Antike Mathematik: Euklid und die Elemente - Mathematik.de
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Geometrie ist ein schwieriger Prozess. Und auch <strong>Euklid</strong> gelingt es nicht immer, ohne nur<br />
rein anschaulich begrün<strong>de</strong>te Voraussetzungen in seinen Beweisen auszukommen. Ein<br />
Beispiel hierfür sind sich schnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Kreise. Zwei Kreise mit Ra<strong>die</strong>n r1 >= r2 <strong>de</strong>ren<br />
Mittelpunkte einen Abstand d mit r1 – r2 < d < r1 + r2 aufweisen, müssen sich schnei<strong>de</strong>n.<br />
Anschaulich ist das vollkommen klar. <strong>Euklid</strong> benutzt <strong>die</strong>se Voraussetzung häufig bei<br />
seinen Konstruktionen. Was allerdings fehlt, ist ein entsprechen<strong>de</strong>r Satz, samt<br />
zugehörigem Beweis.<br />
Wenn in einer über 2000jährigen Rezeptionsgeschichte Generation um Generation <strong>die</strong><br />
<strong>Elemente</strong> analysiert, dann fallen auch <strong>die</strong> kleinen Nachlässigkeiten irgendwann<br />
irgendwem auf.<br />
Eine genauere Analyse hat dann aber gezeigt, dass nicht alle fehlen<strong>de</strong>n Sätze bloß als<br />
kleine Nachlässigkeiten vermerkt wer<strong>de</strong>n können. Nicht alle fehlen<strong>de</strong>n Sätze lassen sich<br />
im Rahmen einer wohlmeinen<strong>de</strong>n Sanierung einfach nachträglich einschieben. Manche<br />
können im Rahmen <strong>de</strong>r euklidischen Axiome (<strong>und</strong> Postulate) schlichtweg nicht hergeleitet<br />
wer<strong>de</strong>n.<br />
Fehlen<strong>de</strong> Axiome:<br />
Über eine gründliche Analyse <strong>de</strong>r Probleme mit fehlen<strong>de</strong>n Sätzen stieß man so auf das<br />
Problem <strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>n Axiome. <strong>Euklid</strong> gelingt es nicht, <strong>die</strong> uns so leicht zugängliche<br />
Vorstellung von <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>alen Objekten <strong>de</strong>r Geometrie auf vollkommen angemessene<br />
Weise in Axiome zu übersetzen. Dass stereometrische Axiome fehlen wur<strong>de</strong> bereits<br />
erwähnt.<br />
Ein zusätzliches Beispiel, das auch <strong>die</strong> Planimetrie berührt, soll genügen: Dass von 3<br />
Punkten auf einer Gera<strong>de</strong>n einer <strong>de</strong>r 3 zwischen <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren liegen muss, ist<br />
anschaulich vollkommen klar. Aber es lässt sich nicht aus <strong>de</strong>n bei <strong>Euklid</strong> angegebenen<br />
Axiomen <strong>und</strong> Postulaten herleiten. Mo<strong>de</strong>rne Axiomensysteme zur Geometrie sichern<br />
<strong>de</strong>swegen <strong>die</strong>se Eigenschaft durch zusätzliche Axiome.<br />
Obwohl also <strong>Euklid</strong>s <strong>Elemente</strong> verschie<strong>de</strong>ne Mängel aufweisen, bleibt ihnen doch das<br />
Ver<strong>die</strong>nst, das Leitbild einer strengen axiomatischen <strong>Mathematik</strong> propagiert zu haben. Die<br />
<strong>Elemente</strong> haben <strong>die</strong>s sogar so wirkungsvoll getan, dass an Hand <strong>die</strong>ses Leitbil<strong>de</strong>s <strong>die</strong><br />
Schwächen <strong>de</strong>r <strong>Elemente</strong> selbst aufge<strong>de</strong>ckt wer<strong>de</strong>n konnten.<br />
Es spricht <strong>de</strong>utlich für <strong>de</strong>n Lehrmeister, wenn seine Schüler lernen, auch <strong>die</strong> ver<strong>de</strong>ckten<br />
Fehler <strong>und</strong> Ungenauigkeiten ihres Lehrers zu erkennen <strong>und</strong> zu korrigieren. In <strong>die</strong>sem<br />
Sinne ist <strong>die</strong> in über 2000 Jahren Rezeptionsgeschichte erstellte Mängelliste <strong>de</strong>r <strong>Elemente</strong><br />
letztlich ein Beweis für <strong>de</strong>n durchschlagen<strong>de</strong>n Erfolg <strong>de</strong>r <strong>Elemente</strong>.<br />
Das implizit propagierte Leitbild <strong>de</strong>r <strong>Elemente</strong> wur<strong>de</strong> angenommen <strong>und</strong> in voller Strenge<br />
auf <strong>die</strong> <strong>Elemente</strong> selbst angewen<strong>de</strong>t. Da <strong>de</strong>r Nachweis einer bis dato unbekannten<br />
Schwäche in <strong>de</strong>n <strong>Elemente</strong>n lange Zeit mit beson<strong>de</strong>rem Ansehen <strong>und</strong>/o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Aussicht<br />
auf Verbesserung <strong>de</strong>r beruflichen Stellung verb<strong>und</strong>en war, dürfte kaum eine <strong>de</strong>r<br />
bemerkten Schwächen ohne eine entsprechen<strong>de</strong> Veröffentlichung geblieben sein.<br />
Über 2000 Jahre <strong>Elemente</strong> heißt also auch: Über 2000 Jahre Kritik <strong>de</strong>r <strong>Elemente</strong>. Einer<br />
<strong>de</strong>rart lang anhalten<strong>de</strong>n kritischen Überprüfung dürften nur wenige an<strong>de</strong>re Werke<br />
ausgesetzt gewesen sein.<br />
Die <strong>Elemente</strong> haben <strong>die</strong>sen langen Prozess <strong>de</strong>r immer neuen kritischen Durchsicht gut<br />
überstan<strong>de</strong>n. Die gef<strong>und</strong>enen Mängel haben ihrem Ansehen nicht gescha<strong>de</strong>t. Bei <strong>de</strong>r<br />
Wahl zum segensreichsten Buch <strong>de</strong>r Menschheitsgeschichte hätten <strong>die</strong> <strong>Elemente</strong> noch<br />
immer keinen Konkurrenten zu fürchten.<br />
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