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Schulkonkurrenz – wozu? - AMV

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38 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />

stellungen nicht eingelöst wurden<br />

und die derzeitige Gestalt der<br />

Autonomiekonzepte kaum einen<br />

Anstoss hin zu mehr Partizipation<br />

der Beteiligten verspricht, der<br />

über die bestehenden pseudodemokratischen<br />

Gremienstrukturen<br />

hinausweist. Doch der Vorwurf,<br />

es handele sich – aufgrund<br />

der Verlagerung von der Detailauf<br />

die Rahmenplanung – um<br />

einen Rückzug des Staates aus<br />

seiner Verantwortlichkeit für die<br />

Bildung, deckt sich nicht mit der<br />

realen Entwicklung.<br />

Allerdings weist eine Konzeption<br />

von Schulautonomie, die nicht<br />

nur die Ausweitung des Gestaltungsspielraums<br />

einer Einzelschule<br />

meint, sondern auch die<br />

Konkurrenz zwischen den Schulen<br />

impliziert, eine völlig andere<br />

Qualität auf: Sobald die freie<br />

Schulwahl durch die Aufhebung<br />

der Schuleinzugsbezirke eingeführt<br />

würde, sobald Drittmittel<br />

eingeworben werden könnten<br />

und die Schulen die Möglichkeit<br />

erhielten Schüler abzulehnen,<br />

wäre ein marktgesteuertes Bildungssystem<br />

etabliert.<br />

Ein Blick auf die OECD-Länder,<br />

in denen die freie Schulwahl in<br />

unterschiedlichsten Formen<br />

praktiziert wird, zeigt, dass sich<br />

in diesen Ländern die soziale<br />

Segregation verstärkt: Insbesondere<br />

in den angelsächsischen<br />

Staaten werden Schulen in sozialen<br />

Brennpunkten abgehängt,<br />

in einkommensstarken Gegenden<br />

bilden sich Qualitätsschulen<br />

heraus. Mit der freien Schulwahl<br />

würde die Selektivität des Bildungssystems<br />

weiter erhöht<br />

werden und die Integration von<br />

Behinderten oder ethnischen<br />

Gruppen erschwert oder unmöglich<br />

gemacht, wenn deren Aufnahme<br />

nicht mit der »corporate<br />

identity« einer Schule vereinbar<br />

oder »zu kostenintensiv« wäre.<br />

Und wenn der Markt angeblich<br />

dafür sorgt, dass schlechte<br />

Schulen verschwinden, was ist<br />

mit den Schülern, die in den Jahren<br />

vor dem Verschwinden diese<br />

Schule besuchen Wie soll es in<br />

ländlichen Gebieten eine Konkurrenz<br />

der Schulen geben Und<br />

wer garantiert, dass die Eltern<br />

die beste Schule wählen und<br />

nicht diejenige, die über einen<br />

hohen Werbe-Etat verfügt oder<br />

hervorragende Noten verspricht<br />

ohne die Persönlichkeitsentwicklung<br />

der Schüler im Blick zu<br />

haben Dass neben dem Sachverhalt<br />

des Staatsversagens<br />

auch der des Marktversagens<br />

existiert, scheint den Propheten<br />

eines Bildungsmarktes nicht geläufig<br />

zu sein.<br />

Es zeugt von der Verzweiflung<br />

einiger Bildungstheoretiker, dass<br />

sich inzwischen selbst Pädagogen<br />

von einem Wettbewerb zwischen<br />

den Schulen einen heilsamen<br />

Schock für das Bildungssystem<br />

versprechen. Billigend in<br />

Kauf genommen wird dabei, dass<br />

der Aspekt der Chancengleichheit<br />

in einem marktgesteuerten<br />

Bildungssystem auf der Strecke<br />

bleibt.<br />

Mit dem Verweis auf die Studien<br />

Pierre Bourdieus und auf den<br />

Befund, dass das bisherige<br />

Schulsystem es nicht geschafft<br />

habe, die soziale Ungleichheit<br />

einzudämmen, da die Elitenreproduktion<br />

ausserhalb der<br />

Schule stattfände (Rainer Fischbach<br />

im Freitag 8/99), wird übergangen,<br />

dass das bisherige<br />

staatliche Schulsystem doch<br />

bedeutend egalitärer ist als die<br />

übrige Gesellschaft. Trotz aller<br />

Mängel erhöht das bisherige<br />

Bildungssystem die Durchlässigkeit<br />

der sozialen Schichten. Die<br />

Antwort auf die Schwächen der<br />

Schule bei der Verwirklichung<br />

von Chancengleichheit kann<br />

nicht darin bestehen, jeden egalitären<br />

Anspruch aufzugeben und<br />

sich auf die Seite der neuen<br />

Apologeten der Elitenbildung zu<br />

schlagen. Die Antwort muss statt<br />

dessen lauten, diejenigen Schüler,<br />

die weniger Unterstützung<br />

von ihren Eltern erfahren, gezielt<br />

zu fördern, um das Gebot der<br />

Chancengleichheit zumindest<br />

teilweise einzulösen.<br />

Die Ambivalenz der Schulautonomie<br />

ergibt sich vor allem aus<br />

der Frage, ob das Projekt Autonomie<br />

von einem marktgesteuerten<br />

Bildungssystem zu trennen<br />

ist. Der Verdacht liegt nahe, dass<br />

die Profilbildung und die Selbstverwaltungsstrukturen<br />

der Schulen<br />

lediglich der erste Schritt auf<br />

einem Weg sind, an dessen Ende<br />

die Schulen in ein Marktsystem<br />

entlassen werden. Bei einer<br />

derartigen Entwicklung wären<br />

zwar einige verfassungsrechtliche<br />

Hürden zu überwinden. Doch<br />

die Teilnehmer an der Debatte<br />

über die Schulautonomie müssen<br />

sich bewusst sein, dass ihre Diskussionsbeiträge<br />

für eine Einführung<br />

des marktgesteuerten<br />

Schulsystems instrumentalisiert<br />

werden können.<br />

Um der Gefahr einer Auslieferung<br />

an den Markt zu begegnen,<br />

sollte eine klare Grenzziehung<br />

zwischen den unterschiedlichen<br />

Inhalten und Zielvorstellungen<br />

von Schulautonomie versucht<br />

werden: Wenn Schulautonomie<br />

bedeuten kann, der Pädagogik<br />

an den Schulen mehr Gestaltungsspielraum<br />

einzuräumen,<br />

dürfte dieser Ansatz nicht unter<br />

dem Negativzeichen des Neoliberalismus<br />

verhandelt werden.<br />

Denn so würde eine Chance auf<br />

eine bessere Schule für alle vertan.<br />

Wenn sich hinter dem<br />

Schlagwort Schulautonomie jedoch<br />

hauptsächlich die Zielvorstellung<br />

eines marktgesteuerten<br />

Bildungssystems verbirgt, müssen<br />

dessen berechenbare Folgen<br />

aufgedeckt werden: die zunehmende<br />

Desintegration. Die<br />

sich weiter öffnende Schere zwischen<br />

Eliten und Verlierern. Der<br />

Abschied vom Anspruch auf<br />

Chancengleichheit.

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