Schulkonkurrenz â wozu? - AMV
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4 <strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1<br />
Ohne Typenprofil sind Einzelprofile nutzlos<br />
Ein Amuse-bouche von Dr. Ludwig Hasler *<br />
Konkurrenz belebt das Geschäft<br />
Nicht unter allen Umständen.<br />
Was nützte es zum Beispiel der<br />
Aargauer Gastro-Branche, wenn<br />
zwei Restaurants feinschmeckerisch<br />
kochten, der Rest aber im<br />
Mittelmass verhockte Nichts.<br />
Die beiden exzellenten Lokale<br />
florierten dank ihrer Stammgäste;<br />
die übrigen offerierten weiter<br />
Allerweltskost – und ruinierten<br />
damit den Ruf der Branche. Dieser<br />
Ruf lebt davon, dass (möglichst)<br />
alle ihre Ansprüche steigern,<br />
die Kunden auf den Geschmack<br />
am Besseren bringen,<br />
ihnen zeigen, dass Essen kulturelle<br />
Sensation ist, nicht bloss<br />
Nahrungsaufnahme. Diese Kultur<br />
muss die Branche erreichen, erst<br />
dann belebt Konkurrenz das<br />
Geschäft.<br />
Ähnlich läuft es mit der „Branche“<br />
Gymnasium. Sicher ist es<br />
wünschbar, dass die eine Kantonsschule<br />
sich mit exzellenter<br />
Musikkultur empfiehlt, eine andere<br />
mit Sport, eine dritte mit Chinesisch.<br />
Doch das bleibt ein<br />
Wettbewerb in der Kür. Im<br />
Pflichtteil muss „das Gymnasium<br />
Aargau“ sich so profilieren, dass<br />
alle vifen, neugierigen, bildungsbegierigen<br />
Jugendlichen ihm<br />
zuströmen. Ohne die Attraktivierung<br />
des Bildungstypus Gymnasium<br />
hilft ein Sonderprofil für<br />
Zofingen oder Baden nicht weiter.<br />
Die paar Zukunfts-Cleveren,<br />
die wegen der Spezialofferte<br />
Chinesisch Wettingen wählen,<br />
wollen weniger dorthin ins Gymnasium,<br />
sie wollen bloss gratis<br />
Chinesisch lernen.<br />
Das Gymnasium ist, erstmals in<br />
seiner Geschichte, bedrängt –<br />
seitlich durch Berufsmaturitäten<br />
mit Lizenz für Fachhochschulen,<br />
Passerellen zu Universitäten, von<br />
oben durch den Druck der Universitäten.<br />
Die eine Bedrängung<br />
heisst: Das Gymnasium ist umgehbar<br />
geworden; vor allem junge<br />
Männer sehen keinen Grund,<br />
Jahre mit „Allgemeinbildung“ zu<br />
verplempern, wenn sie mit der<br />
Berufsmatur früh Geld haben und<br />
mit der Fachhochschule früher<br />
Karriere machen können. Die<br />
andere Bedrängung bedeutet:<br />
Das Gymnasium verliert seinen<br />
exklusiven Passepartout zu Universitäten;<br />
Hochschulen werden<br />
mittelfristig Wege finden, ihre<br />
Studenten zu testen, selber auszuwählen.<br />
Bevor man dagegen<br />
Amok läuft, sollte man sich vor<br />
Augen halten: Jede dritte Gymnasiastin<br />
fliegt später aus dem<br />
Hochschulstudium raus. Das ist<br />
skandalös, ökonomisch sowieso,<br />
individuell erst recht.<br />
Das Gymnasium in der Zwickmühle.<br />
Intern will man das entweder<br />
nicht wahrhaben oder man<br />
sieht keinen Ausweg. Extern<br />
reden alle nur von der sogenannten<br />
„Schnittstellen-Problematik“.<br />
Dabei ist diese Krise im Kern<br />
hausgemacht: Das Gymnasium<br />
hat sein Selbstbewusstsein verloren,<br />
die Unverwechselbarkeit<br />
seines inhaltlichen Auftrags, sein<br />
Bildungsprofil. Jahrzehnte lang<br />
existierte es im Bewusstsein<br />
seiner vollkommenen Selbstverständlichkeit.<br />
Doch das, was<br />
einst diese Selbstverständlichkeit<br />
begründete – Wissenschaftspropädeutik,<br />
Elitebildung etc. – , hat<br />
es durch Expansion selber verspielt.<br />
Jetzt sucht es sich an den<br />
Rändern (Schwerpunktfächer) zu<br />
profilieren, im Zentrum (gymnasiale<br />
Bildung) bleibt es schwammig.<br />
Von aussen gedrängt,<br />
macht es, mehr contre coeur, mit<br />
in nationalen Prozeduren zur<br />
Ermittlung sogenannter Bildungsstandards.<br />
Diese Standards-Debatte verwirrt<br />
mich vollends: Wie kann man an<br />
Standards für einzelne Fächer<br />
herumschrauben, bevor man sich<br />
darüber verständigt, was man mit<br />
bestimmten Bildungstypen eigentlich<br />
will Erst müsste man<br />
doch eine Vista vom Gymnasium<br />
klären. Genauer: eine Vista vom<br />
Menschentyp, auf den der gymnasiale<br />
Weg abzielt. Damit müssten<br />
Gymnasien beginnen: mit<br />
dem Modellieren der Ideal-<br />
Gymnasiastin. Und dies in Abgrenzung<br />
zu konkurrierenden<br />
Bildungstypen, zum Beispiel zu<br />
Berufsmaturanden. Da handelt<br />
es sich doch hoffentlich nicht<br />
allein um zwei unterschiedlich<br />
befrachtete Stundentafeln. Die<br />
beiden Ausbildungsformen müssen<br />
zwei differente Existenzen in<br />
Form bringen. Der junge Mann,<br />
der eine Banklehre macht, dazu<br />
Berufsmatur, verfolgt nicht nur<br />
einen andern Bildungszweck als<br />
der Gymnasiast, er lebt auch<br />
anders, hat Geld, konkrete Aussicht<br />
auf eine lineare Laufbahn.<br />
Die Gymnasiastin lebt freischwebend,<br />
ist eine Art hors-sol-<br />
Produkt, also müsste sie in der<br />
Bildung geerdet werden. Der<br />
berufstätige Maturand braucht<br />
seine Bildung zum Zweck, zum<br />
unmittelbaren Gebrauch, nicht<br />
nur, doch vorwiegend. Die Gymnasiastin<br />
weiss noch gar nicht,<br />
<strong>wozu</strong> sie ihre Bildung dereinst<br />
brauchen wird, also muss gymnasiale<br />
Bildung als Selbstzweck<br />
taugen. Bildung als Abenteuer.<br />
Das Gymnasium betreibt Bildung<br />
nicht als Präparation für eindeutige<br />
Berufsqualifikationen. Eher<br />
in eine offene Zukunft hinein.<br />
Ich breche hier ab. Pardon, ist<br />
sonst nicht meine Art. Stefan<br />
Läderach bat mich, eine Art<br />
Amuse-bouche zu schreiben.<br />
Das Menü folgt mündlich an der<br />
<strong>AMV</strong>-Jahresversammlung am<br />
6. April.<br />
* Dr. Ludwig Hasler, Publizist und<br />
Philosoph, tanzt auf vielen<br />
Bühnen. In Bildungsdebatten<br />
fällt er als origineller Kopf auf.<br />
Seine Gedanken zur „Marke<br />
Gymnasium“ trägt er am 6. April<br />
auf der Jahresversammlung<br />
des <strong>AMV</strong> in Aarau vor.