Die Defizit-Theorie des Alters hatausgedient.Akutpsychiatrie und stationäre Psychotherapie für ältere Menschen
Dr. med. Michael Mayer, Oberarzt GerontopsychiatrieDer Wandel in der Gesellschaft, die Identitätdes Individuums und Psychotherapie im AlterDie Arbeit auf der PsychotherapiestationPark B für Menschen ab dem 50. Lebensjahrführt zu einer vielfältigen Auseinandersetzungmit dem Wandel in der Gesellschaft.Nicht nur, weil Patienten und Behandler unterschiedlichenGenerationen angehören. Sondern auch, weil sich das Bild und dieRealität der Lebensphase Alter verändern.Gesellschaftliche Veränderungen bilden sich in psychischenKrisensituationen ab: eine Momentaufnahmeaus Park BFrau M. ist 61 Jahre alt. Seit sie in Littenheid ist, hat sie ihre Gewohnheit,jeden Dienstagvormittag zum Coiffeur zu gehen, wiederaufgenommen. Sie blättert in einer Zeitschrift. Ihr Blick fälltauf eine ganzseitige Werbeanzeige: Ein glückliches, grauhaarigesPaar läuft barfuss und Hand in Hand am Strand entlang. Im zugehörigenText wirbt eine Lebensversicherung dafür, rechtzeitigfür den wohlverdienten Ruhestand vorzusorgen. Frau M. ist seitdrei Wochen auf Park B. Vor einem Jahr hat sie ihren Mann verloren.Nur sieben Jahre älter als sie, starb er plötzlich an einem Herzinfarkt.Ihre einzige Tochter ist mit der eigenen kleinen Familieund ihrem Job vollauf beschäftigt. Sie sieht einiges anders als dieMutter und will vieles anders machen als die Eltern. Frau M.würde die Tochter und das Enkelkind gerne viel häufiger sehen.Sie kommt mit den Veränderungen in ihrem Leben nicht klar undfühlt sich einsam. Zuerst litt sie unter Kopf- und Rückenschmerzen,dann konnte sie nicht mehr schlafen. Sie wurde immer bedrückter,hatte an nichts mehr recht Freudeund hat sich schliesslich von Bekannten undFreunden zurückgezogen. Ein Psychiaterhatte bei ihr eine Depression diagnostiziert.Zur gleichen Zeit kommt Herr E., 55 Jahre,leitender Angestellter, in Begleitung seinerFrau gerade zu einem ambulanten Vorgesprächin Littenheid an. Er denkt noch an dasgrossflächige Werbeplakat, das ihm einigeMinuten vorher vom Wagen aus aufgefallen war: «RechnerischesAlter 55, gefühltes Alter 45», war da zu lesen. Die Bildüberschriftgehörte zu einer Werbung für ein neues Testosteron-Gel.Herr E. hat vor drei Monaten seinen Arbeitsplatz verloren.Nach über 25 Jahren im Betrieb. Von seiner Abteilung sind nachder Fusion nur die jüngeren Kollegen übrig geblieben. Anfangshatte er seine Enttäuschung und seine Zukunftsängste mit Alkoholbetäubt. Er ist aus Angst vor unangenehmen Fragen seinenFreunden und Bekannten aus dem Weg gegangen. Schliesslich hatauch seine Familie unter seinen Stimmungsschwankungen gelitten.Als er dann kaum noch das Haus verliess, meinte sein Hausarzt,eine stationäre Psychotherapie sei das Richtige für ihn. Auchseine Frau gab ihm zu verstehen, dass es so nicht mehr weiter gehe.In den beiden exemplarischen Fallgeschichten deutet sich an,dass kritische gesellschaftliche Veränderungen, Generationsunterschiedeund die wirtschaftliche Globalisierung bei psychischenKrisensituationen ab dem 50. Lebensjahr in vielfältiger Weise eineRolle spielen können. Menschen wie Frau M. und Herr E. findenin schwierigen Lebenssituationen und bei länger dauernden Krisenpsychotherapeutische Hilfe auf der Station Park B. Der Frage,wie gesellschaftliche Veränderungen in ungünstiger oder in günstigerWeise auf die Erkrankung dieser Patienten und den Behandlungsalltageinwirken, soll hier nachgegangen werden.«Die Fortschritte in der Medizin und gesunde Lebensbedingungenhaben dazu geführt, dass wir nicht nurein viel höheres Lebensalter erreichen, sondern auchdazu, dass ältere Menschen dieses hohe Alter beideutlich besserer Vitalität erleben.»Die jungen Alten im Bild der Werbung und derMassenmedien: zwischen Jugendlichkeitsideal undAlterswirklichkeitDie Fortschritte in der Medizin und gesunde Lebensbedingungenhaben dazu geführt, dass wir nicht nur ein viel höheres Lebensaltererreichen, sondern auch dazu, dass ältere Menschen dieseshohe Alter bei deutlich besserer Vitalität erleben. Gleichzeitig sindJugendlichkeit, Dynamik und Leistung, schneller Erfolg, rascherKonsum, Freiheit und «Erlebnis pur» Merkmale unserer «Erlebnisgesellschaft»geworden. Das Leitbild dieser Gesellschaft ist«Jugendlichkeit». Die Erhaltung des Jungseins wird dabei zum absolutenWert erhoben.Die Massenmedien und die Werbung feiern die «jungen» Altenoder «neuen» Alten als neuen Rentnertyp. Der junge Alteerscheint als eine Idealfigur, die am jungen Menschen gemessen39
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