"Der Zionismus im Jahre 1940 repräsentierte eine Minoritätder amerikanischen Juden. Kr hatte nur drei Führer, die politischenEinfluß hatten — Stephen Wise, Brandeis und Frankfurter.... Ich war, als ich ankam, das einzige und erste Mitglied derZionistischen Weltexekutive, das in Amerika seinen Wohnsitznahm, und war beauftragt, die Exekutive sowohl in Washington,bei der Regierung, wie auch in New York beim amerikanischenJudentum zu vertreten und ihr Prestige und Autorität zu verleihen.Da das Zentrum meiner innerjüdischen Tätigkeit nur inNew York liegen konnte, der Stadt, in der die Hälfte desamerikanischen Judentums konzentriert war und die Juden diegrößte politische Rolle spielten, wählte ich New York als Wohnsitz...." (S. 65)"Stephen Wise hatte eine einzigartige Stellung, nicht nur imamerikanischen Judentum, sondern in Amerika allgemein. ... Erwar ein intimer Freund von Wilson gewesen ... er war ein intimerFreund von Roosevelt und hatte permanenten Zugang zu ihm,was sich natürlich auch auf die Beziehung zu anderen Mitgliedernder amerikanischen Regierung auswirkte. ...Durch Wise hatte ich schon früher bei meinen Reisen nachAmerika die Bekanntschaft von Louis Brandeis, damals Mitglieddes Obersten Gerichts und vielleicht der bedeutendste und angesehensteJurist in Amerika, gemacht. Auch Felix Frankfurter,einflußreichstes Mitglied des Obersten Gerichts und sein Präsidentnach Brandeis' Tod, hatte ich durch ihn kennengelernt. Beidehatten ungemein starken Einfluß in Washington. ,.."(S. 67)"Ein anderes Charakteristikum der amerikanischen Judenheit,das sich häufig negativ auswirkt, ist ihr zu starkes Machtgefühl aufGrund ihrer finanziellen Bedeutung für die Parteien. Auch durchihre überragende Position in der Welt der Medien überschätzen dieamerikanischen Juden ihre Einflußmöglichkeit. Die Präsidentender drei größten Fernsehgesellschaften - CBS. NBC und ABC —waren und sind heutenoch Juden, die zwei einflußreichstenZeitungen — 'New York Times' und 'Washington Post' — sind inBesitz von jüdischen Herausgebern ...Macht in der Politik ist eine zweischneidige Waffe, die mitgroßem Taktgefühl angewandt werden muß, sonst 'merkt man dieAbsicht und wird verstimmt'. Dieses Taktgefühl haben sich dieJuden in Amerika noch nicht erworben." (S. 92)"Fast alle Präsidenten, während der Zeit, in der ich in Amerikalebte — Roosevelt, Truman, Kennedy, Johnson und Nixon —,hatten ihre 'Hofjuden', teils reiche Menschen, die die Präsidentschaftskampagnefinanzieren halfen, teils politisch einflußreichejüdische Führer." (S. 93)"Der nächste Mitarbeiter Roosevelts in jenen Jahren war SamRosenman, ein früherer Richter, der die meisten Reden desPräsidenten schrieb und sein dauernder Berater war, und der aufBitte des Präsidenten die Woche über im Weißen Haus wohnte. ..."(S. 113)"Der Kongreß (Jüdischer Weltkongreß) schuf damals(1943/1944) ein 'Institut für jüdische Fragen', um auch auf dieseWeise durch entsprechende Vorarbeiten dafür Sorge zu tragen,daß die Nazi-Verbrecher nicht ungestraft davonkamen und einMaximum an Wiedergutmachung seitens des besiegten Deutschlandsichergestellt wurde.In diesem Kreis tauchte zuerst derGedanke an eine Bestrafung der nationalsozialistischen Kriegs-Verbrecher auf, der dann später von großen amerikanischenJuristen, vor allem vom Mitglied des Obersten Gerichtshofes,Robert H. Jackson, aufgegriffen und in den Nürnberger Prozessenverwirklicht wurde." (S. 141)Bezeichnend hierbei ist: Man gründete 1943/1944 inUSA ein "Institut für jüdische Fragen" und hat diesemInstitut seitens des Jüdischen Weltkongresses noch nichteinmal die Aufgabe übertragen, zu erkunden, was denneigentlich mit Millionen angeblich vermißter Landsleutein Osteuropa geschehen sei, sondern befaßte sichlediglich mit Gedanken einer "Bestrafung" und mitWiedergutmachung."Daneben (individueller Wiedergutmachung, — d. Verf.) wurdeaber auch das Prinzip der kollektiven Entschädigung gegenüberder jüdischen Gemeinschaft formuliert, das ohne Beispiel nichtnur in der jüdischen, sondern in der gesamten menschlichenGeschichte dasteht. Als meine Freunde und ich diese Forderungerstmals proklamierten, hatten die meisten nur ein ironischesLächeln dafür übrig." (S. 144)Was sie sicher unterlassen hätten, wenn sie das gewußthätten, was man nach der Niederlage Deutschlandsals "historische Tatsache" von Amts wegen zur Kenntnisgab."In den Jahren des Ben-Gurion-Regimes war Israel zwarformell eine Demokratie, de facto jedoch mehr diktatorisch alsmanche totalitäre Staaten. In den wichtigsten Fragen hat er häufigseine Regierung gar nicht befragt. Als er zum Beispiel beschloß,gemeinsam mit Frankreich und England den Sinaikrieg 1956gegen Ägypten zu beginnen, hat er Sharett nicht nur nichtserzählt, sondern ließ ihn sogar auf Staatsmission nach Indienfahren." (S. 197)Das war's eigentlich aus den 465 Seiten. Einzelheitenüber internationale Kettenreaktionen anläßlich einesmillionenfachen Vernichtungsschicksals und deren Aufklärung,Verhinderungsbemühungen, Kampfmaßnahmenoder ähnliches, — nichts. Nahum Goldmann hatte zujener Zeit das Gemüt, turnusmäßig trotz bester Gesundheitmonatelangen Urlaub zu machen und im übrigen dieHälfte seiner Zeit sich dem Privatleben zu widmen.Außerdem nahm er weder seine Tätigkeiten noch Erlebnisseso wichtig, daß sie seinen Nervenzustand oder seineGesundheit beeinträchtigten.Er begnügte sich mit "Prophezeiungen" (S. 63),damit "wie man mit Geschichten erzählen Millionenverdient" (S. 180 "Das jüdische Paradox"), mit dem"weiten Blick".Vorbilder können solche Leute für uns Deutsche,auch für die Menschheit nicht sein! Sie lediglich alsLügner zu bezeichnen, wäre freilich zu einfach.30
LetztesNahumInterviewmitGoldmannNahum Goldmann gab der Zeitschrift "Der Spiegel"(Ausgabe vom 23. August 1982, <strong>Nr</strong>. 34, S. 92 - 97) mit87 Jahren ein bemerkenswertes Interview, das für dieGeschichtswissenschaft, zumindest in Auszügen, erhaltenwerden sollte. In der Zeitschrift "<strong>Historische</strong> <strong>Tatsachen</strong>"haben wir uns bereits mehrfach mit Nahum Goldmannbefaßt: In <strong>Nr</strong>. 5, S. 40; <strong>Nr</strong>. 7, S. 33; <strong>Nr</strong>. 10.Am 30. August 1982 ist dieser maßgebende Repräsentantdes Weltjudentums verstorben.Nahum Goldmann stand Zeit seines Lebens im Dienstder zionistischen Arbeit. Geboren in Rußland, aufgewachsenin Frankfurt/M, Jura-Student in Marburg, Berlinund Heidelberg, war er schon frühzeitig publizistisch undpolitisch aktiv. Seit 1926 in der "Zionistischen Vereinigungin Deutschland" spielte er schon seit 1933 bei allenvon Juden auf internationaler Ebene unternommenenAktionen eine wichtige Rolle: Beim Völkerbund von1933 bis 1939, bei der "Jewish Agency" seit 1935, beimJüdischen Weltkongreß seit 1936, den er schließlich bis1977 geleitet hat, in den Vereinten Nationen (UNO) seit1942, in der Zionistischen Weltorganisation seit 1956.Seine drei Memoirenwerke "Das Jüdische Paradox",Köln-Frankfurt/M 1978, "Mein Leben als deutscherJude", München-Wien 1980 und "Mein Leben — USA -Europa - Israel", München-Wien 1981 sind historischeStandardwerke für die deutsch-jüdischen Beziehungen.Da das oben erwähnte Spiegel-Interview über dievorliegenden Bücher hinaus wesentliche Beurteilungender Gegenwart ergänzt und andere schärfer als bisherpräzisiert, sei Nahum Goldmann hier noch einmal dasWort gegeben:"Ich meine, daß die Aggression gegen den Libanon (Juli-August 1982) der Höhepunkt einer falschen Entwicklung ist, dieIsrael von Anfang an genommen hat. ... Seit der Gründung. ImHintergrund sieht die Zionismus-Formel von Theodor Herzl, diemeiner Ansicht nach naiv und falsch war. ... Leider hat er (Herzl)aber bei der Lösung der jüdischen Frage zwei naive Fehlergemacht. Erstens wußte er nicht, daß in Palästina Araber lebten.In allen seinen Büchern figuriert das Wort Araber überhaupt nicht.... Außerdem — und das war sein zweiter Fehler — glaubte er, mankönne die Judenfrage lösen, indem man einen modernen westeuropäischenStaat konzipierte. ...Gewiß gibt es den (Unterschied zwischen einem klaren Angriffskriegund präventiven Verteidigungskriegen), obschon manauch die präventiven Verteidigungskriege hätte verhindern können.Vor allem der Sechs-Tage-Krieg von 1967 war meinerAnsicht nach ein Unglück für Israel. Damals begann die größenwahnsinnigeExpansion, diese Aggressivität. Nasser wollte denKrieg nicht, aber Israel sah eine gute Gelegenheit und hat ja aucheinen ungeheuren Sieg davongetragen. ...1967 geschah in der Tat etwas völlig Neues. Denn seit 2.000Jahren hatte man die Juden nicht mehr als Sieger gesehen. Aberdie großen Siege und die Bewunderung der Welt hatten auf dieIsraelis eine schlechte Wirkung: Sie bestärkten die Juden noch indem ungewöhnlichen Selbstbewußtsein, das sie als auserwähltesVolk ohnehin schon hatten. ...Die Arbeitspartei ist eine Partei derOpportunität. Außer Ben-Gurion hatsie keinen richtigen Staatsmann hervorgebracht.Am gefährlichsten von allenaber war Golda Meir. Sic hat nicht malanerkannt, daß es Palästinenser gibt,sondern immer gesagt, sie seien eineErfindung der amerikanischen Ölgesellschaften....Ich habe mit Ben-Gurion oft über Begin gesprochen. ... Er hieltBegin für einen Faschisten und hatte eine sehr schlechte Meinungvon ihm. Ich habe gesagt: Er ist kein Staatsmann, sondern einkleinstädtischer, provinzieller Jude mit allen Fehlern des Juden in31