Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
12<br />
eiNblick<br />
»ach wie gut, dass niemand weiß ...«<br />
Ein Interview mit Ingrid lutz, leiterin des nächsten Durchlaufs der Weiterbildung Drama- und theatertherapie, einem<br />
kooperationsprojekt des referats Weiterbildung mit der Deutschen gesellschaft für theatertherapie (Dgft)<br />
Das Gespräch mit Ingrid Lutz führte Mechthild Schuchert, Studienleiterin <strong>KHSB</strong>.<br />
Frau Lutz, die Hochschule hat die Kooperationsanfrage<br />
der DGfT gern aufgegriffen und<br />
wird gemeinsam mit Ihnen im nächsten Frühjahr<br />
ein zweites Mal die Weiterbildung Dramaund<br />
Theatertherapie beginnen. Für die <strong>KHSB</strong><br />
ist diese Weiterbildung ein weiteres wichtiges<br />
Element in der Qualifizierung von Professionellen<br />
in den Feldern der Sozialen Arbeit, der<br />
Heilpädagogik und der gesundheitsorientierten<br />
Berufe mit kreativen, künstlerischen Methoden.<br />
Wir haben uns auch deshalb gern für eine Zusammenarbeit<br />
mit Ihnen entschieden, weil wir<br />
wissen, dass Sie über vielfältige Erfahrungen<br />
in der dramatherapeutischen Arbeit mit Menschen,<br />
z.B. mit Suchterkrankungen, verfügen.<br />
Wie kann die Dramatherapie hier nutzbar gemacht<br />
werden?<br />
Ich muss etwas ausholen, um Ihnen ein<br />
Beispiel zu nennen, mit dem ich Ihre Frage<br />
hoffentlich anschaulich beantworten<br />
kann. Zum Ende eines dramatherapeutischen<br />
Prozesses mit alkoholabhängigen<br />
Menschen erarbeiteten wir ein Stück mit<br />
dem Titel: »Ach wie gut, dass niemand<br />
weiß…« Dieser Satz bedeutete den Menschen<br />
viel, denn er fasste wesentliche Erfahrungen<br />
mit ihrer Suchterkrankung zusammen:<br />
die Angst, erkannt zu werden,<br />
den Druck, das Suchtverhalten verstecken<br />
zu müssen, die Einsamkeit und die soziale<br />
Isolierung – aber vorrangig die Erfahrungen<br />
im Therapieprozess, wesentliche Teile<br />
der eigenen Person nicht zeigen zu dürfen<br />
oder bagatellisieren zu müssen.<br />
Eine theatertherapeutische Methode<br />
besteht darin, dass die Gruppe die Rollen<br />
entwickelt und einander zuweist. In dieser<br />
Gruppe gab es eine Frau von etwa 50<br />
Jahren, die sehr »unscheinbar« war und<br />
in ihrem Verhalten sehr unterordnend. In<br />
diesem Stück nun wurde ihr die Rolle einer<br />
Domina zugewiesen. Zu meiner größten<br />
Überraschung nahm sie diese Rolle<br />
sofort an und spielte sie mit Lust und Lei-<br />
denschaft. Nach der Aufführung erzählte<br />
sie mir lächelnd, dass ihr Mann sie nicht<br />
erkannt hatte und jetzt ganz begeistert<br />
sei. Er empfand offensichtlich zum ersten<br />
Mal Respekt vor ihr – und das war ein<br />
wichtiger Schritt für ihre Heilung.<br />
Frau Lutz, ich sehe an diesem Beispiel, dass<br />
diese Frau, die sich – wie Sie berichteten –<br />
immer unterordnen musste – gern eine Rolle<br />
nahm, in der sie dominieren darf, stärker noch<br />
ausgedrückt: in der sie über die ihr zugewiesene<br />
Rolle dominieren muss, also eine Antirolle<br />
übernimmt. Wie passt dieses Verhalten zur<br />
»Sucht« und was<br />
bedeutet es in<br />
einem heilenden<br />
Prozess, dass<br />
diese Frau sich<br />
zu einem dominanten<br />
Verhalten<br />
entscheiden kann?<br />
Sie hätte die Rolle<br />
ja auch so spielen<br />
können, dass<br />
z.B. ihr Mann sie<br />
erkennt … also<br />
mit weniger Überzeugungskraft,<br />
mit<br />
weniger Hingabe.<br />
Ihre Sucht drückt die Abhängigkeit von<br />
einem sehr engen Selbstverständnis aus.<br />
Nur über das Suchtmittel gelingt »im<br />
Rausch« kurzfristig der Ausbruch aus<br />
einem engen Korsett, gefolgt von noch<br />
größerer Selbstentwertung, wenn der<br />
Rausch vorbei ist. Und so, wie sie ihre<br />
Lebenswünsche verheimlichen muss,<br />
muss sie auch die Sucht verheimlichen. Im<br />
Schutz des Spiels und der Rolle findet sie<br />
den »Raum«, tabuisierte Verhaltensweisen<br />
und Lebenswünsche auszuprobieren.<br />
Im spielerischen Tun verliert sie die Angst<br />
vor Bedürfnissen, die sie in ihrer Lebensgeschichte<br />
gelernt hat zu verneinen. Und<br />
in diesem Spiel ging es ja nicht darum,<br />
Domina zu sein, sondern auszuprobieren,<br />
wie es sein kann, zu bestimmen und sich<br />
nicht mehr zu unterwerfen. Im dramaund<br />
theaterherapeutischen Handeln geht<br />
es darum, »Spiel-Räume« zu ermöglichen.<br />
Ein schönes Bild – passend zum Leitgedanken<br />
der künstlerischen und kreativen Verfahren, unbewussten,<br />
geheimen und ungenutzten Möglichkeiten<br />
Ausdruck zu verleihen. Wie gelingt<br />
es, diese Fähigkeit zu lehren?<br />
Man kann es nur »am eigenen Leib«<br />
erfahren und lernen. Wir lehren es, indem<br />
wir auch in der Ausbildung »Spiel-<br />
Räume« eröffnen und die Lust, sich zu<br />
entwickeln, ungenutzte Möglichkeiten<br />
zu leben. Ausbilden heißt, geschützte<br />
Räume der Bühne, geschützte Räume der<br />
Rolle und von Ritualen anzubieten und<br />
das Experimentieren zu unterstützen. Erst<br />
danach kann gelernt werden, dies weiterzugeben.<br />
Ich tue so, als ob … und ich kann ja – weil es<br />
doch nur ein Spiel ist – immer wieder zurück ...<br />
Ja, hier liegt die große Chance. Im Spiel<br />
auf der Bühne, im Theater kann ich die<br />
Angst vor einem mir fremden Verhalten