schulen bis<br />
hin zum Gymnasium wird mit<br />
Freiarbeit, Offenem Unterricht<br />
oder Formen der Montessori-<br />
Pädagogik gearbeitet. Letztlich<br />
geht es um kompetenten,<br />
fachlich fundierten Unterricht<br />
und um eine ebenso kompetente<br />
methodische Gestaltung<br />
des Unterrichts. Die Schüler<br />
sollen zu einem teamorientierten<br />
und eigenverantwortlichen,<br />
autonomen Lern- und<br />
Arbeitsverhalten angeleitet<br />
und hingeführt werden. Persönlichkeitsentwicklung<br />
steht<br />
gleichrangig neben der Informationsvermittlung<br />
im Zentrum<br />
des Unterrichts.<br />
Im zweiten Handlungsfeld<br />
geht es um die Verstärkung<br />
der Mitverantwortung von Eltern<br />
und Schülern am Schulleben<br />
durch intensivere Formen<br />
der Mitwirkung, z. B.<br />
durch Veränderungen bei den<br />
Klassenpflegschaften oder<br />
durch die Öffnung der Schule<br />
über den Unterrichts- und Arbeitsgemeinschaftsbereich<br />
hinaus.<br />
Das dritte Handlungsfeld betrifft<br />
die Öffnung von Schule in<br />
ihr Umfeld. Insbesondere im<br />
Hinblick auf die Berufs- und<br />
Arbeitswelt geht es um die<br />
Einbeziehung relevanter Institutionen<br />
sowie um die Ausschöpfung<br />
aller vor Ort bestehenden<br />
Möglichkeiten (gemeindenahe<br />
Projekte, Kooperation<br />
mit städtischen Einrichtungen).<br />
Zu diesem<br />
Handlungsfeld zählt auch eine<br />
intensivere Kooperation zwischen<br />
Schule und ausserschulischer<br />
Jugendarbeit, den<br />
Kirchen, den karitativen, medizinischen<br />
und therapeutischen<br />
Einrichtungen, sozialen<br />
und Umweltprojekten sowie<br />
anderen Bildungsträgern,<br />
Fördervereinen und Sportvereinen.<br />
Das vierte Handlungsfeld betrifft<br />
die Verbesserung der<br />
Kommunikation in der Schule<br />
bzw. Verfahren der Organisationsentwicklung.<br />
Hier können<br />
gemeinsam „Regeln für das<br />
Zusammenleben“ (man<br />
spricht auch von „Pädagogischer<br />
Schulverfassung“) aufgestellt,<br />
die Stärkung der Eigenverantwortung<br />
und –<br />
durch verbesserte Kommunikationsstrukturen<br />
– Einstellungen<br />
und Werthaltungen im<br />
Umgang miteinander eingeübt<br />
werden. Dies schliesst auch<br />
die Entscheidungsstrukturen<br />
und Verwaltungsabläufe und<br />
damit auch die Berührung mit<br />
den Schulverwaltungsorganisationen<br />
mit ein. Für die<br />
Schulaufsicht hat dies zur<br />
Folge, dass sie die Schwerpunkte<br />
ihres Handelns auf ein<br />
beratend steuerndes Unterstützen<br />
und Fördern hin verändern<br />
muss.<br />
Die folgenden drei Strukturmerkmale<br />
sind grundlegend für<br />
die Weiterentwicklung der Inneren<br />
Schulentwicklung (ISE) zur
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 15<br />
Schulentwicklung in der Praxis<br />
(SEP) in Baden-Württemberg<br />
und zugleich Ausgangspunkt der<br />
neuen Dokumentation der Schulprojekte<br />
für die Datenbank zu<br />
Schulentwicklungsprojekten<br />
(www.leu.bw.schule.de/sep).<br />
Unterrichtsentwicklung als zentraler<br />
Bereich der Schulentwicklung<br />
meint Initiativen zur Veränderung<br />
des Unterrichts zum<br />
Zweck der Optimierung (im Hinblick<br />
auf Erfolg, Effizienz, aber<br />
auch in Bezug auf Motivation und<br />
Interesse, des Lehrens und Lernens).<br />
Mit Personalentwicklung<br />
ist die individuelle Ebene der<br />
Organisation Schule gemeint.<br />
Organisationsentwicklung wird<br />
verstanden als ein längerfristig<br />
angelegter Entwicklungs- und<br />
Veränderungsprozess, der auf<br />
dem Lernen aller durch direkte<br />
Mitwirkung und praktische Erfahrung<br />
an Problemlösungs- und<br />
Erneuerungsprozessen beruht.<br />
Die Veränderung kann resultieren<br />
in neuen Strukturen, neuen<br />
Funktionsverteilungen, neuen<br />
Aufgabenbereichen, Führungsstilen<br />
und -techniken und in einer<br />
neuen Kommunikations- und<br />
Konferenzkultur.<br />
Auch Kritiker gehören ins<br />
Vorbereitungsteam<br />
Die Impulse zur Schulentwicklung<br />
kamen und kommen von<br />
den Schulleitern, aus dem Kollegium,<br />
zum Teil auch von aussen.<br />
Ein Kollegium, das selbst eine<br />
Weiterentwicklung wünscht, identifiziert<br />
sich mit dem Vorhaben<br />
besonders stark. Von aussen<br />
kamen Initiativen für Schulentwicklung<br />
von den Pädagogischen<br />
Fach- und Schulentwicklungsberatern,<br />
die es an allen<br />
Oberschulämtern in Baden-<br />
Württemberg gibt, und von universitären<br />
Institutionen.<br />
Die Entwicklungsarbeit kommt<br />
dort besonders gut in Gang, wo<br />
sie ein repräsentativ zusammengesetztes<br />
Vorbereitungsteam<br />
bildet. Diesem Team gehören<br />
nicht nur Befürworter, sondern<br />
auch Skeptiker der Schulentwicklung<br />
an. Eltern und Schüler<br />
werden bisher zu selten einbezogen.<br />
Bei Themen, in denen vor allem<br />
die Kommunikation und Kooperation<br />
im Fokus der Entwicklung<br />
stehen, ist dies verständlich. Es<br />
gibt jedoch Entwicklungsthemen<br />
(wie z. B. Schulprogramm, Lernen<br />
lernen, Prävention von Gewalt<br />
und Aggression), mit denen<br />
sich die ganze Schule befassen<br />
muss. Hier liegt es nahe, in enger<br />
Zusammenarbeit mit Eltern<br />
und Schülern Ist- und Sollanalysen<br />
(sog. Stärke-Schwäche-<br />
Analysen der pädagogischen<br />
Arbeit an einer Schule) durchzuführen<br />
sowie weiterführende<br />
Massnahmen zu planen und<br />
umzusetzen. Ein solches Entwicklungsmodell,<br />
das auch von<br />
den Eltern und Schülern mitgetragen<br />
wird, verspricht mehr<br />
Wirksamkeit, erfordert aber einen<br />
höheren Organisations- und Arbeitsaufwand.
16 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Bildung und Wettbewerb<br />
Christian Aeberli<br />
Bis Ende 2005 Bildungsexperte von Avenir Suisse, seit 1.1.2006 Chef Abt. Volksschule BKS<br />
Abdruck aus: Grünenfelder, Peter; Oelkers, Jürgen et al. (Hrsg.), Reformen und Bildung, Erneuerung aus<br />
Verantwortung, Festschrift für Ernst Buschor, Zürich Juni 2003: Verlag Neue Zürcher Zeitung<br />
Zusammenfassung Kap. 1-3 (kursiv) von M. Langmeier<br />
Das liberale Ideal einer Volksschulbildung<br />
für alle setzte sich<br />
in der Schweiz in der zweiten<br />
Hälfte des 19. Jahrhunderts mit<br />
der Verankerung der obligatorischen<br />
und unentgeltlichen Primarschule<br />
in der Bundesverfassung<br />
1874 durch. Religion,<br />
Rechnen, Lesen, Schreiben und<br />
Realien wurden unterrichtet.<br />
Verschiedene Bemühungen zur<br />
zentralen staatlichen Kontrolle<br />
der Schulen scheiterten, das<br />
föderalistische Schulsystem festigte<br />
sich. Immerhin gab es so<br />
genannte "Rekrutenprüfungen",<br />
um zu "wissen, wie es um unsere<br />
Volksbildung steht", und deren<br />
Ergebnisse wurden als viel beachtete<br />
Kantonsrangliste publiziert.<br />
Die Rekrutenprüfung wurde<br />
beim Ausbruch des 1. Weltkrieges<br />
abgeschafft, nicht aber die<br />
Differenzen zwischen den Kantonen...<br />
Bis in die neunziger Jahre des<br />
20. Jahrhunderts blieben Struktur<br />
und Organisation der Schweizer<br />
Bildungslandschaft weitgehend<br />
beständig. Die Reformdiskussionen<br />
Ende sechziger Anfang<br />
siebziger Jahre in Deutschland<br />
und England führten zu einigen<br />
Schulversuchen auf der Sekundarstufe<br />
I. In den achtziger Jahren<br />
führten viele Kantone neue<br />
Lehrpläne ein, und der Unterrichtsbeginn<br />
in einer ersten<br />
Fremdsprache wurde in die fünfte<br />
Klasse vorverlegt.<br />
Die einzelnen Schulen wurden<br />
somit rund alle zehn Jahre mit<br />
grösseren äusseren Veränderungen<br />
konfrontiert.<br />
An den gymnasialen Ausbildungsstätten<br />
herrschte weitgehend<br />
Beschaulichkeit. Eine der<br />
grössten Veränderungen geschah<br />
zu Beginn der neunziger<br />
Jahre, wo mehrere Kantone den<br />
Schulbeginn auf den September<br />
festlegten. Dadurch verschob<br />
sich die Maturitätsprüfung um<br />
einige Monate. Auch im Zuge der<br />
jüngsten Reformen wurden die<br />
im 19. Jahrhundert wurzelnden<br />
Grundprinzipien des Gymnasiums<br />
kaum verändert. Lähmend<br />
für die Entwicklung des Gymnasiums<br />
war vor allem der Umstand,<br />
dass die Dichotomie von<br />
Schule und Leben im Kern nie<br />
berührt wurde. Zweifel an den<br />
Grundfesten des Gymnasiums<br />
scheinen bis heute mit einem<br />
Tabu belegt zu sein.<br />
Etwas dynamischer verlief die<br />
Entwicklung an den Berufsschulen.<br />
Hier galt es, Berufsbilder und<br />
-gruppen den wirtschaftlichen<br />
Bedingungen anzupassen.<br />
Gleichzeitig wurde in den Berufsschulen<br />
der Förderung von Sozial-<br />
und Methodenkompetenzen<br />
grössere Beachtung geschenkt.<br />
Mit der Einführung der Berufsmaturität<br />
wurde zudem der Weg<br />
zur Fachhochschule massgeblich<br />
verbreitert.<br />
An den Universitäten veränderte<br />
sich ausser den steigenden Zahlen<br />
Studierender bis vor kurzem<br />
gar nichts.<br />
Der Übergang von den achtziger<br />
in die neunziger Jahre schaffte<br />
mit der informations- und kommunikationstechnischen<br />
Revolution<br />
und dem Zusammenbruch<br />
des kommunistischen Systems<br />
die Voraussetzungen für eine<br />
Internationalisierung von Märkten<br />
und Unternehmensaktivitäten.<br />
Die weltweite Ausbreitung des<br />
marktwirtschaftlichen Modells<br />
prägte die Globalisierung, die<br />
auch die Schweiz und ihre Bildungslandschaft<br />
"durchschüttelte".<br />
Politik und Verwaltung diskutierten<br />
Modelle des New-Public-<br />
Management (NPM), ein Teil der<br />
Öffentlichkeit forderte Englisch<br />
und Computer im Kindergarten,<br />
und die Hochschulen sahen sich<br />
plötzlich in einem internationalen<br />
Wettbewerb stehen. Charakteristisch<br />
für die Globalisierung war<br />
auch eine Beschleunigung der<br />
Prozesse und Entscheidungen.<br />
Sie löste eine grosse Dynamik im<br />
Bildungswesen und eine grosse<br />
Zahl von Aktivitäten, Schulversuchen<br />
und Reformvorschlägen<br />
aus.<br />
Vehementer Verfechter der<br />
NPM-Philosophie war der damals<br />
neue Zürcher Erziehungsdirektor<br />
Buschor. Die Ideen des New<br />
Public Management (NPM) führten<br />
zur Übertragung von mehr<br />
Autonomie an die Schulen, neue<br />
Leitungsstrukturen wurden entwickelt.<br />
Im Gegenzug wurde von<br />
den Schulen eine Rechenschaftslegung<br />
über ihre Leistungen<br />
und Wirkungen verlangt. Es<br />
wurden deshalb auch neue Verfahren<br />
und Instrumente zur internen<br />
und externen Evaluation von<br />
Schulen geschaffen.<br />
Erstmals in der Schweiz wurden<br />
im Kanton Zürich systematische<br />
Schulleistungsuntersuchungen<br />
durchgeführt. Damit sollten die<br />
Wirkung der Schule mit den Zielen<br />
verglichen und Wirkungszusammenhänge<br />
erkannt werden,<br />
um die Qualität der Schulen erhalten<br />
und fördern zu können. 1<br />
Druck der Eltern, Forderungen<br />
der Gesellschaft sowie die Glo-
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 17<br />
balisierung gaben den Anstoss<br />
zur Modernisierung mit Elementen<br />
wie z.B. Frühenglisch, 2 Computer<br />
an den Schulen, Blockzeiten<br />
und Tagesstrukturen. 3<br />
Im Hochschulbereich stellten das<br />
Bundesgesetz über die Fachhochschulen<br />
von 1995 und die<br />
Deklaration von Bologna von<br />
1999 die Schweiz vor neue forschungs-<br />
und bildungspolitische<br />
Aufgaben und führten zu neuen<br />
Konkurrenzsituationen.<br />
Die internationale Leistungsuntersuchung<br />
PISA 2000 4 schliesslich,<br />
bei der die 15-jährigen Jugendlichen<br />
sowohl in der<br />
Schweiz wie in Deutschland<br />
schlecht abschnitten, 5 eröffnete<br />
endgültig ein neues Kapitel im<br />
Bereich der Evaluation von Bildungssystemen:<br />
dasjenige des<br />
internationalen Vergleichs und<br />
des Wettbewerbs.<br />
4. Wettbewerb im<br />
Bildungswesen<br />
4.1 Bedingungen in der<br />
Schweiz noch wenig genutzt<br />
Die (vorhergehenden) Kapitel (...)<br />
illustrieren, dass die Schulen und<br />
Hochschulen in der Schweiz<br />
transparenter und damit auch<br />
vergleichbarer werden müssen.<br />
Im Bildungswesen herrschen<br />
zunehmend Wettbewerbsbedingungen.<br />
Allerdings wurden sie<br />
bisher wenig zur Qualitätsentwicklung<br />
und als Reformpotenzial<br />
genutzt.<br />
Den Akteuren im Bildungswesen<br />
ist zuwenig bewusst, dass Entwicklung<br />
und Fortschritt zuerst<br />
Analyse und Vergleich bedeuten.<br />
Wenn ein Schulleiter oder eine<br />
Schulleiterin seine beziehungsweise<br />
ihre Kolleginnen und Kollegen<br />
fördern möchte (z. B. durch<br />
eine Weiterbildung), kann eine<br />
Massnahme nur dann auch effektiv<br />
sein, wenn von den Stärken<br />
und Schwächen der Lehrperson<br />
ausgegangen wird. Oder:<br />
Wenn die Wirkung einer Schule<br />
untersucht wird, gehören die<br />
Leistungen der Schülerinnen und<br />
Schüler dazu. Und: Wenn eine<br />
Hochschule ihre Qualität beurteilen<br />
möchte, ist es sinnvoll,<br />
wenn sie sich mit anderen Hochschulen<br />
vergleicht.<br />
Nach der Analyse und dem Vergleich<br />
kann der Innovationsschritt<br />
geplant werden. Bei diesem ist<br />
die Tatsache zu beachten, dass<br />
es nicht immer notwendig ist,<br />
alles neu zu erfinden, sondern<br />
dass man auch voneinander<br />
lernen kann. Damit ist der Best-<br />
Practice-Ansatz 6 angesprochen.<br />
Es gibt innerhalb eines Schulhauses<br />
Lehrpersonen, die etwas<br />
sehr gut können. Es gibt Schulen,<br />
die ein besonders erfolgreiches<br />
Programm anbieten (z. B.<br />
für begabte Kinder). Es gibt<br />
Hochschulen und Institute, die<br />
hervorragende Forschungsergebnisse<br />
produzieren. Und, und,<br />
und …<br />
Von den guten Beispielen (Best<br />
Practice) kann gelernt werden.<br />
Sogar dann, wenn, wie heute im<br />
Bereich der Volksschule die Regel,<br />
einige Wettbewerbsbedingungen<br />
wie die freie Schulwahl<br />
ausgeschaltet sind. Ein in vielen<br />
Bereichen gutes Beispiel für die<br />
Schweiz stellt die Primarschulentwicklung<br />
der letzten Jahre in<br />
England dar.<br />
4.2 Das Beispiel England<br />
Bis Mitte der achtziger Jahre des<br />
letzten Jahrhunderts war das<br />
Geschehen in den englischen<br />
Schulen und Klassenzimmern<br />
fast ausschliesslich den Lehrpersonen<br />
überlassen. Es gab praktisch<br />
keine Erfolgskontrollen,<br />
wenige Herausforderungen und<br />
kaum Unterstützung. Zusammengefasst<br />
und etwas überspitzt<br />
formuliert gab es für das englische<br />
Schulsystem als Ganzes<br />
keinen Handlungsbedarf für Veränderungen.<br />
Dieser Zustand änderte sich mit<br />
dem Regierungswechsel: Premierministerin<br />
Margaret Thatcher<br />
und ihre Administration erkannten<br />
vielfältige Probleme im englischen<br />
Schulsystem. Ihre Antwort<br />
darauf war eine Erhöhung der<br />
Anforderungen: neue Standards,<br />
neue Tests, neue Schulinspektionen,<br />
Publikation der Testergebnisse<br />
der einzelnen Schulen.<br />
Zuwenig beachtet wurden dabei<br />
die Rahmenbedingungen, insbesondere<br />
die Unterstützung sowie<br />
die Aus- und Weiterbildung der<br />
Lehrerinnen und Lehrer. Ebenfalls<br />
zuwenig beachtet wurden<br />
die sozialen Verhältnisse, vor<br />
allem in den ehemaligen Industriegebieten.<br />
Die Reformen der<br />
Regierung Thatcher brachten<br />
zwar einige Verbesserungen im<br />
Schulwesen, aber auch viele<br />
Konflikte und zahlreiche demotivierte<br />
Lehrerinnen und Lehrer. In<br />
dieser Situation warteten viele<br />
Akteure im Bildungsbereich auf<br />
die Wahlen und hofften auf einen<br />
Regierungswechsel, der den<br />
Druck im System reduzieren und<br />
die Unterstützung für die Beteiligten<br />
erhöhen sollte.<br />
Die neue Regierung unter Premierminister<br />
Tony Blair folgte<br />
diesen Erwartungen nicht: Sie<br />
verlangte weiterhin hohe Leistungen,<br />
erhöhte dafür aber die<br />
Unterstützung. Die von der konservativen<br />
Regierung Thatcher<br />
eingeleiteten Reformen wurden<br />
von Tony Blair ab 1997 ausgebaut<br />
und die Unterstützungsangebote<br />
entscheidend erhöht. Zur<br />
Illustration seien zwei Beispiele<br />
aufgeführt:<br />
Im so genannt nationalen Curriculum<br />
wurden hohe minimale<br />
Leistungsstandards gesetzt.<br />
Durch nationale Tests wird deren<br />
Zielerreichung überprüft. Solche<br />
Assessments werden bei den<br />
Kindern und Jugendlichen im<br />
Alter von sieben, elf, vierzehn<br />
und sechzehn Jahren durchgeführt.<br />
Zur Unterstützung der<br />
Lehrpersonen wurden auf der<br />
Basis von Best-Practice-<br />
Erfahrungen detaillierte Lehrund<br />
Unterrichtsprogramme erarbeitet.<br />
Diese führen die Lehrerinnen<br />
und Lehrer zu den Zielsetzungen<br />
hin. Zu diesen Hilfen<br />
kann sicher auch die Übersetzung<br />
und Einführung der Zürcher<br />
Mathematiklehrmittel an der Primarschule<br />
gezählt werden.<br />
Unter dem englischen Titel «Intervention<br />
in inverse proportion to<br />
success» wurden Massnahmen<br />
zur Förderung der erfolgreichen<br />
Schulen sowie zur Unterstützung<br />
der nicht-erfolgreichen Schulen
18 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
aufgelistet. Gute Schulen können<br />
die Führung in weniger guten<br />
Schulen übernehmen. Sie werden<br />
auch ausgezeichnet. Zudem<br />
erhalten sie mehr Autonomie<br />
bezüglich des Curriculums, der<br />
Finanzen sowie der übrigen<br />
Rahmenbedingungen. Unterdurchschnittliche<br />
Schulen haben<br />
sich einem Aktionsplan zu unterziehen.<br />
Es ist möglich, dass ihnen<br />
Verantwortung über das<br />
Budget und anderes teilweise<br />
entzogen wird. Während dieser<br />
Zeit werden das nationale wie<br />
das lokale Wirkungsmonitoring<br />
verstärkt. Zur Unterstützung des<br />
«Turnarounds» beziehungsweise<br />
für konkrete praktische Verbesserungsmassnahmen<br />
werden<br />
zusätzliche finanzielle Mittel bereitgestellt.<br />
Diese und viele andere Massnahmen<br />
haben dazu geführt,<br />
dass die Leistungen der Primarschülerinnen<br />
und -schüler in<br />
Sprache und Mathematik enorm<br />
gestiegen sind. Dies zeigte sich<br />
sowohl in den nationalen als<br />
auch in den internationalen<br />
Tests. In der im Dezember 2001<br />
publizierten PISA-Studie 7 schloss<br />
das Vereinigte Königreich erfolgreich<br />
ab. Die Leistungen der<br />
fünfzehnjährigen Jugendlichen<br />
lagen in allen gemessenen Bereichen<br />
im vordersten Viertel von<br />
32 OECD-Ländern: Rang 7 im<br />
Lesen, Rang 8 in der Mathematik<br />
und Rang 4 in den Naturwissenschaften.<br />
Im Vergleich dazu noch<br />
einmal die Resultate des «Bildungslandes»<br />
Schweiz: im Lesen<br />
Rang 17, in der Mathematik<br />
Rang 7 und in den Naturwissenschaften<br />
Rang 18.<br />
5. Plädoyer für mehr «Konkurrenz»<br />
zwischen den<br />
Schulen<br />
Ob wir es wollen oder nicht: Die<br />
Globalisierung geht auch an den<br />
Schulen und Hochschulen weiter.<br />
Sie fördert den Wettbewerb und<br />
die Transparenz zwischen den<br />
einzelnen Anbietern und Institutionen.<br />
Dies bedingt letztlich<br />
auch entsprechende Vergleichsund<br />
Wirksamkeitsparameter, die<br />
heute noch weitgehend fehlen.<br />
Zunehmen wird besonders die<br />
Konkurrenz zwischen öffentlichen<br />
und privaten Bildungsanbietern.<br />
Es ist möglich, dass in<br />
Zukunft mehr Eltern für ihre Kinder<br />
und Jugendlichen ein privates<br />
Angebot wählen werden.<br />
Dies dürfte dann relativ rasch<br />
geschehen, wenn die öffentlichen<br />
Institutionen aus Elternsicht nicht<br />
hohen Bildungsansprüchen zu<br />
genügen vermögen. Und damit<br />
korrespondiert die Möglichkeit,<br />
dass solche Eltern kaum mehr<br />
geneigt sein werden, Steuern zur<br />
Finanzierung der öffentlichen<br />
Schulen zu bezahlen. Das<br />
könnte dann mit den Worten des<br />
Soziologen Richard Titmuss zu<br />
einem «poor service for poor<br />
people» 8 führen. Oder eben auch<br />
die Kohäsion und damit den sozialen<br />
Frieden in der Schweiz<br />
gefährden. Nur wenn das öffentliche<br />
Bildungswesen gute Ergebnisse<br />
liefert, kann das erwähnte<br />
Szenario vermieden werden.<br />
Damit dies gelingt, ist die Konkurrenz<br />
zwischen den Schulen<br />
zu fördern.<br />
5.1 Virtuelle Konkurrenz zwischen<br />
öffentlichen Volksschulen<br />
«Für das Schulwesen sind die<br />
Kantone zuständig. Sie sorgen<br />
für einen ausreichenden Grundschulunterricht,<br />
der allen Kindern<br />
offen steht. Der Grundschulunterricht<br />
ist obligatorisch und untersteht<br />
staatlicher Leitung oder<br />
Aufsicht. An öffentlichen Schulen<br />
ist er unentgeltlich.» 9 So steht es<br />
in der Bundesverfassung. Und im<br />
Bericht «Potenzial Primarschule»<br />
wird die Integrationsfunktion der<br />
öffentlichen Schule als bedeutende<br />
Leistung bezeichnet: «Sie<br />
sei eine unabdingbare Voraussetzung<br />
für das friedliche Zusammenleben<br />
und das Funktionieren<br />
der direkten Demokratie in<br />
der Schweiz.» 10<br />
Die Kantone delegieren die Organisation<br />
und die Durchführung<br />
des obligatorischen Volksschulunterrichts<br />
in der Regel an die<br />
Gemeinden. Sie sind in erster<br />
Linie für das Angebot in und die<br />
Aufsicht über die kommunalen<br />
Schulen verantwortlich. In den<br />
einzelnen Klassen der Gemeindeschulen<br />
stehen dann die Lehrerinnen<br />
und Lehrer. Sie sind für<br />
das methodisch-didaktische Geschehen<br />
im Unterricht und die<br />
sozialen Beziehungen in der<br />
Klasse zuständig. Auf ihnen liegt<br />
die grösste Verantwortung: Lehrpersonen<br />
sind massgeblich am<br />
Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen<br />
beteiligt und tragen<br />
damit bedeutsam zur zukünftigen<br />
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen<br />
Entwicklung eines Landes<br />
bei.<br />
Die öffentliche Schule für alle in<br />
der Nähe des Wohnorts der Kinder<br />
und Jugendlichen ist zurzeit<br />
kaum bestritten. In den Augen<br />
vieler stellt sie ein wichtiges<br />
Qualitätsmerkmal dar. Es wird<br />
hier deshalb auf Forderungen<br />
nach freier Schulwahl, nach mehr<br />
Privatisierung oder nach Einführung<br />
von Bildungsgutscheinen<br />
verzichtet; dies wären Massnahmen,<br />
die unausweichlich eine<br />
Wettbewerbssituation eröffnen<br />
würden.<br />
Wenn hier Wettbewerb im Sinne<br />
eines Marktmechanismus zwischen<br />
den öffentlichen Schulen<br />
ausgeschlossen wird, heisst das<br />
trotzdem, dass schulische Unterschiede<br />
produktiv genutzt werden<br />
sollen. Die Unterschiede<br />
innerhalb und zwischen Schulen<br />
müssen transparent gemacht<br />
werden, indem sie evaluiert und<br />
als Basis für Entwicklung und<br />
Innovation wahrgenommen werden.<br />
In einem solchen Wettbewerb<br />
sind schwache Schulen und<br />
Lehrpersonen nicht existenziell<br />
gefährdet; dennoch kommen sie<br />
unter Druck, wenn die Leistung<br />
nicht mehr stimmt – und das ist<br />
dringend erwünscht. 11 Schwachen<br />
Schulen und Lehrpersonen<br />
sind verpflichtende Angebote zu<br />
machen und Leistungen zur Verfügung<br />
zu stellen, damit sie die<br />
Situation verbessern können.<br />
Den guten Schulen und Lehrpersonen<br />
sind ebenfalls mehr Ressourcen<br />
und eventuell auch mehr<br />
Autonomie zu gewähren. Die<br />
«virtuelle» Konkurrenz zwischen<br />
Schulen und Lehrpersonen er-
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 19<br />
höht die Leistungen des öffentlichen<br />
Schulwesens.<br />
Aber auch private Schulen haben<br />
ihren Platz. Sie ergänzen das<br />
öffentliche «Einheitsmenu» mit<br />
besonderen Angeboten. Sie treten<br />
in Konkurrenz zur öffentlichen<br />
Volksschule und tragen<br />
damit zur Lebendigkeit der Diskussion<br />
um die «beste» Schule<br />
bei.<br />
5.2 Transparenz und Wahlfreiheit<br />
zwischen den Gymnasien<br />
Die Leistungen und Angebote<br />
ausweisen und damit die Transparenz<br />
und Vergleichbarkeit erhöhen<br />
sollten auch die kantonalen<br />
Gymnasien. Sie richten sich<br />
an Kinder und Jugendliche, die<br />
schon älter sind. Der Besuch<br />
einer Mittelschule ist in den meisten<br />
Fällen mit einem Schulortwechsel<br />
und einer Anfahrt mit<br />
dem Velo oder einem öffentlichen<br />
Verkehrsmittel verbunden.<br />
Was für die öffentliche Volksschule<br />
nicht postuliert wurde,<br />
wird nun für das Gymnasium<br />
gefordert: die freie Schulwahl,<br />
auch über die Kantonsgrenzen<br />
hinaus. 12<br />
Im Bereich der Gymnasien ist<br />
eine adäquate Umsetzung von<br />
Marktmechanismen möglich.<br />
Über die Kantone hinaus, innerhalb<br />
der Regionen und Quartiere<br />
können die einzelnen Schulen in<br />
einen Wettbewerb zueinander<br />
treten. Damit ein solcher spielen<br />
kann, sind Instrumente zur Qualitätsmessung<br />
und Rechenschaftslegung<br />
zu entwickeln. Für<br />
die interessierten Schülerinnen<br />
und Schüler und ihre Eltern sind<br />
Unterlagen zu erarbeiten, aus<br />
denen die Stärken und Schwächen<br />
der verschiedenen gymnasialen<br />
Angebote deutlich werden.<br />
Den weniger erfolgreichen Gymnasien<br />
sind Angebote zur Verbesserung<br />
ihrer Situation zu machen.<br />
Bei Auftreten von erheblichen<br />
Schwierigkeiten könnte dies<br />
z. B. die «Adoption» durch eine<br />
erfolgreichere Schule sein. Verbunden<br />
mit einer grösseren Autonomie<br />
ist auch die Stärkung<br />
der Schulleitungen als Verantwortliche<br />
für den Lernbetrieb<br />
verbunden. Die strategische Führung<br />
könnte der Politik sowie<br />
Persönlichkeiten aus Politik,<br />
Wirtschaft und Verwaltung übertragen<br />
werden.<br />
5.3 Hochschulen in globaler<br />
Konkurrenz<br />
Die Eidgenössische Technische<br />
Hochschule, die kantonalen Universitäten<br />
sowie neu die von<br />
Bund und Kantonen gemeinsam<br />
getragenen Fachhochschulen<br />
stehen immer stärker in globaler<br />
Konkurrenz. Junge Menschen<br />
wählen den Studienort zunehmend<br />
mehr aufgrund von Qualitätskriterien<br />
als aufgrund der<br />
Nähe zum Wohnort. Damit wird<br />
es noch wichtiger, dass die<br />
Hochschulen hervorragende junge<br />
Dozierende und Forscherinnen<br />
und Forscher verpflichten<br />
können, und so den Hochschulstandort<br />
Schweiz international<br />
leistungsfähig und für Studierende<br />
attraktiv machen.<br />
Um im internationalen Wettbewerb<br />
bestehen zu können, brauchen<br />
die Hochschulen Autonomie<br />
und Ressourcen. Und dazu<br />
müssen sie nicht nur an sich<br />
selber, sondern auch an die Studentinnen<br />
und Studenten hohe<br />
Anforderungen stellen. Dazu<br />
meint der Deutsche Anglistikprofessor<br />
und Bestseller-Autor Dietrich<br />
Schwanitz: «Ausgerechnet<br />
eine Institution, der es um die<br />
Ermutigung der Begabtesten<br />
gehen sollte», habe «eine Ideologie<br />
entwickelt, die Leistungen<br />
diskreditiert und den Begriff der<br />
Elite tabuisiert.» 13<br />
Autonomie bedingt klare Steuerungsstrukturen:<br />
einen rechtlichen<br />
Rahmen, Leitungsstrukturen<br />
(strategische und operative)<br />
sowie eine leistungsgesteuerte<br />
Finanzierung. In der Schweiz ist<br />
darauf zu achten, dass der Bund<br />
im Zusammenhang mit der Revision<br />
des Hochschulartikels in der<br />
Bundesverfassung nicht zu viele<br />
Regelungskompetenzen übernimmt.<br />
Auch die Steuerungsmittel<br />
der Kantone sind zu überprüfen.<br />
Bezüglich Ressourcen ist die<br />
Situation heute angespannt. Das<br />
Bestehende droht zwischen den<br />
sinkenden Mitteln und der steigenden<br />
Zahl von Studierenden<br />
unter die Räder zu kommen. In<br />
Anbetracht dieser Situation sind<br />
die finanziellen Mittel zu erhöhen,<br />
und es sind Sparmöglichkeiten<br />
zu finden. Sparen liesse sich<br />
zum Beispiel, indem Studiengänge<br />
mit sehr kleinen Studierendenzahlen<br />
örtlich konzentriert<br />
würden. Oder: wenn mit Umsetzung<br />
der Bologna-Deklaration<br />
das Gros der Studierenden mit<br />
einem Bachelor-Abschluss ins<br />
Berufsleben übertreten würde,<br />
wie das in den angelsächsischen<br />
Ländern der Fall ist.<br />
Innerhalb der schweizerischen<br />
Hochschullandschaft ist also<br />
nicht nur Wettbewerb, sondern<br />
auch Kooperation anzustreben.<br />
Der in Deutschland arbeitende<br />
Schweizer Professor Walther<br />
Zimmerli hat hiefür die Wörter<br />
«Cooperation» und «Competition»<br />
miteinander verschmolzen<br />
und das Wort «Coopetition» geprägt.<br />
14 Nur mit «Coopetition»<br />
kann das Ensemble der Hochschulen<br />
auch in Zukunft auf der<br />
internationalen Bühne bestehen.<br />
Eine internationale Ausrichtung<br />
bedingt eine Orientierung an den<br />
Besten (Best Practice). Und damit<br />
der stete Wille, hohe Zielsetzungen<br />
erreichen zu wollen. Dieser<br />
Grundsatz muss für alle Akteure<br />
an den Hochschulen gelten.<br />
Besonders auch für die Studierenden.<br />
Wie würden diese<br />
heute reagieren, wenn ihnen<br />
jemand erzählt, dass in britischen<br />
oder amerikanischen Hochschulen<br />
250 Seiten pro Veranstaltung<br />
zu lesen sind, dies multipliziert<br />
mit vier Kursen pro Semester,<br />
dazu Papers und Examen Um<br />
wie viel besser könnte der Output<br />
von Lehrveranstaltungen an<br />
Hochschulen sein, wenn sich die<br />
Studierenden darauf vorbereiten<br />
würden!<br />
6. Blick nach vorne<br />
6.1 Die Gesellschaft wird<br />
«grauer» und «bunter»<br />
Der moderne Staat befindet sich<br />
im Übergang von der industriellen<br />
Gesellschaft in die Ökonomie
20 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
des Wissens. «In der Natur dieses<br />
Übergangs liegt die Verlagerung<br />
der Schwerpunkte gesellschaftlicher<br />
Organisation: von<br />
Massen-Organisationen auf das<br />
Individuum, von nationalstaatlichen<br />
auf supranationale Systeme,<br />
von gesicherten Märkten auf<br />
das neue globale Kräftespiel.» 15<br />
Damit einher geht in der Schweiz<br />
die demographische Entwicklung:<br />
Die Gesellschaft wird<br />
«grauer» und «bunter». Grauer<br />
wird sie durch die zunehmende<br />
Überalterung. Im Jahr 2030 wird<br />
der Anteil der 65-Jährigen und<br />
älteren Menschen über 50 Prozent<br />
der erwerbstätigen Bevölkerung<br />
betragen. 16 Bunter wird sie<br />
durch eine leicht zunehmende<br />
Zuwanderung. Eine solche ist<br />
höchst wünschenswert. Nur so<br />
können sie sich mit einer rasch<br />
alternden und schrumpfenden<br />
einheimischen Bevölkerung verbundenen<br />
Probleme gemildert<br />
werden. 17<br />
6.2 Bildung und Innovation als<br />
Schlüsselfaktoren<br />
Die genannten gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Veränderungen<br />
verursachen schmerzhafte<br />
Anpassungen und Verunsicherungen.<br />
Zur erfolgreichen Bewältigung<br />
dieser Verunsicherungen<br />
spielen innovationsbereite Menschen<br />
eine zentrale Rolle.<br />
In diesem Prozess ist Bildung im<br />
Sinne eines «lernenden Menschenbildes»<br />
zu verstehen. «Der<br />
‹industrial man›, der einmal in<br />
seinem Leben eine ‹Aus-Bildung›<br />
(!) erlebte und dann einen weit<br />
gehend vorbestimmten Lebensweg<br />
ging, ist Geschichte. Lernen<br />
lässt sich nicht in ‹Lehrplänen›<br />
kanalisieren, sondern begleitet<br />
unser Leben als zentraler Impuls<br />
und Konstante der menschlichen<br />
Neugier. Dabei benötigen wir<br />
eine neue ‹Kultur der Anerkennung›,<br />
die die Lernfähigkeit des<br />
Einzelnen und die Wandlungsfähigkeit<br />
des Individuums in Zentrum<br />
des gesellschaftlichen Diskurses<br />
stellt.» 18<br />
Eine «Kultur der Anerkennung»<br />
ist ein Schlüsselfaktor für die sich<br />
wandelnde Gesellschaft. Die<br />
Wertschätzung des Bisherigen ist<br />
Voraussetzung für Akzeptanz<br />
von Neuem. Den Menschen<br />
muss dieses Gefühl vermittelt<br />
und es muss ihnen die Notwendigkeit<br />
für Veränderungen erklärt<br />
werden.<br />
Es muss aufgezeigt werden,<br />
dass der Wandel der Gesellschaft<br />
eine permanente Innovation<br />
erfordert. Es muss vermittelt<br />
werden, dass zu einem innovativen<br />
Klima ein frischer Wind gehört.<br />
Es muss gesagt werden,<br />
dass dort, wo die Fenster dauernd<br />
zugesperrt bleiben, «der<br />
Wind nicht bläst». Es muss gefordert<br />
werden, dass die Fenster<br />
und Türen zu öffnen sind, damit<br />
neue Ideen und andere Gedanken<br />
sowie auch fremde Menschen<br />
neue eigene Impulse auslösen<br />
können, die dann wiederum<br />
Veränderung und Innovation<br />
bewirken.<br />
6.3 Staat und Markt<br />
«Der Staat muss die Grundlage<br />
schaffen, damit der Markt seine<br />
Magie entfalten kann.» 19 Eine<br />
besondere Verantwortung trägt<br />
der Staat für die Bildung. Der<br />
Bund und die Kantone haben für<br />
eine ausreichende Grundversorgung<br />
an Schule und Unterricht zu<br />
sorgen, die allen Menschen im<br />
Land unabhängig von sozialer<br />
Herkunft und Kultur in gleichem<br />
Masse zur Verfügung steht. Über<br />
die Sicherstellung der Grundversorgung<br />
hinaus haben staatliche<br />
Institutionen die Aufgabe, Regelungen<br />
für einen fairen Wettbewerb<br />
im Inland und mit dem Ausland<br />
zu erlassen. Ansonsten ist<br />
bei Regelungen darauf zu achten,<br />
dass diese möglichst von<br />
den betroffenen Schulen und<br />
Institutionen selber formuliert<br />
werden. Der übergeordneten<br />
Instanz verbleibt die Aufgabe<br />
dann einzugreifen, wenn es im<br />
Einzelnen nicht mehr funktioniert<br />
(Subsidiaritätsprinzip). Dafür<br />
braucht es jedoch Transparenz<br />
zwischen den Schulen, Rechenschaftslegung<br />
der Institutionen<br />
sowie geeignete Controllinginstrumente.<br />
Solche Bedingungen ermöglichen<br />
Wettbewerb und Kooperation.<br />
Sie sind Voraussetzungen für<br />
die notwendige Erneuerung sowie<br />
ständige Weiterentwicklung<br />
des Bildungswesens. Zum Wohle<br />
der Kinder und Jugendlichen, der<br />
Zukunft der Schweiz.<br />
Anmerkungen<br />
1 Urs Moser & Heinz Rhyn, Schulmodelle<br />
im Vergleich. Eine Evaluation<br />
der Leistungen in zwei Schulmodellen<br />
der Sekundarstufe I, Zürich 1999, 3.<br />
2 Christian Aeberli, Englisch ab der<br />
ersten Klasse: Das Zürcher Experiment,<br />
in: Richard J. Watts & Heather<br />
Murray (Hrsg.), Die fünfte Landessprache<br />
Englisch in der Schweiz,<br />
Bern 2001.<br />
3 Christian Aeberli, Lernen für das 21.<br />
Jahrhundert. Ein Schulversuch an<br />
Primarschulen des Kantons Zürich,<br />
in: Jacobs Foundation, Perspektiven<br />
im Rahmen der Erneuerung, Zürich<br />
2001.<br />
4 OECD, Knowledge and Skills for Life.<br />
First results from PISA 2000, Paris<br />
2001.<br />
5 Urs Moser, Für das Leben gerüstet<br />
Die Grundkompetenzen der Jugendlichen<br />
– Kurzfassung des nationalen<br />
Berichtes PISA 2000, Neuenburg<br />
2001.<br />
6 Armin Töpfer, Benchmarking. Der<br />
Weg zu Best Practice, Berlin 1997.<br />
7 OECD, 2001, 11.<br />
8 Michael Barber, The next stage for<br />
large scale reform in England: From<br />
good to great, Background Paper for<br />
the Federal Reserve Bank of Boston,<br />
47th Economic Conference, Boston,<br />
Juni 2002, 3.<br />
9 Bundesverfassung der Schweizerischen<br />
Eidgenossenschaft vom 18.<br />
Dezember 1996, Art. 62.<br />
10 Christian Aeberli & Charles Landert,<br />
Potenzial Primarschule. Eine Auslegeordnung,<br />
einige weiterführende<br />
Ideen und ein Nachgedanke, Zürich<br />
2001.<br />
11 Lutz Oertel & Jürgen Kussau, Kritische<br />
Überlegungen zur Zukunft der<br />
Volksschule, unveröffentlichtes Papier,<br />
Zürich 2001.<br />
12 In § 25 des Mittelschulgesetzes des<br />
Kantons Zürich ist die freie Schulwahl<br />
innerhalb des Kantons grundsätzlich<br />
verankert worden.<br />
13 Dietrich Schwanitz, Spiegel spezial<br />
«Lernen zum Erfolg», Nr. 3/2002, 21.<br />
14 Walther Ch. Zimmerli, Elitebildung<br />
und Wissenstechnologien, Referat<br />
vom 30.10.2002, Technopark Zürich.<br />
15 Matthias Horx, Zukunftsmanifest zur<br />
Jahreswende 2002/03, Köln 2002, 4.
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 21<br />
16 Rainer Münz & Ralf Ulrich, Alterung<br />
und Wanderung. Alternative Projektionen<br />
der Bevölkerungsentwicklung<br />
der Schweiz, Zürich 2001.<br />
17 Rainer Münz & Ralf Ulrich, Schweiz<br />
im Jahr 2060: Alternative Bevölkerungsprognosen<br />
und ihre Konsequenzen,<br />
Schweizer Monatshefte für<br />
Politik Wirtschaft Kultur, Zürich, November<br />
2001.<br />
18 Horx, 2002, 4.<br />
19 Nicholas Stern, Chefökonom der<br />
Weltbank, Interview im Magazin, Zürich<br />
2002.
22 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Die Freiheit der Schulwahl: Ein Problemaufriss<br />
Prof. Dr. Jürgen Oelkers<br />
Leiter des Pädagogischen Instituts der Universität Zürich<br />
Gekürzte Fassung eines Vortrags im Rahmen der interdisziplinären Veranstaltungsreihe „Ethische Verantwortung<br />
in den Wissenschaften“ am 27. Januar 2005 in der Universität Zürich<br />
1. Das Problem: Kunden<br />
oder Abnehmer<br />
Öffentliche Schulen in westlichen<br />
Gesellschaften sind staatlich<br />
verfasst und unterliegen einem<br />
Gleichheitsgebot, das Unterschiede<br />
minimiert und so Freiheiten<br />
beschränkt. Weder dürfen<br />
Schulen oder einzelne Lehrkräfte<br />
über gewisse Varianten hinaus<br />
ihre Angebote selber bestimmen<br />
noch haben Eltern oder Schüler<br />
die Wahl, sich die schulische<br />
Bildung nach ihren Bedürfnissen<br />
auszusuchen. Sie sind nicht<br />
„Kunden” des Systems, sondern<br />
Abnehmer, also müssen übernehmen,<br />
was staatlich geboten<br />
wird. „Schulpflicht“ heisst, dass<br />
der Staat ein Angebot bereitstellt,<br />
zu dem es für die meisten Abnehmer<br />
keine Alternative gibt.<br />
Eltern können über die Bildung<br />
ihrer Kinder nicht frei bestimmen,<br />
sondern sind gezwungen, staatliche<br />
Leistungen zu akzeptieren,<br />
die aus dem allgemeinen Steueraufkommen<br />
finanziert werden.<br />
Die Alternative lässt sich so formulieren:<br />
Wären Eltern und Schüler<br />
Kunden der Schule, so hätten<br />
sie die Freiheit der Wahl,<br />
könnten also über die Bildung<br />
selbst entscheiden.<br />
Die Anbieter von Bildung wären<br />
schlagartig in eine Wettbewerbssituation<br />
versetzt.<br />
Die Schulen müssten sich auf<br />
Nachfrage einstellen, bekämen<br />
nämlich ihre Klientel –<br />
Schülerinnen und Schüler –<br />
nicht mehr einfach ohne Eigenaufwand<br />
zugewiesen,<br />
sondern wären gezwungen,<br />
ihre Angebote auf Bildungsmärkten<br />
anzubieten.<br />
Qualität entstünde nicht durch<br />
Reglemente, sondern durch<br />
Wettbewerb.<br />
Nicht die Anbieter, sondern<br />
die Kunden entschieden über<br />
Ausstattung, Profil und Entwicklungstrends<br />
von Schulen.<br />
Kunden hätten Freiheiten, die sie<br />
als Abnehmer staatlicher Bildungsangebote<br />
nicht haben.<br />
Umgekehrt würde der Staat auf<br />
die Regulierung von Bildung<br />
verzichten, also nicht länger vorschreiben,<br />
was zwischen Latein,<br />
Sport und Biologie das Programm<br />
einer Schule ausmachen<br />
soll. Eltern würden sich die Bildung<br />
wählen, die sie für ihre<br />
Kinder als geeignet und richtig<br />
ansehen. Schliesslich könnten<br />
auch Kinder den Kundenstatus<br />
übernehmen, also mitbestimmen,<br />
was sie als Bildung akzeptieren<br />
und was nicht. „Bildung” wäre<br />
nicht staatlich verordneter Schulbesuch,<br />
sondern freie Wahl der<br />
Themen, Zeiten und Interessen.<br />
Die Folgen lassen sich zugespitzt<br />
formuliert so bestimmen: Die<br />
Nachfrage entscheidet über das<br />
Angebot, was keine Nachfrage<br />
erhält, wird nicht angeboten, es<br />
sei denn ein individuelles Angebot<br />
erzeugt für sich eine überraschende<br />
Nachfrage.<br />
Latein hätte eine neue Chance<br />
als Minderheitenfach für<br />
Kinder aus bildungsbürgerlichen<br />
Milieus,<br />
Computer Literacy wäre ein<br />
Nachfragefach, weil alle Kunden<br />
wissen, welche Schlüsselstellung<br />
für die Berufskarrieren<br />
der Zukunft diesem<br />
Fach zukommen wird.<br />
Englisch wäre die erste<br />
Fremdsprache, wobei neben<br />
dem Unterricht vor allem ein<br />
Auslandsjahr finanziert würde.<br />
Sport hätte gute Chancen,<br />
daneben neue Fächer wie<br />
Lebenskunst oder ganz alte<br />
wie Rhetorik;<br />
das Kriterium wäre überwiegend<br />
Lebensbezug, der dem<br />
heutigen Schulcurriculum erfolgreich<br />
abgesprochen werden<br />
kann.<br />
Der moderne Staat hat demgegenüber<br />
von Anfang an eine<br />
paternale Schulverfassung angestrebt,<br />
also zu bestimmen übernommen,<br />
was schulische Bildung<br />
ausmacht und was nicht. Gegenüber<br />
den staatlichen Lehrplänen<br />
und Lehrmitteln gab es nie die<br />
Freiheit von Kunden, die selbst<br />
definieren würden, was sie als<br />
„Bildung” nachfragen. Das Prinzip<br />
war nicht „Nachfrage”, sondern<br />
staatliche Vorschrift.<br />
Ich werde im Folgenden zunächst<br />
den Prozess der Verstaatlichung<br />
der Bildung skizzieren.<br />
In einem zweiten Schritt<br />
beschreibe ich die Alternative<br />
und gebe einen Problemaufriss,<br />
was heute als School Choice,<br />
Freiheit der Schulwahl, verstanden<br />
wird. Danach zeige ich anhand<br />
historischer Studien, dass<br />
die Effekte staatlicher Schulentwicklung<br />
nutzbringend und nicht<br />
nur negativ verstanden werden<br />
dürfen. Abschliessend […] gebe<br />
ich einen kurzen Ausblick auf die<br />
Entwicklung der öffentlichen Bildung.<br />
2. Verstaatlichung als<br />
Beseitigung privater<br />
Konkurrenz<br />
Im 19. Jahrhundert wurde in der<br />
Schweiz wie in anderen europäi-
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 23<br />
schen Ländern die allgemeine,<br />
staatlich unterhaltene Volksschule<br />
aufgebaut, nachdem man<br />
erkannt hatte, dass gleiche Bildung<br />
für alle zur Staatsaufgabe<br />
gehört. Während aber Verschulung,<br />
gerade im Elementarbereich,<br />
zu Beginn ohne Privatanbieter<br />
unmöglich war, gingen<br />
diese am Ende des 19. Jahrhundert<br />
ein, da der Staat für Anforderungen<br />
und Ausstattungen der<br />
öffentlichen Schulen sorgte, die<br />
jede vorhandene Konkurrenz<br />
überforderte. […]<br />
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
gab es erneut eine Gründungswelle<br />
von Privatschulen, die wesentlicher<br />
professioneller und<br />
marketingbewusster verlief als<br />
die individuellen Gründungen des<br />
19. Jahrhunderts. Im deutschen<br />
Sprachraum hiessen diese<br />
Schulen „Landerziehungsheime“<br />
und stellten eine eigene Marke<br />
dar. Das Produkt nutzte eine<br />
kritische Stimmung vor allem von<br />
unzufriedenen Eltern, die mit<br />
dem staatlichen Angebot insbesondere<br />
im Bereich der Höheren<br />
Bildung nicht einverstanden waren.<br />
Sie wollten sich die Bildung<br />
aussuchen, die sie für ihre Kinder<br />
als geeignet ansahen. […]<br />
Ende der zwanziger Jahre waren<br />
es hunderte von Schulen für sehr<br />
verschiedene Bildungsbedürfnisse,<br />
die eine regelrechte Produktpalette<br />
darstellten. Aber es waren<br />
Nischenprodukte, die wohl<br />
ihren eigenen, bis heute anhaltenden<br />
Nimbus aufbauten – man<br />
denke an die Steiner-Schulen –,<br />
die aber nie eine Konkurrenz zur<br />
staatlichen Bildungsversorgung<br />
darstellten. Die Träger waren<br />
junge, oft enthusiastische Bildungsunternehmer,<br />
die mit grossem<br />
öffentlichem Beifall rechnen<br />
konnten, ohne sich in irgendeinem<br />
nennenswerten Massstab<br />
durchsetzen zu können. Die kostenlose<br />
Bildungsversorgung aus<br />
Steuermitteln war weitaus attraktiver,<br />
zudem stieg die Qualität<br />
der öffentlichen Schulen, verbesserte<br />
sich die Verwertbarkeit der<br />
Abschlüsse und gewöhnte sich<br />
die Gesellschaft an ein paternales<br />
System, das vorschreibt und<br />
einklagt, was öffentliche Bildung<br />
sein soll.<br />
Diese historische Erfahrung ist<br />
grundlegend: Nur öffentliche<br />
Schulen waren imstande, für<br />
einen gleich bleibenden Anstieg<br />
der Bildungsqualität zu sorgen,<br />
ohne grössere Schwankungen in<br />
Kauf zu nehmen, mit wachsenden<br />
Budgetsicherheiten und<br />
spätestens seit Ende des 19.<br />
Jahrhunderts als gesellschaftlich<br />
akzeptierte Institution.<br />
Diese Gewähr scheint zu Ende<br />
zu gehen, wenn nicht die reale<br />
Schulentwicklung betrachtet wird,<br />
sondern Expertendiskussionen,<br />
die Argumente und Daten für<br />
einen Systemwechsel bereitstellen.<br />
Der Ansatzpunkt ist ein ökonomischer<br />
Verdacht: Wer immer<br />
mehr Geld für Bildung verlangt,<br />
erzeugt keine höhere Qualität<br />
und erst recht keinen Wandel<br />
des Systems, sondern immer<br />
more of the same. Investitionen<br />
in öffentliche Bildung sind daher<br />
gleichbedeutend mit Verschwendung,<br />
weil sie ein Fass ohne<br />
Boden beträfen, das nur ein Interesse<br />
habe, nämlich die Zufuhr<br />
öffentlicher Gelder unkontrolliert<br />
zu halten und zu steigern (HA-<br />
NUSHEK 1981).<br />
Der Ausgangspunkt dieser Diskussion<br />
sind amerikanische Krisenszenarien,<br />
in denen der ständige<br />
Niedergang der Bildungsleistungen<br />
mit der ständigen Erhöhung<br />
der zur Verfügung gestellten<br />
öffentlichen Mittel konfrontiert<br />
wurde. Diese Diskussion führt die<br />
amerikanische Öffentlichkeit seit<br />
Mitte des 19. Jahrhunderts periodisch,<br />
ohne die zentralen Dualismen<br />
auflösen zu können. Die<br />
letzte grosse Diskussion begann<br />
in den frühen achtziger Jahren<br />
des 20. Jahrhunderts und erreichte<br />
zehn Jahre später einen<br />
ersten Höhepunkt, als die Geduld<br />
mit schlechten staatlichen Schulen<br />
zu Ende zu gehen schien.<br />
1990 erschien eine sehr einflussreiche<br />
Publikation, die den provozierenden<br />
Titel trug: Politics,<br />
Markets, and America’s Schools<br />
(CHUBB/MOE 1990).<br />
Unmittelbar nach Erscheinen war<br />
das Buch der Mittelpunkt einer<br />
aufgeregten Diskussion, die mit<br />
ihren wesentlichen Argumenten<br />
inzwischen auch Kontinentaleuropa<br />
erreicht hat. Die Thesen des<br />
Buches beziehen sich auf einen<br />
Negativbefund:<br />
Die amerikanischen Schulen<br />
sind über Gebühr bürokratisch<br />
und über Gebühr politisch<br />
(ebd., S. 26).<br />
Sie legen fest, was und wie<br />
gelernt werden soll, ohne dabei<br />
Abnehmerinteressen in<br />
Rechnung stellen zu müssen,<br />
und sie entschieden darüber<br />
mit politischer Macht, die die<br />
Freiheit sowohl der Eltern als<br />
auch der Kinder massiv einschränkt.<br />
Eltern und Kinder – also die<br />
Kunden des Systems – haben<br />
keine Mitsprache bei der Gestaltung<br />
der Lehrpläne, entscheiden<br />
nicht über die Lehrmittel,<br />
haben kaum Einflussnahme<br />
auf Lehreranstellungen<br />
und können vor allem<br />
auch nicht wählen, welche<br />
Schule für sie in Frage kommt<br />
und welche nicht.<br />
Sie entscheiden daher nicht<br />
nach Angebot, sondern bekommen<br />
Bildung zugeteilt.<br />
Bürokratie regelt möglichst gleich<br />
und begrenzt die Unterschiede.<br />
Weil aber Schulen nur dann gut<br />
sind, wenn sie einzigartig sind,<br />
schliessen CHUBB und MOE,<br />
dürfen und können sie nicht politisch<br />
verwaltet werden.<br />
„Bureaucracy is a clumsy and<br />
ineffective way of providing<br />
people with educational services”<br />
(ebd.).<br />
Die Bürokratie diene den politischen<br />
Zielen, für die sie eingesetzt<br />
wurde. Die amerikanische<br />
progressive Bewegung, also die<br />
liberale Politik der Demokraten<br />
und ihrer Interessengruppen,<br />
habe auf diesem schulpolitischen<br />
Wege ihre Macht zementiert und<br />
so andere von der Beteiligung<br />
ausgeschlossen. Diese Theorie<br />
ist grundlegend, um zu verstehen,<br />
warum Bildungsmärkte eine
24 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Alternative sein sollen. Bestimmte<br />
Gruppen, die die politische<br />
Macht mindestens der Aufsicht<br />
über die staatlichen Schulen<br />
besitzen, hätten es geschafft,<br />
der Mehrheit ihre Werte als die<br />
Werte der „richtigen” Erziehung<br />
zu verkaufen, ohne den einzelnen<br />
Eltern und Schülern die<br />
Wahl zu lassen, sich die Erziehung<br />
zu besorgen, die sie sich<br />
auch tatsächlich wünschen. Die<br />
Institutionen der demokratischen<br />
Kontrolle und das System öffentlicher<br />
Bildung als solches beeinträchtigten<br />
die Autonomie der<br />
Schulen und verhinderten, dass<br />
überhaupt unterschiedliche Angebote<br />
entstehen, zwischen denen<br />
freie Kunden (customers)<br />
wählen könnten (ebd., S. 47).<br />
Der damit gegebene Konflikt ist<br />
grundlegend für das Problem der<br />
freien Schulwahl:<br />
Sollen Eltern und Schüler,<br />
zusammengefasst als „Kunden”,<br />
frei über ihre Bildung<br />
bestimmen können<br />
Oder sollen staatliche Vorgaben<br />
regeln, was in Schulen<br />
für alle gleich unterrichtet<br />
wird<br />
Dieser Konflikt ist historisch neu,<br />
weil, wie gesagt, die Verstaatlichung<br />
der Schulen im 19. Jahrhundert<br />
die private Konkurrenz<br />
weitgehend 1 beseitigt oder zumindest<br />
marginalisiert und so die<br />
Systemfrage beruhigt hat. Nun<br />
wird der Konflikt zwischen Markt<br />
und Staat neu ins Spiel gebracht,<br />
vermutlich nicht zufällig nach<br />
1989, als die neoliberalen Positionen<br />
der Wirtschafts- und Bildungstheorie<br />
sich politisch geradezu<br />
im Weltmassstab bestätigt<br />
sehen konnten.<br />
Aber stellt sich eine Systemfrage,<br />
1 Das gilt für die konfessionellen Träger<br />
je nach Ausgang des Kulturkampfes im<br />
19. Jahrhundert. Wo starke staatliche<br />
Garantien (!) gewährt wurden, wie etwa<br />
in Frankreich, blieb ein beträchtlicher<br />
privater Sektor (allerdings fast ausschliesslich<br />
ein konfessioneller) bestehen.<br />
Regelrechte Schulunternehmer<br />
wie im 18. oder 19. Jahrhundert verschwanden<br />
dagegen sehr weitgehend<br />
(vgl. KERSTING 2002).<br />
wenn der historische Bildungszuwachs<br />
beträchtlich<br />
ist,<br />
die Versorgung weitgehend<br />
störungsfrei operiert,<br />
die Zufriedenheit historisch<br />
stark zugenommen hat<br />
und die Institution Schule<br />
tatsächlich jedermann erreicht<br />
Die Idee der Privatisierung der<br />
öffentlichen Schulen ist nie ganz<br />
verschwunden, wie ich an den<br />
radikalen Kritiken nachzuweisen<br />
versucht habe. Es war immer<br />
eine Provokation, Privatunternehmer<br />
der Bildung nicht in einer<br />
mehr oder weniger elenden<br />
Randrolle zu sehen, sondern ins<br />
Zentrum des Systems zu rücken,<br />
wo sie freilich nie waren, so dass<br />
es auch keine historischen Erfahrungen<br />
gibt, was eine Privatisierung<br />
oder mindestens eine<br />
Marktkonkurrenz auf dem heutigen<br />
Niveau der gesellschaftlichen<br />
Bildung bewirken würde.<br />
Die Diskussion wird von attraktiven<br />
Modellannahmen bestimmt,<br />
die seit etwa zehn Jahren auch in<br />
der Schweiz zunehmend Beachtung<br />
finden, vor allem aus<br />
Gründen der Grenzen staatlicher<br />
Bildungsfinanzierung.<br />
3. Alternativen zur<br />
staatlichen Schule<br />
Die grundlegenden Konzepte<br />
gehen auf einen Aufsatz zurück,<br />
den MILTON FRIEDMAN zuerst<br />
1955 veröffentlicht hatte und der<br />
The Role of Government in<br />
Education im Sinne der liberalen<br />
Ökonomie neu bestimmen sollte.<br />
2 FRIEDMAN hat dabei Ideen<br />
2 MILTON FRIEDMAN (geboren 1912),<br />
Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften<br />
(1972), ist Professor Emeritus<br />
of Economics der Universität von Chicago,<br />
an der von 1946 bis zu seiner<br />
Emeritierung 1977 lehrte. FRIEDMAN<br />
ist seitdem Senior Research Fellow der<br />
Hoover Institution an der Stanford University<br />
und des Paul Snowden Russell<br />
Distinguished Service . Er wurde mit<br />
dem Nobelpreis ausgezeichnet vor allem<br />
für seine Langzeitstudien und die<br />
damit verbundenen Geldtheorie (A Monetary<br />
History of the United States,<br />
1867-1960, verfasst zusammen mit<br />
ins Spiel gebracht, die sich erst<br />
heute nachhaltig auszuwirken<br />
beginnen, weltweit, nicht nur im<br />
Hinblick auf die bekanntlich hoch<br />
divergenten amerikanischen<br />
Schulverhältnisse. Unter dem<br />
Stichwort School Choice ist in<br />
den Vereinigten Staaten inzwischen<br />
eine regelrechte pädagogische<br />
Bewegung entstanden, 3<br />
die die Privatisierung des öffentlichen<br />
Schulwesens verfolgt und<br />
die staatlichen Lösungen des 19.<br />
Jahrhunderts für das historische<br />
überlebte Modell hält (COULSEN<br />
1999).<br />
FRIEDMAN ist der wesentliche<br />
Inspirator dieser Bewegung, die<br />
davon ausgeht, dass die öffentliche<br />
Bildung die Bedürfnisse ihrer<br />
Kunden zu berücksichtigen habe<br />
und dabei der Markt spielen<br />
müsse. Eine staatliche Bildungsversorgung<br />
wird abgelehnt, die<br />
Kunden sollen die Freiheit haben,<br />
sich das schulische Angebot<br />
zu wählen, das sie für ihre Kinder<br />
wünschen.<br />
FRIEDMAN bestreitet nicht die<br />
Notwendigkeit allgemeiner Bildung<br />
für alle, er ist in diesem<br />
Sinne auch nicht dagegen,<br />
öffentliche Gelder in Bildung zu<br />
investieren. Allerdings komme es<br />
sehr darauf an, wie der Gegenstand<br />
bestimmt werde. Grundlegend,<br />
so FRIEDMAN (1982, S.<br />
86ff.), sei zu unterscheiden zwischen<br />
der<br />
„general education for citizenship”,<br />
also der allgemeinen<br />
Bildung für künftige Bürgerinnen<br />
und Bürger,<br />
der Universitätsausbildung<br />
und der beruflichen Bildung<br />
(vocational and professional<br />
schooling) zu (ebd., S. 98ff.,<br />
100ff.).<br />
ANNA SCHWARTZ, 1963). Der Aufsatz<br />
„The Role of Government in Education“<br />
(1955) ist das sechste Kapitel von Capitalism<br />
and Freedom (FRIEDMAN 1982,<br />
S. 85-107). (Vgl. zum Kontext der neoliberalen<br />
Pädagogik: OSTERWALDER<br />
2003).<br />
3 School Choices:<br />
http://www.schoolchoises.org/htm
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 25<br />
Die allgemeine Bildung auf Primar-<br />
und Sekundarniveau wird<br />
als öffentliche Aufgabe akzeptiert,<br />
anders sei ein gemeinsames<br />
Minimum für alle Kinder der<br />
Gesellschaft nicht zu garantieren<br />
(ebd., S. 86). Daraus könne aber<br />
nicht abgeleitet werden, alle<br />
(staatlichen) Schulen direkt und<br />
gleich zu subventionieren. Vielmehr<br />
müsse der öffentliche Aufwand<br />
in Kunden investiert werden,<br />
die selbst wählen können,<br />
welche Bildung sie im Rahmen<br />
der staatlichen Vorgaben für ihre<br />
Kinder wollen oder nicht wollen.<br />
Von FRIEDMAN stammt das<br />
grundlegende Konzept der „Bildungsgutscheine”<br />
(vouchers), 4<br />
deren Zweck es ist, die regierungsabhängige<br />
education industry<br />
aufzulösen und mit demokratischen<br />
Entscheiden deren<br />
Macht zu brechen.<br />
Die staatliche Unterstützung der<br />
öffentlichen Bildung wird getrennt<br />
von der Finanzierung der Institutionen,<br />
eine Idee, die heute zunehmenden<br />
Einfluss gewinnt:<br />
„Governments could require a<br />
minimum level of schooling financed<br />
by giving parents vouchers<br />
redeemable for a specified<br />
maximum sum per child per year<br />
if spent on ‘approved’ educational<br />
services. Parents would then<br />
be free to spend this sum and<br />
any additional sum they themselves<br />
provided on purchasing<br />
educational services from an<br />
‘approved’ institution of their own<br />
choice. The educational services<br />
could be rendered by private<br />
enterprises operated for profit, or<br />
by non-profit institutions. The role<br />
of the government would be limited<br />
to insuring that the schools<br />
met certain minimum standards,<br />
such as the inclusion of a minimum<br />
common content in their<br />
programs, much as it now inspects<br />
restaurants to insure that<br />
4 Die Idee, (armen) Eltern Steuermittel<br />
zur Verfügung zu stellen, damit sie<br />
nach freier Wahl in die Schulbildung<br />
ihrer Kinder investieren können, stammt<br />
von THOMAS PAINE (The Rights of<br />
Man, Part 2/Chapter 5).<br />
they maintain minimum sanitary<br />
standards” (ebd., S. 89).<br />
Der Schlüsselbegriff ist educational<br />
services: Bildung wird nicht<br />
länger als hoheitliches Gebot,<br />
sondern als Dienstleistung verstanden,<br />
die angeboten und abgerufen<br />
werden muss. Der Staat<br />
legt Minimalstandards fest, die<br />
oberhalb einer bestimmten Grenze<br />
individualisiert werden können.<br />
Das System der Bildungsgutscheine<br />
setzt Wettbewerb<br />
zwischen privaten und öffentlichen<br />
Anbietern frei, Eltern können<br />
die besten Schulen für ihre<br />
Kinder auswählen, wobei sie die<br />
öffentliche Finanzierung mit Bildungsgutscheinen<br />
beliebig durch<br />
eigenes privates Kapital ergänzen<br />
können.<br />
Der Markt der Anbieter ist nicht<br />
gänzlich frei, auch in der Bildungsdienstleistung<br />
müssen<br />
bestimmte Kriterien garantiert<br />
sein, die der Staat als Rahmen<br />
festlegt. Wer den Test besteht,<br />
erhält die staatliche Anerkennung<br />
und kann seine Leistungen auf<br />
dem Bildungsmarkt anbieten. Die<br />
Nachfrage entscheidet über den<br />
Erfolg, was auch impliziert, dass<br />
erfolglose – also: nicht nachgefragte<br />
– Schulen vom Markt verschwinden.<br />
Was bislang ausgeschlossen<br />
ist, wird durch diesen<br />
Vorschlag provoziert; Schulen<br />
auf Bildungsmärkten müssen<br />
Konkurs machen können.<br />
Das gilt für den obligatorischen<br />
Bereich. Die Freiheit geht nicht<br />
so weit, auch die Schulpflicht<br />
abwählen zu können. FRIED-<br />
MAN sieht die Notwendigkeit, mit<br />
verpflichtenden Programmen<br />
allgemeiner Bildung Bürgerinnen<br />
und Bürger auf die demokratische<br />
Gesellschaft vorzubereiten.<br />
Die öffentliche Finanzierung wird<br />
nicht angetastet, auch wenn die<br />
Nutzung der Bildungsprogramme<br />
im Blick auf die Steuerbelastung<br />
schon im Bereich der Allgemeinbildung<br />
nicht gleich ist. Die Steuerzahler<br />
profitieren ungleich von<br />
den Bildungsangeboten, wer<br />
mehr Steuern zahlt, erhält nicht<br />
automatisch mehr Gegenwert an<br />
Bildung. Und Steuerzahler, die<br />
keine Kinder haben, profitieren<br />
vom schulischen Angebot höchstens<br />
indirekt, etwa dass Universitäten<br />
regelmässig Studenten<br />
erhalten, so dass die Forschungsqualität<br />
erhalten bleibt<br />
und gesellschaftliche Bereiche<br />
mit Know How versorgt werden.<br />
Wenn dieser ungleiche Nutzen<br />
aber in Kauf zu nehmen ist,<br />
muss, so FRIEDMAN, Kundenmacht<br />
durch Schulwahl freigesetzt<br />
werden. Diese Freisetzung<br />
würde das bisherige System sehr<br />
weitgehend verändern. Kinder<br />
könnten nicht mehr einfach nach<br />
festen Schulkreisen sortiert und<br />
einer bestimmten Schule zugeteilt<br />
werden, vielmehr hätten die<br />
Eltern oder die Erziehungsberechtigten<br />
die Wahl zwischen<br />
verschiedenen Schulen, die untereinander<br />
in Wettbewerb treten.<br />
Wer die stärkste Nachfrage provoziert,<br />
erhält die meisten Mittel;<br />
wer nur eine schwache Nachfrage<br />
auslöst, dem droht mit den<br />
ausbleibenden Mitteln Qualitätsverlust.<br />
Der Markt spielt: Alle<br />
Anbieter müssen sich anstrengen,<br />
niemand kann sicher sein,<br />
die einmal erreichte Nachfrage<br />
auf Dauer halten zu können.<br />
Höhere Bildung und Berufsbildung<br />
werden anders behandelt.<br />
Bei der Höheren Bildung werden<br />
staatliche Mittel, soweit sie zur<br />
Verfügung stehen, in Stipendien<br />
(scholarships) investiert, nicht in<br />
staatliche Colleges oder Universitäten,<br />
die den privaten Anbietern<br />
einen unfairen Wettbewerb<br />
aufzwingen (ebd., S.99/100). Die<br />
berufliche Bildung ist ganz Sache<br />
der privaten Investition, die je<br />
individuell bestimmen muss, mit<br />
welchem Aufwand sie welchen<br />
Nutzen erreichen will (ebd.,<br />
S. 101). Wenn dieser Markt noch<br />
nicht entwickelt ist, schreibt<br />
FRIEDMAN 1955, dann nur aus<br />
dem Grunde, weil die Staatsintervention<br />
zu gross ist (ebd.,<br />
S. 104). Wettbewerb wird verhindert,<br />
entsprechend werden Privilegien<br />
geschützt, die nur durch<br />
gezielte Investition oder durch<br />
wirkliche Kundenmacht heraus-
26 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
gefordert werden können (ebd.,<br />
S. 107).<br />
Diese Ideen:<br />
Reduktion der öffentlichen<br />
Bildung auf einen Kernbereich,<br />
Investition in Individuen und<br />
nicht in Institutionen,<br />
freie Wahl unter einem Angebot,<br />
das sich im Wettbewerb<br />
entwickelt<br />
dominieren die heutige Bildungsdiskussion,<br />
mindestens im angelsächsischen<br />
Bereich. Das ist<br />
auch in der Hinsicht erstaunlich,<br />
als kaum jemand FRIEDMANS<br />
Thesen zur Zeit ihrer Veröffentlichung<br />
beachtet hat. Keine einzige<br />
grössere Zeitschrift oder Zeitung<br />
hat FRIEDMANS Buch von<br />
1962 – Capitalism and Freedom<br />
– rezensiert. Der relative Verkaufserfolg<br />
als Longseller 5 spiegelt<br />
allmählich anwachsendes<br />
Interesse, während in den sechziger<br />
Jahren, nicht nur in den<br />
Vereinigten Staaten, die genau<br />
gegenteilige Politik angesagt<br />
war.<br />
Aber die staatliche Schulentwicklung<br />
scheint nur eine Erwartung<br />
wirklich zu bestätigen,<br />
nämlich dass mehr Mittel immer<br />
nur Gleiches erzeugen, und dies<br />
bei sinkenden Erträgen, wie etwa<br />
aus den PISA-Daten geschlossen<br />
werden könnte. Die Akzeptanz<br />
von FRIEDMANS Ideen<br />
setzt die Akzeptanz von radikaler<br />
Schulkritik voraus, aus der folgte,<br />
das System grundlegend ändern<br />
zu müssen, wenn wirklich Aufwand<br />
und Ertrag in einem kontrollierbaren<br />
Zusammenhang<br />
gesetzt werden sollen. Die Kritik<br />
geht von folgenden Tatbeständen<br />
aus:<br />
Staatliche Schulen sind unkontrollierbar<br />
teuer,<br />
5 Capitalism and Freedom verkaufte sich<br />
in mehr als 400’000 Exemplaren bis<br />
1980. 1980 erschien das Buch Free to<br />
Chose, das MILTON und ROSE<br />
FRIEDMAN verfassten; dieses Buch<br />
wurde allein im ersten Jahr des Erscheinens<br />
in 400’000 Hardcover-<br />
Versionen abgesetzt. Es entstand nach<br />
einer gleichnamigen Fernsehserie.<br />
die tatsächlichen Leistungen<br />
verschwinden hinter wohlmeinender<br />
Ideologie,<br />
weitere Investitionen in dieses<br />
System verbessern nur die<br />
Privilegien des Status Quo.<br />
Die Prämisse der Kritik ist Freiheit.<br />
„Freiheit von Kunden” ist<br />
eine abstrakte Grösse, die weder<br />
auf soziale und kulturelle noch<br />
auf gesellschaftliche Unterschiede<br />
achten muss. Kunden sind<br />
„Kunden”, weil sie sich, unabhängig<br />
davon, was sie selber<br />
ausmacht, für oder gegen Angebote<br />
entscheiden, also eine rationale<br />
Wahl treffen können.<br />
Das Hauptargument der Kritik<br />
bezieht sich auf die Macht der<br />
bürokratischen Organisation, die<br />
Freiheit behindert. Die Idee ist<br />
einfach: Alle staatlichen Anbieter<br />
müssten einem Wettbewerb ausgesetzt<br />
werden, also sich auf<br />
Bildungsmärkten bewähren, weil<br />
nur dadurch Entwicklungsanreize<br />
entstehen, die Monopole – auch<br />
Monopole pädagogischer Macht<br />
– ausschliessen. Die staatlichen<br />
Lehrpläne und Programme der<br />
Schulentwicklung, die im 19.<br />
Jahrhundert entstanden und im<br />
20. Jahrhundert weltweit etabliert<br />
wurden, sind de facto Monopole.<br />
Sie verletzen, wie FRIEDRICH<br />
AUGUST HAYEK 1960 6 schrieb,<br />
6 The Constitution of Liberty erschien im<br />
amerikanischen Original 1960. FRIED-<br />
RICH AUGUST VON HAYEK (1899-<br />
1992) war von 1927 bis 1931 Direktor<br />
des Oesterreichischen Instituts für Konjunkturforschung<br />
in Wien. HAYEK habilitierte<br />
sich 1929 in Politischer Ökonomie<br />
an der Universität Wien. Er wurde<br />
durch seine Prognose der Rezession<br />
1929 schnell bekannt und wurde 1931<br />
zum Tooke Professor of Economic<br />
Science an der London School of Economics<br />
and Political Science ernannt.<br />
HAYEK, seit 1938 englischer Staatsbürger,<br />
verliess die London School of<br />
Economics wegen eines Scheidungsprozesses.<br />
1950 erhielt er eine Stelle<br />
an der University of Chicago, wo er mit<br />
MILTON FRIEDMANS und GEORGE<br />
STIGLER zusammen arbeitete. HAYEK<br />
wurde 1962 auf eine Professur für Wirtschaftspolitik<br />
der Universität Freiburg/Breisgau<br />
berufen, die er bis 1967<br />
versah. Er erhielt 1974, mit GUNNAR<br />
MYRDAL, also seinem Hauptopponenten,<br />
den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften.<br />
die „Mannigfaltigkeit” (HAYEK<br />
1971, S. 466) und beeinträchtigen<br />
die individuelle Freiheit. Es<br />
könnte sich bald herausstellen,<br />
so HAYEK,<br />
„dass die Lösung darin liegen<br />
wird, dass die Regierung nicht<br />
mehr der Hauptträger der Erziehung,<br />
sondern der unparteiische<br />
Beschützer des Einzelnen gegen<br />
jede Verwendung” der pädagogischen<br />
Macht, also der politischen<br />
Bürokratie, werden muss (ebd.,<br />
S. 467).<br />
Für die praktischen Lösungen<br />
verweist HAYEK auf FRIED-<br />
MANS Aufsatz aus dem Jahre<br />
1955, also auf Bildungsgutscheine,<br />
private Darlehen zur Finanzierung<br />
höherer Bildung und<br />
hinreichende Selektivität des<br />
Bildungssystems (ebd.,<br />
S. 467ff.). Theoretisch verschärft<br />
HAYEK die Spannung zwischen<br />
Gleichheit (equality) und Qualität<br />
(excellence), indem er darauf<br />
hinweist, dass nur staatliche<br />
Reglementierung, die Zufälle<br />
ausschalten soll, für Chancengleichheit<br />
sorgen kann, 7 also die<br />
Illusion weckt, alle würden „mit<br />
denselben Aussichten beginnen”<br />
(ebd., S. 472), während der Erfolg<br />
selbst gesucht und geschaffen<br />
werden muss, so dass in<br />
jedem System Gewinner und<br />
Verlierer erzeugt werden, die<br />
vorher wissen müssen, welche<br />
Risiken sie eingehen. Ausschalten<br />
kann man diese kompetitive<br />
Selektivität nur dadurch,<br />
„dass „manchen Möglichkeiten<br />
genommen werden, die nicht<br />
7 „Der dem Verlangen nach ‘sozialer<br />
Gerechtigkeit’ zugrunde liegende<br />
Wunsch, die Wirkungen des Zufalls<br />
auszuschalten, kann auf dem Gebiet<br />
der Erziehung ebenso wie überall sonst<br />
nur erfüllt werden, wenn alle jene Gelegenheiten<br />
ausgeschlossen werden, die<br />
nicht der bewussten Regelung unterworfen<br />
sind. Aber die Entwicklung der<br />
Zivilisation beruht grösstenteils darauf,<br />
dass die Einzelnen von den ihnen begegnenden<br />
Zufälligkeiten und den im<br />
wesentlichen unvoraussagbaren Vorteilen,<br />
die ihnen ein bestimmtes Wissen in<br />
neuen Verhältnissen über andere<br />
geben wird, den besten Gebrauch zu<br />
machen” (HAYEK 1971, S. 471).
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 27<br />
allen geboten werden können.<br />
Während wir wünschen, dass<br />
jedermanns Gelegenheiten so<br />
gross wie nur möglich seien,<br />
würden wir sicherlich die Möglichkeiten<br />
der meisten verringern,<br />
wenn wir verhindern wollten,<br />
dass sie grösser sind als die der<br />
weniger Begünstigten” (ebd.).<br />
Das Problem ist nicht, folgen wir<br />
HAYEK, durch standardisierte<br />
Leistungskontrollen lösbar, weil<br />
dann alle in Frage kommenden<br />
Personen einem Test unterworfen<br />
werden müssten, der seinerseits<br />
nur eine bestimmte Sichtweise<br />
von „Leistung” zum Ausdruck<br />
bringen kann. Die Selektivität<br />
wäre eine staatlich kontrollierte,<br />
die nicht mehr Gerechtigkeit<br />
erzeugt als der Verzicht auf<br />
Selektivität. Beides sind gleich<br />
schlechte Mittel, weil sie individuelle<br />
Unterschiede entweder<br />
nicht zulassen oder nicht genügend<br />
honorieren, während Individuen<br />
lernen und so die Unterschiede<br />
selbst erzeugen. Kein<br />
System kann ihre Fähigkeit objektiv<br />
nachweisen oder bestimmen,<br />
jeder Versuch führt nur<br />
dazu, zufällige Kategoriensysteme<br />
mit Selektionsmacht zu versehen,<br />
ohne Entscheide wirklich<br />
absichern zu können. Sie bleiben<br />
subjektiv und beliebig. 8<br />
8 „Die Forderung, dass die Ausbildung nur<br />
jenen gegeben werden soll, deren Fähigkeit<br />
erwiesen ist, führt zu einer<br />
Situation, in der die ganze Bevölkerung<br />
nach einem objektiven Test eingestuft<br />
wird und in der über die Frage, was für<br />
Personen sich für die Vorteile einer höheren<br />
Ausbildung eignen, nur eine Meinung<br />
massgebend ist. Das bedeutet<br />
eine offizielle Einstufung der Menschen<br />
in eine Rangliste mit dem bescheinigten<br />
Genie auf der obersten Stufe und dem<br />
bescheinigten Dummkopf auf der untersten<br />
– eine Rangliste, die dadurch<br />
noch schlimmer wird, dass sie angeblich<br />
‘Verdienst’ ausdrückt und den Zugang<br />
zu den Möglichkeiten bestimmen<br />
wird, bei denen sich der Wert zeigen<br />
kann. Wo die ausschliessliche Stützung<br />
auf ein staatliches Erziehungssystem<br />
‘sozialer Gerechtigkeit’ dienen soll, wird<br />
über die Frage, worin eine höhere Ausbildung<br />
besteht - und daher auch, welche<br />
Fähigkeiten dazu berechtigen -,<br />
eine einzige Ansicht allgemein massgebend<br />
sein und die Tatsache, dass<br />
jemand eine höhere Ausbildung genossen<br />
hat, wird als Beweis angesehen,<br />
Der Ausweg könne nur ein persönlich<br />
verantworteter Wettbewerb<br />
sein, in dem die Ausbildungschancen<br />
und die Ausbildungsrisiken<br />
nicht staatlich verteilt<br />
bzw. staatlich ausgeschlossen,<br />
sondern individuell ausgetragen<br />
werden. Was allerdings<br />
genau „Bildungswettbewerb”<br />
heisst, wird nicht gesagt, insbesondere<br />
wird nicht auf die Risiken<br />
dieses Vorschlages hingewiesen.<br />
Die Kritik an den staatlichen<br />
Schulen ist stark, die Abwägung<br />
der Folgen der eigenen<br />
Vorschläge schwach. Wesentlich<br />
mehr als die Logik der Freiheit,<br />
um MICHAEL POLANYI (1951)<br />
zu zitieren, ist den Argumenten<br />
nicht zu entnehmen, zumal sie<br />
entschlossen ignorieren, was die<br />
Schulentwicklung im 19. und 20.<br />
Jahrhundert tatsächlich bestimmt<br />
hat.<br />
Bildungsmärkte sind so gesehen<br />
ahistorische Vorschläge, die für<br />
einen radikalen Systemwechsel<br />
plädieren, ohne den Misserfolg<br />
des abgelehnten Systems hinreichend<br />
unter Beweis gestellt zu<br />
haben. Die Idee, Bildungsmärkte<br />
könnten für bessere Lösungen<br />
sorgen als staatliche Schulen,<br />
setzt voraus, dass die bisherigen<br />
Lösungen schlecht gewesen sind<br />
oder wenigstens ihren Optimierungszenit<br />
überschritten haben.<br />
Das würde historische Studien<br />
verlangen, die nachweisen könnten,<br />
staatliche Schulentwicklungen<br />
wären uneffektiv, ungerecht<br />
und sorgten mit ihren Nivellierungseffekten<br />
tatsächlich für eine<br />
schädigende Beschränkung der<br />
menschlichen Freiheit. Studien<br />
mit einem solchen Ergebnis liegen<br />
nicht vor.<br />
Die Effekte staatlicher Entwicklungspolitik<br />
sind für viele Länder<br />
das Vorbild rationaler Schulorganisation;<br />
sie sind nie nur negativ.<br />
Das zeigt sich auch in den Vereinigten<br />
Staaten, und es ist an sich<br />
erstaunlich, dass Autoren wie<br />
Milton Friedman diese Effekte<br />
dass er sie ‘verdient’ hat” (HAYEK<br />
1971, S. 473).<br />
nicht sehen oder nicht ernst<br />
nehmen.<br />
4. Effekte staatlicher<br />
Schulpolitik<br />
Lehrpläne, Lehrmittel, Lehrerstellen,<br />
der Apparat der Schule,<br />
seine geschützte staatliche Stellung<br />
und seine hoheitliche Verfassung<br />
definierten ein in vieler<br />
Hinsicht autonomes System, das<br />
sich der ökonomischen Logik der<br />
Freiheit entzog, weil nicht Individuen,<br />
sondern Institutionen gefördert<br />
wurden. Irgendein Nachweis,<br />
dass damit nur Schaden<br />
angerichtet wurde, steht historisch<br />
aus. Das gilt auch und gerade<br />
für die amerikanische<br />
Schulentwicklung, die nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg, als FRIED-<br />
MAN und HAYEK ihre Konzepte<br />
entwickelten, einen Modernisierungsschub<br />
erlebte, der imstande<br />
war, die gravierenden Unterschiede<br />
zwischen Stadt und<br />
Land und damit teilweise auch<br />
zwischen Arm und Reich wenn<br />
nicht auszugleichen, so doch zu<br />
minimieren.<br />
Insbesondere im weniger entwickelten<br />
Süden der Vereinigten<br />
Staaten hatten ländliche Schulen<br />
noch vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
oft nur einen einzigen Raum zur<br />
Verfügung, waren karg und primitiv<br />
ausgestattet, mussten oft Absenzen<br />
von Schülerinnen und<br />
Schülern, die zur Feldarbeit eingesetzt<br />
wurden, in Kauf nehmen,<br />
waren zudem lokalen Regeln der<br />
Geschlechter- und Rassentrennung<br />
ausgesetzt und sollten vielfach<br />
bewusst keine grösseren<br />
Entwicklungschancen erhalten<br />
(ZILVERSMIT 1993, S. 26). Man<br />
sieht die Retardierung durch eine<br />
nur knapp elementarisierende<br />
Schule, der jeder Anschluss an<br />
Höhere Bildung verweigert war.<br />
Grössere Investitionen wurden<br />
nicht getätigt, andere als staatliche<br />
Anbieter 9 standen nicht zur<br />
Verfügung. Kein Privatunternehmer<br />
wäre auf die Idee gekom-<br />
9 „Staatlich” verstanden im Blick auf<br />
lokale, öffentlich kontrollierte Schulbezirke.
28 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
men, hier zu investieren, selbst<br />
wenn es möglich gewesen wäre,<br />
in solche Bildungsmärkte zu investieren.<br />
Bildungsmärkte entstehen nur<br />
dann, wenn zuvor eine kontinuierliche<br />
und erfolgreiche staatliche<br />
Entwicklungspolitik stattgefunden<br />
hat.<br />
Bildungsmärkte setzen ein<br />
qualitativ anspruchsvolles<br />
Schulsystem voraus, damit<br />
zugleich die Gewöhnung des<br />
Publikums an Standards der<br />
Verschulung, die nicht unterschritten<br />
werden dürfen.<br />
Erst von einem bestimmten,<br />
nicht zu tiefen Niveau an werden<br />
private Investitionen<br />
überhaupt erst angereizt, wobei<br />
niemand genau sagen<br />
kann, ab wann sie sich lohnen.<br />
Auf jeden Fall sollen die historischen<br />
Leistungen des<br />
Staates nicht abgegolten<br />
werden. Das Konzept der Bildungsmärkte<br />
setzt sie voraus,<br />
deutlich als Kalkulationsvorteil.<br />
[…]<br />
Die neoliberale Schulkritik der<br />
fünfziger Jahre, das lässt sich<br />
zusammenfassend sagen,<br />
nahm weder Rücksicht auf<br />
zeitgenössische Projekte, die<br />
bestimmte ihrer Anliegen unterstützten,<br />
ohne gleich einen<br />
Systemwechsel in Richtung<br />
Bildungsmärkte herbeiführen<br />
zu wollen,<br />
noch auf die Geschichte des<br />
Feldes, die gezeigt hätte,<br />
dass einzig staatliche Investitionen<br />
für eine in der Breite<br />
nennenswerte Schulentwicklung<br />
sorgen konnten.<br />
Das Schulsystem lernte im 19.<br />
Jahrhundert, eigene Standards<br />
der Effektivität auszubilden, die<br />
allmählich – wenngleich nie völlig<br />
– den Möglichkeiten und Bedürfnissen<br />
von Schülerinnen und<br />
Schülern angenähert wurden,<br />
ohne den Anspruch allgemeiner<br />
und in einem hohen Minimum<br />
gleichen Bildung für alle preiszugeben.<br />
Die Schulqualität verbesserte<br />
sich auf diesem Wege, mit<br />
grossen Anstrengungen und<br />
zunehmenden Erfolgen.<br />
Faire Leistungsbilanzen, die mit<br />
der Geschichte des Systems<br />
rechnen, spielen in der neoliberalen<br />
Kritik der Staatsschule<br />
keine Rolle. Sie ist fixiert auf den<br />
Gegensatz von staatlicher Bürokratie,<br />
die in toto als uneffektiv<br />
dargestellt wird, und „market<br />
settings”, die ebenso pauschal<br />
als effizient angepriesen werden.<br />
JOHN CHUBB und TERRY MOE<br />
beschreiben diesen Gegensatz<br />
wie folgt: Der allgemeinste Grund<br />
für die Überlegenheit des Marktsystems<br />
ergibt sich daraus, dass<br />
Marktkräfte den Besitzern privater<br />
Schulen starke Anreize (incentives)<br />
geben, bürokratische<br />
Organisationen zu vermeiden<br />
und stattdessen die eigene Autonomie<br />
zu befördern<br />
(CHUBB/MOE 1990, S. 51).<br />
Aber Schulen sind keine „bürokratischen<br />
Organisationen”, die<br />
sich an untauglichen Problemen<br />
abarbeiten, unfähig sind, effektiv<br />
zu arbeiten und letztlich an der<br />
eigenen Organisation scheitern.<br />
Wie immer man Schulen beschreiben<br />
will, man kommt nicht<br />
an der Tatsache vorbei, dass sie<br />
kollegial verfasst sind, also<br />
wenn überhaupt, dann nur eine<br />
flache Hierarchie ausbilden,<br />
mit Noten und Patenten einen<br />
Output nachweisen,<br />
die staatlichen Standards<br />
weder beliebig unterschreiten<br />
noch ignorieren können<br />
und der historische Beweis für<br />
ihre Uneffektivität fehlt.<br />
Warum haben dann aber Argumente<br />
für Bildungsmärkte heute<br />
so eine eigentümliche Attraktivität<br />
Zunächst verwendet auch<br />
die Kritik an Marktorientierungen<br />
wesentlich ein utilitäres Argument.<br />
Nutzerwägungen und Effizienzforderungen<br />
sind unausweichlich.<br />
Das war allerdings, um<br />
es zu wiederholen, historisch nie<br />
anders; wesentliche Massnahmen<br />
zur Schulentwicklung galten<br />
immer der Verbesserung der<br />
Effektivität von Schulen. Nur sind<br />
die Massnahmen nicht lediglich,<br />
wie in der neo-liberalen Bildungstheorie,<br />
auf den individuellen,<br />
sondern auf einen kollektiven<br />
Nutzen hin berechnet worden.<br />
Das Carnegie-Projekt von 1951 10<br />
sollte demokratischen Zielen und<br />
so einem politischen Nutzen<br />
dienen, der Bildung deutlich als<br />
common good, als gemeinsames<br />
Gut oder Gut der Gemeinschaft,<br />
verstand. Der Nutzen für Demokratie<br />
und in dieser Hinsicht auch<br />
für Freiheit lässt sich aber kaum<br />
nach Einkommensgewinnen oder<br />
-verlusten berechnen, die irgendwie<br />
mit Bildungskarrieren in<br />
Verbindung gebracht werden<br />
(KAHNE 1996, S. 99ff.).<br />
Die Human-Capital-Theorie hat<br />
hier klare Grenzen, weil der<br />
Zweck der Verschulung nicht<br />
lediglich individueller Nutzen ist,<br />
sondern immer ein common<br />
good – Nutzen für das Allgemeinwohl<br />
– ins Spiel gebracht<br />
wird. Anders wäre Bildung überhaupt<br />
frei zu stellen, was den<br />
Rückzug des Staates zur Folge<br />
hätte, der dann jegliches Interesse<br />
verlieren würde, ob und wie<br />
künftige Bürgerinnen und Bürger<br />
imstande sind, öffentliche Geschäfte<br />
zu verstehen oder nicht.<br />
So weit gehen gerade Autoren<br />
wie MILTON FRIEDMAN nicht;<br />
sie betonen deutlich ausserökonomische<br />
Kriterien öffentlicher<br />
Bildung, die einzig imstande sind,<br />
die allgemeine Schulpflicht zu<br />
rechtfertigen. Anders liesse sich<br />
Bildung im Übrigen auch nicht<br />
begrenzen, weil alles, was irgendwie<br />
mit kognitiven oder ästhetischen<br />
Ansprüchen zu tun<br />
hat, „Bildung” genannt werden<br />
kann.<br />
10 Das Citizen Education Project, das<br />
vom Teachers College der Columbia<br />
University in New York lanciert wurde<br />
und 1951 von der Carnegie Corporation<br />
eine Unterstützung von mehr als einer<br />
Million Dollar erhielt, sollte zur Freiheit<br />
erziehen und die amerikanischen Werte<br />
persönlicher Autonomie und demokratischer<br />
Verfassung sollten gegen die<br />
kommunistische Herausforderung verteidigt<br />
werden.
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 29<br />
Die Freiheit der Schulwahl führt<br />
sofort zur Frage, was Eltern entscheiden<br />
sollen und können,<br />
wenn sie die „beste Bildung für<br />
ihr Kind” wählen. In einem nennenswerten<br />
Sinne könnte überhaupt<br />
nur dann gewählt werden,<br />
wenn es zwischen den Schulen<br />
grosse und erkennbare Unterschiede<br />
im Angebot gäbe. Aber<br />
öffentliche Schulen vollziehen<br />
identische Aufträge und sind im<br />
Blick auf ihre Angebote keineswegs<br />
„autonom”. Wenn sich<br />
Qualität der Schulen unterscheidet,<br />
was zu erwarten ist, würde<br />
das nicht dazu berechtigen, die<br />
schlechtere Schule zu benachteiligen,<br />
was eine freigesetzte<br />
Schulwahl, die Ranglisten von<br />
„gut” und “schlecht” zur Verfügung<br />
hat, sofort bewirken würde.<br />
Die schlechtere Schule erfüllt<br />
keinen anderen Auftrag als die<br />
bessere. Evaluationsdaten, die<br />
auf eine schlechtere Qualität<br />
verweisen, können also, angesichts<br />
des gemeinsamen Auftrages,<br />
nur der Anlass sein, für Verbesserungen<br />
zu sorgen. Schwächen<br />
müssen ausgeglichen werden,<br />
während das Marktmodell<br />
den Verlust der Lizenz vorsieht,<br />
wenn eine minimale Nachfrage<br />
unterschritten wird.<br />
Das hätte zwei missliche Konsequenzen:<br />
Bei gleicher Gesamtschülerzahl<br />
müssten stark nachgefragte<br />
Schulen einen Numerus<br />
Clausus einführen, der ihre Qualität<br />
schützen soll und dadurch<br />
andere Anbieter benachteiligt;<br />
gleichzeitig begrenzt die Finanzierung<br />
durch Nachfrage diesen<br />
Selbstschutz, weil die Mittel nach<br />
dem Schüleraufkommen und so<br />
den Elternwahlen verteilt werden.<br />
Gute Schulen würden sich durch<br />
einen strikten Numerus Clausus<br />
schützen und schädigen:<br />
Wenn sie ihre Schülerzahl<br />
begrenzen, verzichten sie auf<br />
Mittel, die aus ihrer Attraktivität<br />
für Eltern erwachsen;<br />
wenn sie die Schülerzahl mit<br />
der Nachfrage ausweiten, bedrohen<br />
sie ihre Qualität, die<br />
der Grund ist für die Nachfrage.<br />
Gerade einzelne, erfolgreiche<br />
Schulen kommen also in Schwierigkeiten,<br />
wenn wirklich die Elternwahl<br />
freigesetzt wird und die<br />
Wahl sich nach Rangskalen von<br />
„gut” und „schlecht” ausrichten.<br />
5. Ausblick auf die Entwicklung<br />
der öffentlichen Bildung<br />
[…] Die Idee der freien Schulwahl<br />
und der Einführung von<br />
Bildungsgutscheinen ist, wenigstens<br />
in der Literatur, populärer<br />
denn je. Sie hat, ohne grosse<br />
Untersuchung der gescheiterten<br />
amerikanischen Kampagnen, die<br />
Schweiz erreicht, mit Argumenten,<br />
die sämtlich auf HAYEK und<br />
FRIEDMAN zurückzuführen sind<br />
und die erneut der Schlüsselfrage<br />
ausweichen, ob und wenn ja,<br />
wie öffentliche Güter mit Marktmodellen<br />
in Verbindung gebracht<br />
werden können, ohne dass die<br />
allgemeine Bildung der Bürgerinnen<br />
und Bürger einen Schaden<br />
erleidet. Der Markt müsste es<br />
besser machen, aber das liesse<br />
sich erst nach der Systementscheidung<br />
feststellen. Wer diesen<br />
Wechsel ernsthaft wünscht,<br />
muss eine Risikoanalyse in Auftrag<br />
geben.<br />
Freilich, eine weitreichende Privatisierung<br />
des Bildungssystems<br />
hat bislang in den Vereinigten<br />
Staaten ebenso wenig stattgefunden<br />
wie die komplette Umstellung<br />
der Bildungsfinanzierung<br />
auf Vouchers (so noch eine starke<br />
Programmatik am Ende der<br />
REAGAN-Administration: LIE-<br />
BERMAN 1989). Auf der anderen<br />
Seite werden die öffentlichen<br />
Haushalte eng, die Mittel verknappen<br />
sich, das Bildungssystem<br />
kann nicht ewig mit Zuwachs<br />
rechnen. Die staatliche<br />
Finanzierung, wie immer sie organisiert<br />
werden mag, kann nicht<br />
jeden irgendwie berechtigten<br />
Bildungswunsch unterstützen,<br />
sondern muss sich auf Kernaufgaben<br />
beschränken, was deswegen<br />
schwer fällt, weil sich die<br />
eigentlichen „Kunden” des Bildungssystems,<br />
also die Schüler,<br />
längst daran gewöhnt haben,<br />
eine Shopping Mall vor sich zu<br />
sehen (so die Kritik Mitte der<br />
achtziger Jahre: PO-<br />
WELL/FERRAR/COHEN 1985).<br />
Die neuere theoretische Kritik an<br />
Marktmodellen in der Bildung<br />
greift auf die klassische Nationalökonomie<br />
zurück 11 und minimiert<br />
oder marginalisiert die beiden<br />
neoliberalen Alternativen,<br />
nämlich die Human-Capital- und<br />
die Rational-Choice-Theorie.<br />
Eine allgemeine Bildung, die an<br />
öffentlichen Gütern (public<br />
goods) orientiert ist, also die<br />
nicht einfach von Abschlüssen<br />
Gewinne erwartet, sondern von<br />
Lernen Effekte für Bürgerinnen<br />
und Bürger, lässt sich nicht<br />
marktförmig organisieren, weil<br />
und soweit Märkte nur Gewinne<br />
oder Verluste für Individuen –<br />
Personen oder Unternehmen –<br />
regeln (WINCH 1996, S. 110f.).<br />
Wer keine öffentlichen Güter<br />
anerkennt, kann auch keine öffentlichen<br />
Unternehmungen anerkennen<br />
und so aber auch keine<br />
öffentlichen Wahlen (STRET-<br />
TON/ORCHARD 1994). Allgemeinbildende<br />
Schulen sind aber<br />
nicht anders als mit öffentlichen<br />
Gütern zu begründen. Bedürfnisse<br />
von Kindern, die die Eltern<br />
definieren, sind kein hinreichender<br />
Grund, das bisherige System<br />
umzustellen, was umgekehrt<br />
aber auch nicht heissen kann,<br />
zwischen einzelnen Schulen<br />
gravierende Qualitätsunterschiede<br />
in Kauf nehmen zu müssen.<br />
Das Lernen muss nachweislich<br />
mit öffentlichen Gütern verknüpft<br />
werden, anders ist die exklusive<br />
Zuständigkeit der Schule ernsthaft<br />
bedroht. Die Grenzen der<br />
Marktmetapher (HENIG 1994)<br />
lassen sich nur empirisch zeigen,<br />
während auf der anderen Seite<br />
immer genügend kritisches Potential<br />
vorhanden ist, die tatsächlichen<br />
Leistungen der Schule,<br />
11 Gemeint ist der Teil III “Of the Expence<br />
of Public Works and public Institutions”<br />
im fünften Buch von ADAM<br />
SMITH’ The Wealth of Nations. Ich folge<br />
der Deutung von OSTERWALDER<br />
(1993)
30 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
weil über sie wenig bekannt ist,<br />
in Frage zu stellen. Effizienzfragen<br />
stellen sich also nicht nur<br />
negativ, sondern zugleich positiv.<br />
In Zukunft werden Schulen<br />
nachweisen müssen, was sie zur<br />
Festigung öffentlicher Güter beitragen<br />
und warum sie eine echte<br />
Marktorganisation nicht vertragen.<br />
Die Bildungspolitik der Zukunft<br />
wird sich vermutlich an der<br />
Frage entscheiden, ob die Schulen<br />
nach klar festgelegten Standards<br />
ihre Ressourcen effektiv<br />
einsetzen oder nicht. Das System<br />
ist zu teuer, um keine Kostenfragen<br />
aufzuwerfen (LE-<br />
VIN/MCEWAN 2001).<br />
Andererseits sind die Alternativen<br />
nur dann überzeugend,<br />
wenn bestimmte Zusammenhänge<br />
ausgeblendet werden. Elternwahlen<br />
sind immer Interessen<br />
geleitete Wahlen. Das Interesse<br />
am Wohl des eigenen Kindes<br />
wäre plötzlich für den Unterhalt<br />
von Schulen die dominante Grösse,<br />
die nicht garantieren könnte,<br />
dass andere als nur die Interessen<br />
für das eigene Kind die<br />
schulischen Angebote bestimmen.<br />
Das Wohl des eigenen<br />
Kindes geht mit Wertungen einher,<br />
die nicht nur individuell, sondern<br />
oft unvereinbar mit anderen<br />
Wertungen sind. Bildungsgutscheine<br />
sind eine überragende<br />
Forderung, der keine auch nur<br />
annähernde Praxis gegenübersteht<br />
(MANGOLD/OELKERS/<br />
RHYN 2000). Oft sind Vouchers<br />
nur andere Formen der Förderung<br />
von Bedürftigen, fast immer<br />
sind damit nur marginale Zahlen<br />
verbunden, vielfach entsprachen<br />
aber auch diese Versuche nicht<br />
den Erwartungen, weil freie<br />
Wahlen komplexe Entscheidungen<br />
verlangen, eine Transparenz,<br />
die fast nie gegeben ist,<br />
und einen Aufwand, der in keinem<br />
Verhältnis steht zum Ertrag.<br />
Modellrechnungen zeigen, dass<br />
sich das amerikanische Bildungssystem<br />
dramatisch verteuerte,<br />
würde wirklich flächendeckend<br />
die Bildungsfinanzierung<br />
auf Vouchers umgestellt. 12<br />
Nichts garantiert, dass sich dadurch<br />
die Wirksamkeit des Bildungssystems<br />
signifikant verbessern<br />
würde, zumal die Finanzierung<br />
der Bildung keinen Aufschluss<br />
darüber gibt, welche<br />
Effekte überhaupt erwartet werden.<br />
Schon die Frage, ab wann<br />
Freiheit so beschaffen ist, dass<br />
sie auch verantwortlich genutzt<br />
wird, lässt sich mit diesen Vorgaben<br />
kaum beantworten. Freiheit<br />
würde Bildung in einem bestimmten<br />
Minimum voraussetzen,<br />
über das nicht wiederum<br />
freiheitlich entschieden werden<br />
kann. Sollen entscheidungsfähige<br />
Kunden entstehen, müssen<br />
sie gebildet werden, ohne dabei<br />
wiederum nur „Kunden” sein zu<br />
können.<br />
Das vorgesehene Minimum der<br />
Bildung muss gleich vorhanden<br />
sein, also in allen sozialen Milieus<br />
und geographischen Räumen.<br />
Ein Bildungsmarkt wäre aus<br />
Gründen der Kundenkonzentration<br />
ausserstande, schwach besiedelte<br />
Gebiete zu bedienen,<br />
aber der Markt könnte auch nicht<br />
angemessen (fair) auf starke<br />
Ungleichverteilung von Elternressourcen<br />
reagieren. Die Reichen<br />
könnten weit mehr Zusatzinvestitionen<br />
aufbringen als die<br />
Armen und sich so die Schulen<br />
anmieten, die sie für ihre – und<br />
nur ihre – Kinder wünschen.<br />
Übertragen auf die Schweiz lässt<br />
sich sagen: Bislang liegen nur<br />
Modelldiskussionen vor, ernsthafte<br />
politische Initiativen gibt es<br />
derzeit nicht, wenngleich das<br />
Problem deutlich spürbar ist. Die<br />
Frage der Bildungsfinanzierung<br />
und so der Leistungserwartungen<br />
stellt sich unweigerlich. Und sie<br />
muss beantwortet werden, ohne<br />
sich auf die alten Sicherheiten<br />
zurückziehen zu können. Auf-<br />
12 Die Transportkosten würden dramatisch<br />
steigern, damit einhergehend der<br />
Versicherungs- und der Betreuungsaufwand,<br />
die Kosten für die Administration<br />
des neuen Systems, für unvorhergesehene<br />
Systemfehler, für Gerichtsprozesse<br />
usw. (Angaben nach LEVIN<br />
1998).<br />
wand und Ertrag müssen in ein<br />
transparentes Verhältnis gesetzt<br />
werden, was erklärt, warum Bildungsmonitoring<br />
und Schulevaluation<br />
zu zentralen Themen der<br />
Bildungspolitik geworden sind.<br />
Aber vermutlich stellt sich auf<br />
absehbare Zeit die Systemfrage<br />
– Staat oder Markt – nicht. Das<br />
gilt allerdings nur für den obligatorischen<br />
Bereich, der auch gesellschaftlich<br />
gut geschützt ist.<br />
Ein Grund, sich auszuruhen, ist<br />
das nicht.<br />
Literatur<br />
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LEVIN, H.: Educational Vouchers: Effectiveness,<br />
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39, 1 (1993), S. 85-108.<br />
OSTERWALDER, F.: Milton Friedmans<br />
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im Kontext des Neoliberalismus. In:<br />
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Practice, 1930-1960. Chicago/London:<br />
The University of Chicago<br />
Press 1993.
32 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Kann das Schulwesen durch Wettbewerb genesen<br />
Prof. Dr. Manfred Weiss<br />
Institut für Internationale Pädagogische Forschung, Frankfurt am Main<br />
Artikel aus: Döbert, H. u.a. (Hrsg.), Bildung vor neuen Herausforderungen. Festschrift für H. Avenarius.<br />
Neuwied, 2003<br />
1. Einleitung<br />
Im bildungsökonomischen<br />
Schrifttum blieb die wissenschaftliche<br />
Bearbeitung von Steuerungsfragen<br />
unter Effizienzaspekten<br />
bislang im Wesentlichen<br />
auf eine theoretischabstrakt<br />
geführte Markt-Plan-<br />
Debatte beschränkt. Versuche,<br />
die Überlegenheit eines der beiden<br />
idealtypischen Steuerungssysteme<br />
durch Konfrontation der<br />
Aussagen der Theorie des<br />
Staatsversagens mit denen der<br />
Theorie des Marktversagens zu<br />
begründen, haben für den Schulbereich<br />
keine schlüssigen Ergebnisse<br />
erbracht. 1 Allerdings<br />
konnte Timmermann später zeigen<br />
2 , dass sich auf der Basis<br />
einer wissenschaftstheoretisch<br />
begründeten Argumentationsgewichtung<br />
(die theoriebezogene<br />
Aussagen privilegiert), ein Effizienzvorteil<br />
der Marktsteuerung<br />
konstatieren lässt. Diesem Ergebnis<br />
bleibt jedoch die erfahrungswissenschaftliche<br />
Fundierung<br />
(und damit Falsifizierbarkeit)<br />
versagt, weil bislang nirgendwo<br />
ein reines Marktsteuerungssystem<br />
im Schulbereich etabliert<br />
ist. Wissenschaftlich inakzepta-<br />
1 A. Hegelheimer: Auch in Bildung und<br />
Wissenschaft mehr Wirtschaftlichkeit<br />
durch Marktmodelle in: F. Letzelter/H.<br />
Reinermann (Hrsg.): Wissenschaft,<br />
Forschung und Rechnungshöfe. Berlin<br />
1981, S. 351-375; D. Timmermann:<br />
Bildungsmärkte oder Bildungsplanung:<br />
eine kritische Auseinandersetzung mit<br />
zwei alternativen Steuerungssystemen<br />
und ihren Implikationen für das Bildungswesen.<br />
Mannheim 1985. Deutsche<br />
Stiftung für Internationale Entwicklung.<br />
2 D. Timmermann: Abwägen heterogener<br />
bildungsökonomischer Argumente zur<br />
Schulautonomie. Zeitschrift für Pädagogik<br />
1995, H. 1, S. 49-60.<br />
bel ist der – z.B. von Chubb und<br />
Moe 3 unternommene – Versuch,<br />
auf der Basis der Ergebnisse<br />
eines Vergleichs zwischen staatlichen<br />
und privaten Schulen in<br />
„Mischsystemen“ die Funktionsweise<br />
und Leistungsfähigkeit<br />
marktgesteuerter Schulsysteme<br />
vorherzusagen. 4<br />
Was indes einer empirischen<br />
Analyse zugänglich ist, sind<br />
marktapproximative Steuerungssysteme,<br />
wie sie der „Paradigmenwechsel<br />
der Steuerungsphilosophie“<br />
vor allem in einigen<br />
angelsächsischen Ländern hervorgebracht<br />
hat. Leitend war<br />
dabei die Überzeugung, dass der<br />
Marktlogik folgende Reformen<br />
den Schlüssel für die Bewältigung<br />
der im Schulbereich diagnostizierten<br />
Qualitäts- und Effizienzkrise<br />
darstellen. Zu den daran<br />
orientierten bildungspolitischen<br />
Leitbildern zählen die Stärkung<br />
der Nachfragemacht durch Ausweitung<br />
des Einflusses der Eltern<br />
im Schulwesen (parent empowerment)<br />
und Erweiterung der<br />
Schulwahlmöglichkeiten (school<br />
choice), die Erhöhung der Angebotsvielfalt<br />
und –flexibilität durch<br />
Dezentralisierung, Deregulierung<br />
und Stärkung der Autonomie der<br />
Einzelschule und die schülergesteuerte<br />
Mittelzuweisung. Damit<br />
sind die wesentlichen Voraussetzungen<br />
für die Entstehung eines<br />
Quasi-Marktes gegeben, auf dem<br />
den Erwartungen nach der Wett-<br />
3 J.E. Chubb/ T.M. Moe: Politics, markets,<br />
and America’s schools. Washington,<br />
D.C. 1990. The Brookings Institution.<br />
4 S. zur Kritik im einzelnen M. Weiss: Der<br />
Markt als Steuerungssystem im Schulwesen<br />
Zeitschrift für Pädagogik 1993,<br />
H. 1, S. 71-84.<br />
bewerb der Anbieter (Schulen)<br />
um Klienten (Eltern/Schüler) eine<br />
hohe Innovationsbereitschaft<br />
sowie eine effiziente und präferenzgemässe<br />
Versorgung mit<br />
Bildungsleistungen sicherstellt.<br />
Quasi-Märkte stellen ein hybrides<br />
Steuerungssystem dar, das<br />
marktwirtschaftliche und staatlich-bürokratische<br />
Steuerungselemente<br />
kombiniert. Die Leistungserstellung<br />
erfolgt unter<br />
Wettbewerbsbedingungen, wird<br />
aber weiterhin öffentlich (erfolgsorientiert)<br />
finanziert und unterliegt<br />
staatlicher Regulierung und<br />
Kontrolle.<br />
Im Folgenden wird auf der Basis<br />
theoretischer Argumente, die<br />
sich vor allem auf Erkenntnisse<br />
der Neuen Institutionenökonomie<br />
5 stützen, und vorliegender<br />
empirischer Evidenz aus fortgeschrittenen<br />
Deregulierungsländern<br />
eine Einschätzung des Effizienzverbesserungspotenzials<br />
dieses Steuerungsregimes vorgenommen.<br />
2. Wirkungserwartungen:<br />
Hypothesen und empirische<br />
Befunde<br />
Die Einführung des Steuerregimes<br />
des Quasi-Marktes wird<br />
mit der Erwartung nachhaltiger<br />
Effizienzverbesserungen begründet:<br />
(1) der Steigerung der Produktionseffizienz<br />
aufgrund des induzierten<br />
Kosten- und Qualitätswettbewerbs<br />
und der Dezentralisierung<br />
von Ressourcenverantwortung;<br />
5 M. Ebers/W. Gotsch: Institutionenökonomische<br />
Theorien der Organisation,<br />
in: A. Kieser (Hrsg.): Organisationstheorien,<br />
3. Aufl. Stuttgart 1999, S.<br />
199-251.
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 33<br />
(2) der Steigerung der Allokationseffizienz<br />
aufgrund einer<br />
grösseren Kompatibilität von<br />
Bildungsangebot und Präferenzen<br />
der Bildungsnachfrager,<br />
denen dadurch Wohlfahrtsgewinne<br />
entstehen.<br />
2.1 Produktionseffizienz<br />
Was die Annahme betrifft, der<br />
Konkurrenzdruck sorge über eine<br />
kostengünstigere Leistungserstellung<br />
im Schulbereich für Effizienzgewinne,<br />
so erscheint es<br />
wenig plausibel, dass für öffentlich<br />
finanzierte Schulen bei fehlendem<br />
Gewinnmotiv ein Zwang<br />
bestehe, in Kostenwettbewerb zu<br />
treten. Dies ist auch deshalb<br />
anzuzweifeln, weil von den Bildungsnachfragern<br />
hohe Unitcosts<br />
(Ausgaben pro Schüler)<br />
meist mit hoher Bildungsqualität<br />
assoziiert werden.<br />
Was Wettbewerb nicht erreicht,<br />
scheint durch Dezentralisierung<br />
der Ressourcenverantwortung zu<br />
gelingen. An Schulen mit eigenverantwortlicher<br />
Mittelbewirtschaftung<br />
lässt sich ein deutlich<br />
kostenbewussteres Verhalten<br />
und ein sparsamerer Umgang mit<br />
Ressourcen beobachten. 6 Diesen<br />
Kostenvorteilen auf einzelinstitutioneller<br />
Ebene stehen jedoch<br />
– vermutlich stärker ins<br />
Gewicht fallende – gesamtsystemische<br />
Kostennachteile gegenüber.<br />
Zum einen verursacht<br />
Steuerung durch Quasi-Märkte<br />
Mehrkosten, die mit dem notwendigen<br />
Auf- bzw. Ausbau inf-<br />
6 K.N. Ross/R. Levacic (Hrsg.): Needs–<br />
based resource allocation in education<br />
via formula funding of schools. Unesco/IIEP.<br />
Paris. 1999; G. Bellenberg/W.<br />
Böttcher/K. Klemm: Stärkung der Einzelschule.<br />
Luchterhand. Neuwied, Kriftel.<br />
2001. Schubkraft verliehen wird<br />
dem zum Teil durch eine Verschärfung<br />
des Kostendrucks. In England z.B.<br />
wurden die Personalmittel im Rahmen<br />
der den Schulen zugewiesenen Globalbudgets<br />
an durchschnittlichen Ausgabenwerten<br />
bemessen. Damit sollten die<br />
Schulen veranlasst werden, die Personalrekrutierung<br />
stärker an Kostenaspekten<br />
auszurichten und ihre Kostenstruktur<br />
durch Personalsubstitution<br />
günstiger zu gestalten. Empirische Befunde<br />
bestätigen solche Effekte (z.B.<br />
Ross und Levacic 1999).<br />
rastruktureller Stützsysteme verbunden<br />
sind: eines Informationssystems,<br />
das für Markttransparenz<br />
sorgt, eines Evaluationssystems<br />
zur Qualitätssicherung und<br />
eines leistungsfähigen Transportsystems.<br />
Zum anderen sind<br />
negative Kosteneffekte davon zu<br />
erwarten, dass durch dieses<br />
Steuerungssystem einer auf<br />
Ausgleich<br />
bedachten<br />
Schulstandort- und regionalen<br />
Schulentwicklungsplanung die<br />
Grundlagen entzogen und bei<br />
unerwünschten Wettbewerbsergebnissen<br />
nachträglich Korrekturen<br />
durch das politischadministrative<br />
System erforderlich<br />
werden. 7 Diese Beispiele<br />
lenken den Blick auf die Frage<br />
nach den Transaktionskosten<br />
von Steuerungssystemen, den<br />
Kosten ihrer „Benutzung“, denen<br />
meist wenig Beachtung geschenkt<br />
wird. Die bisherigen<br />
Erfahrungen mit Quasi-Märkten<br />
legen die Vermutung nahe, dass<br />
dieses Steuerungsregime nicht<br />
unbedingt transaktionskostengünstiger<br />
als staatlichbürokratische<br />
Steuerung ist.<br />
Wettbewerb und Dezentralisierung<br />
sollen zweitens über eine<br />
Steigerung der Effektivität der<br />
Leistungserstellung effizienzwirksam<br />
werden. Theoretisch wird<br />
dies damit begründet, dass das<br />
Damoklesschwert „Klientenverlust“<br />
– und damit Ressourcenverlust<br />
– X-Ineffizienz (Leibenstein)<br />
reduziere, d.h. eine besondere<br />
Anstrengungsbereitschaft<br />
und eine produktive Ressourcenverwendung<br />
auf Seiten der schulischen<br />
Akteure erzwinge, um mit<br />
hohen Leistungsstandards im<br />
Wettbewerb bestehen zu können.<br />
Die bis jetzt vorliegenden<br />
Forschungsbefunde zu wirksamkeitsbezogenen<br />
Effizienzeffekten<br />
von Wettbewerb fallen wider-<br />
7 Ein Beispiel dafür sind die zahlreichen<br />
„admission authorities“, die in England<br />
eingerichtet wurden, um dem durch die<br />
Schulwahlfreiheit entstandenen Planungschaos<br />
Herr zu werden. Allein in<br />
der Grafschaft Essex gibt es 192 solcher<br />
Behörden, die weitgehend unkoordiniert<br />
und zum teil untereinander<br />
konkurrierend Schülerplätze zuweisen.<br />
sprüchlich aus. Verschiedene<br />
ökonometrische Untersuchungen<br />
aus den USA lassen auf moderate<br />
wettbewerbsinduzierte Effizienzgewinne<br />
schliessen. 8 Allerdings<br />
lässt sich gegen diese<br />
Untersuchungen einwenden,<br />
dass mit der Messung der Wettbewerbsintensität<br />
durch strukturelle<br />
Indikatoren auf Systemebene<br />
(Privatschüleranteil, Masse<br />
der Marktkonzentration) die für<br />
das Anbieter- und Nachfragerverhalten<br />
letztlich massgebenden<br />
lokalen Wettbewerbsbedingungen<br />
nicht angemessen abgebildet<br />
werden. Studien, die Wettbewerb<br />
im lokalen Kontext erfassen<br />
und dabei verhaltensbasierte<br />
Indikatoren verwenden, legen<br />
eine eher zurückhaltende Einschätzung<br />
des der Wettbewerbssteuerung<br />
zugeschriebenen effizienzverbessernden<br />
Potenzials<br />
nahe. So resümieren die Autoren<br />
einer an der Open University<br />
durchgeführten Untersuchung<br />
des Wettbewerbseinflusses auf<br />
die über fünf Jahre verfolgte Leistungsentwicklung<br />
einer Stichprobe<br />
englischer Sekundarschulen:<br />
„... the evidence for a positive<br />
impact of competition is very<br />
weak“. 9 Englische Fallstudien 10<br />
liefern zudem Hinweise darauf,<br />
dass identische lokale Wettbewerbs-<br />
und Schulstrukturbedingungen<br />
mit höchst unterschiedlichen<br />
Reaktionen der schulischen<br />
Akteure einhergehen können, die<br />
von Nischenmarketing über aggressive<br />
Strategien der Marktpositionierung<br />
bis hin zu kooperativen<br />
Arrangements reichen.<br />
8 C.R. Belfield/H.M. Levin: The effects of<br />
competition on educational outcome: a<br />
review of US evidence. Columbia University.<br />
N.Y. 2001.<br />
9 R. Levacic und P. Woods: Quasimarkets<br />
and school performance: evidence<br />
from a study of English secondary<br />
schools, in: M. Weiß/H. Weishaupt<br />
(Hrsg.): Bildungsökonomie und Neue<br />
Steuerung. Frankfurt am Main u.a.<br />
2000, S. 102.<br />
10 P. Davies/N.Adnet/J. Mangan: The<br />
diversity and dynamics of competition:<br />
evidence from two local schooling markets,<br />
Oxford Review of Education 2002,<br />
H. 28, S. 91-107.
34 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Die von Dezentralisierung erwarteten<br />
Effektivitätsverbesserungen<br />
werden mit dem Informationsvorsprung<br />
und der Expertise<br />
der Agenten der operativen Ebene<br />
begründet sowie mit positiven<br />
motivationalen Effekten grösserer<br />
Handlungsautonomie. Aber<br />
auch für diese Wirkungserwartungen<br />
stehen bislang überzeugende<br />
erfahrungswissenschaftliche<br />
Belege im Schulbereich aus.<br />
So liefern z.B. Auswertungen von<br />
Studien zum School Based Management<br />
in angelsächsischen<br />
Ländern kaum Hinweise auf einen<br />
positiven Zusammenhang<br />
zwischen erweiterter schulischer<br />
Handlungskompetenz und Schülerleistungen.<br />
11 Dieses Ergebnis<br />
korrespondiert mit den TIMSS-<br />
Befunden auf Systemebene: Der<br />
Grad der Zentralisierung bzw.<br />
Dezentralisierung von Schulsystemen<br />
und die mathematischnaturwissenschaftlichen<br />
Leistungsergebnisse<br />
variieren praktisch<br />
unabhängig voneinander. 12<br />
Auch die bis jetzt vorliegenden<br />
Auswertungen der internationalen<br />
PISA-Daten 13 legen eine<br />
eher zurückhaltende Einschätzung<br />
der von Dezentralisierung<br />
zu erwartenden Erträge im Leistungsbereich<br />
nahe. Für einzelne<br />
Autonomieaspekte (Fächerangebot,<br />
Mittelverwendung) zeigt sich<br />
zwar in bivariaten Zusammenhangsanalysen<br />
eine Korrelation<br />
mit Schülerleistungen im Lesen;<br />
doch werden erst komplexere<br />
multivariate Analysen zeigen, ob<br />
dieses Ergebnis auch bei Berücksichtigung<br />
anderer Faktoren<br />
noch Bestand hat. Reanalysen<br />
11 A.A. Summers/A.W. Johnson: A<br />
Review of the evidence on the effects<br />
of school-based management plans.<br />
Paper Prepared for the Panel of the<br />
Economics of Educational Reform and<br />
Teaching (vervielf.) 1992;<br />
K. Leithwood/T. Menzies: Forms and<br />
effects of school-based management: A<br />
review, Educational Policy 1998, H. 12,<br />
S. 325-346.<br />
12 J. Baumert et al.: TIMSS – Mathematisch-naturwissenschaftlicher<br />
Unterricht<br />
im internationalen Vergleich. Berlin<br />
1997.<br />
13 OECD: Knowledge and skills for life.<br />
Paris 2001.<br />
von TIMSS-Daten 14 liefern Anhaltspunkte<br />
dafür, dass dezentrale<br />
Entscheidungskompetenz über<br />
Ressourcen offenbar nur in Verbindung<br />
mit zentralen Leistungsprüfungen<br />
positiv wirkt. Fehlt<br />
diese Voraussetzung, kann ein<br />
hoher Autonomiegrad sogar<br />
kontraproduktiv sein.<br />
Die erwartungswidrige empirische<br />
Befundlage zu den Effizienzwirkungen<br />
von Wettbewerb<br />
und Dezentralisierung gibt Anlass,<br />
einen genaueren Blick auf<br />
die angebots- und nachfrageseitigen<br />
Verhaltensprämissen des<br />
Quasi-Markt-Modells zu werfen.<br />
2.1.1 Anbieterverhalten<br />
Angebotsseitig ist der Spezifik<br />
der schulischen Leistungserstellung<br />
besondere Aufmerksamkeit<br />
zu schenken. Die für den Bildungsbereich<br />
charakteristische<br />
„Technologie-Vagheit“, das Fehlen<br />
von Potenzialen für substanzielle<br />
Produktivitätssteigerungen<br />
durch technischen Fortschritt und<br />
der beträchtliche Einfluss externer<br />
Mitproduzenten stellen<br />
strukturelle Rahmenbedingungen<br />
dar, die die Möglichkeiten einer<br />
effizienteren Gestaltung von<br />
Schule und Unterricht stark einschränken.<br />
Wettbewerb und Dezentralisierung<br />
können an diesem<br />
Sachverhalt wenig ändern.<br />
Folgt man den Argumenten der<br />
Neuen Institutionenökonomie,<br />
dann könnte eine mögliche Ursache<br />
für die relative Wirkungslosigkeit<br />
von Dezentralisierung und<br />
Autonomisierung auch darin zu<br />
suchen sein, dass die erweiterten<br />
Verfügungsrechte an Ressourcen<br />
von den schulischen Akteuren<br />
opportunistisch genutzt werden,<br />
d.h. zur Verbesserung ihrer<br />
eigenen Wohlfahrtsposition statt<br />
zur Effektivitätssteigerung. 15<br />
14 L. Wössmann: How control exams<br />
affect educational achievement: International<br />
evidence from TIMSS and<br />
TIMSS repeat. Paper presented at the<br />
conference „Taking account of accountability“,<br />
Boston: Harvard University<br />
2002 (www.ksg.harvard.edu/pepg/).<br />
15 Hinweise auf eine von Eigeninteressen<br />
geleitete Einflussnahme auf die<br />
Dieses Risiko ist dann besonders<br />
hoch, wenn Handlungsautonomie<br />
und Technologie-Vagheit zusammentreffen.<br />
Ineffizienz ist in<br />
diesem Fall gewissermassen<br />
programmiert: „When discretional<br />
leeway of subordinate units goes<br />
together with unclear technology<br />
this...adds to the overall nourishing<br />
ground for inefficient organisational<br />
functioning“. 16 Dieser<br />
Sachverhalt bietet eine Erklärung<br />
dafür, dass im Kontext schulischer<br />
Leistungserstellung das<br />
Steuerungsregime des Quasi-<br />
Marktes nicht ohne ein umfangreiches<br />
(transaktionskostenintensives)<br />
Kontrollsystem auskommt,<br />
das dafür sorgt, dass „das Verhalten<br />
der Akteure ... in Richtung<br />
des Organisationsziels gelenkt<br />
(wird)“. 17 Neuerdings wird – vielfach<br />
in Ergänzung dazu – in<br />
verstärktem Masse auch auf<br />
Instrumente des Kontraktmana-<br />
Ressourcenverteilung liefert eine Weltbankstudie<br />
(L. Pritchet/D. Filmer: What<br />
education production functions really<br />
show: a positive theory of education<br />
expenditures, Economics of Education<br />
Review 1999, H. 18, S. 223-239.), in<br />
der Daten aus Untersuchungen zur<br />
Ressourcenwirksamkeit in Entwicklungsländern<br />
unter Effizienzaspekten<br />
reanalysiert wurden. Die Autoren sehen<br />
durch ihre Ergebnisse die These bestätigt,<br />
dass die festgestellte Ineffizienz<br />
der Ressourcen vor allem auf die vorrangige<br />
Verwendung der Mittel für Inputs<br />
zurückzuführen ist, die direkt den<br />
Nutzen der Lehrer erhöhen (Anhebung<br />
der Lehrergehälter, Verkleinerung der<br />
Klassen), die aber gegenüber den von<br />
ihnen wenig präferierten Inputs (z.B<br />
Lehr-/Lernmittelausstattung) eine deutlich<br />
geringere Grenzproduktivität je Dollar<br />
aufweisen. In die gleiche Richtung<br />
weisen Befunde einer amerikanischen<br />
Studie, in der ein Zusammenhang zwischen<br />
gewerkschaftlichem Einfluss und<br />
Ineffizienz im Schulbereich festgestellt<br />
wurde (vgl. C. M. Hoxby: How teachers‘<br />
unions effect education, The Quarterly<br />
Journal of Economics 1996 H. 3, S.<br />
671-718).<br />
16 J. Scheerens: Conceptual models<br />
and theory-embedded principles on<br />
effective schooling, School Effectiveness<br />
and School Improvement 1997,<br />
H.8, S. 296-310.<br />
17 K.-D. Grüske/M. Maier: Das Neue<br />
Steuerungsmodell in der kommunalen<br />
Verwaltung: Grundlagen, Zwischenbilanz<br />
und kritische Analyse, in: N. Andel<br />
(Hrsg.): Probleme der Kommunalfinanzen<br />
2001, S. 190.
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 35<br />
gements (z.B. Zielvereinbarungen)<br />
zur Einschränkung opportunistischen<br />
Verhaltens zurückgegriffen.<br />
18<br />
Zu den Spezifika personaler<br />
Dienstleistungsproduktion zählt<br />
weiterhin die Mitwirkung der<br />
Klienten an der Leistungserstellung.<br />
19 Dies gilt in besonderer<br />
Weise für den Schulbereich. Die<br />
Selektion der „richtigen“ externen<br />
Mitproduzenten wird damit zu<br />
einer erfolgbestimmenden Organisationsaufgabe<br />
von Schulen.<br />
Revisionsbedürftig wird dadurch<br />
eine weitere Annahme des Quasimarkt-Modells:<br />
Schulen konkurrieren<br />
nicht um Schüler, sondern<br />
um Schüler mit bestimmten Eigenschaften.<br />
Streben die Schulen<br />
– entsprechend den Modellannahmen<br />
– ein möglichst hohes<br />
Performanzniveau an, dann gilt<br />
angesichts der durch unzählige<br />
empirische Untersuchungen belegten<br />
hohen Erfolgsabhängigkeit<br />
von kognitiven Lernvoraussetzungen<br />
und sozialer Herkunft der<br />
Schüler/innen (als individuelle<br />
und aggregierte Merkmale) 20 ,<br />
18 Dies sieht z.B. das im April 2001 an<br />
englischen Schulen eingeführte Performance<br />
Management vor. Danach<br />
sind sämtliche Lehrer/innen im staatlichen<br />
Schuldienst verpflichtet, mit der<br />
Schulleitung über mindestens drei Ziele<br />
schriftliche Vereinbarungen zu treffen.<br />
Eines der Ziele muss sich dabei auf<br />
den mit „benchmarks“ vergleichbaren<br />
Lernfortschritt der Schüler beziehen<br />
(vgl. D. Wood: Performance management.<br />
Manchester Metropolitan University,<br />
Institute of Education 2001).<br />
19 Vgl. R. Maleri: Grundlagen der<br />
Dienstleistungsproduktion. 4. Aufl. Berlin:<br />
Springer 1997.<br />
20 Daneben spielt die – einem Opportunitätskostenkalkül<br />
unterliegende – individuelle<br />
Bereitschaft der Schüler/innen<br />
zur „Mitproduktion“ eine Rolle. Auch<br />
darauf müssen die Schulen zur Sicherung<br />
eines wettbewerbsfähigen Performanzniveaus<br />
Einfluss nehmen. In<br />
England z.B. werden auch mit den<br />
Schüler/innen individuelle leistungsbezogene<br />
Zielvereinbarungen getroffen.<br />
In der Diskussion sind auch monetäre<br />
Anreizsysteme, wie sie etwa in Michigan<br />
mit dem Merit Award Program bereits<br />
existieren. Dort erhalten Sekundarschüler<br />
ein einjähriges Stipendium<br />
in Höhe von 2 500 Dollar für den späteren<br />
Collegebesuch, wenn sie vorgegebene<br />
Leistungsstandards in vier Komdass<br />
„any school entrepreneur<br />
acting rationally would seek to<br />
exclude pupils (from socially<br />
disadvantaged backgrounds,<br />
M.W.) who would drag down the<br />
overall performance score of the<br />
school, its major selling point to<br />
parents“. 21 In welchem Umfang<br />
dies Schulen gelingt, hängt in<br />
hohem Masse von sozialstrukturellen<br />
Standortmerkmalen<br />
und/oder ihrer Position in einer<br />
formellen oder informellen Hierarchie<br />
ab. Die fatalen Konsequenzen<br />
selektiver Schulsysteme<br />
haben die Befunde der PISA-<br />
Studie 22 drastisch vor Augen<br />
geführt. In abgeschwächter Form<br />
lassen sich ähnliche Effekte in<br />
(formal undifferenzierten) Schulsystemen<br />
mit marktorientiertem<br />
Steuerungsregime beobachten. 23<br />
2.1.2 Nachfragerverhalten<br />
Schulwahlentscheidungen werden<br />
wesentlich dadurch beeinflusst,<br />
welche schulstrukturellen<br />
Gegebenheiten vorliegen. In<br />
einem hierarchisch gegliederten<br />
Schulsystem dominieren investive<br />
Gesichtspunkte. Massgebend<br />
sind die mit den Alternativen<br />
jeweils verbundenen Berechtigungen<br />
und damit zusammenhängende<br />
Einkommens- und<br />
Statuserwartungen. Wenn angestrebte<br />
Abschlüsse gefährdet<br />
sind, ist es rational, die Exit-<br />
Option wahrzunehmen und auf<br />
eine Schule zu wechseln, die<br />
geringere Leistungsanforderungen<br />
stellt (falls nicht einheitliche<br />
Leistungsstandards und deren<br />
petenzbereichen (Lesen, Mathematik,<br />
Naturwissenschaften, Schreiben) erreichen<br />
oder überschreiten (vgl. J.H. Bishop:<br />
A prospective policy evaluation of<br />
the Michigan Merit Award Program.<br />
Paper presented at the conference<br />
„Taking Account of Accountability“,<br />
Harvard University, Juni 2002<br />
(www.ksg.harvard.edu/pepg/).<br />
21 H. Glennerster: Quasi-markets for<br />
education, The Economic Journal 1991,<br />
H. 101, S.1271.<br />
22 Baumert et al.: PISA 2000. Opladen:<br />
Leske und Budrich 2001.<br />
23 Vgl. z.B. H. Lauder et al.: Trading in<br />
futures. Open University Press. Buckingham,<br />
Phil. 1999.<br />
Überprüfung dies ausschliessen).<br />
Dieses Motiv für Exit mit der Folge<br />
von adverse selection, der<br />
Auswahl inferiorer Anbieter, ist<br />
im Quasimarkt- Modell überhaupt<br />
nicht vorgesehen. In integrierten<br />
Schulsystemen ohne formale<br />
Abschlussdifferenzierung wird<br />
der investive Aspekt bei Schulwahlentscheidungen<br />
in den Hintergrund<br />
treten, es sei denn,<br />
dass Merkmalsunterschiede zwischen<br />
Schulen, insbesondere<br />
leistungsbezogene Qualitätsdifferenzen,<br />
einkommensrelevant<br />
wären (und die Bildungsnachfrager<br />
darüber Kenntnis hätten). Die<br />
einschlägige Forschung bietet<br />
dafür wenig Anhaltspunkte. 24<br />
Wie die empirische Forschung<br />
weiterhin zeigt 25 , kommen in<br />
vielen Entscheidungssituationen<br />
zudem wesentlich differenziertere<br />
Schulwahlmotive zur Geltung,<br />
als es das Quasimarkt-Modell mit<br />
seiner normativen Fixierung auf<br />
schulische Leistungsergebnisse<br />
vorsieht. Zu den auffallenden<br />
Phänomenen zählt, dass der<br />
Anteil „aktiv“ wählender Eltern<br />
vielfach gering ist und bei einem<br />
Grossteil ausgeprägte Präferenzen<br />
für wohnortnahe Schulangebote<br />
bestehen. 26 Ein wichtiges<br />
24 Vgl. z.B. H.M. Levin/C. Kelley: Can<br />
education do it alone Economics of<br />
Education Review 1994, H. 13, S. 97-<br />
108; G. Burtless (Hrsg.): Does money<br />
matter The Brookings Institution.<br />
Washington D.C.1996.<br />
25 Vgl. z.B. J. Maddaus: Parental choice<br />
of school: What parents think and do,<br />
in: C.B. Cazden (Hg.): Review of Research<br />
in Education.1990, S. 267-295;<br />
OECD: Schools: a matter of choice.<br />
Paris 1994; R. Glatter / P.A. Woods/C.<br />
Bagley: Choice and diversity in schooling:<br />
Perspectives and prospects. Routledge.<br />
London 1997.<br />
26 Schon deshalb besteht ein infrastruktureller<br />
Auftrag des Staates, der auch<br />
die Verpflichtung zur Bereitstellung eines<br />
qualitativ gleichwertigen Bildungsangebots<br />
beinhaltet. Vgl. auch H. Avenarius:<br />
Welche Rechte und Pflichten<br />
haben Lehrkräfte, Schulleitung und<br />
Schulaufsicht bei der Qualitätsentwicklung<br />
der Schulen und bei der Sicherung<br />
gleicher Lebenschancen Vortrag auf<br />
der GEW-Tagung „PISA- und dann<br />
Lehrerinnen – Schulleitung – Schulaufsicht:<br />
Wer ist eigentlich für Qualität und<br />
Gerechtigkeit verantwortlich“ am
36 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Schulwahlmotiv der Eltern ist<br />
auch die Platzierung ihrer Kinder<br />
in das gewünschte Sozialmilieu.<br />
Hinreichend belegt ist weiterhin,<br />
dass bei Schulwahlentscheidungen<br />
in vielfältiger Weise Statusmerkmale<br />
ins Spiel kommen. Sie<br />
manifestieren sich in einem<br />
asymmetrischen Informationsstand<br />
über das Schulangebot<br />
ebenso wie in schichtspezifischen<br />
Selektionskriterien. Welche<br />
Vorstellungen Eltern von<br />
einer „guten“ Schule haben, wie<br />
sie Abschlüsse und Mobilität<br />
bewerten und welchen Stellenwert<br />
sie Bildung in den Lebensentwürfen<br />
für ihre Kinder beimessen,<br />
ist zu einem wesentlichen<br />
Teil durch ihre sozioökonomische<br />
Lage präformiert. Auch<br />
in diesem Punkt erweist sich das<br />
dem Quasimarkt-Modell zugrunde<br />
liegende Konstrukt eines einheitlichen<br />
Konsumenten als in<br />
höchstem Masse realitätsfern. 27<br />
2.2 Allokationseffizienz<br />
Die Einführung marktorientierter<br />
Reformen wird weiterhin damit<br />
begründet, dass dies die Bereitstellung<br />
eines Bildungsangebots<br />
gewährleiste, das den Präferenzen<br />
der Bildungsnachfrager besser<br />
entspreche, was über die<br />
damit verbundenen Wohlfahrtsgewinne<br />
die Allokationseffizienz<br />
steigere. Der Wettbewerbsdruck,<br />
so die theoretische Begründung,<br />
zwinge die Anbieter, stärker auf<br />
die Wünsche und Bedürfnisse<br />
der Eltern und Schüler einzugehen.<br />
Deren „Kundenposition“<br />
liesse zugleich eine engere Principal-Agent-Beziehung<br />
entstehen,<br />
so dass die Präferenzen in<br />
direktem Kontakt – und nicht<br />
über zwischengeschaltete<br />
14./15.9.2002 in Frankfurt am Main.<br />
27 Nicht nur unterschiedliche Präferenzen<br />
der Eltern und Schüler bieten eine<br />
Erklärung dafür, dass Quasi-Märkte die<br />
Nachfrage nicht unbedingt auf das effizienteste<br />
Angebot im Sinne der Modellannahmen<br />
lenken. Verantwortlich dafür<br />
ist auch das Fehlen valider institutioneller<br />
Value-added- und Effizienz-<br />
Indikatoren (vgl. dazu J. Gray/B. Wilcox:<br />
Good school, bad school. Buckingham:<br />
Open University Press 1995)<br />
Agenten des politischen Systems<br />
– artikuliert werden könnten.<br />
Diese Begründung hat hohe face<br />
validity und wird auch durch Umfrageergebnisse<br />
zur Zufriedenheit<br />
aktiv wählender Eltern gestützt.<br />
28 Dem stehen jedoch nicht<br />
weniger überzeugende empirische<br />
Belege für einen ausgeprägten<br />
Sozialschicht-Bias bei<br />
den Wohlfahrtserträgen gegenüber:<br />
Gewinner sind vor allem<br />
die Eltern und Schüler, denen<br />
aufgrund ihrer besseren Ausstattung<br />
mit ökonomischem, kulturellem<br />
und sozialem Kapital<br />
anbieterseitig eine besondere<br />
Wertschätzung entgegengebracht<br />
wird und deren Präferenzen<br />
deshalb stärkere Berücksichtigung<br />
finden. 29<br />
Wenn dies<br />
aber über Exklusion und Creaming-Effekte<br />
dazu führt, dass<br />
eine Verbesserung der Wohlfahrtsposition<br />
bei bestimmten<br />
Individuen mit einer Verschlechterung<br />
der Wohlfahrtsposition bei<br />
anderen Idividuen einhergeht,<br />
dann wird das Pareto-Kriterium<br />
verletzt, d.h. die gesellschaftliche<br />
Wohlfahrtsposition verbessert<br />
sich nicht unter Quasimarkt-<br />
Bedingungen.<br />
3. Resümee<br />
Die von der internationalen Bildungsforschung<br />
vermittelten<br />
Einsichten in Funktionsweise und<br />
Wirkungen von Quasi-Märkten im<br />
Schulbereich legen die These<br />
nahe, dass die Funktionalisierung<br />
von Wettbewerb und Dezentralisierung<br />
für die Erreichung<br />
von Effizienzzielen in diesem<br />
Bereich bislang nirgendwo überzeugend<br />
gelungen ist. Empirisch<br />
nachweisbar sind zwar positive<br />
Kosteneffekte einer Verlagerung<br />
der Dispositionskompetenz über<br />
Ressourcen auf die einzelinstitu-<br />
28 Vgl. z.B. J.F. Witte: The Milwaukee<br />
voucher experiment, Educational<br />
Evaluation and Policy Analysis 1998; H.<br />
20, S. 229-251.; P.E. Peterson: Learning<br />
from school choice (The Brookings<br />
Institution). Washington, D.C. 1998.<br />
29 Vgl. z.B. Woods/Bagley/Glatter:<br />
School choice and competition: markets<br />
in the public interest (Routledge) London.<br />
1998; Lauder et al. 1999 a.a.O.<br />
tionelle Ebene. Einiges spricht<br />
jedoch dafür, dass diesen Kostenvorteilen<br />
nicht unerhebliche<br />
Transaktionskosten und gesamtsystemische<br />
Kostennachteile von<br />
Quasi-Märkten gegenüberstehen.<br />
Empirisch nicht zu sichern<br />
ist die an Wettbewerb und Dezentralisierung<br />
im Schulbereich<br />
geknüpfte Erwartung einer systemweiten<br />
Verbesserung der<br />
Produktionseffizienz durch Effektivitätsgewinne.<br />
Die Befundlage<br />
spricht eher dafür, dass Quasi-<br />
Märkte zur Vergrösserung bestehender<br />
Leistungsdisparitäten und<br />
Chancenungleichheiten tendieren.<br />
Die sich darin manifestierende<br />
Logik, dass es bei Wettbewerbssteuerung<br />
Gewinner und<br />
Verlierer geben muss, widerspricht<br />
zentralen Prinzipien<br />
staatlicher Gesamtverantwortung<br />
im Schulbereich und verletzt<br />
zudem das Pareto-Kriterium.<br />
Trotz berechtigter Zweifel an der<br />
„Bildungstauglichkeit“ von Quasi-<br />
Märkten dürfte eine grundsätzliche<br />
Abkehr von diesem Steuerungsregime<br />
schon wegen seiner<br />
Bedeutung für die Legitimationssicherung<br />
des politischen Systems<br />
wenig wahrscheinlich sein.<br />
Solange die Modernität signalisierende<br />
Adoption von Steuerungsstrukturen<br />
aus der privaten<br />
Wirtschaft ihre suggestive Wirkung<br />
behält, geben ausstehende<br />
Effizienzbelege keinen Anlass zu<br />
einem Wechsel des Steuerungsregimes.<br />
Das heisst freilich nicht,<br />
dass legitimationsgefährdende<br />
Fehlentwicklungen nicht korrigiert<br />
würden. Das Beispiel der jüngsten<br />
Beacon School- und Diversity<br />
Pathfinder-Initiative der Regierung<br />
Blair kann als ein Indiz<br />
dafür angesehen werden, dass<br />
die staatliche Verantwortung für<br />
das gesamte Schulwesen wieder<br />
stärker in den Blick rückt und von<br />
der Schaffung einer auf Dissemination<br />
von „best practice“ zielenden<br />
Kooperationskultur eher<br />
Erfolge beim Bemühen um eine<br />
Verbesserung der Leistungsfähigkeit<br />
der Schulen erwartet wird<br />
als von ihrer Ausrichtung an den<br />
Regeln des Wettbewerbs.
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 37<br />
Die Entwicklung zu mehr Schulautonomie ist in vielen Bundesländern unseres nördlichen Nachbarn seit<br />
geraumer Zeit im Gang.<br />
Mehr Demokratie oder mehr Effizienz<br />
Peter Ringel<br />
Peter Ringel arbeitet in Oldenburg (Deutschland) als freier Autor. Seine Schwerpunkte sind die Themen<br />
Gesellschaft, Wissenschaft und Umwelt.<br />
Abdruck aus: Freitag, Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 15, 9. April 1999<br />
Die erweiterte Autonomie der<br />
Schulen bildet seit einigen Jahren<br />
einen Schwerpunkt der bildungspolitischen<br />
Diskussion.<br />
Das Schlagwort der Schulautonomie<br />
ist schillernd. Darunter<br />
werden so unterschiedliche Inhalte<br />
wie die Forderung nach<br />
mehr pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
oder die<br />
Einführung eines marktgesteuerten<br />
Bildungssystems verhandelt.<br />
Nicht zuletzt aus dieser<br />
Unschärfe des Begriffs resultieren<br />
die konträren Erwartungen,<br />
die mit einer autonomen Schule<br />
verbunden werden: Für die einen<br />
ist sie die Lösung aller Schulprobleme,<br />
für die anderen das<br />
Ende der Chancengleichheit im<br />
Bildungssystem.<br />
Während seit den späten sechziger<br />
Jahren die fortschrittlicheren<br />
Lehrerverbände mehr Autonomie<br />
forderten, um die Schulen demokratischer<br />
zu gestalten, geht die<br />
Initiative inzwischen vorrangig<br />
von den Vertretern der Bildungsadministration<br />
aus. Das Motto<br />
lautet nicht länger „mehr Demokratie“,<br />
sondern hat sich in den<br />
Ruf nach mehr Effizienz verwandelt.<br />
Die Befürworter der Schulautonomie<br />
versprechen sich geradezu<br />
eine Explosion von kreativem<br />
Potential, wenn die Einzelschule<br />
weniger Vorgaben der Kultusbehörden<br />
erfüllen muss. An Stelle<br />
der Lenkung von oben sollen<br />
eine Selbststeuerung eingeführt<br />
und die Finanzmittel teilweise<br />
von den Schulen – im Rahmen<br />
von Globalhaushalten – selbst<br />
verwaltet werden. Das Kernstück<br />
der Konzepte einer autonomen<br />
Schule bildet das Schulprofil, das<br />
von der Schulleitung und dem<br />
Kollegium unter Einbeziehung<br />
der Eltern und Schüler entwickelt<br />
wird. Am Schulprofil als pädagogischem<br />
Leitbild orientieren sich<br />
beispielsweise die Gestaltung<br />
des Curriculums, die Unterrichtsorganisation<br />
oder die Umgliederung<br />
von Fächern in Lernbereiche.<br />
Lehrerinnen und Lehrer<br />
sollen als Team arbeiten, allen<br />
Beteiligten soll die Identifikation<br />
mit ihrer Schule ermöglicht werden.<br />
Die Schulaufsicht verlagert<br />
ihren Aufgabenbereich dementsprechend<br />
von der direkten Einflussnahme<br />
zu dem einer Evaluationsinstanz.<br />
Derartige Autonomiekonzepte<br />
reagieren einerseits auf empirische<br />
Befunde, die den Lehrenden<br />
einen zentralen Einfluss auf<br />
die Qualität von Bildung bescheinigen,<br />
andererseits tragen sie<br />
den veränderten gesellschaftlichen<br />
Bedingungen Rechnung, in<br />
deren Folge sich die Einzelschule<br />
von einer reinen Unterrichtsschule<br />
zu einem Lebensund<br />
Lernort wandeln soll.<br />
Die Kritiker der Schulautonomie<br />
vermuten und befürchten, dass<br />
mit den neuen Konzeptionen<br />
lediglich Einsparungen kaschiert<br />
werden sollen. Vor allem die<br />
Lehrerschaft steht dem Thema<br />
zwiespältig gegenüber, da aus<br />
der geplanten Schulautonomie<br />
zusätzliche Arbeitsbelastungen<br />
resultieren würden. Die Vergleichbarkeit<br />
der Schulabschlüsse<br />
wird als gefährdet angesehen,<br />
wenn die Schulen vielfältiger<br />
werden. Und die Profilbildung<br />
könnte von den Lehrern verlangen,<br />
ihre Rolle als Einzelkämpfer<br />
aufzugeben.<br />
Misstrauen erweckt auch die<br />
euphorische Übernahme eines<br />
betriebswirtschaftlichen Vokabulars<br />
durch einige Protagonisten<br />
der Autonomiedebatte: die Rede<br />
ist von »neuesten Managementtechniken«.<br />
Controlling, reengineering<br />
und lean-management<br />
werden als geeignetes<br />
Mittel zur Entbürokratisierung<br />
propagiert. Da diese rhetorischen<br />
Versatzstücke bisher immer dann<br />
anzutreffen waren, wenn im Zuge<br />
der Standortdebatte wieder ein<br />
Teil des Sozialstaats geopfert<br />
wurde, ist der Verdacht berechtigt,<br />
dass nun – nach den Systemen<br />
der sozialen Sicherung und<br />
der Gesundheitsvorsorge – das<br />
Bildungssystem mittels der<br />
Schulautonomie »verschlankt«<br />
werden soll. Insbesondere Teile<br />
derjenigen, die seit den späten<br />
sechziger Jahren für eine Demokratisierung<br />
der Schulen eintraten,<br />
interpretieren sämtliche<br />
Konzepte der Schulautonomie<br />
inzwischen ausschliesslich als<br />
neuen Auswuchs neoliberaler<br />
oder neokonservativer Ideologie.<br />
Mit diesem Verdikt geht aber<br />
auch der Blick auf die Chancen<br />
einer selbstständigeren Schule<br />
verloren. Immerhin gibt es Indizien<br />
dafür, dass das Projekt<br />
Schulautonomie, das schon in<br />
Bremen, Hamburg und Hessen<br />
und inzwischen auch in weiteren<br />
Bundesländern in unterschiedlichen<br />
Ausformungen umgesetzt<br />
oder projektiert worden ist,<br />
durchaus positive pädagogische<br />
Effekte hervorbringen kann, auch<br />
wenn die weitgesteckten Zielvor-
38 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
stellungen nicht eingelöst wurden<br />
und die derzeitige Gestalt der<br />
Autonomiekonzepte kaum einen<br />
Anstoss hin zu mehr Partizipation<br />
der Beteiligten verspricht, der<br />
über die bestehenden pseudodemokratischen<br />
Gremienstrukturen<br />
hinausweist. Doch der Vorwurf,<br />
es handele sich – aufgrund<br />
der Verlagerung von der Detailauf<br />
die Rahmenplanung – um<br />
einen Rückzug des Staates aus<br />
seiner Verantwortlichkeit für die<br />
Bildung, deckt sich nicht mit der<br />
realen Entwicklung.<br />
Allerdings weist eine Konzeption<br />
von Schulautonomie, die nicht<br />
nur die Ausweitung des Gestaltungsspielraums<br />
einer Einzelschule<br />
meint, sondern auch die<br />
Konkurrenz zwischen den Schulen<br />
impliziert, eine völlig andere<br />
Qualität auf: Sobald die freie<br />
Schulwahl durch die Aufhebung<br />
der Schuleinzugsbezirke eingeführt<br />
würde, sobald Drittmittel<br />
eingeworben werden könnten<br />
und die Schulen die Möglichkeit<br />
erhielten Schüler abzulehnen,<br />
wäre ein marktgesteuertes Bildungssystem<br />
etabliert.<br />
Ein Blick auf die OECD-Länder,<br />
in denen die freie Schulwahl in<br />
unterschiedlichsten Formen<br />
praktiziert wird, zeigt, dass sich<br />
in diesen Ländern die soziale<br />
Segregation verstärkt: Insbesondere<br />
in den angelsächsischen<br />
Staaten werden Schulen in sozialen<br />
Brennpunkten abgehängt,<br />
in einkommensstarken Gegenden<br />
bilden sich Qualitätsschulen<br />
heraus. Mit der freien Schulwahl<br />
würde die Selektivität des Bildungssystems<br />
weiter erhöht<br />
werden und die Integration von<br />
Behinderten oder ethnischen<br />
Gruppen erschwert oder unmöglich<br />
gemacht, wenn deren Aufnahme<br />
nicht mit der »corporate<br />
identity« einer Schule vereinbar<br />
oder »zu kostenintensiv« wäre.<br />
Und wenn der Markt angeblich<br />
dafür sorgt, dass schlechte<br />
Schulen verschwinden, was ist<br />
mit den Schülern, die in den Jahren<br />
vor dem Verschwinden diese<br />
Schule besuchen Wie soll es in<br />
ländlichen Gebieten eine Konkurrenz<br />
der Schulen geben Und<br />
wer garantiert, dass die Eltern<br />
die beste Schule wählen und<br />
nicht diejenige, die über einen<br />
hohen Werbe-Etat verfügt oder<br />
hervorragende Noten verspricht<br />
ohne die Persönlichkeitsentwicklung<br />
der Schüler im Blick zu<br />
haben Dass neben dem Sachverhalt<br />
des Staatsversagens<br />
auch der des Marktversagens<br />
existiert, scheint den Propheten<br />
eines Bildungsmarktes nicht geläufig<br />
zu sein.<br />
Es zeugt von der Verzweiflung<br />
einiger Bildungstheoretiker, dass<br />
sich inzwischen selbst Pädagogen<br />
von einem Wettbewerb zwischen<br />
den Schulen einen heilsamen<br />
Schock für das Bildungssystem<br />
versprechen. Billigend in<br />
Kauf genommen wird dabei, dass<br />
der Aspekt der Chancengleichheit<br />
in einem marktgesteuerten<br />
Bildungssystem auf der Strecke<br />
bleibt.<br />
Mit dem Verweis auf die Studien<br />
Pierre Bourdieus und auf den<br />
Befund, dass das bisherige<br />
Schulsystem es nicht geschafft<br />
habe, die soziale Ungleichheit<br />
einzudämmen, da die Elitenreproduktion<br />
ausserhalb der<br />
Schule stattfände (Rainer Fischbach<br />
im Freitag 8/99), wird übergangen,<br />
dass das bisherige<br />
staatliche Schulsystem doch<br />
bedeutend egalitärer ist als die<br />
übrige Gesellschaft. Trotz aller<br />
Mängel erhöht das bisherige<br />
Bildungssystem die Durchlässigkeit<br />
der sozialen Schichten. Die<br />
Antwort auf die Schwächen der<br />
Schule bei der Verwirklichung<br />
von Chancengleichheit kann<br />
nicht darin bestehen, jeden egalitären<br />
Anspruch aufzugeben und<br />
sich auf die Seite der neuen<br />
Apologeten der Elitenbildung zu<br />
schlagen. Die Antwort muss statt<br />
dessen lauten, diejenigen Schüler,<br />
die weniger Unterstützung<br />
von ihren Eltern erfahren, gezielt<br />
zu fördern, um das Gebot der<br />
Chancengleichheit zumindest<br />
teilweise einzulösen.<br />
Die Ambivalenz der Schulautonomie<br />
ergibt sich vor allem aus<br />
der Frage, ob das Projekt Autonomie<br />
von einem marktgesteuerten<br />
Bildungssystem zu trennen<br />
ist. Der Verdacht liegt nahe, dass<br />
die Profilbildung und die Selbstverwaltungsstrukturen<br />
der Schulen<br />
lediglich der erste Schritt auf<br />
einem Weg sind, an dessen Ende<br />
die Schulen in ein Marktsystem<br />
entlassen werden. Bei einer<br />
derartigen Entwicklung wären<br />
zwar einige verfassungsrechtliche<br />
Hürden zu überwinden. Doch<br />
die Teilnehmer an der Debatte<br />
über die Schulautonomie müssen<br />
sich bewusst sein, dass ihre Diskussionsbeiträge<br />
für eine Einführung<br />
des marktgesteuerten<br />
Schulsystems instrumentalisiert<br />
werden können.<br />
Um der Gefahr einer Auslieferung<br />
an den Markt zu begegnen,<br />
sollte eine klare Grenzziehung<br />
zwischen den unterschiedlichen<br />
Inhalten und Zielvorstellungen<br />
von Schulautonomie versucht<br />
werden: Wenn Schulautonomie<br />
bedeuten kann, der Pädagogik<br />
an den Schulen mehr Gestaltungsspielraum<br />
einzuräumen,<br />
dürfte dieser Ansatz nicht unter<br />
dem Negativzeichen des Neoliberalismus<br />
verhandelt werden.<br />
Denn so würde eine Chance auf<br />
eine bessere Schule für alle vertan.<br />
Wenn sich hinter dem<br />
Schlagwort Schulautonomie jedoch<br />
hauptsächlich die Zielvorstellung<br />
eines marktgesteuerten<br />
Bildungssystems verbirgt, müssen<br />
dessen berechenbare Folgen<br />
aufgedeckt werden: die zunehmende<br />
Desintegration. Die<br />
sich weiter öffnende Schere zwischen<br />
Eliten und Verlierern. Der<br />
Abschied vom Anspruch auf<br />
Chancengleichheit.
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 39<br />
In der Schweiz hat der Kanton Zürich unter Erziehungsdirektor Buschor eine Pionierrolle in der Schulautonomiedebatte<br />
übernommen.<br />
Erfahrungen mit der freien Schulwahl an den Zürcher<br />
Kantonsschulen<br />
Stephan Aebischer<br />
Präsident des Mittelschullehrerverbands Zürich.<br />
Das Zürcher Mittelschulgesetz,<br />
gültig seit dem Jahr 2000, bestimmt<br />
zur Schulwahl Folgendes:<br />
"Die Schülerinnen und Schüler<br />
können grundsätzlich nach freier<br />
Wahl an eine Schule angemeldet<br />
werden. Bei Überbelegung oder<br />
bei mangelnder Auslastung einer<br />
Schule kann die für das Bildungswesen<br />
zuständige Direktion<br />
Umteilungen vornehmen."<br />
Mit diesem Gesetzesparagraphen<br />
hoffte der damalige Bildungsdirektor<br />
Buschor, eine<br />
Konkurrenz zwischen den 20<br />
Kantonsschulen, welche die Jugendlichen<br />
ins Gymnasium und<br />
in die Diplommittelschule aufnehmen,<br />
anzukurbeln. Im zweiten<br />
Satz wird aber das Wahlversprechen<br />
gleich relativiert für den<br />
Fall, dass die freie Schulwahl im<br />
grösseren Umfang benützt würde.<br />
Wie sind nun die effektiven Erfahrungen<br />
der letzten Jahre<br />
Offizielle Statistiken sind nicht<br />
bekannt, wahrscheinlich auch<br />
nicht vorhanden. Offensichtlich<br />
wird aber die gesetzliche Möglichkeit<br />
durch die Schülerinnen<br />
und Schüler bzw. durch deren<br />
Eltern wenig genutzt, obwohl ein<br />
gut ausgebautes öffentliches<br />
Verkehrssystem vieles möglich<br />
macht. Die Gründe dafür sind in<br />
städtischen und ländlichen Gebieten<br />
unterschiedlich.<br />
Die Kantonsschulen in den<br />
Städten Zürich und Winterthur<br />
führen jeweils nur einen Teil der<br />
Maturitätsprofile; Änderungen der<br />
Profilzuteilung für eine Schule<br />
werden durch den Bildungsrat<br />
nur ganz restriktiv genehmigt und<br />
von den andern Schulen sehr<br />
kritisch beobachtet. Wo Schulen<br />
mit dem gleichen geografischen<br />
Einzugsgebiet die gleichen Profile<br />
führen, wird mit Anmelde- und<br />
Prüfungspools ein vernünftiger<br />
Ausgleich gesucht, obwohl die<br />
ebenfalls von Buschor eingeführte<br />
Pro-Kopf-Finanzierung ein<br />
anderes Verhalten anvisiert.<br />
Die Kantonsschulen ausserhalb<br />
der grossen Städte (teils auch<br />
innerhalb) weisen ziemlich klare<br />
natürliche Einzugsgebiete auf,<br />
die Ortsbindung bei der Schülerschaft<br />
ist immer noch sehr stark.<br />
Diese Schulen führen auch unter<br />
dem gleichen Dach viele Profile;<br />
aus diesen Gründen kann eine<br />
echte Konkurrenzsituation gar<br />
nicht entstehen.<br />
Natürlich bemühen sich die<br />
Schulen sehr, ihren "Marktanteil"<br />
zu halten oder zu verbessern.<br />
Dies führt mitunter zu Anpreisungen<br />
in Hochglanzbroschüren und<br />
Veranstaltungen, welche den<br />
nüchternen Informationsbedarf<br />
deutlich übersteigen. Da aber der<br />
Zudrang zu den Mittelschulen<br />
hoch ist und weiter ansteigt, sind<br />
bisher noch keine grösseren<br />
Auseinandersetzungen um die<br />
Schülerzuteilungen entstanden.<br />
Die Schulleitungen sind sich<br />
bewusst, dass ein zu offensichtliches<br />
Werben oder gar Abwerben<br />
längerfristig allen Schulen mehr<br />
Probleme als Vorteile bringen<br />
würde.<br />
Soweit Schulentscheide durch<br />
die Eltern getroffen werden, sind<br />
erfahrungsgemäss immer noch<br />
Traditionen weitgehend bestimmend.<br />
Wettbewerb um<br />
die Schülergunst artikuliert sich,<br />
wenn überhaupt, zwischen den<br />
Profilen. Vorstellungen über zukünftige<br />
Studienrichtungen sind<br />
hier wichtig, aber auch Gruppenverhalten<br />
und Gerüchte über<br />
Anforderungen und Schwierigkeitsgrade.<br />
Dies dürfte sich andernorts<br />
ähnlich verhalten wie im<br />
Kanton Zürich.<br />
Bei uns gibt es, im Unterschied<br />
zum Kanton Aargau, nach zwei<br />
Jahren im Langgymnasium (siebtes<br />
und achtes Schuljahr mit<br />
Lateinunterricht) für die Schülerinnen<br />
und Schüler eine echte<br />
Wahl zwischen den weiterführenden<br />
Profilen, wobei in den<br />
grossen Städten eventuell ein<br />
Schulwechsel nötig ist. Solche<br />
Schulwechsel waren vor zwanzig<br />
Jahren selten, haben sich aber<br />
seither entwickelt und können<br />
bewirken, dass eine Schule bis<br />
zu einem Viertel ihrer Langgymnasiasten<br />
nach dem achten<br />
Schuljahr verliert. Wie weit sich<br />
hier hinter der Profilwahl eine<br />
Schulwahl oder Schulabwahl<br />
versteckt, lässt sich nicht verlässlich<br />
eruieren; diese Verschiebungen<br />
haben jedoch<br />
schon vor der proklamierten freien<br />
Schulwahl stattgefunden.<br />
Die oben beschriebenen Erfahrungen<br />
lassen sich nicht alle auf<br />
andere Kantone übertragen. Was<br />
sich wohl verallgemeinern lässt:<br />
Viel Wind und ein grosser Aufwand<br />
an der Oberfläche führen<br />
oft zu keinem realen Qualitätsgewinn.
40 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Und wenn die freie Schulwahl ein leeres Versprechen<br />
bleibt<br />
Nicht alle Schülerinnen und Schüler können in diejenige Kantonsschule eintreten, die sie gerne besuchen<br />
möchten. <strong>AMV</strong>-aktuell befragte drei umgeteilte SchülerInnen über ihre Erfahrungen.<br />
Jolanda Nadler, Abteilung 1F der Kantonsschule Baden<br />
<strong>AMV</strong>-aktuell: Aus welchen Gründen<br />
haben Sie sich an die Kanti<br />
Wettingen angemeldet<br />
Jolanda Nadler: In erster Linie<br />
beschäftigte mich zur Zeit der<br />
Anmeldung eigentlich das Bestehen<br />
der Abschlussprüfung. Die<br />
Schulwahl spielte deshalb eher<br />
eine untergeordnete Rolle. Da<br />
ich unsicher war, ob ich den<br />
Durchschnitt fürs Gymnasium<br />
schaffe und ich andernfalls an<br />
die DMS wollte, meldete ich mich<br />
für die Schule an, die sowieso<br />
beides anbot (Anm. d. Red.: Zu<br />
jenem Zeitpunkt wusste man<br />
noch nicht, dass auch DMS-<br />
Abteilungen in Baden geführt<br />
werden). Daneben spielte auch<br />
eine Rolle, dass mir, wie sich<br />
anlässlich einer Informationsveranstaltung<br />
zeigte, die Gebäude<br />
und das Gelände in Wettingen<br />
sehr gut gefielen. Da ich, aus der<br />
Region Zurzach kommend, jeweils<br />
ganze Tage in der Schule<br />
verbringen muss, war mir die<br />
Umgebung wichtig – ich bin gern<br />
im Grünen.<br />
Welche Erfahrungen haben Sie<br />
in der Zwischenzeit an der Kantonsschule<br />
Baden gemacht<br />
Ich fühlte mich in Baden von<br />
Anfang an sehr wohl. Ich komme<br />
sowohl mit den Schülern und<br />
Schülerinnen als auch mit den<br />
Lehrpersonen sehr gut klar. Trotz<br />
der grossen Anforderungen habe<br />
ich eine Menge Spass. Auch der<br />
Schulort gefällt mir immer besser<br />
– ich habe die Stadtnähe inzwischen<br />
sehr schätzen gelernt.<br />
Und die Kantonsschule Baden<br />
hat eine gute Mensa. Von Bekannten,<br />
die nach Wettingen<br />
gehen, habe ich nun doch schon<br />
ein paar Dinge gehört, über die<br />
ich mich hier nicht beklagen<br />
kann. So herrsche dort eine recht<br />
stressige Atmosphäre, es gebe<br />
zu wenig Toiletten und beim<br />
Mittagessen sei ein strenger<br />
Schichtbetrieb nötig. Alles in<br />
allem bin ich also mit meiner<br />
Zuteilung ganz zufrieden.<br />
Wie beurteilen Sie die Möglichkeit<br />
die Schule zu wählen<br />
Dass man eine Wahlmöglichkeit<br />
hat, finde ich sehr positiv. Obwohl<br />
man sich ja im Klaren sein<br />
muss, dass man dabei kaum<br />
einen Einfluss darauf hat, mit<br />
welchen Leuten man schliesslich<br />
zu tun hat.<br />
Und das Umteilungsprozedere<br />
Ich für meinen Teil habe gar nie<br />
so recht daran gedacht, dass ich<br />
womöglich doch nicht nach Wettingen<br />
kann – ich war mir sicher,<br />
dass ich nach den Sommerferien<br />
dorthin gehe. Deshalb hat es<br />
mich zuerst schon sehr getroffen,<br />
dass ich umgeteilt wurde. Wir<br />
haben die Umteilungen dann<br />
aber untereinander diskutiert,<br />
wobei klar wurde, dass es unsinnig<br />
ist, irgendwelche Vorurteile<br />
zu haben. In dem Brief, den man<br />
erhält, wird unmissverständlich<br />
gesagt, dass die Zuteilung endgültig<br />
ist. Dies scheint auf den<br />
ersten Blick sehr hart, ist aber<br />
notwendig und richtig so, da<br />
sonst wohl ein Riesenchaos entstünde.<br />
Andrea Sprenger, Abteilung 1D der Kantonsschule Zofingen<br />
<strong>AMV</strong>-aktuell: Sie hatten sich<br />
ursprünglich an einer anderen<br />
Schule angemeldet. Welche<br />
Gründe waren ausschlaggebend<br />
für Ihre Präferenz<br />
Andrea Sprenger: An erster<br />
Stelle steht sicher der Schulweg:<br />
Nach Aarau hätte ich mit dem<br />
Velo fahren können. Der Zug, mit<br />
dem ich jetzt täglich nach Zofingen<br />
fahre, kostet meine Eltern<br />
viel Geld, und der Fahrplan lässt<br />
zu wünschen übrig. Dazu kommt,<br />
dass ich anlässlich des Kanti-<br />
Schnupperbesuchs, den ich als<br />
Bezirksschülerin hier machte,<br />
das Gebäude und die<br />
Schulräumlichkeiten überhaupt<br />
räumlichkeiten überhaupt nicht<br />
ansprechend fand, während mir<br />
die schönen, hellen Räume der<br />
Neuen Kanti Aarau auf Anhieb<br />
gefielen. Auch das Schulsportangebot<br />
wäre in Aarau attraktiver<br />
gewesen. Schliesslich kannte ich<br />
in Aarau mehr Kolleginnen und<br />
Kollegen, die bereits dort zur<br />
Schule gingen.<br />
Nun besuchen Sie schon ein<br />
halbes Jahr die Schule, an die<br />
Sie gegen Ihren Willen umgeteilt<br />
wurden. Wie fühlen Sie sich heute<br />
an der Kanti Zofingen<br />
Eigentlich gut, ich habe mich an<br />
die neue Situation gewöhnt.<br />
Wenn das Gespräch auf die<br />
Umteilung fällt, denke ich jeweils<br />
schon daran, dass ich lieber<br />
nach Aarau gegangen wäre. Mit<br />
den kühlen Temperaturen, die<br />
während des Winters hier im<br />
Schulhaus herrschen, habe ich<br />
noch etwas Mühe. Mein Hadern<br />
mit der Umteilung konzentriert<br />
sich aber eigentlich auf die<br />
Schulräumlichkeiten und stellt<br />
sonst nicht mehr ein echtes<br />
Problem dar.<br />
Wie beurteilen Sie im Nachhinein<br />
das ganze Umteilungsprozedere
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 41<br />
Über meine Zuteilung an die<br />
Kanti Zofingen wurde ich kurz<br />
und knapp per Brief informiert.<br />
Man teilte mir mit, dass in Aarau<br />
keine Abteilungskapazitäten<br />
mehr bestünden. Kantonsweit<br />
scheint es ja so zu sein, dass die<br />
Schulwahl der allermeisten SchülerInnen<br />
respektiert wird. Wir aus<br />
Kölliken sind offenbar eine Art<br />
Sonderfall, da wir zum Bezirk<br />
Zofingen gehören, in unserem<br />
Alltag aber doch eher Aarau orientiert<br />
leben. Ich fände es im<br />
Grunde ehrlicher, man würde uns<br />
von Beginn weg sagen, welche<br />
Schule wir zu besuchen haben.<br />
Im Allgemeinen fällt es mir ohnehin<br />
schwer, für Sparentscheide,<br />
welche die Bildung betreffen,<br />
Verständnis aufzubringen.<br />
Matthias Elsasser, Abteilung 4A der Neuen Kantonsschule Aarau<br />
<strong>AMV</strong>–aktuell: Sie hatten sich ursprünglich<br />
an die Alte Kantonsschule<br />
angemeldet. Aus welchen<br />
Gründen<br />
Matthias Elsasser: Für mich war<br />
klar, dass „Die Kantonsschule“<br />
die heutige „Alte Kantonsschule“<br />
bedeutete. Von der „Neuen“<br />
wusste ich kaum etwas. „Zelgli“<br />
verband ich immer noch mit seminaristischer<br />
Ausbildung. Zudem<br />
war es die „Alte Kantonsschule“,<br />
die uns Schülerinnen,<br />
Schüler der 4. Klasse der Bezirksschule<br />
Unterkulm zu einer<br />
Besichtigung der Räume und zu<br />
einer kurzen Vorstellung der<br />
Unterrichtsgänge ausserhalb der<br />
offiziellen Info – Veranstaltungen<br />
(mit Eltern) eingeladen hatte.<br />
Ausserdem gingen alle meine<br />
älteren Kolleginnen und Kollegen,<br />
die sich für die Mittelschule<br />
entschieden hatten, an die „Alte<br />
Kantonsschule“.<br />
Wie haben Sie die administrativ<br />
verordnete Zuteilung erlebt<br />
Zuerst war ich sehr enttäuscht,<br />
da ich als erster meiner Bezirksschulklasse<br />
den Brief mit dem<br />
Entscheid erhalten hatte, und<br />
dies zwei Tage nach dem oben<br />
erwähnten Augenschein an der<br />
„Alten Kantonsschule“. Später<br />
spürte ich eine gewisse Erleichterung,<br />
da ich feststellen konnte,<br />
dass Mitschülerinnen, Mitschüler<br />
gleichermassen von dieser<br />
Massnahme betroffen waren.<br />
Hat sich diese Enttäuschung auf<br />
den Schulalltag ausgewirkt<br />
Nein. Zuerst musste man sich<br />
ohnehin in der neuen Umgebung<br />
zurecht finden. Diese Umstellung<br />
geht wohl allen gleich. Zudem<br />
fand ich mich in einer Klasse,<br />
von der die Hälfte ebenfalls<br />
durch die Massnahme betroffen<br />
war. Gleich stellte ich fest, dass<br />
das Fächerangebot der NKSA<br />
mit demjenigen der AKSA identisch<br />
ist, auch andere Aktivitäten<br />
deckten oder ergänzten sich.<br />
Was mir damals aufgefallen ist<br />
und was mich heute noch anspricht:<br />
Die hellen Räume. Ein<br />
Spiegel der Schulatmosphäre –<br />
Ich weiss es nicht! – Aber Offenheit<br />
lässt sich in diesen Räumen<br />
leben, und ich erfahre dies<br />
mehrheitlich auch so im Umgang<br />
mit Kolleginnen, Kollegen, auch<br />
mit Lehrpersonen.<br />
Und heute<br />
Kein Thema, das interessiert.<br />
Vielleicht mal kleine ironische<br />
Bemerkungen, wenn man sich in<br />
Schwerpunktfächern mit Kolleginnen,<br />
Kollegen der andern<br />
Schule im gleichen Schulzimmer<br />
findet. („Eure gruftige Mensa“ –<br />
„Was, zehn Minuten vom Bahnhof“)<br />
Die Interviews führten Patrik Schneider, Alexander Fend und Rudolf Ingold<br />
Wir danken den Schülerinnen und dem Schüler für das Gespräch.
42 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> I – V. Ein Kaleidoskop<br />
Stefan Läderach<br />
Präsident <strong>AMV</strong><br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> I: Die Theorie und ihre Grenzen<br />
Neoliberale Bildungstheoretiker<br />
und -politiker sind sich einig:<br />
Konkurrenz belebt auch im<br />
Schulwesen das Geschäft. Als<br />
Vorteile einer Einführung von<br />
Marktmechanismen in das öffentliche<br />
Bildungswesen werden in<br />
der Literatur folgende Argumente<br />
genannt 1 :<br />
mehr Lebensbezug durch<br />
Kundenorientierung<br />
Innovationsdruck durch Nachfrageorientierung<br />
Beseitigung der „allokativen<br />
Ineffizienz“ (ineffektiver Ressourceneinsatz)<br />
Qualitätsdruck durch Wettbewerb<br />
unter den Schulen<br />
Steigerung der Produktivität<br />
der Schulen (Kosten pro „Einheit“<br />
Erfolg)<br />
Demokratisierung durch mehr<br />
Mitsprache der Kundschaft<br />
Entbürokratisierung und Entpolitisierung<br />
von Schule.<br />
Der Ruf nach mehr Wettbewerb<br />
im Bildungswesen ist in den 90er<br />
Jahren – sicher nicht ganz zufällig<br />
nur kurze Zeit nach dem Fall<br />
der Berliner Mauer – von den<br />
USA 2 nach Europa getragen<br />
worden. Die grundlegenden Konzepte<br />
gehen auf Publikationen<br />
von Milton Friedman (1955) und<br />
Friedrich August von Hayek<br />
(1971) zurück. Nach ihren Vorstellungen<br />
muss Kundenmacht<br />
durch Schulwahl freigesetzt werden:<br />
Wer die stärkste Nachfrage<br />
provoziert, erhält die meisten<br />
Mittel. Die erfolgloseren Anbieter<br />
1 zu den folgenden Ausführungen siehe<br />
etwa Hoxby (2000), Schnaitmann<br />
(2001), Oelkers (2005/1), OECD<br />
(1994), Aeberli (2003) u.a.<br />
2 besonders einflussreich: Chubb/Moe<br />
(1990)<br />
verschwinden letztlich vom<br />
Markt. Die (staatlichen) finanziellen<br />
Mittel werden in Individuen<br />
(Stipendien oder Bildungsgutscheine)<br />
investiert, nicht mehr<br />
direkt in Institutionen. Die öffentliche<br />
Bildung wird auf einen<br />
Kernbereich reduziert, und die<br />
Kunden erhalten freie Wahl unter<br />
einem Angebot, das sich im<br />
Wettbewerb entwickelt.<br />
Schulen erhalten Freiräume, um<br />
ihr Angebot zu profilieren. Vergleiche<br />
des Angebots und der<br />
Leistungsfähigkeit der Einzelschulen<br />
(z.B. aufgrund von<br />
Schulrankings) sollen zu einem<br />
Wettbewerb um kontinuierliche<br />
Qualitätsverbesserung und effektiven<br />
Ressourceneinsatz 3<br />
führen. Grosse Nachfrage<br />
bedeutet Erfolg und wird als Zeichen<br />
für gute Qualität des Angebots<br />
gewertet.<br />
Dass dieser Gedankengang zu<br />
kurz greift, ist offensichtlich. In<br />
einem System, in welchem von<br />
allen Anbietern identische Abschlüsse<br />
vergeben werden, die<br />
zum Eintritt in die nächst höhere<br />
Stufe berechtigen, kann der Anreizmechanismus<br />
sogar eine<br />
gegenteilige Wirkung entfalten:<br />
Der wahre, rational handelnde<br />
„discipulus oeconomicus“ wird<br />
sich für den angenehmeren,<br />
„leichteren“ Weg zum (gleichen)<br />
Ziel entscheiden.<br />
Noch in einem weiteren Punkt<br />
hinkt die Marktmetapher: Es ist<br />
für Lehrpersonen eine Binsenwahrheit,<br />
dass die Studierenden<br />
nicht nur KundInnen oder AbnehmerInnen,<br />
sondern in erheblichem<br />
Ausmass selber „MitproduzentInnen“<br />
von Bildung sind 4 .<br />
3 Schnaitmann (2003)<br />
4 Weiss (2003)<br />
Weil aber Schulqualität letztlich<br />
am Erfolg der Studierenden gemessen<br />
wird, sind sie somit entscheidend<br />
für den Wettbewerbserfolg<br />
ihrer Schule mitverantwortlich.<br />
Die konsequente Anwendung<br />
des Wettbewerbsgedankens<br />
führt zur Forderung, dass<br />
erfolgreiche Schulen das Recht<br />
haben müssten, sich ihre SchülerInnen<br />
selber auszusuchen bzw.<br />
aufgrund ihres Leitbilds und jenseits<br />
der eidgenössischen Bestehensnormen<br />
ungeeignete<br />
„MitproduzentInnen“ abzulehnen,<br />
wenn sie die Zielerreichung der<br />
Schule beeinträchtigen könnten 5 .<br />
Dies auch deshalb, weil es für<br />
jede Schule eine optimale Schülerzahl<br />
gibt, die sie nicht überschreiten<br />
sollte, um ihre Qualität<br />
hoch halten zu können – zumal<br />
unter den real existierenden politischen<br />
Bedingungen ein Schüleransturm<br />
nur zu mehr und grösseren<br />
Klassen und damit zu<br />
Platz- und Infrastrukturproblemen<br />
führt, ohne Aussicht auf rasche<br />
Abhilfe.<br />
Numerus Clausus der Einzelschule:<br />
eine Konsequenz des<br />
Wettbewerbs, die im privaten<br />
Markt eine gewisse Logik für sich<br />
beanspruchen mag, für öffentliche<br />
Schulen jedoch unter sozialen<br />
Gesichtspunkten höchst<br />
problematisch wäre.<br />
Die internationalen Erfahrungen<br />
der letzten Jahre zeigen deutlich,<br />
dass politische Massnahmen zur<br />
Erweiterung der freien Schulwahl<br />
sowohl Gefahren als auch Chancen<br />
mit sich bringen. 6 Es stellte<br />
sich heraus, dass die freie<br />
Schulwahl dann am besten funktioniert,<br />
wenn verschiedene<br />
5 Oelkers (2005)<br />
6 OECD (1994)
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 43<br />
Schulen unterschiedliche Bildungskonzepte<br />
oder Fächerspezialisierungen<br />
anbieten. Für die<br />
Politik bedeutet dies, dass sie<br />
neben der Freiheit der Wahl auch<br />
die Vielfalt der Schulen aktiv<br />
fördern müsste. Gleichzeitig ist<br />
es ihre Aufgabe, eine sinnvolle<br />
Distribution des notwendigen<br />
Angebots sicherzustellen. Denn<br />
die konsequente Kundenorientierung<br />
(teil)autonomer Anbieter<br />
bringt nicht automatisch eine<br />
vernünftige Verteilung des Angebots<br />
zwischen den konkurrierenden<br />
Schulen mit sich: Sie kann<br />
genau so gut zu einer hektischen<br />
Jagd nach modischen Trends<br />
und damit zu Angebotslücken in<br />
weniger „attraktiven“ Bereichen<br />
der Bildung führen.<br />
In der Privatwirtschaft basiert der<br />
Erfolg des Konkurrenzprinzips<br />
nicht einfach auf dem reinen<br />
Leistungswillen der Akteure,<br />
sondern auf den konkret abschöpfbaren<br />
Gewinnen, die dem<br />
erfolgreicheren Anbieter zugute<br />
kommen – auf Kosten seiner<br />
Konkurrenten, die dann vielleicht<br />
mit einem neuen Produkt reagieren,<br />
aufgekauft werden oder aus<br />
dem Markt verschwinden. Es ist<br />
systemimmanent, dass es Gewinner<br />
und Verlierer geben<br />
muss. Dies ist aber im öffentlichen<br />
Bildungssystem aus ethischen<br />
Gründen höchst problematisch:<br />
Bildung ist ein öffentliches<br />
Gut, auf das alle EinwohnerInnen<br />
nach Massgabe ihrer intellektuellen<br />
Leistungsfähigkeit<br />
Anspruch haben.<br />
Die Konsequenz wäre, dass eine<br />
weniger erfolgreiche Schule zusätzliche<br />
Mittel erhalten müsste,<br />
um ihre Leistungen optimieren zu<br />
können. Worin läge dann aber<br />
noch der Anreiz für die „besseren“<br />
Schulen, besser sein und<br />
besser bleiben zu wollen<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> II: Praxis 2010<br />
Sven Muster ist Bezirksschüler. und grau, sagen Felix und andere,<br />
Er ist schon sechzehn und will an<br />
die Kanti. Warum Wenn ihn<br />
niemand fragt, weiss er es, aber<br />
sobald ihn jemand fragt... Jedenfalls<br />
dort würden sie nie hingehen.<br />
Na ja, wenn Sven seinen Vater<br />
so ansieht, ist das vielleicht nicht<br />
wirklich ein Widerspruch...<br />
hat er den Durchschnitt<br />
Am nächsten wäre natürlich die<br />
locker, und eine Lehre kann er<br />
Schule auf dem Galgenhübel in<br />
sich nicht wirklich vorstellen.<br />
Halten, und auch ziemlich cool,<br />
Schon eher Informatik an der<br />
sagt Viktor, Svens Cousin, der<br />
ETH. Sven verbringt ja jetzt<br />
dort schon seit über fünf Jahren<br />
schon den halben Tag am Computer,<br />
wenn er Zeit hat.<br />
zur Schule geht. Aber eben, Halten<br />
liegt definitiv im Nachbarkanton.<br />
Zum Glück kann man heute die<br />
Wie viele Kantonsschu-<br />
Kantonsschule frei wählen. Als len gibt’s bei uns eigentlich<br />
Svens Vater in die Kanti ging, Sven geht auf die Homepage des<br />
gab es weit und breit nur eine Kantons. Da: Mittelschulen im<br />
Schule, die Kantonsschule „im Aargau: 975 Resultate. Und hier<br />
Stadtpark“ in Seldwyla. Idyllischer<br />
die Sites der sechs Schulen,<br />
Name eigentlich; damals einige davon sind echt gut ge-<br />
hiess sie natürlich noch anders,<br />
und sie war weit herum bekannt<br />
macht, andere etwas umständlich,<br />
aber das muss ja noch<br />
und geschätzt. Aber Sven hat nichts heissen.<br />
gelernt, sich ein eigenes Urteil zu<br />
Kuchentag, Adventskalender,<br />
bilden: Von ehemaligen Mitschülerinnen<br />
und Mitschülern,<br />
Kerzenfotos – nein, bitte nicht,<br />
das ist ja wie an der Bez. Kein<br />
die jetzt schon an der Kanti sind,<br />
Wunder, schwärmt Svens grosse<br />
hat er so einiges über diese<br />
Schwester in den höchsten Tönen.<br />
Gut für sie, aber nichts für<br />
Schule gehört, was ihm gar nicht<br />
gefällt: Hässliche Kantine, strenge<br />
Lehrer, kaum Computerräu-<br />
Sven. Und wer will denn schon<br />
Tag für Tag in die gleiche Schule<br />
me... Seriös und solid, sagt Papa:<br />
Schliesslich ging der grosse<br />
wie die grosse Schwester<br />
Chemiker Alfred Neumann hier Stopp, da: Eine Startseite wie bei<br />
eineinhalb Jahre lang zur Schule,<br />
und auch der Unternehmer und<br />
spätere Bundesrat Konrad Billiger,<br />
Bluewin, übersichtlich, reich bebildert.<br />
Gar nicht übel: sieht aus<br />
wie ein alter Wallfahrtsort oder<br />
und viele andere (und eben sowas, schön renoviert. Viel<br />
auch Papa selber)... Verstaubt Sport, Reisen, interaktive Agenda.<br />
Oder die da: Ziemlich modern,<br />
das Schulhaus. Viel Sport<br />
und Theater, Laptop-Klasse und<br />
weitere Informatik-Zusatzangebote,<br />
das klingt gut. Aber Neustadt<br />
ist nun doch definitiv zu<br />
weit weg. Also vielleicht doch in<br />
den „Stadtpark“ Immerhin, die<br />
Schule liegt gleich neben dem<br />
Bahnhof. Ein paar freie Minuten<br />
mehr, und das vier Jahre lang<br />
jeden Tag, das läppert sich<br />
schon zusammen.<br />
Aber Andreas und Roswitha und<br />
all die anderen aus der früheren<br />
Klasse, will ich diesen Strebern<br />
wirklich jeden Tag wieder über<br />
den Weg laufen O.k., die<br />
Schule ist ziemlich gross und<br />
anonym. Aber das ist ja auch<br />
nicht nur positiv. Darum gehen<br />
doch die meisten aus Svens<br />
Klasse nach Zopfikon, das ist<br />
erst noch näher. Das Informatik-<br />
Angebot sei dort eigentlich ziemlich<br />
gut, sagt Sandro, obwohl<br />
jetzt auf der Homepage kaum<br />
etwas davon zu sehen ist.<br />
Und übrigens will auch Eliane<br />
dorthin... E-Gitarre ist im Angebot,<br />
sehr gut. Vielleicht gibt’s ja<br />
noch einen Platz in der Kanti-<br />
Bänd Sieht sympathisch aus,<br />
recht viele Jungs dabei. Und<br />
wenn er vielleicht Eliane überreden<br />
könnte, sie spielt doch Sax...
44 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> III: Rahmenbedingungen<br />
Mit der Proklamation der freien<br />
Schulwahl ist es nicht getan: Damit<br />
sich <strong>Schulkonkurrenz</strong> als Steuerungsinstrument<br />
zur Qualitätssteigerung<br />
und Bereicherung des Angebots<br />
positiv auswirken könnte,<br />
müssten zunächst eine ganze<br />
Reihe von Voraussetzungen erfüllt<br />
sein.<br />
Notwendige Rahmenbedingungen...<br />
1. Gesamtsystem (alle Akteure)<br />
Verständigung auf gemeinsame<br />
Kriterien für „Qualität“ und<br />
„(Wettbewerbs-)Erfolg“ von<br />
Schulen bzw. Studierenden:<br />
Möglichst viele oder möglichst<br />
gute GymnasiastInnen Studienerfolgsquote<br />
an der Hochschule<br />
Renommee durch Spitzenleistungen<br />
Gutes Schulklima<br />
Innovative Ausstrahlung...<br />
2. Politik und Verwaltung<br />
Gewährung hinreichender Freiräume<br />
für kundenorientierte<br />
Angebotsdifferenzierung (Reduktion<br />
der obligatorischen<br />
Stundentafel)<br />
bei gleichzeitiger Gewährleistung<br />
des Vollangebots nach<br />
MAR AG für jede/n Studierende/n<br />
im ganze Kantonsgebiet in<br />
zumutbarer Distanz<br />
gleich lange Spiesse für alle<br />
Anbieter zum Zeitpunkt der<br />
„Marktöffnung“<br />
Sicherstellung des finanziellen<br />
Spielraums der Einzelschulen<br />
für erfolgreiche Reaktion auf<br />
Marktveränderungen<br />
Transparenz der gesamten<br />
Angebotspalette für die Kundschaft<br />
Evaluation und Transparenz<br />
der Leistungen der einzelnen<br />
Schulen<br />
Sicherstellung von rechtsgleicher<br />
Behandlung aller Mittelschullehrpersonen<br />
im Kanton<br />
echte Anreize (z.B. mehr Geld,<br />
mehr Autonomie, Neubauten)<br />
für erfolgreiche, Sanktionen (bis<br />
hin zur Schliessung) für erfolgsschwache<br />
Schulen<br />
3. Einzelschule<br />
Sicherstellung des minimalen<br />
Angebots für die Studierfähigkeit<br />
(MAR 95)<br />
hinreichende Autonomie für<br />
griffige, zielgruppenorientierte<br />
Profilbildung<br />
klare Vorstellungen von (und<br />
Orientierung an) den Präferenzen<br />
der Kunden und den gesellschaftlichen<br />
Erfordernissen<br />
hinreichender Handlungsspielraum<br />
und Flexibilität für rasches<br />
Reagieren auf Marktbewegungen<br />
professionelle Kommunikation<br />
(PR)<br />
ev. Recht auf Ablehnung von<br />
Studierenden nach selber definierten<br />
Kriterien<br />
4. Kundenseite (angehende Studierende,<br />
Eltern)<br />
Recht auf freie Schulwahl (Umteilungen<br />
nur im Notfall)<br />
verlässliche, übersichtliche Informationen<br />
über Inhalt und<br />
Qualität der Angebote<br />
hinreichende Erreichbarkeit der<br />
konkurrierenden Standorte<br />
rationales Wahlverhalten anhand<br />
von Kriterien der Qualität<br />
...und die Realität<br />
Es ist offensichtlich, dass die meisten<br />
Kriterien dieses Katalogs in der<br />
Mittelschule Aargau nicht erfüllt<br />
sind – ohne dass deswegen jedoch<br />
ein echtes Qualitätsdefizit festgestellt<br />
werden könnte.<br />
Das Produkt ist identisch<br />
Das von den „Kunden“ nachgefragte<br />
Gut ist nicht die „bestmögliche<br />
gymnasiale Bildung“, sondern<br />
primär das Maturzeugnis als Berechtigung<br />
für den freien und allgemeinen<br />
Hochschulzugang.<br />
Dieses Produkt ist an allen Schulen<br />
identisch und wird überall mit gleich<br />
hoher Wahrscheinlichkeit erreicht.<br />
Auch die Angebotspalette für den<br />
Weg zum Maturzeugnis ist<br />
mehr oder weniger identisch,<br />
da an allen Schulen nahezu<br />
alle Schwerpunkt- und Ergänzungsfächer<br />
belegt werden<br />
können.<br />
Die Schulwahl erfolgt aufgrund<br />
sekundärer Kriterien<br />
Da das nachgefragte Gut<br />
(Maturzeugnis) identisch ist,<br />
wählen die „Kunden“ ihre<br />
Schule aufgrund von sekundären<br />
Kriterien wie Erreichbarkeit,<br />
Familientraditionen,<br />
„Ruf“ einer Schule, Gruppenpräferenzen,<br />
Attraktivität der<br />
Schulanlage, erfolgreiche<br />
Selbstpräsentation der<br />
Schule, „Atmosphäre“ und<br />
„Modernität“, Nischenangebote<br />
im Freifachbereich etc.<br />
Verlässliche Daten über allfällige<br />
Qualitätsunterschiede<br />
zwischen den Schulen existieren<br />
nicht<br />
Verlässliche Daten, die eine<br />
Schulwahl nach qualitativen<br />
Kriterien ermöglichen würden,<br />
fehlen vollständig. Doch<br />
selbst wenn solche Daten zur<br />
Verfügung stehen und relevante<br />
Unterschiede aufweisen<br />
würden (was unwahrscheinlich<br />
ist), würde sich<br />
kaum viel verändern, da alle<br />
Schulen zum allgemeinen<br />
Hochschulzugang führen.<br />
(Dazu ein Gedankenexperiment:<br />
Was würde wohl mit<br />
einer Schule geschehen, die<br />
sich als „die strengste Kantonsschule<br />
im Kanton“ zu<br />
profilieren versuchte)<br />
Es gibt kein taugliches Konzept<br />
von „erfolgreicher Praxis“<br />
Hinsichtlich des nachgefragten<br />
Guts (Maturzeugnis) sind<br />
offensichtlich alle Aargauer<br />
Mittelschulen sehr erfolgreich.<br />
Ein von allen Akteuren<br />
gleichermassen anerkanntes<br />
und steuerungswirksames<br />
Konzept von „erfolgreicher<br />
Praxis“ von Gymnasien existiert<br />
nicht. Einzige (und
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 45<br />
fragwürdige) Orientierungsgrösse<br />
für erfolgreiche Praxis von Schulen<br />
ist deshalb Jahr für Jahr die Zahl<br />
der Neuanmeldungen – die, wie<br />
bereits erwähnt, hauptsächlich von<br />
Wahlkriterien abhängt, von welchen<br />
die meisten nichts mit der<br />
Ausbildungsqualität im Sinne der<br />
Hochschulvorbereitung zu tun<br />
haben.<br />
Geographische Distanz zwischen<br />
den Schulen<br />
Die Aargauer Mittelschulen liegen<br />
zu weit auseinander, als dass alle<br />
sechs Standorte jemals zueinander<br />
in echte Konkurrenz treten<br />
könnten. <strong>Schulkonkurrenz</strong> (auf der<br />
Basis echter Profilbildung) ist in<br />
einer Stadt wie Zürich machbar,<br />
aber nicht im dezentralen Kanton<br />
Aargau. Wenn man diesen Weg<br />
einschlagen möchte, so müsste<br />
man mindestens von zwei Zentren<br />
ausgehen: Aargau Ost und Aargau<br />
West.<br />
Die Schulen haben nicht gleich<br />
lange Spiesse<br />
Die einzelnen Schulen unterscheiden<br />
sich erheblich hinsichtlich ihrer<br />
Geschichte, ihrer Grösse und insbesondere<br />
im Bereich der oben<br />
erwähnten, besonders wahlrelevanten<br />
„sekundären Qualitäten“.<br />
Die Wahl ist nur scheinbar<br />
frei<br />
Die Zahl der umgeteilten<br />
SchülerInnen ist seit 2001<br />
permanent gestiegen (von 17<br />
im Jahr 2001 auf je 114 in<br />
den Jahren 2004 und 2005).<br />
Auf Beginn des Schuljahrs<br />
2005/06 wurden 3 ganze<br />
DMS-Klassen von Wettingen<br />
nach Baden umgeteilt.<br />
Ein Recht auf die Auswahl<br />
bzw. Ablehnung von Studierenden<br />
durch die Schulen<br />
besteht (glücklicherweise)<br />
nicht.<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> IV: Warum sie im Gymnasium Aargau höchstens Probleme bringt<br />
Die Aargauer Kantonsschulen<br />
erfüllen seit ihrem Bestehen ihre<br />
Aufgabe (Hinführung der Studierenden<br />
zur allgemeinen Hochschulreife)<br />
ausgezeichnet und<br />
bieten darüber hinaus ein überaus<br />
reiches – und ständig wachsendes<br />
und sich aktualisierendes<br />
– Angebot von Zusatzleistungen<br />
an. Für ideologieverhaftete und<br />
unausgegorene, eventuell gefährliche<br />
Experimente im Bereich<br />
der Systemsteuerung besteht<br />
daher keinerlei Bedarf.<br />
Die Verbindung von „freier“<br />
Schulwahl (de facto mit je über<br />
hundert Umteilungen in den letzten<br />
zwei Jahren) und Teilautonomie<br />
bei gleichzeitiger Abwesenheit<br />
echter Schulprofile inhaltlicher<br />
Art führt unweigerlich zu<br />
einer Form von <strong>Schulkonkurrenz</strong>,<br />
die kaum qualitätssteigernde<br />
Auswirkungen haben kann: Allerorts<br />
herrscht rege Betriebsamkeit,<br />
am meisten aber im PR-<br />
Bereich: Wer Zeitung liest, muss<br />
den Eindruck bekommen, das<br />
Tagwerk der GymnasiastInnen<br />
bestehe heute hauptsächlich aus<br />
Firmengründungen, Konzertauftritten,<br />
der Teilnahme an Podiumsdiskussionen<br />
und dem Verfassen<br />
trendiger Maturitätsarbeiten.<br />
Neue Fächer werden<br />
angeboten, teilweise sogar erfunden,<br />
ohne dass die Angebote<br />
untereinander sorgfältig koordiniert<br />
zu sein scheinen (vgl. Editorial<br />
<strong>AMV</strong>-aktuell 05/3). Im Freifachangebot<br />
besteht die Gefahr<br />
einer Popularisierung: Kaum eine<br />
Schule kann es sich beispielsweise<br />
leisten, das Instrument<br />
„Keyboard“ nicht anzubieten,<br />
auch wenn die Frage nach dem<br />
gymnasialen Curriculum noch<br />
nicht wirklich geklärt ist – selbst<br />
gegen die Skepsis sämtlicher<br />
Lehrpersonen einer betroffenen<br />
Fachschaft.<br />
Die neu etablierte <strong>Schulkonkurrenz</strong><br />
zwingt die Schulen zum<br />
verstärkten Werben um die BezirksschulabgängerInnen,<br />
verringert<br />
die Lust zur Kooperation<br />
zwischen den Schulen, verstärkt<br />
paradoxerweise den Druck zum<br />
Komplettangebot und bläht die<br />
PR-Aktivitäten auf. Bezirksschülerorientierungen<br />
dienen neuerdings<br />
zunehmend dem Standortmarketing.<br />
In Zeiten sich abzeichnenden<br />
Schülerrückgangs<br />
droht die „Einschaltquote“ zur<br />
wichtigsten Kennziffer für erfolgreiche<br />
Schulführung zu werden.<br />
Unterdessen wählen die Studierenden<br />
ihre Schule aufgrund von<br />
wenig beeinflussbaren, sekundären<br />
Faktoren wie Schulweg, Attraktivität<br />
der Schulbauten, „Ruf“<br />
einer Schule, Familientradition<br />
etc. – und sie verhalten sich damit<br />
absolut rational, ist doch das<br />
angebotene Produkt überall das<br />
gleiche: Gymnasiale Bildung<br />
nach MAR Aargau und der Maturitätsausweis,<br />
der die Zutrittsberechtigung<br />
zur Hochschule darstellt.<br />
Marktsteuerung durch “freie<br />
Schulwahl“ ohne echte Angebotsdifferenzierung<br />
bringt mehr<br />
Schaden als Nutzen. Sie wandelt<br />
sich von einer Verheissung zu<br />
einer Gefahr, indem sie fatalerweise<br />
einen Anreiz zur Nivellierung<br />
nach unten schafft: Das<br />
„billiger“ oder „angenehmer“ erreichbare<br />
Maturzeugnis könnte<br />
für die „Kundschaft“ das attraktivere<br />
sein, da es den Zweck genauso<br />
erfüllt. Lässt man eine<br />
solche Entwicklung zu, wird sich<br />
jedoch früher oder später der<br />
politische Druck auf den allgemeinen<br />
Hochschulzugang noch<br />
weiter erhöhen: Die Systemlogik<br />
der Marktsteuerung erfordert<br />
letztlich erkennbar „wertvollere“<br />
und „weniger wertvolle“ Maturitätsausweise.<br />
Und das wäre<br />
dann das Ende der Chancengerechtigkeit.
46 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
<strong>Schulkonkurrenz</strong> V: Perspektiven<br />
Es ist längst an der Zeit, eine<br />
ganzheitliche und überzeugende<br />
Steuerungsphilosophie für die<br />
Profilbildung und Schülerzuteilung<br />
in der Mittelschule Aargau<br />
zu entwickeln. Dafür bestehen<br />
theoretisch mehrere Möglichkeiten:<br />
a) Freie Schulwahl und autonome<br />
Angebotsdifferenzierung<br />
der Einzelschulen (selbstständige<br />
Profilbildung)<br />
Echte Angebotsdifferenzierung in<br />
einem für die Schulwahl relevanten<br />
Ausmass würde bedeuten:<br />
Entweder Profilbildung durch<br />
Weglassung im Wahlpflichtbereich<br />
(v.a. SPF/EF, etwa im Sinne<br />
der früheren Typen) und/oder<br />
Angebot zusätzlicher anerkannter<br />
Zertifikate über die gymnasiale<br />
Grundbildung hinaus (die<br />
nicht an allen anderen Schulen<br />
auch angeboten werden). Eine<br />
Profilierung durch Weglassung<br />
oder Zusatzangebote im Freifachangebot<br />
wäre ebenfalls<br />
denkbar, würde aber kaum starke<br />
Profile ergeben und zu einer<br />
Verarmung der Schulkultur führen.<br />
Die Variante a) fällt ausser Betracht,<br />
da das Angebot ohne<br />
zentrale Steuerung zu trendorientiert<br />
und zufällig würde, das<br />
MAR-AG-Vollangebot im Aargau<br />
nicht mehr gewährleistet wäre<br />
(welche Schule würde noch den<br />
teuren Griechischunterricht anbieten<br />
wollen) und die Einzelschulen<br />
auf Marktschwankungen<br />
zu wenig rasch reagieren könnten<br />
(Raumknappheit hier, Überkapazitäten<br />
dort).<br />
b) Freie Schulwahl und zentral<br />
gesteuerte Profilbildung mit<br />
Vollangebot in den zwei<br />
Grossregionen Aargau Ost<br />
und West<br />
Diese Variante ist zwar durchaus<br />
umsetzbar, führt jedoch zu entscheidenden<br />
Rückschritten gegenüber<br />
den Innovationen von<br />
MAR 95:<br />
Die Anzahl der Möglichkeiten<br />
für die Studierenden, sich ihr<br />
individuelles Bildungsprofil<br />
zusammenzustellen, würde<br />
empfindlich reduziert. Viele<br />
Studierende müssten in Zukunft<br />
auf ihr Wunsch-<br />
Ergänzungsfach und vielleicht<br />
auch auf einzelne Freifächer<br />
verzichten müssen.<br />
An jeder Schule würde ein<br />
grosser Teil der Lehrerschaft<br />
die Möglichkeit verlieren,<br />
Schwerpunktfachunterricht<br />
erteilen zu können. Wenn<br />
man weiss, wie stark sich die<br />
Lehrpersonen für den SPF-<br />
Unterricht einsetzen, kann<br />
man sich ausrechnen, wie<br />
empfindlich sich eine solche<br />
„Rückstufung“ auf die Motivation<br />
ganzer Fachschaften<br />
auswirken würde. Eine grosse<br />
Zahl von Fächern würde zu<br />
„Fächern zweiter Klasse“ an<br />
der jeweiligen Schule degradiert.<br />
Die Variante b) könnte demnach<br />
höchstens als langfristige Perspektive<br />
mit einem Horizont von<br />
ein bis zwei Jahrzehnten bei<br />
gleichzeitiger gezielter, profilorientierter<br />
Personalpolitik anvisiert<br />
werden – in Zeiten raschen<br />
Wandels ein fragwürdiges Spiel.<br />
c) Deckungsgleiches Angebot<br />
an allen Standorten in Verbindung<br />
mit zentral gesteuerter<br />
Schülerzuteilung (Verzicht auf<br />
freie Schulwahl)<br />
Die beste Variante für die Mittelschule<br />
Aargau ist die heutige<br />
Lösung mit praktisch deckungsgleichem<br />
Angebot an allen<br />
Standorten, einer Kooperation<br />
zwischen benachbarten Schulen<br />
und gewissen Erleichterungen für<br />
die Kursbildung an den kleineren<br />
Schulen.<br />
Im Unterschied zur aktuellen<br />
Situation sollte aus unserer Sicht<br />
allerdings auf die „freie“ Schulwahl<br />
verzichtet werden, da sie –<br />
wie wir gezeigt haben – unter<br />
den gegebenen Bedingungen<br />
mehr Schaden als Nutzen bringt.<br />
Die angehenden GymnasiastInnen<br />
sollen sich an das Gymnasium<br />
Aargau anmelden; die Schülerzuteilung<br />
soll nach regionalen<br />
Kriterien und primär aufgrund der<br />
vorhandenen Kapazitäten der<br />
einzelnen Schulen erfolgen. Zuteilungswünsche<br />
aus individuellen<br />
Gründen (z.B. Familientradition)<br />
können in Form von Gesuchen<br />
behandelt werden.<br />
Auf diese Weise gelingt die Entkoppelung<br />
von Schulentwicklung<br />
und einem Pseudo-Wettbewerb<br />
mit ungewissen Folgen. Die<br />
Schulautonomie sollte das Fächerangebot<br />
so wenig als möglich<br />
tangieren: Als sinnvoll und<br />
notwendig erkannte Innovationen<br />
(z.B. zur Aufwertung des mathematisch-naturwissenschaftlichen<br />
Bereichs) sollten – soweit die<br />
Nachfrage besteht – an allen<br />
Schulen gleichermassen zum<br />
Tragen kommen.<br />
Und die Schulprofilierung Schon<br />
aufgrund der natürlichen Gegebenheiten<br />
und der Geschichte<br />
hat jede Schule ihren individuellen<br />
Charakter. Diese Individualität<br />
kann und soll im Rahmen der<br />
Schulentwicklung gepflegt werden,<br />
braucht aber nicht künstlich<br />
forciert zu werden. Profilieren wir<br />
das Gymnasium Aargau, oder<br />
noch besser: das Gymnasium<br />
überhaupt, statt unsere Energie<br />
mit kontraproduktiven Abgrenzungsmanövern<br />
zwischen den<br />
Schulen zu verschwenden!<br />
Literaturangaben<br />
Aeberli, Chr., Bildung und Wettbewerb,<br />
in: Grünenfelder, Peter; Oelkers, Jürgen<br />
et al. (Hrsg.), Reformen und Bildung,<br />
Erneuerung aus Verantwortung,<br />
Festschrift für Ernst Buschor,<br />
Zürich Juni 2003: Verlag Neue<br />
Zürcher Zeitung (auszugsweise abgedruckt<br />
im vorliegenden Heft auf<br />
S. 16)<br />
Chubb, J.E. / Moe, T.M., Politics, markets,<br />
and America’s schools. Washington<br />
D.C 1990.<br />
Criblez, L. Wie autonom dürfen Schulen<br />
sein In: NZZ, Juli 1997.<br />
Ekholm, M., Steuerungsmodelle für<br />
Schulen in Europa: Schwedische Erfahrungen<br />
mit alternativen Ord-
<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 47<br />
nungsmodellen, in: Zschr. für Pädagogik,<br />
43.4, 1997.<br />
Hoxby, Caroline Minter, „Does competition<br />
among public schools benefit<br />
students and taxpayers“ in: American<br />
Economic Review, 90:5<br />
Friedman, M., The Role of Government in<br />
Education (1955), in: Capitalism and<br />
Freedom (1982).<br />
Hayek, F. A. v., Die Verfassung der<br />
Freiheit. Tübingen 1971 (amerikan.<br />
Original 1960).<br />
OECD/Ceri-Bericht: School a Matter of<br />
Choice (1994).<br />
Oelkers, J., Die Freiheit der Schulwahl:<br />
Ein Problemaufriss. Vortrag am<br />
27.1.05 in der Universität Zürich<br />
(auszugsweise abgedruckt im vorliegenden<br />
Heft auf S. 22).<br />
Schnaitmann, G., Einführung, in: Schulprofilierung.<br />
Hg. v. G. Schnaitmann,<br />
Hannover 2002.<br />
Schnaitmann, G., Eine Aufgabe für viele:<br />
Die eigene Schule profilieren. In: Klett<br />
Themendienst Schule – Wissen –<br />
Bildung 27/18 (2003) (abgedruckt im<br />
vorliegenden Heft auf S. 13).<br />
Van Lith, Ulrich, Die Ordnung des Bildungswesens.<br />
Problemzonen seiner<br />
ordnungsökonomischen Gestaltung.<br />
Mühlheim an der Ruhr, 2005.<br />
Weiss, M. Der Markt als Steuerungssystem<br />
im Schulwesen In. Zschr. für<br />
Pädagogik, 39.1, 1993.<br />
Weiss, M., Quasi-Märkte im Schulbereich.<br />
Eine ökonomische Analyse, in:<br />
Zschr. für Pädagogik, 47 (43. Beiheft),<br />
2001.<br />
Weiss, M., Kann das Schulwesen durch<br />
Wettbewerb genesen In: Döbert u.a.<br />
(Hg.), Bildung vor neuen Herausforderungen.<br />
Neuwied 2003 (abgedruckt<br />
im vorliegenden Heft auf S. 32)<br />
Weiss, M., Wettbewerb, Dezentralisierung<br />
und Standards im Bildungssystem.<br />
Referat anlässlich des<br />
Workshops „Investition in Humankapital.<br />
Bildungspolitisch verwertbare<br />
Mikroaspekte der Bildungsökonomik“<br />
am 7. Juni 2004 in Bonn.<br />
Wössmann, L., Was macht die Bildungsökonomik,<br />
und warum Human“kapital“<br />
Einführung zum Workshop<br />
„Investition in Humankapital.<br />
Bildungspolitisch verwertbare Mikroaspekte<br />
der Bildungsökonomik“ am 7.<br />
Juni 2004 in Bonn.<br />
Wolter, St. C., Die Schule zwischen der<br />
Gewalt des Staates und der Gewalt<br />
des Marktes. Referat vom 26. April<br />
2002 an der Worlddidac in Zürich.<br />
Weitere Stellungnahmen zur Profilierungsfrage im Gymnasium Aargau<br />
BINDER Hans-Martin/FELLER-LÄNZLINGER Ruth, Maturitätsreform im Kanton Aargau. Schlussbericht<br />
der externen Evaluation, INTERFACE Institut für Politikstudien [online]. April 2004<br />
(http://www.ag.ch/shared/data/pdf/mittelschulen/mar_ag_schlussbericht_april_2004.pdf), Kapitel 4.5<br />
(Freie Schulwahl).<br />
HUBER, Rainer, „Auf zu einem modernen Gymnasium!“. In: Gymnasium wohin <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft<br />
2005/1, S. 13-16, insbesondere S. 15 („Herausforderung 2: Profilierung der Einzelschule“).<br />
(online verfügbar unter http://www.a-m-v.ch/downloads/amv_aktuell/<strong>AMV</strong>aktuell_2005_1.pdf).<br />
PROJEKTLEITUNG MAR, Schlussbericht der Projektleitung MAR zur Umsetzung des schweizerischen<br />
Maturitäts-Anerkennungsreglementes (MAR) im Kanton Aargau, [online] 15.01.2004<br />
(http://www.ag.ch/shared/data/pdf/mittelschulen/schlussbericht_pl_mar_def.pdf), Dritter Teil, Kapitel 2.1.
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