10.07.2015 Aufrufe

Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Dr. med. Jörg Wunderwald, Oberarzt Stationäre PsychotherapieDie Seele im digitalen ZeitalterDie Beschäftigung mit der Seele ist neuerdingswieder in Mode. Bücher mit Titelnwie Seelenhunger, Seelenfinsternis, Seelenmordbezeugen dies. Die Seelsorge war überJahrhunderte die Domäne der christlichen Kirche, bevor diePsychoanalyse als Wegbereiterin von Psychotherapieschulen dieseTradition in den Hintergrund drängte.Die frühgriechischen Philosophen, denen aufgrund ihrer Nähezum Meer das berühmte Lebensprinzip «panta rhei» (alles fliesst)zugeschrieben wird, hatten Sinn für Bewegung, Wandel und Dialektik,verstanden dies vor allem auch als Durchdringung vonGegensätzen. In ihren Gedanken über die Ethik befassten sie sichbereits mit seelischen Zuständen und Eigenschaften wie Ataraxia(Seelenruhe), aber auch Seelenstärke des Menschen als Gegenstückzur Körperkraft der Lasttiere.Eigentlich entzieht sich die Seele einer Definition, da sie einZustand ist, der sich nicht zum Gegenstand machen lässt. Wirnehmen sie allenfalls wahr als Urquell subjektiven Erlebens inForm von Liebe zum Menschen, zu Landschaften, Kunstwerken,aber auch scheinbar unbelebten Dingen. Seelische Schwingungensind unserem Erlebnisbereich zugänglich durch unsere Fähigkeitvon Wahrnehmen, Verstehen, Erklären, Wiedererkennen; Letzteresermöglicht die Entstehung von Vertrautheit, die es erst möglichmacht, einer seelischen Erlebnisqualität eine Wertschätzungund eine Bedeutung zu geben. Der Begründer der Lehre von derPathologie der Zellen, Rudolf Virchow (1821–1902), warbekanntlich ein Wegbereiter eines positivistischen Mechanismusin der Betrachtung der menschlichen Natur. Jede Spekulation, wiesie damals naturphilosophischem Denken entsprang, wollte erauskehren und baute auf verbesserte Mikroskope und reproduzierbarechemische Reaktionen. So verkündete er eines Tages, dass erbei seinen tausend Sektionen nie eine Seele gefunden habe. Mitdiesem Befund schloss er letztendlich ihre Existenz aus. Er begabsich damit in einen völligen Widerspruch zu seinen romantischenZeitgenossen, vor allem Dichter, Maler und Komponisten, dieerfüllt waren von seelischen Erlebnisinhalten in Wechselwirkungmit der Natur, aber auch von einem aus der griechischen Mythologiegespeisten, hochidealisierten Menschenbild. So schrieb derArzt, Maler und Philosoph C. G. Carus, der mit Goethe befreundetwar, eine Entwicklungsgeschichte der Seele und hielt auchVorlesungen darüber. Daneben malte er, wie sein Vorbild C. D.Friedrich, ausgeprochene Seelenlandschaften. Letztere sind übrigenskeineswegs auf die Romantik beschränkt. Ich möchte hiernur an den Nagel-Künstler G. Uecker erinnern, der 1980 in unsererKlinik 138 Werke im Kleinformat schuf, die zwei Jahre späterals «Littenheider Aquarelle» in der Berliner Nationalgalerie ausgestelltwurden und internationale Beachtung fanden. Sie wurdenin der Fachpresse als «Seelenlandschaften in Grenzverhältnissen»,aber auch als «Ready-made-Fundstücke» gedeutet.Seele – Psyche – SchmetterlingDie Griechen bildeten ihre Vorstellungen von Psyche (gleichbedeutendmit Schmetterling) auf ihren Vasenmalereien als kleinegeflügelte Wesen ab, die um den Toten oder das Grabmal flattern.Noch waren es körperlose Bildseelen. Erst in der plastischen Kunstnahmen sie Gestalt an als Mädchen mit Vogel- oder Schmetterlingsflügeln.Der Schmetterling, dieses zauberhafte filigraneWesen, das aus den Vorstufen Ei, Raupe, Puppe hervorgeht, stehtfür Wandel (Metamorphose) und Vergänglichkeit schlechthin.Vincent van Gogh schrieb Ende Juni 1888 an seinen MalerfreundEmil Bernard: «Ich möchte gerne ungefähr wissen, von was ichselbst vielleicht die Larve bin.» Ende Juli des gleichen Jahres gab ersich gewissermassen selbst die Antwort, indem er sich mit einemMaler-Schmetterling identifizierte. Es war für ihn eine Möglichkeit,unter höheren Bedingungen und in einem anderen Dasein zumalen, das sich vielleicht ähnlich verwandelt wie eine Raupe ineinen Schmetterling. Diese Existenz des Maler-Schmetterlingswürde sich auf einem der zahllosen Sterne abspielen, die wir nachdem Tode vielleicht ebenso orten und erreichen könnten wiebeliebige Stellen auf einer Landkarte. Van Gogh hatte also seineganz persönliche Vorstellung von einer Seelenwanderung.Amor und PsycheMärchen, Mythen und Träume sind erzählerische Ausdrucksmittelder Seele in Form von Narrativen als Gleichnis und Spiegel. Derlateinische Schriftsteller Apuleius schuf in seinem Märchen «Amorund Psyche» eine Personifikation zwischenmenschlicher seelischerotischerRegungen und Affekte. Psyche erscheint hier als eineKönigstochter, die durch ihre Schönheit den Neid der GöttinAphrodite (Venus) erweckt. Diese sendet ihren Sohn Eros (Amor)aus, um Psyche zu demütigen. Doch Eros verliebt sich in Psycheund entführt sie mit Hilfe des Zephyros in seinen Märchenpalastund macht sie zu seiner Frau. Aber er gibt sich ihr nicht zu erkennenund kommt nur nachts zu ihr, da er von ihr nicht gesehen werden17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!