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Jahresheft 2003 - Murg Stiftung

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lichkeiten. Der Gebrauch der elektronischen Medien mit Chatsim Netz, Computergames etc. nimmt massiv zu. Das authentischeBedürfnis nach konkreter, sinnlicher Wirklichkeit wird dadurchaber nicht befriedigt. Was spürbar, konkret und dem Adoleszentenverfügbar bleibt, ist der eigene Körper. Er ist wirklich und deutlicherwahrnehmbar durch Schmerzen, welche durch eigenesHandanlegen hervorgerufen werden: Tätowierung, Piercing, riskantesSkateboarden. Die Risikobereitschaft ist dabei nicht gering.Es geht um das Ausloten von Grenzen – oft mit deutlich werdenderAngst vor dem Kontrollverlust über sich selbst. Der Körperwird Träger von Identität, was in seiner Zurschaustellung und demKörperkult an Rave-Partys und Street-Parades zum Ausdruck gebrachtwird und ein Gegengewicht zur körperlosen Welt der Medienbildet. Manche Erwachsene mögen sich da fragen, wo derWeg einer konsumorientierten Partygeneration hinführt, die ansolchen Anlässen in kollektiver Ekstase hinter dröhnenden Musiklastwagenherzieht. – Trotzdem greift der Vorwurf einer passivenund unpolitischen Jugend, die sich selbstgenügsam im Tanz umsich selbst zu bewegen scheint, zu kurz. Zwar werden keine grossenZukunftsentwürfe einer breiten Jugendbewegung präsentiert,aber der Wille, sich zu artikulieren, bleibt vorhanden und lässtsich nicht zum Verstummen bringen: So stellt beispielsweise diesoziokulturelle Nische des Rap mit seiner ausgefeilten Sprechkunsteine aktuelle, spezifisch adoleszente Ausdruckskunst darund ist ein fester Bestandteil der heutigen Jugendkultur.4. Entwicklungsstagnation und Entwicklungszusammenbruchin der AdoleszenzDie Aufgaben der Adoleszenz sind vielfältig: Trauer um den Verlustder Kindheit, Akzeptanz und Gebrauch des sexuell reifen Körpers,Integration verschiedener Selbstbilder, Übernahme von Verantwortungfür aggressive Akte, um einige zu nennen. Dieter Bürgin vergleichtden Adoleszenten mit einem Trapezkünstler, der seinenschwingenden Halt losgelassen hat und frei durch die Luft wirbeltohne schon die gegenüberliegenden Trapezteile gefasst zu haben.Während in der Latenzzeit, auch bei vorausgegangener fragilerEntwicklung, das psychische Gleichgewicht mit mehr oder wenigergrossen Mühen häufig noch gehalten werden konnte, versagenim Folgenden im Rahmen der Adoleszenz – oft beim Übergang inden Berufseinstieg – die vormals funktionierenden Anpassungsleistungen.Der Übergang in eine erwachsene persönliche Identitätgelingt nicht. Entwicklungsstillstand oder auch Entwicklungszusammenbruchsind die Folge, welche der Behandlung bedürfen.Psychische Störungen manifestieren sich wie:■ Depression■ Anorexie■ Bulimie■ Zwangsstörungen■ Angststörungen■ psychotische Zustände■ Suizidversuche■ Drogenkonsum■ DelinquenzStationäre Hospitalisationen können kürzere Kriseninterventionendarstellen oder unifokal sich um einen Konflikt zentrieren,nach dessen Bewältigung im Rahmen einer Kurztherapie eine progressiveEntwicklung erneut in Gang kommt, welche dann mittherapeutischer Begleitung ambulant weitergeführt werden kann.Häufig sind aber stationäre Hospitalisationen letzte Konsequenzeiner längeren, multikausalen Leidensgeschichte und letzterSchritt einer vorausgegangenen Behandlungskette, die nach Versagendes ambulanten Settings erfolgt. Bei diesen Adoleszenten istdann die Verzweiflung oft sehr gross. Sie stellen die Frage nachdem «Warum?» und «Warum gerade bei mir?» Es bestehen Ängste,nicht mehr zu gesunden und nicht mehr ein normales Leben wiedie anderen führen zu können.315. Therapeutische Beziehungsarbeit im Kontextgesellschaftlicher EntwicklungUnter Anerkennung der aktuellen Realität ist eine Behandlungszeitvon sechs Monaten für eine stationäre Behandlung bereits eine längereZeitdauer, in welcher Kostenträger – unabhängig vom Krankheitsbild– zu deren Finanzierung bereit sind. Jeder Monat ist eineim wahrsten Sinne des Wortes «kostbare» Zeit. Es stellt sich dieFrage, was in diesem Rahmen für Adoleszente, die in ihrer Entwikklungblockiert sind, entwicklungsfördernd sein kann – gesamtstationärund einzelpsychotherapeutisch. Hier beschränke ich michauf die einzeltherapeutische Arbeit. Der therapeutische Prozess zieltin Richtung vermehrter innerer Autonomie.In der Therapie ist die Innenwelt des Jugendlichen wichtig, seineinnere Verarbeitung der Dinge. Als Therapeutin bin ich im stationärenBehandlungssetting einerseits Vertreterin der Innenweltdes Patienten und andererseits für den Adoleszenten Vermittelnde

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