18darf. Psyches Schwestern, zu Besuch in Amors Palast,entfachen ihre Neugier. Sie hält eine brennende Lampe über denGeliebten und erkennt entzückt den Liebesgott. Doch ein Tropfendes heissen Öls weckt ihn auf, er muss sie verlassen, da sie seinGebot übertreten hat. Fazit: Wenn die Seele erotisch fixiert wird,verschwindet sie. Nach gefährlichen Irrfahrten im Banne der nochimmer hasserfüllten Venus kommt es schliesslich durch Vermittlungder Götter doch noch zur ersehnten Vereinigung der beidenLiebenden, die sogar in den Kreis der Unsterblichen aufgenommenwerden.Analog versus digitalBekanntlich haben unsere beiden Hirnhälften verschiedene, sichergänzende Funktionen. Die linke Hirnhälfte ist in der Regel Sitzunseres Sprachzentrums und steht für begriffliches Denken undAbstraktionsvermögen, vermittelt Einzelheiten, «sieht den Waldvor lauter Bäumen nicht». Die Arbeitsweise kann man vereinfachtals digital betrachten. Dagegen denkt unsere rechte Hirnhälfteanalog, das heisst in Gleichnissen; sie steht für gesamthafteGestaltwahrnehmung räumlich-visueller sowie musikalischer Artund vermittelt die Traumtätigkeit. Längst haben wir erkannt,wie wichtig es ist, Kopf, Herz und Hand in unserem Denken,Fühlen und Handeln zu integrieren. Oft nehmen wir jedoch die«Die Seelsorge war über Jahrhunderte die Domäne derchristlichen Kirche, bevor die Psychoanalyse als Wegbereiterinvon Psychotherapieschulen diese Tradition inden Hintergrund drängte.»Gefährdung dieser Körper-Seele-Einheit erst in einer psychosomatischenErkrankung wahr und sind dann um so mehr aufgefordert,an dieser zerbrochenen Einheit psychotherapeutisch zu arbeiten,vor allem auch mit begleitender Gestaltungs-, Musik- und Physiotherapieunter Berücksichtigung von Bewegung, Atmung undSelbstwahrnehmung. Der 95-jährige Altmeister der Psychosomatik,Thure von Uexküll, bedauert, dass die Medizin Körper und Seelenicht mehr als Einheit betrachtet. Deshalb habe sie aufgehört, eineHumanmedizin, von Menschen für Menschen, zu sein; der Patienthat nämlich keine Krankheit, sondern ist in seiner Gänze krank.Durch die moderne Psychologie, Psychiatrie und Neurobiologieist das Subjekt Seele zum Objekt Psyche mutiert.Spätestens seit der Jahrtausendwende leben wir im digitalenZeitalter mit Hochleistungen der elektronischen Datenverarbeitung.Diese technischen Errungenschaften beherrschen die gesamtezwischenmenschliche Kommunikation in allen WirtschaftsundLebensbereichen. Digitalisierung heisst vor allem Aufsplittenbeliebiger Informationen in Bits, d.h. kontrollierbare kleinsteMasseinheiten. Statistisch verwertbare Eigenschaften und Krankheitszeichenwerden dann in Form von skills, scores, items, ratingscalesnach Punkten ausgewertet. Der Algorithmus bietet dannjeweils eine passende Formel für die rechnerische Lösung einerFragestellung an. Dieser Trend macht selbst vor der Tiefenpsychologienicht halt, obwohl die Messbarkeit psychodynamischer Phänomevon Erkenntnistheoretikern, meist psychologisch interessiertenPhysikern, längst in Frage gestellt worden ist. Während derMensch nachweislich mehr denn je an einer Wortlosigkeit desGemüts (Alexithymie) leidet, da er vor allem im Beruf zu operationalemDenken (pensée opératoire) und Arbeiten am PC angehaltenwird, orientiert sich die akademische Psychotherapie mitwachsender Tendenz an einer operationalisierten psychodynamischenDiagnostik (OPD) und entsprechend manualisierten- undaudiovisuell gesteuerten Therapieverfahren wie «übertragungsfokussierterPsychotherapie» (TFP). So unterliegtdie Psyche einer Qualitätssicherung undZertifizierung, wie wir es von anderen Branchenher kennen. Auch die Psyche soll einkalkulierbares Handelsobjekt werden, dieArtenvielfalt menschlicher Individuen läuftGefahr, in ein Bündel von Persönlichkeitstörungenmit Abweichung von einer normiertenSkala aufgelistet zu werden.Der allen bekannte mörderische Umgang mit den so genanntenPsychopathen im Hitler-Deutschland sollte uns die Augen nichtverschliessen vor der wissenschaftlich verbrämten Wiederkehrnormativer Etikettierungen vor allem des seelisch kranken Menschen.Zu welch grauenhaften Terrorakten die verletzte und gleichzeitigfanatisierte Seele, gerüstet mit «westlichem» task force (militärischerSondereinsatz) fähig ist, hat uns der apokalyptische ElfteSeptember enthüllt. Solche Terroristen benutzen oft lange dieMaske völliger Konformität.
Eigentlich leitet sich digital von dem lateinischen Wort digitus,der Zeigefinger, ab. Dies erinnert uns an unsere frühen Bemühungenum die Rechenkunst mit dem Zehnfinger-System. Imdigitalen System ist dieses Dezimalsystem durch ein Dualsystemersetzt, wo es nur noch die Eins und die Null gibt. Ja-nein-Entscheidungenkönnen dann im Ernstfall einhergehen mit gefährlichenFreund-Feind-Polarisierungen, wo differenzierende Zwischentöneoft fehlen. Um in der frühen Allegorie unseresSchmetterlings zu bleiben: Jedes Kind erfährt ja schon, dass maneinen Schmetterling nie mit dem Finger berühren darf; denn sohätte man zwar seine Farben «erfasst», aber er kann danach nichtmehr fliegen und muss sterben.Josef Weizenbaum, heute achtzigjähriger, emeritierter Professorfür Informatik am MIT in Cambridge, USA, ist ein weltweit anerkannterFachmann der Computertechnologie und zugleich ihrbekennender Ketzer. Der Computer ist für ihn ein Symbol dermodernen Wissenschaft und Hochtechnologie, die unweigerlichin den Abgrund führen müssen. Nur ein Wunder könne die Weltnoch retten.Durch den Computer lässt sich die äussere Wirklichkeit mannigfachabbilden, manipulieren, simulieren und neu gestalten.Nach Weizenbaum ist der oft «zwanghafte Programmierer» Schöpfervon virtuellen Universen (cyberspace), gebannt von der Faszination,dass in solchen «Partituren» das Wünschbare mit demErreichbaren gleichgesetzt werden kann. Kein Dramatiker, keinRegisseur und kein noch so mächtiger Herrscher hätten jemals soeine absolute Macht ausgeübt, um eine Bühne oder ein Schlachtfeldzu arrangieren und dann so unerschütterlich gehorsameSchauspieler oder Truppen zu befehligen.Die Seele als digital kreiertes FundstückAbschliessend möchte ich auf ein einzigartiges Projekt zu sprechenkommen, das ausschliesslich durch die Kombination von digitalemHightech und schöpferischem Geiste möglich wurde. Am27. September 1999 jährte sich der Geburtstag von FrancescoBorromini zum 400. Mal. Dieser bedeutende Tessiner Architekthat das barocke Rom massgebend mit seiner Kirche San Carlo geprägt.Von 1976 bis 1995 zierte sein Konterfei die Schweizer Hunderternoten.Inzwischen sind die blauen Scheine aus dem Verkehrgezogen, umso höher im Kurs steht dafür Borrominis architektonischesWerk. Seinen ersten eigenständigen Auftrag erhielt der Architekt1634. Die auf engstem Raum realisierte Kirche solltegleich zu einem seiner Meisterwerke werden. Wie auch seine übrigenBauten ist die Kirche geprägt von Gegensätzen konkaver undkonvexer Formen und kontrastreicher Licht- und Schattenwirkungen.Grundriss und Kuppel sind oval, Letztere sind geschmücktmit seltsam klobigen, plastisch ineinander greifendenKreuz-und Wabenmustern. Der zeitgenössische Tessiner ArchitektMario Botta hatte eine geniale Idee: Er errichtete mit Studierendender Architektur-Akademie und 50 arbeitslosen Bauleuten eineHolzreplik dieser Kirche am Ufer des Luganersees. Die Nachbildungim Massstab 1:1, mit aufgerissenem Innenraum, liess er aufeinem Floss schwimmen. So konnte erstmalig die Raumgeometriebarocker Sakralbauten in dieser Klarheit begriffen werden. Seit dasProjekt des «geklonten Borromini» bekannt wurde, riss die Kritiknicht ab: Der grosse Borromini werde zu einem Jahrmarktartikelherabgemindert. Trotz aller Widerstände fand die Einweihung am4. September 1999 statt und darf als denkwürdige Synergie vondigitaler Modultechnik und schöpferischer Phantasie gewertetwerden. Unsere Seele dürstet auf ihrem Weg zur Selbstfindungmehr denn je danach, durch Erlebnisse mit Menschen, Landschaftenund Kunstobjekten gespiegelt und bereichert zu werden,da unsere Innenweltkrise ja auch Abbild unserer vielbeschworenen,teils hausgemachten Umweltkrise ist; eine sich gegenseitighochschaukelnde Wechselwirkung. Hinzu kommt die zunehmendeBrüchigkeit unseres Arbeitsmarktes und tragender sozialerVersicherungssysteme. Suchtverhalten und Ersatzbefriedigungendienen da häufig der Flucht aus dieser Verunsicherung. Umsomehr bedürfen wir dann eines heilsamen Korrigens. Hierzu eignensich solche Fundstücke wie diese Replik einer einzigartigen Barockkirche,auch wenn diese als gut vermarktetes Versatzstückdemnächst wieder vernichtet werden soll. Das Stadtparlamentwollte kein Geld spenden, um das Holz wetterfest zu machen. EinTrost immerhin: Das Original steht weiterhin in Rom: San Carloalle Quattro Fontane.19
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