34sen. Mit all den vom Jugendlichen formulierten Gedanken undGefühlen, die nicht zwingend mit denen seiner Eltern übereinstimmenmüssen. Mit all den Sparbemühungen unserer sozialenInstitutionen (Krankenkassen und Versicherungen), die zwar verständlich,aber oftmals hemmend bis (zer)störend auf eineBehandlung einwirken können. Mit all den Forderungen undAngeboten der Lehrbetriebe oder Schulen, in die unsere Jugendlichenzurückkehren wollen, sollen oder müssen.Nun wird wohl deutlich, wie unsagbar anspruchsvoll die Arbeitin der Jugendpsychiatrie ist. Deshalb gefällt mir der Terminus«Casemanager» so gut. Gibt es eine komplexere Aufgabe als dieErarbeitung einer gemeinsamen Problemdefinition, die alle relevantenbeteiligten Akteure im Behandlungssystem eines Jugendlichenteilen und damit erst die Voraussetzung für eine effiziente,effektive und zielgerichtete Behandlungsplanung schafft? Wer indieser Arbeit bestehenwill, braucht ein sehrhohes Mass an Kommunikationsfähigkeit,an Rollenflexibilitätund Abgrenzungsfähigkeit.Genau andiesem Punkt wird dieArbeit in der Jugendpsychiatriesehr spannend.Es brauchtPrioritäten, Entscheidungskraftund klare,fachlich und theoriegeleitetlegitimierbare«Es ist immer wiederbeeindruckend undergreifend, wenn sichbei einem Eintrittauf unserer StationJugendliche von ihrenEltern verabschiedenund umgekehrt. Highemotion in Reinformbei allen Beteiligten,und das ist gut so. BewegteGemüter, es tutsich was. Endlich!»Interaktionen jedes einzelnen Mitarbeiters, jeder einzelnen Mitarbeiterin.Was es aber vor allem braucht, ist die menschliche Kongruenz,den klaren eigenen Schatz an Werten, Normen und Überzeugungen,die Fähigkeit, offen und empathisch zu sein, auch imUmgang mit eigenen Entwicklungsschritten und Entscheidungsprozessen.Dies bedeutet auch, dass Jugendpsychiatrie nie «voll easy» seinwird und der Anspruch nach Highspeed-Verfahren wird natürlichauch seine Grenzen haben. Umfangreiche Vernetzungsarbeit undklar strukturierende Absprachen werden ganz zentral bleiben undentsprechend viel Zeit und Geduld brauchen. Das ist doch irgendwieberuhigend und schafft einen fachlich begründeten Gegenpolzum allgemein um sich greifenden «Highspeedismus» unserer verrückendenGesellschaftsnormen. Und dass die grösste schweizerischeJugendpsychiatrie hier in Littenheid, in diesem wundervollenNaturidyll mit Hasen und Füchsen angeboten wird, ist keinZufall, sondern sinnlogische Konsequenz einer zunehmend urbanund marktwirtschaftlich dominierten Lebensweise, die für dieSeele von uns allen wohl als grösster Feind erkannt werden muss.
Catharina Molkenboer, Lehrerin JugendpsychiatrieDie (Klinik-)Schule als Brücke zurAussenwelt«Die Jugend heute ist so verwöhnt», hörteich schon oft klagen. Obwohl ich als Lehrerinhier kaum acht Jahre älter bin als meineältesten Schüler,* glaube ich den Unterschiedmeiner Generation zu dieser Jugend zu merken. Ich stellefest, dass diese Aussage etwas Wahres hat.Die heutigen Schüler sind wenig vertraut mit den Verhaltensweisen«für etwas kämpfen, sich einsetzen für etwas, durchhalten».Es mag einerseits zu ihrer Krankheit gehören, anderseits ist aberklar erkennbar, dass auch «gesunde» Schüler verstärkt nach dem«Lustprinzip» leben. Heutzutage muss alles Spass machen! Schulemuss Spass machen, wenn sie dies nicht mehr tut, so hat der Lehreroder die Lehrerin etwas falsch gemacht. Lernen muss Spassmachen. Dass aber lernen auch «büffeln», schwitzen, sich reinknienheisst, das ist eine «verjährte» Ansicht. Eine Ansicht, dieunseren Schülern fremd ist.Wie gehen wir mit diesem Phänomen hier in der klinikinternenSchule um?Projektunterricht!Wir sind der oben beschriebenen modernen Arbeitshaltung etwasentgegengekommen und haben im Januar <strong>2003</strong> den «Projektunterricht»eingeführt. Jeder Schüler nennt das Thema, welchesihn gerade interessiert und das er mit Spass weiter bearbeiten will.Es entsteht oft eine riesige Bandbreite an Themen: Philosophie,Eishockey, Blumen im Frühling, Krebs, AIDS, Hurricans, Australien,Hanf . . .Die Schüler geben ihr ganz persönliches Thema ab und ich alsLehrerin organisiere das Material.In der ersten Doppellektion werden zunächst einmal das Materialstudiert und die verschiedensten Ideen für das Projekt gesammelt.Jeder Schüler hat in jeder Lektion einen Gesprächsterminmit mir, in dem wir anschauen, wo er steht und wie er weiter vorgehensoll. Beim ersten Zweiergespräch erklärt er seine Ideen, diewir zusammen mit meinen Ideen auswerten und dann für einenKonzeptentwurf verwenden. Anschliessend geht er zurück undarbeitet selbständig an seinem Projekt. Mal am Computer, mal imInternet oder es werden einfach die Informationen durchgelesenoder weiterverwertet, je nachdem.Zu Beginn der Lektion findet immer ein gemeinsamer Teilstatt, damit die Jugendlichen auch in der Gruppe eine Tätigkeitzusammen ausführen. Dort diskutieren wir entweder über Irakund Bush oder sammeln Pflanzen und bestimmen sie, schreibenuns gegenseitig Gedichte oder Geschichten oder betrachten unsereHoffnungen und Befürchtungen für die Projektreihe.Nach fünf Wochen, am Ende der Projektreihe, stellt jederSchüler sein Projekt dem Publikum vor. Das Publikum setzt sichzusammen aus Ärzten, Therapeuten, Teammitgliedern undJugendlichen, meistens zwischen 20 bis 30 Menschen. Die Arbeitenwerden anschliessend in der Schule ausgestellt.Die Idee hinter diesem Projektunterricht ist, dass Jugendlichelernen, in einer bestimmten Zeit ein Produkt herzustellen und eszu präsentieren. Es soll die Brücke von der Klinik zur LehrlingsoderSchulwelt bilden.Einzel- und AbklärungsunterrichtNeben dem Projektunterricht gibt es noch den Einzelunterricht.Dieser ist gedacht für Jugendliche, die kein Oberstufenniveauhaben, die dissozial sind oder deren Krankheitszustand keinenGruppen- oder längeren Unterricht erlaubt. Sie erhalten «klassischen»Unterricht in den Fächern Deutsch, Mathematik, Englischoder Französisch.Die Jugendlichen sind zwischen vier Wochen und mehrerenMonaten in der Schule. Eine langfristige Planung ist unmöglichund der Lehrerberuf verlangt hier viel Flexibilität, was aber durchdie multidisziplinäre und abwechslungsreiche Zusammenarbeitmit andern längstens wieder wettgemacht wird.Die Schüler von Littenheid stecken meist in einer sehr grossenIdentitätskrise. Schule ist für sie oft etwas sehr Verhasstes, welcheses mit allen Mitteln zu vermeiden gilt.Und genau hier beginnt der Auftrag der Schule Littenheid: DieBrücke zwischen Klinikalltag und der Aussenwelt zu schlagen, dieSchüler wieder an die Schule zu gewöhnen und sie mal erleben zulassen, dass Schule auch etwas Positives haben kann.Wenn ein Schüler austritt und – wenn auch nur heimlich – denkt:«Ich bin ja doch nicht sooo dumm und Schule kann auch Spassmachen», dann habe ich mein ganz persönliches Ziel erreicht.Dies wiederum gibt den Schülern mehr Kraft, ihre eigene Identitätzu entwickeln, den Mut dazuzulernen und den Willen, auchmal durchzubeissen.* Die Form «Schüler» steht für beide Geschlechter35
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