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Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

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Unsere Patienten bestehen natürlich nicht nur aus Problemenund Defiziten. Um Schwierigkeiten zu begegnen, gilt es dieRessourcen, also ihre Stärken und besonderen Fähigkeiten zuberücksichtigen und zu fördern. Gelingt die Lösung des Gruppenkonflikts,wirkt die Gruppe selbst heilend. In einer solchen Gruppemit anderen Menschen, die ein ähnliches Schicksal teilen, fühlensich Patienten aufgehoben und verstanden. Darunterverstehen wir Pflegenden die kurative Kraft der Gruppe.Von der Gruppe zum ZweierkontaktBeim Eintritt bekommt jeder Patient eine Bezugsperson aus derPflege zugeteilt. Diese Bezugsperson begleitet den Patienten währenddes gesamten Aufenthalts auf der Station. Sie ist für die pflegerischePlanung, dieErstellung einer Pflegediagnoseund derenregelmässige Überprüfungverantwortlich.In der Pflegediagnosewird das genaue Problemdes Patienten benannt.Zudem erarbeitetdie Bezugsperson,gemeinsam mit dem«Unsere Patienten bestehennatürlich nicht nuraus Problemen und Defiziten.Um Schwierigkeitenzu begegnen, giltes, die Ressourcen, alsoihre Stärken und besonderenFähigkeiten, zuberücksichtigen und zufördern.»Patienten, die Massnahmen, welche ihm beim Erreichen seinerpersönlichen Ziele helfen. Wie geht das? Zunächst beschreibt derPatient eine Situation, die aus seiner Sicht unbefriedigend verlaufenist.Beispiel: «Wenn ich in so einer grossen Gruppe sitze, bringe ichkein Wort raus. Überhaupt, merke ich, dass ich in den letzten Jahrensolche Situationen immer häufiger vermieden habe. Am Ende habeich mich vollständig zurückgezogen. In meiner Einsamkeit fing ichan, vermehrt Alkohol zu trinken. Bei der Diskussion in der Patientengruppevorhin wäre ich am liebsten rausgelaufen und hätte meinScheissgefühl weggetrunken. Ich weiss nicht, wie lange ich das nochaushalte!» Soweit die vom Patienten beschriebene Situation.Gemeinsam mit der Bezugsperson wird nun eine Verhaltensanalyseerstellt.Die VerhaltensanalyseBei der Verhaltensanalyse geht es in erster Linie darum, die richtigenFragen zu stellen, statt Patentlösungen zu präsentieren. DieFragen können wie folgt aussehen: Welches Gefühl hatten Sie, alsdie Gruppe so hitzig diskutierte? Wann fingen Sie an, sich unwohlzu fühlen? Wann genau wollten Sie weglaufen? Wann kam dieLust, Alkohol zu trinken? Warum sind Sie nicht weggelaufen? Warumhaben Sie keinen Alkohol getrunken?Mit Hilfe dieser Fragen lernt der Patient sein persönliches Verhaltensmusterin Stresssituationen kennen. Er versteht, wann erwie reagiert. Die Bezugsperson verzichtet während der Verhaltensanalyseauf jegliche moralisierenden oder entwertenden Kommentare.Für viele Patienten ist es ungewohnt und oft auch peinlich,über ihre Ängste und Gefühle zu sprechen. Schon hier macht derPatient vielleicht eine grundlegend neue Erfahrung, da die Bezugspersonihn trotz seiner Schwächen akzeptiert.Wie weiter?Durch die Verhaltensanalyse können Patient und Bezugspersondie beschriebenen Gefühle konkret benennen. In dem geschildertenBeispiel spürte der Patient in der Gruppensituation Angst undMinderwertigkeitsgefühle. Er fürchtete, sich in der Gruppe zu blamieren,das Falsche zu sagen und schliesslich von den anderen Patientenabgelehnt zu werden. Um sich vor der vermeintlichen Ablehnungzu schützen, würde er sich am liebsten zurückziehen.Bisher hat er diesen Versagensgefühlen immer nachgegeben, trankgegen das Gefühl der Einsamkeit zunehmend Alkohol. Eine weitereAngst kam hinzu. Seine Familie, seine Freunde und Arbeitskollegendurften nichts von seinem Alkoholproblem erfahren.Noch stärkerer Rückzug und soziale Isolation waren die Folge.Nachdem der Patient Klarheit über diesen «Teufelskreis» erlangthatte, erarbeitete er mit der Bezugsperson seine Wünsche undZiele. Eigentlich ist dieser Patient ein Mensch, der sich sehr denKontakt zu anderen Menschen wünscht und die Gesellschaft andererschätzt. Seine Ziele für den stationären Aufenthalt wurdenwie folgt formuliert:1. Der Patient kann seine Gefühle im Kontakt mit der Bezugspersonangstfrei ausdrücken.2. Der Patient teilt der Patientengruppe mit, wie er sich in solchenSituationen fühlt.3. Der Patient ist in der Lage, mit seinen Angehörigen und fallsnötig mit seinen Freunden und Arbeitskollegen über seineProbleme zu sprechen.4. Der Patient stellt sich, mit Unterstützung der Pflegenden, denihm Angst machenden Situationen.21

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