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Schulkonkurrenz – wozu? - AMV

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<strong>AMV</strong>-aktuell Sonderheft 06/1 29<br />

Die Freiheit der Schulwahl führt<br />

sofort zur Frage, was Eltern entscheiden<br />

sollen und können,<br />

wenn sie die „beste Bildung für<br />

ihr Kind” wählen. In einem nennenswerten<br />

Sinne könnte überhaupt<br />

nur dann gewählt werden,<br />

wenn es zwischen den Schulen<br />

grosse und erkennbare Unterschiede<br />

im Angebot gäbe. Aber<br />

öffentliche Schulen vollziehen<br />

identische Aufträge und sind im<br />

Blick auf ihre Angebote keineswegs<br />

„autonom”. Wenn sich<br />

Qualität der Schulen unterscheidet,<br />

was zu erwarten ist, würde<br />

das nicht dazu berechtigen, die<br />

schlechtere Schule zu benachteiligen,<br />

was eine freigesetzte<br />

Schulwahl, die Ranglisten von<br />

„gut” und “schlecht” zur Verfügung<br />

hat, sofort bewirken würde.<br />

Die schlechtere Schule erfüllt<br />

keinen anderen Auftrag als die<br />

bessere. Evaluationsdaten, die<br />

auf eine schlechtere Qualität<br />

verweisen, können also, angesichts<br />

des gemeinsamen Auftrages,<br />

nur der Anlass sein, für Verbesserungen<br />

zu sorgen. Schwächen<br />

müssen ausgeglichen werden,<br />

während das Marktmodell<br />

den Verlust der Lizenz vorsieht,<br />

wenn eine minimale Nachfrage<br />

unterschritten wird.<br />

Das hätte zwei missliche Konsequenzen:<br />

Bei gleicher Gesamtschülerzahl<br />

müssten stark nachgefragte<br />

Schulen einen Numerus<br />

Clausus einführen, der ihre Qualität<br />

schützen soll und dadurch<br />

andere Anbieter benachteiligt;<br />

gleichzeitig begrenzt die Finanzierung<br />

durch Nachfrage diesen<br />

Selbstschutz, weil die Mittel nach<br />

dem Schüleraufkommen und so<br />

den Elternwahlen verteilt werden.<br />

Gute Schulen würden sich durch<br />

einen strikten Numerus Clausus<br />

schützen und schädigen:<br />

Wenn sie ihre Schülerzahl<br />

begrenzen, verzichten sie auf<br />

Mittel, die aus ihrer Attraktivität<br />

für Eltern erwachsen;<br />

wenn sie die Schülerzahl mit<br />

der Nachfrage ausweiten, bedrohen<br />

sie ihre Qualität, die<br />

der Grund ist für die Nachfrage.<br />

Gerade einzelne, erfolgreiche<br />

Schulen kommen also in Schwierigkeiten,<br />

wenn wirklich die Elternwahl<br />

freigesetzt wird und die<br />

Wahl sich nach Rangskalen von<br />

„gut” und „schlecht” ausrichten.<br />

5. Ausblick auf die Entwicklung<br />

der öffentlichen Bildung<br />

[…] Die Idee der freien Schulwahl<br />

und der Einführung von<br />

Bildungsgutscheinen ist, wenigstens<br />

in der Literatur, populärer<br />

denn je. Sie hat, ohne grosse<br />

Untersuchung der gescheiterten<br />

amerikanischen Kampagnen, die<br />

Schweiz erreicht, mit Argumenten,<br />

die sämtlich auf HAYEK und<br />

FRIEDMAN zurückzuführen sind<br />

und die erneut der Schlüsselfrage<br />

ausweichen, ob und wenn ja,<br />

wie öffentliche Güter mit Marktmodellen<br />

in Verbindung gebracht<br />

werden können, ohne dass die<br />

allgemeine Bildung der Bürgerinnen<br />

und Bürger einen Schaden<br />

erleidet. Der Markt müsste es<br />

besser machen, aber das liesse<br />

sich erst nach der Systementscheidung<br />

feststellen. Wer diesen<br />

Wechsel ernsthaft wünscht,<br />

muss eine Risikoanalyse in Auftrag<br />

geben.<br />

Freilich, eine weitreichende Privatisierung<br />

des Bildungssystems<br />

hat bislang in den Vereinigten<br />

Staaten ebenso wenig stattgefunden<br />

wie die komplette Umstellung<br />

der Bildungsfinanzierung<br />

auf Vouchers (so noch eine starke<br />

Programmatik am Ende der<br />

REAGAN-Administration: LIE-<br />

BERMAN 1989). Auf der anderen<br />

Seite werden die öffentlichen<br />

Haushalte eng, die Mittel verknappen<br />

sich, das Bildungssystem<br />

kann nicht ewig mit Zuwachs<br />

rechnen. Die staatliche<br />

Finanzierung, wie immer sie organisiert<br />

werden mag, kann nicht<br />

jeden irgendwie berechtigten<br />

Bildungswunsch unterstützen,<br />

sondern muss sich auf Kernaufgaben<br />

beschränken, was deswegen<br />

schwer fällt, weil sich die<br />

eigentlichen „Kunden” des Bildungssystems,<br />

also die Schüler,<br />

längst daran gewöhnt haben,<br />

eine Shopping Mall vor sich zu<br />

sehen (so die Kritik Mitte der<br />

achtziger Jahre: PO-<br />

WELL/FERRAR/COHEN 1985).<br />

Die neuere theoretische Kritik an<br />

Marktmodellen in der Bildung<br />

greift auf die klassische Nationalökonomie<br />

zurück 11 und minimiert<br />

oder marginalisiert die beiden<br />

neoliberalen Alternativen,<br />

nämlich die Human-Capital- und<br />

die Rational-Choice-Theorie.<br />

Eine allgemeine Bildung, die an<br />

öffentlichen Gütern (public<br />

goods) orientiert ist, also die<br />

nicht einfach von Abschlüssen<br />

Gewinne erwartet, sondern von<br />

Lernen Effekte für Bürgerinnen<br />

und Bürger, lässt sich nicht<br />

marktförmig organisieren, weil<br />

und soweit Märkte nur Gewinne<br />

oder Verluste für Individuen –<br />

Personen oder Unternehmen –<br />

regeln (WINCH 1996, S. 110f.).<br />

Wer keine öffentlichen Güter<br />

anerkennt, kann auch keine öffentlichen<br />

Unternehmungen anerkennen<br />

und so aber auch keine<br />

öffentlichen Wahlen (STRET-<br />

TON/ORCHARD 1994). Allgemeinbildende<br />

Schulen sind aber<br />

nicht anders als mit öffentlichen<br />

Gütern zu begründen. Bedürfnisse<br />

von Kindern, die die Eltern<br />

definieren, sind kein hinreichender<br />

Grund, das bisherige System<br />

umzustellen, was umgekehrt<br />

aber auch nicht heissen kann,<br />

zwischen einzelnen Schulen<br />

gravierende Qualitätsunterschiede<br />

in Kauf nehmen zu müssen.<br />

Das Lernen muss nachweislich<br />

mit öffentlichen Gütern verknüpft<br />

werden, anders ist die exklusive<br />

Zuständigkeit der Schule ernsthaft<br />

bedroht. Die Grenzen der<br />

Marktmetapher (HENIG 1994)<br />

lassen sich nur empirisch zeigen,<br />

während auf der anderen Seite<br />

immer genügend kritisches Potential<br />

vorhanden ist, die tatsächlichen<br />

Leistungen der Schule,<br />

11 Gemeint ist der Teil III “Of the Expence<br />

of Public Works and public Institutions”<br />

im fünften Buch von ADAM<br />

SMITH’ The Wealth of Nations. Ich folge<br />

der Deutung von OSTERWALDER<br />

(1993)

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