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EINBLICKE - KHSB

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6<br />

Querblick<br />

sundheitsbewusstem Verhalten, eine entsprechende Rolle: Neben<br />

den oben referierten Erkenntnissen und Erklärungen stehen der<br />

Sozialen Arbeit im Bereich von Gesundheit und Krankheit weitere<br />

Theorien zur Verfügung. Mit der Sozialökologie oder ökosozialen<br />

Theorie verfügt sie über ein Grundverständnis, das das<br />

Verhalten von Menschen in einem transaktionalen Zusammenhang<br />

mit ihren Verhältnissen sieht. Menschen agieren in einer<br />

sie umgebenden natürlichen, kulturellen und sozialen Umwelt,<br />

aus der sowohl Risiken wie auch Ressourcen für die Erhaltung<br />

von Gesundheit oder die Vermeidung von Krankheit resultieren.<br />

unterschiede in den<br />

gesundheitlichen<br />

Belastungen<br />

(z. B. psychische und<br />

physische Belastung am<br />

Arbeitsplatz)<br />

soziale ungleichheit<br />

(Unterschiede in Wissen, Macht, Geld und Prestige)<br />

unterschiede in den<br />

Bewältigungsressourcen,<br />

Erholungsmöglichkeiten<br />

(z. B. soziale Unterstützung,<br />

Grünfläche in der<br />

Wohnumgebung)<br />

unterschiede im gesundheitsverhalten<br />

(z. B. Ernährung, Rauchen, Compliance)<br />

gesundheitliche ungleichheit<br />

(Unterschiede in Morbidität und Mortalität)<br />

unterschiede in der<br />

gesundheitlichen<br />

Versorgung<br />

(z. B. Zahnersatz, Arzt-<br />

Patient-Kommunikation)<br />

Abb. 3: Erklärungsmodell zur gesundheitlichen Ungleichheit,<br />

Mielck 2000, S. 173<br />

Sozialökologisch gedacht wird dabei Lebensführung als fortlaufender<br />

Bewältigungsprozess verstanden, der eine dynamische<br />

und auf eine gelingende Lebensführung abzielende, beständige<br />

Auseinandersetzung mit den individuellen Lebenszielen und<br />

–möglichkeiten sowie den in der Umwelt vorfindlichen Ressourcen<br />

und Begrenzungen der eigenen Lebensführung umfasst. In<br />

Abwandlung eines bekannten Satzes von Karl Marx (aus: »Der<br />

achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«) könnte man sagen:<br />

Die Menschen machen ihre eigene Gesundheit, aber sie machen<br />

sie nicht nur aus freien Stücken, nicht nur unter selbstgewählten,<br />

sondern auch unter unmittelbar vorgefundenen und gegebenen<br />

Umständen. Bei dem medizinsoziologischen Stressforscher Aaron<br />

Antonovsky finden wir ein ähnliches Gesundheitsverständnis,<br />

das wiederum für den Zusammenhang von sozialer Lage und<br />

Gesundheit entscheidende Hinweise liefert. Antonovsky (1997)<br />

beschrieb in seinem Modell der »Salutogenese« das Zusammenwirken<br />

einer individuellen, psychologischen Variable, die er »Kohärenzgefühl«<br />

nannte, und sozialen Variablen, die er unter dem<br />

Terminus »Generalisierte Widerstandsressourcen« zusammenfasste.<br />

Das Kohärenzgefühl als ein Persönlichkeitsfaktor spiegelt<br />

nach Ansicht Antonovskys eine psychische Disposition wider, die<br />

allerdings durch Erfahrungen erworben wird und nach der Menschen<br />

in unterschiedlichem Maße davon überzeugt sind, dass sie<br />

etwas an ihrer Lage, auch ihrer Gesundheit, verändern können<br />

oder nicht. Das Kohärenzgefühl besteht aus drei Teilkomponenten:<br />

erstens durch die Fähigkeit zum Verstehen der jeweiligen<br />

Anforderungen (sense of comprehensibility), die mich in die Lage<br />

versetzt, Informationen in einem Bewertungsprozess als relevant,<br />

irrelevant, herausfordernd oder gefährlich und auch deren<br />

Herkunft, voraussichtlicher Dauer und Dringlichkeit einschätzen<br />

zu können. Zweitens zählt zum Kohärenzgefühl auch die Fähigkeit<br />

zum adäquaten Umgang mit diesen Erkenntnissen und der<br />

Bewältigung im engeren handlungszentrierten Sinne (sense of<br />

manageability). Diese Fähigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass<br />

ich zur Lösung einer erkannten Herausforderung bzw. eines<br />

Problems die nötigen praktischen Fähigkeiten besitzen muss, um<br />

es anzugehen. Hierzu gehören also wiederum Kenntnisse über<br />

Lösungswege und Bewältigungsressourcen wie auch Fertigkeiten<br />

zu deren Umsetzung. Drittens gehört zum Kohärenzgefühl nach<br />

Ansicht Antonovskys eine motivationale Komponente (sense of<br />

meaningfulness), die anzeigt, wie viel Energie jemand zur Bewältigung<br />

des Problems aufbringen kann. Wesentlich hierbei ist, wie<br />

viel »Sinn« in dem Problem selbst gesehen wird und vor allem,<br />

wie stark die Überzeugung ist, das durch das eigene Handeln etwas<br />

zu verändern bzw. zu bewirken ist. Neben dieser individuellen<br />

Konstitution setzt das Modell der Salutogenese auch auf die<br />

sog. »Generalisierten Widerstandsressourcen«, die Antonovsky<br />

in individuellen (z.B. körperlichen Faktoren, Intelligenz, Bewältigungsstrategien)<br />

als auch in sozialen und kulturellen Faktoren<br />

(z.B. soziale Unterstützung, finanzielle Möglichkeiten, kulturelle<br />

Stabilität) sah. Unterm Strich wird deutlich, dass sich auch mithilfe<br />

dieses Modells die Zusammenhänge zwischen individueller<br />

Konstitution (Verhalten) und sozialer Verfasstheit (Verhältnisse)<br />

verstehen lassen. Zuletzt hat die Weltgesundheitsorganisation im<br />

Jahre 2001 mit ihrer International Classification of Functioning,<br />

Disability and Health (ICF) diesem bipolaren, aber komplementären<br />

Verständnis Rechnung getragen und die Entstehung von<br />

Behinderung als negative Wechselwirkung zwischen einer Gesundheitsstörung<br />

und Umweltfaktoren sowie personenbezogenen<br />

Faktoren definiert (Deutsche Übersetzung unter www.dimdi.<br />

de). Überhaupt setzt die Weltgesundheitsorganisation schon seit<br />

ihrem Bestehen auf ein multidimensionales Gesundheitsverständnis<br />

und proklamierte schon 1948, dass Gesundheit ein Zustand<br />

vollständigen physischen, geistigen und sozialen Wohlbefindens<br />

sei und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit oder Behinderung.<br />

Diese biopsychosoziale Sichtweise setzte sich auch in der<br />

o.g. ICF sowie in der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung<br />

(1986) durch und sollte als unumstrittener Maßstab für jedwedes<br />

Handeln im Bereich der Gesundheitsversorgung gelten.<br />

Umgesetzt finden wir es jedoch bislang hauptsächlich in der<br />

Rehabilitation, dort vor allem in psychosomatischen, psychotherapeutischen<br />

oder psychiatrischen Einrichtungen und wesentlich<br />

seltener in rein somatischen Fächern der Medizin. Lediglich die<br />

sog. »Integrierte Medizin« (v. Uexküll/Wesiack, 2003) leitet ihr<br />

Handlungskonzept konsequent aus einem solchen biopsychosozialen<br />

Modell ab, ebenso wie die Klinische Soziale Arbeit (Pauls<br />

2004, Ortmann/Röh 2008).

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