10.07.2015 Aufrufe

Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Die 14 Stationen der Klinik Littenheid ermöglichen den ca. 200 Patientinnenund Patienten eine auf das individuelle Krankheitsbild abgestimmteBehandlung. Sie gliedern sich in folgende Fachbereiche:Unsere drei offenen Therapiestationen ermöglichen eine intensive psychotherapeutischeBehandlung. Für einzelne neurotische und psychosomatischeStörungen (z. B. Essstörungen, Angst- und Zwangserkrankungen) bietenwir spezialisierte Behandlungsprogramme an.Auf unseren vier modernen und freundlich gestalteten Akutstationennehmen wir Patientinnen und Patienten entweder direkt in einer Notfallsituationauf oder nach einem abklärenden Vorgespräch zur Kriseninterventionoder für die Einleitung einer länger dauernden Therapie.Unsere vier gerontopsychiatrischen Stationen betreuen Alterspatienten:Ein multiprofessionelles Team leistet die notwendige medizinische, psychiatrischeund therapeutische Hilfe und fördert und unterstützt wo immermöglich die Eigenaktivität. Gerade unsere betagten Patientinnen undPatienten profitieren von den sozialen Möglichkeiten unserer lebendigenDorfgemeinschaft.Unser jugendpsychiatrisches Behandlungsangebot auf drei Stationenumfasst Abklärung und Beratung, kurz dauernde Krisenintervention sowieTherapie und Rehabilitation in offenem oder geschlossenem Rahmen.Wir arbeiten nach milieu- und psychotherapeutischen sowie sozialpädagogischenPrinzipien und nehmen jugendliche Patientinnen und Patientenzwischen 14 und 18 Jahren auf.


genügend Betten zur Verfügung stehen. Dankunserem grossen Einzugsgebiet ist es uns auf denStationen der genannten Spezialgebiete möglich,unterschiedliche Konzepte anzubieten, welche einezielgerichtete, auf die einzelnen Krankheiten undStörungen ausgerichtete Behandlung mit spezifischenTherapieprogrammen erlauben.Im 1. Halbjahr <strong>2003</strong> stellen wir bei einer hohenBelegung von deutlich über 90 Prozent eine leichteZunahme der Eintritte gegenüber dem Vorjahrfest; mit 15 Prozent mehr Eintritten verzeichnetdie Jugendpsychiatrie die höchste Steigerunggegenüber 2002.Im Namen der Klinikleitung danke ich allenMitarbeiterinnen und Mitarbeitern herzlich fürihre mit hoher Professionalität und grossem persönlichemEinsatz geleistete Arbeit.Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, danke ich fürIhr Interesse an unserer Arbeit und wünsche Ihnengute Unterhaltung beim Lesen der Beiträge.3H. Schwyn


Dr. med. Markus Binswanger, ChefarztModerne Identitätsprobleme – Einführungins Jahresthema4Die Bildung einer lebensgerechten Identitätstellt für jeden Menschen, der nach seinempersönlichen Lebenssinn sucht, eine zentraleentwicklungspsychologische Aufgabedar. Sie ist Grundlage seiner Selbstdefinition und seiner Beziehungenzum Umfeld. Die Aufrechterhaltung einer stabilen Identitätgeschieht in fortlaufender Auseinandersetzung mit derUmgebung. Jede Lebensphase innerhalb des Lebenszyklus stelltspezifische Anforderungen. Von besonderer Bedeutung ist dieAdoleszenz, welche durch eine tiefgreifende Neuorganisation derPersönlichkeit charakterisiert ist. Auch Übergänge in späterenLebensphasen stellen für das Individuum hinsichtlich Identitätsentwicklungneue Herausforderungen; Identitätskonflikte und-krisen charakterisieren diese lebensphasenbezogenen Momentedes Umbruchs und der Neuorientierung.Identitätsentwicklung im gesellschaftlichen KontextDer Prozess der Identitätsbildung wird von vielfältigen psychosozialenFaktoren beeinflusst. Er basiert einerseits auf derVerinnerlichung von Kindheitserfahrungen in der Ursprungsfamilie,andererseits auf der Auseinandersetzung mit gesellschaftlichenStrukturen, Normen und Werten. Die so genannte soziale Identität– z.B. Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, Religion oder Nation– ist eine wichtige Basis für Identifikationsmuster und Voraussetzungfür seelische Stabilität und Weiterentwicklung.Individuelle Identität spiegelt unter diesem Aspekt immer auchsoziale Gegebenheiten und Prozesse sowie damit im Zusammenhangstehende Probleme und Konflikte.Unter dem Leitmotiv «Identität der Gesellschaft – Identität derSeele» widmet sich unser diesjähriges <strong>Jahresheft</strong> Fragen nachWechselwirkungen zwischen sozialen Prozessen und seelischerEntwicklung des Individuums. Ausgangspunkt ist zunächst dieFeststellung einer seit Jahren steigenden Inanspruchnahme ambulanterund stationärer psychiatrischer Leistungen. Diese Entwicklunglässt Politiker, Vertreter der Krankenkassen und Fachleutegleichermassen aufhorchen. Die breite Öffentlichkeit hatbisher nur am Rande davon Kenntnis genommen. Grosse Aufmerksamkeiterfährt neuerdings die bereits seit einigen Jahrenwachsende Zahl von IV-Renten-Bezügern mit psychischen Problemenresp. psychiatrischen Störungen. Einzelne politische Gruppierungenwollen diesen Umstand mit dem Sachverhalt erklären,dass die ambulante Versorgung durch eine ebenfalls rasch wachsendeZahl von psychotherapeutisch und psychiatrisch Tätigengeleistet wird, die nicht selten die Auseinandersetzung mit demHier und Jetzt scheuen, um den Status quo aufrecht zu erhalten,im Sinne von «Ich bin O. K., du bist O. K.». So betrachtet verursachenPsychiater und Psychologen die sich ausweitenden psychischenProbleme, mit denen sie konfrontiert sind, gleichsam selber.Diese nicht ungefährliche Rhetorik lässt Fragen nach möglichengesellschaftlichen Ursachen und Hintergründen unbeantwortet –soziale Dimensionen seelischen Leidens bleiben unbeleuchtet.Moderne KrankheitsbilderWichtiges Motiv für die Wahl unseres Jahresthemas ist die fortlaufendeKonfrontation mit sich wandelnden, neuen, bis anhinwenig bekannten psychiatrischen Problemstellungen. DieseStörungen, welche nicht selten dramatische Verlaufsformenzeigen, unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht von den bekanntenpsychiatrischen Erkrankungen wie beispielsweise Schizophrenieund Demenz. Was ist gemeint?Unter dem Gesichtspunkt sich verändernder psychiatrischerSymptombildungen und Verhaltensmerkmale ist in erster Liniedie zunehmende Zahl von Menschen zu erwähnen, welche sich– offen oder heimlich – selber verletzen oder gar verstümmeln.Manipulationen am eigenen Körper, wie sich schneiden oder sichbrennen, sind nicht selten verbunden mit allgemeinem Risikoverhaltensowie generellen Schwierigkeiten in der Impulskontrolle.Mager- und Brechsucht, der Gebrauch von stimulierendenpsychotropen Substanzen sowie pathologisches Spielen oder Stehlensind ebenfalls Charakteristika dieser neuen Störungsbilder.Die häufig als Borderline-Persönlichkeiten diagnostizierten, meistjugendlichen oder jungen erwachsenen Patienten, sind in ihremSelbst- und Umweltbezug massiv beeinträchtigt. Sie zeigen grosseUnsicherheit in ihrer sexuellen Orientierung, ihren Wertvorstellungensowie in ihren langfristigen Zielen. Im Zentrum steht inder Regel eine schwere Identitätsstörung – eine so genannte Identitätsdiffusion– welche von der Umgebung häufig in Form vonwidersprüchlichen Charakterzügen sowie rasch wechselndemBeziehungsverhalten wahrgenommen wird. Neben diesen persönlichkeitsgestörtenPatienten suchen neuerdings auch MenschenHilfe in unserer Klinik, welche vorerst seelisch gesund imponieren.In privaten und beruflichen Belastungs- und Veränderungssituationenwerden sie massiv überfordert und geraten vor diesemHintergrund in eine schwere, oft akute Krise. Bei näherer Betrach-


tung zeigen sich häufig komplexe Ausformungen einer Identitätskrise.Äussere Ereignisse führen bei diesen sich meistens in derLebensmitte oder zweiten Lebenshälfte befindenden Patienten zuHaltverlust, Orientierungslosigkeit und insbesondere zu Sinnkrisen.Bis anhin tragende Lebenskonzepte werden zunehmendbrüchig und versagen schliesslich. Gefühle der inneren Zerrissenheitund Sinnentleerung machen sich breit, Depression undSuizidalität prägen das klinische Bild.Aufhorchen lässt nun die Tatsache, dassdie beschriebenen Patientenkategorien in denvergangenen Jahren – also in einer Phasewachsender wirtschaftlicher Probleme undrasanten gesellschaftlichen Umbruchs – inden meisten psychiatrischen Institutionenerheblich zugenommen haben. Als psychotherapeutischspezialisierte Fachklinik werdenuns Patienten mit solchen Formen vonIdentitätsstörungen überdurchschnittlich häufig zugewiesen.Darum ist es für uns bedeutsam – auch im Hinblick auf zukünftige,weiter sich akzentuierende Identitätsprobleme – dieser Thematikbesondere Aufmerksamkeit zu widmen.Mögliche soziale UrsachenAbschliessend soll nun die Frage aufgeworfen werden, welcheaktuellen gesellschaftlichen Prozesse die Bildung und Aufrechterhaltungeiner kohärenten Identität erschweren. Lassen sich nebenindividuellen biographischen Faktoren allgemeine gesellschaftlicheGegebenheiten identifizieren, welche in der Entstehung derbeschriebenen neuen Störungsbilder ursächlich eine Rolle spielen?Spiegelt die wachsende Zahl von Menschen in Identitäts- undLebenskrisen Aspekte der Identitätsproblematik unserer Gesellschaftals Ganzes? Müssen wir gar «am Ende der grossen Erzählungen»Abschied nehmen von der Vorstellung des Individuumsals einmalige, unverwechselbare Persönlichkeit im Sinne eineroriginären Identität?Die moderne Soziologie hat vielfältige Deutungsmuster zurZeitdiagnose entwickelt, welche von Psychiatrie und Psychotherapiebis anhin wenig rezipiert worden sind. Als hilfreich erweistsich in diesem Zusammenhang das Konzept der Postmoderne, wiees unter anderem vom Familiensoziologen Kurt Lüscher vertretenwird. Er vertritt die Ansicht, dass der Modernisierung von Anfangan komplexe Paradoxien zu Grunde liegen. Diese vermeintlichenund tatsächlichen Widersprüche sollen sich in der Gegenwart – inder Postmoderne – sowohl unter quantitativen als auch unterqualitativen Gesichtspunkten radikalisiert haben. Lüscher vertrittdie These, dass es für das Individuum im Kern darum geht,...«mitAmbivalenzen im Bereich des psychischen Erlebens, [...] der sozialenBeziehungen und Strukturen besser umgehen zu lernen.» AlsErschwernisse in der Identitätsbildung werden postmodernesoziale Bedingungen wie Vielfalt der Lebensformen und -stile,«Jede Lebensphase innerhalb des Lebenszyklusstellt spezifische Anforderungen. Von besondererBedeutung ist die Adoleszenz, welche durch einetiefgreifende Neuorganisation der Persönlichkeitcharakterisiert ist.»Wertepluralismus, Unsicherheit durch verminderte Verlässlichkeitder Verhältnisse sowie reale Konfrontation mit anderen, häufigauch durch Verunsicherung geprägte Identitätsentwürfe derMitmenschen aufgeführt. Auch die mediale Überflutung mitinstrumentalisierenden Identitätsangeboten, namentlich in derWerbung sowie die Infragestellung kollektiver Identitätsangebote(Staatsbürgerschaft und nationale Zugehörigkeit) werden aufgeführt.Auch familiale Veränderungsprozesse wie Fragilität vonPartnerbeziehungen, gesteigerte Ansprüche in den Beziehungenzwischen Kindern und Eltern und schliesslich Veränderungenin der Arbeitswelt sollen für postmoderne Identitätsproblememitverantwortlich sein.Psychiatrie und Psychotherapie befassen sich seit jehermit Problemen und Aufgaben für eine individuell abgestimmteIdentitätsentwicklung. Die dabei ablaufenden Prozesse sindeingebettet in die jeweiligen Spannungsfelder sozialer Veränderungenund damit verbundener Widersprüche. Soziale Dimensionenpsychischer Gesundheit und Krankheit werden zur Zeitnur wenig ausgeleuchtet und finden entsprechend geringe Berücksichtigungin der Behandlungspraxis. Nachfolgende Beiträgeaus unseren verschiedenen Klinikbereichen versuchen, moderneIdentitätsprobleme aus unterschiedlicher Perspektive zu orten,einen Brückenschlag zu den aktuellen sozialen Veränderungsprozessenherzustellen und behandlungsrelevante Konsequenzenaufzuzeigen.5


Neue Möglichkeiten des Umgangsmit sich und der UmweltAkutpsychiatrie und stationäre Psychotherapie für Erwachsene


Dr. med. Jörg Burmeister, Leitender Arzt AkutpsychiatrieDie Bedeutung der Gruppe im Kontext einerindividuellen LebensgestaltungDie Entwicklung des Einzelnen ist untrennbarmit Gruppenprozessen verbunden.Nicht nur, dass die traditionelle Form derHerkunftsfamilie alle Eigenschaften einerGruppe erfüllt und das Kind in dem komplexen Feld familiärerBeziehungen wesentliche Lernerfahrungen macht, sondern auchspäter begleiten Gruppen und Gruppenprozesse den Einzelnen inseiner Entwicklung und Lebensgestaltung. Sei es in der Schule, imVerein, am Arbeitsplatz, im Militär oder im Seniorenheim, überallvollzieht sich der individuelle Lebensentwurf im Kontext vonGruppen und Gemeinschaften. Die Verschränkung des Individuellenmit dem Sozialen reicht bis in unsere Träume hinein:Neben dem Bezug zum eigenen Schicksal und zur persönlichenErfahrung verweisen Träume immer auch auf übergeordnete soziale,kulturelle oder existenzielle Zusammenhänge. Wie aber beeinflussenGruppen unsere Entwicklung? Was leisten Gruppen besondersund wo sind ihre Einflüsse – mitunter unerkannt – für dasVerständnis unseres Selbst oder der uns wichtig erscheinendenUmwelt entscheidend?Gruppen ergänzen die persönliche, die individuelle Identitätum den Aspekt der Kultur und der sozialen Gemeinschaft, in dieder Einzelne von Geburt an eingebettet ist. Sie bezeichnen undstiften Zugehörigkeit, ohne die sich auchnach neuesten entwicklungspsychologischenErkenntnissen keine eigentliche Vorstellungvon uns selbst heranbilden kann. Nur Zugehörigkeitvermag die Frage zu beantworten,wo wesentliche Unterschiede oder wo wesentlicheGemeinsamkeiten zwischen anderenund mir selbst bestehen und wie ich meinenPlatz in der Gesellschaft und in Bezugauf andere bestimmen kann. Die Bedeutungdieser Zugehörigkeit wird auch dann besonders plastisch, wenndie Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe angegriffen, schlecht gemachtoder umgekehrt besonders herausgehoben wird: Schmähungender eigenen Familie, des eigenen Geschlechts oder dereigenen Nation kränken und beschämen, Lob und besondere Leistungendes Herkunftskollektivs wecken dagegen überschwänglicheFreude und Stolz, was z.B. nach dem Gewinn einer Fussballweltmeisterschaftin fast jedem Land fraglos nachvollzogenwerden kann. Soziologen gehen davon aus, dass diese Gefühle somächtig werden können, dass sie sowohl Rache als Versuch, dieverletzte Ehre der eigenen Gruppe wieder herzustellen, wie auchdas Bedürfnis, die Überlegenheit der eigenen Gruppe gegenüberanderen Gruppen immer wieder neu demonstrieren zu müssen,angemessen erklären können. Nicht nur der von Amerikanern undRussen betriebene «Wettlauf» um die «Eroberung» des Weltalls,sondern vor allen Dingen immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen,sei es in Form von Terrorismus (von in seinen Mittelnund Möglichkeiten unterlegenen Kollektiven), sei es in Formaggressiver Machtpolitik mit Einschluss kriegerischer Handlungen– wie etwa im Irak und Afghanistan geschehen –, legen hierfürgenügend Zeugnis ab. Wie wirken sich solche Vorgänge und diemit ihr angestossenen sozialen und gesellschaftlichen Fragen undtiefgreifenden emotionalen Umwälzungen auf nicht unmittelbarBetroffene in der Schweiz aus?Zunächst einmal erschüttern Kriege und terroristischeAnschläge das zutiefst verwurzelte Sicherheitsbedürfnis, einEffekt, der jedoch mit der geografischen Entfernung von kriegerischenund terroristischen Geschehnissen kontinuierlich abnimmt.Die vorhandene mediale Präsenz aller kriegerischen Schauplätze,die ausgesuchte Flut der Bilder und Geschichten, lassen uns aberdennoch häufig genug zu eigentlichen Zeugen der furchtbarstenGeschehnisse werden. Um die damit verbundene Angst und die«Nur Zugehörigkeit vermag die Frage zu beantworten,wo wesentliche Unterschiede oder wo wesentlicheGemeinsamkeiten zwischen anderen und mir selbstbestehen und wie ich meinen Platz in der Gesellschaftund in Bezug auf andere bestimmen kann.»moralische Verurteilung von Töten und Gewalt – die nach denErgebnissen der Verhaltensforschung angeboren zu sein scheint –überspielen zu können, werden in der Politik und in der Berichterstattunghäufig einfache Freund/Feind- oder Gut/böse-Schemataentwickelt, die mittels Indentifikation mit dem Gutendie verübte Gewalt rechtfertigen und die psychologischen Auswirkungenherunterspielen sollen. Allerdings gelingen solche Versuchenur immer teilweise. Denn der Erfolg hängt im Wesentlichendavon ab, wie weit wir uns auch der betroffenen Gruppe zugehörigund verbunden fühlen und wie weit wir damit selbst in unserer7


8«Die Gruppe bleibt dasSchicksal des Einzelnen –im Krieg und im Frieden.»Identität bestätigt werden können. Je stärker Gewalt und Destruktivitätin einem uns fremden «Aussenraum» stattfinden und jestärker die Aggression uns selber «fremd» bleibt, aber nicht eindeutigals gut oder schlecht klassifizierbar ist, umso stärker wirddie Beunruhigung, Ängstigung und seelische Belastung ausfallen.Dies zeigt sich bis in unseren klinischen Alltag hinein.Ich erinnere mich an Berichte, wie unmittelbar nachden Angriffen des 11. September 2001 bis dahin durch schwereseelische Verletzungen ausgesprochen instabil und unberechenbarauftretende Patientinnen und Patienten an Festigkeit und Reifegewannen, da sie sich endlich nicht mehr alleine wussten undihnen die verstörten und verängstigten Reaktionen der Umweltsehr vertraut und sehr verwandt erschienen. Umgekehrt zeigtensich bis anhin eher besonnene und ruhige Patientinnenund Patienten zutiefst ergriffen, verzweifelt und ob der eigenenOhnmacht fassungslos. Die fehlende Ordnung, der fehlende Haltan Bekanntem, Vertrautem hatte dem Weltbild tiefe Risse zugefügtund liess sie neben der ganz persönlichen, individuellenDimension ihrer ohnehin bestehenden Krise zusätzlich an Bodenverlieren. Erst der Dialog in Gruppen und in der Gemeinschaftder Station verhalfihnen zu einem Gefühlvon Sicherheitund Verständnis, dasdurch die Erfahrungder Zugehörigkeitzum gleichen Kollektiv,zur gleichen Gruppe wieder hergestellt werden konnte. In demMasse, wie sich die Situation beruhigte und stabilisierte, fielendagegen die schwer geschädigten Patientinnen und Patienten inihre alte Opfer- und Verliererrolle zurück: Sie hatten die Zugehörigkeitzu einer grösseren Gemeinschaft verloren und fühltensich erneut um so verlassener.Die beschriebene Dynamik lässt sich, wenngleich häufig nicht soeindrucksvoll, bei allen Formen öffentlicher Gewalt oder kriegerischerAuseinandersetzungen beobachten. Sie zeigt exemplarisch,dass Verständnis und die gemeinsame Solidarisierung in Bezugauf soziale und gesellschaftliche Prozesse, die das individuelleSchicksal überformen, nicht nur Sinn, sondern auch Verzweiflungund Ausgeliefertsein bescheren können. Gesellschaftliche Gewaltund individuelle Gewalt hängen miteinander zusammen und sollten– nicht nur in unserem klinischen Bereich – auch in diesemZusammenhang bewertet und verändert werden. Hierzu helfeninsbesondere Gruppen und der Dialog in Gruppen, der eine allseitigeParteinahme ermöglicht und emotionale Zuspitzungen abtragenkann. Die Gruppe bleibt das Schicksal des Einzelnen – imKrieg und im Frieden.


Dr. med. Carola Schildbach, Oberärztin Stationäre PsychotherapiePsychiatrie und Psychoanalyse imgeschichtlichen WandelEine Betrachtung aus der Perspektive heutiger stationärer PsychotherapieWildes inneres AuslandDie «Entdeckung des Unbewussten» durchdie Psychoanalyse im ausgehenden 19. Jahrhundertsteht am Ende einer kulturgeschichtlichenEpoche, in der Europa mit dem Überlegenheitsgefühleiner materialistischen und positivistischen Haltung glaubte,die ganzeWelt für die Vernunft kolonialisieren und gegen das so genanntePrimitive imprägnieren zu können. Mit dem Unbewusstenfreilich macht eine Kategorie ihr Vorhandensein geltend, die denhalbwegs domestizierten Kolonien des europäischen Imperialismusein weites und wildes inneres Ausland gegenüberstellt, eine Kategoriezugleich, die die materialistischen Glaubensbekenntnisse vonder absoluten Gültigkeit des Stofflichen ad absurdum führt.Materiell fassbares Trauma nicht mehr notwendigBis zu Sigmund Freud hatte man stets nach dem materiell fasslichenTrauma gesucht, das notwendig eine psychische Erkrankungbedinge. Freud schärfte die ärztliche Wahrnehmung für die unbewusstbleibenden, gleichsam «feinstofflichen» Prozesse, die seitfrüher Kindheit unerkannt fort und fort wirkten. Traumata ja: abernicht mehr notwendig als physikalisch begreifbare, organischeNervenschädigung, sondern als Ergebnis eines komplexen Kräftespielsvon Gefühlen und Affekten, von Triebwünschen einerseitsund ethischen Eigenanforderungen andererseits.Das dynamische UnbewussteDie Annahme eines «dynamischen Unbewussten», das in früherund frühester Kindheit durch Verdrängung entsteht, ist, wie wirheute wissen, einseitig und eng. Mit dieser Annahme ist das Unbewussteeine Art Reservoir triebhafter Gedanken und Gefühle,die zwar dynamisch nach aussen drängen, die jedoch aus persönlichenoder gesellschaftlichen Gründen nicht über die Schwelle desBewusstseins treten dürfen. Gerade weil sie es nicht dürfen, entstehtder seelische Konflikt und damit seelische Krankheit. Wennman so will: damit ist das Unbewusste vorwiegend pathogen.Methode zur Heilung seelischer Konflikte bildete unteranderem die Technik der «freien Assoziation».Seelische Störungen und Träume lassen sich mit demselbenCode entziffernAber Freud selbst machte mit seiner Traumdeutung (um 1900)schon den ersten Schritt weg von dieser allzu engen Auffassung.Träume sind eine Leistung, die auch dem gesunden Menscheneigen sind, physiologisch gesprochen, eine Funktion des gesundenGehirns. Freud entdeckte, dass sich Träume ähnlich erforschenliessen wie die seelischen Störungen seiner Patienten: mit Hilfe der«freien Assoziation». Seelische Störungen einerseits und Träumeandererseits liessen sich mit derselben Methode bearbeiten, sozusagenmit ein und demselben Code entziffern.Das Unbewusste verliert den Ruch des Pathogenenund wird zum Land der SeeleDie folgenden Psychoanalytiker, allen voran vielleicht C. G. Jung,haben das Unbewusste nach vielen Richtungen hin durchforscht.Der Mensch bekam nun nicht nur eine individuelle «seelischeGeschichte», die ihn zu dem hatte werden lassen, was er zu einemjeweiligen Moment auf bewusster wie unbewusster Ebene war.Er wurde auch eingebettet in ein Gefüge des kollektiven Unbewussten,sei es in der soziokulturellen Perspektive, die den Zusammenhangvon Trieb und Kultur (Freud), den Zusammenhangvon Macht und Gemeinschaft (Adler) betrachtet, sei es in einerstärker kulturgeschichtlichen Perspektive, die die Mythen,Märchen und kreativen Impulse der Menschheit in die Mitteder Betrachtung rückt (Jung). Das Unbewusste verlor damit rechtbald endgültig den Ruch des Pathogenen und wurde zueinem Land der Seele, das mehr als nur eine Reise wert war.Der individuelle Mensch konnte nun gewissermassen in einenje nachdem spannenden oder spannungsvollen Dialog mitsich selbst treten. Aus dieser Spannung heraus ist nicht nurTherapie vom «seelisch Erkrankten» möglich, auch das Wachstumdes Gesunden kann sich intensivieren. Und zugleich wird dieNachdenklichkeit gegenüber individuellen und gesellschaftlichenProzessen gefördert.QuantensprüngeMan darf vielleicht sagen, dass die Entdeckung des Unbewussten(1894 ff.) als «Ausland der Seele» in ein Jahrzehnt fällt, in dem mitder Erfindung des Kraftwagens (1888), dem weitgehendenAusbau der Eisenbahnlinien, der Etablierung des Weltpostvereins(1891) und der Einrichtung der Zeitzonen (1891) die weltumspannendeKommunikation und die Organisation des Reisenseinen ersten Quantensprung erfuhren. Parallel hierzu wurde dieallgemeine Aufmerksamkeit stärker auf eine Kommunikation mitder inneren Welt des Menschen gerichtet.9


10Ablehnung von «Tiefenschwindel»Freilich, die Entdeckung des Unbewussten, die Einsicht, dass sichunbewusste Prozesse im Erleben und Verhalten des Menschenmanifestieren, gab der klinischen Psychiatrie Gelegenheit, eigenePerspektiven zu ordnen und zu vertiefen. Zunächst erfolgte aberim Grunde genommen die ablehnende Reaktion. Der «Tiefenschwindel»wurde mit der klaren Einsicht konfrontiert, dassVerhalten gelernt werden kann, dass es Lerngesetze gibt: Reizeführen zu Reaktionen und Verhaltenskonsequenzen, bestimmteReaktionen führen zu Erfolgen, diese Reaktionen werden künftigverstärkt. Umgekehrt zeitigen negative Verhaltenskonsequenzeneinen entsprechenden Lerneffekt: Die Reaktionen, die zu diesenKonsequenzen geführt haben, treten fortan seltener oder gar nichtmehr auf. Therapeutisch lässt sich durch gezieltes Intensivierenoder Abbauen von Reizen ein ganz bestimmtes wünschenswertesVerhalten lernen oder auch «verlernen» (Desensibilisierung).Welche unbewussten Prozesse auch immer beim «Neurotiker» zudessen «neurotischem Verhalten» geführt haben, das Verhalten«Die stationäre Psychotherapie kann Hilfe suchendenMenschen in Krisenzeiten Angebote machen, sieunterstützen – den eigenen Lebensweg gehen, mussein jeder selbst.»selbst ist auch Ergebnis eines Lernprozesses, der bestimmten Gesetzenund Einflussmöglichkeiten unterliegt. Verhaltenstherapienund tiefenpsychologisch fundierte Therapien gerieten in einenscharfen Gegensatz zueinander. Seit den siebziger Jahren des20. Jahrhunderts zeichnet sich eine Annäherung ab.Die neue Richtung: PsychosomatikDie Entdeckung, dass sich unbewusste psychische Prozesse imErleben manifestieren, gab aber auch dem Gesamtverhältnis vonMedizin, Psychiatrie und Psychologie eine neue Richtung, nämlichin der Psychosomatik. Seelisches Erleben kann sich durchausauch organisch manifestieren. Was uns «auf den Magen schlägt»,was uns «verschnupft» reagieren lässt, wurzelt in einer Psychodynamik,die im Körper selbst ihren unter Umständen dramatischenAusdruck findet. In der psychosomatischen Medizin, die sich alsganzheitliche Medizin versteht, wird Krankheit als etwas begriffen,das aus der Beziehung zwischen Individuum und Umwelt entsteht.Dabei werden psychologische Aspekte ebenso berücksichtigtwie soziale, organische, umweltbezogene. Diese ganzheitlicheSichtweise bezieht sich auch auf die Person des Psychotherapeutenund die Behandlungsmethoden der heutigen stationären Psychotherapie.Die psychosomatische Medizin öffnete vor allem denBlick für ein integratives Konzept, bei dem verschiedene psychotherapeutischeund medizinische Ansätze zur Linderung und Heilungvon seelischen Störungen beitragen. Verschiedene Ansätzeund Therapieformen sind hier gewissermassen im Dialog – nichtim Sinn einer Beliebigkeit oder in dem Bestreben, irgendwie einenkleinsten gemeinsamen Nenner zu betonen, sondern in dem Bewusstseineiner gemeinsamen Heiltätigkeit an Menschen und anderen Problemen, von denen die Vertreter aller Ansätze sich habenberühren lassen.Die Seele gerät in die Hände der PsychiatrieIm vergangenen Jahrhundert ist die Seele somit aus den Händender Theologie mehr und mehr in die Hände der Psychiatrie geraten,wodurch sich die Gesellschaft aber auch von ihren seelischenWurzeln entfernte. Während sich die Kirchen leerten, füllten sichdie Krankenhäuser. Seelsorge ist klar in einem Weltbild verwurzelt– psychotherapeutische Theoriekonzepte enthoben sich sukzessiveeines solchen, nach dem «Wozu?» im spirituellen Zusammenhangwird nicht mehr häufig gefragt. In einem Zeitalter, in dem immermehr «normal» ist, es an der «Re-ligio», der seelischen Rückverbindung,jedoch mangelt, wird es aber auch immer schwieriger,Grenzen zwischen «gesund» und «krank» zu ziehen und einen Lebenssinnzu erkennen.Identitätskrise der Psychiatrie?Wenn noch vor 50 Jahren Homosexualität als Perversion betrachtetwurde und heute in Deutschland bereits die ersten gleichgeschlechtlichenEhen geschlossen wurden, so müssen wir uns möglicherweiseauch in der Schweiz in denkommenden Jahrzehnten auf transformierendegeistig-seelische Prozesse einlassen,sowohl individuell als auch gesellschaftlich.Steuert die Psychiatrie selbst auf eine Identitätskrisezu? Die allmähliche Ersetzung desWortes «Seele» durch «Psyche» und der sichdaraus entwickelnde Anspruch des «Fachmannes»im Umgang mit ihren Krisen,beginnt ebensoviel Unmut zu erregen wie im 18. und 19. Jahrhundertdie Unwissenheit und das Moralisieren in seelischen Dingen.Die Psyche kann die Seele jedoch nicht ersetzen, alles anderewäre meines Erachtens kultureller Narzissmus, eine Überschätzungdes Psychiaters und Psychotherapeuten. Zum Trost: Krisenstellen bekanntlich Chancen dar, Chancen zur Veränderung, zumEinschlagen neuer Wege. Wir kommen heraus aus dem Dilemma,wenn wir uns von Illusionen verabschieden, klare Grenzen ziehenund Vorurteile abbauen, sei es gegenüber Psychotherapie, Psychiatrie,Religion.Lebenslanger EntwicklungsprozessDie stationäre Psychotherapie kann Hilfe suchenden Menschen inKrisenzeiten Angebote machen, sie unterstützen – den eigenenLebensweg gehen, muss ein jeder selbst. Die Suche nach seelischerIdentität ist ein lebenslanger Entwicklungsprozess, Jung nannte ihn«Individuation». Es wird nicht gelingen, zur Seele zu gelangen, es seidenn, wir gehen den Weg über das Unbewusste, was nicht wenigerbedeutet, als eine Begegnung mit den eigenen Schattenseiten zuriskieren. Die Psychiatrie muss sich meines Erachtens gar nicht umimmer weitere Theorieansätze bemühen. Heute wie vor 100 Jahren,zur Zeit der Geburt der Psychoanalyse, ist der Kern der «Psychotherapie»derselbe geblieben: eine Behandlung des Menschen in seelischerNot mit seelischen Mitteln – im Gegensatz bzw. in Ergänzungzur Behandlung mit Medikamenten. Die Suche nach der Identitätseiner Seele, das Ergründen seiner selbst, vermag niemand stellvertretendzu bewerkstelligen, aber Psychotherapeuten können Katalysatorenund Begleiter auf dem Weg der «Suche nach innen» sein. Ichteile die Gedanken von Havel, von welchem das folgende Zitatstammt: «Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht,sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht.»


Martin Weyer, Stationsleiter Pünt Nord, Stationäre PsychotherapieOperation WüstensturmDie Borderline-Persönlichkeitsstörung als katastrophischer Identitätsbildungsversuch im Zeitalter derenttraditionalisierten MultioptionsgesellschaftIntro: Operation Wüstensturmoder Was Sie von diesem Artikelerwarten dürfenDie Diagnose der Borderline-Persönlichkeitsstörung(BPS) ist in den letzten Jahren bemerkenswert gutkotiert an der Therapiebörse. Sie füllt die Kassen der diversen stationärenwie ambulanten Therapie- und Fortbildungseinrichtungen,und ein Ende der «Borderline-Hausse» ist nicht absehbar.Auch die Klinik Littenheid ist bei dieser Entwicklung an vordersterFront dabei. Dies belegt der kontinuierliche Anstieg derdiagnostizierten Persönlichkeitsstörungen vom Borderline-Typussowie der Anstieg der mit dieser Störung einhergehenden Mehrfachdiagnosen(siehe Statistik von 1997 bis 2001 im <strong>Jahresheft</strong>2002). Nicht zuletzt führte dies auch zur folgerichtigen Implementierungneuer störungsspezifischer Behandlungseinheiten(Pünt Nord) und Behandlungsmethoden (DBT und TFP).Aber auch über die Therapieszene hinaus ist das «Borderline-Syndrom» derart präsent, dass es dem interessierten Laien ins Augespringt, wenn nicht aus den Ohren quillt. Es wird multimedialmit Getöse und Eventcharakter inszeniert, sei es als Theaterstück(z.B. Thea Dorn), sei es als musikalische Performance undVideoclip (z.B. Marilyn Manson) oder als Betroffenen-Doku imSchweizer Fernsehen (z.B. über das Leben mit einer multiplen Persönlichkeit).Und betrachtet man die Flut der fach- und populärwissenschaftlichenVeröffentlichungen zum Thema und die schierunendliche Zahl der Einträge im Internet, so drängt sich der Eindruckauf: Die Borderline-Störung ist zur typischen seelischen Störungunserer Epoche geworden. Das Anliegen dieses Artikels ist es,diesen Eindruck zu überprüfen, indem er die folgenden Fragen zubeantworten versucht: Inwiefern taugt das diagnostische Konstruktder BPS als Beschreibungskategorie realer gesellschaftlicher Prozesse?Gibt es Korrespondenzen zwischen der Zeitgeist-Diagnose BPSund realen psychosozialen Erfahrungen unserer Epoche? Für welchegesellschaftlichen Befunde ist die Diagnose aussagekräftig?Leben wir gar in einer Borderline-Gesellschaft?1. Eröffnung der Kampfzone:Die Borderline-Persönlichkeitsstörung als Ausdruckeines Lebens im Ausnahmezustand1.1 Eine idealtypische Fallvignette («Anna»)Zum Eintrittsgespräch auf unserer Psychotherapiestation kommtAnna in Begleitung ihrer Mutter. Auf unsere Frage, ob sie ihreMutter bei dem Gespräch dabei haben wolle, antwortet sie resolut,dass das nicht nötig sei. Die Mutter macht auf mich einenbedrückten und besorgten Eindruck. Sie scheint verunsichert.Beim Abschied geht sie auf ihre Tochter zu, um sie zu umarmen,aber Anna wehrt ab und bedeutet ihrer Mutter, dass sie gehenkönne, sie käme schon klar ...Anna ist 20 Jahre jung, und mit ihrem aparten, schmalenGesicht, den dunkelbraunen, wachen Augen und ihrem langen,braunen Haar erscheint sie ausgesprochen hübsch. Sie ist normalschlank und hat sich körperbetont gekleidet. An beiden Unterarmenlassen sich mehrere, ca. 5–10 cm lange Schnittnarben erkennen.Zu Beginn des Gesprächs wirkt Anna sehr angespannt undmisstrauisch. Zunächst stockend und im Verlauf des Gesprächszunehmend flüssig erzählt sie ihre Lebensgeschichte:Sie kommt direkt aus dem Spital, wo man ihr den Magen ausgepumpthat. Am Abend davor habe sie es nicht mehr ausgehaltenund Schluss machen wollen. Ihr Freund habe sie sitzen lassen,obwohl sie verabredet gewesen seien. Er habe ihr über ein SMSmitgeteilt, dass er verhindert sei. Stellen Sie sich das mal vor,einfach so über ein SMS! Einmal mehr sei sie von einem Mannbitter enttäuscht worden. Da sei sie wieder mal bedient gewesen,habe kein Land mehr gesehen, habe sich unerträglich einsam undleer gefühlt, habe sich dann besoffen, ein paar Joints geraucht, undda sie einfach nicht zur Ruhe gekommen sei, habe sie noch dieSchlaftabletten ihrer Mutter eingeschmissen. Leider habe ihreMutter was gemerkt. In die Therapie gehe sie eigentlich auch nur,weil ihre Mutter es nicht mehr länger aushielte mit ihr.Anna wohnt bei ihrer Mutter und deren Freund in einer Blockwohnung.Sie hat eine 10 Jahre ältere Schwester, welche bereitsverheiratet ist und eine eigene Familie hat. Ihr Vater lebt im Nachbardorfmit einer Frau zusammen, welche Anna auf den Tod nichtausstehen kann. Ihre Eltern haben sich voneinander getrennt, alsAnna fünfjährig war. An ihre frühe Kindheit kann sich Anna kaumerinnern. Sie wisse nur, dass sie eigentlich nicht eingeplant gewesenwar. Ihre Mutter sage immer, dass sie ihretwegen habe arbeitengehen müssen. Woran sich Anna erinnern kann, ist, dass sie mitihrer Schwester viel allein zu Hause gewesen sei und dass ihreEltern abends viel gestritten hätten. Dabei seien öfters die Fetzengeflogen, und auch sie sei vom Vater immer wieder verdroschenworden.In den Kindergarten sei sie ungern gegangen, sie habe sich dortimmer fremd und ausgeschlossen gefühlt. In der Schule sei es dann11


12besser gelaufen, sie sei eine gute Schülerin gewesen. Allerdings seisie auch dort eine Aussenseiterin geblieben. Erst in der Sekundarschulehabe sie eine richtig gute Freundin gehabt. Die sei dannaber leider vom Ort weggezogen. Nach der Trennung ihrer Elternhat Anna zunächst mit ihrer Mutter und ihrer Schwesterzusammengelebt. An diese Zeit kann sich Anna nur vage erinnern.Sie habe sich oft einsam gefühlt. Ihre Mutter habe ja immer arbeitenmüssen. Die meiste Zeit habe sie mit ihrer Schwester alleine zuHause verbracht. An Spielkameradinnen kann sie sich nicht erinnern.Manchmal habe sie von ihrem Vater Geschenke zumGeburtstag oder zu Weihnachten bekommen. Diese habe ihr dieMutter aber wieder abgenommen mit der Begründung: «Der willdich nur über den Tisch ziehen». Ein paar Jahre später, als siezwölfjährig und ihre Schwester bereits ausgezogen war, habe ihreMutter einen neuen Mann kennen gelernt, der auch kurz daraufbei ihnen eingezogen sei. Daraufhin habe ihr Unglück so richtigbegonnen. Mit dem neuen Partner ihrer Mutter habe sie sich nieverstanden. Der habe immer an ihr herumgemäkelt und sie auchbeschimpft und geschlagen. Sonst habe er abends mit der Mutter«Die Borderline-Störung ist zur typischen seelischenStörung unserer Epoche geworden.»vor der Glotze gesessen und mit ihr gesoffen. Da habe sie sich nurnoch in ihr Zimmer zurückgezogen. Als ihre Mutter einmal füreine Woche ins Spital musste, habe er sich an sie herangemachtund sie zu sexuellen Handlungen gezwungen. Sie habe das dannihrer Mutter erzählen wollen, diese habe sie aber nur beschimpft.Danach sei das mit den Wutausbrüchen losgegangen. Sie habemehrfach ihr Zimmerinventar kurz und klein geschlagen. Als ihreMutter sie einmal rausschmeissen wollte, habe sie ihre Sachengepackt und sei zu ihrem Vater gezogen. Dort sei es aber nochschlimmer gewesen, weil sie sich mit dessen Freundin gar nichtverstanden habe. Nach einem halben Jahr sei sie wieder zur Mutterzurückgegangen. Danach habe sie begonnen, ihr eigenes Lebenzu leben. Anna erzählt, dass sie die Folgezeit viel ausser Haus mitihrer Clique verbracht hat, dass sie erste Beziehungen zu Männernhatte, die aber nie länger andauerten, dass sie angefangen hat zukiffen und über eine Diät in die Bulimie hineingerutscht ist. DieBulimie sei ihr bis auf den heutigen Tag erhalten geblieben. Annaberichtet von täglichen Ess/Brech-Anfällen. Anna hat vor zweiJahren eine KV-Lehre begonnen, diese aber kürzlich abgebrochen,weil sie mit ihrer Ausbildnerin nicht mehr klar kam. Mit denSelbstverletzungen hat Anna begonnen, nachdem sie vom Vaterzur Mutter zurückgezogen ist: «Mit 15 habe ich begonnen, michselbst zu verletzen. Ich verkroch mich in meinem Zimmer. Es warwie immer – die haben mich nur angebrüllt und dann die Türenzugeknallt. Immer haben sie am Anfang gesagt, sie würden michverstehen, und dann? Nicht die blasseste Ahnung haben die! Ichhabe mich in meinem Hochbett verkrochen. Wie von selbstbegannen meine Hände einen spitzen Gegenstand zu suchen. Siefanden eine Nagelschere. Vielleicht wollte ich nur einmal wissen,wie das ist. Doch dann sind da endlich die Schmerzen, aber diesind anders als die Schmerzen, die mir meine Eltern zugefügthaben. Ich sehe das Blut und habe das Gefühl, die Elternschmerzenendlich überwunden zu haben. Am nächsten Morgen habe ichmeine Mutter angelogen, habe ihr gesagt, dass ich mich im Schlafwohl auf die Nagelschere gelegt hätte. Meine Mutter hat michbloss angeschrien und gesagt, ich solle das Bett gefälligst selbersauber machen.»1.2 KommentarAnnas Lebensgeschichte zeigt eindrucksvoll: Menschen mit einerBPS hatten als Kind nicht nur eine schwierige Ausgangsbasis,sondern sie haben in ihrem Leben nie die Unterstützung erfahren,die ihnen geholfen hätte, ihre Emotionen angemessen wahrzunehmenund zu regulieren. Im Gegenteil, sie sind in einer invalidisierendenUmgebung aufgewachsen, d.h. in einer Umgebung, in derihre negativen emotionalen Erfahrungen für nicht gültig (valide)erklärt wurden. In einem solchen Umfeld werden schmerzlicheGefühle des Kindes heruntergespielt, missachtet, ignoriert oder alsfalsch zurückgewiesen. Die Folge ist eine wachsende Diskrepanzzwischen den eigenen Erfahrungen und dem, was durch die Umwelt,vornehmlich durch die Eltern, als richtig bestätigt wird.Dem heranwachsenden Kind wird es so unmöglichgemacht, zu lernen, wie es seineEmotionen wahrnehmen, regulieren und alsangemessene Reaktionen auf Umweltreizeannehmen kann. Die mangelnde Validierungihrer Binnen- und Aussenwelterfahrungenführt, wie der Fall Anna zeigt, zu unerträglichenGefühlen des Alleinseins und der chronischen Leere, welchevon heftigen Gefühlsausbrüchen durchbrochen werden undoft mit grossen Stimmungsschwankungen verbunden sind. DaMenschen wie Anna nie gelernt haben, ihre Gefühle richtig wahrzunehmenund adäquat mit ihnen umzugehen, befinden sie sich inaffektiver Instabilität und leiden unter permanenter Hochspannungsowie am Fehlen eines klaren Identitätsgefühls. Diese Unsicherheitdie eigene Identität betreffend umfasst das ganze SelbstundKörperbild. Sie führt auch zu Unsicherheiten in Lebensbereichenwie der sexuellen Orientierung, den langfristigen Zielen oderBerufswünschen, der Beziehungsgestaltung und der Partnerwahloder den persönlichen Wertvorstellungen.Anna: «Das Schlimmste ist, dass ich eigentlich nicht weiss, weroder was ich bin. Eigentlich bin ich wie eine Marionette oder besser,meine Stimmungen sind Marionetten, deren Fäden irgendwer,nur nicht ich, in der Hand hält. Ich kann alles sein oder eben garnichts. Und meist bin ich meinen Stimmungen ausgeliefert. Dastreibt mich in unerträgliche Spannungen hinein, die ich manchmalmit Saufen oder Kiffen, am besten aber mit Selbstverletzungenin den Griff bekomme.»Welcher Ausweg bleibt Menschen wie Anna, die täglich aufihrem inneren Vulkan reiten, aber nicht wissen, wie ihnengeschieht und wie sie damit umgehen könnten? Sie suchen sichVentile, die sich ihnen anbieten und die ausreichend entlastendwirken: Selbstverletzungen, Ess/Brech-Anfälle, Alkohol-, DrogenundMedikamentenmissbrauch oder Risikoverhalten wie schnellesAutofahren, Autocrashen, U-Bahn-Surfen oder wahllosen, ungeschütztenSex. Und im verzweifelten Bemühen, ihre quälendenGefühle des Alleinseins und der Leere zu vermeiden, klammern siesich an Beziehungen, die sie wiederum in die Abgründe ihres Vulkanshineintreiben, da sie Nähe als bedrohlich empfinden undkaum länger ertragen können …


Was die weiteren psychosozialen Entstehungsbedingungeneiner BPS angeht, so zeigt auch Annas Lebensgeschichte: Derfamiliäre Hintergrund ist oft durch Alkoholismus, Depressionenund emotionale Störungen, durch Feindseligkeit, Streit undChaos gekennzeichnet. Nicht selten ist die Borderline-Kindheitein wüstes Schlachtfeld, geprägt durch frühe Erfahrungen vonsexueller, körperlicher und seelischer Gewalt sowie durch dieTrümmer gleichgültiger, abweisender, vernachlässigender, fehlenderoder oft wechselnder Bezugspersonen.2. Ausweitung der Kampfzone: Die Multioptionsgesellschaftals gesellschaftliche Globalisierung desAusnahmezustandsDamit kommen wir zur Kernfrage dieses Artikels: Inwiefern istder oben beschriebene individuelle Ausnahmezustand der Borderline-PersönlichkeitAusdruck globalgesellschaftlicher Prozesse undSymptome? Leben wir in einer Gesellschaft des Ausnahmezustands?Geht die Gesellschaft «borderline»? Welche gesamtgesellschaftlichenEntsprechungen finden wir für die Leitsymptomatikund die psychosozialen Entstehungsbedingungen der BPS?2.1 Leitsymptom Identitätsdiffusion: Nicht wissen, wer manist, wie und wofür man leben sollBei aller Unterschiedlichkeit ihrer Untersuchungsansätze undBefunde, in einem Punkt sind sich die von mir zu Rate gezogenenSoziologen (Ulrich Beck: Die Risikogesellschaft, 1986; PeterGross: Die Multioptionsgesellschaft, 1994) einig: Die aktuelleModerne zeigt eine dominierende Transformationskraft, ein kinetischesGrundmuster – die Steigerung der Individualisierung undder damit verbundenen individuellen Optionen bei gleichzeitigerEntkernung, Umschmelzung, Vernichtung und Pluralisierung vonTraditionen, Verbindlichkeiten und Werten, und das in immerschnellerem Tempo. Laut Beck führt Modernisierung zur Herauslösungdes Individuums aus historisch vorgegebenen Sozialformenund -bindungen (Freisetzungsdimension) und zum Verlust vontraditionellen Sicherheiten im Hinblick auf Handlungswissen,Glauben und leitende Normen (Entzauberungsdimension).Damit ist gemeint, dass sich die moderne Identitätsbildung nichtmehr länger an den verbindlichen Traditionen und Werten vonsozialen Klassen, Schichten oder homogenen sozialen Milieusorientiert und dass wichtige Sozialisationsagenturen wie Familie,Geschlechtslage, Ehe, Elternschaft, Beruf, Jugend, Alter und Religionsgemeinschaftenttraditionalisiert, pluralisiert und individualisiertwerden. Die Menschen werden in immer neuen und immerturbulenteren Wellen aus traditionalen, familiären, nachbarschaftlichenund kulturellen Bindungen herausgelöst und in ihrenLebenswegen durcheinander gewirbelt. Es wird ein gleichzeitigerProzess der Individualisierung und Diversifikation von Lebensformenund Lebensstilen in Gang gesetzt, der dem Individuum dieganze Bürde der Lebensgestaltung allein überlässt. Mit der Folge,dass das Individuum gesellschaftliche Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit,Armut, Vereinzelung oder Krankheit als selbstverschuldetespersönliches Schicksal erlebt und nicht mehr durch die entlastendekollektive, soziale Erfahrung der Gemeinschaft gestütztwird. Verblendet durch die quotenträchtigen Zerstreuungstechnikender Massenmedien nimmt das Individuum die «Gewalt dessozialen Zusammenhangs» wenn überhaupt, nur noch als unterhaltsamesEvent wahr (wie die Anti-Globalisierungsdemos oderden Irak-Krieg). Das bedeutet, dass die gesellschaftlichen Vermassungs-,Vereinzelungs- und Freisetzungsprozesse in denforciert kapitalistischen Wohlstandsgesellschaften nicht – wienoch Marx hoffte – durch die Kollektiverfahrung der Verelendungaufgefangen werden und zu sozialen Solidaritäts- und Reformbewegungenführen, sondern im Gegenteil zu einer noch verschärfterenVereinzelung, zum «vereinzelten Einzelnen».Was bedeutet das für die Identitätsbildung des modernen Ichs?Einsam steht es vor den 1001 Verheissungen der Multioptionsgesellschaftwie der abendliche Fernsehkonsument vor den 101Kanälen seiner Glotze und fragt sich verunsichert, wie und womites glücklich werden kann. Und glücklich werden muss es, das istder unerbittliche kategorische Imperativ der Moderne: Check dichein und werde glücklich dabei, wenn du’s nicht schaffst, Pechgehabt und selbst schuld! Und unversehens gerät das Projekt dermodernen Individuation zum permanenten High-Risk-Unternehmen:Du kannst hoch hinaus, aber auch tief fallen, halte dich fitfür alle Eventualitäten, was heute gilt, kann morgen schon ganzanders sein. Moderne Identität ist brüchig, vorläufig, immer aufdem Sprung. Werte werden okkasionell und optional gehandelt,das Projekt der Moderne hat das Individuum zum Projektil umgeschmolzen.Das Ich geht ins lebenslängliche mentale Fitnessstudiodes Selbst- und Change-Managements, Ich-Konturen werdenweich, Chaos wird akzeptabel als Ordnung für Selbstorganisation,die Selbstorganisation wird zur obersten Intelligenz einer kinetischenLebensführung erkoren, und als flankierende Massnahmedeckt es sich ein mit den neuesten Selbstkonzepten der multiplenPersönlichkeit, des Multi-Mind und der Ich-AG. Das solchermassendurchs Stahlbad der Modernisierung getunte Ich weiss: Daseinzige Beständige ist der Wandel, der Ausnahmezustand einerprekären Ich-Identität die goldene Regel, und nicht genau zu wissen,wer man ist und wofür man lebt, gerät zum Standortvorteil.2.2 Korrespondenzen zwischen den psychosozialen Entstehungsbedingungender BPS und den Veränderungen vonmikrosozialen Strukturen und Verhaltensweisen im Rahmender MultioptionsgesellschaftIn den entwickelten Wohlstandsgesellschaften der Nachkriegszeithaben sich die mikrosozialen Einheiten und Verhaltensweisenheterogenisiert, pluralisiert und fragmentarisiert. Stabile Familienstrukturen,die Kleinfamilie, die erweiterte Familie, Haushaltemit einem Verdiener, geographische Stabilität wurden durch einegrosse Vielfalt an neuen Mustern, Bewegungen und Trends ersetzt:■ Die grössten Veränderungen während der letzten 50 Jahre fandenwahrscheinlich im Bereich der sexuellen Moral, Rollen undPraktiken statt, angefangen bei der unterdrückten Sexualitätder fünfziger Jahre, über die Ethik der «freien Liebe» und «wildenEhe» der sexuellen Revolution der sechziger und siebzigerJahre, bis hin zu der grossen sexuellen Neubewertung in denAchtzigern, die massgeblich aus der Angst vor AIDS erwuchs.■ Die gesellschaftlichen Kräfte haben tiefe und andauerndeFreundschaften, Liebesbeziehungen und Ehen immer schwierigergemacht. Nahezu die Hälfte der Paare, die in den letztenzehn Jahren in der Schweiz geheiratet haben, werden sich wiederscheiden lassen. Da das soziale Leben immer kriegerischerund barbarischer wird, nehmen persönliche Beziehungen, dieangeblich Erleichterung von solchen Zuständen versprechen,den Charakter von Kampf an (Michel Houellebecq).13


14■ Der Anteil der Kleinfamilien hat stetig abgenommen. Zirka 58Prozent der amerikanischen Kinder verbringen einen wesentlichenTeil ihres Lebens in einer Familie mit nur einem Elternteil,was grösstenteils auf Ehescheidungen zurückzuführen ist.■ Alternative Familienstrukturen (beispielsweise die «Patchwork-Familie», wo sich ein allein erziehender Elternteil mit Kindernmit einem anderen allein erziehenden Haushalt zusammentut,um eine neue Familieneinheit zu bilden) haben zu Situationengeführt, in denen viele Kinder nicht mehr von ihren leiblichenEltern erzogen werden.■ Aufgrund der grösseren geographischen Mobilität gibt es dietraditionelle erweiterte Familie immer weniger, so dass dieKleinfamilie fast ohne Unterstützung von Verwandten zurechtkommenmuss.■ Die Zahl der Frauen, die berufstätig sind, ist dramatisch angestiegen.Die Zahl der berufstätigen Mütter mit Kindern imKindergartenalter ist seit 1945 um das Zehnfache gestiegen.■ Drogen- und Alkoholsucht gibt es in einem bisher nie dagewesenenAusmass zunehmend auch bei Jugendlichen.■ Verbrechen, Terrorismus und Morde aus den unterschiedlichstenGründen sind alltäglich. Die moderne Figur des Amokläufers,der mehrere Menschen mit in den Tod nimmt, hatdie antiquierte Figur des Robin Hood längst abgelöst, wenn esnach ihrer gesellschaftlichen Publizität und Resonanz geht. Indem Masse, wie die Belastungs- und Frustrationstoleranz desdurchschnittlich normalen, modernen Menschen gesunken ist,ist auch seine Reizschwelle für Gewalt gesunken.■ Das Auftreten von körperlichen und sexuellen Übergriffen aufKinder ist in den letzten beiden Jahrzehnten nachweislichdrastisch gestiegen.■ Die massenmediale Aufbereitung und Zurichtung der Wirklichkeitführt zur Phantomisierung der Wahrnehmung vonWirklichkeit (Günter Anders) und fördert Derealisationssymptomewie das jüngste Beispiel der medialen Vermittlung desIrak-Kriegs gezeigt hat. Medial erzeugte Wunschbilder sind wirkungsmächtigerals die Wirklichkeit selbst. Das moderne Ichorientiert sich an den glitzernden Fassaden von Kino und Werbung,Wirklichkeit und Wunschwelt verschwimmen ineinander,Individuation wird ersetzt durch Lifestyling.Die geschlechtlichen Rollenmuster, die sich während der letzten 30Jahre so stark verändert haben, sind von nicht unerheblicher Bedeutungfür die Frage, warum Borderline-Persönlichkeitsstörungen besondersunter Frauen vorherrschen (deren Anteil an diagnostiziertenBPS-Fällen liegt bei ca. 70 Prozent). In der Vergangenheit hatte eineFrau im Wesentlichen eine Lebensaufgabe: früh zu heiraten, Kinderzu erziehen und jeglichen Ehrgeiz, selbst berufstätig zu sein, zu unterdrücken.Heute steht eine junge Frau vor einer verwirrenden Ansammlungvon Rollenmodellen und zum Teil widersprüchlichen Erwartungen,angefangen bei der allein stehenden Karrierefrau über dieverheiratete Karrierefrau bis zur «Superfrau», die versucht, Ehe, Karriereund Kinder erfolgreich unter einen Hut zu bringen. Obwohl dieFrauen erfolgreich gekämpft haben, um grössere soziale und beruflicheMöglichkeiten zu erreichen, mussten sie einen hohen Preis zahlen:Mehrfachbelastungen und quälende Lebensentscheidungen imBereich Karriere, Familie und Partnerschaft, nicht zuletzt aufgrundder versäumten Emanzipation der Männer und der fehlenden sozialenUnterstützungssysteme – sowie Verwirrung über das eigene Lebenund die Lebensziele. Aus dieser Perspektive ist es verständlich, dassFrauen Borderline-Störungen gegenüber anfälliger sind, denn beidieser Störung sind Identitäts- und Rollenverwirrung zentrale Bestandteile.3. Besichtigung des Kriegsschauplatzes: Geht unsereGesellschaft «borderline»?Psychologische Theorien nehmen eine andere Dimension an,wenn man sie im Licht der Kultur und der Zeit betrachtet, aus dersie stammen. Als Freud um die Jahrhundertwende beispielsweisedas System formulierte, das zur Grundlage der modernen Psychiatriewerden sollte, war der kulturelle Zusammenhang die formalstrukturierte, viktorianische Gesellschaft. Seine Theorie, dass derprimäre Ursprung für Neurosen in der Unterdrückung unannehmbareraggressiver und sexueller Gefühle und Gedanken zusuchen sei, war in diesem strengen sozialen Kontext völlig logisch.Heute, ein Jahrhundert später, werden aggressive und sexuelleImpulse viel offener ausgedrückt, und das soziale Milieu ist vielverworrener. Was es heisst, ein Mann oder eine Frau zu sein, istviel zweideutiger als im Europa um die Jahrhundertwende. Diesozialen, wirtschaftlichen und politischen Strukturen sind dynamischund weniger festgelegt. Die Familienstrukturen und diekulturellen Rollen sind uneinheitlich definiert, und das Konzeptdes «Traditionellen» wird zunehmend diffuser und weniger wichtig.Unsere Kultur hat den Kontakt mit der Vergangenheit weitgehendverloren und ist überwiegend gegenwartsorientiert. DieÜberflutung mit technischem Fortschritt und Informationenmacht erforderlich, dass der Einzelne sich stärker dem Einzelstudiumverpflichtet und praktische Aufgaben allein angeht, so dassGelegenheiten für die Sozialisation verringert werden. SteigendeScheidungsraten, ein dynamischeres und fragmentarischeresBeziehungsverhalten sowie grössere Mobilität haben zu einerGesellschaft geführt, der es an Beständigkeit und Verlässlichkeitfehlt. Persönliche, intime Beziehungen werden schwer oder garnicht mehr eingegangen – tiefsitzende Einsamkeit, Egozentrik,Leere, Angst, Depression und der Verlust eines klaren Identitätsgefühlssind die Folge.Das Borderline-Syndrom stellt eine pathologische Reaktion aufdiese Belastungen dar. Ohne äussere Quellen von sozialer Stabilitätund der Bestätigung des Selbstwerts werden Borderline-Symptome wie Selbstzerstörung, extreme Stimmungsschwankungen,Impulsivität, schlechte Beziehungen, ein beeinträchtigtesIdentitätsgefühl und Zorn verständliche Reaktionen auf die Spannungenunserer Kultur. Borderline-Merkmale, die in einem gewissenAusmass alle Menschen aufweisen können, werden durch dievorherrschenden sozialen Bedingungen in grossem Umfang hervorgerufen,wenn nicht mitverursacht. Louis Sass (The BorderlinePersonality, New York Times Magazine, 22.8.1982) drückt es soaus:«Jede Kultur braucht wahrscheinlich ihren Sündenbock als Ausdruckder Übel einer Gesellschaft. So wie der Hysteriker zu Freuds Zeitenfür die sexuelle Repression jener Zeit als Beispiel diente, repräsentiertdie Borderline-Persönlichkeit, deren Identität in viele Teile gespaltenist, das Zerbrechen stabiler Einheiten in unserer Gesellschaft.»


Susy Wagner, Bereichsleiterin Pflege, Stationäre PsychotherapieKooperation – Kommunikation –KonfliktlösungKernthemen der Führung in der heutigen ZeitWas gilt verbindlich, auf was kann ich michverlassen? Immer seltener sind Eckpfeilerder beruflichen Biografie noch vorhersehbar.Täglich erreichen uns verunsicherndeNachrichten über Fusionen, Stellenabbau, sich veränderndeBerufsbilder und Ausbildungslehrgänge, Marktstagnation,Umweltprobleme. Kurz: Es herrscht Krisenstimmung.Sowohl Arbeitgeber als auch Mitarbeiter bewegen sich auf unsicheremGelände. Change-Management verlangt absolute Flexibilitätund schnelle Anpassung an den Markt. Verbindliche, nachhaltigeStrategien werden beschlossen, verkündet – und beinächster Gelegenheit wieder verworfen. Führungspersonen sindgefordert, ihre Primäraufgabe auch in diesen unsicheren Zeiten zuerfüllen.Reorganisationsprozess der GesellschaftUm die laufenden Veränderungsphänomene besser zu verstehen,eignet sich das Zyklenmodell, das von Kondratieff 1926 entwickeltwurde, sehr gut. Die Zyklen stellen lange Wellen (45–60Jahre dauernd) dar, die mit einer Basisinnovation beginnen unddie längere Phasen wirtschaftlichen Wachstums mit technologischenund gesellschaftlichen Veränderungen zur Folge haben.Dampfmaschine Stahl Elektrotechnik Automobile Informations- PsychosozialeTextilindustrie Eisenbahn Chemie Petrochemie technik TechnologieBiotechnologieBekleidung Transport Massenkonsum Individuelle Information GesundheitMobilität Kommunikation1. Kondratieff 2. Kondratieff 3. Kondratieff 4. Kondratieff 5. Kondratieff 6. Kondratieff1800 1850 1900 1950 1990 20XXDie langen Wellen und ihre wichtigen InnovationsfelderQuelle: Leo A. Nefiodow; Der sechste Kondratieff, Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalterder Information, 2000Information/KommunikationDer 5. Kondratieff, der sich dem Ende zuneigt, trägt folgendeKennzeichen:■ Zentrale Rolle von Information und Informationstechnik■ Rationalisierung gut strukturierter Arbeitsabläufe■ Computergestützter Umgang mit sicherem Expertenwissen■ Optimierung von Energie- und Informationsflüssen in Organisationen■ Optimierung von Informationsflüssen zwischen Mensch undMaschine■ Vorherrschende Entweder-oder-Logik/VerhaltenPsychosoziale GesundheitL. A. Nefiodow geht in seinem Buch «Der 6. Kondratieff» davonaus, dass die psychosoziale Gesundheit der aussichtsreichste Kandidatfür den nächsten grossen Zyklus sein könnte.Die charakteristischen Kennzeichen sind:■ Zentrale Rolle der psychosozialen Kompetenz■ Rationalisierung wenig strukturierter Arbeitsabläufe■ Computergestützter Umgang mit ungenauem Wissen■ Optimierung von Informationsflüssen im und zwischenMenschen■ Organisation der zwischenmenschlichen Beziehungen■ Sowohl-als-auch-Logik/Verhalten gewinnt an BedeutungHinweise auf die neue Megabranche «Gesundheit» begegnen unslaufend in der Werbung und in den Medien. Sowohl dasherkömmliche Gesundheitswesen als auch neu aufkommendeGesundheitsfaktoren wie Umweltschutz, Biotechnologie, Naturheilverfahren,Naturkost, Wellness, Tourismus, Freizeit, Religion,Psychologie, Psychotherapie, Personal- und Managementberatungzeigen zunehmende Tendenz.Arbeitsplatz KlinikDer 5. Kondratieff hat eine enorme Beschleunigung des Informationsflusseszur Folge gehabt. Heute sind alle Bereiche und Stationenvernetzt. Eine Riesenfülle von Informationen via Internet,Merkblätter, Weisungen, Standards haben enorme Entwicklungeninitiiert, die die Bewältigung der zunehmenden Aufgaben (stetigwachsende Eintrittszahlen, kürzere Aufenthaltsdauer, neue gesetzlicheVorgaben) erst ermöglichten. Andererseits ist das System im-15


16mer wieder am Anschlag, neue Lösungsansätze und ein Gegenpolzum «Schneller-besser-mehr» müssen gefunden und von den Führungspersonenlegitimiert und vorgelebt werden.Die wirtschaftliche und politische Unsicherheit hat interessanterweiseeinen stabilisierenden Effekt auf die Stellenbesetzung.Pflegenotstand ist keine aktuelle Gefahr mehr, die Stellen sindkompetent besetzt, es gibt wenig Fluktuation. Dies ermöglichtpositive Teamprozesse und eine konstante, gute Qualität derArbeit. Schwieriger wird es, für Innovationskräfte Raum zu lassen.Stabilisierung wird zur Notwendigkeit, wenn rundherum «keinStein mehr auf dem andern bleibt».Konsequenzen/Chancen der FührungDie Führungskultur in der Klinik hat grossen Einfluss auf dieBehandlungskultur. Positive und entwicklungsorientierte Erfahrungensind wichtig für zufriedene, ernst genommene Mitarbeiterund Patienten. Eine Pflegeforschungsarbeit hat bestätigt, dass Beziehungenund die Anerkennung der Kompetenz der Pflegendendurch die Patienten als besonders befriedigend erlebt werden.Im 6. Kondratieff werden psychosoziale Fähigkeiten eine grosseRolle spielen. In unserer Klinik und unsern Berufen haben wirgrosse Erfahrung damit.Fortbildungen, die für die Entwicklung von Einzelnen, Bereichenoder der Institution wichtig sind, werden grosszügig bewilligtund unterstützt.Selbsterfahrung oder Therapie für Mitarbeiter des Behandlungsteamsgelten als wertvolle Bereicherung der Professionalität.Eigene Schwächen, Störungen sollen nicht schambesetzt sein, dasEinholen kompetenter Hilfe ist eine Schlüsselqualifikation. So istauch gewährleistet, dass der Arbeitsplatz nicht zum Therapieplatzwird. Supervision und Coaching sind wertvolle Hilfsmittel zurReflektion und der Suche nach neuen Lösungswegen in belastendenSituationen.Gute Konfliktkultur, Konfliktmanagement wird geschult undim Alltag umgesetzt. Dies ist auch das wichtigste Element zur Verhinderungvon Mobbing.Eine Optimierung des Informationsflusses wird angestrebt.Bereits wird eine Ausbildung zur Informationsträgerin/Bewirtschafterinfür grössere Betriebe angeboten. Die Riesenfülle anErfahrungen und Wissen einer Institution droht zu zerfallen, sichaufzusplittern. Auch das Bewahren dieser Schätze ist Aufgabeeiner Führungsperson.Die Sowohl-als-auch–Logik wird an BedeutungzunehmenProjekte mit ungewissem Ausgang fachkompetent zu unterstützenund zu steuern, wird für Führungspersonen zunehmend an Bedeutunggewinnen.Das heisst, Vorgaben sind bekannt und werden von Mitarbeiternin einem laufenden Prozess möglichst autonom und kreativverwirklicht.Führung muss im Balanceakt zwischen Erhalten und Erneuern,zwischen Halten und Aufbruch für Sicherheit sorgen und wederdas eine noch das andere verhindern. Beides ist notwendig.Nicht für alles sind schlüssige Antworten erhältlich, nicht alleProbleme lassen sich lösen. «Radikale Akzeptanz» ist ein Schlüsselbegriffder Dialektisch Behavioralen Therapie, dessen Anwendungauch bei der täglichen Arbeit weiterhelfen kann.Führung hat die Aufgabe, für Sicherheit und Vertrauen zusorgen, um solch komplexe Prozesse gelassen angehen zu können.Think healthDieser Slogan der Weltgesundheitsorganisation sieht das gesundheitsorientierteDenken als ersten Schritt um Gesundheitsförderung/Salutogeneseumsetzen zu können.Seit einigen Jahren engagiert sich unsere Klinik sehr im BereichGesundheitsförderung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Esherrscht die Überzeugung, dass dies schliesslich auch den Patientenzugute kommt. Gesundheit soll im Alltag Thema sein. Führungspersonenfühlen sich dafür verantwortlich und unterstützenneue Angebote. Hier einige Beispiele, die laufend umgesetzt werden:■ Ruheraum, Meditationsraum, Bewegungsmöglichkeiten■ Schmackhaftes und gesundes Essen, Esskultur■ Pausen und Feste mit Arbeitskollegen■ Angstfreie Konfliktkultur zur Verbesserung der zwischenmenschlichenBeziehungenOb Nefiodows Thesen zutreffen, werden wir erst in einigen Jahren(oder Jahrzehnten) schlüssig beantworten können. Vieles weistdarauf hin. Wie auch immer: Es lohnt sich heute für psychosozialeGesundheit mit all ihren Facetten einzustehen.


Dr. med. Jörg Wunderwald, Oberarzt Stationäre PsychotherapieDie Seele im digitalen ZeitalterDie Beschäftigung mit der Seele ist neuerdingswieder in Mode. Bücher mit Titelnwie Seelenhunger, Seelenfinsternis, Seelenmordbezeugen dies. Die Seelsorge war überJahrhunderte die Domäne der christlichen Kirche, bevor diePsychoanalyse als Wegbereiterin von Psychotherapieschulen dieseTradition in den Hintergrund drängte.Die frühgriechischen Philosophen, denen aufgrund ihrer Nähezum Meer das berühmte Lebensprinzip «panta rhei» (alles fliesst)zugeschrieben wird, hatten Sinn für Bewegung, Wandel und Dialektik,verstanden dies vor allem auch als Durchdringung vonGegensätzen. In ihren Gedanken über die Ethik befassten sie sichbereits mit seelischen Zuständen und Eigenschaften wie Ataraxia(Seelenruhe), aber auch Seelenstärke des Menschen als Gegenstückzur Körperkraft der Lasttiere.Eigentlich entzieht sich die Seele einer Definition, da sie einZustand ist, der sich nicht zum Gegenstand machen lässt. Wirnehmen sie allenfalls wahr als Urquell subjektiven Erlebens inForm von Liebe zum Menschen, zu Landschaften, Kunstwerken,aber auch scheinbar unbelebten Dingen. Seelische Schwingungensind unserem Erlebnisbereich zugänglich durch unsere Fähigkeitvon Wahrnehmen, Verstehen, Erklären, Wiedererkennen; Letzteresermöglicht die Entstehung von Vertrautheit, die es erst möglichmacht, einer seelischen Erlebnisqualität eine Wertschätzungund eine Bedeutung zu geben. Der Begründer der Lehre von derPathologie der Zellen, Rudolf Virchow (1821–1902), warbekanntlich ein Wegbereiter eines positivistischen Mechanismusin der Betrachtung der menschlichen Natur. Jede Spekulation, wiesie damals naturphilosophischem Denken entsprang, wollte erauskehren und baute auf verbesserte Mikroskope und reproduzierbarechemische Reaktionen. So verkündete er eines Tages, dass erbei seinen tausend Sektionen nie eine Seele gefunden habe. Mitdiesem Befund schloss er letztendlich ihre Existenz aus. Er begabsich damit in einen völligen Widerspruch zu seinen romantischenZeitgenossen, vor allem Dichter, Maler und Komponisten, dieerfüllt waren von seelischen Erlebnisinhalten in Wechselwirkungmit der Natur, aber auch von einem aus der griechischen Mythologiegespeisten, hochidealisierten Menschenbild. So schrieb derArzt, Maler und Philosoph C. G. Carus, der mit Goethe befreundetwar, eine Entwicklungsgeschichte der Seele und hielt auchVorlesungen darüber. Daneben malte er, wie sein Vorbild C. D.Friedrich, ausgeprochene Seelenlandschaften. Letztere sind übrigenskeineswegs auf die Romantik beschränkt. Ich möchte hiernur an den Nagel-Künstler G. Uecker erinnern, der 1980 in unsererKlinik 138 Werke im Kleinformat schuf, die zwei Jahre späterals «Littenheider Aquarelle» in der Berliner Nationalgalerie ausgestelltwurden und internationale Beachtung fanden. Sie wurdenin der Fachpresse als «Seelenlandschaften in Grenzverhältnissen»,aber auch als «Ready-made-Fundstücke» gedeutet.Seele – Psyche – SchmetterlingDie Griechen bildeten ihre Vorstellungen von Psyche (gleichbedeutendmit Schmetterling) auf ihren Vasenmalereien als kleinegeflügelte Wesen ab, die um den Toten oder das Grabmal flattern.Noch waren es körperlose Bildseelen. Erst in der plastischen Kunstnahmen sie Gestalt an als Mädchen mit Vogel- oder Schmetterlingsflügeln.Der Schmetterling, dieses zauberhafte filigraneWesen, das aus den Vorstufen Ei, Raupe, Puppe hervorgeht, stehtfür Wandel (Metamorphose) und Vergänglichkeit schlechthin.Vincent van Gogh schrieb Ende Juni 1888 an seinen MalerfreundEmil Bernard: «Ich möchte gerne ungefähr wissen, von was ichselbst vielleicht die Larve bin.» Ende Juli des gleichen Jahres gab ersich gewissermassen selbst die Antwort, indem er sich mit einemMaler-Schmetterling identifizierte. Es war für ihn eine Möglichkeit,unter höheren Bedingungen und in einem anderen Dasein zumalen, das sich vielleicht ähnlich verwandelt wie eine Raupe ineinen Schmetterling. Diese Existenz des Maler-Schmetterlingswürde sich auf einem der zahllosen Sterne abspielen, die wir nachdem Tode vielleicht ebenso orten und erreichen könnten wiebeliebige Stellen auf einer Landkarte. Van Gogh hatte also seineganz persönliche Vorstellung von einer Seelenwanderung.Amor und PsycheMärchen, Mythen und Träume sind erzählerische Ausdrucksmittelder Seele in Form von Narrativen als Gleichnis und Spiegel. Derlateinische Schriftsteller Apuleius schuf in seinem Märchen «Amorund Psyche» eine Personifikation zwischenmenschlicher seelischerotischerRegungen und Affekte. Psyche erscheint hier als eineKönigstochter, die durch ihre Schönheit den Neid der GöttinAphrodite (Venus) erweckt. Diese sendet ihren Sohn Eros (Amor)aus, um Psyche zu demütigen. Doch Eros verliebt sich in Psycheund entführt sie mit Hilfe des Zephyros in seinen Märchenpalastund macht sie zu seiner Frau. Aber er gibt sich ihr nicht zu erkennenund kommt nur nachts zu ihr, da er von ihr nicht gesehen werden17


18darf. Psyches Schwestern, zu Besuch in Amors Palast,entfachen ihre Neugier. Sie hält eine brennende Lampe über denGeliebten und erkennt entzückt den Liebesgott. Doch ein Tropfendes heissen Öls weckt ihn auf, er muss sie verlassen, da sie seinGebot übertreten hat. Fazit: Wenn die Seele erotisch fixiert wird,verschwindet sie. Nach gefährlichen Irrfahrten im Banne der nochimmer hasserfüllten Venus kommt es schliesslich durch Vermittlungder Götter doch noch zur ersehnten Vereinigung der beidenLiebenden, die sogar in den Kreis der Unsterblichen aufgenommenwerden.Analog versus digitalBekanntlich haben unsere beiden Hirnhälften verschiedene, sichergänzende Funktionen. Die linke Hirnhälfte ist in der Regel Sitzunseres Sprachzentrums und steht für begriffliches Denken undAbstraktionsvermögen, vermittelt Einzelheiten, «sieht den Waldvor lauter Bäumen nicht». Die Arbeitsweise kann man vereinfachtals digital betrachten. Dagegen denkt unsere rechte Hirnhälfteanalog, das heisst in Gleichnissen; sie steht für gesamthafteGestaltwahrnehmung räumlich-visueller sowie musikalischer Artund vermittelt die Traumtätigkeit. Längst haben wir erkannt,wie wichtig es ist, Kopf, Herz und Hand in unserem Denken,Fühlen und Handeln zu integrieren. Oft nehmen wir jedoch die«Die Seelsorge war über Jahrhunderte die Domäne derchristlichen Kirche, bevor die Psychoanalyse als Wegbereiterinvon Psychotherapieschulen diese Tradition inden Hintergrund drängte.»Gefährdung dieser Körper-Seele-Einheit erst in einer psychosomatischenErkrankung wahr und sind dann um so mehr aufgefordert,an dieser zerbrochenen Einheit psychotherapeutisch zu arbeiten,vor allem auch mit begleitender Gestaltungs-, Musik- und Physiotherapieunter Berücksichtigung von Bewegung, Atmung undSelbstwahrnehmung. Der 95-jährige Altmeister der Psychosomatik,Thure von Uexküll, bedauert, dass die Medizin Körper und Seelenicht mehr als Einheit betrachtet. Deshalb habe sie aufgehört, eineHumanmedizin, von Menschen für Menschen, zu sein; der Patienthat nämlich keine Krankheit, sondern ist in seiner Gänze krank.Durch die moderne Psychologie, Psychiatrie und Neurobiologieist das Subjekt Seele zum Objekt Psyche mutiert.Spätestens seit der Jahrtausendwende leben wir im digitalenZeitalter mit Hochleistungen der elektronischen Datenverarbeitung.Diese technischen Errungenschaften beherrschen die gesamtezwischenmenschliche Kommunikation in allen WirtschaftsundLebensbereichen. Digitalisierung heisst vor allem Aufsplittenbeliebiger Informationen in Bits, d.h. kontrollierbare kleinsteMasseinheiten. Statistisch verwertbare Eigenschaften und Krankheitszeichenwerden dann in Form von skills, scores, items, ratingscalesnach Punkten ausgewertet. Der Algorithmus bietet dannjeweils eine passende Formel für die rechnerische Lösung einerFragestellung an. Dieser Trend macht selbst vor der Tiefenpsychologienicht halt, obwohl die Messbarkeit psychodynamischer Phänomevon Erkenntnistheoretikern, meist psychologisch interessiertenPhysikern, längst in Frage gestellt worden ist. Während derMensch nachweislich mehr denn je an einer Wortlosigkeit desGemüts (Alexithymie) leidet, da er vor allem im Beruf zu operationalemDenken (pensée opératoire) und Arbeiten am PC angehaltenwird, orientiert sich die akademische Psychotherapie mitwachsender Tendenz an einer operationalisierten psychodynamischenDiagnostik (OPD) und entsprechend manualisierten- undaudiovisuell gesteuerten Therapieverfahren wie «übertragungsfokussierterPsychotherapie» (TFP). So unterliegtdie Psyche einer Qualitätssicherung undZertifizierung, wie wir es von anderen Branchenher kennen. Auch die Psyche soll einkalkulierbares Handelsobjekt werden, dieArtenvielfalt menschlicher Individuen läuftGefahr, in ein Bündel von Persönlichkeitstörungenmit Abweichung von einer normiertenSkala aufgelistet zu werden.Der allen bekannte mörderische Umgang mit den so genanntenPsychopathen im Hitler-Deutschland sollte uns die Augen nichtverschliessen vor der wissenschaftlich verbrämten Wiederkehrnormativer Etikettierungen vor allem des seelisch kranken Menschen.Zu welch grauenhaften Terrorakten die verletzte und gleichzeitigfanatisierte Seele, gerüstet mit «westlichem» task force (militärischerSondereinsatz) fähig ist, hat uns der apokalyptische ElfteSeptember enthüllt. Solche Terroristen benutzen oft lange dieMaske völliger Konformität.


Eigentlich leitet sich digital von dem lateinischen Wort digitus,der Zeigefinger, ab. Dies erinnert uns an unsere frühen Bemühungenum die Rechenkunst mit dem Zehnfinger-System. Imdigitalen System ist dieses Dezimalsystem durch ein Dualsystemersetzt, wo es nur noch die Eins und die Null gibt. Ja-nein-Entscheidungenkönnen dann im Ernstfall einhergehen mit gefährlichenFreund-Feind-Polarisierungen, wo differenzierende Zwischentöneoft fehlen. Um in der frühen Allegorie unseresSchmetterlings zu bleiben: Jedes Kind erfährt ja schon, dass maneinen Schmetterling nie mit dem Finger berühren darf; denn sohätte man zwar seine Farben «erfasst», aber er kann danach nichtmehr fliegen und muss sterben.Josef Weizenbaum, heute achtzigjähriger, emeritierter Professorfür Informatik am MIT in Cambridge, USA, ist ein weltweit anerkannterFachmann der Computertechnologie und zugleich ihrbekennender Ketzer. Der Computer ist für ihn ein Symbol dermodernen Wissenschaft und Hochtechnologie, die unweigerlichin den Abgrund führen müssen. Nur ein Wunder könne die Weltnoch retten.Durch den Computer lässt sich die äussere Wirklichkeit mannigfachabbilden, manipulieren, simulieren und neu gestalten.Nach Weizenbaum ist der oft «zwanghafte Programmierer» Schöpfervon virtuellen Universen (cyberspace), gebannt von der Faszination,dass in solchen «Partituren» das Wünschbare mit demErreichbaren gleichgesetzt werden kann. Kein Dramatiker, keinRegisseur und kein noch so mächtiger Herrscher hätten jemals soeine absolute Macht ausgeübt, um eine Bühne oder ein Schlachtfeldzu arrangieren und dann so unerschütterlich gehorsameSchauspieler oder Truppen zu befehligen.Die Seele als digital kreiertes FundstückAbschliessend möchte ich auf ein einzigartiges Projekt zu sprechenkommen, das ausschliesslich durch die Kombination von digitalemHightech und schöpferischem Geiste möglich wurde. Am27. September 1999 jährte sich der Geburtstag von FrancescoBorromini zum 400. Mal. Dieser bedeutende Tessiner Architekthat das barocke Rom massgebend mit seiner Kirche San Carlo geprägt.Von 1976 bis 1995 zierte sein Konterfei die Schweizer Hunderternoten.Inzwischen sind die blauen Scheine aus dem Verkehrgezogen, umso höher im Kurs steht dafür Borrominis architektonischesWerk. Seinen ersten eigenständigen Auftrag erhielt der Architekt1634. Die auf engstem Raum realisierte Kirche solltegleich zu einem seiner Meisterwerke werden. Wie auch seine übrigenBauten ist die Kirche geprägt von Gegensätzen konkaver undkonvexer Formen und kontrastreicher Licht- und Schattenwirkungen.Grundriss und Kuppel sind oval, Letztere sind geschmücktmit seltsam klobigen, plastisch ineinander greifendenKreuz-und Wabenmustern. Der zeitgenössische Tessiner ArchitektMario Botta hatte eine geniale Idee: Er errichtete mit Studierendender Architektur-Akademie und 50 arbeitslosen Bauleuten eineHolzreplik dieser Kirche am Ufer des Luganersees. Die Nachbildungim Massstab 1:1, mit aufgerissenem Innenraum, liess er aufeinem Floss schwimmen. So konnte erstmalig die Raumgeometriebarocker Sakralbauten in dieser Klarheit begriffen werden. Seit dasProjekt des «geklonten Borromini» bekannt wurde, riss die Kritiknicht ab: Der grosse Borromini werde zu einem Jahrmarktartikelherabgemindert. Trotz aller Widerstände fand die Einweihung am4. September 1999 statt und darf als denkwürdige Synergie vondigitaler Modultechnik und schöpferischer Phantasie gewertetwerden. Unsere Seele dürstet auf ihrem Weg zur Selbstfindungmehr denn je danach, durch Erlebnisse mit Menschen, Landschaftenund Kunstobjekten gespiegelt und bereichert zu werden,da unsere Innenweltkrise ja auch Abbild unserer vielbeschworenen,teils hausgemachten Umweltkrise ist; eine sich gegenseitighochschaukelnde Wechselwirkung. Hinzu kommt die zunehmendeBrüchigkeit unseres Arbeitsmarktes und tragender sozialerVersicherungssysteme. Suchtverhalten und Ersatzbefriedigungendienen da häufig der Flucht aus dieser Verunsicherung. Umsomehr bedürfen wir dann eines heilsamen Korrigens. Hierzu eignensich solche Fundstücke wie diese Replik einer einzigartigen Barockkirche,auch wenn diese als gut vermarktetes Versatzstückdemnächst wieder vernichtet werden soll. Das Stadtparlamentwollte kein Geld spenden, um das Holz wetterfest zu machen. EinTrost immerhin: Das Original steht weiterhin in Rom: San Carloalle Quattro Fontane.19


Louis Chopard, Stationsleiter Pünt Mitte, Pflegespezialist Höfa IFragen finden statt Antworten geben20Was machen Sie eigentlichberuflich?Wenn wir Pflegefachleute nach unseremBeruf gefragt werden, ist diese Frage häufignicht in einem Satz zu beantworten. Noch schwieriger wird es,wenn wir erklären, dass wir in der Psychiatrie arbeiten. Was istpsychiatrische Krankenpflege, wie sieht sie in der Praxis aus undwas soll sie bewirken? Der folgende Artikel versucht, diese Fragenin mehr als einem Satz zu beantworten. Er gewährt einen Einblickin unsere tägliche Arbeit auf einer offenen Psychotherapiestation.Moderne Pflege bietet dem Patienten unterstützend Möglichkeiten,um sich wieder neu orientiert in der Gesellschaft zurechtzu finden.Psychiatriepflegefachleute begleiten Menschen in Krisen.Lebenskrisen können sehr unterschiedlich aussehen. Hier ein paarBeispiele: Verlust eines geliebten Menschen, längerfristige Arbeitslosigkeit,Depressionen, Suchterkrankungen, Selbstmordgedanken,Sinnkrisen usw.Aus Sicht der Patienten■ Es hilft mir zu wissen, dass Sie an mich glauben.■ Ich schätze Sie als zuverlässigen Gesprächspartner.■ Die klaren Stationsregeln geben mir Halt und Orientierung.■ Mit Ihnen habe ich wieder Lachen können.■ In der Patientengruppe habe ich mich aufgehoben gefühlt.■ Ich durfte mich hier geben, wie ich bin.■ Sie hören mir zu.■ Es ist gut zu wissen, dass ich nicht der einzige Mensch mitsolchen Problemen bin.■ Ich habe mich bei Ihnen nicht bevormundet, sondern gutberaten gefühlt.Die Zitate von Patientinnen und Patienten vermitteln ein erstesGefühl von pflegerischen Wirkfaktoren. Solche Wirkfaktorenkommen nicht zufällig zustande. Sie sind gewollt und werden gezielteingesetzt. Dabei orientiert sich die Pflege an den acht milieutherapeutischenWirkfaktoren.Die acht milieutherapeutischen Wirkfaktoren■ Gruppennormen■ Realitätsbezug■ Interdisziplinarität■ Stationsmilieu■ Gegenwart■ Unabhängigkeit■ Ressourcen■ Kurative Kraft der GruppePraktische Umsetzung der WirkfaktorenMit zwanzig anderen Menschen auf einer Station zu sein,stellt eine aussergewöhnliche Situation dar. Zwanzig Menschenmit unterschiedlichen Bedürfnissen, Wünschen und Vorstellungen.Wie wird der gemeinsame Alltag organisiert, wie dasZusammenleben auf Zeit gestaltet? Die Hausordnung legteinige Regeln des Zusammenlebens auf der Station fest. Sie gibtsomit einen Teil der gewünschten Gruppennorm vor. Mit Hilfeder Hausordnung und der Pflegenden setzt sich die Patientengruppeauseinander. Dabei kommt es schnell zu Meinungsverschiedenheiten,Auseinandersetzungen und Diskussionen unterden Patienten.Jeder Patient reagiert dabei auf seine persönliche Art. Der einezieht sich zurück, ein anderer fängt laut an zu streiten, ein weitererversucht zu vermitteln. Dabei verhalten sich die Patientenmeistens wie sie es auch zu Hause, an ihrem Arbeitsplatz oder imFreundeskreis bei ähnlichen Konflikten tun. Dieses Verhaltenzeigt den Realitätsbezug zum Leben ausserhalb der Station. WelchenÄngsten in der Gruppe ist der einzelne Patient ausgesetzt?Kann und will er sich an dem Konflikt in der Gruppe beteiligen?Welche Erwartungen werden an das Pflegeteam gestellt? Sollen diePflegenden ein Machtwort sprechen oder die Eigenverantwortungder Patienten fördern?In diesem interdisziplinären Geschehen setzt sich die Patientengruppemit der Gruppe der Pflegenden auseinander. Unterpflegerischer Leitung erarbeitet die Patientengruppe gezieltLösungen. Dabei achten die Pflegenden auf eine tragende undwohlwollende Atmosphäre, dem so genannten therapeutischenStationsmilieu. Das Stationsmilieu zeichnet sich dadurch aus, dassalle Patienten gerecht behandelt, geschützt und in ihrer Persönlichkeitrespektiert werden.Das beschriebene Vorgehen findet in der Gegenwart statt.Patienten lernen im «Hier und Jetzt» Probleme anzugehen. Siewerden dabei professionell unterstützt und beraten. Jeder einzelnePatient soll bei diesem Vorgehen seine grösstmögliche Unabhängigkeitbewahren oder erreichen.


Unsere Patienten bestehen natürlich nicht nur aus Problemenund Defiziten. Um Schwierigkeiten zu begegnen, gilt es dieRessourcen, also ihre Stärken und besonderen Fähigkeiten zuberücksichtigen und zu fördern. Gelingt die Lösung des Gruppenkonflikts,wirkt die Gruppe selbst heilend. In einer solchen Gruppemit anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal teilen, fühlensich Patienten aufgehoben und verstanden. Darunterverstehen wir Pflegenden die kurative Kraft der Gruppe.Von der Gruppe zum ZweierkontaktBeim Eintritt bekommt jeder Patient eine Bezugsperson aus derPflege zugeteilt. Diese Bezugsperson begleitet den Patienten währenddes gesamten Aufenthalts auf der Station. Sie ist für die pflegerischePlanung, dieErstellung einer Pflegediagnoseund derenregelmässige Überprüfungverantwortlich.In der Pflegediagnosewird das genaue Problemdes Patienten benannt.Zudem erarbeitetdie Bezugsperson,gemeinsam mit dem«Unsere Patienten bestehennatürlich nicht nuraus Problemen und Defiziten.Um Schwierigkeitenzu begegnen, giltes, die Ressourcen, alsoihre Stärken und besonderenFähigkeiten, zuberücksichtigen und zufördern.»Patienten, die Massnahmen, welche ihm beim Erreichen seinerpersönlichen Ziele helfen. Wie geht das? Zunächst beschreibt derPatient eine Situation, die aus seiner Sicht unbefriedigend verlaufenist.Beispiel: «Wenn ich in so einer grossen Gruppe sitze, bringe ichkein Wort raus. Überhaupt, merke ich, dass ich in den letzten Jahrensolche Situationen immer häufiger vermieden habe. Am Ende habeich mich vollständig zurückgezogen. In meiner Einsamkeit fing ichan, vermehrt Alkohol zu trinken. Bei der Diskussion in der Patientengruppevorhin wäre ich am liebsten rausgelaufen und hätte meinScheissgefühl weggetrunken. Ich weiss nicht, wie lange ich das nochaushalte!» Soweit die vom Patienten beschriebene Situation.Gemeinsam mit der Bezugsperson wird nun eine Verhaltensanalyseerstellt.Die VerhaltensanalyseBei der Verhaltensanalyse geht es in erster Linie darum, die richtigenFragen zu stellen, statt Patentlösungen zu präsentieren. DieFragen können wie folgt aussehen: Welches Gefühl hatten Sie, alsdie Gruppe so hitzig diskutierte? Wann fingen Sie an, sich unwohlzu fühlen? Wann genau wollten Sie weglaufen? Wann kam dieLust, Alkohol zu trinken? Warum sind Sie nicht weggelaufen? Warumhaben Sie keinen Alkohol getrunken?Mit Hilfe dieser Fragen lernt der Patient sein persönliches Verhaltensmusterin Stresssituationen kennen. Er versteht, wann erwie reagiert. Die Bezugsperson verzichtet während der Verhaltensanalyseauf jegliche moralisierenden oder entwertenden Kommentare.Für viele Patienten ist es ungewohnt und oft auch peinlich,über ihre Ängste und Gefühle zu sprechen. Schon hier macht derPatient vielleicht eine grundlegend neue Erfahrung, da die Bezugspersonihn trotz seiner Schwächen akzeptiert.Wie weiter?Durch die Verhaltensanalyse können Patient und Bezugspersondie beschriebenen Gefühle konkret benennen. In dem geschildertenBeispiel spürte der Patient in der Gruppensituation Angst undMinderwertigkeitsgefühle. Er fürchtete, sich in der Gruppe zu blamieren,das Falsche zu sagen und schliesslich von den anderen Patientenabgelehnt zu werden. Um sich vor der vermeintlichen Ablehnungzu schützen, würde er sich am liebsten zurückziehen.Bisher hat er diesen Versagensgefühlen immer nachgegeben, trankgegen das Gefühl der Einsamkeit zunehmend Alkohol. Eine weitereAngst kam hinzu. Seine Familie, seine Freunde und Arbeitskollegendurften nichts von seinem Alkoholproblem erfahren.Noch stärkerer Rückzug und soziale Isolation waren die Folge.Nachdem der Patient Klarheit über diesen «Teufelskreis» erlangthatte, erarbeitete er mit der Bezugsperson seine Wünsche undZiele. Eigentlich ist dieser Patient ein Mensch, der sich sehr denKontakt zu anderen Menschen wünscht und die Gesellschaft andererschätzt. Seine Ziele für den stationären Aufenthalt wurdenwie folgt formuliert:1. Der Patient kann seine Gefühle im Kontakt mit der Bezugspersonangstfrei ausdrücken.2. Der Patient teilt der Patientengruppe mit, wie er sich in solchenSituationen fühlt.3. Der Patient ist in der Lage, mit seinen Angehörigen und fallsnötig mit seinen Freunden und Arbeitskollegen über seineProbleme zu sprechen.4. Der Patient stellt sich, mit Unterstützung der Pflegenden, denihm Angst machenden Situationen.21


22Alle vereinbarten Schritte werden eng mit den Vertretern andererBerufsgruppen abgesprochen. Dazu gehören vor allem der Arzt,der Psychologe und der zuständige Sozialarbeiter. Hier kommt einweiterer entscheidender Wirkfaktor zum Tragen. Um den Patientenoptimal zu begleiten und zu unterstützen, müssen alle an derBehandlung Beteiligten in die gleiche Richtung arbeiten. Der Patientselbst wird ebenfalls laufend über diese Absprachen informiertund muss sich immer mit den daraus resultierenden Massnahmeneinverstanden erklären. Die Freiwilligkeit ist zwingendeVoraussetzung für eine erfolgreiche Therapie auf einer Psychotherapiestation.Wegbegleiter BezugspersonFür die gesamte Dauer dieses Prozesses hält die Bezugsperson verlässlichden Kontakt zum Patienten. Sie fragt nach seinem Befinden,bespricht mit ihm Angst machende Situationen im Vorausund im Nachhinein. Je nach Verlauf werden die Ziele und die dazugehörendenMassnahmen angepasst und neu auf ihre Wirksamkeitüberprüft. Die Bezugsperson beobachtet den Patienten in seinemtäglichen Verhalten auf der Station. Zieht er sich zurück?Scheut er den Kontakt zu einzelnen Patienten oder der ganzenGruppe? Wie verhält er sich im Zusammensein mit den anderen?Wie wirkt er, wenn er das Wort ergreift? Stetig erhält der PatientRückmeldungen von seiner Bezugsperson, bekommt dadurchOrientierung und erfährt vor allem, ob seine Gefühle mit seinerWirkung nach aussen übereinstimmen. Manchmal fühlt er sichvielleicht innerlich ängstlich und unsicher, wirkt nach aussen jedochruhig und ausgeglichen. Gemeinsam mit der Bezugspersonerarbeitet er Verbesserungsvorschläge, probiert diese wiederumaus und trainiert im Schutz der Station das neu erlernte Verhalten.Natürlich gibt es immer wieder Rückschläge. Manchmal wirdder Wunsch aufzugeben für den Patienten übermächtig. Die Sehnsuchtnach dem Alkohol wird gross, er hat nur wenig Vertrauen insich selbst. Von unseren Patienten wissen wir, wie wichtig es für sieist, dass wir Pflegenden an sie glauben. Sie selbst haben den Glaubenan sich oft schon längst verloren oder zweifeln immer wiederdaran. Die Bezugsperson versucht den Patienten trotz aller Rückschlägeimmer wieder zu motivieren. Sie gibt ihm Halt und Zuversicht.Schliesslich hat uns die Erfahrung gezeigt, dass auchHumor sehr heilend wirken kann. Immer wieder bestätigen unsPatienten, dass gelegentlich humorvoller Umgang schwereMomente leichter erträglich macht.Die zwischenmenschlichen Wirkfaktoren der Bezugspersonzusammengefasst:■ Wertschätzung■ Zuverlässigkeit■ Verständnis■ «Einfach nur da sein»■ Klarheit■ Orientierung■ Akzeptanz■ Zuversicht■ Ehrlichkeit■ Respekt■ Schutz■ Gerechtigkeit■ Offenheit■ HumorSchlussgedankenDer professionelle Auftrag der psychiatrischen Pflege orientiertsich immer wieder neu am Bedürfnis der Menschen, die unsereHilfe in Anspruch nehmen. Für ein modernes Pflegeverständnissind sich verändernde gesellschaftliche Anforderungen wie auchdie Bedürfnisse des Einzelnen gleichbedeutende Impulsgeber. PsychiatrischePflege kann und muss sich der Gesellschaft zeigen. Siesoll Ängste nehmen statt Angst machen.


Bettina Baldo, Monika-Rosanna Corrodi, Tanz- und BewegungstherapieArbeit über den Körper – ein Weg derIdentitätsfindung«Ich kann im Körpermein Gleichgewichterfahren, obwohlmein ganzes Lebenaus dem Gleichgewicht zu fallen scheint. Diese körperliche Erfahrunggibt mir im Moment viel Vertrauen, auch meine Aussenwelt wiederin ein Gleichgewicht bringen zu können …» So äussert sich eine Patientinganz beglückt am Schluss einer Bewegungstherapiestunde.In unserer Arbeit als Tanz- und Bewegungstherapeutinnenstehen die zahlreichen, vielfältigen, facettenreichen Erfahrungenüber den Körper als Brücke zur Identität im Mittelpunkt.Identität ist ein viel benutzter Begriff. Wörtlich bedeutet ersoviel wie Übereinstimmung einer Person oder Sache mit dem,was sie ist oder als das, was sie bezeichnet wird. In der Umgangssprachewird das eigene Selbstverständnis z.B. als Mutter, Tochter,als Berufstätige oft mit dem Begriff der eigenen Identität gleichgestellt.Identität wird nicht selten als Verbindung eines Ich-Leistungsprozessesbeschrieben und unser Körper oft als Werkzeugeingesetzt. Doch wenn der Körper rebelliert, bringt dies den Menschenaus dem Gleichgewicht.Jeder Augenblick, jede Erfahrung eines Menschen ist irgendwoim Körper gespeichert und drückt sich in der Körpersprache, inder Bewegung, im Tanz bewusst oder unbewusst aus. Im therapeutischenProzess werden Störungen und Probleme erlebbar unddamit veränderbar.Hier setzt die Tanz- und Bewegungstherapie an. Sie ist eineTherapieform, die immer den ganzen Menschen auf der körperlichen,geistigen sowie seelischen Ebene anspricht.Der Mensch hat keinen von der Seele getrenntenKörperKörper, Geist, Seele stehen immerzu in gegenseitiger Wechselwirkungzueinander – ein universelles Lebensgesetz. So wirkt sicheine körperliche Erkrankung wie z.B. eine Knieverletzungeinschränkend auf die körperliche Mobilität aus, die Gedankenkreisen um den Schmerz und dessen Bekämpfung, gleichzeitigdrückt dieses Unbehangen auf die emotionale Stimmung und verunsichertseelisch enorm. Oder ein seelischer Schmerz blockiertden freien Gedankenfluss, der Muskeltonus steigt und zeigt sichzum Beispiel in heftiger Nackenverspannung und daraus resultierendenKopfschmerzen.Wenn der eigene Körper – es Diheim sii, wo er sich wohl fühlenkann – durch negative Erfahrungen besetzt ist, kann für dessenBewohner eine Distanz zum eigenen Körper entstehen, welche wiefolgt umschrieben wird:«Ich bin nicht, was ich einmal war.»«Ich bin leer.»«Ich spüre meinen Körper nicht.»«Ich weiss nicht, was mir gut tut.»Den Zugang zum Körper suchen und wieder finden ist ein zentralesAnliegen. Die Arbeit über den Körper führt hin zum Erlebender eigenen Identität. Der Mensch lernt wieder, seinen Körper zubewohnen – ein unaufhörlicher Individualisierungsprozess ist imGang.Transfer in den AlltagDer Mensch als Leibsubjekt ist durch ein integriertes «Wahrnehmen– Verarbeiten – Handeln» unlösbar mit der Lebenswelt verflochten,von der er bewegt, beeinflusst, gestaltet wird und die erwiederum durch sein Tun und Wirken bewegt, bearbeitet, beeinflusst– in konstruktiver und auch in destruktiver Weise (Petzold,1969).Wenn ein Patient für eine Gruppe oder Einzeltherapie angemeldetist, ist es die Arbeit der Bewegungstherapeutin, eine tragfähigeBeziehung zu schaffen, wo der Klient Vertrauen und Sicherheiterfahren kann.In unserer therapeutischen Arbeit unterstützen wir den Patientenauch in der Austrittsphase und versuchen, eine Brücke zu schlagenzum Alltag, den der Patient vielleicht neu und anders gestaltenwill. So können individuellauf ihn zugeschnitteneKörperübungsprogrammeeinwichtiger Anker undunterstützend für eineNeuausrichtung imAlltag sein. Vermittlungz.B. von Yogakursenin der Nähe des«Körper, Geist und Seelestehen immerzu ingegenseitiger Wechselwirkungzueinander –ein universelles Lebensgesetz.»Wohnortes des Patienten oder ein Angebot, über eine gewisse Zeitambulant noch an vereinzelten Bewegungsangeboten (z.B. Körperwahrnehmung,Rhythmische Bewegung und Tanz etc.) in der23


24Klinik Littenheid teilzunehmen, können sehr hilfreich sein undden Patienten zudem ermutigen, neue Schritte zu gehen und inder Klinik gemachte, wertvolle Erfahrungen zu vertiefen.FallbeispieleFrau A. ist wegen einer Krisensituation auf einer Akutstation. Siekommt einmal die Woche in die Körperwahrnehmungsgruppe.Anfänglich ist Frau A. unsicher, zurückgezogen, im körperlichenAusdruck gehalten. Frau A. ist antriebslos, «erschlagen», wie sie esmanchmal ausdrückt. In der Gruppe geht es für sie darum, ihrenPlatz zu finden und in diesem geschützten Rahmen Vertrauen aufzubauen.Der Raum wird zum Übungsplatz, wo ich ihr Übungenanbiete, die ihre Neugier wecken und das Vertrauen auch in dieGruppe stärken. Im Laufe der Therapie entsteht dieses Vertrauen,wo die Patientin auf ihre Nöte zu sprechen kommt und diese alsThema in Körperübungen umgesetzt werden.Da ein baldiger Austritt bevorsteht, gebe ich ihr drei auf sie zugeschnitteneKörperübungen als Werkzeuge mit, die sie im Alltageinsetzen soll. Zudem hat sie in der Therapie gelernt, auf ihren eigenenKörper zu horchen und ihm zu vertrauen, was ihr hilft, sichin eine Gruppe «draussen» hineinzuwagen. Frau A. hat durch dieseVorarbeit einen gedeihenden Boden für sich geschaffen.Herr B. mit einer mittelschweren depressiven Phase konnte in derBewegungstherapie mit der Zeit durch regelmässiges, langsam aufgebautesTraining im Joggen Kraft und Freude an seinem Körpererleben. Erinnerungen aus seinem jungen Mannsein tauchten auf– er schwärmte von seinen Fahrradtouren. Seit zwanzig Jahren ister nie mehr auf einem Velo gesessen – er traut sich dies heute nichtmehr zu, weil er ja auch sehr an Gewicht zugenommen hat. MitUnterstützung wagt sich der Patient in der Bewegungstherapiewieder aufs Velo und nach anfänglich wackligen, unsicheren Fahrversuchenwächst seine Freude an der Neuentdeckung. Nach seinemAustritt hat sich der Patient ein Fahrrad gekauft!Habe ich meinen Körper verloren,so habe ich mich selbst verloren.Finde ich meinen Körper,so finde ich mich selbst.Bewege ich mich,so lebe ich und bewege ich die Welt.Ohne diesen Leib bin ich nicht,und als mein Leib bin ich.Nur in der Bewegung aber erfahre ich mich als mein Leib,erfährt sich mein Leib, erfahre ich mich.Mein Leib ist Ausgangspunkt und das Ende meiner Existenz.(Vladimir Nikolajewitsch, Bewegungstherapeut)


Dr. med. Christoph Fuhrhans, Oberarzt Stationäre PsychotherapieDie Kunst des Lächelns bei der LandungDarf ich Sie zu einer kleinen Flugreise einladen?Das Wetter ist angenehm; Kumuluswolkenziehen über das Tal, Wind hat esnicht zu viel, auch für Proviant ist gesorgt.Unser Flugzeug heisst «Stationäre Borderline-Therapie», und dasehen Sie es: Es ist ein Segelflugzeug – eines dieser dünnwandigenaerodynamischen Konstrukte, die man zunächst mit viel fremderKraft nach oben bringen muss, um dann, beim gleichschwebendenKreisen und Gleiten, immer die plötzlichen Thermikwechselim Auge zu haben. Und die genaue Balance der Tragflächen. UnsereReise ist natürlich eine allegorische Reise. Das bedeutet: Siewird aus drei Teilen bestehen. Sie beginntoben am Himmel der Theorie. Wir werdendort ein paar Kreise ziehen, vorbei an denentstehenden und sich vermischenden Strudelnder Borderline-Theorien, und schauen,was sich da oben tut. Hoffentlich geraten wirnicht ins Gewitter. Dann ziehen wir langsamabwärts, hinein in die nächste Schicht: dieWolken. Hier ist es unübersichtlich undschwierig, sich im Nebel zurechtzufinden.Darum heisst diese Schicht: Seele und Gesellschaft.Wenn wir sie passiert haben, sehenwir schliesslich unter uns eine wirkliche Landschaft mit Häusern,Bäumen, einem Klinikdorf und landen, wenn alles gut geht, aufdem Boden der praktischen Realität – direkt hinter der StationPünt Nord und sind angekommen.Am Himmel der TheorieAber zunächst rauf in die Sphären der Theorie. So, da wären wir.Wie sieht die Grosswetterlage hier oben aus, hoch über denNiederungen der Praxis? Aha, das hätten wir uns denken können:Turbulenzen! Alte Strömungen überlagern sich mit frischen,abgekühlte mit erhitzten, am Horizont wetterleuchtet es. Um unseinen Überblick zu verschaffen, nehmen wir die gesammeltenWetterkarten der letzten Zeit zur Hand, vergleichen sie und finden:Zwei der Hauptströmungen, die sich derzeit überlagern undspannungsreich vermischen, sind die «alte» Borderline-Theorieund die «neue» Trauma-Theorie. Die klassische psychoanalytischeKonzeption, die bereits das typische Borderline-Syndrom ausImpulsivität, innerer Leere und Depressivität beschrieb, istnämlich gar nicht so neu, wie es oft behauptet wird. Sie entstandbereits in den siebziger Jahren, im Gefolge der Narzissmus-Theorien.In den neunziger Jahren entstand dann ein zweites Borderline-«Hoch»,das bis heute anhält, als nämlich zusätzlich dieSymptome der Selbstverletzung und der chronischen Suizidalitätgehäuft beobachtet und mit schweren Traumatisierungen in derfrühen Kindheit, insbesondere Gewalt und sexuellem Missbrauch,in Verbindung gebracht wurden. Die Trauma-Ätiologiewurde bald für die Gesamtheit der Borderline-Störungen reklamiert,was zu heftigen Kämpfen zwischen Gegnern und Befürworterneiner generellen Trauma-Verursachung führte, die bis zur«Nebel verhüllt die Sicht. Dunstige Fetzen um unsherum. Das sieht nach Gegenwart aus. Borderline-Störungen, insbesondere solche mit Suizidalität undSelbstverletzungen, haben in den letzten Jahren zugenommen,daran kann kein Zweifel bestehen.»Gegenwart anhalten – Kämpfe um Prozentzahlen und um dieLufthoheit, sozusagen. Halten wir uns zu ihnen in einigerDistanz, dann sehen wir – was vielleicht eine Lösung bringenkönnte – am Horizont bereits neue Befunde aufkommen: Esscheint in Wirklichkeit zwei, nur scheinbar ähnliche Gruppen vonBorderline-Störungen zu geben (in welchem Zahlenverhältniszueinander auch immer), eine mit Trauma-Genese und eine ohne.Das wird uns noch auf der soziologischen Ebene beschäftigen.Vorerst aber sind wir unversehens in ein anderes atmosphärischesSpannungsfeld geraten, und hier müssen wir nun wirklichdarauf achten, nicht ins Schaukeln zu kommen und die Balance zuwahren: Während uns nämlich unter der einen Tragfläche derfrische und warme Wind der Verhaltenstherapie ergriffen hat, willes ihm auf der anderen Seite die unlängst aufgefrischte Brise dertiefenpsychologischen Borderline-Therapie gleichtun. Der Windnimmt zu und rüttelt an den Tragflächen. Was sollen wir tun? Unsganz auf eine Seite ziehen lassen und damit vielleicht die günstigereThermik verpassen? Beide Strömungen sind nämlich eigentlichStrömungsgemische. Die so genannte Dialektische Behaviorale25


26Therapie der Borderline-Störungen, die sich in den vergangenenJahren aus den USA über fast ganz Europa ausgebreitet hat, hatunter anderem deshalb für ein anhaltendes Hoch gesorgt, weil sieeine kräftige Beimischung heller fernöstlicher Winde enthält: Siebesteht zu je einem Teil aus Verhaltenstherapie, Gesprächstherapieund östlicher ZEN-Praxis. Die Kunst des Therapeuten bestehthierbei darin, ähnlich einem Jiu-Jitsu-Lehrer, den Lernenden solangeelegant und immer wieder unerwartet aus seinem äusserlichenUngleichgewicht zu bringen, bis er einen neuen, innerenSchwerpunkt entwickelt. Daher heisst sie «dialektisch». Ihr Vorteilist, dass sie bei manchen Symptomen – insbesondere bei spannungsbedingten,schweren Selbstverletzungen, bei Impulsivitätund chronischer Suizidalität – vermutlich rascher und nachhaltigerwirkt als andere Therapieformen. Deshalb gilt sie als störungsspezifische(korrekter wäre: symptomspezifische) Therapie. Ihr Nachteilist, dass sie bei schweren Beziehungs- undStimmungsstörungen nicht so gut wirkt. Hierist möglicherweise die so genannte ÜbertragungsorientiertePsychotherapie (TFP) wirkungsvoller,die in den letzten Jahren aus deranalytischen Psychotherapie, unter ebenfallskräftiger Beimischung verhaltenstherapeutischerElemente und ebenfalls störungsorientiert,entwickelt wurde. Da jede der beideneklektizistischen Strömungen ihre symptombezogenenVorteile hat, tun wir also ambesten daran, die – dialektische – Balance zuhalten und uns vorerst von beiden forttragen zu lassen. Das Wetterleuchtenin der Ferne entsteht wahrscheinlich dort, wo sich einkünftiger Paradigmenwechsel in der gesamten Theorie und Therapieder Borderline-Störungen vorbereitet. Aber soweit ist es nochnicht. Darum tauchen wir auch elegant ab vor diesem kleinenStrudel zur Linken, der von einigen Forschern ausgelöst wird, diebehaupten: Über 50% aller Borderline-Diagnosen sind Fehldiagnosen!Solche Propheten gibt es im Vorfeld von Paradigmenwechselnimmer, und das ist uns dann doch noch zu spekulativ.Wir wenden uns lieber dem zu, was jetzt unsere ganze aktuelleAufmerksamkeit erfordert:In den Wolken – Gesellschaft und SeeleNebel, verhüllte Sicht. Dunstige Fetzen um uns herum. Das siehtnach Gegenwart aus. Borderline-Störungen, insbesondere solchemit Suizidalität und Selbstverletzungen, haben in den letzten Jahrenzugenommen, daran kann kein Zweifel bestehen. Aber woranliegt das? Viel ist von Trauma, familiärer Gewalt, von sexuellemMissbrauch die Rede. Kann das angehen in einer Gesellschaft, diewie keine je zuvor geprägt ist von Friedensbewegung, Pazifismus,Versöhnungs- und Verständigungsgeboten, von Kinderdemos gegenKriege, von antiaggressiver Pädagogik? Kein Kriegsspielzeugin Kinderhände! Sollte da womöglich ein Zusammenhang bestehen?Ich vermute, ja.Versuchen wir, etwas Licht in die Sache zu bringen. DieWurzeln der heutigen Borderline-Häufigkeit lassen sich zurückverfolgen bis in den soziologisch-pädagogischen Wandel derNachkriegsgesellschaft. Zur Erinnerung: Die erste Welle derBorderline-Beschreibungen entstand in den späten siebziger undfrühen achtziger Jahren. Damals war von Trauma und Inzest kaumdie Rede, hingegen viel von Triebkonflikten und, da deren«Unsere Gesellschaft, die allenthalben so erschrockenauf Gewalt in Schulen, auf Kriege und Borderline-Störungen reagiert, ist zunächst einmal keineswegsaggressionsfördernd, sondern primär aggressionshemmendund aggressionsgehemmt angelegt. DieAggressivierung jedoch ist die dialektische Konsequenzdavon.»plötzliche Borderline-Spezifität sonst kaum hätte erklärt werdenkönnen, von unangepasstem und unempathischem Fehlverhaltender Mütter. Die Art und Weise möglicher Triebkonflikte sei einmaldahingestellt, aber besonders die Analytiker Bion und Rosenfeldhaben einen interessanten Mechanismus beschrieben: Werdennämlich die – insbesondere aggressiven – Äusserungen einesKindes früh tabuisiert und frustriert, dann entsteht eine psychischeStruktur, die im späteren Leben zwischen Liebe und destruktiverAggressivität nicht unterscheiden kann. Solch einer konfusen,eigentlich wohl ratlosen Reaktion auf ihre primärenAggressionen, dem Vorzeichen der kommenden «Love andPeace»-Gesellschaft, waren in der Tat die Nachkriegskinder ausgesetztin einer Zeit, die noch unter dem Schock des zerstörtenEuropa stand. Meine Vermutung ist, dass diese jungen Erwachsenen,deren in den siebziger Jahren beschriebene Borderline-Pathologievermutlich wirklich nur zum geringeren Teil auf Gewalt undMissbrauch, als eher auf ratlose Pädagogik ihrer eigenen Elternzurückzuführen war, heute ihrerseits zu den missbrauchendenEltern eines Teils unserer jetzigen schweren Borderline-Patientengeworden sind.Ein anderer Teil der Patienten, wir erinnern uns wieder anunsere oben gezogene «Theorie»-Schleife, sind jene Patientenohne erhebliche Selbstverletzungen und Dissoziationen, die nunallerdings, wie wir immer wieder sehen, aus überraschend «intakten»Familien kommen. Familien, in denen keine vordergründigeTraumatisierung zu finden ist, wo hingegen starker Anpassungsdruck,hohe Ansprüche an Sozialverträglichkeit und ausgeprägtesHarmoniegebot herrschen und in denen die Eltern (oft aus eigenernarzisstischer Bedürftigkeit) die Kinder nicht «loslassen»mögen. Marsha Linehan hat diese Familien als die «perfekte»Familie und als die «American Way of Life»-Familie charakterisiert.Man könnte sie genauso gut als die «European Way of Life»-Familie bezeichnen. In diesen Familien herrscht binnenfamiliäretwas, was man gesamtgesellschaftlich als einen zentralen Bedingungsfaktorfür das gehäufte Auftreten von Borderline-Störungenauffassen kann: das Aggressionstabu bzw. Aggressionsverdikt. Diezunehmende gesellschaftliche Abwehr individueller Aggressiondurchzieht die gesamte Nachkriegsgeschichte und ist an die Stelleder früheren Sexualunterdrückung getreten. Unsere Gesellschaft,die allenthalben so erschrocken auf Gewalt in Schulen, auf Kriegeund Borderline-Störungen reagiert, ist zunächst einmal keineswegsaggressionsfördernd, sondern primär aggressionshemmendund aggressionsgehemmt angelegt. Die Aggressivierung jedoch istdie dialektische Konsequenz davon. Sie ist die spätere Folge eineszunächst angepassten, gefügigen, «falschen» Selbst, wie Winnicottsagen würde. Denn je weniger das aggressive, zerstörerische, sagen


wir ruhig: das böse Element, das ein konstitutiver Faktor desMenschen ist, in der Kindheit akzeptiert und ausgehalten wird, jemehr es verwehrt wird, desto mehr kommt es durch die Hintertürwieder herein – ins Kinderzimmer wie in die Welt.Mit diesem «falschen» Selbst und seiner sekundären Aggressivität,seinen Autodestruktionen, seinem Leid und seiner Angstbekommen wir es in der Borderline-Therapie zu tun. Das giltübrigens für beide Patientengruppen, die traumatisierten wie dienicht-traumatisierten. Und die ganze Arbeit wäre ziemlich hoffnungslos,wenn es da nicht eine weitere, faszinierende Dialektikgäbe – die Dialektik zwischen falschem und wahrem Selbst.Was ist damit gemeint? Ich will das einmal an einem Beispielverdeutlichen, das nicht aus der Psychotherapie stammt, sondernaus der Kunst. Aber das muss ja kein Nachteil sein – werden dochin der Kunst, wie der Analytiker Kohut einmal feststellte, oftmalsdie gesellschaftlichen und seelischen Prozesse vorweggenommen,mit denen es der Psychotherapeut wenig später zu tun bekommt:1997 inszenierte die Pariser Regisseurin Ariane Mnouchkinemit ihrem Théâtre du Soleil ein altes Theaterstück: «Tartuffe» vonMolière. In erstaunlicher Voraussicht gab sie diesem Stück umden intriganten Emporkömmling und falschen Heiligen Tartuffe,der sich in die Familie des gutgläubigen und sittenstrengen BürgersOrgon einnistet, sie bis aufs Hemd ausplündert und derschliesslich gerade noch mit Müh und Not vertrieben werdenkann, eine besondere Wendung: Ihr Tartuffe ist nämlich nichtmehr nur ein Scharlatan, sondern er ist wirklich destruktiv undböse. Er trägt überdies – was damals heftige Diskussionen auslöste– die Kleidung eines islamischen Fundamentalisten, aber injedem Fall zerstört er die Familie bis in Grund und Boden, wirdkeineswegs vertrieben und verschwindet Hohn lachend erst, alsalles in rauchende Trümmer gebracht ist. Zum Schluss liegen diebraven Mitglieder der guten, angepassten Familie dumpf undquer über die Bühne verstreut wie abgeschnittene Marionetten,alles Leben und alle Zukunft ist aus ihnen gewichen, da ist nichtsund da wird auch nichts mehr gut. Während sie das begreifen,dass sie sich nämlich rein gar nichts mehr vormachen können,wird es langsam auf der Szene dunkel. Die Zuschauer in der Berliner«Arena», wo das Gastspiel stattfand, waren so betroffen, dassniemand mit dem Klatschen beginnen mochte. Und da, kurz vorder vollständigen Finsternis, passierte auf der Bühne etwas Unerwartetes:Zuerst ist nur ein kleines Quietschen zu hören, wie vonHolzrädern. Hinter einem kümmerlichen Mäuerchen erscheintvorsichtig der Strassenmusikant, den Tartuffe gleich in der erstenSzene verjagt hatte, und schiebt seine ramponierte Drehorgel vorsich her. Die Stille hat ihn zurückgeholt. Er sieht auf die ganzeBescherung. Auch er begreift, was geschehen ist. Seine Handbeginnt, zaghaft die Kurbel zu drehen. Erst kommt nur ein Krächzenaus dem maroden Kasten. Dann folgen ein paar spröde Töne.Dann formt sich eine klimpernde Melodie, wie von einer vergessenenSpieluhr. Und da atmet die scheintote Tochter durch. Siehebt den Kopf. Der Vater auch. Die Mutter bewegt eine Handund einen Fuss, der Sohn springt in die Höhe, die Drehorgelbraust auf und erfüllt den Raum mit Musik, und plötzlich ist dieganze Bühne wieder in gleissendes Licht getaucht – alle haben sichan den Händen gefasst, tanzen und lachen in haltloser Erleichterung,die lila Bougainvilleen über dem weissen Mäuerchen leuchten.Auch die Zuschauer wussten gar nicht, wie ihnen geschehenwar. Sie lachten und klatschten durcheinander, waren nur mitMühe vom Mitmachen abzuhalten und überreichten schliesslichder Regisseurin gleich die gesamte, aus hunderten von Sonnenblumenbestehende Saaldekoration in mehreren Wäschekörben.Und Ariane Mnouchkine schien Sonnenblumen zu mögen,denn sie lächelte.Was war hier geschehen?■ Psychodynamisch gesehen verkörpert dieser Tartuffe das in derGesellschaft wie auch in der Familie verdrängte Aggressive undDestruktive, das in nahezu antiker Verblendung geleugnet odersogar noch für gut gemeint erklärt wird.■ Psychodynamisch gesehen zeigte die Regisseurin durch ihreGestalten den Zuschauern, wie am Ende und unter der Oberflächedes falschen Selbst das wahre Selbst liegt: die in reinerGegenwart erfüllte Lebendigkeit. Das, was man vielleicht amehesten eine «Seele» nennen könnte. Was immer mit sich identischist. Was meistens jenseits der Sprache verborgen ist unddurch die Stacheln des falschen Selbst gut geschützt. Das istübrigens keineswegs nur eine psychodynamische Vorstellung:Die Imaginative Traumatherapie arbeitet ebenso damit wie dieDialektisch-Behaviorale Therapie, in der die Aktivierung desinneren «wise mind» angestrebt wird, einer aus dem ZEN-Buddhismus entlehnten Erfahrung von erfüllter Gegenwart.Das Konzept des «wise mind» hat übrigens den Vorteil, dass esnicht zu abstrakt ist und in der Borderline-Therapie den Patientendurch praktische Übungen vermittelt werden kann. ImRahmen der DBT arbeitet auch unsere Station damit. Aberpraktische Ratschläge und Übungen sind nur ein Teil der Therapie:In ihren gelungenen Momenten hat sie etwas von Stilleund Spieluhr.Landung in der Praxis: Das Labor Pünt NordIch hoffe, Sie sind jetzt nicht in Gedanken verloren und abgeschweift?Unser Flug hat nunmehr die halbtransparente, feinstofflicheSphäre «Seele und Gesellschaft» verlassen, schwebt und sinktin weiten Spiralen ins Tal und schickt sich an, hinter der StationPünt Nord, auf der breiten Wiese nahe dem halbtrockenen Ried,niederzugehen. Während wir so abwärts gleiten, will ich geradeein wenig über die Station erzählen, die dort unter uns am Hangliegt wie ein an der Pier vertäutes Schiff. «Station Pünt Nord: StörungsspezifischePsychotherapie für junge Erwachsene» steht aufdem Titelblatt des Stationskonzepts. Auf dieser Station werdennicht nur Menschen mit Borderline-Störungen behandelt – zumalsich bei jungen Menschen immer wieder die Frage stellt, ob manim Alter zwischen 18 und 25 Jahren wirklich schon von einer«Persönlichkeitsstörung» sprechen soll und nicht eher eine vorläufige,weniger festlegende Diagnose vergeben sollte –, sondernauch andere, besonders im jüngeren Lebensalter gehäuft auftretendeStörungsbilder: in erster Linie Essstörungen, die allerdingsnicht selten mit «Borderline-Persönlichkeiten» vergesellschaftetsind. Gerade Persönlichkeitsstörungen (nennen wir sie jetzt derEinfachheit halber einmal so) haben eine Tendenz, nicht isoliertaufzutreten. Um es fachlich auszudrücken: Sie zeigen eine hoheKomorbidität nicht nur mit zusätzlichen Persönlichkeitsstörungen,sondern auch mit affektiven Erkrankungen, insbesonderemit Depressionen – wobei momentan noch erforscht wird, ob essich bei diesen Begleitdepressionen junger Borderline-Patientenwirklich um die altbekannte «major depression» handelt, oder um27


28eine atypische, persönlichkeitsbedingte phasische Depressivität.Das wirft für uns natürlich Fragen auf: Wie zuverlässig sind in diesenFällen die üblichen Depressions-Testverfahren? Welche Begleitmedikamentekönnen empfohlen werden? Bei diesen Fragen orientierenwir uns allerdings zumeist am aktuellen Stand der Forschung.Das eigentliche «Projekt» unserer Station, das was das gegenwärtige«Labor Pünt Nord» ausmacht, ist etwas anderes. Es hat mit dem Anspruch«störungsspezifisch» zu tun: Wir versuchen z.B. das, was amHimmel der Theorie als konkurrierende Verfahren der Borderline-Therapie erschien, die verhaltenstherapeutische, akzentuierte DBTund die tiefenpsychologisch modifizierten Verfahren (etwa dieTFP), auf der gleichen Station methodenparallel und übergreifendzu praktizieren – und zwar so, dass jeder Patient von demjenigenVerfahren profitiert, das für seine Symptomatik und seine Zielvorstellungengerade am besten geeignet ist. Bei Angst- und Essstörungenwerden gezielte, nach Möglichkeit empirisch belegte Therapieverfahrenangewendet. Das Ganze ist ein kontinuierliches, aber auchkreatives «work in progress». Es verlangt eine überdurchschnittlichausgebildete fachliche und soziale Kompetenz vom Pflegeteam, einehohe Integrationsleistung von seinen Leitern und eine ständigeWeiterbildung und Supervision auf allen Ebenen. Und so ähneln dieTeambesprechungen und die Sitzungen der Arbeitsgruppen manchmalden Planungen eines Architekturbüros, manchmal den Lagebesprechungeneiner Expedition. Da gibts auch dicke Luft und Bodennebel.Und die Therapie? Mal gleicht sie einem mühsam balanciertenHochseilakt, mal einer Wanderung durch den Treibsand. Und einemeleganten, schwebenden Segelflug gliche sie allenfalls in unserenZukunftsträumen, nicht in der Wirklichkeit. Wenn nicht – ja, wennwir nicht genau in diesem Moment auf der Wiese hinter der Stationgelandet wären. Die Türen zum Malatelier stehen weit offen. Wirsehen Pinsel und Farbtuben leuchten. An den kreuz und quergestellten Tischen wird in (wahrhaft ungewöhnlicher) Ruhe gearbeitet.Zwischen Leimtöpfen, Japanpapier und halb getrockneten Bildernsteht ein etwas ramponiertes Klavier. Mit aufgeklapptem Deckel.Und da kommt uns Katharina entgegen, in ihrem buntenSchmuck, um uns ins Haus zu begleiten – denn als Kunsttherapeutinkennt sie nur allzu gut den Weg von der Wirklichkeit in diePhantasie und wieder zurück. Ihr Beruf hat mit dem Erscheinen desUnwahrscheinlichen zu tun. Sie mag Blumen. Und wenn, nach allden Särgen und Kreuzen und Galgen auf den Bildern ihrer Patientenendlich die ersten Sonnenblumen erscheinen, lächelt sie.Vielleicht ist dieses Lächeln ein Ausdruck der therapeutischenKunst. Oder das eigentliche Lächeln der Kunst. Jedenfalls wäreihr auch so etwas Unwahrscheinliches wie ein Segelflugzeughinter dem Haus gerade willkommen genug.Sollten wir uns allerdings bei unserem letzten Bogen ein wenigverrechnet haben und in dem anbei gelegenen Sonnenblumenfeldder Gärtnerei niedergegangen sein, dann können Sie davon so vielemitnehmen, wie Sie mögen.


Der seelische Stress unserer Jugendhat viele Ursachen.Akutpsychiatrie und stationäre Psychotherapie für Jugendliche


Noori Beg, Klinische Psychologin JugendpsychiatrieAdoleszenz und Identität301. Adoleszenz – eine «normativeKrise»Adoleszenz – die Entwicklungsphase desÜbergangs ist ein psychosoziales Moratorium(Erikson): Es findet der Abschied von der Kindheit statt mitall den Sicherheiten, die im Latenzalter (8 –11 Jahre) Halt zu vermittelnvermochten. Mit dem Einstieg ins Erwachsenenalter, mitder Notwendigkeit, sich eigenständig in gesellschaftlichen Kontextenzu positionieren, findet eine vollkommene Infragestellungder früheren Gewissheiten statt: Die Sicherheit früherer Vorbilderwird erschüttert, die Beziehungen zu den bedeutungsvollen anderengestalten sich um. Das aktuelle Wertesystem wird um- undneu gebaut. Die sich in der Adoleszenz rasch erweiternden kognitivenVerarbeitungspotenziale erlauben intellektuelle Höhenflügeund Grössenphantasien, die jedoch bald wieder gebremst werdenangesichts von Realität und gesellschaftlichen Gegebenheiten. DerKörper in seiner Veränderung hin zur erwachsenen Festlegung derGeschlechtlichkeit verweigert sich nur allzu häufig bis anhin gewohntenVorstellungen. Triebhafte Wünsche treten zeitweise sehrbeunruhigend auf. Die Integration des sich unfreiwillig veränderndenKörpers, welcher sich so ganz der Kontrolle zu entziehensucht, ist oft ein recht beschwerlicher Weg. Die Ausübung vonAggression bekommt mit zunehmender körperlicher Stärke eineneue Bedeutung. Macht und Ohnmacht sind hochaktuelle undunausweichliche Themen.Nach dem Untergang früherer Selbstverständlichkeiten wird dieIdentitätssuche mit der Frage nach der eigenen Identität zentral. Sowird denn auch bei der Einleitung einer stationären Therapie häufigals vordringlicher Wunsch genannt: «Herauszufinden, wer ichbin», «die eigene Meinung finden, unbeeinflusst von dem, was dieErwachsenen sagen.» Die Sinnfindung wird wichtig mit der Frage:«Was will ich?» Es geht darum, das Eigene zu finden und sich damitim nächsten Lebensumfeld und in der gesellschaftlichen Wirklichkeitgestaltend einzubringen. Die berufliche Orientierung mitBerufswahl, Einstieg in das Berufsleben und damit verbundenerUnabhängigkeit, Selbständigkeit und Autonomie ist sowohl individuellerWunsch als auch gesellschaftliches Ziel.2. Die Lebenswelt der Adoleszenten in der gesellschaftlichenWirklichkeitDer Adoleszente befindet sich heute in einem gesellschaftlichenKontext, der aufgrund neuer Realitäten eine Vielzahl von Widersprüchenund schwer lösbaren Problemen enthält, mit denen erleben muss: Die Technik, von Menschen für Menschen geschaffen,entwickelt eine Eigengesetzlichkeit und trägt menschlichen undzwischenmenschlichen Bedürfnissen immer weniger Rechnung.Neben Fortschritten z.B. im Bereich der Gesundheitsforschungund Medizin, welche die Lebensqualität vieler Menschen verbessert,findet eine zunehmende Umweltzerstörung statt, welche sukzessivedie Gesundheit des Menschen und seine Lebensgrundlagebedroht. Globalisierungsphänomene lassen einerseits die Weltzwar überschaubarer scheinen durch rasche Informations- undKommunikationskanäle, führen andererseits jedoch zu verstärktenGefühlen des Ausgeliefertseins und der Ohnmacht angesichts immerweniger durchschaubarer wirtschaftlicher und anderer Determinanten,welche politische Entscheidungen bestimmen oder zumindestmitbestimmen. Die rasche Weiterentwicklung modernerTechnologien erfordert eine immer schnellere Reizverarbeitung.Die einzelnen Errungenschaften werden immer kurzlebiger. Washeute modern ist, ist morgen bereits veraltet. Damit verändert sichauch der Wertewandel rasant.Angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen und diesesWertewandels sind auch die Eltern der Adoleszenten hinsichtlichihrer erzieherischen Haltung verunsichert. Es ist heute eine grosseHerausforderung für Eltern, ihren Söhnen und Töchtern ein fassbaresGegenüber zu bleiben, welches Position zu beziehen vermagund Präsenz und Verlässlichkeit in der Beziehung anbietet. Angesichtsdieser schwierigen Aufgabe sind Eltern oft ratlos und überfordert,umso mehr, wenn eigene Belastungen hinzukommen.3. Adoleszenz: zwischen Anpassung undAuflehnungDie Kluft zwischen den Generationen ist heute nicht mehr sogross wie etwa noch vor ein bis zwei Generationen. Die Generationengrenzescheint sich zeitweilig ganz aufzuweichen, wenn beispielsweiseMutter und Tochter die gleiche Kleidung tragen odergemeinsam an Partys gehen. Lebensziele der Eltern wie «Beruf»,«Status», «Geldverdienen» werden oft stillschweigend anerkanntund übernommen. Die heutigen Adoleszenten arrangieren sichmit vielem und leben in spontanen Momenten der Gegenwart.Die heutige Adoleszentengeneration hat einen hohen BeziehungsundErlebnishunger. Die omnipräsente Gegenwart der elektronischenMedien schafft im Gegensatz zur Wirklichkeit neue, austauschbareund manipulierbare Gegen- bzw. vielmehr Ersatzwirk-


lichkeiten. Der Gebrauch der elektronischen Medien mit Chatsim Netz, Computergames etc. nimmt massiv zu. Das authentischeBedürfnis nach konkreter, sinnlicher Wirklichkeit wird dadurchaber nicht befriedigt. Was spürbar, konkret und dem Adoleszentenverfügbar bleibt, ist der eigene Körper. Er ist wirklich und deutlicherwahrnehmbar durch Schmerzen, welche durch eigenesHandanlegen hervorgerufen werden: Tätowierung, Piercing, riskantesSkateboarden. Die Risikobereitschaft ist dabei nicht gering.Es geht um das Ausloten von Grenzen – oft mit deutlich werdenderAngst vor dem Kontrollverlust über sich selbst. Der Körperwird Träger von Identität, was in seiner Zurschaustellung und demKörperkult an Rave-Partys und Street-Parades zum Ausdruck gebrachtwird und ein Gegengewicht zur körperlosen Welt der Medienbildet. Manche Erwachsene mögen sich da fragen, wo derWeg einer konsumorientierten Partygeneration hinführt, die ansolchen Anlässen in kollektiver Ekstase hinter dröhnenden Musiklastwagenherzieht. – Trotzdem greift der Vorwurf einer passivenund unpolitischen Jugend, die sich selbstgenügsam im Tanz umsich selbst zu bewegen scheint, zu kurz. Zwar werden keine grossenZukunftsentwürfe einer breiten Jugendbewegung präsentiert,aber der Wille, sich zu artikulieren, bleibt vorhanden und lässtsich nicht zum Verstummen bringen: So stellt beispielsweise diesoziokulturelle Nische des Rap mit seiner ausgefeilten Sprechkunsteine aktuelle, spezifisch adoleszente Ausdruckskunst darund ist ein fester Bestandteil der heutigen Jugendkultur.4. Entwicklungsstagnation und Entwicklungszusammenbruchin der AdoleszenzDie Aufgaben der Adoleszenz sind vielfältig: Trauer um den Verlustder Kindheit, Akzeptanz und Gebrauch des sexuell reifen Körpers,Integration verschiedener Selbstbilder, Übernahme von Verantwortungfür aggressive Akte, um einige zu nennen. Dieter Bürgin vergleichtden Adoleszenten mit einem Trapezkünstler, der seinenschwingenden Halt losgelassen hat und frei durch die Luft wirbeltohne schon die gegenüberliegenden Trapezteile gefasst zu haben.Während in der Latenzzeit, auch bei vorausgegangener fragilerEntwicklung, das psychische Gleichgewicht mit mehr oder wenigergrossen Mühen häufig noch gehalten werden konnte, versagenim Folgenden im Rahmen der Adoleszenz – oft beim Übergang inden Berufseinstieg – die vormals funktionierenden Anpassungsleistungen.Der Übergang in eine erwachsene persönliche Identitätgelingt nicht. Entwicklungsstillstand oder auch Entwicklungszusammenbruchsind die Folge, welche der Behandlung bedürfen.Psychische Störungen manifestieren sich wie:■ Depression■ Anorexie■ Bulimie■ Zwangsstörungen■ Angststörungen■ psychotische Zustände■ Suizidversuche■ Drogenkonsum■ DelinquenzStationäre Hospitalisationen können kürzere Kriseninterventionendarstellen oder unifokal sich um einen Konflikt zentrieren,nach dessen Bewältigung im Rahmen einer Kurztherapie eine progressiveEntwicklung erneut in Gang kommt, welche dann mittherapeutischer Begleitung ambulant weitergeführt werden kann.Häufig sind aber stationäre Hospitalisationen letzte Konsequenzeiner längeren, multikausalen Leidensgeschichte und letzterSchritt einer vorausgegangenen Behandlungskette, die nach Versagendes ambulanten Settings erfolgt. Bei diesen Adoleszenten istdann die Verzweiflung oft sehr gross. Sie stellen die Frage nachdem «Warum?» und «Warum gerade bei mir?» Es bestehen Ängste,nicht mehr zu gesunden und nicht mehr ein normales Leben wiedie anderen führen zu können.315. Therapeutische Beziehungsarbeit im Kontextgesellschaftlicher EntwicklungUnter Anerkennung der aktuellen Realität ist eine Behandlungszeitvon sechs Monaten für eine stationäre Behandlung bereits eine längereZeitdauer, in welcher Kostenträger – unabhängig vom Krankheitsbild– zu deren Finanzierung bereit sind. Jeder Monat ist eineim wahrsten Sinne des Wortes «kostbare» Zeit. Es stellt sich dieFrage, was in diesem Rahmen für Adoleszente, die in ihrer Entwikklungblockiert sind, entwicklungsfördernd sein kann – gesamtstationärund einzelpsychotherapeutisch. Hier beschränke ich michauf die einzeltherapeutische Arbeit. Der therapeutische Prozess zieltin Richtung vermehrter innerer Autonomie.In der Therapie ist die Innenwelt des Jugendlichen wichtig, seineinnere Verarbeitung der Dinge. Als Therapeutin bin ich im stationärenBehandlungssetting einerseits Vertreterin der Innenweltdes Patienten und andererseits für den Adoleszenten Vermittelnde


32zwischen innen und aussen, zwischen seiner inneren Erlebnisweiseund äusseren Gegebenheiten, mit denen er sich auseinanderzusetzenhat.Es geht in der Therapie darum, mit dem Jugendlichen einenpsychischen Raum zu eröffnen, darum, dass er eigene Gefühle beisich selbst (wieder) vermehrt wahrzunehmen vermag, den Kontaktund die verloren gegangene Beziehung zu sich selbst wieder findet.Es ist notwendig, die verschiedensten Gefühle des Adoleszentenanzuerkennen, ihn bei seinem jeweiligen Affekt «abzuholen», damiter diesen bei sich selbst erneut wahrnehmen kann. Auchwiederholte verzweifelte und wütende Rundumschläge müssenmöglich sein. Für den Adoleszenten, der in der Klinik hospitalisiertist, ist es wichtig, die Hilflosigkeit und Ohnmacht, mit der ersich noch in ungleich stärkerem Ausmass als seine Kollegen herumquält,ein Stück weit auszuhalten, mit- und durchzutragenund dabei gleichwohl die Hoffnung auf Veränderung und Verbesserungaufrecht zu erhalten, auch in Phasen grosser Verzweiflungund Stagnation. Angesichts des zunehmenden Kosten- und damitZeitdrucks ist dies insbesondere bei schwerer erkrankten Adoleszentenoft eine grosse Herausforderung.Als Therapeutin übernehme ich oft «Hilfs-Ich»-Funktion. ZurFörderung der Selbstregulierung des Jugendlichen gehe ich an seinemIch entlang, im Bemühen, seine Ich-Leistungen zu honorieren:z.B. die Fähigkeit, Signale zu geben, die verstanden werdenkönnen, die Fähigkeit, sich zu äussern. Immer wieder ist der Fragenachzugehen, wo Ich-gerechte, gute Besetzungen des Adoleszenten,seine Interessen und Faszinationen liegen, wo es ihmgelingt, sich konstruktiv und gut einrichten zu können, damit ersich wohl fühlt. Solchermassen wird die Hoffnung entwickelt undgefördert, selbst etwas zu bewirken und die Umwelt gestalten zukönnen. Gerade bei Jugendlichen, die in ihrer Entwicklung sehrgestört wurden und diese Hoffnung oft Gefühlen der Ohnmachtgewichen ist, spielt dies eine bedeutsame Rolle und kann –manchmal oft lange im Nachhinein wahrgenommen – emotionaltragende Erinnerungsspuren hinterlassen.Als Therapeutin gehe ich weiter der Frage nach den positivenSelbstanteilen in den Ausdrucksweisen des Adoleszenten nach: Ersoll eine Sicherheit in sich selbst finden können. Misstrauen kannz.B. auch eine Schutzfunktion sein, Angst vermag hilfreich zusein, um aufmerksam zu bleiben. Es geht darum, einen Sinn inden verschiedenen Ausdrucksweisen und ebenso in den Symptomenzu finden. Eine psychodynamische Bedeutung im Symptomder Bulimie liegt z.B. in dem Wunsch, etwas bekommen zu wollen,aber nicht das Richtige zu bekommen. Oder die Anorexie gibteine Sicherheit: «Das bin ich», die in der Abgrenzung von denanderen liegt. Diese Anerkennung eines Symptoms – auch wennes noch so selbstdestruktiv und scheinbar dysfunktional ist – gehtder oft schwierigen Arbeit der Veränderung voraus. Scheinbar dysfunktionalist das Symptom insofern, als es einer ganz bestimmteninnerpsychischen Balance Rechnung trägt. Eine Aufgabe desSymptoms und Veränderung ohne Symptomverschiebung bringtdieses Gleichgewicht aus seiner Balance und ruft innerpsychischeVerwirrung und Verunsicherung hervor. Die psychische Veränderungsbereitschaftals Voraussetzung für einen Veränderungsprozessbedeutet viel intrapsychische Arbeit. Der Veränderungsprozesserfordert Zeit – manchmal mehr, manchmal weniger, wie alleEntwicklungs- und Wachstumsprozesse – und vollzieht sich nachpsychischen Gegebenheiten, die sich nicht entsprechend äusserenRealitäten kanalisieren lassen.In diesem Sinne kann das Ziel einer stationären Einzelpsychotherapienebst einer Ich-stützenden und stabilisierenden Begleitungauch in der Erarbeitung der Bereitschaft und der Einleitungeiner vertieften therapeutischen Arbeit in einer nachfolgendenambulanten Therapie liegen.Fazit:Die Adoleszenz ist eine vulnerable Entwicklungsphase, in welcherStörungsanfälligkeiten grösser sind als in manch anderer Entwicklungsphase.Angesichts einer komplexen, vielfältigen und raschemWandel unterworfenen gesellschaftlichen Realität könnte man denWeg des jungen Menschen durch die Adoleszenz in ein selbstbestimmtes,kreatives und aktives Erwachsenenleben mit dem Weg einesBootes zwischen Scylla und Charybdis hindurch vergleichen.Die Adoleszenten brauchen auf diesem Weg beständige und verlässlicheUnterstützung und Begleitung, die oft nicht mehr ausschliesslichEltern und Lehrer zu geben vermögen. Es sind weitereMenschen gefragt, insbesondere engagierte Fachleute aus dem Gesundheits-und Sozialbereich, aus dem Bereich der Justiz und vonbehördlicher Seite. Jugendlichen in besonders grosser Not, Verzweiflungund ausweglos erscheinenden Situationen, die in dieseroder jener Form auffällig werden und aus dem sozialen Netz herauszufallendrohen, beizustehen und mit ihnen nach gangbaren Lösungenzu suchen, ist sowohl eine menschliche und fachliche Herausforderungals auch eine präventive und lohnenswerte Aufgabe!


Peter Fleischmann, Stationsleiter Föhrenberg, JugendpsychiatrieDie «Voll-easy-highspeed»-Psychotherapiefür Jugendliche und deren ElternEs ist ja schon nützlich, Fremdsprachen zubeherrschen. In meiner Gymizeit lernte ichgern und fleissig Englisch. Ich wollte ja dieTexte von Lennon, Jagger und Co. einigermassenverstehen, wenn ich sie denn am Lagerfeuer am romantischenSee mitsingen sollte. Dieses Sollen war ein freiwilliger Entscheidvon mir, weil ich schnell merkte, dass diese sozialeKompetenz meinen Marktwert beim weiblichen Geschlecht günstigbeeinflusste. Ach, die guten alten Zeiten . . .25 Jahre später, im Zeitalter von Globalisierung, worldwideweb,Rinderwahnsinn und Multikulturalität ist es kaum mehrmöglich Deutsch zu sprechen, ohne über Basiswissen der englischenSprache und Computer zu verfügen. Das ist halt so, jammernnützt nichts, man hat ja sowieso nieausgelernt. Ausser es geht einfach nicht mehr.Wenn das Ich kollabiert, der Ausbalancierungsprozesszwischen eigenen Wünschen,Bedürfnissen und Visionen einerseits undden hochkomplexen und widersprüchlichenHandlungserwartungen der Um- und Arbeitsweltandererseits nicht mehr gelingenmag, dann geht es einfach nicht mehr. Dannkommt Krise, Verzweiflung, Krankheit. Auchbei Kindern und Jugendlichen, immer häufiger,immer früher, immer bizarrer. Unsere «fit for fun»-normierteLebensweise ist lustig für die Sieger und die materiell Begünstigten,für die Verlierenden und Perspektivelosen bedeutet sie Einsamkeit,Schmerz und Ohnmacht.Diese bedenkliche Entwicklung unserer Zivilisation kannschon wütend machen und aggressiv, das merk ich ja selber beimir. Zum Glück! Aggredere heisst ja «auf etwas aktiv zugehen,etwas angehen» und genau das versuche ich mit meiner Arbeit inder Jugendpsychiatrie zu verwirklichen. Zum Glück leben wir(noch) in einer Gesellschaft, die es sich leistet, sich um ihre eigeneZukunft zu kümmern, und das sind ja schon immer die Jungengewesen. Zum Glück gibt es Stationen wie den Föhrenberg, womehrfach-problematische Jugendliche ihre Psychosen, Essstörungen,sozialen Ängste, Zwänge, Selbstverletzungen, Depressionen,Teilleistungsstörungen etc. behandeln können.Es ist immer wieder beeindruckend und ergreifend, wenn sichbei einem Eintritt auf unserer Station Jugendliche von ihrenEltern verabschieden und umgekehrt. High emotion in Reinformbei allen Beteiligten, und das ist gut so. Bewegte Gemüter, es tutsich was. Endlich!Bei den Eltern oftmals spürbar widersprüchliche Gefühle undGedanken: Ich habe versagt. Jetzt kommt alles ans Licht. Diereden jetzt meinem Kind ein, dass ich an allem schuld bin. Jetzt,wo das Kind weg ist, muss ich mich um all die noch schlimmerenProbleme kümmern. Hoffentlich geht das nicht zu lange, er/siemuss doch noch den Schulabschluss schaffen. Ich vermisse dichunbeschreiblich.Bei den Jugendlichen oftmals spürbar widersprüchliche Gefühleund Gedanken: endlich kein Stress mehr. Vielleicht verstehendie mich wenigstens. Scheibe, jetzt bin ich doch in der Psychigelandet. Hilfe, ich habe Angst. Ha! Denen habe ich jetzt aber«Unsere ‹fit for fun›-normierte Lebensweise ist lustigfür die Sieger und die materiell Begünstigten, fürdie Verlierenden und Perspektivelosen bedeutet sieEinsamkeit, Schmerz und Ohnmacht.»gezeigt, wer der Stärkere ist! Hoffentlich geht das nicht zu lange,ich muss doch noch den Schulabschluss schaffen. Ich vermissedich (immer seltener: euch) unbeschreiblich.Nun beginnt unsere Arbeit: Wir beobachten und beschreibenVerhaltensweisen und Symptome, wir erklären und deuten diese,wir therapieren, medizieren, strukturieren, dokumentieren undinteragieren, professionell reflektiert, mit allem Frust und allerLust, die diese Arbeit so mit sich bringt. Mit aller Unsicherheit,die es im Umgang mit Menschen immer auszuhalten gilt, mit allden eigenen Vorstellungen über Werte und Normen bezüglichGesundheit und Normalität, die sich nicht zwingend decken müssenmit denen der Eltern. Mit all den Übereinstimmungen undMeinungsverschiedenheiten in einem Team, die, wen wunderts,oft die Positionen der beiden Elternteile widerspiegeln. Mit all denunterschiedlichen beruflichen Sozialisationen im Hintergrund.Mit all den vordefinierten Rollen innerhalb des Behandlungsteams.Mit all den von den Eltern formulierten Gedanken undGefühlen, die nicht zwingend mit unseren übereinstimmen müs-33


34sen. Mit all den vom Jugendlichen formulierten Gedanken undGefühlen, die nicht zwingend mit denen seiner Eltern übereinstimmenmüssen. Mit all den Sparbemühungen unserer sozialenInstitutionen (Krankenkassen und Versicherungen), die zwar verständlich,aber oftmals hemmend bis (zer)störend auf eineBehandlung einwirken können. Mit all den Forderungen undAngeboten der Lehrbetriebe oder Schulen, in die unsere Jugendlichenzurückkehren wollen, sollen oder müssen.Nun wird wohl deutlich, wie unsagbar anspruchsvoll die Arbeitin der Jugendpsychiatrie ist. Deshalb gefällt mir der Terminus«Casemanager» so gut. Gibt es eine komplexere Aufgabe als dieErarbeitung einer gemeinsamen Problemdefinition, die alle relevantenbeteiligten Akteure im Behandlungssystem eines Jugendlichenteilen und damit erst die Voraussetzung für eine effiziente,effektive und zielgerichtete Behandlungsplanung schafft? Wer indieser Arbeit bestehenwill, braucht ein sehrhohes Mass an Kommunikationsfähigkeit,an Rollenflexibilitätund Abgrenzungsfähigkeit.Genau andiesem Punkt wird dieArbeit in der Jugendpsychiatriesehr spannend.Es brauchtPrioritäten, Entscheidungskraftund klare,fachlich und theoriegeleitetlegitimierbare«Es ist immer wiederbeeindruckend undergreifend, wenn sichbei einem Eintrittauf unserer StationJugendliche von ihrenEltern verabschiedenund umgekehrt. Highemotion in Reinformbei allen Beteiligten,und das ist gut so. BewegteGemüter, es tutsich was. Endlich!»Interaktionen jedes einzelnen Mitarbeiters, jeder einzelnen Mitarbeiterin.Was es aber vor allem braucht, ist die menschliche Kongruenz,den klaren eigenen Schatz an Werten, Normen und Überzeugungen,die Fähigkeit, offen und empathisch zu sein, auch imUmgang mit eigenen Entwicklungsschritten und Entscheidungsprozessen.Dies bedeutet auch, dass Jugendpsychiatrie nie «voll easy» seinwird und der Anspruch nach Highspeed-Verfahren wird natürlichauch seine Grenzen haben. Umfangreiche Vernetzungsarbeit undklar strukturierende Absprachen werden ganz zentral bleiben undentsprechend viel Zeit und Geduld brauchen. Das ist doch irgendwieberuhigend und schafft einen fachlich begründeten Gegenpolzum allgemein um sich greifenden «Highspeedismus» unserer verrückendenGesellschaftsnormen. Und dass die grösste schweizerischeJugendpsychiatrie hier in Littenheid, in diesem wundervollenNaturidyll mit Hasen und Füchsen angeboten wird, ist keinZufall, sondern sinnlogische Konsequenz einer zunehmend urbanund marktwirtschaftlich dominierten Lebensweise, die für dieSeele von uns allen wohl als grösster Feind erkannt werden muss.


Catharina Molkenboer, Lehrerin JugendpsychiatrieDie (Klinik-)Schule als Brücke zurAussenwelt«Die Jugend heute ist so verwöhnt», hörteich schon oft klagen. Obwohl ich als Lehrerinhier kaum acht Jahre älter bin als meineältesten Schüler,* glaube ich den Unterschiedmeiner Generation zu dieser Jugend zu merken. Ich stellefest, dass diese Aussage etwas Wahres hat.Die heutigen Schüler sind wenig vertraut mit den Verhaltensweisen«für etwas kämpfen, sich einsetzen für etwas, durchhalten».Es mag einerseits zu ihrer Krankheit gehören, anderseits ist aberklar erkennbar, dass auch «gesunde» Schüler verstärkt nach dem«Lustprinzip» leben. Heutzutage muss alles Spass machen! Schulemuss Spass machen, wenn sie dies nicht mehr tut, so hat der Lehreroder die Lehrerin etwas falsch gemacht. Lernen muss Spassmachen. Dass aber lernen auch «büffeln», schwitzen, sich reinknienheisst, das ist eine «verjährte» Ansicht. Eine Ansicht, dieunseren Schülern fremd ist.Wie gehen wir mit diesem Phänomen hier in der klinikinternenSchule um?Projektunterricht!Wir sind der oben beschriebenen modernen Arbeitshaltung etwasentgegengekommen und haben im Januar <strong>2003</strong> den «Projektunterricht»eingeführt. Jeder Schüler nennt das Thema, welchesihn gerade interessiert und das er mit Spass weiter bearbeiten will.Es entsteht oft eine riesige Bandbreite an Themen: Philosophie,Eishockey, Blumen im Frühling, Krebs, AIDS, Hurricans, Australien,Hanf . . .Die Schüler geben ihr ganz persönliches Thema ab und ich alsLehrerin organisiere das Material.In der ersten Doppellektion werden zunächst einmal das Materialstudiert und die verschiedensten Ideen für das Projekt gesammelt.Jeder Schüler hat in jeder Lektion einen Gesprächsterminmit mir, in dem wir anschauen, wo er steht und wie er weiter vorgehensoll. Beim ersten Zweiergespräch erklärt er seine Ideen, diewir zusammen mit meinen Ideen auswerten und dann für einenKonzeptentwurf verwenden. Anschliessend geht er zurück undarbeitet selbständig an seinem Projekt. Mal am Computer, mal imInternet oder es werden einfach die Informationen durchgelesenoder weiterverwertet, je nachdem.Zu Beginn der Lektion findet immer ein gemeinsamer Teilstatt, damit die Jugendlichen auch in der Gruppe eine Tätigkeitzusammen ausführen. Dort diskutieren wir entweder über Irakund Bush oder sammeln Pflanzen und bestimmen sie, schreibenuns gegenseitig Gedichte oder Geschichten oder betrachten unsereHoffnungen und Befürchtungen für die Projektreihe.Nach fünf Wochen, am Ende der Projektreihe, stellt jederSchüler sein Projekt dem Publikum vor. Das Publikum setzt sichzusammen aus Ärzten, Therapeuten, Teammitgliedern undJugendlichen, meistens zwischen 20 bis 30 Menschen. Die Arbeitenwerden anschliessend in der Schule ausgestellt.Die Idee hinter diesem Projektunterricht ist, dass Jugendlichelernen, in einer bestimmten Zeit ein Produkt herzustellen und eszu präsentieren. Es soll die Brücke von der Klinik zur LehrlingsoderSchulwelt bilden.Einzel- und AbklärungsunterrichtNeben dem Projektunterricht gibt es noch den Einzelunterricht.Dieser ist gedacht für Jugendliche, die kein Oberstufenniveauhaben, die dissozial sind oder deren Krankheitszustand keinenGruppen- oder längeren Unterricht erlaubt. Sie erhalten «klassischen»Unterricht in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englischoder Französisch.Die Jugendlichen sind zwischen vier Wochen und mehrerenMonaten in der Schule. Eine langfristige Planung ist unmöglichund der Lehrerberuf verlangt hier viel Flexibilität, was aber durchdie multidisziplinäre und abwechslungsreiche Zusammenarbeitmit andern längstens wieder wettgemacht wird.Die Schüler von Littenheid stecken meist in einer sehr grossenIdentitätskrise. Schule ist für sie oft etwas sehr Verhasstes, welcheses mit allen Mitteln zu vermeiden gilt.Und genau hier beginnt der Auftrag der Schule Littenheid: DieBrücke zwischen Klinikalltag und der Aussenwelt zu schlagen, dieSchüler wieder an die Schule zu gewöhnen und sie mal erleben zulassen, dass Schule auch etwas Positives haben kann.Wenn ein Schüler austritt und – wenn auch nur heimlich – denkt:«Ich bin ja doch nicht sooo dumm und Schule kann auch Spassmachen», dann habe ich mein ganz persönliches Ziel erreicht.Dies wiederum gibt den Schülern mehr Kraft, ihre eigene Identitätzu entwickeln, den Mut dazuzulernen und den Willen, auchmal durchzubeissen.* Die Form «Schüler» steht für beide Geschlechter35


François Gremaud, Klinischer Psychologe JugendpsychiatrieEin Lehrer, ein Psychologe – zwei Identitätenbei der Früherkennung seelischer Störungen36Mein erster Kontakt mit Jugendlichen geschahin der Zeit, als ich als Lehrer tätigwar. Damals, in einer kleinen Privatschule,waren «schwierige» Jugendliche mit Elternin bequemen finanziellen Situationen in Sicherheit, weit entferntvon den öffentlichen Schulen, wo die Probleme angefangen hatten.Solche Jugendliche zeigten oft eine «Karriere» mit verschiedenenErfahrungen in unterschiedlichen Schulen. Der Kontakt mitKindern war mir schon durch verschiedene Lehraufträge in Primarschulenbekannt. Auch dort hatte ich die Möglichkeit, im Alltagmit schwierigen Kindern zu arbeiten. In meiner beruflichenTätigkeit als Psychologe im EPD (externer psychiatrischer Dienst)Sirnach, die seit April 2002 läuft, werde ich mit den beiden Identitätendes Lehrers und des Psychologen konfrontiert. Diese beidenErfahrungen erlauben mir, einen Blick aus zwei Richtungenauf die ambulante Betreuung von Kindern und Jugendlichen zuwerfen. Zwei Möglichkeiten, mit einer Person in Kontakt zu treten.Zwei Arten, diese Person in ihrer gesellschaftlichen Umgebungzu erleben.Lehrer melden anDie schulische Umgebung, die durch den Lehrer repräsentiertwird, wirkt bekanntlich prägend auf die Kinder, insbesondere aufKinder, die Probleme haben.«Er ist nicht mehr tragbar, er muss in eine Privatschule», sagtendie einen. «Wir haben ihn angemeldet», sagten die anderen. Angemeldet.Das Wort, das bei den Lehrern wie eine Befreiung klingt.Der Jugendliche ist beim Psychologen angemeldet. Alles wird besser.Wir sind gewappnet gegenüber den Eltern. Im schlimmstenFall kann man das Kind in eine Institution schicken. Oder in eineandere Gemeinde.Was macht der Psychologe? Keine Ahnung. Irgend etwas...Einen Test, glaubt man. Ja, testen ist immer gut. Vielleicht redeter mal mit den Eltern. Ab und zu muss der Jugendliche mitten ineiner Lektion weggehen «zu seinem Termin», teilt man anderenneugierigen Schülern mit. Der Psychologe, der eigentlich nicht zuuns gehört, der aber trotzdem ab und zu die Pause in unsererSchule verbringt. Er macht seinen Job im Einzelkontakt, übernimmtdie «Angemeldeten». Sehr weit weg vom Lehreralltag.Trotzdem ist es wichtig, dass man einen solchen Ansprechpartnergewinnt. Die Eltern beschwerten sich oft, dass ich als Lehrer etwasgegen die schlechten Leistungen ihres Kindes unternehmen müsste.Vielleicht habe ich zu wenig aufgepasst, die Angst vor dem Versagen.Soll ich die Schuld tragen, wenn ein Kind nicht aufmerksamist, in die Aussenseiterrolle kommt, mich beschimpft? AllesFragen, die noch vor zehn Jahren fast kein Thema in der Schulewaren. Eine Veränderung in unserer Gesellschaft, deren Auswirkungauf Lehrer sowie Schüler sicher bis in die Thurgauer Schulezu spüren ist. Am Besten melde ich das Kind eben beim Psychologenan. Er kommt einmal. Er schaut, macht sich Notizen, ist weitweg von den Telefonaten der Eltern am Abend, den Korrekturenusw.Eine Rückmeldung, eine Begegnung mit den Eltern. EinJugendlicher zeigt Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren, er störtdie Anderen . . . Gemäss testpsychologischer Untersuchung ist eraber nicht dumm. Er könnte es schaffen. Die Konzentration. Dassagen die Eltern auch, dass dies das Problem ist. Was macht manjetzt? Soll er das Jahr wiederholen? Soll er für eine Zeit nachFrankreich gehen, damit er ohne Schwierigkeiten zurückkommt?Die Eltern fragen, der Lehrer versucht, sich abzugrenzen. Alltagsproblemezu Hause: Die Mutter ist alleinerziehend. Sie ist überfordertmit den Problemen des Kindes, der Lehrer auch.Psychologen agierenDer Psychologe übernimmt seine Rolle. Es ist noch ein bisschenfrüh, um den Eltern und dem Lehrer eine Rückmeldung zu geben.Er hat Kontakt mit den Eltern aufgenommen, mit dem Jugendlichengeredet. Zuerst ihm gut zuhören. Er meint, er habe Schwierigkeiten,sich in der Schule zu konzentrieren, insbesondere beiFächern, die er nicht mag. Die Mutter, die ihn begleitet, hört,nickt, bringt Beispiele aus dem Alltag zu Hause.Dem Jugendlichen ist es peinlich. Mit 14, begleitet von Mama,die sagt, dass er am Abend nicht mehr mit ihr redet. Zuerst schauen,ob der Jugendliche überhaupt motiviert ist. Die Mutter ist esauf jeden Fall! Eine Zusammenarbeit mit den Eltern, wo vielewichtige Informationen gesammelt werden können: Anamnese,Umgang mit der Familie, mit den Peers, mit sich selbst. EineMikrosicht über den Einfluss neuer gesellschaftlicher Aufgabenfür die Familienmitglieder (monoparentale Familie, Zusammenwohnenmit Kindern des neuen Partners usw.). Die Planung einesProzederes: meistens eine testpsychologische Untersuchung. DasSchwierigste, das man dem Jugendlichen, manchmal auch denEltern, mitteilen muss. Warum? Wird ein IQ gemessen? Ja, auchdie Konzentration, die Ablenkbarkeit. Da denkt der Jugendliche


an Bücher, die man in billigen Buchhandlungen sieht: «Wie kannich meinen IQ erhöhen?» Bei den Eltern, die Angst, ein dummesKind zu haben. «Das kann man sich heutzutage nicht mehr leisten.»Die Angst, dass das bisherige Erklärungsmodell («der Lehrerist schuld», «mein Kind ist begabt, aber es kann mit Peers nichtumgehen») nicht mehr gilt. Dann tritt eine genauere Informationüber Sinn einer solchen Abklärung in den Vordergrund. Diepsychologische Abklärung ist wie ein Startpunkt für die Therapie,wie beim Hausarzt, wo man fragt, wo es weh tut. UnterschiedlicheReaktionen werden gezeigt: Unruhe, Ärger, Kooperation, Streitzwischen Kind und Eltern («Sag doch dem Doktor, dass du zuHause nicht gehorchst . . .»), teilweise auch Beruhigung.Zweiter Schritt: das ganze Helfersystem einschalten: die Lehrerinanrufen, einen Besuch in der Schule planen, insbesondere beiKindern. Ein wichtiger Aspekt, mal einen Blick in das Milieu, indem das Kind sich bewegt, zu werfen. Eines Tages steht derPsychologe auf einem Schulhof. Kindergeschrei, komische Blickevon Kindern: «Wer ist das?» Die Schule, eine Institution, die ähnlichfunktioniert wie eine kleine Gesellschaft. Erster Kontakt mitder Lehrperson. Der Wunsch nach Kooperation ist vorhanden. Abund zu gibt es einen kühlen Empfang vom Schulleiter: Der Lehrerhat sich bewaffnet. Er sitzt schweigsam da, während der Psychologeeine kurze Zusammenfassung der bisherigen Kontakte mit demKind rapportiert. Solche Kontakte lösen je nach Situation unterschiedlicheGefühle aus. Meistens, wenn das Kind keine grossenSchwierigkeiten zeigt, ist die Motivation beim Lehrer vorhanden.Bemerkungen bezüglichder Erziehungsind nicht selten wie:«Wissen Sie, dieseFamilie ist bekannt.Die Mutter ist nichtstabil. Alle habenSchwierigkeiten. FragenSie meine Kollegen,die die Geschwisterals Schüler«Die psychologische Abklärungist wie ein Startpunktfür die Therapie,wie beim Hausarzt, woman fragt, wo es wehtut.»haben . . .» Wieder Situationen, die beschrieben werden . . . Inwiefernsolche Hinweise auf die Seele des Kindes eine Auswirkunghaben, ist ein anderes Thema. Idealerweise hat sich der Psychologeeine Schullektion angeschaut. Im Einzelkontakt stellt das Kindeinen Teil «seiner» Gesellschaft dar: Themen wie Scheidung, unsichereZukunft, immer mehr Stress in der Schule sind hier zu beobachten.Das Kind mit seiner Identität kann wie eine Mikrogesellschaftbetrachtet werden, wo ein Eltern- bzw. Helfersystem funktionierenmuss.Zwei Identitäten, die bei der Früherkennung einTeam bildenZwei unterschiedliche Ausbildungen, zwei Identitäten, zwei Möglichkeitenin unserer Gesellschaft, ein Kind zu erleben. Diese beidenIdentitäten durfte ich kennen lernen. Typische Beispiele inunserer Gesellschaft? Vielleicht.Beide Rollenbilder bilden Umstände in unserer Gesellschaft ab:Der Lehrer muss in unserer schnelllebigen Zeit flexibel sein, dieAutorität wird mehr hinterfragt. Beim Kinderpsychologen werdendie Bedürfnisse und die Entwicklung des Einzelnen in unsererGesellschaft betont. Im Sirnacher Alltag bedeutet es die Möglichkeit,zwei unterschiedliche Berufe besser zu verstehen, damit eineZusammenarbeit erreicht werden kann. Das Kind als Zentrum desInteresses, weg von Vorurteilen und Ängsten. In unserer kleinenambulanten Stelle, in einer Region, wo der persönliche Kontaktseine Bedeutung hat, gehört diese Zusammenarbeit zum Alltag.Dank Helferkonferenzen zwischen Eltern, der Schule und Behördenwar es oft möglich, eine optimale Betreuung anzubieten, beider nicht nur reaktiv gehandelt wurde, sondern auch präventiv.Die Früherkennung eines (prä)symptomatischen Störungsbildeswird also nicht nur in ambulanter Abklärung angestrebt, sondernauch im Alltag des Kindes und in seiner gesellschaftlichen Umgebung.Die Rolle des Therapeuten und des Lehrers findet auf dieserEbene eine Ähnlichkeit: eine Person zu verstehen, damit ein optimalerZugang erreicht werden kann.37


Die Defizit-Theorie des Alters hatausgedient.Akutpsychiatrie und stationäre Psychotherapie für ältere Menschen


Dr. med. Michael Mayer, Oberarzt GerontopsychiatrieDer Wandel in der Gesellschaft, die Identitätdes Individuums und Psychotherapie im AlterDie Arbeit auf der PsychotherapiestationPark B für Menschen ab dem 50. Lebensjahrführt zu einer vielfältigen Auseinandersetzungmit dem Wandel in der Gesellschaft.Nicht nur, weil Patienten und Behandler unterschiedlichenGenerationen angehören. Sondern auch, weil sich das Bild und dieRealität der Lebensphase Alter verändern.Gesellschaftliche Veränderungen bilden sich in psychischenKrisensituationen ab: eine Momentaufnahmeaus Park BFrau M. ist 61 Jahre alt. Seit sie in Littenheid ist, hat sie ihre Gewohnheit,jeden Dienstagvormittag zum Coiffeur zu gehen, wiederaufgenommen. Sie blättert in einer Zeitschrift. Ihr Blick fälltauf eine ganzseitige Werbeanzeige: Ein glückliches, grauhaarigesPaar läuft barfuss und Hand in Hand am Strand entlang. Im zugehörigenText wirbt eine Lebensversicherung dafür, rechtzeitigfür den wohlverdienten Ruhestand vorzusorgen. Frau M. ist seitdrei Wochen auf Park B. Vor einem Jahr hat sie ihren Mann verloren.Nur sieben Jahre älter als sie, starb er plötzlich an einem Herzinfarkt.Ihre einzige Tochter ist mit der eigenen kleinen Familieund ihrem Job vollauf beschäftigt. Sie sieht einiges anders als dieMutter und will vieles anders machen als die Eltern. Frau M.würde die Tochter und das Enkelkind gerne viel häufiger sehen.Sie kommt mit den Veränderungen in ihrem Leben nicht klar undfühlt sich einsam. Zuerst litt sie unter Kopf- und Rückenschmerzen,dann konnte sie nicht mehr schlafen. Sie wurde immer bedrückter,hatte an nichts mehr recht Freudeund hat sich schliesslich von Bekannten undFreunden zurückgezogen. Ein Psychiaterhatte bei ihr eine Depression diagnostiziert.Zur gleichen Zeit kommt Herr E., 55 Jahre,leitender Angestellter, in Begleitung seinerFrau gerade zu einem ambulanten Vorgesprächin Littenheid an. Er denkt noch an dasgrossflächige Werbeplakat, das ihm einigeMinuten vorher vom Wagen aus aufgefallen war: «RechnerischesAlter 55, gefühltes Alter 45», war da zu lesen. Die Bildüberschriftgehörte zu einer Werbung für ein neues Testosteron-Gel.Herr E. hat vor drei Monaten seinen Arbeitsplatz verloren.Nach über 25 Jahren im Betrieb. Von seiner Abteilung sind nachder Fusion nur die jüngeren Kollegen übrig geblieben. Anfangshatte er seine Enttäuschung und seine Zukunftsängste mit Alkoholbetäubt. Er ist aus Angst vor unangenehmen Fragen seinenFreunden und Bekannten aus dem Weg gegangen. Schliesslich hatauch seine Familie unter seinen Stimmungsschwankungen gelitten.Als er dann kaum noch das Haus verliess, meinte sein Hausarzt,eine stationäre Psychotherapie sei das Richtige für ihn. Auchseine Frau gab ihm zu verstehen, dass es so nicht mehr weiter gehe.In den beiden exemplarischen Fallgeschichten deutet sich an,dass kritische gesellschaftliche Veränderungen, Generationsunterschiedeund die wirtschaftliche Globalisierung bei psychischenKrisensituationen ab dem 50. Lebensjahr in vielfältiger Weise eineRolle spielen können. Menschen wie Frau M. und Herr E. findenin schwierigen Lebenssituationen und bei länger dauernden Krisenpsychotherapeutische Hilfe auf der Station Park B. Der Frage,wie gesellschaftliche Veränderungen in ungünstiger oder in günstigerWeise auf die Erkrankung dieser Patienten und den Behandlungsalltageinwirken, soll hier nachgegangen werden.«Die Fortschritte in der Medizin und gesunde Lebensbedingungenhaben dazu geführt, dass wir nicht nurein viel höheres Lebensalter erreichen, sondern auchdazu, dass ältere Menschen dieses hohe Alter beideutlich besserer Vitalität erleben.»Die jungen Alten im Bild der Werbung und derMassenmedien: zwischen Jugendlichkeitsideal undAlterswirklichkeitDie Fortschritte in der Medizin und gesunde Lebensbedingungenhaben dazu geführt, dass wir nicht nur ein viel höheres Lebensaltererreichen, sondern auch dazu, dass ältere Menschen dieseshohe Alter bei deutlich besserer Vitalität erleben. Gleichzeitig sindJugendlichkeit, Dynamik und Leistung, schneller Erfolg, rascherKonsum, Freiheit und «Erlebnis pur» Merkmale unserer «Erlebnisgesellschaft»geworden. Das Leitbild dieser Gesellschaft ist«Jugendlichkeit». Die Erhaltung des Jungseins wird dabei zum absolutenWert erhoben.Die Massenmedien und die Werbung feiern die «jungen» Altenoder «neuen» Alten als neuen Rentnertyp. Der junge Alteerscheint als eine Idealfigur, die am jungen Menschen gemessen39


40 wird. Es geht nicht mehr um das Alter als Lebensphase. Denn diejungen Alten sind nicht als Alte kulturell geachtet und interessant,sondern als Junge. Die jungen oder neuen Alten verkörpern einAlter, das sich von sich selbst abwendet und Jugendlichkeit zumOrientierungsmassstab erhebt. So wird das Alter als Lebensphaseund die Eigenschaft des Alterns ausgegrenzt und versteckt.Trotz aller Fortschritte und gesunder Lebensweise wird deralternde Körper früher oder später aber nicht mehr dem Ideal der«Jugendlichkeit» entsprechen. Somit widerspricht dieses Idealbildder Natur des Menschen. Der alternde Mensch muss heute mitden körperlichen und psychischen Folgen des Alterns oft alleinefertig werden, ohne ein brauchbares kulturell geachtetes Konzeptfür diese Lebensphase. In der Psychotherapie mit älteren Menschengeht es daher oft darum, Verluste verarbeiten zu lernen, diedas Alter naturgemäss mit sich bringt. Dazu ist es notwendig, entgegendem herrschenden gesellschaftlichen Leitbild der Jugendlichkeit,dem Alter als Lebensphase Achtung zu verschaffen. Dazugehört es auch, die Gewinne dieser Lebensphase zu würdigen.Die ungewürdigten Gewinne des AltersIm Alter kommt es nicht nur zu Verlusten, sondern auch zu einemZuwachs an Fähigkeiten. Die Ergebnisse der Altersforschung sprechendafür, dass sich im Alter die Kontrolle über unangenehme Gefühleverbessert. Gleichzeitig bleibt die Fähigkeit, reichhaltige emotionaleErfahrungen zu machen, voll erhalten. Das Vorurteil vommissmutig-pessimistisch gestimmten Alten ist nicht zutreffend. ImAlter entwickelt sich durch die gesammelte Lebens- und Bewältigungserfahrungein reiferer Umgang mit psychisch belastenden Ereignissen.Zum Beispiel dadurch, dass es besser gelingt, negativeAspekte einer Situationzu relativieren und die«Die Massenmedien unddie Werbung feiern die‹jungen› Alten oder‹neuen› Alten als neuenRentnertyp. Der jungeAlte erscheint als eineIdealfigur, die am jungenMenschen gemessenwird.»Situation neutral oderpositiv umzudeuten.Alte Menschen könnenbesser als jüngere Erwachseneaus ProblemenErfahrungen für späterableiten. UnangemessenesBewältigungsverhalten,wie zum Beispielunangemessen aggressivesVerhalten gegenandere, um mit eigenen Problemen fertig zu werden, wird im Alterwesentlich seltener angewandt.Viele Menschen knüpfen unter den Bedingungen zunehmenderWettbewerbsorientierung in der Gesellschaft ihr Selbstbewusstseinleider an die eigene Leistungsfähigkeit und die eigenenErfolge. Das ist dann eine häufige Ursache für Selbstwertkrisen.Im Alter verlieren diese Leistungsmotive an Bedeutung. Stattdessentritt die Suche nach sozialen Beziehungen mit guter emotionalerQualität stärker in den Vordergrund. Alte Menschen neigenauch eher dazu, sich mit anderen so zu vergleichen, dass die eigeneLebenssituation günstiger erscheint, indem sie sich mit jemandemvergleichen, dem es gerade schlechter geht.Im Alter gewinnt man ein stabileres Identitätsgefühl. Aus derEntfaltung der Individualität entsteht im Laufe des Lebens einsicheres Identitätsgefühl: Ich weiss, wer ich bin und wie ich in dieseGesellschaft passe. Bei der psychotherapeutischen Arbeit mitälteren Menschen war ich immer wieder angenehm davon überrascht,dass dieses Identitätsgefühl bei Älteren viel stabiler ausgeprägtist als beijüngeren Erwachsenen.Und dass diesesIdentitätsgefühl derpsychisch erkranktenälteren Menschenden Heilungsprozessungleich besser stützt,als das bei jüngerenErwachsenen der Fallist. Vielleicht weilderen Identitätsgefühlsich gerade erstam Leben erprobt.Die gefestigte Identitätim Alter erhöhtvermutlich auch die«Im Alter kommt es nichtnur zu Verlusten, sondernauch zu einem entsprechendenZuwachs anFähigkeiten. Die Ergebnisseder Altersforschungsprechen dafür, dass sichim Alter die Kontrolleüber unangenehme Gefühleverbessert. Gleichzeitigbleibt die Fähigkeit,reichhaltige emotionaleErfahrungen zumachen, voll erhalten.»Unempfindlichkeit gegenüber einem drohenden Verlust der Identitätdurch einen zu raschen gesellschaftlichen Wandel. Insgesamthaben diese Gewinne des Alters zur Folge, dass das subjektiveWohlbefinden im Alter etwa genauso gut ist wie in jüngerenJahren. Das ergab sich, entgegen allen negativen Altersstereotypien,einheitlich in mehreren Untersuchungen. Jüngeren Menschen,die mit dem aktuellen Lebensleitbild ewiger Jugendlichkeit


aufgewachsen sind, kann das Gewahrwerden der «Gewinne desAlters» auch Angst machen: Das Rückschauhalten, das Bilanzziehen,das Überlegen und Anhalten ist der Illusion vom endlosenFortgang entgegengesetzt.Der jüngere Therapeut blickt über den Tellerrandseiner eigenen AltersgruppeÄltere Menschen haben in ihrem jungen Erwachsenenalter ganzandere Lebenserfahrungen gemacht und ganz andere soziale Erwartungenentwickelt als die jüngeren Erwachsenen heute. Siehatten zum Beispiel weniger Möglichkeiten für eine gute Ausbildung,haben früher geheiratet und früher Kinder bekommen.Scheidungen waren seltener. Man blieb länger an einem Wohnortund an einem Arbeitsplatz. Bei psychischen Problemen professionelleHilfe aufzusuchen, war früher weit weniger akzeptiert.Ältere Erwachsene sind meistens in einer Zeit gross geworden,in der man von ihnen erwartete, älteren Familienmitgliedern Achtungund Fürsorge entgegenzubringen. Sie können sich betrogenfühlen, wenn sie heute in einer Zeit leben, in der Achtung vor denÄlteren nicht mehr ein allgemein anerkannter Wert ist. Therapeutenälterer Patienten, die nicht die gleiche Lebenserfahrung haben,können dann oft nicht begreifen, worauf der ältere Patient reagiert.Der Generationsunterschied, den der gesellschaftliche Wandelmit sich gebracht hat, beeinflusst die Beziehung zwischen Patientund Therapeut. Zur Arbeit mit älteren Erwachsenen gehört deshalb,dass man etwas darüber in Erfahrung bringt, wie frühereGenerationen aufgewachsen sind, dass man sich über dieGewohnheiten und die Sicht der Dinge von früher Geboreneninformiert. Wir legen Wert darauf, die Identität und Individualitätder von uns behandelten älteren Patienten zu verstehen unddiese als Ressource für die Heilung zu nutzen. Das setzt voraus,dass die überwiegend deutlich jüngeren Therapeuten und Pflegekräfteüber den Tellerrand ihrer eigenen Altersgruppe und ihrereigenen Identität blicken können. Sie müssen sich mit den gesellschaftlichen,kulturellen und geschichtlichen Gegebenheiten vertrautmachen, die zu der Zeit bestanden haben, zu der sich dieIdentität ihrer älteren Patienten herausgebildet hat. So wie es inder Jugendpsychiatrie ganz selbstverständlich ist, sich mit der Kulturvertraut zu machen, welche die Identität der Jugendlichengerade formt. Damit ist dann auch eine Grundlage dafür geschaffen,dass die Gewinne des Alters, die durch eine entwicklungsbedingteReifung entstehen, gewürdigt werden können.Kritische gesellschaftliche Veränderungen betreffenAlte und Junge in unterschiedlicher WeiseWeil die Generationen unterschiedliche lebensgeschichtliche Erfahrungengemacht haben, verarbeiten sie gesellschaftliche Veränderungen,die Folgen der wirtschaftlichen Globalisierung, dieIdentitätskrise der Gesellschaft nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und den raschen sozialen Wandel unterschiedlich. Nurzu leicht fällt man bei der Frage nach diesen Unterschieden aufeine negative Altersstereotype herein: Die psychische Erkrankungälterer Menschen wird dann allzu schnell einem Scheitern bei derBewältigung gesellschaftlicher Veränderungen, einem «Nicht-mithalten-Können»zur Last gelegt. Rasch ist das Vorurteil bei derHand, ältere Menschen seien stärker beeinträchtigt durch dieseVeränderungen und könnten nicht mehr so flexibel reagieren. Inder psychotherapeutischen Arbeit ist das so nicht generell festzustellen.Sicher sind ältere Arbeitnehmer zum Beispiel stärker vonRationalisierungsmassnahmen betroffen und von Entlassung bedroht.Auch mag die zunehmende Individualisierung der Gesellschaftes Alten schwerer machen, neue Beziehungen zu knüpfen.Andererseits ist es bei ihnen im Laufe des Lebens zu einem festenIdentitätsgefühl gekommen und deshalb sind Veränderungenweniger identitätsbedrohend. Das Bezugnehmen auf frühere Erfahrungenund das Zurückblicken auf das eigene Leben spielen inhöherem Alter eine wichtigere Rolle bei der Bewältigung psychischerKrisen. Ein günstiger Stil des Lebensrückblicks, ein im Alterverbesserter Bewältigungsstil und die grössere Komplexität emotionalerErfahrungen helfen dabei, psychische Belastungen durchgewandelte gesellschaftliche Umstände zu bewältigen. Dies sinderfolgsversprechende Ausgangsbedingungen, welche die Psychotherapienach dem 50. Lebensjahr zu einer lohnenden Aufgabemachen.41


Raymond Scheer, Bereichsleiter Pflege GerontopsychiatrieVon der Gerontopsychiatrie zur Psychiatriein der zweiten Lebenshälfte42Die Gerontopsychiatrie der Klinik Littenheidhat eine langjährige Geschichte mitvielen Entwicklungsschritten.Als ich 1990 die Aufgabe als Oberpflegerder Gerontopsychiatrie übernahm, war das Haus Waldegg dasgrösste «Geriatriekrankenhaus» mit 68 Betten. Es wurde ergänztdurch die Station Park A mit 30 Betten und Linde G mit 19 Betten.Durch die Versorgungsfunktion der Kliniken war die Aufenthaltsdauerhäufig sehr lang. Dadurch waren die Patienten einerseitsdurch die Institution geschützt undkonnten in einem ihrer Erkrankung angepasstenUmfeld leben. Andererseits aber warensie nicht den sich schnell entwickelndenAnsprüchen der Gesellschaft ausgesetzt undhatten wenig Möglichkeiten, sich damitauseinanderzusetzen und daran zu wachsen.Ebenfalls handelte es sich dabei um Generationen,die aufgrund ihrer geschichtlichenPrägung (Kriegsgenerationen) wesentlichgeringere Ansprüche an ihr direktes Umfeld stellten.Ein Grossteil der Patienten war chronisch psychisch krank undlitt zusätzlich unter verschiedenen körperlichen Erkrankungen.Die Hilfsbedürftigkeit der Patienten in den ATLs (Aktivitäten destäglichen Lebens) war sehr hoch und hat den Grossteil der pflegerischenKräfte darin gebunden.Das ab den 70er-Jahren veränderte Altersbild beeinflusste auchdie Entwicklungen in der Klinik: Die Defizit-Theorien des Alterswurden verstärkt in Frage gestellt und die Chancen des Alternsstärker hervorgehoben. Es ergab sich eine verstärkte «Verjüngung»der älteren Menschen, indem immer mehr ältere Menschen Tätigkeitenwie Reisen, Sport, Weiterbildung, Sich-modisch-Kleidenübernahmen, die früher ausschliesslich als Privileg der Jugend galten.Gleichzeitig hat sich die Lebenserwartung der älteren Menschenweiter erhöht. Gegenwärtig können Männer mit einerdurchschnittlichen Lebenserwartung von rund 76,5 Jahren rechnen,Frauen werden durchschnittlich sogar 82,5 Jahre alt.Das menschliche Altern ist heute in hohem Masse gestaltbargeworden und auch bei hochbetagten Menschen ergeben sichbeträchtliche Interventions- und Präventionsmöglichkeiten.Derzeit ist eine im Vergleich zu früher ausgesprochen individualisierteWohn- und Lebensweise der älteren Bevölkerung zu beobachten.Das Wohnen im gleichen Haushalt mit den Kindern istmittlerweile auch in ländlichen Gebieten die Ausnahme.In unserem modern eingerichteten Gesundheitssystem erlaubenes ambulante Pflege und verschiedene Formen betreutenWohnens auch hochbetagten Menschen, trotz verschiedenerBehinderungen und Einschränkungen, vermehrt in ihrer angestammtenWohnung zu bleiben. Die selbständige Haushaltsführungin der eigenen Wohnung geniesst die höchste Wertschätzung,weil dies für die meisten älteren Menschen einen hohen Wert ihrer«Das ab den 70er-Jahren veränderte Altersbild beeinflussteauch die Entwicklung in der Klinik: Die Defizit-Theorien des Alters wurden verstärkt in Frage gestelltund die Chancen des Alterns stärker hervorgehoben.»sozialen Unabhängigkeit darstellt.Die wirtschaftliche und soziale Lage, aber auch das gesundheitlicheund psychische Befinden älterer Menschen haben sich in denletzten Jahrzehnten deutlich verbessert. Der Wandel der Lebensformenund Lebensführung erfolgt im Kontext des Wandels derGesellschaft. Die Entwicklung von Lebensformen und Lebensführungim Zuge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses istdurch verschiedene Merkmale gekennzeichnet. Es zeigen sichinnovative und konservative Werthaltungen als auch neue gesellschaftlicheZwänge.Die Anforderungen in der nachfamilialen sowie auch nachberuflichenLebensphase erweisen sich heute als hochgradig komplex,sie sind einem permanenten Wandel unterworfen und damitauch häufig Ursache für Konflikte und Krisen, die immer häufigerprofessionelle psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe undUnterstützung erfordern.Um die zunehmend kompetenten «neuen» älteren Generationenebenso kompetent behandeln zu können, bedurfte es der Entwicklungeiner auf allen Ebenen modernen psychiatrischen Versorgung.Durch den kontinuierlichen Ausbau der Hotellerie undeines differenzierten Angebotes an ärztlicher und pflegerischerBehandlung erfuhr der Bereich Gerontopsychiatrie der Klinik eine


deutliche Zunahme zusatzversicherter älterer Menschen; seit 1996haben sich die Eintritte privat und halbprivat versicherter Patientenverdreifacht.Die Stationen (das heisst: das interdisziplinäre Behandlungsteam)sind gefordert, diesen und künftigen Fragen und Ansprüchenzu entsprechen. Seit kurzem stehen nun zwei Aufnahmestationen(Park B und Waldegg C) zur Verfügung, um den vielfältigenBehandlungsaufgaben«Die Anforderungen inder nachfamilialen sowieauch nachberuflichen Lebensphaseerweisen sichheute als hochgradigkomplex, sie sind einempermanenten Wandelunterworfen und damithäufig Ursache für Konflikteund Krisen, dieimmer häufiger professionellepsychiatrischeund psychotherapeutischeHilfe und Unterstützungerfordern.»von der Krisenintervention,der Psychotherapiein schwierigen Lebensphasenbis zur stationärenDemenzabklärung ineinem breiten Spektrumgerecht zu werden.Für die interdisziplinärenBehandlungsteamssind die beruflichen Anforderungenweiter angestiegen.Systematik undStandardisierung in denBehandlungsverfahren,aber auch individuelleUnterstützung in denBewältigungsstrategienunter Kostendruck prägendas heutige Bild dieses Bereiches.Die Psychiatrie der zweiten Lebenshälfte sieht sich vor unterschiedlicheHerausforderungen gestellt: Einerseits ist eine qualitativhoch stehende Versorgung der Region, des Kantons und derVertragspartner ein wichtiger Teil unserer Aufgabe. Andererseitswächst die Zahl der Menschen, die in dieser kritischen Lebensphasemit häufig auftretenden Veränderungen (Partnerverlust,Früh-Pensionierung, Neuorientierung, Abhängigkeit u. a. einschneidendeVeränderungen) professionelle Unterstützung benötigenund auch zunehmend aktiv anfordern. Da das Alter derPatienten, in welchem sie sich mit den erwähnten psychischenProblemen an uns wenden, je nach Situation und persönlichemUmfeld sehr unterschiedlich ist, ist der Begriff «Spezialisierte therapeutischeAngebote für Menschen in der zweiten Lebenshälfte»zutreffender als die heute gebräuchliche Bezeichnung «Gerontopsychiatrie».Das kalendarische Alter stellt ein schlechtes Kriterium dar,gerade auch für Regelung von Gesundheitsfragen. Zunehmendsehen wir uns vor die Frage gestellt, ob ein Bereich mit derBezeichnung «Gerontopsychiatrie» als Behandlungsort für Patienten,die zum Teil 50-jährig sind, nicht eher eine Bezeichnung wie«Psychiatrie für Menschen in der zweiten Lebenshälfte» tragenmüsste?43


Dr. med. Jokica Vrgoc, Leitende Ärztin GerontopsychiatrieHat der Krieg eine psychosoziale Funktion?Relevanz, Auswirkungen und Folgen für den klinischen Alltag44 Krieg im IrakDer Krieg im Irak ist nach 30 Tagen beendet.Die Bilder von jubelnden Irakern, diemit Hilfe der Amerikaner das Ende einesverhassten Diktators feiern, werden aus Bagdad in die ganze Weltgesandt. Die Statue wackelt, leistet einen letzten Widerstand,stürzt und zerschellt. Wie sollen wir diese Bilder verstehen? Natürlichkönnte dieses Bild genauso täuschen, wie alle andern Bilderdes Krieges. Es sagt nichts aus über die realen amerikanischen undirakischen Opferzahlen. Man ahnt nicht einmal, wie viele tausendMenschen an den unmittelbaren Auswirkungen des Kriegesgestorben sind. Die bemerkenswerten militärischen Triumphe derAmerikaner haben wir vor kurzem in Afghanistan gesehen. Gibt eskeine anderen unblutigeren, effizienteren und gefahrloseren Instrumente,um die Demokratie in diesen Ländern herzustellen, alssie mit Bomben zu bewerfen? Der alte Spruch lautet: «Wer Kriegsät, wird keinen Frieden ernten.» Was wird demzufolge die amerikanischePolitik in den kommenden Jahren ernten?Instrumentalisierung und «Epidemie-Paradigma» desKriegesBarbara Tuchman hat ein dickes Buch über die «Torheit der Regierenden»von Troja bis Vietnam geschrieben und es ist uns allenklar, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung bei der Durchführung vonKriegen nicht stimmt. Die für den Sieger erreichten ökonomischenund sonstigen Vorteile werden nie die Opfer und Verlusteeines Krieges aufwiegen. Greenpeace hat aufgedeckt, dass derGolfkrieg wahrscheinlich 250 000 irakische Opfer gefordert hat.Nach dem Irakkrieg braucht die US-Rüstungslobby dringend denBeweis, dass die Billionen Dollar, die der Krieg verschlungen hat,kein herausgeworfenes Geld sind. Aus welchen psychologischenGründen hat die Menschheit bisher mehr als 14 500 offizielleKriege auf unserer Erde geführt? Francis Beer und mehrere andereAutoren vergleichen den Krieg mit einer epidemischen Infektionskrankheit,deren Erreger unbekannt ist, da ein Krieg wie eine epidemischeKrankheit plötzlich ausbricht und sich ausbreitet. Eineben beendeter Krieg hinterlässt zunächst eine Art «Immunität»,die sich aber allmählich verliert. Kriegsbereitschaft ist ansteckend,weswegen eine Kriegsprophylaxe notwendig ist. In Fernsehdiskussionenwar vor der Bombardierung Serbiens als auch vor dem Irakkriegdie Bereitschaft der Deutschen, sich an diesem Krieg zubeteiligen, mit einer nachhaltigen «Immunität» gegen dieseKriegsgelüste und auch auf Grund der Erfahrungen und Auswirkungendes Zweiten Weltkrieges, nicht vorhanden.Psychosoziale Funktionen des Kriegesa) Verführerische Kraft des MachtbesitzesIn der Regel dienen Kriege der Machtausübung und der Sicherungvon Herrschaftsverhältnissen. Man wird sicher einwenden, dassauch das Gegenteil vorkommt: Kriege können auch der Abschaffungvon Unterdrückung und Herrschaft dienen. Bemerkenswertist aber, dass es in der weiteren Entwicklung solcher Befreiungskriegemeistens nicht zu deren Abschaffung kommt, sondern zueiner Neubildung der Herrschaft (russische Revolution, die Entwicklungbefreiter Kolonialländer). Macht wird von soziologischorientierten Autoren häufig als Chance zur potenziellen oder faktischenEinflussnahme definiert. Die Tatsache, dass jemand einenanderen beeinflusst oder beeinflussen kann, ist noch kein Macht-Phänomen. Zur objektiven Macht gehören zwei subjektive Bedingungen:die halbbewusste/bewusste Intention des Machtausübendensowie die Empfindung des Beeinflussten als etwasausdrücklich Gewolltes. Macht ist nicht die Fähigkeit einer Persönlichkeit,sondern das Attribut einer Beziehung. Macht habenist nicht gleichbedeutend mit Stärke besitzen. Ein mächtigerMensch ist nicht zwangsläufig auch ein starker Mensch. Das Gefühlder Sicherheit und Selbstständigkeit braucht keineswegs nurauf Macht zu basieren. Wird dagegen die Stabilisierung des Selbstnur oder vorwiegend über Machterlebnisse erreicht, so entsteht einsüchtiges, «dysfunktionales» Machtstreben. Alfred Adler hat einenTeil des pathologischen Machtstrebens als kompensatorische Reaktionauf Minderwertigkeitsgefühle angesehen. Solche «Macht-Einflussnahmen», die Soldaten im Krieg erleben, sind von «guten»Gefühlen begleitet, die ebenfalls zur Selbststabilisierung beitragen.Es handelt sich um einen narzisstischen Genuss, der durch die Bekämpfungder vermeintlichen Bedrohung die Insuffizienzgefühleschwacher Identitäten und brüchiger Selbstwertgefühle stabilisiert.Die externalisierte Bedrohung kommt in hohem Masse ausdem eigenen inneren Selbst. Oft sind eigene innere Aspekte, dieunerwünscht sind oder/und bedrohlich wirken, in den «Schatten»verbannt und somit vorerst erfolgreich abgewehrt. Sie werden imAussen, im Fremden, im anderen Menschen deponiert. Die Folgedavon ist zwangsläufig die Bekämpfung der eigenen Angst, dessen,was im eigenen inneren Selbst nicht sein darf, im Anderen. Erist der Schuldige, er trägt das «Böse» in sich und ermöglicht


die Entlastung für das Selbst («so bin ich es los»). Im Krieg werdendadurch in hohem Masse eigene, ungelöste Konflikte sowie eigeneAngst und Unfähigkeit im Anderen bekämpft und abgetötet.b) Die Bedeutung der angestauten Aggressionen, externalisierteProjektionenViele Psychiater vertreten die Meinung, der angestaute Aggressionstriebsei verantwortlich für Krieg, da Krieg eine Art Aggressionsventildarstellt und die Aggression das Instrument des Kriegesist. Der Krieg ist nicht die Folge der Aggressionen, sondern dieKonflikte sind es, die die Aggressionen auslösen. Die im Lebenangesammelten Frustrationen beinhalten Aggressionen, die gegenden «Feind» und für die Bekämpfung des «Bösen» mit Hilfe derKriegspropaganda kanalisiert wird. Das «Böse» liegt im Feind, derreal ist und vernichtet werden soll. Je ferner, je unbekannter, jefremder der Gegner, desto leichter ist diese Ausschaltung zu erreichen.Eine der schwierigsten Aufgaben der psychologischenKriegsführung besteht darin, die natürlichen Gefühle der Menschlichkeitauszuschalten, damit die «Kriegsmoral» nicht beeinträchtigtwird. Die Ausbildung von Elitesoldaten beinhaltet zahlreicheMethoden zur Immunisierung von Mitgefühl und Mitleid gegenüberden Opfern.c) Wir-GefühlIm Laufe unserer Integration lernen wir im Prozess der Selbsterweiterung«Wir – das erweiterte Selbst». Das Wir-Gefühl isteine schöpferische Aufhebung von Gegensätzen sowie eine beidseitigeStärkung und Stabilisierung der beteiligten Personen. ImKrieg entwickeln die Soldaten durch eine Wir-Bildung intensivegegenseitige Beziehungen, Treue und Solidarität. Die Bedeutungder Nationalzugehörigkeit ist für den Krieg ebenfalls von grosserBedeutung. Hier kommt das Gefühl der Gemeinsamkeit, der Ähnlichkeitund der Zusammengehörigkeit ins Spiel, das auf gemeinsamenWesenszügen, gemeinsamer Geschichte, Sprache, Kulturund Selbstdefinition beruht. Die zahlreichen weiteren Gefühle wieparanoide Ängste, Schuldgefühle usw. spielen in der Psychodynamikdes Krieges eine grosse Rolle, auf die ich leider hier nicht weitereingehen kann.Die Bedeutung des Krieges im klinischen AlltagAls serbokroatisch sprechende Ärztin betreue ich häufig Patientenaus dem ehemaligen Jugoslawien. An Hand eines Beispiels möchteich gerne die Auswirkung des Krieges in Ex-Jugoslawien auf die inder Schweiz lebenden Gastarbeiter aufführen.Ein 45-jähriger Bosnier wird wegen persistierender diffuserSchmerzen bei Verdacht auf somatoforme- und Schmerzstörung indie Klinik eingewiesen. Die Beschwerden begannen 1995 schleichendund nahmen zu, so dass er seit 2002 zu 100% arbeitsunfähigist. In der Therapie stellte sich folgende Problematik heraus: Erarbeitete seit 1986 als Hilfsarbeiter und galt als ein sehr einsatzfreudiger,zuverlässiger und treuer Mitarbeiter. Monatlich reiste ernach Hause, kümmerte sich um seine Familie, baute ein Haus inseinem Dorf und fühlte sich erfolgreich. Der Familie ermöglichteer durch sein Einkommen soziale Sicherheit und einen besserensozialen Status. Diese Leistung wurde von der Familie anerkanntund geschätzt, was sich sehr positiv auf sein Selbstwertgefühl auswirkte.So konnte er die tägliche Erniedrigung (Bahnhilfsarbeiter,unzählige Überstunden) zu Gunsten eines guten Verdienstes kompensieren.Das Haus, das er in seiner Heimat baute, war «seinBeweis für seinen Erfolg im Ausland und sein wahrer Stolz» undverschaffte ihm die Anerkennung der Dorfbewohner. 1992 wandertedie Ehefrau mit den Kindern wegen des Krieges in Bosnienin die Schweiz ein. Das Zusammenleben beanspruchte neueAnpassungen von allen Familienmitgliedern und er war mit derIntegration der Familie durch die mangelnden Sprachkenntnissehäufig überfordert. Auch die Kinder mussten den Vater oft als hilfloswahrnehmen, was sein Selbstwertgefühl sehr gefährdete. ImKrieg wurde das Haus geplündert und seine Eltern und Geschwistervertrieben. Die Eltern starben einige Jahre danach als Flüchtlingein einer kleinen bosnischen Stadt. Viele Angehörige warenauf seine Hilfe und Unterstützung angewiesen, was eine zusätzlicheBelastung und einen zusätzlichen Druck darstellte. Über Jahrekonnte er sein Dorf und sein Haus nicht mehr besuchen. DieUrlaube machten ihm keine Freude mehr, im Gegenteil, er wartraurig, die Erinnerungen an die schönen Zeiten taten ihm sehrweh. Die Hoffnung, eines Tages zurückkehren zu können,schwand langsam, da dies auch nach acht Jahren immer noch aussichtsloswar. Die Träume, ein eigenes kleines Geschäft (Autowaschanlage)zu gründen, wurden begraben. Die Entwurzelungbesteht jetzt nicht nur hier, sondern auch in seiner Heimat, da ersein Haus und somit seinen Halt verloren hat. Auf seine Heimatund seine eigenen Leistungen war er zuvor sehr stolz gewesen. DieVerlustgefühle und Enttäuschungen durch den Verlust der eigenenHeimat (Nation) sind für ihn sehr schmerzhaft und machen ihntrostlos. Der Alltagsdruck ist praktisch nicht mehr kompensierbar.Die Kinder integrieren sich in die schweizerische Gesellschaft,haben eine andere Lebenshaltung und andere Vorstellungen, diemit den seinen sehr stark divergieren. Sie gehen ihre eigenen Wegeund die Bedeutung der Heimat wird schwächer. Die innerlicheHilflosigkeit ist unerträglich, einen Ausweg sieht er kaum. «Wosoll ich meine Kraft schöpfen und für welche Ziele arbeite ich mitgleichem Elan weiter?», fragt er sich täglich. «Es ist alles so hoffnungslos.»Bezüglich der Suche nach einer neuen Heimat ist sichdas Ehepaar uneinig. Er ist natur- und tierverbunden und möchtegerne in einem Dorf, seine Frau lieber in einer Stadt leben. Dieunbewusste Flucht in die Krankheit bietet eine vorübergehendeScheinentlastung für sein Selbst, aber der Arbeitgeber wird ungeduldigund die Stelle wird ihm gekündigt.Die Menschen haben über Jahrtausende hinweg durch denKrieg nicht nur ihre Interessenkonflikte zu lösen versucht, sonderngleichzeitig mit ihrer Existenz ihre Wertsysteme geprägt, ihre innerenKonflikte externalisiert, ihre Defizite aufgrund überhöhterSelbsteinschätzung und mangelnden Einfühlungsvermögens fürandere kompensiert, ihre Heldenideale geformt und ihre Sinnlosigkeitsgefühleüberspielt. Ist die Globalisierung die Chance fürdie «Denationalisierung» und bietet sie eventuell eine Prophylaxegegen den Krieg? Prof. Stavros Mentzos meint: Es ist keine Denationalisierungper se zu wünschen, sondern eine Balance, innerhalbderer die jeweils anzustrebende dialektisch-integrativeLösung der Konflikte zur Entstehung von echter und schöpferischerWir-Bildung führen würde.«Wenn du Frieden willst, erforsche den Krieg», sagte Spiellmann1987. Will man den Frieden, dann muss man insbesonderedie psychosoziale Funktion, die bislang der Krieg erfüllte, aufandere Weise ermöglichen und dadurch die Funktion des Kriegesüberflüssig machen.45


NachleseBeiträge ausserhalb unseres Jahresthemas


Brigitta Bommer, MaltherapeutinAuf der Suche nach den verlorenenGeschichtenNeugierig sammeln sich die Menschen aufdem Platz um die Geschichtenerzählenden:Was einem Touristen als Märchen ausTausendundeiner Nacht erscheint, wird aufdem Platz Djema el Fna jeden Abend Wirklichkeit. Die Unescohat diesen Platz im marokkanischen Marrakesch in die Liste derMeisterwerke des mündlichen und immateriellen Erbes derMenschheit aufgenommen. Die Auswahl erfolgte auf Grund folgenderKriterien: herausragender Wert, Verwurzelung in der kulturellenTradition, gesellschaftliche Bedeutung, Quelle von Inspirationund interkulturellem Austausch, zeitgenössische kulturelleund soziale Rolle usw. Ein solcher kultureller Raum ist eben der«Das Narrative ist seitlangem als heilsambekannt.»Platz Djema el Fna.Nicht seine Bauweiseist es, die ihn zumMenschheitserbe auszeichnet,nein, die Menschen sind es, die auf diesem Platz durchmündliche Überlieferung ihr Brauchtum lebendig halten undweiterentwickeln. Sowohl die Geschichtenerzählenden wie dieSchlangenbeschwörer und die Kräuterhändlerinnen sind ÜbermittlerInnender Tradition. Der Djema el Fna ist heute bedroht,sowohl durch Modernisierungsmassnahmen wie auch durch denstetig wachsenden Autoverkehr und den Tourismus.In vielen Kulturen gab es über Jahrhunderte einen Berufsstand,der in hoher Achtung stand: jener der Chronisten und Geschichtenerzähler.Ihre Aufgabe war es, die Erinnerung an die Geschichteeines Dorfes, einer Region und ihrer Menschen zu wahren undvon Generation zu Generation weiterzugeben. Sie waren HüterInnender Erinnerung und verhinderten das Vergessen. Schon derUmstand, dass diese Welt überhaupt eine Unesco braucht, die daskulturelle Welterbe wie ein Museumsstück unter eine Glashaubestellen muss, sollte uns nachdenklich stimmen und erst recht derGedanke, dass wir schon so weit sind, dass es kaum mehr Plätzegibt für Geschichtenerzählende und ihre Zuhörenden. Bei unssind sie schon lange verschwunden, die Menschengruppen, diesich am Abend zur Sommerzeit auf dem Dorfplatz oder am Brunnenzusammenfanden und winters in einer Stube zum Schwatzüber die Tagesgeschichten. Heute erscheinen diese in den Medienin einer Einwegkommunikation. Die Flut von Geschichten, zudenen wir keinen Bezug haben, ist dermassen gross, dass aus derÜberforderung heraus oft nur noch eines bleibt: Nicht mehr hinschauen,nicht mehr hinhören!Dem möchte der für <strong>2003</strong> gewählte Jahresschwerpunkt«Geschichte – Geschichten» entgegenwirken!Das Narrative ist seit langem als heilsam bekannt. DiesemHeil-Samen möchten wir in der Klinik im laufenden Jahr mitverschiedenen Projekten unsere Aufmerksamkeit schenken. DasThema hat die Kultur- und Gestaltungsgruppe der Klinik mit denfolgenden Absichten lanciert: Wir möchten das Narrative in denverschiedenen Berufs- und PatientInnengruppen fördern – überdas Leitthema der «Vier Jahreszeiten». Unterschiedliche Gruppenan verschiedenen Orten und Anlässen sollen das Jahr hindurchGeschichte(n) hören, riechen, fühlen, erleben, ertasten, schmecken,lesen, schreiben, erzählen, sehen, erwandern usw. So wurdez.B. eine Wegstrecke zum «Geschichtenweg» erklärt, wo manGeschichten hautnah, sinnlich, gehend erleben kann. Entlang desWeges finden sich verschiedene Briefkästen, aus denen die Wanderndeneinen Text entnehmen und sich damit auseinandersetzenkönnen oder einen eigenen Text hinterlegen, an einem Bestehendenweiterschreiben usw.Wir sammeln all die Geschichten, die auf diese Art übers Jahrhindurch entstehen. Sie werden regelmässig veröffentlicht ineinem überdimensioniertenroten Buch,das im Wartehäuschenbei der Bushaltestelleim Klinikdorfinstalliert ist.Einmal in jederJahreszeit ist ein Geschichtenerzählerbeiuns zu Gast. Unterwegsin der Naturerzählt er von längstvergessenen Zusammenhängen,altenBräuchen und Wissenund nimmt seineZuhörerInnen mitauf eine Reise, dieSinnzusammenhänge«Als TherapeutInnensind wir HüterInnen derGeschichte unsererPatientInnen. Im therapeutischenProzessforschen wir gemeinsamnach einem vertieftenVerständnis der individuellenLebensgeschichte –vertrauend darauf, dassauf diese Weise neue Zukunftsperspektiveneröffnetund Heilungsschritteeingeleitet werden.»aufzeigt, zu denen wir heutigen Menschen kaum mehr einenZugang haben. Wer mit den Frühlingsgeschichten mit auf demWeg war, wird diesen Nachmittag nicht so schnell vergessen, denn47


48 ein wahrer Erzähler nimmt sein Publikum mit auf eine magischeReise in die Welt der Fantasie, in der die Grenze zwischen dem,was «wirklich» und was «erfunden» ist, völlig fliessend ist. In eineWelt, in der Fülle an Zeit auch eine Form von Reichtum darstellt.In unserem Klinikalltag haben einige Berufsgruppen eine ganzähnliche Aufgabe wie die oben genannten ChronistInnen: AlsTherapeutInnen sind wir HüterInnen der Geschichte unsererPatientInnen. Im therapeutischen Prozess forschen wir gemeinsamnach einem vertieften Verständnis der individuellen Lebensgeschichte– vertrauend darauf, dass auf diese Weise neue Zukunftsperspektiveneröffnet und Heilungsschritte eingeleitet werden.Im klinischen Alltag im Stationsmilieu und in der PatientInnengruppeentstehen immer wieder neue Geschichten, welche dieErinnerung beleben und wichtige Voraussetzungen für therapeutischeVerarbeitungs- und Entwicklungsprozesse schaffen. Auf dieseWeise verweben sich Geschichte, Geschichten und deren Erzählungzu zentralen therapeutischen Wirk- und Heilfaktoren.An dieser Stelle möchten wir auch auf die bevorstehendeFachtagung aufmerksam machen mit dem Titel:Heilung durch Geschichte(n) – Das Heilsamedes NarrativenReferentInnen:Prof. Dr. med. Daniel HellGeschichten vom Unsagbaren – Zur Wirkungsgeschichteder WüstenväterDr. Phil. Mario ErdheimVerstrickt in Geschichten – EthnopsychologischeBetrachtungenProf. Dr. phil. Brigitte BootheHeilung durch Geschichten? Leiden und Freuden inErzählgestaltProf. Dr. med. Nossrat PeseschkianDie Anwendung von Geschichten und Lebensweisheitenin Psychotherapie und SelbsthilfeMarianne Tobler und das PlaybacktheaterRenaissance einer alten Tradition – PersönlicheGeschichten improvisiertDonnerstag, 30. Oktober <strong>2003</strong>, 9.00–17.15 Uhr, in derKlinik LittenheidDetailprogramm: Bitte anfordern beim Ärztesekretariat,Frau Heidi Falk, Tel. 071 929 63 51, h.falk@littenheid.ch


Urs Zürcher, Leiter Organisationsentwicklung und QualitätsmanagementDient die Messung der Patientenzufriedenheitauch dem Patientennutzen?Warum Messung der Patientenzufriedenheit?In der Klinik Littenheid wird seit einigenJahren in einzelnen Bereichen der Klinikdie Zufriedenheit der Patienten erhoben. Die Bereiche StationärePsychotherapie und Jugendpsychiatrie setzten seit längerer Zeiteinen eigenen Patientenfragebogen ein.Mit dem Beitritt unserer Klinik zum QualitätsrahmenvertragH+/santésuisse verpflichteten wir uns zur Erhebung der Patientenzufriedenheitmittels eines vorgegebenen Fragebogens. ZumZeitpunkt, als wir uns für ein Instrument entscheidenmussten, standen die beiden Fragebogen McLean Perceptions ofCare (PoC 18 German) und der Münsterlinger Patientenfragebogen(Müpf) zur Verfügung.Da beim PoC 18 die Befragungen während des Klinikaufenthaltesrespektive vor dem Austritt erhoben werden und da erzudem aus einer geringeren Anzahl Fragen besteht, rechneten wirmit einer höheren Rücklaufquote, was uns bewog, uns fürden PoC 18-Fragebogen zu entscheiden. Seit dem 1. Juni 2002erfassen wir auf allen unseren 14 Stationen die Patientenzufriedenheitmit dem PoC 18.«Mit der Patientenbefragungverfolgen wirdas Ziel, unsere Stärkenund Schwächen ausder Sicht der Patientenzu erkennen.»Das InstrumentDer McLean PoC 18 ist ein patientenzentriertes Instrument, dasdie subjektiven interpersonellen Erfahrungen während der Behandlungin stationären psychiatrischen Kliniken erfasst. In unseremFalle besteht derFragebogen aus 18 Standardfragen,4 klinikspezifischenZusatzfragenund einer Freitextfrage.Der Fragebogen wirdden Patienten am 43.,181., 365. und 720.Aufenthaltstag sowie beiStationsübertritten unddem Klinikaustritt abgegeben.Bei der erstmaligen Abgabe des Fragebogens erhält derPatient einen Begleitbrief, aus dem hervorgeht, dass das Ausfüllendes Fragebogens freiwillig ist und alle Daten in Übereinstimmungmit den kantonalen Bestimmungen zum Datenschutz behandeltwerden. Der Fragebogen wird durch den Patienten in ein Kuvertgelegt, welches er verschliesst. Das Kuvert wird ungeöffnet an dieunabhängige Auswertungsstelle weitergeleitet.Die ErgebnisseZur Zeit liegen uns die Auswertungen von 3 Quartalen vor. DieRücklaufraten liegen bei 50–60 Prozent. Dabei ist zu bemerken,dass der Rücklauf bei den Fragebogen Übertritt und Austritt eherum die 30–50 Prozent liegt, während der Rücklauf beim 43., 181.,365, 720. Tag bei 50–80 Prozent liegt.Wir sind uns bewusst, dass der Fragebogen nicht das ganzeSpektrum der Erfahrungen unserer Patientinnen und Patientenwiedergeben kann. Trotzdem erachten wir die Ergebnisse derZufriedenheitsmessung als aussagekräftig und sehr erfreulich. Vonden 18 Standardfragen erreichte die Mehrheit das sehr gute Ergebnisvon 80% und mehr. Insbesondere dürfen wir vermerken, dassunsere Bemühungen bezüglich einer guten patientenorientiertenBehandlung von den Patienten auch entsprechend anerkannt werden.Wenn auch die Auswertung der Gesamtklinik den Rückmeldungender einzelnen Stationen nicht gerecht wird, so ist doch einTrend bezüglich derderzeitigen Stärkenund Schwächen erkennbar.Die Auswertungender einzelnenStationen zeigen einähnliches Bild wie dieAuswertung der Gesamtklinik.Dabei istzu bemerken, dassbesonders die Patientender Jugendpsychiatriesehr viel «kritischer»in der Beantwortungder Fragensind. Dies ist auch gutzu verstehen, ist dochzu erwarten, dass die«Die Patientenzufriedenheitsmessunggibt unswichtige Hinweise aufSchwachstellen in unsererArbeit und leistetdamit einen wichtigenBeitrag zur Steigerungder Behandlungsqualitätin unserer Klinik.»jungen Menschen, welche in ihrem Entwicklungsstadium mitihrer Identitätsfindung beschäftigt sind, sich eher schwer tun, dieLeistung ihrer erwachsenen Betreuerinnen und Betreuer als gutoder sehr gut einzustufen.49


Auswertung PoC 18 pro Quartal, GesamtklinikInfo über Abläufe und RegelnInfo über PatientenrechteNutzen und Risiken der MedikamentePersonal erklärt alles verständlichBeteiligung an Behandlungsentscheiden50Personal hat Familie gut miteinbezogenPersonal hört gut zuPersonal arbeitet als TeamPersonal nimmt sich genug ZeitPersonal behandelt Sie mit Respekt, WürdePersonal unterstützt und bestärkt3.024.021.03Nachsorgeplan erarbeitetInfo über Notfall-Prozedere nach AustrittInfo über Selbsthilfegruppen etc.Info über RückfallverhütungHilfe durch den AufenthaltGesamturteilEmpfehlung dieser Einrichtung/Klinik0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100%NutzenMit der Patientenbefragung verfolgen wir das Ziel, unsere Stärkenund Schwächen aus der Sicht des Patienten zu erkennen. DieRückmeldungen der Patienten bilden die Grundlage auf der Suchenach Verbesserungspotenzialen. Dabei ist zu bemerken, dassdie Auswertungen der jeweiligen Erhebungsperiode uns erstca. 1 1 /2 Monate nach dem entsprechenden Quartal zur Verfügungstehen. Der Prozess für eine gezielte Verbesserung setzt erst verzögertein, so dass allfällige Verbesserungen kaum im darauf folgendenErhebungsquartal wirksam werden können.Wir dürfen mit Genugtuung feststellen, dass im Vergleich derdrei Auswertungen bei der Mehrheit der Stationen bei verschiedenenPunkten eine erhöhte Zufriedenheit der Patienten ausgewiesenwerden kann. Die Patientenzufriedenheitsmessung gibt unswichtige Hinweise auf Schwachstellen in unserer Arbeit und leistetdamit einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Behandlungsqualitätin unserer Klinik.


Dr. med. Oliver Bilke, Leitender Arzt JugendpsychiatrieStatistik 2002Eintritte nach Geschlechtern 1998–2002Auch im Jahr 2002 setzte sich die Steigerung der Eintritte fort. Im Vergleich zum Vorjahr stieg diese Zahl um 11%, im Vergleich zu 1998um 46%. Im betrachteten Fünfjahres-Zeitraum betrug die durchschnittliche Zuwachsrate bei den Eintritten 7%. Die Geschlechtsrelationhat sich im Jahr 2002 von 1:1,29 auf 1:1,39 verändert.51Jahr Männer Frauen Total Geschlechtsrelation1998 269 326 595 1:1,211999 278 302 580 1:1,092000 307 427 734 1:1,392001 342 441 783 1:1,292002 364 507 871 1:1,39MännerFrauenTotal90080070060050040030020010001998 1999 2000 2001 2002Eintritte nach Alter 1998–2002Die Verteilung der Altersgruppen ist weitgehend konstant in den letzten Jahren. Die Zunahme der Gesamtaufnahmezahl zeigt sichbesonders bei den jüngeren und älteren Patienten. Die Eintritte in der Altersgruppe 10–19 Jahre stiegen um 78%, die der Lebensphaseab 60 Jahren um 34%. Der Anteil der Patienten unter 30 Jahre betrug insgesamt 40%.Jahr 10–19 20–29 30–39 40–49 50–59 60–69 70–79 80–991998 107 104 119 140 60 39 15 111999 95 111 123 107 84 33 21 62000 89 144 145 140 110 58 31 172001 96 158 170 149 128 34 32 162002 171 176 147 149 118 51 37 22


Eintritte nach Kantonen 1998–2002Die Zahl der Patienten aus den Vertragskantonen nahm auch im Jahre 2002 weiter zu. Die bewährte Kooperation mit unserem StandortkantonThurgau (plus 15%) und den Vertragskantonen Schwyz (plus 18%) und Zug bildete sich in den Zuweisungen ab.Kanton 1998 1999 2000 2001 2002TG 238 200 300 315 363SZ 45 60 110 126 149ZG 21 28 52 55 55ZH 115 113 75 71 62SG 84 87 89 93 103Übrige 92 92 108 123 139Total 595 580 734 783 87152TGSZZGZHSGÜbrige40037535032530027525022520017515012510075502501998 1999 2000 2001 2002Eintritte nach Klinikbereichen 1998–2002Die Zahl der Eintritte bildet die unterschiedlichen Aufgabengebiete der vier Klinikbereiche ab. Während in der Gerontopsychiatrie (Zuwachs11%) und der Stationären Psychotherapie Wahleintritte dominieren, hat die Akutpsychiatrie einen definierten Versorgungsanteilam Kanton Thurgau. Die Jugendpsychiatrie (Zuwachs 106%) hat den Vollversorgungsauftrag für die Kantone Thurgau, Schwyz, Zugsowie seit 2002 für Schaffhausen und mit 5 Betten ergänzend für St. Gallen.1998 1999 2000 2001 2002Akutpsychiatrie 311 294 418 428 431Stationäre Psychotherapie 127 124 125 143 144Gerontopsychiatrie 81 84 137 149 166Jugendpsychiatrie 76 78 54 63 130Total 595 580 734 783 871


Eintrittsdiagnosen 1998–2002Die einzelnen Diagnosegruppen nach der ICD-10 entwickelten sich im Jahre 2002 gesamtklinisch differenziert. Die dominierendenBereiche F3 (plus 13%) und F4 waren weiter bedeutsam. Aufgrund mangelnder institutioneller Weiterplatzierungsmöglichkeiten stiegweiterhin die Zahl sekundär sozial auffälliger Jugendlicher (F9) aus den Pflichtversorgungsgebieten (plus 62%). Auch die Zahl derBenutzer psychotroper Substanzen (F1) nahm um 15% zu, während die Zahl organischer psychischer Störungen deutlich sank.1998 1999 2000 2001 2002F0 16 15 25 22 3F1 79 52 71 92 106F2 74 75 113 113 96F3 207 236 274 278 315F4 112 98 147 160 164F5 23 22 32 27 33F6 46 48 49 56 69F7 2 1 1 2 5F8 3 2 0 1 3F9 33 31 22 32 5153F0 Organische inkl. symptomatische psychische StörungenF1 Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotropeSubstanzenF2 Schizophrenie, schizotype und wahnhafte StörungenF3 Affektive StörungenF4 Neurotische, Belastungs- und somatoforme StörungenF5 Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungenund FaktorenF6 Persönlichkeits- und VerhaltensstörungenF7 IntelligenzminderungF8 Umschriebene EntwicklungsstörungenF9 Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn inKindheit und Jugend2002F0 0,4%F1 12,5%F2 11,3%F3 37,2%F4 19,4%F5 3,9%F6 8,2%F7 0,6%F8 0,4%F9 6,1%Mehrfachdiagnosen (Austrittsdiagnosen) 1998–2002Mittlerweile haben 290 von 855 Patienten drei psychiatrische Diagnosen, d.h. 34% aller Patienten sind mehrfach von seelischem Leidbetroffen. In 13% der Fälle mussten sogar vier Diagnosen gestellt werden, in 15% fünf Diagnosen und mehr. Hier bildet sich auchklinisch die epidemiologisch nachgewiesene Tendenz der chronischen Mehrfachstörungen ab.HD ND1 ND2 ND3 ND4 u. mehr1998 639 254 87 23 81999 573 330 133 44 102000 727 514 221 63 152001 777 549 246 91 362002 855 600 290 114 133


Wir gratulieren54Dienstjubiläen 200210 DienstjahreEva BrunnerAktivierungstherapeutin30 DienstjahreMarcial RodriguezMaurerAnna DietzEveline DudliAngestellte ReinigungPflegefachfrauMathias ErneStationsleiter25 DienstjahreKauko JäppinenPflegefachmannGrazia LeonardiFelix OswaldAngestellte NähereiPflegefachmannKaarina KarlstedtStationsleiterinKarin PreterLeiterin ApothekeJörg WunderwaldOberarztDoris TrieblnigMusiktherapeutinUte VetterKlinische Psychologin20 DienstjahreMargrit EisenringPflegefachfrauWir danken den Jubilaren herzlich für ihre langjährige undSpomenka GosticStationshilfeaktive Mitarbeit.Necmettin KilbeyAngestellte ReinigungElzamma ParampettPflegefachfrauAndreas SchneiderLeiter Schreinerei15 DienstjahreHeidi AggelerLeiterin WäschereiLehrabschlüsse 2002Bettina BaldoMarija DjukicJolanda HaslerBewegungstherapeutinPflegefachfrauBibliothekarinDas Diplom-Niveau II für psychiatrische Krankenpflege desSchweizerischen Roten Kreuzes erwarben:● Mirjam AlthausMilanka KljajicMihaly KockaAngestellte WäschereiPflegefachmann● Daniel Gehrig● Tamara GiesserAli KontCorina LonardiDusanka MoravacSusy WagnerBeatrice WeyLilly WiesliStationshilfePflegefachfrauPflegefachfrauBereichsleiterin PflegeAngestellte VerwaltungAngestellte Laden● Christian Hilgart● Ilona Hürner● Silvia Mattle● Lucia Meili● Corinne Wehrlin● Heidi WyrschMilica ZivanovicStationshilfe


Leitende Mitarbeiterinnen und MitarbeiterAllgemeine Leitung Hans Schwyn55Chefarzt Dr. med. Markus Binswanger Chefarzt-Stellvertreter Dr. med. Jörg BurmeisterLeitende Ärzte/-innen Dr. med. Oliver Bilke; Dr. med. Susanne Kunz Mehlstaub; Dr. med. Jokica VrgocOberärzte/-innen Dr. med. Heidi Eckrich; Dr. med. Eckhard Freund; Dr. med. Christoph Fuhrhans; Dr. med. Elisabeth Koppensteiner;Dr. med. Sibille Kühnel; Dr. med. Michael Mayer; Dr. med. Carola Schildbach; Dr. med. Thomas Schuhmann;Dr. med. Christiane Thomas; Dr. med. Jörg WunderwaldStationsärzte/-innen Dr. med. Britta Baumann-Schanné; Dr. med. Oliver Christen; Dr. med. Matthias Esenwein;Dr. med. Bernd Frank; Dr. med. Lorenz Friedrich; Dr. med. Christian Henkel; Dr. med. Waltraud Horeth;Dr. med. Monica Hubschmid; Dr. med. Marius Hul-Waskowiak; Dr. med. Corinna Köpp; Dr. med. Eva Kunz;Dr. med. Christoph Müller; Dr. med. Björn Press; Dr. med. Jürgen Rüegg; Dr. med. Bettina VölkleKlinische Psychologen/-innen Dr. phil. Margitta Backes; Noori Beg; Sophie Christen; Peter Fischer; Dr. phil. Monika Földényi;François Gremaud; Colette Guillaumier; Verena Müller; Christian Rappan; Ute VetterSozialdienst Roland Asprion; Caroline WelschLeiter Pflegedienst Hubert DietschiBereichsleiter/-in Pflege Stephan Albert; Raymond Scheer; Susy WagnerBereichsleiter Pädagogik Jugendpsychiatrie Urs GasserStationsleiter/-innen Irene Blumer; Ernst Boos; Elisabeth Burtscher; Louis Chopard; Phuntsok Dahortsang; Mathias Erne;Peter Fleischmann; Annelies Helfenberger; Hendrik Johannes Houwing; Monika Hüppi; Kaarina Karlstedt; Henricus Slaats;Zeljka Slijepcevic; Martin WeyerKlinikschule Albert Thür, Leiter; Jeannette Röösli; Beate ToninaLeiter Ökonomie Lucien KesslerLeiter Verwaltung Daniel WildWeitere leitende AngestellteAktivierungstherapie Anna-Marie GuadagniniArbeitstherapie/Beschäftigung Jürg Denzler; Verena Mächler; Bruno MeierErgotherapie Ulla OggerMaltherapie Brigitta BommerPhysio- und Bewegungstherapie Bettina Baldo; Monika-Rosanna Corrodi; Martin KempfApotheke Monika HaagLabor Ingrid HofmannBetriebe Ernst Abbt, Schlosserei; Heidi Aggeler, Lingerie; Carmen Breu, Café «Huggi»; Andrea Caspar, Kinderkrippe; Helene Leonardi,Näherei; Erwin Brauchli, Techn. Betriebe; Werner Pfister, Malerei; Andreas Schneider, Schreinerei; Markus Scheiwiller, Küche; MarieVetsch, Hausw. Betriebsleiterin; Martin Waldispühl, Gärtnerei; Edith Weiss, Hausw. BetriebsleiterinSeelsorge, Pfarrherren P. Schüle, evang. Pfarramt Sirnach; B. Muntwyler, kath. Pfarrer, Kantonsspital Frauenfeld;M. Geu, Methodistenkirche EschlikonStand: Juli <strong>2003</strong>


Der Patient als PartnerUnsere Klinik steht Menschen bei, die ihr seelisches Gleichgewicht verloren haben undzeitweilig auf einen geschützten Rahmen angewiesen sind. Die Vielfalt und Professionalitätunseres psychiatrischen und therapeutischen Angebotes soll dazu dienen, diepsychischen, sozialen und körperlichen Störungen zu beheben oder zu mildern sowievorhandene Kräfte und Fähigkeiten wieder zu stärken. Dabei ist es unser gemeinsamesZiel, die Patientinnen und Patienten so rasch wie möglich und so behutsam wie nötigin den Alltag zurückzuführen. Eine schöne und ruhige Umgebung, der architektonischeKomfort unserer Gebäude sowie der Dorfcharakter unserer Klinik bieten dazu einoptimales Umfeld.Die umsichtige Planung des KlinikeintrittesVon einem ersten informellen Besuch, einer unverbindlichen Klinik-Führung bis zumeigentlichen ärztlichen Abklärungs- resp. Eintrittsgespräch sind verschiedene Formender Kontaktaufnahme möglich. In der Regel erfolgt die Anmeldung durch denHausarzt. Gerne geben wir auch Auskunft über weitere Fragen des Klinikaufenthaltes,über spezifische Behandlungsangebote auf den einzelnen Stationen sowie über dieFragen der Finanzierung des Klinikaufenthaltes. Als Kontaktperson steht Frau BrigitteKühni, Ärztesekretariat, für Auskünfte zur Verfügung.Adresse:Klinik für Psychiatrie und PsychotherapieCH-9573 LittenheidTelefon Ärztesekretariat 071 929 63 50Fax Ärztlicher Dienst 071 929 60 10Telefon Klinik/Empfang 071 929 60 60Fax Verwaltung 071 929 60 30E-Mail: info@littenheid.chwww.littenheid.chÖffentliche VerkehrsmittelAb dem Bahnhof Wil/SG (ca. 4 km) besteht eine Busverbindung nach Littenheid imStundentakt.Freibettenfonds<strong>Stiftung</strong>szweck dieses Fonds ist es, bedürftigen Patienten durch Beiträge den Klinikaufenthaltüber kürzere oder längere Zeit zu ermöglichen.Postcheck-Konto 85-227-0, Vermerk «Freibettenfonds»


Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Firmen der Littenheid-Holding AG:Abbt-Peterer Ernst, Abduli Zimrije, Abuta Joyce, Adams William, Aggeler Heidi, Ahorn Judith, Albert Sonja,Albert Stephan, Almeida Jana, Altwegg Marion, Ammann Frieda, Ammann Oswald Ursula, Amrhein Tanja,Andermatt Priska, Angst Joëlle, Aral Gülizar, Arnold Claudia, Asprion-Heule Roland, Babic Marlen,Bachmann Hans Peter, Backes Karadogan Margitta, Balada Ursula, Baldo Bettina, Baric-Zloh Zlatka,Bärlocher Iris, Bartels Michael, Bauer Ariette, Bauer Erika, Baumann Désirée, Baumann-Schanné Britta,Baumberger Anna, Baumgartner Elsa, Baumgartner Hansruedi, Beg Noori, Belt Johannes, Berlinger Valérie,Biedermann Nadja, Bilke Oliver, Bindschedler Marcel, Bindschedler Rosmarie, Binswanger Markus, BlumerIrene, Bolt Maria, Bommer Fusco Brigitta, Boos Ernst, Borgards Cornelia, Brand Marija, Brändle Zita,Brauchli Erwin, Braun Edith, Braun Markus, Breu Carmen, Brockhus Marcellus C. M., Broger Manuela,Brömmer Martin, Brotzer Roman, Brühwiler Monika, Brun Claire, Brunner Eva, Brunschwiler Rahel, BüchelMonika, Büchi Mohl Madeleine, Buga Gyurmie, Buhl Jasmin, Burmeister Jörg, Burtscher Elisabeth, CakirHalil, Camenzind Christine, Caramazza Gianna, Casangcapan Rufina, Caspar Andrea, ChandrasegeramAnita, Chopard Louis, Christen Oliver, Christen Sophie, Christen Ulrich, Conconi Silvio, Corrodi Monika-Rosanna, Crivelli Alessandra, Dahortsang Peng Cuo Da Ji, Dahortsang Phuntsok, De Stradis Raffaella, DeariDzemilije, Denzler Jürg, Dietschi Hubert, Djukic Marija, Dübendorfer Christa, Dudli Eveline, Ebeling Susann,Eberle Lukas, Eckrich Heidemarie, Edelmann Ramona, Egger Sonja, Egli Werner, Eigenmann Sandra,Eisenring Margrit, Erne Mathias, Esenwein Matthias, Etzensperger Barbara, Falk Heidi, Feth Nadia, FischFranziska, Fischer Peter, Flater Astrid, Fleischmann Peter, Fluri Michaela, Földényi Monika, Forrer Doris,Frank Bernd, Frehner Erwin, Frei Marianne, Freund Eckhard, Frey Martina, Frick Daniel, Friedrich Lorenz,Frischknecht Jan, Fröhlich Ruth Laura, Fuchs Ursula, Fuhrhans Christoph, Furrer Renata, Furtana Dincer,Furtana Elif, Furtana Halil, Furtana Hatice, Gamba Daniela, Gasser Urs, Gavranic Mara, Gerber Markus,Giannuzzi Gabriela, Giesser Tamara, Giezendanner Sonja, Giger Maya, Girsberger Andri, Gisler Christoph,Glaser Michael, Gostic Spomenka, Grabher Martin, Graef Peter, Graf Daniel, Gremaud François, GrobEvelyn, Grögli Heidi, Grögli Rebekka, Grossglauser Christoph, Guadagnini Annamarie, Guillaumier Colette,Günay Kadir, Günay Nebiye, Gutweniger Vreni, Haag Monica, Handschin Eveline, Harder Roland, HaslerOlivia, Hasler Jolanda, Hauck Ursula, Hauser Heidi, Heijerman Jacoba, Heimberg Susanne, Heine Anton,Helfenberger Annelies, Henkel Christian, Hensle Renate, Herzig Claudia, Hess Marlene, Hess Sonja,Hofmann Daniela, Hofmann Ingrid, Hohl René, Holenstein Claudia, Hoost Karla, Horeth Waltraud,Houwing Hendrik Johannes, Huber Eveline, Hubschmid Monica, Hug Marie-Louise, Hul-Waskowiak Marius,Hüppi Monika, Hürlemann Madeleine, Hürlemann Margrit, Hutter Gabriela, Iacobozzi Alberto, IndermaurEsther, Injodikaran Reena, Iseli Krähenmann Beatrice, Jacob-Ebbinghaus Luzia, Janett Maria, JäppinenKauko, Jaun Walter, JungJahres-Michael, Jung Monika, Karisik Emina, Karlstedt Kaarina, Karsay Margrit,Kathriner Rosmarie, Kauth Tanja, Keist Sonja, Keller Bruno, Keller Doris, Keller Hansruedi, Kempe Viola,Kempf Martin, Kesim Raziye, Kesim Abdullah, Keskin Dilek, Keskin Pembe, Keskin Yilmaz, Kessler Lucien,Kessler Margrith, Khair Semira, Kilbey Gülay, Kilbey Necmettin, Kis Gabor, Klaus Veronika, Kljajic Milanka,Kljajic Zorica, Klopfer Corinne, Kluge Meike, Knecht Rita, Kobelt Esther, Kocka Mihaly, Kocka Miroslava,Kofel Ursula, Koller Christof, Koller Ruth, Kont Ali, Köpp Corinna, Koppensteiner Elisbeth, Korsch Anja-Maria, Kouwenhoven Menno, Krausse Axel, Krishnapillai Krishnakumar, Kühnel Sibille, Kühni Brigitte,Kunz Eva, Kunz Lorenz, Identität Kunz Mehlstaub der Susanne, Gesellschaft Künzle Urs, Kurian – Jansamma, Lahti Jukka, LandoltJakob, Ledergerber Yvonne, Leiterer Gertrud, Lenz Eva, Leonardi Grazia, Leonardi Helene, LeuenbergerIdentität der SeeleCornelia, Leven Katrin, Liurni Clementine, Liurni Robert, Lonardi Herrmann Corina, Loppacher Karin, LuderAnneliese, Ludescher Nadja, Lukac Ilija, Lüscher Ursula, Lüthi Andrea, Mächler Verena, Mäder Tatjana,Marko Bojan, Mayer Michael, Meier Bruno, Meier Elsbeth, Meier Ruth, Meile Beat, Meili Lucia, MemetiJetmire, Menegola Pia, Menzi Kuno, Micic Radojka, Mijatovic Adriana, Mikolasek Eeva, Mitic Dubravka,Molkenboer Catherina, Müller Annemarie, Müller Christoph, Müller Hans, Müller Sarah, Müller Susanne,Müller Verena, Notter Cornelia, Oberholzer Anne-Marie, Oberthaler David, Ochsner Monika, OdermattLina, Oehler Christiane, Oehlschlegel Cornelia, Ogger Ulla, Omollo Omondi, Osmani Dzemile, OsmaniHajrije, Oswald Anton, Oswald Felix, Paberzis Bryan, Parampett Elzamma, Pavlica Milka, Pavlovic Jela, PelliMarja, Petrovic Simka, Pfister Werner, Pinheiro Luis, Pollmann André, Press Björn, Preter Karin,Quasnitschka Björn, Räbsamen Regula, Radovanovic Danka, Ramsperger André, Rappan Christian, RatkicLjubica, Rauber Kay, Rauch Bettina, Redzepi Mahije, Reifer Rosa Maria, Reimann Marta, Ricek Vida,Rickenbach Alex, Ring Robert, Rodriguez Marcial, Romanelli Katharina, Romer Astrid, Röösli Jeannette,Roth Martin, Ruckstuhl Sonja, Rüegg Jürgen, Rüegger Christina, Rüesch Anton, Rütsche-Rüesch Ruth, SaitiRakip, Saiti Luljeta, Savic Milina, Scheer Raymond, Schefer Monika, Scheiwiller Markus, Schildbach Carola,Schmeitz Paul H. C., Schmid Annemarie, Schmid Claudia, Schmid Doris, Schneider Andreas, Schnitzler Erika,Schöb Guido, Schoch Beat, Scholz Yvonne, Scholz Walter, Schuhmann Thomas, Schulz Manuela, SchwarzElisabeth, Schwendimann Ingrid, Schwyn Hans, Schwyn Marianne, Seiringer Andrea, Senn Brigitte,Shitsetsang Dickie, Siegenthaler Maria-Roswitha, Siegrist Peter, Simon Heidrun, Simon Heinz, SlaatsHenricus, Slijepcevic Zeljka, Stadler Marie-Louise, Stahel Carmen, Stark Jenny, Starke Messikommer Katrin,Stauffacher Elsa, Steiner Kurt, Steudler Matthias, Stöckli-Böhi Guido, Stoll Alexander, Storrer Lisbeth,Stössel Michael, Stücheli Pius, Stump Cornelia, Subramaniam Jeevakanthan, Süggeler Detlef,Suntharampillai Vijayakumar, Susanek Brigitte, Sutter Luzia, Talamona Christian, Tamao Anna Maria, ThieleBianca, Thieme Bernd, Thomas Christiane, Thür Albert, Thüringer Arno, Tikvic Nikola, Tinner Roger, ToblerBrigitta, Tobler Heidi, Todorovic Milena, Tonina Beate, Topalovic Miroslav, Travaini Edith, Trieblnig Doris,Trüb Markus, Tschirky Doris, Uhrig Evelyne, Vasiljevic Jelica, Vasiljevic Rada, Verloove Frits, Vetsch Marie,Vetter Ute, Villa Marisol, Völkle Bettina, Vrgoc Jokica, Vurusic Bojana, Vurusic Ivan, Vurusic Stefka, WagnerSusy, Waldispühl Martin, Walt Konrad, Weber Rosmarie, Weckerle Andreas, Wehrlin Corinne, Weiss Edith,Welsch Caroline, Wey Beatrice, Weyer Martin, Widmer Bernadette, Widmer Linda, Widmer Gabriela,Wielatt Rosa, Wiesli Lilly, Wiesli Waltraud, Wild Daniel, Wildersinn Ralf, Wohlwend Kupper Lotty, WongChuy-Ying, Wüest Fritz, Wunderwald Jörg, Wyss Ursula, Yücel Derya, Yücel Hüsnü, Yücel Meryem, ZehnderCäcilia, Zimmerli Hans, Zimmermann Evelyn, Zivanovic Djurdjija, Zivanovic Milica, Zuberbühler Marianne,Zulic Azra, Zulic Mirzeta, Zuppinger Brigitte, Zürcher Urs. Stand: Juli <strong>2003</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!