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Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

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Dr. med. Jörg Burmeister, Leitender Arzt AkutpsychiatrieDie Bedeutung der Gruppe im Kontext einerindividuellen LebensgestaltungDie Entwicklung des Einzelnen ist untrennbarmit Gruppenprozessen verbunden.Nicht nur, dass die traditionelle Form derHerkunftsfamilie alle Eigenschaften einerGruppe erfüllt und das Kind in dem komplexen Feld familiärerBeziehungen wesentliche Lernerfahrungen macht, sondern auchspäter begleiten Gruppen und Gruppenprozesse den Einzelnen inseiner Entwicklung und Lebensgestaltung. Sei es in der Schule, imVerein, am Arbeitsplatz, im Militär oder im Seniorenheim, überallvollzieht sich der individuelle Lebensentwurf im Kontext vonGruppen und Gemeinschaften. Die Verschränkung des Individuellenmit dem Sozialen reicht bis in unsere Träume hinein:Neben dem Bezug zum eigenen Schicksal und zur persönlichenErfahrung verweisen Träume immer auch auf übergeordnete soziale,kulturelle oder existenzielle Zusammenhänge. Wie aber beeinflussenGruppen unsere Entwicklung? Was leisten Gruppen besondersund wo sind ihre Einflüsse – mitunter unerkannt – für dasVerständnis unseres Selbst oder der uns wichtig erscheinendenUmwelt entscheidend?Gruppen ergänzen die persönliche, die individuelle Identitätum den Aspekt der Kultur und der sozialen Gemeinschaft, in dieder Einzelne von Geburt an eingebettet ist. Sie bezeichnen undstiften Zugehörigkeit, ohne die sich auchnach neuesten entwicklungspsychologischenErkenntnissen keine eigentliche Vorstellungvon uns selbst heranbilden kann. Nur Zugehörigkeitvermag die Frage zu beantworten,wo wesentliche Unterschiede oder wo wesentlicheGemeinsamkeiten zwischen anderenund mir selbst bestehen und wie ich meinenPlatz in der Gesellschaft und in Bezugauf andere bestimmen kann. Die Bedeutungdieser Zugehörigkeit wird auch dann besonders plastisch, wenndie Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe angegriffen, schlecht gemachtoder umgekehrt besonders herausgehoben wird: Schmähungender eigenen Familie, des eigenen Geschlechts oder dereigenen Nation kränken und beschämen, Lob und besondere Leistungendes Herkunftskollektivs wecken dagegen überschwänglicheFreude und Stolz, was z.B. nach dem Gewinn einer Fussballweltmeisterschaftin fast jedem Land fraglos nachvollzogenwerden kann. Soziologen gehen davon aus, dass diese Gefühle somächtig werden können, dass sie sowohl Rache als Versuch, dieverletzte Ehre der eigenen Gruppe wieder herzustellen, wie auchdas Bedürfnis, die Überlegenheit der eigenen Gruppe gegenüberanderen Gruppen immer wieder neu demonstrieren zu müssen,angemessen erklären können. Nicht nur der von Amerikanern undRussen betriebene «Wettlauf» um die «Eroberung» des Weltalls,sondern vor allen Dingen immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen,sei es in Form von Terrorismus (von in seinen Mittelnund Möglichkeiten unterlegenen Kollektiven), sei es in Formaggressiver Machtpolitik mit Einschluss kriegerischer Handlungen– wie etwa im Irak und Afghanistan geschehen –, legen hierfürgenügend Zeugnis ab. Wie wirken sich solche Vorgänge und diemit ihr angestossenen sozialen und gesellschaftlichen Fragen undtiefgreifenden emotionalen Umwälzungen auf nicht unmittelbarBetroffene in der Schweiz aus?Zunächst einmal erschüttern Kriege und terroristischeAnschläge das zutiefst verwurzelte Sicherheitsbedürfnis, einEffekt, der jedoch mit der geografischen Entfernung von kriegerischenund terroristischen Geschehnissen kontinuierlich abnimmt.Die vorhandene mediale Präsenz aller kriegerischen Schauplätze,die ausgesuchte Flut der Bilder und Geschichten, lassen uns aberdennoch häufig genug zu eigentlichen Zeugen der furchtbarstenGeschehnisse werden. Um die damit verbundene Angst und die«Nur Zugehörigkeit vermag die Frage zu beantworten,wo wesentliche Unterschiede oder wo wesentlicheGemeinsamkeiten zwischen anderen und mir selbstbestehen und wie ich meinen Platz in der Gesellschaftund in Bezug auf andere bestimmen kann.»moralische Verurteilung von Töten und Gewalt – die nach denErgebnissen der Verhaltensforschung angeboren zu sein scheint –überspielen zu können, werden in der Politik und in der Berichterstattunghäufig einfache Freund/Feind- oder Gut/böse-Schemataentwickelt, die mittels Indentifikation mit dem Gutendie verübte Gewalt rechtfertigen und die psychologischen Auswirkungenherunterspielen sollen. Allerdings gelingen solche Versuchenur immer teilweise. Denn der Erfolg hängt im Wesentlichendavon ab, wie weit wir uns auch der betroffenen Gruppe zugehörigund verbunden fühlen und wie weit wir damit selbst in unserer7

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