Jahresbericht - Hannah-Arendt-Gymnasium
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„Altsein ist eine ebenso schöne<br />
und heilige Aufgabe wie Jungsein“<br />
Hermann Hesse<br />
Lebenslänglich<br />
oder<br />
Muße in Würde?<br />
„Auch Senioren wollen surfen.“ „Senioren ans Netz!“ So oder ähnlich lauten die Offerten der<br />
unterschiedlichsten Bildungsinstitutionen an alternde Arbeitnehmer, aber auch an jene, die diesen<br />
Status in ihrer Biographie bereits hinter sich haben. Volkshochschulen werben für lebenslanges<br />
Lernen und die lebenslange Anbindung an die Bildungsprogramme des eigenen Hauses. Wer<br />
zweimal hinschaut, merkt sehr schnell, dass es sich hierbei um ein verbales Kippbild handelt, das<br />
auch als Drohung verstanden werden kann. Ist es nicht auch eine Art von Freiheitsberaubung,<br />
lebenslang lernen zu müssen, sich bis zum Tode dem anpassen zu müssen, was da an<br />
Entwicklungen, Dynamiken und neuen Anforderungen auf einen zukommt?<br />
Dass man nach Ende der Lehrzeit ausgelernt hatte, war ehemals ein Grund fürs Feiern. Heute<br />
würde jemand, der laut verkündet, er hätte genug gelernt und würde jetzt damit aufhören, in die<br />
soziale Isolation abgedrängt. Besonders auffällig hat sich der Druck des Lernens bis zum Tode in<br />
letzter Zeit gegenüber jenen Personen erhöht, die aus Altersgründen die Phase des sogenannten<br />
„Ruhestandes“ erreicht haben. Nachdem der Bundeskanzler festgestellt hat, dass es kein Recht auf<br />
Faulheit gebe, gibt es zwar weiterhin ein Recht auf Ruhestand, aber anscheinend keines, den<br />
Ruhestand auch ruhig verbringen zu können. Das Bundesbildungsministerium hat in konsequenter<br />
Umsetzung des Schröderschen Diktums den 83-jährigen Hans Schulz zum Ehrenpreisträger für<br />
„lebenslanges Lernen 2001“ erkoren. Dieser hat es geschafft, als „ältester noch aktiver Animateur<br />
der Welt“ ins Guinness-Buch der Rekorde aufgenommen zu werden. Dazu verholfen hat ihm ein<br />
Fernlehrgang „Animationsassistent Touristik“. Da ihm das aber nicht genügt, belegt Herr Schulz<br />
zur Zeit den Fernlehrgang „Senior Aktiv Manager“ – zur späteren Animation von Senioren.<br />
Was soll das? Ist das Alter nicht sowieso schon eine Zumutung? Die aufgedrängte Anstrengung ,<br />
dabei immer fit bleiben und möglichst alles Neue auch noch lernen zu müssen, kompensiert nicht<br />
etwa diese Zumutung, sondern potenziert sie. Die ruhelose Selbstverpflichtung gegenüber dem<br />
Lernen scheint das Ziel der auf ältere Menschen ausgerichteten Politik zu sein. Das Altwerden ist<br />
ein schmerzlicher Lernprozess.<br />
Der Druck aber, lernend jung bleiben zu müssen, lenkt uns nur davon ab und ist doch immer<br />
vergeblich.<br />
Wenn die permanente Selbstoptimierung , die mit lebenslangem Lernen gemeint ist, nie aufhören<br />
darf, dann ist der Ruhestand abgeschafft. Der „Lernaholic“ scheint das politisch gewollte Ideal des<br />
Staatsbürgers zu sein. Süchtige sind aber das Gegenteil von Mündigen. Jeder Mensch sollte ohne<br />
permanente Lernanstrengungen alt werden dürfen. Ich bestehe darauf: Alte Menschen wissen und<br />
können mehr als sie gelernt haben.<br />
K.A. Geissler in der Frankfurter Rundschau vom 29. 8. 2002<br />
Ergänzungen: H. Assig<br />
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