"Jugendrichter müssen pädagogisch sein" - DVJJ-Hessen
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Frankfurter Rundschau online<br />
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04.03.2004<br />
URL: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/frankfurt_und_hessen/frankfurt/cnt=395277<br />
"<strong>Jugendrichter</strong> müssen pädagogisch sein"<br />
Die Kürzungen der Hessischen Landesregierung bei der Hilfe für Straffällige hält Richter<br />
Jürgen Fröhlich für verkehrt<br />
Frankfurter Rundschau: Herr Fröhlich, wie bringt man straffällig gewordene<br />
Jugendliche wieder auf den rechten Weg<br />
Jürgen Fröhlich: Rund 70 Prozent werden einmal erwischt und tauchen dann<br />
nie wieder bei uns auf. Straffälligkeit ist eben auch ein Teil des<br />
Erwachsenwerdens, ein Testen der Grenzen.<br />
Und die anderen 30 Prozent<br />
Bei denjenigen, die immer wieder kommen, die Jugendstrafen erhalten und<br />
auch absitzen, sind vor allem die beinahe identischen Biografien auffallend. Es<br />
ist erschreckend, in welchen familiären Zusammenhängen einige von ihnen<br />
groß werden; welche Schwierigkeiten sie schon in jungen Jahren verarbeiten<br />
müssen, oft gar nicht verarbeiten können und dann eben Erfolgserlebnisse<br />
woanders suchen. Viele sind Gewaltopfer, auch von psychischer Gewalt, haben<br />
zu Hause oder in der Schule Missachtung erfahren.<br />
Welche Handlungsmöglichkeiten hat ein Richter in solchen Fällen<br />
Der <strong>Jugendrichter</strong> versucht, die jeweiligen Defizite zu erkennen und dann die<br />
Maßnahme zu finden, die diese Defizite am besten ausgleicht.<br />
Welche Maßnahmen stehen Ihnen zur Verfügung<br />
Das können Geldbußen sein, gemeinnützige Arbeitsstunden, Teilnahme an<br />
sozialen Trainingskursen, Anti-Gewalt-Seminaren, ein Täter-Opfer-Ausgleich,<br />
aber auch Arrest und Jugendstrafe. Wenn ich glaube, jemand muss einfach<br />
mal an die Hand genommen werden, braucht eine Orientierungshilfe, dann<br />
kommt eine Betreuungsweisung in Betracht. Wichtig sind Verständnis, aber<br />
auch Konsequenz. Der Richter kann sich auch eine Maßnahme ausdenken, die<br />
ihm im konkreten Einzelfall besonders geeignet erscheint.<br />
Haben Sie sich schon mal etwas ausgedacht<br />
Ja. Einem etwas rechtsgestrickten jungen Mann habe ich aufgegeben, ein<br />
Buch über den NS-Staat zu lesen und einen Aufsatz darüber zu schreiben. Ich<br />
wollte, dass er sich Gedanken macht, sich mit seiner Haltung<br />
auseinandersetzt.<br />
Hat die Strafe gewirkt<br />
Sicher weiß ich das nicht. Aber er ist nicht mehr in Erscheinung getreten.<br />
Was für ein Verhältnis haben sie zu Jugendlichen, die immer wieder in<br />
Prozessen vor ihnen stehen<br />
Teils kenne ich die schon recht gut. Einer hat mich jetzt angerufen, weil er<br />
Hilfe bei seiner Einbürgerung braucht. Ein anderer hat Ärger mit der<br />
Ausländerbehörde. Beide hoffen, dass ich sie etwas unterstützen kann.<br />
Und, können Sie<br />
Etwas schon.<br />
Das hört sich eher nach Sozialarbeiter als nach Richter an. Haben Sie eine<br />
entsprechende Ausbildung, etwa Pädagogik studiert<br />
Nein. Das ist ein großer Mangel in der Ausbildung der <strong>Jugendrichter</strong>. Das<br />
würde ich für erforderlich halten. Ich persönlich habe<br />
Fortbildungsveranstaltungen besucht und viel gelesen. Aber das läuft nur freiwillig.<br />
Der richter im Interview<br />
Jürgen Fröhlich, seit mehr als 25<br />
Jahren <strong>Jugendrichter</strong> in Frankfurt, ist<br />
ein Verfechter individueller Strafen<br />
für jugendliche Straftäter. Viel<br />
besser als lediglich mit Gefängnis<br />
und Geldstrafen könnten die Defizite<br />
des Einzelnen mit den Instrumenten<br />
des Jugendstrafrechts ausgeglichen<br />
werden, meint Fröhlich. Dass die<br />
Subventionen des Landes für diese<br />
Erziehungsmaßnahmen jetzt stark<br />
gekürzt wurden, hält Fröhlich<br />
deshalb für grundfalsch. Mit dem 59-<br />
jährigen Richter am Amtsgericht und<br />
stellvertretenden Vorsitzenden der<br />
Deutschen Vereinigung für<br />
Jugendgerichte und<br />
Jugendgerichtshilfen in <strong>Hessen</strong><br />
sprach FR-Mitarbeiterin Yvonne<br />
Holl.Während das<br />
Erwachsenenstrafrecht nur Haftund<br />
Geldstrafen kennt, bietet<br />
das Strafrecht für Jugendliche<br />
(14 bis 17 Jahre) und<br />
Heranwachsende (18 bis 20<br />
Jahre) Erziehungsmaßnahmen<br />
als Alternativen an. Einige<br />
können bereits vor einer<br />
Verhandlung verhängt werden.<br />
So hat der Täter-Opfer-Ausgleich<br />
Konfliktschlichtung zum Ziel.<br />
Täter und Opfer treten in Dialog<br />
und der Beschuldigte<br />
entschädigt den Geschädigten -<br />
von einer Strafverfolgung wird<br />
bei einem erfolg- reichen<br />
Ausgleich abgesehen. Weitere<br />
Erziehungsmaßnahmen, auch<br />
Straf- fälligenhilfen genannt,<br />
sind Erziehungs- gespräche beim<br />
Jugendamt, Arbeits- stunden,<br />
Anti-Gewalt-Trainingskurse und<br />
Betreuungsweisungen. Letzteres<br />
bedeutet, dass dem straffällig<br />
gewordenen Jugendlichen für<br />
durchschnittlich drei bis sechs<br />
Monate eine erwachsene<br />
Bezugsperson an die Seite<br />
gestellt wird. Im Zuge der<br />
Sparmaßnahmen hat das Land<br />
<strong>Hessen</strong> die Zuschüsse für neun<br />
Träger solcher Straffälligenhilfen<br />
für Jugendliche gestrichen. In<br />
Frankfurt erhielten etwa der<br />
evangelische Regionalverband<br />
im vergangenen Jahr noch 25500<br />
Euro, der Verein Kinder- und<br />
Jugendhilfe knapp über 60 000<br />
Euro. Beide gehen 2004 für<br />
diesen Bereich leer aus. Werden<br />
weitere Subventionen gestrichen<br />
- etwa die Zuwendungen der<br />
Stadt - werden einige<br />
Alternativen zu Haftstrafen in<br />
Frankfurt womöglich gar nicht<br />
mehr angeboten. ~ Das strafrecht<br />
für Jugendliche
Frankfurter Rundschau online<br />
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04.03.2004<br />
Obwohl im Jugendgerichtsgesetz der Erziehungsgedanke festgeschrieben ist.<br />
Ja, der <strong>Jugendrichter</strong> muss auch pädagogisch, sozialarbeiterisch tätig sein und darf sich nicht auf die Feststellung<br />
des Sachverhaltes und den Urteilsspruch beschränken. Auch die Hauptverhandlung selbst sollte so ausgestaltet<br />
sein, dass sie erzieherisch auf den Angeklagten wirkt.<br />
Wie macht sich das bemerkbar<br />
Ich lade immer die Geschädigten als Zeugen, obwohl die Jugendlichen meist geständig sind. So versuche ich den<br />
Tätern klar zu machen, was sie angerichtet haben. Für viele ist das ein einschneidendes Erlebnis, weil sie sich die<br />
Folgen ihrer Taten vorher nicht klar gemacht haben.<br />
Vorher haben die Jugendlichen nicht über die Konsequenzen Ihres Handelns nachgedacht<br />
Da sind wir wieder bei den Defiziten, die durch die familiäre Situation entstehen. Da findet Erziehung oder<br />
vernünftige Erziehung oftmals nicht statt. Deswegen wäre es natürlich besser, wenn man viel früher ansetzen<br />
könnte. In den letzten Jahren haben Jugendämter, Schulen und private Träger viel aufgefangen. Aus<br />
Kostengründen wird dort jetzt aber auch wieder gespart.<br />
Nicht nur die Einrichtungen, die präventiv arbeiten, haben weniger Geld zur Verfügung. Die hessische<br />
Landesregierung spart 2004 bei den so genannten Straffälligenhilfen für junge Menschen 258 000 Euro ein.<br />
Dadurch werden genau die von Ihnen hervorgehobenen Alternativen zur Jugendhaft, wie Täter-Opfer-Ausgleich,<br />
eingeschränkt. Welche Konsequenzen hat das für Ihre Arbeit<br />
Letztlich heißt das, dass sinnvolle Maßnahmen nur noch eingeschränkt oder gar nicht mehr angeboten werden<br />
können.<br />
Heißt das, Sie werden in Zukunft mehr Jugendliche ins Gefängnis schicken müssen<br />
Das kann es heißen. Wenn die individuellen sinnvollen Maßnahmen nicht mehr zur Verfügung stehen, muss man<br />
sich auf die der Justiz beschränken, nämlich Arbeitsstunden, Arrest, Jugendstrafe. Die traditionellen Strafen, die<br />
aus guten Gründen zurück gedrängt wurden, werden so wieder eine größere Rolle einnehmen.<br />
Es gibt Stimmen, die eine solche Entwicklung befürworten. Etwa die CDU möchte für Heranwachsende, also junge<br />
Leute zwischen 18 und 20 Jahren, grundsätzlich Erwachsenenstrafrecht anwenden. Ist das sinnvoll<br />
Das ist das Gegenteil von sinnvoll. Die individuellen Maßnahmen sind sehr oft wirksamer. Wenn man sie für<br />
Heranwachsende abschafft, wird sich deren Kriminalität möglicherweise verstärken. Geldstrafe oder Freiheitsstrafe<br />
- etwas anderes gibt es im Erwachsenenstrafrecht nicht.<br />
Die Befürworter sprechen von einer geplanten Verschärfung der Bestrafung, davon, dass Heranwachsende zur<br />
Verantwortung gezogen werden müssten.<br />
Das werden sie ja auch im Rahmen des Jugendstrafrechts, allerdings mit adäquateren Mitteln.<br />
Die aber milder sind<br />
Nicht milder, sondern individueller, auf den einzelnen zugeschnitten, mit besserem Verständnis für die Ursachen.<br />
Und das ist in jedem Fall erfolgversprechender.<br />
Immer wieder wird auch eine Steigerung der Höchststrafe von derzeit zehn auf 15 Jahre gefordert.<br />
Diese Forderung kommt immer nach spektakulären Einzelfällen wie dem Drama in Erfurt. Für die Praxis hätte eine<br />
Erhöhung des Strafmaßes kaum Relevanz, da es nur die Kapitaldelikte beträfe. Die Massenkriminalität von<br />
Jugendlichen sind aber nicht Mord und Totschlag.<br />
[ document info ]<br />
Copyright © Frankfurter Rundschau online 2004<br />
Dokument erstellt am 27.02.2004 um 00:01:20 Uhr<br />
Erscheinungsdatum 27.02.2004 | Ausgabe: S | Seite: 36