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Platon - Politeia - Huber-tuerkheim.de

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<strong>Platon</strong>: <strong>Politeia</strong><br />

Wi<strong>de</strong>rfahrnisse trägt <strong>de</strong>r Stein an sich, ja er reagiert sogar in seiner spezifischen Weise<br />

darauf: In seiner Natur ist vorgegeben, bei welcher Belastung er splittert, bei welcher<br />

er zerbricht. Er reagiert auf die Welt in spezifischer Weise, und so ist ihm die Welt auf<br />

spezifische Weise gegeben, freilich ohne dass er ein Bewusstsein davon hätte.<br />

Zusatz: Auch ein gentechnisch manipuliertes Wesen ist noch ein eigenwirkliches Wesen, weil es zwar anlässlich<br />

<strong>de</strong>r Manipulation zu einer verän<strong>de</strong>rten Wirklichkeit gebracht wur<strong>de</strong>, diese neu entstan<strong>de</strong>ne Wirklichkeit<br />

sich aber weiterhin aus sich selbst heraus vollzieht. Darin liegt die grundlegen<strong>de</strong> ethische Be<strong>de</strong>nklichkeit: Die<br />

Eigenwirklichkeit eines Wesens wird hier in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Zwecke <strong>de</strong>s Manipulierers gestellt, ohne dass das<br />

Wesen sich dieser Entfremdung entziehen könnte, da sie <strong>de</strong>r Manipulierer in die Eigenwirklichkeit sozusagen<br />

eingebaut hat. Entfremdung tritt in <strong>de</strong>r Gestalt von Eigenwirklichkeit auf, und so ist ein solches Wesen in sich<br />

selbst verfälscht.<br />

C. Eigenwirkliche <strong>de</strong>nkbare Wesen: I<strong>de</strong>en, wissenschaftlich erfasst<br />

(54) „jenes selbst ..., was man nicht an<strong>de</strong>rs sehen kann als mit <strong>de</strong>m Verständnis (dianoia)“<br />

(510 e – 511 a) und zwar „von Voraussetzungen aus, nicht zum Anfang zurückschreitend“<br />

(510 b).<br />

Eigenwirkliche <strong>de</strong>nkbare Wesen sind solche eigenwirkliche Wesen, die nicht sichtbar und<br />

greifbar gegeben sind, die sich aber <strong>de</strong>m <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Verstehen (§ 47) als die eigentlich und<br />

in Wahrheit wirklichen Wesen (§ 46) zeigen und erschließen. Solche Wesen heißen bei <strong>Platon</strong><br />

I<strong>de</strong>en.<br />

[] I<strong>de</strong>en sind überzeitliche (§ 45) und unsichtbare (§ 47) Wirkprinzipien (§ 46), die sich selbst in <strong>de</strong>r<br />

sichtbaren Welt Ausdruck verschaffen, in<strong>de</strong>m sie sich in sichtbaren und greifbaren Phänomenen zeitliche Wirklichkeit<br />

geben.<br />

[] Es gibt mathematische (geometrische, algebraische) I<strong>de</strong>en; qualitative I<strong>de</strong>en von physikalischen Größen<br />

wie <strong>de</strong>r Bewegung, von chemischen Elementen wie <strong>de</strong>m Wasserstoff, von biologischen Wesen wie Löwen und<br />

Menschen, von medizinischen Zustän<strong>de</strong>n wie Gesundheit und Krankheit; normative I<strong>de</strong>en wie Schönheit,<br />

Wahrheit und Gutheit; sittlich be<strong>de</strong>utsame I<strong>de</strong>en wie Liebe und Hass, Krieg und Frie<strong>de</strong>n, Gerechtigkeit und<br />

Profitmaximierung. Schließlich gibt es die universale I<strong>de</strong>e, die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Guten (G).<br />

[] I<strong>de</strong>en stehen ihrerseits in einer Hierarchie: Höhere, komplexere I<strong>de</strong>en nehmen einfachere I<strong>de</strong>en zu ihrer<br />

eigenen Organisation in Anspruch (§ 50-b). So ist beispielsweise die I<strong>de</strong>e „Mensch“ eine komplexe Integration<br />

von geometrischen I<strong>de</strong>en (die Formen <strong>de</strong>r Organe), qualitativen I<strong>de</strong>en (die Funktionalität <strong>de</strong>r Organe), normativen<br />

I<strong>de</strong>en (die ästhetische Proportionalität <strong>de</strong>s Baus), sittlich be<strong>de</strong>utsamen I<strong>de</strong>en (Lebensführung unter <strong>de</strong>n<br />

Perspektiven von Anständigkeit und Erfüllung).<br />

[] Die I<strong>de</strong>en sind allesamt einerseits passiv, insofern sie durch an<strong>de</strong>re agieren<strong>de</strong> Subjekte, wie z. M. Menschen,<br />

in Wirksamkeit gesetzt o<strong>de</strong>r verwirklicht wer<strong>de</strong>n, so wenn z. B. ein Architekt einen Kreis zeichnet, o<strong>de</strong>r<br />

durch eine Zeugung die wirken<strong>de</strong>n Formprinzipien – die I<strong>de</strong>en – <strong>de</strong>s genetischen Prozesses in Gang gesetzt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die geometrische I<strong>de</strong>e „Kreis“ wie auch die biologische I<strong>de</strong>e „Genom“ wird nicht von selbst wirksam,<br />

son<strong>de</strong>rn erst anlässlich o<strong>de</strong>r durch Veranlassung <strong>de</strong>r Tätigkeit <strong>de</strong>s zeichnen<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r zeugen<strong>de</strong>n Wesens. – Selbst<br />

die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Guten, obgleich sie <strong>de</strong>r Urgrund ist, <strong>de</strong>r alles erst in das Sein bringt, hat doch auch Passivität an<br />

sich, in<strong>de</strong>m sie eigentätige Wesen setzt, von <strong>de</strong>ren Eigentätigkeit sie sich selbst – nämlich die Wirklichkeit <strong>de</strong>s<br />

Universums, in <strong>de</strong>r sie sich manifestiert – bestimmen lässt.<br />

[] Die I<strong>de</strong>en sind dann aber an<strong>de</strong>rerseits allesamt auch aktiv, insofern sie aus sich selbst heraus – d. h. als<br />

autarke Mächte – ihre Verwirklichung betreiben, so wenn die Vorstellung eines kreisförmigen Grundrisses<br />

<strong>de</strong>m Architekten ohne <strong>de</strong>ssen Zutun „einfach nicht mehr aus <strong>de</strong>m Kopf geht“; o<strong>de</strong>r wenn beim einmal gezeugten<br />

Kind die Kreisgestalt sich von selbst in <strong>de</strong>r Pupillenform <strong>de</strong>s Auges bil<strong>de</strong>t; o<strong>de</strong>r auch o<strong>de</strong>r wenn eine Melodie<br />

<strong>de</strong>n Komponisten „nicht mehr loslässt“; o<strong>de</strong>r wenn Hass und Liebe „von jeman<strong>de</strong>m Besitz ergreifen“; o<strong>de</strong>r<br />

wenn ein Krieg „ausbricht“. Solche Re<strong>de</strong>wendungen wollen nicht besagen, dass <strong>de</strong>r Mensch gar nichts zu<br />

Krieg und Frie<strong>de</strong>n, Liebe und Hass, Komponieren und Häuserentwerfen täte und sich alles das nur von selbst<br />

mache. Sie wollen nur besagen, dass Liebe und Hass, Krieg und Frie<strong>de</strong>n usw. oft nicht restlos aus <strong>de</strong>m erklärbar<br />

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