Schulkonkurrenz â wozu? - AMV
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<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 37<br />
Die Entwicklung zu mehr Schulautonomie ist in vielen Bundesländern unseres nördlichen Nachbarn seit<br />
geraumer Zeit im Gang.<br />
Mehr Demokratie oder mehr Effizienz<br />
Peter Ringel<br />
Peter Ringel arbeitet in Oldenburg (Deutschland) als freier Autor. Seine Schwerpunkte sind die Themen<br />
Gesellschaft, Wissenschaft und Umwelt.<br />
Abdruck aus: Freitag, Die Ost-West-Wochenzeitung, Nr. 15, 9. April 1999<br />
Die erweiterte Autonomie der<br />
Schulen bildet seit einigen Jahren<br />
einen Schwerpunkt der bildungspolitischen<br />
Diskussion.<br />
Das Schlagwort der Schulautonomie<br />
ist schillernd. Darunter<br />
werden so unterschiedliche Inhalte<br />
wie die Forderung nach<br />
mehr pädagogischen Gestaltungsmöglichkeiten<br />
oder die<br />
Einführung eines marktgesteuerten<br />
Bildungssystems verhandelt.<br />
Nicht zuletzt aus dieser<br />
Unschärfe des Begriffs resultieren<br />
die konträren Erwartungen,<br />
die mit einer autonomen Schule<br />
verbunden werden: Für die einen<br />
ist sie die Lösung aller Schulprobleme,<br />
für die anderen das<br />
Ende der Chancengleichheit im<br />
Bildungssystem.<br />
Während seit den späten sechziger<br />
Jahren die fortschrittlicheren<br />
Lehrerverbände mehr Autonomie<br />
forderten, um die Schulen demokratischer<br />
zu gestalten, geht die<br />
Initiative inzwischen vorrangig<br />
von den Vertretern der Bildungsadministration<br />
aus. Das Motto<br />
lautet nicht länger „mehr Demokratie“,<br />
sondern hat sich in den<br />
Ruf nach mehr Effizienz verwandelt.<br />
Die Befürworter der Schulautonomie<br />
versprechen sich geradezu<br />
eine Explosion von kreativem<br />
Potential, wenn die Einzelschule<br />
weniger Vorgaben der Kultusbehörden<br />
erfüllen muss. An Stelle<br />
der Lenkung von oben sollen<br />
eine Selbststeuerung eingeführt<br />
und die Finanzmittel teilweise<br />
von den Schulen – im Rahmen<br />
von Globalhaushalten – selbst<br />
verwaltet werden. Das Kernstück<br />
der Konzepte einer autonomen<br />
Schule bildet das Schulprofil, das<br />
von der Schulleitung und dem<br />
Kollegium unter Einbeziehung<br />
der Eltern und Schüler entwickelt<br />
wird. Am Schulprofil als pädagogischem<br />
Leitbild orientieren sich<br />
beispielsweise die Gestaltung<br />
des Curriculums, die Unterrichtsorganisation<br />
oder die Umgliederung<br />
von Fächern in Lernbereiche.<br />
Lehrerinnen und Lehrer<br />
sollen als Team arbeiten, allen<br />
Beteiligten soll die Identifikation<br />
mit ihrer Schule ermöglicht werden.<br />
Die Schulaufsicht verlagert<br />
ihren Aufgabenbereich dementsprechend<br />
von der direkten Einflussnahme<br />
zu dem einer Evaluationsinstanz.<br />
Derartige Autonomiekonzepte<br />
reagieren einerseits auf empirische<br />
Befunde, die den Lehrenden<br />
einen zentralen Einfluss auf<br />
die Qualität von Bildung bescheinigen,<br />
andererseits tragen sie<br />
den veränderten gesellschaftlichen<br />
Bedingungen Rechnung, in<br />
deren Folge sich die Einzelschule<br />
von einer reinen Unterrichtsschule<br />
zu einem Lebensund<br />
Lernort wandeln soll.<br />
Die Kritiker der Schulautonomie<br />
vermuten und befürchten, dass<br />
mit den neuen Konzeptionen<br />
lediglich Einsparungen kaschiert<br />
werden sollen. Vor allem die<br />
Lehrerschaft steht dem Thema<br />
zwiespältig gegenüber, da aus<br />
der geplanten Schulautonomie<br />
zusätzliche Arbeitsbelastungen<br />
resultieren würden. Die Vergleichbarkeit<br />
der Schulabschlüsse<br />
wird als gefährdet angesehen,<br />
wenn die Schulen vielfältiger<br />
werden. Und die Profilbildung<br />
könnte von den Lehrern verlangen,<br />
ihre Rolle als Einzelkämpfer<br />
aufzugeben.<br />
Misstrauen erweckt auch die<br />
euphorische Übernahme eines<br />
betriebswirtschaftlichen Vokabulars<br />
durch einige Protagonisten<br />
der Autonomiedebatte: die Rede<br />
ist von »neuesten Managementtechniken«.<br />
Controlling, reengineering<br />
und lean-management<br />
werden als geeignetes<br />
Mittel zur Entbürokratisierung<br />
propagiert. Da diese rhetorischen<br />
Versatzstücke bisher immer dann<br />
anzutreffen waren, wenn im Zuge<br />
der Standortdebatte wieder ein<br />
Teil des Sozialstaats geopfert<br />
wurde, ist der Verdacht berechtigt,<br />
dass nun – nach den Systemen<br />
der sozialen Sicherung und<br />
der Gesundheitsvorsorge – das<br />
Bildungssystem mittels der<br />
Schulautonomie »verschlankt«<br />
werden soll. Insbesondere Teile<br />
derjenigen, die seit den späten<br />
sechziger Jahren für eine Demokratisierung<br />
der Schulen eintraten,<br />
interpretieren sämtliche<br />
Konzepte der Schulautonomie<br />
inzwischen ausschliesslich als<br />
neuen Auswuchs neoliberaler<br />
oder neokonservativer Ideologie.<br />
Mit diesem Verdikt geht aber<br />
auch der Blick auf die Chancen<br />
einer selbstständigeren Schule<br />
verloren. Immerhin gibt es Indizien<br />
dafür, dass das Projekt<br />
Schulautonomie, das schon in<br />
Bremen, Hamburg und Hessen<br />
und inzwischen auch in weiteren<br />
Bundesländern in unterschiedlichen<br />
Ausformungen umgesetzt<br />
oder projektiert worden ist,<br />
durchaus positive pädagogische<br />
Effekte hervorbringen kann, auch<br />
wenn die weitgesteckten Zielvor-