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Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

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Dr. med. Christoph Fuhrhans, Oberarzt Stationäre PsychotherapieDie Kunst des Lächelns bei der LandungDarf ich Sie zu einer kleinen Flugreise einladen?Das Wetter ist angenehm; Kumuluswolkenziehen über das Tal, Wind hat esnicht zu viel, auch für Proviant ist gesorgt.Unser Flugzeug heisst «Stationäre Borderline-Therapie», und dasehen Sie es: Es ist ein Segelflugzeug – eines dieser dünnwandigenaerodynamischen Konstrukte, die man zunächst mit viel fremderKraft nach oben bringen muss, um dann, beim gleichschwebendenKreisen und Gleiten, immer die plötzlichen Thermikwechselim Auge zu haben. Und die genaue Balance der Tragflächen. UnsereReise ist natürlich eine allegorische Reise. Das bedeutet: Siewird aus drei Teilen bestehen. Sie beginntoben am Himmel der Theorie. Wir werdendort ein paar Kreise ziehen, vorbei an denentstehenden und sich vermischenden Strudelnder Borderline-Theorien, und schauen,was sich da oben tut. Hoffentlich geraten wirnicht ins Gewitter. Dann ziehen wir langsamabwärts, hinein in die nächste Schicht: dieWolken. Hier ist es unübersichtlich undschwierig, sich im Nebel zurechtzufinden.Darum heisst diese Schicht: Seele und Gesellschaft.Wenn wir sie passiert haben, sehenwir schliesslich unter uns eine wirkliche Landschaft mit Häusern,Bäumen, einem Klinikdorf und landen, wenn alles gut geht, aufdem Boden der praktischen Realität – direkt hinter der StationPünt Nord und sind angekommen.Am Himmel der TheorieAber zunächst rauf in die Sphären der Theorie. So, da wären wir.Wie sieht die Grosswetterlage hier oben aus, hoch über denNiederungen der Praxis? Aha, das hätten wir uns denken können:Turbulenzen! Alte Strömungen überlagern sich mit frischen,abgekühlte mit erhitzten, am Horizont wetterleuchtet es. Um unseinen Überblick zu verschaffen, nehmen wir die gesammeltenWetterkarten der letzten Zeit zur Hand, vergleichen sie und finden:Zwei der Hauptströmungen, die sich derzeit überlagern undspannungsreich vermischen, sind die «alte» Borderline-Theorieund die «neue» Trauma-Theorie. Die klassische psychoanalytischeKonzeption, die bereits das typische Borderline-Syndrom ausImpulsivität, innerer Leere und Depressivität beschrieb, istnämlich gar nicht so neu, wie es oft behauptet wird. Sie entstandbereits in den siebziger Jahren, im Gefolge der Narzissmus-Theorien.In den neunziger Jahren entstand dann ein zweites Borderline-«Hoch»,das bis heute anhält, als nämlich zusätzlich dieSymptome der Selbstverletzung und der chronischen Suizidalitätgehäuft beobachtet und mit schweren Traumatisierungen in derfrühen Kindheit, insbesondere Gewalt und sexuellem Missbrauch,in Verbindung gebracht wurden. Die Trauma-Ätiologiewurde bald für die Gesamtheit der Borderline-Störungen reklamiert,was zu heftigen Kämpfen zwischen Gegnern und Befürworterneiner generellen Trauma-Verursachung führte, die bis zur«Nebel verhüllt die Sicht. Dunstige Fetzen um unsherum. Das sieht nach Gegenwart aus. Borderline-Störungen, insbesondere solche mit Suizidalität undSelbstverletzungen, haben in den letzten Jahren zugenommen,daran kann kein Zweifel bestehen.»Gegenwart anhalten – Kämpfe um Prozentzahlen und um dieLufthoheit, sozusagen. Halten wir uns zu ihnen in einigerDistanz, dann sehen wir – was vielleicht eine Lösung bringenkönnte – am Horizont bereits neue Befunde aufkommen: Esscheint in Wirklichkeit zwei, nur scheinbar ähnliche Gruppen vonBorderline-Störungen zu geben (in welchem Zahlenverhältniszueinander auch immer), eine mit Trauma-Genese und eine ohne.Das wird uns noch auf der soziologischen Ebene beschäftigen.Vorerst aber sind wir unversehens in ein anderes atmosphärischesSpannungsfeld geraten, und hier müssen wir nun wirklichdarauf achten, nicht ins Schaukeln zu kommen und die Balance zuwahren: Während uns nämlich unter der einen Tragfläche derfrische und warme Wind der Verhaltenstherapie ergriffen hat, willes ihm auf der anderen Seite die unlängst aufgefrischte Brise dertiefenpsychologischen Borderline-Therapie gleichtun. Der Windnimmt zu und rüttelt an den Tragflächen. Was sollen wir tun? Unsganz auf eine Seite ziehen lassen und damit vielleicht die günstigereThermik verpassen? Beide Strömungen sind nämlich eigentlichStrömungsgemische. Die so genannte Dialektische Behaviorale25

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