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6 Titelthema<br />
BOOM Zeitarbeit<br />
Fortsetzung Titelseite<br />
(fst) Doch gleich, welchem Verband<br />
eine Unternehmen angehört, der Kölner<br />
Adevis-Geschäftsführer Klaus<br />
Pohlmann weiß: „Sich nicht an Tarifverträge<br />
zu halten, ist kontraproduktiv<br />
für alle!“ Damit spricht er der Branche<br />
quasi aus der Seele. Ein solcher Vertrag,<br />
der die Rechte und Pflichten von<br />
Zeitarbeitsfirmen und Mitarbeitern<br />
festhält, ist praktisch das Öl, mit dem<br />
der „Motor Zeitarbeit“ geschmiert<br />
wird. Ein Motor, dessen Prinzip ganz<br />
einfach funktioniert.<br />
Ersatz bei Ausfall<br />
Beispiel: ein Zeltbauer stellt während<br />
eines Auftrages entsetzt fest, dass drei<br />
seiner vier Festangestellten, die er zum<br />
Termin für den Aufbau des Festzeltes<br />
eingeplant hat, krank sind. Der Auftrag<br />
droht zu platzen. Ein Blick ins Internet<br />
oder das Telefonbuch offenbart jedoch<br />
diverse Adressen von Zeitarbeits<strong>unter</strong>nehmen.<br />
„Flexible Möglichkeiten für<br />
jede Situation“, steht da <strong>unter</strong> anderem<br />
zu lesen. Der Zeltbauer ruft an. „Kein<br />
Problem“, erfährt er, „wir haben die<br />
richtigen Helfer für <strong>Sie</strong>“. Innerhalb von<br />
drei Stunden hat der Zeltbauer seine<br />
„Mannschaft“ vor Ort stehen; vorgestellt<br />
von einem Verantwortlichen der<br />
Zeitarbeitsfirma. Im Anschluss angeleitet<br />
von einem regulären Mitarbeiter<br />
der Zeltfirma, der den „neuen“ Kollegen<br />
zeigt, wie das riesige Zelt zu montieren<br />
ist. Tage später bekommt er die<br />
Rechnung über die Leistungs- und<br />
Überstunden der geliehenen Mitarbeiter,<br />
zahlt und es ist gut. Ein Segen also<br />
für den gebeutelten Zeltbauer, der sonst<br />
keine Einnahmen gehabt hätte!<br />
Keine Sorgen mehr um den Aufbau;<br />
die „fremden“ Kollegen gehen zurück<br />
zu ihrer Zeitarbeitsfirma und arbeiten<br />
am nächsten Tag woanders. Seine erkrankten<br />
Festangestellten bauen nach<br />
ihrer Genesung weiter Zelte auf.<br />
Im Aufwind. Fast alle Bundesländer legen in der Zeitarbeit zu.<br />
Wem die Stunde schlägt. Zeitarbeit im Aufwind.<br />
Das ist Zeitarbeit, so wie sie wirklich<br />
funktioniert. Nur die Hintergründe sind<br />
kaum bekannt. Zeitarbeiter werden, vor<br />
allem im Helferbereich, hauptsächlich<br />
und kurzfristig bei Auftragsspitzen,<br />
Urlaub oder Krankheitsfällen in Fremd<strong>unter</strong>nehmen<br />
eingesetzt. Durchschnittliche<br />
Verweildauer dort: drei Monate,<br />
meist jedoch dar<strong>unter</strong>. Und was der<br />
Zeltbauer auch nicht weiß: die Zeitarbeitsfirma<br />
als eigentlicher Arbeitgeber<br />
hat die drei an ihn verliehenen Mitar-<br />
beiter extra für ihn eingestellt. In Vollzeit,<br />
mit einem in der Regel üblichen<br />
unbefristeten Arbeitsvertrag. Drei<br />
Men schen, die aus der Statistik „Arbeits<br />
los“ verschwinden, ohne die<br />
Stammarbeitsplätze der „echten“ Zeltbauer<br />
zu gefährden! Die „geliehenen“<br />
Zeltmonteure beziehungsweise Helfer<br />
arbeiten, wie es in anderen Firmen<br />
auch gemacht wird, sechs Monate auf<br />
Probe. Von den geleisteten Überstunden<br />
beim Zeltaufbau oder anderen<br />
Tätigkeiten geht ein Teil des Geldes<br />
auf ein Arbeitszeitkonto. Mit diesem<br />
Konto werden Stunden ohne Beschäftigung<br />
verrechnet mit Zeiten, wo Überstunden<br />
geleistet wurden. Vorteil: der<br />
Mitarbeiter kann auch ohne aktuelle<br />
Beschäftigung für einen gewissen Zeitraum<br />
vom Unternehmen bezahlt werden!<br />
Bei Nichtnutzung wird das Geld<br />
später ausgezahlt. In fast allen Fällen<br />
jedoch finden sich nach Auftragsende<br />
neue Beschäftigungsfelder für den Mitarbeiter;<br />
sei er nun Helfer oder Ingenieur.<br />
Immerhin erfährt die Zeitarbeit<br />
momentan ein Wachstum wie kaum<br />
eine andere Branche. Allein 25 Prozent<br />
der brandaktuell bei der Bundesagentur<br />
für Arbeit gemeldeten Stellen sind<br />
über die Zeitarbeit zu besetzen.<br />
10/2007<br />
14.000 Jobs da von nur für den Bereich<br />
Hilfsarbeiten und 16.000 für Lager und<br />
Transport! Doch grundsätzlich gilt: die<br />
Firma muss das Risiko „Auftragslücke“<br />
ganz allein tragen. Für den Mitarbeiter<br />
muss alles getan werden, um<br />
ihn bei einem Auftragsende ohne<br />
Folgeauftrag anderweitig beschäftigen<br />
zu können. Das tun die Firmen auch,<br />
denn inzwischen gibt es sogar einen<br />
Mangel an Bewerbern. Trotz rund<br />
einer Million freier Stellen und noch<br />
mehr Beschäftigungslosen in Deutschland.<br />
Das spüren alle Unternehmen;<br />
vor allem im Facharbeiterbereich.<br />
Auch der „Job-Profi“-Chef Maurice<br />
Zorko im westfälischen Hagen. Er arbeitet<br />
tarifvertraglich mit dem BZA<br />
zusammen. „Helfer, wenn auch merklich<br />
weniger, finden sich zwar. Facharbeiter<br />
dagegen kaum,“ hält er fest<br />
und so klingt es auch bei anderen Firmen.<br />
Grund genug, andere Wege zu<br />
gehen. „Weil wir Schlosser, Fräser<br />
oder Industriemechaniker nicht bekommen,<br />
müssen wir andere Türen<br />
öffnen,“ berichtet Zorko. „Deshalb investieren<br />
wir in unsere bestehenden<br />
Mitarbeiter und bilden sie weiter.“<br />
Kreativität ist hier also gefragt. Steht<br />
doch die Frage im Raum, warum kein<br />
Geld in zwar ungelernte, doch zuverlässige<br />
Mitarbeiter gesteckt werden<br />
sollte, die bereits vier oder fünf Jahre<br />
im selben Kundenbetrieb arbeiten.<br />
Wobei eine solche Weiterbildung laut<br />
Tarifvertrag während der Arbeitszeit<br />
auf Unternehmerkosten stattfinden<br />
muss. Lehnt der Mitarbeiter ein solches<br />
Angebot allerdings ab, darf ihm<br />
gekündigt werden, wenn sonst keine<br />
Einsatzmöglichkeiten für ihn gefunden<br />
werden. Ein gewisses Vertrauen<br />
der Beteiligten <strong>unter</strong>einander ist demnach<br />
erforderlich. Denn wenn rund<br />
3.000 Euro für einen Mann investiert<br />
werden, damit er als Fluxer, also als<br />
Spezialist im Metallprüfbereich arbeitet,<br />
möchten die Unternehmen ihn<br />
dafür auch eine gewisse Zeit in den eigenen<br />
Reihen wissen. Deshalb sichern<br />
sich Zeitarbeitsfirmen in dieser Richtung<br />
vertraglich ab. Angesichts des<br />
Bewerbermangels nur zu verständlich.<br />
Fair bleiben<br />
Bewerben sich jedoch Bewerber, ist<br />
das Vorstellungsgespräch von erheblicher<br />
Bedeutung. Wobei es auch darauf<br />
ankommt, wie „die Einstellung zur<br />
Einstellung“ des potenziellen Mitarbeiters<br />
ist. Präsentiert er oder sie sich<br />
als „flexibel“, bestehen gute Chancen,<br />
die KandidatInnen unbefristet einzureihen.<br />
„Wir nehmen nicht Jeden“, so<br />
der Branchentenor.<br />
10/2007 Titelthema 7<br />
Denn auch nach Ablauf der Probezeit<br />
wollen sich die Disponenten auf die<br />
Leute verlassen können. „Die Leistungsbereitschaft<br />
muss und sollte im<br />
eigenen Interesse des Arbeitnehmers<br />
schon da sein“, heißt es allgemein.<br />
Teil der Konjunktur: Zeitarbeitnehmer<br />
Schon deshalb, weil viele Kunden-<br />
Unternehmen die bei sich tätigen Zeitarbeiter<br />
später durchaus in ein festes<br />
Arbeitsverhältnis übernehmen. Und<br />
keinesfalls als „Kollegen zweiter<br />
Klasse“ degradieren, wie es oft behauptet<br />
wird. Oder man annonciert,<br />
wie Geschäftsführer Hans Kaspers<br />
von der HKP-Unternehmensgruppe in<br />
Köln, einfach in Ostdeutschland.<br />
„Dort bekommt man noch einigermaßen<br />
Fachpersonal“, stellt Kaspers fest.<br />
„Allerdings sind die suchenden Kunden<br />
nicht bereit, auch nur einen Euro<br />
mehr für qualifizierte Mitarbeiter auszugeben.“<br />
Auch in China<br />
Eingesetzt werden die Mitarbeiter in<br />
der Regel „heimatnah“, doch dies ist<br />
abhängig vom Arbeitsvertrag. Es kann<br />
passieren, dass ein Auftrag bei einer<br />
Firma in Köln eingeht, woraufhin dann<br />
die Mitarbeiter etwa nach Bremen fahren<br />
müssen, um Flaschen zu verpakken.<br />
„Eher selten der Fall und wenn,<br />
dann nur ab Facharbeiter im höher<br />
qualifizierten Bereich“, meint Oliver<br />
Jansen. Der Niederlassungsleiter von<br />
„Hofmann Personalleasing“ regelt<br />
bundesweite Einsätze anders. „In<br />
einem solchen Fall würde ich den Auftrag<br />
zwar entgegennehmen, dann jedoch<br />
unsere Niederlassung in Bremen<br />
mit der Personalsuche beauftragen.“<br />
Das dem BZA angeschlossene Unternehmen,<br />
das als Einstiegslohn für Helfer<br />
7,38 Euro zahlt, ist manchmal sogar<br />
„worldwide“ <strong>aktiv</strong>. „Wenn Facharbeiter<br />
oder gar Ingenieure angefordert<br />
werden, fragen wir die Mitarbeiter natürlich,<br />
ob sie so weit auswärts arbeiten<br />
möchten“, sagt Jansen. Wegen eines<br />
„Nein“ werde aber niemand entlassen.<br />
Und betont, dass auswärts bei Hofmann<br />
nicht nur Bremen heiße, sondern<br />
auch schon mal China. Mit soweit<br />
allen vertraglichen Leistungen, die<br />
einem Mitarbeiter auch im „Normalfall“<br />
Festanstellung zustehen.<br />
Kontinuierlicher Anstieg. Zeitarbeiter seit den 90ern.<br />
Wobei der Lohn fast überall, bei Helfern<br />
wie auch Facharbeitern, etwas<br />
niedriger liegt als bei einer Festanstellung.<br />
Auch nach der Probezeit.<br />
Verdienst geringer<br />
Nimmt man das Beispiel eines Schlossers,<br />
gerade aus der Lehre und ein gestuft<br />
in der Entgeltgruppe drei, verdient<br />
dieser als „Facharbeiter mit abgeschlossener<br />
Berufsausbildung, aber<br />
ohne Erfahrung“, laut BZA-Tarifvertrag<br />
9,37 Euro, nach IGZ 9,04 Euro.<br />
Gezahlt werden aber meist schon übertarifliche<br />
zehn Euro. Wobei insgesamt<br />
rund 45 Prozent der Zeitarbeitnehmer<br />
übertariflich entlohnt werden. Wäre er<br />
nun fest angestellt, bekäme er, laut den<br />
Handwerkskammern, zwischen 10,26<br />
Lohntabelle Zeitarbeit 2007 am Beispiel BZA<br />
Stundensatz<br />
West<br />
Stundensatz<br />
Ost<br />
vorläuf. Regelung<br />
<br />
7,38 EUR<br />
<br />
6,42 EUR<br />
<br />
7,81 EUR<br />
<br />
6,79 EUR<br />
Entgeltgruppen<br />
Entgeltgruppe 1<br />
Tätigkeiten, die keine Anlernzeit<br />
erfordern, nach fünf Monaten<br />
der Beschäftigung oder Tätigkeiten,<br />
die eine kurze Anlernzeit<br />
erfordern.<br />
Entgeltgruppe 2<br />
Tätigkeiten, die eine Anlernzeit<br />
erfordern, die über die in der<br />
Entgeltgruppe 1 erforderliche<br />
Anlernzeit hinausgeht sowie<br />
Einarbeitung erfordern.<br />
Entgeltgruppe 3<br />
Tätigkeiten, für die Kenntnisse<br />
und Fertigkeiten erforderlich<br />
sind, die durch eine Berufsaus -<br />
bildung vermittelt werden. Diese<br />
Kenntnisse und Fertigkeiten können<br />
auch durch mehrjährige Tätigkeitserfahrung<br />
in der Entgeltgruppe<br />
2 erworben werden.<br />
<br />
9,37 EUR<br />
<br />
8,15 EUR<br />
<br />
9,91 EUR<br />
<br />
8,62 EUR<br />
<br />
11,20 EUR<br />
<br />
9,74 EUR<br />
<br />
12,38 EUR<br />
<br />
10,77 EUR<br />
Entgeltgruppe 4<br />
Tätigkeiten, für die Kenntnisse und<br />
Fertigkeiten erforderlich sind, die<br />
durch eine mindestens dreijährige<br />
Berufsausbildung vermittelt werden<br />
und die eine mehrjährige Berufserfahrung<br />
voraussetzen.<br />
Entgeltgruppe 5<br />
Tätigkeiten, die Kenntnisse und<br />
Fertigkeiten erfordern, die durch<br />
eine mindestens dreijährige Berufsausbildung<br />
vermittelt werden.<br />
Zusätzlich sind Spezialkenntnisse<br />
erforderlich, die durch eine Zusatzausbildung<br />
vermittelt werden sowie<br />
eine langjährige Berufserfahrung.<br />
<br />
13,46 EUR<br />
<br />
11,71 EUR<br />
<br />
14,54 EUR<br />
<br />
12,65 EUR<br />
<br />
16,69 EUR<br />
<br />
14,52 EUR<br />
Entgeltgruppe 6<br />
Tätigkeiten, die eine Meister-<br />
bzw. Technikerausbildung oder<br />
vergleichbare Qualifikationen<br />
erfordern.<br />
Entgeltgruppe 7<br />
Tätigkeiten, die zusätzlich zu den<br />
Merkmalen der Entgeltgruppe 6<br />
mehrjährige Berufserfahrung<br />
erfordern.<br />
Entgeltgruppe 8<br />
Tätigkeiten, die ein Fachhochschulstudium<br />
erfordern.<br />
Entgeltgruppe 9<br />
Tätigkeiten, die ein Hochschul -<br />
studium bzw. Tätigkeiten, die<br />
ein Fachhochschulstudium und<br />
mehrjährige Berufserfahrung<br />
erfordern.<br />
Quelle: BZA<br />
Euro in München und 12,80 Euro in<br />
Hamburg. Doch scheuen „normale“<br />
Unternehmen oft eine schnelle Festanstellung<br />
des Mitarbeiters; jedoch nicht<br />
nur wegen der Lohnkosten. Bietet die<br />
Variante „Kollege auf Zeit“ doch<br />
genug Spielraum, den Mitarbeiter auf<br />
Herz und Nieren zu testen. Vor allem<br />
im Hinblick auf eine spätere Übernahme!<br />
Weshalb die Zeitarbeit die<br />
bessere, weil arbeitstechnisch dauerhaftere<br />
Variante ist. Man kommt<br />
zudem schneller ins Unternehmen<br />
„rein“, wie es heißt, kann sich bewähren<br />
und ist vor allem nicht arbeitslos!<br />
Gerade un gelernte Kräfte haben hier<br />
sehr gute Chancen, sich arbeitstechnisch<br />
zu in tegrieren. Nur flexibel sollte<br />
man schon sein. <br />
* IGZ: Interessenverband deutscher<br />
Zeitarbeits<strong>unter</strong>nehmen e.V.<br />
* BZA: Bundesverband Zeitarbeit e.V.<br />
Was ist<br />
Zeitarbeit?<br />
Zeitarbeit<strong>unter</strong>nehmen sind Beschäftigungs<strong>unter</strong>nehmen<br />
mit Arbeitsplätzen<br />
bei ihren Kunden. Dort erbringen<br />
Zeitarbeitnehmer vertragsgemäß<br />
ihre Arbeitsleistung.<br />
Zeitarbeit<strong>unter</strong>nehmen sind Arbeitgeber<br />
wie andere Arbeitgeber auch;<br />
es gelten die Sonderregelungen des<br />
Arbeitnehmerüberlassungs gesetzes<br />
(AÜG).<br />
Jeder Arbeitnehmer erhält grundsätzlich<br />
einen schriftlichen, unbefristeten<br />
Arbeitsvertrag mit den üblichen<br />
Leistungen wie Renten-, Kranken-,<br />
Arbeitslosen-, Pflege- und Unfallversiche<br />
rung, bezahlten Urlaub,<br />
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall,<br />
gesetzlichen Kündigungsschutz u.ä.<br />
Zeitarbeit<strong>unter</strong>nehmen bieten sozial<br />
geschützte Arbeitsverhältnisse. <br />
Nächste Ausgabe<br />
Disponent am Limit<br />
harter Alltag eines<br />
Personaldienstleisters<br />
Quelle BZA