09.02.2015 Aufrufe

Schulkonkurrenz – wozu? - AMV

Schulkonkurrenz – wozu? - AMV

Schulkonkurrenz – wozu? - AMV

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 23<br />

schen Ländern die allgemeine,<br />

staatlich unterhaltene Volksschule<br />

aufgebaut, nachdem man<br />

erkannt hatte, dass gleiche Bildung<br />

für alle zur Staatsaufgabe<br />

gehört. Während aber Verschulung,<br />

gerade im Elementarbereich,<br />

zu Beginn ohne Privatanbieter<br />

unmöglich war, gingen<br />

diese am Ende des 19. Jahrhundert<br />

ein, da der Staat für Anforderungen<br />

und Ausstattungen der<br />

öffentlichen Schulen sorgte, die<br />

jede vorhandene Konkurrenz<br />

überforderte. […]<br />

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />

gab es erneut eine Gründungswelle<br />

von Privatschulen, die wesentlicher<br />

professioneller und<br />

marketingbewusster verlief als<br />

die individuellen Gründungen des<br />

19. Jahrhunderts. Im deutschen<br />

Sprachraum hiessen diese<br />

Schulen „Landerziehungsheime“<br />

und stellten eine eigene Marke<br />

dar. Das Produkt nutzte eine<br />

kritische Stimmung vor allem von<br />

unzufriedenen Eltern, die mit<br />

dem staatlichen Angebot insbesondere<br />

im Bereich der Höheren<br />

Bildung nicht einverstanden waren.<br />

Sie wollten sich die Bildung<br />

aussuchen, die sie für ihre Kinder<br />

als geeignet ansahen. […]<br />

Ende der zwanziger Jahre waren<br />

es hunderte von Schulen für sehr<br />

verschiedene Bildungsbedürfnisse,<br />

die eine regelrechte Produktpalette<br />

darstellten. Aber es waren<br />

Nischenprodukte, die wohl<br />

ihren eigenen, bis heute anhaltenden<br />

Nimbus aufbauten – man<br />

denke an die Steiner-Schulen –,<br />

die aber nie eine Konkurrenz zur<br />

staatlichen Bildungsversorgung<br />

darstellten. Die Träger waren<br />

junge, oft enthusiastische Bildungsunternehmer,<br />

die mit grossem<br />

öffentlichem Beifall rechnen<br />

konnten, ohne sich in irgendeinem<br />

nennenswerten Massstab<br />

durchsetzen zu können. Die kostenlose<br />

Bildungsversorgung aus<br />

Steuermitteln war weitaus attraktiver,<br />

zudem stieg die Qualität<br />

der öffentlichen Schulen, verbesserte<br />

sich die Verwertbarkeit der<br />

Abschlüsse und gewöhnte sich<br />

die Gesellschaft an ein paternales<br />

System, das vorschreibt und<br />

einklagt, was öffentliche Bildung<br />

sein soll.<br />

Diese historische Erfahrung ist<br />

grundlegend: Nur öffentliche<br />

Schulen waren imstande, für<br />

einen gleich bleibenden Anstieg<br />

der Bildungsqualität zu sorgen,<br />

ohne grössere Schwankungen in<br />

Kauf zu nehmen, mit wachsenden<br />

Budgetsicherheiten und<br />

spätestens seit Ende des 19.<br />

Jahrhunderts als gesellschaftlich<br />

akzeptierte Institution.<br />

Diese Gewähr scheint zu Ende<br />

zu gehen, wenn nicht die reale<br />

Schulentwicklung betrachtet wird,<br />

sondern Expertendiskussionen,<br />

die Argumente und Daten für<br />

einen Systemwechsel bereitstellen.<br />

Der Ansatzpunkt ist ein ökonomischer<br />

Verdacht: Wer immer<br />

mehr Geld für Bildung verlangt,<br />

erzeugt keine höhere Qualität<br />

und erst recht keinen Wandel<br />

des Systems, sondern immer<br />

more of the same. Investitionen<br />

in öffentliche Bildung sind daher<br />

gleichbedeutend mit Verschwendung,<br />

weil sie ein Fass ohne<br />

Boden beträfen, das nur ein Interesse<br />

habe, nämlich die Zufuhr<br />

öffentlicher Gelder unkontrolliert<br />

zu halten und zu steigern (HA-<br />

NUSHEK 1981).<br />

Der Ausgangspunkt dieser Diskussion<br />

sind amerikanische Krisenszenarien,<br />

in denen der ständige<br />

Niedergang der Bildungsleistungen<br />

mit der ständigen Erhöhung<br />

der zur Verfügung gestellten<br />

öffentlichen Mittel konfrontiert<br />

wurde. Diese Diskussion führt die<br />

amerikanische Öffentlichkeit seit<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts periodisch,<br />

ohne die zentralen Dualismen<br />

auflösen zu können. Die<br />

letzte grosse Diskussion begann<br />

in den frühen achtziger Jahren<br />

des 20. Jahrhunderts und erreichte<br />

zehn Jahre später einen<br />

ersten Höhepunkt, als die Geduld<br />

mit schlechten staatlichen Schulen<br />

zu Ende zu gehen schien.<br />

1990 erschien eine sehr einflussreiche<br />

Publikation, die den provozierenden<br />

Titel trug: Politics,<br />

Markets, and America’s Schools<br />

(CHUBB/MOE 1990).<br />

Unmittelbar nach Erscheinen war<br />

das Buch der Mittelpunkt einer<br />

aufgeregten Diskussion, die mit<br />

ihren wesentlichen Argumenten<br />

inzwischen auch Kontinentaleuropa<br />

erreicht hat. Die Thesen des<br />

Buches beziehen sich auf einen<br />

Negativbefund:<br />

Die amerikanischen Schulen<br />

sind über Gebühr bürokratisch<br />

und über Gebühr politisch<br />

(ebd., S. 26).<br />

Sie legen fest, was und wie<br />

gelernt werden soll, ohne dabei<br />

Abnehmerinteressen in<br />

Rechnung stellen zu müssen,<br />

und sie entschieden darüber<br />

mit politischer Macht, die die<br />

Freiheit sowohl der Eltern als<br />

auch der Kinder massiv einschränkt.<br />

Eltern und Kinder – also die<br />

Kunden des Systems – haben<br />

keine Mitsprache bei der Gestaltung<br />

der Lehrpläne, entscheiden<br />

nicht über die Lehrmittel,<br />

haben kaum Einflussnahme<br />

auf Lehreranstellungen<br />

und können vor allem<br />

auch nicht wählen, welche<br />

Schule für sie in Frage kommt<br />

und welche nicht.<br />

Sie entscheiden daher nicht<br />

nach Angebot, sondern bekommen<br />

Bildung zugeteilt.<br />

Bürokratie regelt möglichst gleich<br />

und begrenzt die Unterschiede.<br />

Weil aber Schulen nur dann gut<br />

sind, wenn sie einzigartig sind,<br />

schliessen CHUBB und MOE,<br />

dürfen und können sie nicht politisch<br />

verwaltet werden.<br />

„Bureaucracy is a clumsy and<br />

ineffective way of providing<br />

people with educational services”<br />

(ebd.).<br />

Die Bürokratie diene den politischen<br />

Zielen, für die sie eingesetzt<br />

wurde. Die amerikanische<br />

progressive Bewegung, also die<br />

liberale Politik der Demokraten<br />

und ihrer Interessengruppen,<br />

habe auf diesem schulpolitischen<br />

Wege ihre Macht zementiert und<br />

so andere von der Beteiligung<br />

ausgeschlossen. Diese Theorie<br />

ist grundlegend, um zu verstehen,<br />

warum Bildungsmärkte eine

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!