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Jahresbericht - Hannah-Arendt-Gymnasium

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Vor einigen Wochen hatte ich mir zwei Bücher gekauft mit den verheißungsvollen Titeln: „Wird<br />

auch silbern mein Haar. Eine Geschichte des Alters in der Antike“, und: „Bilder des Alters.<br />

Altersstereotype und die Beziehungen zwischen den Generationen.“<br />

Aber haben Sie keine Angst: Ich habe nicht die Zeit gefunden, sie rechtzeitig zu lesen, und daher<br />

heute keine Chance, Ihnen meine Lesefrüchte anzuvertrauen.<br />

Stattdessen erlaube ich mir drei kurze Reflexionen.<br />

Von Hermann Hesse stammt der Satz: „Altsein ist eine ebenso schöne und heilige Aufgabe wie<br />

Jungsein.“<br />

Allerdings habe ich den Eindruck, dass unter Soziologen, Politikern und anderen<br />

gesellschaftlichen Verantwortungsträgern die Angst vor einer demographischen Entwicklung<br />

umgeht, die Angst nämlich vor der Altengesellschaft. Und nirgends zeigen sich Auswege aus dem<br />

Abseits drohender Vergreisung. Ab heute trete ich dieser pessimistischen Sicht energisch<br />

entgegen.<br />

Die Alten von Morgen werden vielleicht ganz anders sein. Durch die steigende Lebenserwartung<br />

kann die Zeit des sog. Ruhestands zu einem zukunftsträchtigen, innovationsfreudigen<br />

Lebensabschnitt werden. Für Herbert Marcuse war arbeitsfreie Zeit eine Vorbedingung für<br />

Freiheit, für das freie Spiel individueller Fähigkeiten und für neue Weltentdeckung („Triebstruktur<br />

und Gesellschaft“). Rentner und Pensionäre könnten die Avantgarde des neuen engagierten<br />

Bürgers in der Neo-Moderne sein, wie sie Ulrich Beck und andere andenken. „Wir werden immer<br />

älter – und das ist ein Glück“, sang Anfang der achtziger Jahre das Grips-Theater. Vielleicht gilt<br />

bald das Motto: Trau keinem unter Sechzig!<br />

Dichter an der Realität und einfühlsam hat Hermann Hesse vom Alter geredet und seine heiteren<br />

und tröstlichen Seiten beschrieben.<br />

„Wenn ich an diese positive und schöne Seite im Leben der Alten erinnere und<br />

daran, dass wir Weißhaarigen auch Quellen der Kraft, der Geduld, der Freude<br />

kennen, die im Leben der Jungen keine Rolle spielen, dann kann ich einige von<br />

den Gaben, die das Alter uns schenkt, dankbar mit Namen nennen. Die mir<br />

teuerste dieser Gaben ist der Schatz an Bildern, die man nach einem langen<br />

Leben im Gedächtnis trägt und denen man sich mit dem Schwinden der Aktivität<br />

mit ganz anderer Teilnahme zuwendet als jemals zuvor. Menschengestalten und<br />

Menschengesichter, die nicht mehr auf der Erde sind, leben in uns weiter,<br />

gehören uns, leisten uns Gesellschaft, blicken uns aus lebenden Augen an.<br />

Häuser, Gärten, Städte, die inzwischen verschwunden oder völlig verändert sind,<br />

sehen wir unversehrt wie einst, und ferne Gebirge und Meeresküsten, die wir vor<br />

Jahrzehnten auf Reisen gesehen, finden wir frisch und farbig in unserem<br />

Bilderbuche wieder. Das Schauen, das Betrachten, die Kontemplation wird<br />

immer mehr zu einer Gewohnheit und Übung, und unmerklich durchdringt die<br />

Stimmung und Haltung des Betrachtenden unser ganzes Verhalten.<br />

Von Wünschen, Träumen, Begierden, Leidenschaften gejagt sind wir, wie die<br />

Mehrzahl der Menschen, durch die Jahre und Jahrzehnte unsres Lebens<br />

gestürmt, ungeduldig, gespannt, erwartungsvoll, von Erfüllungen oder<br />

Enttäuschungen heftig erregt – und heute, im großen Bilderbuch unsres eigenen<br />

Lebens behutsam blätternd, wundern wir uns darüber, wie schön und gut es sein<br />

kann, jener Jagd und Hetze entronnen und in die vita contemplativa gelangt zu<br />

sein. Hier, in diesem Garten der Weisen, blühen manche Blumen, an deren<br />

Pflege wir früher kaum gedacht haben. Da blüht die Blume der Geduld, ein edles<br />

Kraut, wir werden gelassener, nachsichtiger, und je geringer unser Verlangen<br />

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