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EINBLICKE - KHSB

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eiNblick<br />

»ach wie gut, dass niemand weiß ...«<br />

Ein Interview mit Ingrid lutz, leiterin des nächsten Durchlaufs der Weiterbildung Drama- und theatertherapie, einem<br />

kooperationsprojekt des referats Weiterbildung mit der Deutschen gesellschaft für theatertherapie (Dgft)<br />

Das Gespräch mit Ingrid Lutz führte Mechthild Schuchert, Studienleiterin <strong>KHSB</strong>.<br />

Frau Lutz, die Hochschule hat die Kooperationsanfrage<br />

der DGfT gern aufgegriffen und<br />

wird gemeinsam mit Ihnen im nächsten Frühjahr<br />

ein zweites Mal die Weiterbildung Dramaund<br />

Theatertherapie beginnen. Für die <strong>KHSB</strong><br />

ist diese Weiterbildung ein weiteres wichtiges<br />

Element in der Qualifizierung von Professionellen<br />

in den Feldern der Sozialen Arbeit, der<br />

Heilpädagogik und der gesundheitsorientierten<br />

Berufe mit kreativen, künstlerischen Methoden.<br />

Wir haben uns auch deshalb gern für eine Zusammenarbeit<br />

mit Ihnen entschieden, weil wir<br />

wissen, dass Sie über vielfältige Erfahrungen<br />

in der dramatherapeutischen Arbeit mit Menschen,<br />

z.B. mit Suchterkrankungen, verfügen.<br />

Wie kann die Dramatherapie hier nutzbar gemacht<br />

werden?<br />

Ich muss etwas ausholen, um Ihnen ein<br />

Beispiel zu nennen, mit dem ich Ihre Frage<br />

hoffentlich anschaulich beantworten<br />

kann. Zum Ende eines dramatherapeutischen<br />

Prozesses mit alkoholabhängigen<br />

Menschen erarbeiteten wir ein Stück mit<br />

dem Titel: »Ach wie gut, dass niemand<br />

weiß…« Dieser Satz bedeutete den Menschen<br />

viel, denn er fasste wesentliche Erfahrungen<br />

mit ihrer Suchterkrankung zusammen:<br />

die Angst, erkannt zu werden,<br />

den Druck, das Suchtverhalten verstecken<br />

zu müssen, die Einsamkeit und die soziale<br />

Isolierung – aber vorrangig die Erfahrungen<br />

im Therapieprozess, wesentliche Teile<br />

der eigenen Person nicht zeigen zu dürfen<br />

oder bagatellisieren zu müssen.<br />

Eine theatertherapeutische Methode<br />

besteht darin, dass die Gruppe die Rollen<br />

entwickelt und einander zuweist. In dieser<br />

Gruppe gab es eine Frau von etwa 50<br />

Jahren, die sehr »unscheinbar« war und<br />

in ihrem Verhalten sehr unterordnend. In<br />

diesem Stück nun wurde ihr die Rolle einer<br />

Domina zugewiesen. Zu meiner größten<br />

Überraschung nahm sie diese Rolle<br />

sofort an und spielte sie mit Lust und Lei-<br />

denschaft. Nach der Aufführung erzählte<br />

sie mir lächelnd, dass ihr Mann sie nicht<br />

erkannt hatte und jetzt ganz begeistert<br />

sei. Er empfand offensichtlich zum ersten<br />

Mal Respekt vor ihr – und das war ein<br />

wichtiger Schritt für ihre Heilung.<br />

Frau Lutz, ich sehe an diesem Beispiel, dass<br />

diese Frau, die sich – wie Sie berichteten –<br />

immer unterordnen musste – gern eine Rolle<br />

nahm, in der sie dominieren darf, stärker noch<br />

ausgedrückt: in der sie über die ihr zugewiesene<br />

Rolle dominieren muss, also eine Antirolle<br />

übernimmt. Wie passt dieses Verhalten zur<br />

»Sucht« und was<br />

bedeutet es in<br />

einem heilenden<br />

Prozess, dass<br />

diese Frau sich<br />

zu einem dominanten<br />

Verhalten<br />

entscheiden kann?<br />

Sie hätte die Rolle<br />

ja auch so spielen<br />

können, dass<br />

z.B. ihr Mann sie<br />

erkennt … also<br />

mit weniger Überzeugungskraft,<br />

mit<br />

weniger Hingabe.<br />

Ihre Sucht drückt die Abhängigkeit von<br />

einem sehr engen Selbstverständnis aus.<br />

Nur über das Suchtmittel gelingt »im<br />

Rausch« kurzfristig der Ausbruch aus<br />

einem engen Korsett, gefolgt von noch<br />

größerer Selbstentwertung, wenn der<br />

Rausch vorbei ist. Und so, wie sie ihre<br />

Lebenswünsche verheimlichen muss,<br />

muss sie auch die Sucht verheimlichen. Im<br />

Schutz des Spiels und der Rolle findet sie<br />

den »Raum«, tabuisierte Verhaltensweisen<br />

und Lebenswünsche auszuprobieren.<br />

Im spielerischen Tun verliert sie die Angst<br />

vor Bedürfnissen, die sie in ihrer Lebensgeschichte<br />

gelernt hat zu verneinen. Und<br />

in diesem Spiel ging es ja nicht darum,<br />

Domina zu sein, sondern auszuprobieren,<br />

wie es sein kann, zu bestimmen und sich<br />

nicht mehr zu unterwerfen. Im dramaund<br />

theaterherapeutischen Handeln geht<br />

es darum, »Spiel-Räume« zu ermöglichen.<br />

Ein schönes Bild – passend zum Leitgedanken<br />

der künstlerischen und kreativen Verfahren, unbewussten,<br />

geheimen und ungenutzten Möglichkeiten<br />

Ausdruck zu verleihen. Wie gelingt<br />

es, diese Fähigkeit zu lehren?<br />

Man kann es nur »am eigenen Leib«<br />

erfahren und lernen. Wir lehren es, indem<br />

wir auch in der Ausbildung »Spiel-<br />

Räume« eröffnen und die Lust, sich zu<br />

entwickeln, ungenutzte Möglichkeiten<br />

zu leben. Ausbilden heißt, geschützte<br />

Räume der Bühne, geschützte Räume der<br />

Rolle und von Ritualen anzubieten und<br />

das Experimentieren zu unterstützen. Erst<br />

danach kann gelernt werden, dies weiterzugeben.<br />

Ich tue so, als ob … und ich kann ja – weil es<br />

doch nur ein Spiel ist – immer wieder zurück ...<br />

Ja, hier liegt die große Chance. Im Spiel<br />

auf der Bühne, im Theater kann ich die<br />

Angst vor einem mir fremden Verhalten

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