32zwischen innen und aussen, zwischen seiner inneren Erlebnisweiseund äusseren Gegebenheiten, mit denen er sich auseinanderzusetzenhat.Es geht in der Therapie darum, mit dem Jugendlichen einenpsychischen Raum zu eröffnen, darum, dass er eigene Gefühle beisich selbst (wieder) vermehrt wahrzunehmen vermag, den Kontaktund die verloren gegangene Beziehung zu sich selbst wieder findet.Es ist notwendig, die verschiedensten Gefühle des Adoleszentenanzuerkennen, ihn bei seinem jeweiligen Affekt «abzuholen», damiter diesen bei sich selbst erneut wahrnehmen kann. Auchwiederholte verzweifelte und wütende Rundumschläge müssenmöglich sein. Für den Adoleszenten, der in der Klinik hospitalisiertist, ist es wichtig, die Hilflosigkeit und Ohnmacht, mit der ersich noch in ungleich stärkerem Ausmass als seine Kollegen herumquält,ein Stück weit auszuhalten, mit- und durchzutragenund dabei gleichwohl die Hoffnung auf Veränderung und Verbesserungaufrecht zu erhalten, auch in Phasen grosser Verzweiflungund Stagnation. Angesichts des zunehmenden Kosten- und damitZeitdrucks ist dies insbesondere bei schwerer erkrankten Adoleszentenoft eine grosse Herausforderung.Als Therapeutin übernehme ich oft «Hilfs-Ich»-Funktion. ZurFörderung der Selbstregulierung des Jugendlichen gehe ich an seinemIch entlang, im Bemühen, seine Ich-Leistungen zu honorieren:z.B. die Fähigkeit, Signale zu geben, die verstanden werdenkönnen, die Fähigkeit, sich zu äussern. Immer wieder ist der Fragenachzugehen, wo Ich-gerechte, gute Besetzungen des Adoleszenten,seine Interessen und Faszinationen liegen, wo es ihmgelingt, sich konstruktiv und gut einrichten zu können, damit ersich wohl fühlt. Solchermassen wird die Hoffnung entwickelt undgefördert, selbst etwas zu bewirken und die Umwelt gestalten zukönnen. Gerade bei Jugendlichen, die in ihrer Entwicklung sehrgestört wurden und diese Hoffnung oft Gefühlen der Ohnmachtgewichen ist, spielt dies eine bedeutsame Rolle und kann –manchmal oft lange im Nachhinein wahrgenommen – emotionaltragende Erinnerungsspuren hinterlassen.Als Therapeutin gehe ich weiter der Frage nach den positivenSelbstanteilen in den Ausdrucksweisen des Adoleszenten nach: Ersoll eine Sicherheit in sich selbst finden können. Misstrauen kannz.B. auch eine Schutzfunktion sein, Angst vermag hilfreich zusein, um aufmerksam zu bleiben. Es geht darum, einen Sinn inden verschiedenen Ausdrucksweisen und ebenso in den Symptomenzu finden. Eine psychodynamische Bedeutung im Symptomder Bulimie liegt z.B. in dem Wunsch, etwas bekommen zu wollen,aber nicht das Richtige zu bekommen. Oder die Anorexie gibteine Sicherheit: «Das bin ich», die in der Abgrenzung von denanderen liegt. Diese Anerkennung eines Symptoms – auch wennes noch so selbstdestruktiv und scheinbar dysfunktional ist – gehtder oft schwierigen Arbeit der Veränderung voraus. Scheinbar dysfunktionalist das Symptom insofern, als es einer ganz bestimmteninnerpsychischen Balance Rechnung trägt. Eine Aufgabe desSymptoms und Veränderung ohne Symptomverschiebung bringtdieses Gleichgewicht aus seiner Balance und ruft innerpsychischeVerwirrung und Verunsicherung hervor. Die psychische Veränderungsbereitschaftals Voraussetzung für einen Veränderungsprozessbedeutet viel intrapsychische Arbeit. Der Veränderungsprozesserfordert Zeit – manchmal mehr, manchmal weniger, wie alleEntwicklungs- und Wachstumsprozesse – und vollzieht sich nachpsychischen Gegebenheiten, die sich nicht entsprechend äusserenRealitäten kanalisieren lassen.In diesem Sinne kann das Ziel einer stationären Einzelpsychotherapienebst einer Ich-stützenden und stabilisierenden Begleitungauch in der Erarbeitung der Bereitschaft und der Einleitungeiner vertieften therapeutischen Arbeit in einer nachfolgendenambulanten Therapie liegen.Fazit:Die Adoleszenz ist eine vulnerable Entwicklungsphase, in welcherStörungsanfälligkeiten grösser sind als in manch anderer Entwicklungsphase.Angesichts einer komplexen, vielfältigen und raschemWandel unterworfenen gesellschaftlichen Realität könnte man denWeg des jungen Menschen durch die Adoleszenz in ein selbstbestimmtes,kreatives und aktives Erwachsenenleben mit dem Weg einesBootes zwischen Scylla und Charybdis hindurch vergleichen.Die Adoleszenten brauchen auf diesem Weg beständige und verlässlicheUnterstützung und Begleitung, die oft nicht mehr ausschliesslichEltern und Lehrer zu geben vermögen. Es sind weitereMenschen gefragt, insbesondere engagierte Fachleute aus dem Gesundheits-und Sozialbereich, aus dem Bereich der Justiz und vonbehördlicher Seite. Jugendlichen in besonders grosser Not, Verzweiflungund ausweglos erscheinenden Situationen, die in dieseroder jener Form auffällig werden und aus dem sozialen Netz herauszufallendrohen, beizustehen und mit ihnen nach gangbaren Lösungenzu suchen, ist sowohl eine menschliche und fachliche Herausforderungals auch eine präventive und lohnenswerte Aufgabe!
Peter Fleischmann, Stationsleiter Föhrenberg, JugendpsychiatrieDie «Voll-easy-highspeed»-Psychotherapiefür Jugendliche und deren ElternEs ist ja schon nützlich, Fremdsprachen zubeherrschen. In meiner Gymizeit lernte ichgern und fleissig Englisch. Ich wollte ja dieTexte von Lennon, Jagger und Co. einigermassenverstehen, wenn ich sie denn am Lagerfeuer am romantischenSee mitsingen sollte. Dieses Sollen war ein freiwilliger Entscheidvon mir, weil ich schnell merkte, dass diese sozialeKompetenz meinen Marktwert beim weiblichen Geschlecht günstigbeeinflusste. Ach, die guten alten Zeiten . . .25 Jahre später, im Zeitalter von Globalisierung, worldwideweb,Rinderwahnsinn und Multikulturalität ist es kaum mehrmöglich Deutsch zu sprechen, ohne über Basiswissen der englischenSprache und Computer zu verfügen. Das ist halt so, jammernnützt nichts, man hat ja sowieso nieausgelernt. Ausser es geht einfach nicht mehr.Wenn das Ich kollabiert, der Ausbalancierungsprozesszwischen eigenen Wünschen,Bedürfnissen und Visionen einerseits undden hochkomplexen und widersprüchlichenHandlungserwartungen der Um- und Arbeitsweltandererseits nicht mehr gelingenmag, dann geht es einfach nicht mehr. Dannkommt Krise, Verzweiflung, Krankheit. Auchbei Kindern und Jugendlichen, immer häufiger,immer früher, immer bizarrer. Unsere «fit for fun»-normierteLebensweise ist lustig für die Sieger und die materiell Begünstigten,für die Verlierenden und Perspektivelosen bedeutet sie Einsamkeit,Schmerz und Ohnmacht.Diese bedenkliche Entwicklung unserer Zivilisation kannschon wütend machen und aggressiv, das merk ich ja selber beimir. Zum Glück! Aggredere heisst ja «auf etwas aktiv zugehen,etwas angehen» und genau das versuche ich mit meiner Arbeit inder Jugendpsychiatrie zu verwirklichen. Zum Glück leben wir(noch) in einer Gesellschaft, die es sich leistet, sich um ihre eigeneZukunft zu kümmern, und das sind ja schon immer die Jungengewesen. Zum Glück gibt es Stationen wie den Föhrenberg, womehrfach-problematische Jugendliche ihre Psychosen, Essstörungen,sozialen Ängste, Zwänge, Selbstverletzungen, Depressionen,Teilleistungsstörungen etc. behandeln können.Es ist immer wieder beeindruckend und ergreifend, wenn sichbei einem Eintritt auf unserer Station Jugendliche von ihrenEltern verabschieden und umgekehrt. High emotion in Reinformbei allen Beteiligten, und das ist gut so. Bewegte Gemüter, es tutsich was. Endlich!Bei den Eltern oftmals spürbar widersprüchliche Gefühle undGedanken: Ich habe versagt. Jetzt kommt alles ans Licht. Diereden jetzt meinem Kind ein, dass ich an allem schuld bin. Jetzt,wo das Kind weg ist, muss ich mich um all die noch schlimmerenProbleme kümmern. Hoffentlich geht das nicht zu lange, er/siemuss doch noch den Schulabschluss schaffen. Ich vermisse dichunbeschreiblich.Bei den Jugendlichen oftmals spürbar widersprüchliche Gefühleund Gedanken: endlich kein Stress mehr. Vielleicht verstehendie mich wenigstens. Scheibe, jetzt bin ich doch in der Psychigelandet. Hilfe, ich habe Angst. Ha! Denen habe ich jetzt aber«Unsere ‹fit for fun›-normierte Lebensweise ist lustigfür die Sieger und die materiell Begünstigten, fürdie Verlierenden und Perspektivelosen bedeutet sieEinsamkeit, Schmerz und Ohnmacht.»gezeigt, wer der Stärkere ist! Hoffentlich geht das nicht zu lange,ich muss doch noch den Schulabschluss schaffen. Ich vermissedich (immer seltener: euch) unbeschreiblich.Nun beginnt unsere Arbeit: Wir beobachten und beschreibenVerhaltensweisen und Symptome, wir erklären und deuten diese,wir therapieren, medizieren, strukturieren, dokumentieren undinteragieren, professionell reflektiert, mit allem Frust und allerLust, die diese Arbeit so mit sich bringt. Mit aller Unsicherheit,die es im Umgang mit Menschen immer auszuhalten gilt, mit allden eigenen Vorstellungen über Werte und Normen bezüglichGesundheit und Normalität, die sich nicht zwingend decken müssenmit denen der Eltern. Mit all den Übereinstimmungen undMeinungsverschiedenheiten in einem Team, die, wen wunderts,oft die Positionen der beiden Elternteile widerspiegeln. Mit all denunterschiedlichen beruflichen Sozialisationen im Hintergrund.Mit all den vordefinierten Rollen innerhalb des Behandlungsteams.Mit all den von den Eltern formulierten Gedanken undGefühlen, die nicht zwingend mit unseren übereinstimmen müs-33
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